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Kapitel 1

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»Schatz?« Die Dielen knarzten unter Evelyns Füßen, als sie die Eingangstür langsam öffnete und in den Flur trat. »Schatz, bist du da?«

Leise schloss sie die Tür hinter sich. Im Flur hatte sich nicht viel verändert. Kisten standen herum, eine Sitzbank war unter einer Plastikplane verborgen, eine nackte Glühbirne baumelte lustlos von der Decke herunter und auch das grauenerregende Grün an der Wand war noch keiner anderen Farbe gewichen. Sie schauderte, als sie länger auf den grünen Farbton starrte. Dann schüttelte sie den Kopf, denn irgendetwas war anders. Auch wenn sie im Moment noch nicht greifen konnte, was genau es war.

Sie trat durch den Flur in die Küche, doch auch hier hatte sich nichts verändert. Staub, ein Eimer mit Wasser und einem Putzlappen darin. In der alten Spüle stand eine Kaffeetasse. Die Kücheninsel war ebenfalls mit einer Plastikplane zugedeckt. Die ganze Küche brauchte eine Überholung, falls überhaupt noch etwas zu retten wäre. Nur die marmorne Arbeitsplatte schien jeglichem Verschleiß getrotzt zu haben. Das helle Weiß mit den grauen Einschlüssen glänzte zwar dumpf, würde jedoch nach der Bekanntschaft mit Putzmittel wieder in altem Glanz erstrahlen. Evelyn stemmte die Hände in die schmalen Hüften, grübelte. Dann hörte sie ein Knarren. Es kam von oben. Sie trat zurück in den Flur und auf die ersten Stufen der Treppe.

»Schatz?«, rief sie erneut und stieg die geschwungene Treppe nach oben. Jetzt bemerkte sie auch, was anders war. Leise Musik drang ihr an die Ohren. Die schwere Stille im Haus war verschwunden.

»Im Schlafzimmer!«, kam jetzt endlich eine Antwort und sie lächelte beim Klang der dunklen Stimme ihres Sohnes. Als sie das Schlafzimmer im ersten Stock betrat, breitete sich das Lächeln weiter aus. Leo stand mit einer Farbrolle bewaffnet vor einer Wand und übermalte das hier vorherrschende Rostrot mit einem hellen Cremeton.

»Eine sehr gute Wahl«, stellte sie jetzt fest und er sah über die Schulter zu ihr, lächelte. Tagelang hatte sie dieses Lächeln nicht mehr gesehen und es jetzt zu sehen, die Wärme zu spüren, die davon ausging, ließ ihr Herz stolpern. »Als nächstes musst du dringend den Flur in Angriff nehmen. Dieses Grün da unten verursacht Übelkeit.«

Leo lachte leise, was immer ein wenig kratzig klang. Dabei rauchte er schon viele Jahre nicht mehr. Jetzt trat Evelyn auf ihn zu und reckte sich, um ihm einen Kuss auf die Wange zu hauchen. Ihr Sohn war ein groß gewachsener Mann und er kam ihr entgegen, um es ihr leichter zu machen.

»Hey, Mum.«

»Hey, mein Großer.« Sie strich ihm über die Wange. Der Bart, den er noch vor zwei Tagen getragen hatte, war verschwunden. Noch ein gutes Zeichen. Er schien sich wieder zu erinnern, wie man einen Rasierer verwendete. »Wie geht es dir?«, fragte Evelyn jetzt und beobachtete, wie Leo die Farbrolle weglegte und sich die Finger an einem Tuch sauber wischte. Die Matratze, auf der er in den letzten Tagen geschlafen hatte, stand nun aufrecht gegen den Einbauschrank gelehnt und machte so Platz für die Malerarbeiten.

»Es geht.« Sie sah ihn tief einatmen und sein Blick ging aus dem Fenster, vor dem ein großer Baum stand. »Ich glaube, ich kann wieder atmen.«

Schief lächelte Evelyn und strich ihm über den Arm. »Es wird besser werden, Schatz. Versprochen. Das ist nicht das Ende der Welt.«

Der Blick, den er ihr zuwarf, sagte mehr als tausend Worte und sie lachte.

»Hey, schau mich nicht so an. Ich bin deine Mutter und damit verpflichtet, so etwas zu sagen.«

Wieder dieses Lächeln, das Eis zum Schmelzen bringen konnte. Und dieser Meinung war sie nicht nur, weil sie Leos Mutter war, sondern weil es einer Tatsache entsprach und er damit in seiner Jugend nicht nur ein Herz gebrochen hatte. Wie viele Mädchen hatten damals versucht, bei ihm zu landen? Sie hatte irgendwann aufgehört zu zählen. Und dann war die Zeit gekommen, in der er gemerkt hatte, dass er im Grunde gar nichts für Mädchen übrig hatte. Das war lange, nachdem sie selbst diese Vermutung gehabt hatte. Und ihn so sehen zu müssen, wie es ihm in den letzten Tagen ergangen war, das war hart für sie gewesen. Doch jetzt schien es, als würde er versuchen, die grauen Wolken davon zu schieben.

»Ich denke, ich möchte jetzt darüber reden«, sagte Leo und riss sie damit aus ihren Gedanken. Sofort war sie hellhörig.

»Oh. Gern, Schatz.« Sie entdeckte einen Pinsel, der auf dem umgedrehten Deckel der Wandfarbe lag, und griff danach. Sie kannte ihren ältesten Sohn gut und wusste auch, dass er nicht der Typ war, der bei einer Tasse Tee gut reden konnte. Er musste in Bewegung sein. Die Gefühle immer ein Stück auf Abstand. Ein Hauch von Beiläufigkeit war wichtig für ihn. Und so begann sie jetzt, die Ecken und Kanten des Zimmers mit Wandfarbe zu bestreichen. Leise seufzte Leo hinter ihr.

»Caleb hat mich seit einem halben Jahr betrogen.«

Es hätte nicht viel gefehlt und sie hätte den Pinsel fallen lassen, was einen unschönen Fleck auf dem Parkett hinterlassen hätte. Überrascht drehte sie sich zu Leo um, der mit der Rolle wieder Farbe an die Wand brachte.

»Das ist nicht dein Ernst«, würgte sie hervor und sah ihren Sohn dann nicken.

»Ich wäre zu berechenbar geworden. Hätte keine großen Ziele im Leben.«

Evelyn sah deutlich, wie fest er die Rolle umschlossen hielt. »Schatz, das ist doch ausgemachte Scheiße!«, brach es aus ihr hervor. Sein überraschter Blick traf sie. »Du hast keine Ziele im Leben? Ich bitte dich! Du wirst das Geschäft übernehmen, es gehört dir ja schon jetzt fast. Du bist dabei, unseren Umsatz deutlich zu steigern. Du bist tüchtig und was bitte soll das bedeuten? Berechenbar? Sollst du etwa losziehen und eine Tankstelle überfallen oder was?« Sie wedelte mit dem Pinsel herum und spritzte Farbe gegen die Fensterscheibe. »Bullshit! Du bist genau richtig, so wie du bist! Du bist bodenständig, du bist zielstrebig und zuverlässig!«

Sie wurde dadurch unterbrochen, dass ihr großer Sohn mit zwei Schritten bei ihr war und sie fest umarmte. Sie verschwand beinahe in seinen Armen. Leo kam eindeutig nach seinem Vater, was die Statur anbelangte. Charakterlich jedoch war er schon immer eher nach ihr geschlagen. Sie legte die Arme um ihn.

»Ach Schatz. Ich kann nur erahnen, wie sehr dir das weh tut. Wie weh er dir getan hat. Der dämliche Vollidiot.« Sie fühlte sein leises Lachen, fühlte aber auch die tiefe Traurigkeit, die ihn durchdrang. »Wir schaffen das. Zusammen. Das haben wir schon immer so gemacht, hm? Wir halten als Familie zusammen und wir holen auch dieses Schiff aus den Untiefen heraus. Versprochen.« Vorsichtig schob sie ihn von sich und sah ihm in die hellen, braunen Augen. Tränen standen darin. Tränen, die er vermutlich nicht mehr bereit war, zu vergießen. Er war dabei, einen Schlussstrich zu ziehen. Ein Umstand, der sie stolz machte. Sanft fuhr sie ihm durch das immer etwas störrische Haar.

»Tu mir nur einen Gefallen, hm? Falls Caleb auf die Idee kommen sollte, dich zurückhaben zu wollen, tu es nicht.« Eindringlich sah sie ihn an. »Du weißt, was dein Vater immer sagt?«

Schief lächelte Leo. »Wenn der Bär einmal aus dem verbotenen Honigtopf genascht hat, dann tut er es immer wieder.«

Evelyn nickte. »Ganz genau. Und das hast du nicht verdient, mein Schatz. Keines meiner Kinder hat so etwas verdient und ich schwöre dir, wenn Caleb mir noch mal unter die Augen tritt, kastriere ich ihn.«

Diesmal lachte Leo nicht. »Mum …«

»Das ist mein Ernst.«

»Ich weiß. Und das ist es, was mir Angst macht.«

Evelyn lachte leise. »Ich würde es wie einen Unfall aussehen lassen. Vertrau mir.«

Tief atmete Leo durch. Sie legte leicht den Kopf schief. »Morgen kommst du wieder zur Arbeit. Zeit, den Kopf aus dem Sand zu ziehen und sich dem Leben zu stellen.«

»Ja, Mum.«

»Und glaube mir. Dann war Caleb nicht der Richtige für dich. Irgendwo dort draußen aber gibt es ihn.« Sie drehte sich wieder zur Wand um und setzte den Pinsel an. »Du wirst ihn finden. Oder er dich.«

Auch Leo setzte die Rolle wieder an die Wand. »Im Moment habe ich die Nase voll von der Liebe.«

Evelyn lachte. »Ach, das hat deine Tante Samantha auch gesagt. Ein halbes Jahr später war sie verlobt und ein weiteres halbes Jahr später hat sie ihr erstes Kind bekommen. Ich wäre also vorsichtig mit solchen Äußerungen.«

Leo lachte. »Wieso? Hast du Angst, dass ich schwanger werde?«

»Nun, schwanger vielleicht nicht gerade«, sagte sie mit einem Grinsen, »aber ich habe schon irgendwie damit gerechnet, dass du eines Tages vor unserer Tür stehst, einen Mann an deiner Seite, den du in Vegas geheiratet hast. Über Nacht. Einfach so. Mit 18.«

»Du dachtest, ich würde so einen Mist machen?«

»Ach Leo, ich bitte dich! Dir sind die Mädels nur so hinterhergerannt. Dein Dad hatte Angst, schon sehr früh Großvater zu werden. Was denkst du, von wem all die Kondome in deinem Nachttisch kamen?«

»Das war Dad?!«

»Na, ich war es nicht! So viel Verstand habe ich dir immer zugetraut. Und so habe ich dich ja auch nicht erzogen.«

Fassungslos starrte Leo sie an. »Also, mein Vater hat mir Kondome in den Nachtschrank getan und du hast gedacht, ich würde mit 18 heiraten?«

Betont langsam zog sie den Pinsel am Fensterrahmen entlang. Jahrelange Fingerfertigkeit machte ein Abkleben unnötig. »Du warst nun einmal sehr heißblütig und impulsiv, mein Schatz. Aber dann hast du ja zum Glück herausgefunden, dass du auf Männer stehst.«

»Was heißt denn hier zum Glück?«

Sie lächelte. »Ach Schatz. Du wärst doch nie glücklich geworden mit einem Mädchen. Ich hab das schon früh geahnt. Irgendwie.« Jetzt drehte sie sich wieder zu ihrem Sohn, der langsam die rote Farbe aus dem Zimmer verdrängte. »Du wirst ihn finden. Den Mann, der alles für dich bedeuten wird. Und du für ihn. Glaub mir. Ich weiß es.«

Er schwieg einen Moment. »Ach, und woher?« Es klang bitterer als er beabsichtigt hatte.

»Mütterlicher Instinkt», lächelte sie. »Hör auf meine Worte. Wenn du nicht damit rechnest, wird er auftauchen. Und alles auf den Kopf stellen.« Zuversichtlich tauchte sie den Pinsel in die Farbe und anders als ihr Sohn im Moment hatte sie absolut keinen Zweifel daran, dass es passieren würde.

Liebe schmeckt wie Schokolade

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