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Kapitel 4

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Der Duft nach Pfefferminztee erfüllte den Raum. Frische Pfefferminze, nicht die, die sie in Teebeuteln als Pfefferminze verkauften. Es hatte eben Vorteile, wenn man eine Schildkröte als Haustier hatte. Donatello hatte die Minze nicht zugesagt, vermutlich wegen der ätherischen Öle, also hatte Calvin sie im Sommer getrocknet und an jeden ein Beutelchen verschenkt, der Tee mochte.

Lucy kaute auf ihrer Unterlippe und sah auf das Backgammon-Spielbrett, das zwischen ihnen auf der Couch lag. Es war ein kleiner Koffer aus Holz, ähnlich einem Schachspiel, das man aufklappen konnte, und tatsächlich befand sich auf der Außenseite ein Schachbrett. Auch die kleinen, weißen und schwarzen Spielsteine waren aus Holz. Zahlreiche Intarsien schmückten das Spielbrett. Lucy hatte sich weit darüber gebeugt und dachte über ihren nächsten Zug nach.

Lächelnd nippte Calvin an der Teetasse. Sie spielten oft Backgammon. Er hatte es ihr beigebracht, nachdem ihre Eltern ihr dieses wunderschöne Spielbrett aus dem Türkeiurlaub mitgebracht hatten. Im Moment sah es deutlich besser für die weißen Spielsteine aus.

Lucy entschloss sich, die Fünf und die Eins auf den Würfeln mit einem Stein zu ziehen und lehnte sich dann seufzend zurück. Nickend stellte Cal die Tasse auf dem niedrigen Couchtisch neben sich ab und griff nach den zwei Würfeln.

»Denkst du, sie würden mich auch mal in den Keller lassen?«, fragte sie und hob den Blick vom Spielbrett. Calvin hatte ihr von der kleinen, privaten Führung bei Larkin Candys and Sweets erzählt und anscheinend hatte sie damit noch nicht ganz abgeschlossen.

»Dafür müsstest du erst einmal wieder hinfahren. Wenn ich mich richtig erinnere, warst du immer noch nicht wieder dort.« Calvin warf die beiden Würfel auf das Spielbrett.

»Hm. Da hast du Recht. Ach, komm schon!«

Frustriert deutete Lu auf die Würfel, auf denen eine Vier und eine Zwei zu sehen war - ein guter Wurf, denn er erlaubte es Calvin, zwei Spielsteine von verschiedenen Stapeln zu trennen, zu einem neuen Paar zusammenzufassen und sie so nicht nur sicher vor dem Rauswerfen zu platzieren, sondern auch auf einem freien Feld, das Lucy somit versperrt bleiben würde. Es machte es für sie schwieriger, ihre schwarzen Spielsteine ins Haus zu bringen.

»Ich kann nichts für mein Würfelglück, das ist Erbmasse«, verteidigte sich Calvin sofort und setzte seinen Zug auf eines der leeren Dreiecke, die beim Backgammon als Spielfelder dienten.

»Das ist unfair! Ich habe niemanden in der Familie, der gut würfeln kann.« Schmollend verschränkte Lucy die Arme vor der Brust, was Cal zum Lachen brachte. Er griff nach den Würfeln und hielt sie ihr hin. In dem Moment öffnete sich die Wohnzimmertür.

»Hallo, ihr beiden.« Lucys Schmollmund war mit diesem Moment verschwunden. Sie sah hinter Calvin und lächelte ihrem Freund liebevoll entgegen.

»Hallo, Schatz!«

Tim trat näher und küsste sie zur Begrüßung sanft auf die Lippen. Eine Hand lag liebevoll an ihrer Wange, sein Daumen strich kurz über die Haut darunter. Lucys Augen glänzten noch, als er sich wieder von ihr löste und sich aufrichtete.

All das waren Kleinigkeiten, die Calvin beobachtete. Seit sich Paul so verändert hatte, betrachtete er jedes andere Paar genau. Beobachtete, worin sie sich unterschieden, wie sie miteinander umgingen. Versuchte zu erkennen, ob er einen Unterschied sehen konnte zu seiner eigenen Beziehung.

»Calvin zockt mich ab«, erklärte Lucy und nahm Cal die Würfel ab.

Das brachte Tim zum Lachen. Er wandte sich an Calvin. »Sei lieb zu ihr, sonst weint sie sich wieder in den Schlaf.«

Calvin wusste, es war ein Scherz. Aber einer mit bitterem Beigeschmack. Lächeln musste er dennoch. »Ach was. Ich habe einfach nur Glück. Lucy spielt so gut wie es ihr die Würfel erlauben.«

»Hörst du, Liebes? Du spielst gut!« Zärtlich tätschelte Tim Lucys Schulter.

»Ach, das war doch nur so ein Spruch von seiner Grandma.« Die Würfel fielen aufs Brett und offenbarten ein Zweierpasch, das im Spiel doppelt zählte, also wie vier Zweien. »Ha! Guck dir das an, Schatz!« Lucy zupfte an Tims Hose und deutete auf das Spielbrett.

»Ich sehe es«, konstatierte der schmunzelnd.

»Du bringst mir Glück! Bleib hier, ja?«

»Das schaffst du auch locker ohne mich. Außerdem habe ich Hunger. In dem Restaurant gab es nur winzige Portionen.«

Lachend sah Calvin in das runde Gesicht, das zu Tim gehörte wie die blauen Augen, die ihn freundlich ansahen. »Ich bin sicher, die Portionen waren ausreichend und du nur einfach wieder ein Nimmersatt.«

»Da stimme ich Calvin vollkommen zu«, sprang ihm Lucy zur Seite. Tim grummelte leise. Er hatte tatsächlich ein paar Pfund zu viel, aber das ließ seine Gestalt nur umso gemütlicher und lieber wirken. »Aber falls du tatsächlich noch Hunger haben solltest, steht im Kühlschrank noch unser restliches thailändisches Essen. Ich habe dir Huhn übrig gelassen.«

»Oh, perfekt! Danke!« Lucy bekam noch einen Kuss, dann ließ Tim sie allein.

»Also, mal sehen, du hast mir ja so gut wie jede Möglichkeit genommen«, murmelte Lucy, fand aber noch Möglichkeiten, ihre Zweien zu setzen. »Was hat dir deine Grandma eigentlich alles beigebracht? Also welche Spiele, meine ich«, erkundigte sie sich dabei.

»Uff. Rommee, Schach, Backgammon, Scrabble, Skat, Kanaster, Kniffel«, zählte Calvin auf und griff nach den Würfeln. »Aber die meisten Sachen spiele ich selten. Was wirklich geblieben ist, ist das Kreuzworträtseln.«

Überrascht sah Lucy auf. »Daher kommt dein unfassbares Allgemeinwissen!«

Glucksend griff Cal nach seiner Teetasse. »Ich habe kein unfassbares Allgemeinwissen.« Er trank einen Schluck Tee. Warm und frisch rann er ihm die Kehle hinab.

Lucy rollte mit ihren grauen Augen. »Bitte! Ich kenne niemanden sonst, der die Götter des Olymp aufzählen kann und zwar mit ihren griechischen und mit ihren römischen Namen.«

Grinsend stellte Calvin die Teetasse wieder ab. »Ja, gut. Das kommt vom Kreuzworträtseln.« Sein nächster Wurf zeigte zwei Sechsen.

»Du willst mich doch verarschen!«, empörte sich Lucy.

In das tiefe Lachen, das aus der Küche bis zu ihnen drang, stimmten sie schließlich trotzdem mit ein, während Calvin seine Steine ins Haus rettete.

Calvins Gedanken hielten ihn an diesem Abend vom Einschlafen ab. Sein Blick war in die Ferne gerichtet, auf einen Punkt irgendwo im dunklen Nachthimmel. Nicht auf einen Stern oder eine der kleinen Wolken, denn er sah durch all das hindurch.

Leise seufzend schob er einen Arm hinter seinen Kopf. Das leise Schnarchen, das von Pauls Bettseite zu ihm drang, hörte er ebenso wenig wie seinen eigenen Atem. Unbewusst begannen seine Finger, mit seinen feinen Haarsträhnen zu spielen.

So spielte sich inzwischen beinahe jeder Abend ab, denn ein Blick aus braunen Augen ging ihm nicht aus dem Kopf. Leos Blick. Calvin konnte nicht sagen, wieso er so sehr daran hing. Manchmal erging es ihm auch mit einigen seiner Kunden so. Manchmal fing er einen Blick auf, ein Lächeln, ein Stirnrunzeln oder etwas ähnliches und hing an diesen Dingen noch Tage später. Es konnte das Lachen auf dem Gesicht eines Kindes sein, die Blässe eines erkälteten Mannes, der blutunterlaufene Blick eines bekifften Jugendlichen oder das Stirnrunzeln eines Kunden, der sich nicht entscheiden konnte, welches Kabel er kaufen sollte. Oft genug konnte er gar nicht genau festmachen, was es genau war. So war er eben, er hing an solchen Kleinigkeiten, lernte so, die Menschen in seinem Umfeld genau zu beobachten und sie zu lesen. Das klappte nicht bei jedem. Allen voran war da Paul, den er seit Jahren nicht mehr richtig einschätzen konnte.

Und dann gab es Leo Larkin. Dessen Hände wieder oft auf Bildern in Postings erschienen waren. Der Valentinstag brachte anscheinend jede Menge Arbeit für den kleinen Laden.

Valentinstag. Ein Tag, der Calvin früher einmal tatsächlich etwas bedeutet hatte. Früher, als Paul ihm noch persönliche Aufmerksamkeiten besorgt hatte oder ihm ein Abendessen gekocht hatte. Ihm Huhn in Kokosmilchsoße übrig gelassen hatte wie es Lucy für Tim tat. Doch von all diesen Kleinigkeiten, die Calvin so viel bedeutet hatten, war heute kaum noch etwas übrig.

Er genoss jeden Moment, in dem ein Funken des alten Pauls zum Vorschein kam, in dem dieser Paul die Oberhand über den Dämon gewann, der inzwischen in ihm wohnte, sich von der Zeit mit seinen zweifelhaften Freunden und von Alkohol ernährte.

Der Valentinstag jedoch hatte längst an Bedeutung verloren. Wie so vieles andere in ihrer Beziehung auch.

***

Niemand, der Chester Heart sah, würde je auf den Gedanken kommen, dass dieser Mann seinen Lebensunterhalt als Anwalt verdiente. Chester war groß, wog gut 150 Kilogramm, die er trotzdem stilvoll in teuren Anzügen zu verpacken wusste. Er hatte einen Nacken so breit wie der eines Stieres und die Speckfalte in diesem Nacken wurde von keinem einzigen Haar verdeckt. Seine bevorzugte Frisur war eine Glatze.

Wenn er die Anzüge zur Arbeit trug, dann lugte auf seinem linken Handrücken das Ende eines Tattoos hervor, ebenso wie es aus seinem Hemdkragen hervorschaute und kurz unter seinem rechten Ohr endete. Unter dem Ohr, in dem sich auch ein silberner Ohrring befand. Er trug einen kurzen Kinnbart. Seine Nase zeigte feine, rote Äderchen, die vom übermäßigen Genuss fettreichen Essens zeugten. Doch heute hatte er den Anzug abgelegt, gegen eine verschlissene Jeans sowie ein altes Shirt getauscht, die Ärmel über die massigen Unterarme hoch geschoben und offenbarte so einen Teil seiner Sammlung an gestochener Körperkunst.

»Also schön.« Während er sprach, zog er eine Schraube im Rahmen des Bettgestells fest, was das Holz zum Ächzen brachte. Leo verzog das Gesicht in Angst um seine neueste Errungenschaft. Er war froh über die Hilfe seines guten Freundes, den er noch aus Schulzeiten kannte. Jetzt jedoch hatte der die buschigen Augenbrauen zusammengezogen und löste den Schraubendreher von der gequälten Schraube.

»Reden wir über den Elefanten im Raum.« Er hob den Blick und sah Leo aus dunkelgrünen Augen an. In dieser Position wirkte der massive Mann wie eine Galapagosmeerechse. Kompakt, massig und irgendwie in sich ruhend. Nur reizen sollte man Chester nicht.

»Was für ein Elefant?«

Chester schnaubte. »Hör zu, Schwuchtel. Wir sehen uns vielleicht nicht mehr so häufig wie früher noch, das ist klar. Aber der Buschfunk funktioniert immer noch. Es gibt, glaube ich, niemanden in der Gemeinde, der noch nicht von dem Drama zwischen dir und Caleb gehört hat. Also, wann genau hattest du vor, mir davon zu erzählen?«

Leo grinste. »Du bist der gleiche freundliche Fettsack wie eh und je.«

Chester schnaubte und griff nach einer weiteren Schraube. »Das is so ziemlich das Beschissenste, was einem der Partner antun kann, Mann. Egal ob's ne Olle ist oder ein Kerl.« Leo zweifelte jedes Mal daran, dass Chester Anwalt war, wenn er ihn so reden hörte. Und das Verrückte war, der Mann verdiente unverschämt viel Geld. »Wenn du irgendwas gegen ihn der Hand hättest ... Wir könnten ihn hochgehen lassen. Hat er immer pünktlich seine Steuern bezahlt? Irgendwelche Strafzettel? Falsch parken? Ich dreh daraus schon was.«

Das leise Lachen konnte Leo nicht zurückhalten. »Ich weiß das sehr zu schätzen, aber nein. Danke. Das, was er getan hat, ist unverzeihlich. Und ich will es hinter mir lassen. Ein für alle Mal.«

Erneut knarrte das Holz, als die letzte Schraube hineingedreht wurde und sie damit begannen, den Korpus des Bettes an die richtige Stelle zu schieben. »Ich schwöre dir, sollte mir dieser Penner noch mal über den Weg laufen, werde ich mit Vorhaltungen nicht sparen.«

»Ich weiß deine Loyalität sehr zu schätzen, Chester.« Der grummelte und griff nach dem Lattenrost. »Wir sind Freunde. Auch wenn ich dieses ganze Schwulending nicht kapiere. Muss ich ja auch nich. Es ist dein Leben und du musst dich damit glücklich fühlen. Jeder so wie er mag. Aber diese Betrugskiste, bah!« Mit einem Klappern fiel das Lattenrost an seinen Platz. »Das ist das Hinterletzte. Da macht man Schluss, bevor so was passiert. Jeder Mann, der so was macht, hat keine Eier in der Hose. Schwul hin oder her.«

Viele Menschen, die Chester nicht kannten, hätten sich an seiner Art gestoßen. Es als despektierlich angesehen. Doch Leo kannte ihn besser. Chester war in einer christlichen Familie aufgewachsen, in der noch so etwas wie alte Werte vermittelt worden waren. Homosexualität war als etwas Schlechtes und Verwerfliches anzusehen.

Leo wusste noch genau, wie Chester herausgefunden hatte, dass sein Kumpel schwul war. Sie waren beide 19 gewesen. Für Chester ein Schock, der in drei Monaten absoluter Funkstille gegipfelt war. Leo hatte damit gerechnet, seinen Freund nie wieder zu Gesicht zu bekommen. Bis er auf der der Türschwelle gestanden hatte, ein Sixpack Bier in der Hand, eine Tüte mit DVD in der anderen. In Leos Zimmer hatten sie gesessen, das Bier getrunken, die Filme geschaut und nur sehr wenig gesprochen.

»Du bist mein Freund, Alter«, hatte Chester dann irgendwann zwischen Iron Man 1 und Iron Man 2 gesagt. »Und wenn du lieber Bananen magst anstatt Pflaumen, dann ist das so. Dieser ganze Höllen- und Fegefeuer-Mist ist doch sowieso überholt. Aber damit eins klar ist! Ich will keine von deinen Bettgeschichten hören, okay? Find ich nicht geil, muss ich nicht haben. Danke. Und jetzt gib mir noch ein Bier.«

Und mit diesem verqueren Geständnis war das Thema abgehakt gewesen. Über die Jahre war diese Grenze aufgeweicht, Chester hatte sehr wohl ein Ohr für seinen Freund. Auch wenn Details nach wie vor lieber unerwähnt blieben. Doch Leo wusste, was er an diesem ungewöhnlichen Mann hatte. Der für ihre Freundschaft über seinen eigenen Schatten sprang und etwas akzeptierte, das er weder verstand noch guthieß.

»Hast du ihn noch mal gesprochen?«, fragte Chester jetzt und riss Leo damit aus seinen Gedanken, während sie das zweite Lattenrost an Ort und Stelle hievten und dann die Matratzen darauflegten. So langsam nahm das Boxspringbett Formen an.

»Nein. Und das soll auch so bleiben.«

Chester nickte. »Wusste er eigentlich hiervon?« Er deutete zur Decke und meinte damit das Haus. Oder eher das, was damit verbunden war.

»Er wusste von Tante Fannys Tod. Aber nicht, dass sie mir das Geld vererbt hat. Und schon gar nicht, wie viel es war.«

»Wäre ja auch noch schöner, dann hätte er vermutlich alles daran gesetzt, dich zu halten, dieser berechnende Drecksack. Ich sag dir das jetzt als guter Freund, wenn du den je wieder zurück nimmst, breche ich dir beide Arme.«

Leo lachte auf. »Nun, als Freund sage ich dann wohl danke. Keine Angst. Es ist zwar eine Umstellung, aber ich bin kein Idiot. Auch wenn er mir fehlt. Das ist etwas, das ich nicht verzeihen kann.«

»Na, ein Glück.« Chester richtete sich auf und streckte sich. »Können wir jetzt runter in den Flur gehen und dort streichen? Ich sehe dieses Grün als eine persönliche Beleidigung an. Mir wäre um ein Haar mein Mittagessen wieder hochgekommen bei dem Anblick.«

»Das kann ich natürlich nicht verantworten.« Einladend deutete Leo auf die Tür.

»Nah, ist schon gut. Als Schmerzensgeld kannst du mir was von eurem Karamellbruch einpacken. Dann passt das schon.«

Leo grinste. »Das lässt sich sicherlich einrichten.«

Liebe schmeckt wie Schokolade

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