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44 – Glücklich war …

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… die nächste Zeit dahingeeilt.

Bald fünf Wochen waren vergangen, seit es Silvana und Raymond, seit es ein Silv und Ray gab. Und alles war noch immer so, wie Silvana es sich kaum in ihren kühnsten Träumen erhofft hatte – sie begann ihr Leben zu leben.

Ray war oft bei ihr. Über Nacht. »Zum Frühstück«, wie Silvana es scherzhaft zweideutig nannte. Während der Woche war Rosa dann auch bei ihnen; am Wochenende waren sie aber stets nur zu zweit – Rosa war dann bei Sibylle und Ingmar.

Und noch immer fühlten sie sich wie zwei Teenager, die Verbotenes taten, dabei wussten in der Zwischenzeit alle Bescheid.

Im Gutshof freute man sich, auch war man überzeugt, in ein paar Wochen würde Silvana dann doch langsam, Schritt für Schritt, zu ihnen »wechseln« und dann bald schon ihre kleine Wohnung aufgeben. Sibylle spürte, dass dem wohl nicht so sein würde. Sie sah es Silvana an den Augen an, sie sah eben auch – was den anderen wohl verborgen blieb –, dass diese selbstbestimmte Freiheit, diese Ungebundenheit genau das Leben war, das ihrer »zweiten Tochter« entsprach. Darin unterschied sie sich von Melissa.

Lediglich Ingmar gegenüber verlor Sibylle ab und an ein paar Worte darüber, die dann aber stets ohne Antwort blieben. Im Gutshaus schwieg Sibylle, dort lächelte sie nur.

Silvanas Mutter sah das völlig anders, Silvana wusste es. »Wenn dem nicht so wäre, würde mich das beinahe erschrecken, denn dann wäre sie nicht meine Mutter«, bemerkte Silvana zwei-, dreimal ohne bösen Zungenschlag. Ihre Mutter war ihre Mutter und so, wie sie war, liebte Silvana sie.

Gewiss sorgte Georg auch dafür, dass es nur selten vorwurfsvolle Blicke gab. Er schien sich für die beiden, für Silv und Ray, zu freuen; mehr noch, sähe man genauer hin, schien es beinahe, als würde er Silvana, ihr Tun, ihr Leben, aufmerksam mit Wohlwollen betrachten.

Dass dieses selbstbestimmte Leben, wie Sibylle es glaubte zu wissen, oder dieses unvernünftige Leben, wie Silvanas Mutter es sah, bald schon die nächsten heftigen Turbulenzen würde aushalten müssen, konnte niemand vorhersehen, war aber doch irgendwie Teil des Lebens, das Silvana gewählt hatte, das ihrer Bestimmung so und nicht anders entsprach.

Als Silvana an diesem Morgen erwachte und neben sich blickte, war sie im ersten Moment traurig. Ray lag nicht neben ihr. Heute war sein Geburtstag, und er war nicht bei ihr. Rasch zog ihr dann aber doch ein stilles Lächeln über das Gesicht, denn sie selbst war es ja gewesen, die auf diese getrennte Nacht bestanden hatte.

Es war sein erster Geburtstag ohne Mel, und da hatte sie, die »Geliebte«, in seinen ersten Gedanken des Tages sicher nichts zu suchen. Und es war auch sein erster Geburtstag mit seiner Tochter, die ihn an diesem Tag mit ihrem lächelnden Blick an Mel erinnern würde – davon war Silvana überzeugt. Vielleicht würde er seine Tochter dann nehmen, sie an sich drücken und ein paar Tränen vergießen. Vielleicht. Aber das würde er bestimmt nicht tun, wenn sie, seine »Geliebte«, bei ihm wäre.

Doch würde ihre Anwesenheit ihn damit nicht um dieses keineswegs unwichtige Gefühl betrügen?

Ja, das würde es. Und auch deshalb war es gut, dass sie heute allein in ihrem Bett erwachte.

Und letztlich war es auch der erste Geburtstag mit Paula und Konrad.

Konrad und Paula, nicht mehr Herr und Frau Schwendt, und auch nicht mehr Herr Graf, sondern ganz einfach Raymond. Aber so einfach war das dann eben doch nicht gewesen.

Vor zwei Wochen hatte Raymond ihnen endlich das Du angeboten und nach langem Zieren und einer Flasche Rotwein hatten sie es schließlich akzeptiert.

»Und als Zeichen, dass es dir ernst damit ist, wäre es sicherlich ratsam, wenn du an deinem Geburtstag mit ihnen an deiner Seite und auch mit all den anderen Gutsangestellten frühstücken würdest. Wie ich Paula kenne, wird sie erst ablehnen, dann aber doch dezent zustimmen. Und in der Nacht davor wird sie auch garantiert keinen Schlaf finden. Aber letztlich wird sie stolz sein und dich danach, wenn es sein muss, bis ans Ende ihrer Tage mit allem, auch mit ihrem Leben, verteidigen«, hatte Silvana ihm ziemlich eindringlich und mit einem Lächeln in den Augen verdeutlicht.

Zustimmend war er ihrem Ansinnen gefolgt, auch weil er wusste, dass sie wie immer recht hatte.

Gegen Mittag wollten sie dann zu dritt, mit Rosa, einen kleinen Ausflug machen und anschließend bei Sibylle und Ingmar ein wenig feiern.

So war es geplant.

All das ging Silvana durch den Kopf, so wie der merkwürdige Traum von eben, der kurz vor dem Aufwachen über sie gekommen war; doch war er kaum mehr als ein »Standbild« gewesen.

Elektra hatte vor einer weißen Villa gestanden und mit ausgebreiteten Armen auf sie gewartet. Minutenlang, wie es schien, hatte sie so dagestanden.

Das war wahrhaftig merkwürdig, denn schon lange hatte Silvana keinen Traum mehr gehabt, der, wie hier, zwar sehr kurz, aber dennoch so eindringlich und nachhaltig war. Auch hatte sie seit diesem Abend vor Wochen in Konstanz nichts mehr von Elektra gehört. Lediglich zwei kurze SMS hatte es nach Bellas Rückkehr gegeben.

Aber das war jetzt egal.

Heute war Raymonds Geburtstag, und dazu wollte sie ihm einen ersten Gruß schicken.

Rasch sprang sie auf, kramte ihr Smartphone aus der Tasche und war sogleich zurück in ihrem Bett.

Mein Geliebter, herzlichen Glückwunsch und alles, alles … nein, das schreiben alle.

Ich aber schreibe dir hier und jetzt, um dir zu sagen, dass du heute einen Wunsch frei hast. Einen Wunsch, den du hoffentlich nur von mir erfüllt haben möchtest, von mir, deiner erwählten Geliebten. Ich freue mich auf dich.

Sie hatte sich keine Gedanken darüber gemacht, was für ein Wunsch das sein könnte, sie hoffte, ihm würde spontan etwas einfallen. Vielleicht, wenn sie einmal …? Aber nein, es sollte sein Wunsch sein.

Keine zwei Minuten vergingen.

Oh Geliebte, tausend Wünsche auf einen reduzieren würde mir schwerfallen, wenn es da nicht tatsächlich den einen gäbe, den ich nur durch dich erfüllt haben möchte. Auch ich freue mich auf dich.

Silvana erschrak. War das noch Spiel? Hatte sie mit ihrer SMS am Ende etwas »losgetreten«, etwas, das er anders verstehen könnte? Denn … er meinte doch hoffentlich nicht …? Nein, das wäre dann wirklich kein Spiel mehr und einem Geburtstag, einem Geschenk dafür, auch gewiss nicht angemessen.

Nachdenklich stand sie sogleich auf, blieb vor dem Spiegel in ihrem Schlafzimmer stehen und betrachtete sich.

Sie war nackt. Vorsichtig und zärtlich strich sie sich über den Bauch. Sicherlich, er war dicker … »Aber das ist nur fett«, murmelte sie. »Und nichts anderes wird ihn absehbar verändern.«

Wieder piepste ihr Mobiltelefon. Eine weitere SMS. Von Raymond. Er schien gespürt zu haben, dass da etwas falsch verstanden werden könnte; vielleicht auch, weil sie ihm nicht wenigstens einen »Kuss« zurückgeschickt hatte, wie sie es üblicherweise immer tat.

Oh, meine Geliebte, nur du und ich, so lange es gefällt.

Sie lachte. Was für ein Mann. Und augenblicklich schickte sie ihm den »Kuss«.

*

Bald schon hatte sie gefrühstückt und begann dann auch endlich sein wirkliches Geschenk zu verpacken, doch auch da musste sie lachen.

Wie verpackt man ein Kuvert?

Letztlich ruhte es dann bald in einer Klarsichtfolie, umringt von Konfetti und Schokoladenstückchen, die in rotem und silbernem und goldenem Papier gewickelt verführerisch süß strahlten.

Sie sah ihr Werk an, und sie war zufrieden mit sich und diesem ausgefallenen Geschenk, über das sie sich schon seit ein paar Tagen unverdrossen freute – wie Raymond hoffentlich später dann auch.

Und im Moment, als sie es in ihrer Tasche verschwinden ließ, klingelte es an der Tür.

Silvana stockte, und sie überlegte kurz.

Ganz sicher war es nicht Raymond, zumal sie ihn bald schon abholen wollte.

Ihre Mutter?

Silvanas Mutter wusste, dass Raymond heute Geburtstag hatte. Wollte sie am Ende …?

Rasch ging sie zur Tür, öffnete sie und wich sogleich, innerlich entsetzt, zurück.

Es war weder Raymond noch ihre Mutter, es war … es war das Unheil, nein, mehr noch, es war die »Heimsuchung«, oh ja, es war eine unsägliche »Heimsuchung«, die boshaft und anmaßend um Zutritt zu ihrer Wohnung nachsuchte.

SeelenFee - Buch Vier

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