Читать книгу IMMER AUSSCHLAFEN IST AUCH KEINE LÖSUNG - Axel Beyer - Страница 8
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„Allem Anfang wohnt ein Zauber inne“ – wie oft dieser Spruch wohl schon malträtiert wurde. Im Poesie-Album (gibt es sowas eigentlich noch?) und in Festtagsreden. Aber alles fängt mal an – auch die dritte Lebenshälfte. Und irgendwann erwischt es jeden. Sie auch – und mich ebenso. Und dann ist er da, der letzte Arbeitstag. Und eine neue Form des Alltags nimmt ihren Anfang. Mein Leben als Angestellter hatte ein Ende, aber abgestellt war ich deshalb noch lange nicht. Oder gar ruhig gestellt? Das passt erst recht nicht zu mir. Niemand wunderte sich deswegen, dass ich auch an meinem letzten Arbeitstag nicht wirklich ruhig bleiben konnte und mit leichter Ironie auf mein Arbeitsleben in Form einer kleinen Rede zurückblickte. Wie war das denn bei Ihnen? Gab es Blumen und Geschenke? Ich mag gar nicht mehr daran denken…
Dabei denke ich gerne an den Tag selbst zurück, das war ein gutes Gefühl. Alles „zum letzten Mal“ zu machen. Super, oder? Ich habe es geschafft. Ich bin raus! Mein letzter Arbeitstag! Und das ist der Anfang vom Rentner-Alltag. Alle Reden sind gehalten, alle Abschiedsrunden gedreht, alle Scheidebecher geleert. Mir geht es super! Ich habe ab jetzt viel Zeit und muss nichts mehr tun müssen.
Am nächsten Morgen fahre ich aus dem Bett hoch. Wieso hat der Wecker nicht geklingelt? Es ist doch halb acht. Ich springe aus dem Bett. Da fällt es mir wieder ein. Ich muss ja nicht mehr ins Büro! Ich habe es ja geschafft. Mir geht es ja super.
Ich lege mich wieder hin. Ein super Anfang! Ich habe ja Zeit. Ich kann ausschlafen.– Nur dass ich eben nicht mehr einschlafen kann. Na gut, stehe ich eben auf. Schließlich habe ich ja den ganzen Tag vor mir. Mir geht es super.
Obwohl, wenn ich ehrlich bin – da gibt es schon das Ein oder Andere, was ich ein ganz klein wenig vermisse. Also wirklich nur ein wenig. Nun ja, vielleicht doch ein bisschen…
Gegen Mittag denke ich zum Beispiel daran, dass es heute in der Kantine Schnitzel gäbe. Das gibt es immer mittwochs. Ich mag Schnitzel. Ob ich vielleicht … aber nein, doch nicht an meinem ersten freien Tag. Und ich werde mir ja wohl noch selber ein Schnitzel braten können. Auch wenn es in der Kantine wirklich gut ist, und ich hätte ja jetzt Zeit…
Die erste Woche ist rum.
Mir geht es super. Ich habe endlich die Ablage gemacht und angefangen den Keller aufzuräumen. Ich könnte die Bücher im Regal nach den Farben der Umschläge sortieren, wär mal was anderes. Super Idee.
Wie es wohl den Kollegen geht? Irgendwie vermisse ich die doch – also natürlich nur ein bisschen. Ob ich mal anrufe? Ach nee, sonst denken die noch, ich hätte nix zu tun. Pfff – dabei muss ich die CDs noch nach Musikgenres ordnen. Und den Keller könnte ich auch… ach so, den hatte ich ja schon aufgeräumt. Da fällt mir ein, dass ich doch die Biografie von Helmut Schmidt lesen wollte, die man mir vor vielen Jahren zum Geburtstag geschenkt hat. Endlich komme ich mal dazu, super! Ich habe ja jetzt Zeit – aber welche Farbe hatte nochmal der Einband?
Mein Telefon ist kaputt, also MUSS kaputt sein. Seit Tagen klingelt es nicht. Ich rufe mich vom Festnetz auf meinem Handy an. Es klingelt. – Komisch! Dabei hätte ich jetzt viel Zeit zum Telefonieren.
Die zweite Woche ist rum. Ich habe die Bücher jetzt doch wieder alphabetisch sortiert und die CDs auch. Habe dabei die Biografie von Helmut Schmidt wiedergefunden. Kann ich ja jetzt mal lesen. Ich habe ja Zeit. Mir geht’s Super. Blättere im Kalender, die vielen weißen Seiten machen mich irgendwie nervös. Was ist heute? Ach ja, Mittwoch. Schnitzeltag. Ich gehe einkaufen. War ich zwar gestern erst, aber irgendwas findet sich schon. Mein Telefon ist immer noch kaputt.
In der dritten Woche stehe ich morgens immer um halb acht auf. Da hat man was vom Tag. Ich habe ja jetzt Zeit. Ganz super.
Ich habe die Bücher im Regal jetzt nach Größe sortiert. Die CDs sind ja alle gleich groß, blöde Dinger. Schaue mal nach, ob der Keller noch aufgeräumt ist. Da klingelt das Telefon. Ich stürze ran. Ein Kollege! Ach, wie reizend! Er will wissen, wie es mir geht und wie mir das Rentnerdasein bekommt. Ob ich mich langweile? Keine Spur! Ich habe so viel zu tun! Ich muss noch Schnitzel kaufen, und ich komme endlich mal zum Lesen.
Ich frage ihn, ob er die Biografie von Helmut Schmidt schon kennt. Ja, ich habe sie mir gerade rausgelegt. – Und wie läuft es so bei Euch? – Gut? Das freut mich. Ja, danke, ich komme gern demnächst mal vorbei. Wie wäre es morgen? Ach so, klar. Dienstreise! Nee, haha, ich muss ja nicht mehr so viel reisen. Habe einfach mehr Zeit zu Hause. Wohin geht es denn? – Ach Berlin, ja da könnte ich auch mal wieder hin, Freunde besuchen. Obwohl die Fliegerei ist ja so umweltschädlich… Wie bitte? Ach, du fährst Bahn. Ja, das ist natürlich besser – dauert nur länger. Wie bitte? Ja, stimmt, ich hätte ja jetzt Zeit!
Aber immerhin komme endlich auch mal dazu, all die Dinge zu tun, die ich immer schon mal machen wollte. Keller aufräumen, haha – kennst du ja! Ja dann, liebe Grüße an die Kollegen und auf bald.
Der Ärmste. Muss noch arbeiten. Ich ja nicht. Mir geht es super. Ich hab ja jetzt Zeit und könnte eigentlich mal was ganz Verrücktes tun. Ich weiß was – ich brate mir einfach mal ein Schnitzel am Donnerstag! Und dann lese ich gleich anschließend die Biografie von Helmut Schmidt. Die soll ja super sein.