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Kapitel 3
Derolia

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Derolia. Ich war noch nie hier gewesen. Im Orbit schon, hatte dort vor vielen Jahren mal Fracht gelöscht, aber eben nicht auf dem Planeten selber, der war für mich neu.

Er war vor langer, vor verdammt langer Zeit terraformt worden. Das war so lange her, dass es der Flora mittlerweile gelungen war, Hybride hervorzubringen. Terranische Pflanzen hatten sich so gut an die Gegebenheiten hier anpassen können, dass es doch tatsächlich zu Kreuzungen gekommen war. Wie das vonstattengehen konnte, entzog sich meiner Kenntnis. Ich hatte bislang immer die Meinung vertreten, dass so etwas ins Reich der Märchen verbannt werden musste, aber hier wurde ich mit der Realität konfrontiert. War das ein Beweis der Panspermien-Theorie? Anders konnte ich es mir nicht erklären, wie sonst sollten Hybride entstehen können, wenn nicht nur dann, wenn schon von Natur aus eine Verwandtschaft vorhanden war?

Wir gingen mit einem Shuttle runter. Das war mir auch lieber so. Die Lahme Ente im Frachtraum des derolianischen Kreuzers zu wissen statt hier am Boden, erschien mir sicherer. Die Soldaten an Bord des Kriegsschiffes hatten keine Ambitionen gezeigt, sich des Inneren meines Schiffes anzunehmen; wie das hier am Boden aussehen würde, vermochte ich nicht zu sagen. Die Gefahr war hier aber ungleich größer, dass sich irgendein übereifriger Beamter um meine Fracht und deren Einfuhrpapiere kümmern würde. Und wer konnte schon sagen, was die Entdeckung der Ladung aus keimfähigen Nüssen zur Folge haben würde? Wir waren ja nicht mehr dazu gekommen, diese irgendwie zu löschen …

Erinnerungen an unsere damalige Landung auf Sylvej kamen wieder hoch, als unser Shuttle in den Hangar geschwebt war und wir von einer Ehrenwache in Empfang genommen worden waren.

Sie hatten hundert Soldaten aufgeboten, die mir zu Ehren mehrfach Salutschüsse abgaben. Du meine Güte, was war das damals für Jorge für ein erbärmlicher Empfang auf Sylvej gewesen? Er hatte als Prinz Majister doch sicherlich sehr viel mehr Ehrerbietung zu erwarten gehabt als ich hier und jetzt. Wer war ich denn schon in der derolianischen Hierarchie? Ein überführter Schmuggler, der rein zufällig mal ihrem Prinzen Majister das Leben gerettet hatte – und selbst über diese Sicht der Dinge konnte man vortrefflich streiten. In meinen Augen hatte ich zu seiner Rettung nicht wirklich einen entscheidenden Beitrag geleistet.

Wir wurden durch den Raumhafen eskortiert. Die Hundertschaft Soldaten sicherte nach allen Seiten, Drohnen flogen über unseren Köpfen, Absperrungen waren für das gemeine Volk errichtet worden. All das wies für mich darauf hin, dass es mit der Liebe des Volkes zu seinen Herrschern nicht allzu weit bestellt sein konnte.

Ein Konvoi von Schwebern brachte uns in den königlichen Palast, der sich in einer Entfernung von mehr als dreihundert Kilometern vom Raumhafen der Hauptstadt befand. Er lag inmitten einer Flugverbotszone und verfügte nicht über einen eigenen Raumhafen. Umständlich für das Königshaus, wenn es an das Verreisen dachte, praktisch für denjenigen, der Anschläge fürchten musste.

Der königliche Palast stellte sich als kleine Stadt dar. Er umfasste eine Fläche von rund zweihundert Quadratkilometern. In ihm lebten und arbeiteten rund dreihunderttausend Menschen. Der Palast auf Sylvej war dagegen ein Abklatsch gewesen.

Leutnant Rogorna stellte mit einer Abteilung ihrer Truppe unsere unmittelbare Leibgarde. Die junge Frau nahm ihre Aufgabe erstaunlich ernst. Selbst hier im Inneren des Palastes war ihre Wachsamkeit nicht eingeschränkt. War das notwendig? Drohte uns hier, quasi im Allerheiligsten des Reiches, eine reale Gefahr?

Wir waren lange durch Gänge gegangen, hatten wiederholt Gartenanlagen durchquert und befanden uns nunmehr in einem luxuriös ausgestatteten Zimmer, in dem man sich verlaufen konnte. Es als Halle zu bezeichnen, hätte es besser getroffen. Ich konnte mir regelrecht vorstellen, wie hier rauschende Feste gefeiert wurden.

Wir ließen uns in zwei bequem aussehenden Sesseln nieder, die sich mit zwei weiteren um einen kleinen Tisch gruppierten, während sich die Leibgardisten an den Wänden und vor allem den Fenstern des Saals verteilten. Nadarja und ich starrten uns an. Leutnant Rogorna selbst stand neben der einzigen Tür, die in diesen Raum führte.

Auf dem Tisch, der zwischen unseren Sesseln stand, befand sich eine Kanne Tee nebst vier Tassen. Nichts weiter.

Nadarja rümpfte ob des Getränks die Nase. Sie liebte mittlerweile Kaffee, mit Tee konnte sie nichts anfangen. Ich machte mich darüber her.

Darjeeling, first Flush, wenn auch mit einer derolianischen Note. – Ich genoss die erste Tasse.

Ein Gongschlag ertönte, dann öffnete sich die Tür. Leutnant Rogorna sah kurz hinaus, dann senkte sie ihr rechtes Knie und beugte ihren Kopf zu Boden. Wirklich zu Boden, die Stirn berührte die Dielenbretter.

Sämtliche anwesenden Soldaten taten es ihr gleich.

Zuerst traten zehn Soldaten ein, in dieselbe Uniform gekleidet wie auch Rogornas Einheit. Dann hörte ich dieses charakteristische Klappern. Ich stand auf, Nadarja folgte meinem Beispiel.

Sie rauschte um eine Ecke, begleitet von weiteren vier Soldaten, je einer vorn, hinten und an jeder Seite.

Und begleitet von einem kleinen Kind, einem Mädchen mit langen Zöpfen.

Lysange, wie sie leibte und lebte. Ihre Haare waren noch immer pechschwarz. Sie trug ein bodenlanges weißes Kleid, fast schon eine Robe. Zuerst dachte ich, es wäre eine Art Pelz, und fühlte mich erneut an Sylvej erinnert, dann sah ich, dass das nicht der Fall war. Eine solche Geschmacklosigkeit hätte ich ihr auch nicht zugetraut.

»Sam«, sagte sie. Nichts weiter.

Eine kleine Handbewegung ihrerseits forderte die Soldaten auf, sich wieder zu erheben.

»Bitte sorgen Sie dafür, dass alle Ihre Leute den Raum verlassen«, wies sie Leutnant Rogorna an.

»Mater …« Rogornas Stimme deutete Widerspruch an, formulierte diesen jedoch nicht.

»Meine Mutter hat gesagt, ihr sollt verschwinden«, ließ sich nun das Kind vernehmen.

Man hätte eine Stecknadel in der Stille fallen hören können, die sich an diese Worte anschloss.

Rogorna senkte den Kopf und winkte ihre Leute von den Wänden und Fenstern weg. »Mater …«, sagte sie noch einmal.

»Sie bleiben«, wies Lysange an.

Nachdem alle Soldaten den Raum verlassen hatten, schloss Rogorna die Tür und postierte sich davor, den Rücken zur Tür.

Draußen vor den Fenstern nahm ich nun Bewegungen wahr; die Soldaten, die eben noch im Raum gewesen waren, bezogen nun im Garten ihre Stellung.

»Sam, Nadarja, ich freue mich, euch zu sehen«, sagte Lysange und eilte auf uns zu. Ihre Tochter folgte ihr.

Wir schüttelten uns die Hände, einer Umarmung durch Lys entging ich geschickt, indem ich mich hinter den Tisch mit dem Tee gestellt hatte.

»Das ist Carla?«, fragte Nadarja.

»Das ist meine Tochter!«, stimmte Lys zu.

»Du bist Onkel Sam?«, fragte das Mädchen und betrachtete mich von oben bis unten. »Warum trägst du keine Uniform?«

»Sam ist keiner unserer Untertanen«, erläuterte ihre Mutter. »Er ist …«

»Ich bin freier Frachtführer, keiner Obrigkeit verpflichtet«, antwortete ich für mich selbst. Mir ging diese ganze Zeremonie, die wir hier durchlebt hatten, mittlerweile gehörig auf die Nerven.

Carla starrte mich mit einem durchdringenden Blick an. »Auf diesem Planeten ist mir jeder verpflichtet«, sagte sie leise, aber sehr bestimmt.

Ich war irritiert. Vor mir stand ein Kind, nicht einmal sechs Jahre alt. Was brachte dieses Mädchen dazu, so mit mir zu reden?

»Wir gehören nicht zu deinen Untertanen«, erwiderte Nadarja.

Carla sah kurz zu ihr hinüber. »Du schon«, sagte sie, mehr nicht, aber das reichte, um Wut in Nadarja hochkochen zu lassen.

»Nein!«, entgegnete Nadarja bestimmt. »Nicht mehr!«

»Das derolianische Recht sieht keinen Dispens vor«, sagte Lysange. »Zumindest keinen selbstbestimmten. Lediglich die Königin kann einen Bann aussprechen, aber Derolianer ist man von Geburt an bis zum Tod.«

»Das sehe ich anders!«

Ich pflichtete Nadarja bei. »Hast du uns gerufen, um hier Grundsatzdiskussionen zu führen?«

Lysange ging nicht auf mich ein. Sie wandte sich ihrer Tochter zu. »Ich denke, wir können hier eine Ausnahme machen«, sagte sie. »Ohne diese beiden wären wir nicht hier. Ohne sie wären wir vermutlich nicht mehr am Leben. Ich denke, wir können ihnen einen freien Status zuerkennen.«

Carla nickte. »Mutter hat mir viel von euch erzählt. Ich hatte bereits vorher erwogen, euch zu belohnen. Mir kommt allerdings eine solche Forderung seltsam als Belohnung vor.«

»Freiheit ist das höchste Gut, Prinzess Majister«, entgegnete ich.

Von der Tür her hörte ich Leutnant Rogorna hüsteln.

»Majestrix«, hauchte Lysange mir zu.

»Majestrix?«, fragte ich erstaunt.

Carla nickte leicht mit dem Kopf, so als ob sie mir einen Fauxpas verzieh.

»Die Inthronisation wird in zwei Monaten erfolgen, wenn der Thronrat wieder tagt. Ab diesem Tag ist der Titel offiziell. Ich werde dann als Mater Majestrix treuhänderisch die Regierungsgeschäfte übernehmen, bis Carla volljährig ist.«

Ich musste mich setzen, diese Informationen überforderten mich ein wenig.

»Das ist keine Ehrerbietung«, stellte das Kind fest.

»Sam ist nicht unser Untertan, du musst bei Leuten, die nicht deine Untertanen sind, andere Maßstäbe anlegen«, sagte Lysange.

»Darf er deshalb unhöflich sein?«

»Er ist nicht unhöflich, er ist einfach nur Sam!«, sagte Lys, so als ob damit alles gesagt war.

»Wenn es so gut für dich läuft, warum hast du mich dann hergerufen? Ich meine, eine bessere Position kannst du dir doch gar nicht erhoffen, oder? Was ist denn aus der Königin geworden?«

»Carlas Großmutter ist verstorben«, führte Lysange aus. »Sie wurde vergiftet. Ich selbst entging einem ähnlichen Schicksal nur knapp. Die Rädelsführer sind nicht gefasst, wir tappen im Dunkeln. Die Attentäter haben Selbstmord begangen, Spuren zu Hintermännern haben wir nicht gefunden. Es ist zum Verzweifeln!«

»Ich soll für dich Polizist spielen?«

Lysange lachte los. »Nein, Sam. Es gibt Dinge, die ich selbst dir nicht zutraue. Nein, dieses Problem gedenke ich selber in den Griff zu bekommen. Dazu benötige ich aber eine Machtbasis, eine gesicherte Position und die ist ins Wanken geraten.«

Nadarja bediente sich am Tee. Einfach nur, um etwas zu tun zu haben. Innerlich kochte sie noch immer, das konnte ich ihr ansehen. Sie beteiligte sich bewusst nicht an unserem Gespräch.

Lysange ließ sich nun auch in einem der Sessel nieder, Carla tat es ihr nach. Auch Nadarja setzte sich nun, eine Tasse dampfenden Tee in ihrer Hand.

»Die Monarchie hier auf Derolia ist grundsätzlich erblich, aber an bestimmte Formalismen gebunden«, begann Lysange zu erläutern. »Das hängt mit der Eroberung und Besiedlung Derolias vor Jahrhunderten zusammen. Damals wurde die Monarchie begründet. Aber schon damals war der Herrscher nur dann der Herrscher, wenn er sich auch als solcher ausweisen konnte. Dazu gehörte einerseits die Blutlinie, andererseits aber auch die Krone, der Reichsapfel und das Szepter.« Sie machte eine bedeutungsschwere Kunstpause.

Wir blickten sie erwartungsvoll an.

»Das Szepter, das fast von Beginn an die Herrschaft über Derolia und seine Kolonien besiegelt, ist verschwunden, Sam!«

Ich zuckte mit den Achseln. Fast war ich versucht zu antworten: »Dann lass dir doch ein neues schmieden.« – Aber so einfach konnte es nicht sein. »Du brauchst das Original?«, fragte ich.

»Ich, wir«, verbesserte sie sich, »brauchen das von Grigaux dem Dritten geschmiedete Szepter. Es stammt aus dem vierten Jahrhundert der Besiedlung Derolias und wurde seitdem bei jeder Inthronisation verwendet. Wenn wir das nicht vorzeigen können, wird uns der Thronrat die Gefolgschaft verweigern und die Königswürde an einen anderen Zweig des Hauses vergeben. Der wird als Erstes die Aufgabe haben, das Szepter wiederzubeschaffen. Gelingt das nicht, wird die Königswürde freigegeben. Das bedeutet, dass derjenige, der das Kleinod in Besitz hat, sich als neuer Herrscher legitimieren kann, wenn er denn über eine ausreichende Hausmacht verfügt und sich Krone und Reichsapfel aneignen kann.«

»Du sprichst von Bürgerkrieg?«

Lysange nickte langsam. »Es kann dazu kommen, Sam.«

»Wo ist das Szepter abgeblieben?«, fragte Nadarja.

»Mamas Liebhaber hat es«, fiel Carla uns ins Wort.

»Dein … Liebhaber?«, fragte ich konsterniert.

»Meinst du etwa, ich würde hier abstinent leben?«, fauchte sie mich an.

Beschwichtigend hob ich die Hände. Es handelte sich hier schließlich um Lysange, was hatte ich erwartet?

»Der Kerl, mit dem mich die Königin verheiratet hat, ist fast scheintot. Außerdem stinkt er. Seit zwei Jahren liegt er nur noch im Bett. Gestern ist er selbst aus dem rausgefallen. Das ist doch kein Zustand!«

»Er hat das Szepter einfach mitgenommen. Ich wollte ihn aufhalten, aber er hat mich betäubt!«, fuhr Carla dazwischen.

»Aber wenn ihr wisst, wer er ist …«

»Er ist ein Außenweltler. Ein Diplomat von Ashnara. Er hat zuerst mich und dann Carla betäubt. Danach hat er sich mitsamt Szepter aus dem Staub gemacht. Da das Diplomatengepäck am Raumhafen nicht durchsucht wurde, konnte er damit verschwinden, bevor wir wieder bei Besinnung waren. – Sam, ich kann kein Geschwader nach Ashnara senden, um das Szepter zurückzuholen. Das hätte einen Krieg zur Folge, der den gesamten Sektor erschüttern würde. Und das, nachdem wir gerade erst beginnen, uns von dem Krieg mit Terra zu erholen. Außerdem wäre es sehr ungewiss, ob ich das gewünschte Ziel so erreichen würde. Zudem müsste ich hier auf Derolia zugeben, dass ich das Szepter nicht mehr habe. Der Thronrat würde mir die Gefolgschaft verwehren und es würde ein wahrer Run auf das Szepter einsetzen. Bürgerkriegsähnliche Zustände würden das Derolianische Reich zerreißen. – Das muss ich verhindern, Sam.«

Und das alles nur, weil du so triebgesteuert bist, dachte ich, hütete mich aber, es auszusprechen.

»Wie stellst du dir vor, dass ich das regeln kann?«, fragte ich stattdessen.

»Du bist Frachtführer, du kannst dort unverfänglich landen, du wirst einen Weg finden.« Für sie war schon immer alles einfach gewesen, zumindest wenn sie jemanden hatte, der es ausführen sollte.

»Was hat er davon?«, fragte Nadarja in die Stille hinein, die sich nach Lysanges letzten Worten ausgebreitet hatte. »Ich meine, was hat dieser Diplomat davon, wenn er das Szepter hat mitgehen lassen? Er wird doch kein Antiquitätensammler sein. Was bezweckt er?«

Richtig, das war die Frage, mit der wir ansetzen mussten.

»Das habe ich mich auch schon so oft gefragt. Singa meinte, er will Derolia in einen Bürgerkrieg stürzen. Ich weiß nicht, ob es so einfach ist.«

»Singa?«, fasste ich nach.

»Leutnant Rogorna, sie ist meine Vertraute.«

Die Soldatin nickte kurz, dann wandte sie wieder ihre Aufmerksamkeit den Fenstern zu.

»Singa meinte, sie selbst sei die bessere Wahl für die Rückbeschaffung des Szepters … ich sehe das anders.«

»Ich gehöre nicht ohne Grund zu den Neunern«, sagte Rogorna leise.

»Neuner?«, fasste ich nach.

»Es existieren offiziell acht Kompanien, sehr spezielle Kompanien, innerhalb der derolianischen Abwehr. In ihnen sammeln wir die Soldaten, auf die besonders Verlass ist. Sie erhalten eine sehr besondere Schulung und zusätzliche Ausbildung«, erklärte Lysange.

»Und dann gibt es eine neunte, ziemlich inoffizielle?«, führte ich weiter aus.

Rogorna nickte. »Die Neunte existiert offiziell nicht. Aber wir sind die letzte Einheit, nach uns kommt niemand mehr. Wir können nicht mehr nach Polizei, Militär oder sonstigen Ordnungshütern rufen. Wir werden eingesetzt, wenn alle anderen bereits versagt haben.« Ich konnte den Stolz, der in ihrer Stimme mitschwang, geradezu hören.

… und wenn ich ehrlich zu mir selber war, dann hatten mich solche Aussagen schon mein ganzes Leben lang angewidert.

»Warum gibst du deinen Spezialisten dann nicht den Auftrag, das Szepter zurückzuholen? Warum traust du mir mehr zu als denen?«

»Sam, mach es mir nicht so schwer. Du weißt doch selbst, dass es oft besser ist, nicht mit der Tür ins Haus zu fallen. Eine rein militärische Lösung würde wahrscheinlich gewaltig ins Auge gehen. – Aber eine konzertierte Aktion … du, dein Schiff und eine kleine Einheit der Neuner, das könnte klappen!«

»Ich soll also einen schießwütigen Haufen deiner Garde an Bord meines Schiffes nehmen, nach Ashnara fliegen und dein Szepter wiederbeschaffen? Ein Kinderspiel! – Wie stellst du dir diesen Unfug vor?«

»Wir sind kein schießwütiger Haufen, das sollten Sie bemerkt haben«, warf Rogorna ein.

»Geschenkt«, ich winkte mit der Hand ab. »Sie haben mir wahrscheinlich einige Knochenbrüche erspart, vielleicht sogar das Leben gerettet und …«

»Was hast du da eigentlich getrieben, Sam?«, fragte Lysange.

Auf einmal brannte der Wechsel geradezu, den ich noch immer in der Innentasche meiner Jacke verstaut bei mir trug. Wie sollte ich ihr das erklären?

»Schmuggelware«, nuschelte ich vor mich hin, so als ob damit alles gesagt sei.

Glücklicherweise ging sie nicht näher darauf ein. Was sollte ich machen, wenn sie den Frachtraum der Lahmen Ente genauer unter die Lupe nehmen ließ?

»Wie hast du dich geschlagen? Hier auf Derolia meine ich. Du scheinst dich ja prima in die Gesellschaft integriert zu haben. Hast du jemals versucht, unseren Freunden auf Kirkasant zu helfen?« Die Ablenkung vom vorherigen Thema war mir gelungen, Lysange wurde nachdenklich. Dann platzte es aus ihr heraus.

»Ich weiß, du hältst mich für einen Mitläufer, für jemanden, der seine Fahne in den Wind hängt. Vielleicht hast du auch recht, zumindest bis zu einem gewissen Grad. Aber, was hätte ich denn machen können? – Und ja, ich habe versucht, unsere Freunde ausfindig zu machen. Zumindest teilweise ist mir das gelungen.«

Jetzt hatte sie meine Aufmerksamkeit, meine gesamte Aufmerksamkeit. Ich sah sie auffordernd an.

»Manuel haben sie noch auf dem Raumhafen standrechtlich erschossen, die Terraner meine ich. Carla ist es nicht viel besser ergangen. Sie haben sie inhaftiert und dann, einige Wochen später, findet sich ein Todesvermerk in den Akten. Offiziell ist sie an einer Lungenentzündung verstorben. Wahrscheinlicher ist, dass es die Folgen der Folter waren. Die Kinder, willst du das wirklich alles hören, Sam?«

Ich nickte schwach. Das alles nur, weil sie uns geholfen hatte, als wir an ihre Tür klopften …

»Vier von ihnen sind ebenfalls sicher tot. Die Terraner haben selbst vor ihnen nicht haltgemacht. Die anderen beiden, von denen fehlt jede Spur.«

»Die ältesten …«, warf Nadarja ein.

Lysange fuhr herum und starrte sie an. »Woher weißt du das?«, fragte sie.

»Wir haben sie geholt«, antwortete ich an ihrer statt. »Wir sind damals von Sylvej aus direkt nach Kirkasant zurück. In den Wirren, die der Abzug der Terraner hinterlassen hat, haben wir sie ausfindig machen können. Wir haben sie mitgenommen.«

»Mitgenommen, wohin?«, fragte Lysange.

»Wir haben uns einen kleinen Planeten am Rim gesucht«, mischte sich Nadarja wieder ein. »Eine Wasserwelt …«

Lysange unterbrach sie abrupt. »Sie leben? Ihr habt sie auf einen einsamen Planeten gebracht? Sagt mir, wo sie sind, ich kümmere mich um sie!«

»Erstens ist es nicht wirklich ein Planet«, verbesserte ich. »Wie Nadarja sagte, ist es eine Wasserwelt. Das Ding besteht ausschließlich aus Wasser. Kein Kern, kein Land, nur eine einzige Wasserkugel, die sich um eine kleine Sonne dreht. – Und die Koordinaten werde ich dir auf gar keinen Fall verraten.«

»Wenn meine Mutter wissen will, wo sich diese Welt befindet, dann seid ihr verpflichtet, es kundzutun«, sagte Carla. Für das Kind schien es nur relativ einfache Realitäten zu geben.

»So etwas gibt es?«, sagte Lysange erstaunt. Dann wandte sie sich ihrer Tochter zu. »Vielleicht ist es besser für die Kinder, wenn sie bei Sam sind.«

»Es sind keine Kinder mehr«, meinte Nadarja. »Und sie haben es schwer genug. Sie wachen noch immer nachts schweißgebadet aus ihren Albträumen auf. Trotz der Therapie, die wir für sie organisiert haben.«

»Wie lebt ihr denn da, auf diesem Ozean im All?«, wollte Carla wissen. »Auf Schiffen?«

»Es gibt riesige Pflanzenblätter, auf denen lässt es sich gut siedeln. Wir haben den Ort Neverland getauft, passend, nicht wahr?«, meinte Nadarja.

Lysange nickte. »Von so was habe ich schon des Öfteren gehört. Gibt einige Planeten, die über solche Pflanzen verfügen.«

»Richtig«, pflichtete ich ihr bei, »aber unser Fall ist einzigartig, eben weil es nicht wirklich ein Planet ist.« Und weil die Nüsse auf den Plantagen, die wir angelegt haben, verdammt gut angegangen sind.

»Zurück zum Thema, Sam«, rief uns Lysange zur Ordnung. »Wir haben nach der Inthronisierung mehr Zeit, uns über unsere Lebensgeschichten auszutauschen.« Sie sah mich durchdringend an. »Hilfst du mir? Fliegst du nach Ashnara?«

Zumindest gab es bei ihr demnach Zweifel. Schön, das mal wahrzunehmen.

»Ich will versuchen, was in meiner Macht steht«, antwortete ich ein wenig pathetisch.

Nadarja sah mich stirnrunzelnd an, dann nickte auch sie. Was blieb uns in der derzeitigen Lage auch anderes übrig? Wer konnte sagen, was geschehen würde, wenn wir jetzt und hier ablehnten? Lysange hatte sich verändert, hatte viel von der derolianischen Denkweise adaptiert. Würde sie so weit gehen, uns über die Klinge springen zu lassen, wenn wir Nein sagten? Ich wollte es nicht darauf ankommen lassen.

»Singa wird euch begleiten, zusammen mit einem kleinen Trupp meiner Garde.« Sie blickte mich an. Erwartete sie erneut eine Geste der Zustimmung von mir? »Ihr fliegt sofort los. Euer Schiff ist noch an Bord unseres Kreuzers. Er wird euch bis an die Demarkationslinie zwischen unseren Einflussbereichen bringen. Dann seid ihr auf euch gestellt.«

Derolia

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