Читать книгу Derolia - Axel Kruse - Страница 9
Kapitel 1
Verhandlungen in der Taverne
ОглавлениеDie Zeitanzeige über der Bartheke, eigentlich fast von den dort auf einem Regal deponierten Flaschen verdeckt, sprang unerbittlich voran.
Ich saß schon viel zu lange hier. Mein Geschäftspartner hatte mich versetzt, er hätte bereits vor einer geschlagenen Viertelstunde hier sein müssen.
Ich versuchte locker zu bleiben, versuchte mir nichts anmerken zu lassen. Wie zufällig berührte ich mit der Hand mein Ohr. Sofort erklang ihre Stimme.
»Noch nichts in Sicht, Sam«, sagte sie. »Genieß dein Bier und warte noch ein wenig. Er hat sich halt verspätet.«
Sie hatte leicht reden. Ich saß hier wie auf dem Präsentierteller. Jedem in der Taverne musste mittlerweile klar geworden sein, dass ich auf jemanden wartete. Jedem musste darüber hinaus klar sein, dass der Grund dafür eine Transaktion war. Und jedem war klar, dass bei einer Transaktion, die hier vor sich ging, nicht alles mit rechten Dingen zugehen konnte. Es musste demnach jeder hier mitbekommen haben, dass das, was ich zu verkaufen hatte, eine auch für andere interessante Fracht darstellte.
Fracht, die mittels Konnossement übergeben wurde.
Fracht, die mittels dieses einfachen Dokuments aus den Lagerhallen des Freihafens abgeholt und verladen werden konnte.
Fracht, die dem gehörte, der das Konnossement vorlegte.
Langsam führte ich meine Hand zu der Innentasche meiner Jacke, fühlte die dort steckende Datenkarte und legte meine Hand wieder auf den Tisch, neben mein Bierglas. Dann besann ich mich eines Besseren, ergriff das Glas, trank es aus und bedeutete dem Wirt, mir ein neues zu bringen.
Ein Bier noch, sagte ich mir, dann würde ich aufstehen und gehen. Das Risiko, dass man mir die Frachtpapiere hier stahl, wurde mit jeder Minute größer. Trotz meiner Rückversicherung.
»Beruhige dich«, flüsterte Nadarjas Stimme wieder in meinem Ohr. »Alles in Ordnung. Er kommt.«
Mein Blick wandte sich zur Eingangstür, just in dem Moment, in dem sie von außen geöffnet wurde. Glück gehabt, es musste für die anderen Anwesenden so wirken, als ob die sich öffnende Tür meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte und ich nicht bereits vorher gewusst hatte, dass sie sich öffnen würde.
Der Mann, es war ein Mensch, sah sich kurz um und steuerte dann zielstrebig auf meinen Tisch zu, der sich am hinteren Ende des Gastraums befand. Seine vor Fett – oder war es Gel? – triefenden Haare hingen ihm auf die Schultern. Er trug ein schäbiges altes Jackett und dazu eine Hose, deren Beine viel zu kurz waren. Seine spitz auslaufenden weißen Schuhe, taten ein Übriges dazu, ihn wie eine Lachnummer aussehen zu lassen.
»Kapitän Kors«, begann er. »Es tut mir leid, dass ich Sie warten ließ. Ich wurde aufgehalten.«
Das war offensichtlich ein Allgemeinplatz. Er hätte für meine Begriffe ruhig etwas konkreter sein können.
Wortlos nickte ich ihm zu und deutete auf den Stuhl mir gegenüber. Er verstand den Wink und setzte sich.
»Sie haben die Ware analysiert?«, fragte ich.
Er nickte. »Erstaunlich. Genau, wie Sie sagten. Eine keimfähige Nuss. Woher …?« Ich schnitt ihm das Wort im Munde ab.
»Damit hätte ich meinen Part unserer Vereinbarung erfüllt«, sagte ich. »Wo ist der Wechsel?«
»Woher soll ich wissen, dass in dem Container die versprochene Ware ist?«, fasste mein Gegenüber nach. »Woher haben Sie eine solche Menge keimfähiger Boranüsse? Wie kommen Sie überhaupt an eine einzige keimfähige Nuss?«
Ich stand auf. Für mein Bier warf ich ein Zehnkreditstück auf den Tisch, mehr als doppelt so viel, wie der Wirt als Preis aufgerufen hatte.
»Ich muss nicht an Sie verkaufen«, antwortete ich und schickte mich an zu gehen.
»Fünf Leute vor der Tür«, warnte mich Nadarja. »Drei Menschen, ein Hilo und ein Bortsu. Sehen nicht vertrauenserweckend aus. Lungern da plötzlich rum. Könnte sich um eine Eskorte handeln.«
»Mist!«, entfuhr es mir.
»Wie meinen?«, fragte mein Geschäftspartner irritiert.
»Nichts«, entgegnete ich.
»Sie wollen nicht mehr verkaufen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Sie wollen nicht kaufen«, sagte ich.
Jetzt hatte ich ihn da, wo ich ihn haben wollte. Ich konnte die Gier in seinen Augen deutlich sehen. Wahrscheinlich überlegte er gerade, was denn einfacher für ihn sei: mir draußen die Frachtpapiere abnehmen zu lassen oder lieber hier drinnen den Vertrag zu erfüllen, mich in Sicherheit zu wiegen und dann draußen den Wechsel wieder einzukassieren.
Ich würde mir die Frucht der Arbeit der letzten fünfeinhalb Jahre nicht so einfach nehmen lassen.
»Geben Sie mir noch eine Chance!«, flehte er mich an.
»Sie hatten sie vorhin«, sagte ich und machte den ersten Schritt, der mich in Richtung der Toilettentür brachte.
Der Mann überlegte schnell, griff in seine Jackentasche und holte eine Datenfolie hervor.
»Der Wechsel«, sagte er. Er hatte sich entschieden. Er wollte es nicht riskieren, dass ich eventuell einen Fluchtweg hatte, den er und seine Kumpane übersehen haben könnten. Da war es ihm lieber, den Preis zu zahlen. Im schlimmsten Fall machte er damit immer noch einen wahnsinnig guten Deal – und wer sagte denn, dass er mir den Wechsel nicht wieder würde abjagen können?
Ich warf beiläufig einen Blick auf die Folie, die nun auf dem Tisch lag.
»Wer sagt mir, dass der gedeckt ist?«, fragte ich.
»Vertrauen gegen Vertrauen«, war seine Antwort.
Wir hatten das vorher bis zum Erbrechen durchdiskutiert, Nadarja und ich. Wir waren zu dem Ergebnis gelangt, dass wir das Risiko würden eingehen müssen. Einhunderttausend Kredits waren kein Pappenstiel, aber eben auch nicht die Welt. Einen Wechsel zu fälschen, das sollte in der heutigen Zeit unmöglich sein, so versicherten es die Banken. Ich konnte ihn prüfen, indem ich ihn mit meinem Pad analysierte. Wenn sich dabei keine Unregelmäßigkeiten zeigten, würde ich ihn akzeptieren.
Wenn er sich dann doch als ungedeckt herausstellen sollte, nun, dann hatten wir ein Zehntel unserer Ware verspielt. Viel, aber eben nicht alles. Und in spätestens einem Jahr hatten wir erneut so viel an Ware und ein Jahr weiter und noch eines …
Sicher, irgendwann während dieser Zeit würden die Preise verfallen. Ich rechnete allerdings erst mit einem extremen Preisverfall nach fünf Jahren. So lange brauchten die Pflanzen, bis sie zum ersten Mal Früchte trugen.
Ich griff nach der Folie, fuhr mit meinem Pad darüber. Echt, bestätigte die Anzeige. Ausgestellt und bezogen auf die Besoer Star Bank. Keine terranische Bank. Das war gut. Sogar keine Bank einer menschlichen Kolonie, das war noch besser. Beso, sinnierte ich. Das System lag nicht weit von hier. Maximal drei Sprünge. Mir waren die wirtschaftlichen Daten nicht bekannt, aber wenn sie in Schwierigkeiten gewesen wären, die Besoer meinte ich, hätte ich es sicherlich erfahren.
»Fällig in drei Wochen«, sinnierte ich.
»Wie besprochen. Er ist gedeckt«, fügte der Mann hinzu. »Die Bank hat sich verbürgt«, sagte er unnötigerweise.
Ich nickte. »In Ordnung.« Ich griff in die Innentasche meiner Jacke, zog das Konnossement hervor, warf es auf den Tisch und ergriff den Wechsel. »Es war schön, mit Ihnen Geschäfte zu machen«, sagte ich und wandte mich dem Ausgang zu.
»Sechs weitere Leute, Menschen«, warnte mich Nadarja. »Sind ganz plötzlich aufgetaucht, Sam. Sam, das sind zu viele, ich kann sie nicht alle …«
»Wo stehen sie?«, fragte ich.
Der Handelsagent blickte mich entgeistert an. Er begann zu verstehen, dass ich mit jemand anderem sprach.
»Sie haben sich auf der Plaza verteilt, lungern herum. Durchtrainierte Kerle. Drei Männer, drei Frauen. Mit keinem von denen möchtest du zu tun haben, wenn du mich fragst. – Sam, ich kann die nicht alle ausschalten.«
»Nimm die aufs Korn, die am nächsten an der Tür sind. Um den Rest kümmern wir uns danach«, sagte ich, eilte zur Tür und stieß sie auf. Der Blick meines Geschäftspartners brannte geradezu auf meinem Rücken.
Draußen erwartete mich das Halbdunkel der Gänge hier auf Lardanur, einem ehemaligen Bergbauasteroiden im Gerdala-System. Es war der Hauptwarenumschlagplatz. Fast jedes Frachtschiff, das dieses System besuchte, lief ihn an, löschte hier seine Ladung, nahm neue auf und legte wieder ab. Für die wirklich großen Schiffe war es wirtschaftlich unrentabel, weiter systemeinwärts bis zur habitablen Zone zu fliegen und die Ladung dort zu löschen. Das konnten kleinere Einheiten übernehmen. Hier draußen war man fast auf Sprungdistanz, konnte somit Treibstoff sparen und schnell wieder im interstellaren Raum sein.
Rechts von der Tür, von mir aus gesehen, standen die Typen, die Nadarja mir zuerst angekündigt hatte. Die anderen konnte ich auf der Plaza nicht wirklich ausmachen. Da standen viele Gruppen von Leuten herum. Menschen und Nichtmenschen. Unterhielten sich, tranken, lachten. Es war der zentrale Punkt, der Treffpunkt auf Lardanur. Der Ort, an dem sich jeden Abend die Bevölkerung zusammenfand. Wir hatten geglaubt, dass es hier, in der Menge, für uns am sichersten sein würde.
Nadarja stand irgendwo drüben, am anderen Ende der Plaza. Wir hatten ausgemacht, dass sie mir in gebührendem Abstand folgen würde.
Ich machte mich auf den Weg. Nach links, weg von den Typen. Ich war ja nicht lebensmüde.
»Sie folgen dir, Sam«, flüsterte ihre Stimme in meinem Ohr. »Jetzt setzen sich auch die anderen in Bewegung. Die folgen in etwas größerem Abstand. Ich könnte wetten, dass das zwei verschiedene Gruppierungen sind«, sagte sie. »Ich gehe jetzt auch los. Sam«, sagte sie noch. »Sam, das sind zu viele. Wirf ihnen den Wechsel vor die Füße und lass uns abhauen.«
»Auf keinen Fall!«, erwiderte ich und beschleunigte meine Schritte.
Hundert Meter trennten mich vom Ausgang der Plaza. In hundert Metern musste ich in einen der engeren, höchstens zehn Meter breiten Gänge einbiegen. Spätestens dort würde mich die Menge der Leute, durch die ich mich hier noch hindurchwand, nicht mehr schützen können. Einfach aus dem Grunde, weil keine Menge mehr da war.
Die letzten zehn Meter begann ich zu laufen. Hier standen kaum noch Leute herum. Ich hatte freies Feld. Sozusagen.
Die anderen auch.
Sie liefen mir nach. Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, dass mindestens zwei von ihnen irgendetwas in den Händen hielten. Waffen?
»Gib ihnen den Wechsel, Sam«, hörte ich Nadarjas Stimme in meinem Ohr. »Ich bin zu weit hinten, ich kann nicht eingreifen.«
»Scheiße!«, entfuhr es mir.
Ich stoppte, drehte mich um. Ich war etwa hundert Meter in den Gang hinein gekommen. Mich trennte noch gut ein Kilometer von den Andockbuchten. Nadarja hatte recht, es war unmöglich zu schaffen.
Da waren sie. Die fünf Typen hatten mich erreicht, standen gerade mal sechs Meter vor mir. Jetzt hielten sie alle etwas in der Hand. Keine Schusswaffen, das waren kurze kleine Stöcke, zum Zuschlagen gedacht – eine kleine Betäubungspistole wäre mir lieber gewesen.
Ich griff in meine Jackentasche. In die andere!
Der Kolben meiner kleinen Betäubungspistole lag beruhigend in meiner Hand, als ich sie wieder hervorholte.
Der Hilo glotzte mich überrascht mit seinen drei Augen an. Er hatte augenscheinlich nicht mit Gegenwehr gerechnet. Der Bortsu und die Menschen grinsten nur.
»Wen von uns willst du denn ins Reich der Träume schicken?«, fragte der Bortsu mit einer an Donnergrollen erinnernden Stimme. »Einen schaffst du, vielleicht zwei, die anderen machen dann Mus aus dir!« Sein Grinsen zog sich siegesgewiss über sein breites Gesicht.
Ich nahm mir vor, dass er der Erste sein würde, den ich ins Reich der Träume schicken würde. – Und, er kannte mich nicht. Ich würde noch seine beiden Kumpane, die links von ihm standen, ebenfalls versorgen. Die drei würden mindestens eine Woche lang mit heftigen Kopfschmerzen zu kämpfen haben. Was leider nichts an dem Endergebnis, was meine Person betraf, ändern würde. Nadarja war einfach noch zu weit entfernt.
Der Bortsu machte einen Schritt auf mich zu. »Überleg es dir. Rück den Wechsel raus, dann schlagen wir vielleicht nicht ganz so heftig zu«, sagte er.
Es war das Letzte, was er an diesem Abend sagte. Übergangslos stürzte er nach vorne und blieb bewegungslos liegen. Seine Kameraden glotzten ungläubig, dann fielen auch sie.
Völlig überrascht, starrte ich auf die vor mir liegenden Gestalten, ich hatte keinen Schuss abgegeben.
Zehn Menschen standen nunmehr vor mir. Durchtrainiert waren sie, damit hatte Nadarja recht gehabt. Sie schien sich lediglich verzählt zu haben.
»Kapitän Kors?«, fragte eine Frau, etwa Anfang dreißig, die den Trupp zu kommandieren schien.
Ich nickte. »Mit wem habe ich das Vergnügen?«
»Leutnant Rogorna«, erwiderte sie. »Derolianische Abwehr«, ergänzte sie dann.
Ich starrte ungläubig vor mich hin. Hatten sie fünfeinhalb Jahre gewartet, um mich in flagranti bei meinem ersten Deal mit den Nüssen zu erwischen? Das hätten sie zwischenzeitlich doch einfacher haben können. Sie hätten mich auf unserer Plantage hochnehmen können oder auf einem der zahlreichen Frachtflüge, die ich durchgeführt hatte, um uns zu ernähren. Warum erst jetzt?
»Reicht Ihnen das oder soll ich mich ausweisen?«, fragte sie überflüssigerweise.
»Danke, das reicht mir«, entgegnete ich. »Derolianische Abwehr«, rief ich Nadarja zu, die mittlerweile mit gezogener Betäubungspistole hinter den Derolianern aufgetaucht war.
Die Derolianer fuhren herum, nahmen Nadarja ins Visier.
»Ihre Partnerin?«, fragte Rogorna.
»Ja. Wir werden keinen Widerstand leisten«, sagte ich und bedeutete Nadarja, die Waffe wegzustecken. Gegen eine solche Übermacht hatten wir keine Chance.
»Sie verkennen die Lage«, sagte Rogorna, griff in ihre Jackentasche und holte ein Pad hervor. »Wir haben einen anderen Auftrag. Sagt Ihnen der Name Lysange van der Meer etwas?« Mit diesen Worten fuhr sie mit ihrem Daumen über das Pad und übergangslos erschien ein mir nur allzu bekanntes Gesicht auf dem Display.
»Sam«, sagte sie mit ihrer mir immer noch durch Mark und Bein gehenden Stimme. »Sam, Leutnant Rogorna kannst du vertrauen, sie gehört zu meiner persönlichen Leibwache.« Dann machte sie eine Pause, erst jetzt gewahrte ich, dass es sich um eine Aufzeichnung handeln musste. »Sam, ich brauche deine Hilfe, ich habe ein Problem!«