Читать книгу Der rote Hahn - Axel Rudolph - Страница 4
ОглавлениеHolzpantinen klappern über den sauber gefegten Hof. Poul Nielsen, der Besitzer des Kjelderuphofes, weist auf ein Häufchen Pferdemist.
„Nimm den Besen, Jakob, und feg den Appel auf, der da liegt und strahlt!“
Jakob, der Arbeitsknecht, der eben drüben aus der Stallung tritt, sieht sich um und langt nach einem der Geräte, die an der Hauswand lehnen. Poul Nielsen tritt vor dem Eingang aus den Holzschuhen und schlürft auf seinen dicken Wollsocken in die Leutestube, wo nach alter Sitte zu Mittag gegessen wird. Der Hofbesitzer, seine Familie und das gesamte Gesinde bis zum Hüterbuben hinab. Ein großgewachsenes, rankes Mädchen mit gesunden, roten Wangen und schwerem blonden Haar, tritt ihm schon an der Schwelle entgegen.
„Es ist ein Mann da, Vater, der dich sprechen möchte.“
Das Antlitz des Hofbesitzers verdüstert sich. „Ein Mann? Du solltest mich doch gleich rufen, Karen, wenn einer aus der Stadt nach mir fragt!“
Karen lacht vergnügt. „Es ist doch keiner aus der Stadt, Vater! Ein Fremder, der Arbeit sucht. Viehhändler Thomsen hat ihn hergeschickt.“
Walter Münch erhebt sich höflich von der Bank, als der Bauer eintritt, und bringt kurz sein Anliegen vor. Ob er Arbeit bekommen kann auf dem Kjelderuphof?
Poul Nielsen betrachtet wohlwollend die kräftige Gestalt Walters. „Sie sprechen so komisch. Sind Sie Schwede?“
„Nein, Deutscher.“
„Aber er spricht ganz gut dänisch, Vater,“ sagt Karens Stimme rasch hinter dem Rücken des Hofbesitzers. Poul Nielsen lächelt mit gutmütigem Spott. „Din Skaal, min Skaal, alle smukke Pigers Skaal, was? Weiter langt’s wohl nicht.“
„Ein bißchen weiter doch, Herr Nielsen. Und die Landwirtschaft verstehe ich auch.“
„Landmann?“
„Ich bin auf dem Lande groß geworden. Gelernt habe ich Maschinenschlosser.“
Der Hofbesitzer bekommt einen aufmerksamen Blick. „So? Verstehen Sie was von landwirtschaftlichen Maschinen?“
„Von der Dreschmaschine bis zum Reihenmäher.“
„Hm. Dann könnte man ... Kommen Sie mal mit.“ Während sie über den Hof zur Scheune gehen, überlegt Poul Nielsen, daß er seinen zweiten Knecht, den langen Jörgensen, zum Großknecht machen könnte, wenn der Neue da wirklich mit den Maschinen umzugehen weiß und Jörgensen entlasten kann. Es bedarf keines langen Examens, um im Geräteschuppen festzustellen, daß der Deutsche wirklich mit den Maschinen vertraut ist. Ein paar sachkundige Bemerkungen, ein paar fachmännisch untersuchende Griffe Walters am Mechanismus der Motor-Dreschmaschine, und Poul Nielsen weiß Bescheid. Er nickt und zieht hinter Walter das Tor des Schuppens zu.
„Sind Ihre Papiere in Ordnung?“ Umständlich und aufmerksam studiert er das Paßheft, das Walter ihm hinreicht. Nielsen hat kein Deutsch gelernt in der Schule, aber den Stempel der dänischen Staatspolizei versteht er um so besser. „Eingereist in Vordingborg am 12. Juni.“ Also liegt nichts gegen den Mann vor. Nielsen gibt das Heft zurück.
„Sie können hierbleiben, Münk. Fünfunddreißig Kronen im Monat, freie Kost und Logis. Mehr kann ich nicht geben. Dafür können Sie aber auch den Winter hierbleiben, wenn Sie wollen.“
„Es ist gut, Herr Nielsen.“
Der Hofbesitzer tauscht einen kräftigen Handschlag mit dem Mann. „Jörgensen kann Ihnen die Kammer zeigen. Und einen ‚Herrn‘ gibt’s auf dem Kjelderuphof nicht. Ich bin der Bauer und heiße Poul Nielsen. Das ist ein ehrlicher Name.“
Ein altes Auto quält sich über die etwas holperige Allee, die von der Landstraße zum Kjelderuphof hinaufführt. Poul Nielsen blickt ihm über den Gartenzaun hinweg entgegen. Sein altes, zerfurchtes Gesicht ist wie von einem Schatten überzogen.
„Da drüben ist der Großknecht,“ sagt er hastig, auf einen langen Menschen zeigend, der vornübergebeugt vom Stall zum Wohnhaus hinüberschlurft. Er wird Sie schon unter die Fittiche nehmen. Ich muß jetzt ...“
Da schallt schon Karens helle Stimme vom Küchenfenster herüber: „Vater! Vater! Herr Haslund ist da!“
Dicht neben der Eßstube liegt das kleine „Kontor“ des Hofbesitzers, ein schmales Zimmer, das neben den üblichen Möbeln noch einen großen Lehnstuhl und einen altmodischen Sekretär enthält. In diesem Raum sitzen sich der Hofbesitzer und Herr Haslund aus Randers gegenüber. Eine dicke Aktentasche liegt zwischen ihnen auf dem Tisch.
„Wollen Sie wirklich den Wechsel prolongiert haben, Herr Nielsen?“
Poul Nielsens Finger trommeln nervös auf dem Schreibtisch. Dieser Haslund hat eine unangenehme laute und unbekümmerte Stimme. Ist doch nicht nötig, daß Karen, die in der Küche Geschirr wäscht, das hört. Unmutig zuckt er die Achseln.
„Ich muß Sie darum bitten, Herr Haslund. Sie wissen ja, wie knapp das Geld heute ist.“
„Ob ich das weiß,“ seufzt der Agent. „Eben darum dachte ich ... Die Bank wird schwerlich mit der Prolongierung einverstanden sein.“
Poul Nielsens Stirnadern schwollen bedrohlich an. „Warum nicht? Ist der Kjelderuphof vielleicht nicht das Zehnfache wert von dem, was hier auf dem Wechsel steht?“
„Gewiß, gewiß,“ beruhigt Herr Haslund, „der Hof ist gut, das weiß jedes Kind in der Randers-Gegend. Und der neue Stall ...“
„Ich hab ihn nun einmal gebaut,“ sagt Nielsen ärgerlich und denkt einen Augenblick an das warnende Unken der Nachbarn im vorigen Jahr, als er das Geld aufnahm, um den neuen Stall zu bauen. Er hat trotzdem seinen Kopf durchgesetzt, denn so ein Stall mit allen neuen Errungenschaften war nun mal seine Lieblingsidee. Das Geld wäre auch ohne Schwierigkeit zurückgezahlt worden, wenn der letzte Herbst nicht so schlecht ausgefallen wäre. Schlechte Ernte, Krankheit im Vieh, dazu noch die Aufwendungen für Arne, der in Kopenhagen die Universität besucht — das ging ins Geld. Poul Nielsen schüttelt die Gedanken unwillig ab und bietet dem Besucher die Zigarrenkiste.
„Die Bank wird genau wissen, wie ich stehe,“ sagt er überlegen. „Sie hat kein Risiko dabei, wenn sie den Wechsel verlängert. Der Kjelderuphof ist Sicherheit genug. Sie können ja mal durch die Wirtschaft gehen, Herr Haslund, und sich die Gebäude ansehen. Alles in bestem Stand. Und übrigens hab’ ich erst kürzlich eine neue Brandversicherung abgeschlossen.“
Haslund weiß das alles. Auch daß der Hofbesitzer Nielsen im vorigen Monat eine ziemlich hohe Versicherung mit der „Allgemeinen“ abgeschlossen hat. Die Gesellschaft hat eben deswegen bei der Bank angefragt und sich Auskunft über den Kjelderuphof eingeholt. Aber Haslund muß daran denken, was ihm der Bankdirektor gestern noch ausdrücklich gesagt hat. „Sehen Sie zu, Haslund, daß wir den Betrag kriegen! Prolongieren können wir diesmal nicht. Die Geldknappheit, die Entwertung der Krone, die Wirtschaftskrise — wir haben ja fast nicht mehr genug im Depot, um unsere Verbindlichkeiten zum Ultimo bei der Nationalbank decken zu können.“ Haslund macht ein bedenkliches Gesicht und räuspert sich.
„Der Sommer war trocken, Herr Nielsen. Einmal muß es ja wohl regnen. Wenn der Regen kommt, ehe die Ernte herein ist, kann sie dies Jahr womöglich noch schlechter ausfallen als im vorigen.“
„Wollen den Teufel nicht an die Wand malen,“ knurrt der Hofbesitzer. „Aber was hat das mit dem Wechsel zu tun?“
„Ich dachte nur ...“ Haslund gelangt nicht mehr dazu zu sagen, was er dachte. Karen kommt mit dem Kaffeebrett. Das ist so Sitte auf den Höfen in Nordjütland. Wer zu Besuch kommt, muß Kaffee trinken, ob es nun der Amtmann in Person oder der Briefträger ist. Haslund sieht sich, während das Mädchen den Tisch deckt, unwillkürlich um, als ob er etwas vermisse. Er hätte nicht nein gesagt zu einem Gläschen Aquavit. Aber Poul Nielsen ist strenger Antialkoholiker. Schnaps gibt es auf dem Kjelderuphof nicht.
Haslund überwindet sein heimliches Verlangen und sagt Karen ein paar höfliche Komplimente. Dabei fällt ihm unwillkürlich auf, wie schön und blühend das Mädchen geworden ist. Ihre gesunden Zähne blitzen, sie strahlt förmlich von Lebensfreude und Sauberkeit. Poul Nielsen bemerkt die bewundernden Blicke Haslunds und schmunzelt ein bißchen. Als Karen wieder in der Küche verschwunden ist, spielt seine Hand selbstgefällig mit der Uhrkette, die sich quer über seine Weste zieht.
„Sie wissen doch, daß Karen zum nächsten Frühjahr als Hausfrau nach Möllegaard zieht, Herr Haslund?“
„Ja, sie ist ja mit Jensen-Möllegaard verlobt. Ist es nun wirklich so weit?“
„Natürlich, Herr Haslund.“ Nielsen zieht erstaunt die Stirnhaut in Falten. „Warum sollte es nicht so weit sein? Die beiden heiraten im Frühjahr.“
Haslund weiß, warum Poul Nielsen das betont. Karl Jensen, der Besitzer von Möllegaard, ist ein reicher Mann. Er hat ein respektables Konto auf der Bank, und der Mühlenhof ist der größte in der Gegend, fast dreimal so groß wie der Kjelderuphof. Nur — Haslund hat bisher nicht so recht an diese Heirat geglaubt. Jensen-Möllegaard ist zwar noch ein rüstiger Mann, aber immerhin dicht an die Fünfzig, und Karen Nielsen kann doch höchstens neunzehn sein. Junge Mädchen haben oft ihren eigenen Kopf in bezug auf so was. Aber wenn Poul Nielsen es sagt, wird es schon stimmen. Ein Wort ist bei diesen jütischen Bauern oft sicherer als eine Unterschrift auf einem Wechsel. Haslund überlegt, ob er seinem Chef die Sache vom Gesichtspunkt der bevorstehenden Heirat schildern und eine Prolongierung anraten soll. Vorher aber versucht er noch einmal eine Schmeichelei.
„Es handelt sich ja schließlich um keine große Summe. Ich meine, wenn Sie nur wollen, Herr Gutsbesitzer ...“
Eine ungeduldig ärgerliche Handbewegung unterbricht ihn. Poul Nielsen kann es nicht leiden, wenn jemand ihn „Gutsbesitzer“ nennt. Der Kjelderuphof hat zwar seine vierhundert Morgen und Anspruch darauf, als „Gut“ gewertet zu werden, aber Poul Nielsen ist als Bauer geboren, drüben in dem kleinen Süderhof, den sein Vater bewirtschaftet hat, und er ist Bauer geblieben, auch nachdem er es fertiggebracht hat, den total verkommenen, großen Kjelderuphof zu übernehmen und ihn zu einem tadellosen Betriebe emporzuarbeiten. Er rückt unmutig seinen Stuhl und steht auf, die Augen fest auf das vor plumper Schmeichelei und Hinterlist triefende Gesicht des Agenten geheftet.
„Wir verlieren nur Zeit, wenn wir weiter darüber reden, Herr Haslund. Sagen Sie dem Bankdirektor, daß ich ihn bitte, den Wechsel noch einmal zu prolongieren. Er wird es schon tun.“
Haslund trinkt schnell seinen Kaffee aus und erhebt sich gleichfalls. Der nicht erhaltene Schnaps spukt in seinem Kopf und macht auch ihn mißmutig. „Ich glaube kaum, daß die Bank das tun wird.“
Poul Nielsen stützt die harte Faust schwer auf den Tisch. „Dann werde ich fortan mit einer anderen Bank arbeiten, Herr Haslung, und Ihnen zum Ersten in Gottes Namen den Betrag zahlen. Guten Tag, Herr Haslund!“
*
Es ist Sonnabendnachmittag. Das Vieh ist versorgt, der Hof zwischen Stallung und Wohnhaus blitzsauber gefegt, die Sensen, Forken und Schaufeln sind gereinigt. Die Leute vom Kjelderuphof sitzen in der Leutestube, rauchen Tabak und putzen an ihrem Zeug herum. Nur der lange Jörgensen, der Großknecht, macht noch einen Marsch durch die Felder, um sich zu überzeugen, daß alles in Ordnung ist.
Walter Münch ist ohne viel Aufhebens in die Gemeinschaft aufgenommen worden. Er kennt sie schon alle hier in der Leutestube: Jakob, den Schweizer Carlson, die beiden Arbeitsknechte und die drei Tagelöhner. Auch den langen Großknecht, der eben von seinem Rundgang zurückkommt und seine etwas schlotterige Gestalt gebückt durch den Türrahmen schiebt. Einen Verwalter hat Poul Nielsen nicht. Er ist sein eigener Verwalter.
„Das Wetter gefällt mir nicht,“ sagt der Großknecht und hängt seine Jacke an einen Balken. „Es riecht nach Regen.“
„Kriegen wir Regen, kriegen wir auch Ruhe,“ betet der Zweitknecht die alte Bauernregel her, aber seine Stimme ist ohne Überzeugung. Es klingt eine leise Besorgnis darin. Wenn nach so langer Trockenheit der Himmel sich auftut, dann wächst es sich hier in dem verwehten Nordland oft zu einem endlos langen Landregen aus, und das wäre nicht gut für die Ernte.
Die Leute sind müde von der Arbeit und ziemlich wortkarg, aber ein Gespräch nach Feierabend muß sein. Walter Münch muß noch einmal ausführlich erzählen, wie er nach Kjelderup gekommen ist. Der Großknecht hört bedächtig zu. Ja, Fräulein Hvid kennt er natürlich. Sie ist ein tüchtiges Mädchen, das was versteht von der Landwirtschaft. Sie hat ihr „Kontor“ drüben in Höjris, in der Volkshochschule.
Walter muß sich anstrengen, um zu verstehen und sich verständlich zu machen. Die Leute hier sprechen ganz anders als die dänischen Matrosen auf der „Saltholm“. Aber die Nordjüten lachen ihn nicht aus, wenn er etwas falsch ausspricht oder mißversteht. Sie verbessern ihn ernst und sachlich. Es ist eben ein Fremder. Daß er aus dem Ausland, ganz unten von Deutschland herkommt, bedeutet keine besondere Sensation für die Kjelderupleute. Für diese Bauern hier ist jeder ein „Fremder“, der nicht in der Randers-Gegend geboren ist, selbst wenn er nur von der Westküste oder der Insel Fünen kommt.
So um acht Uhr herum kommt Rasmine, die Küchenmagd, herüber in die Leutestube und setzt eine große Schüssel Apfelmus mit Milch auf den Tisch. Wer Lust hat, kann zulangen. Walter ist noch reichlich satt von der guten Abendkost.
„Die Verpflegung scheint ja gut zu sein hier auf dem Hof,“ wirft er hin. Die anderen sehen ihn verwundert an. Nun ja, das Essen ist nicht schlecht, natürlich nicht, sonst würde ja keiner hier im Dienst bleiben. Aber besonders erwähnenswert ist es auch nicht. Die dänischen Bauern und auch die Knechte sind verwöhnt in bezug auf die Verpflegung.
„Du kriegst hier, was du vertilgen kannst,“ belehrt der Großknecht den Neuen. „Auch mit Tabak ist der Bauer nicht knauserig, nur Schnaps gibt er nicht. Wenn du einen trinken willst, mußt du bis Höjris hinübergehen in den Krug.“
„Der Bauer scheint ein anständiger Mann zu sein.“
„Och ja,“ gibt der Großknecht zu. „Nielsen ist kein unebener Hausvater. Manchmal brummt und knurrt er ja so’n bißchen, besonders wenn Post von seinem Sohn gekommen ist. Der sitzt in Kopenhagen und will ein Studierter werden.“ Der Großknecht spuckt verächtlich auf den Fußboden und scharrt mit den Füßen darüber. „Aber von der Landwirtschaft versteht der alte Nielsen was. Da kannst du lernen.“
„Guten Abend, Folkens!“ Die Tür ist aufgegangen. Karen Nielsen, frisch und strahlend, eine blendend weiße Küchenschürze vor das hellblaue Kattunkleid gebunden, tritt in die Leutestube. Der Großknecht erhebt sich schwerfällig, die andern sitzen und grinsen die Bauerstochter töricht an. Karens Blick sucht nach Walter Münch.
„Haben Sie sich schon eingerichtet in Ihrer Kammer, Münch?“
Auch Walter ist aufgestanden. „Danke, Fräulein Nielsen. Ich fühle mich schon ganz wohl hier.“
„Das freut mich. Die Lise wird Ihnen noch einen frischen Strohsack bringen. Der alte in Ihrer Kammer taugt nicht mehr viel. Montag früh müssen Sie mit aufs Feld, aber nachmittags können Sie mir dann ein bißchen im Gemüsegarten helfen. Und dabei wieder etwas von Deutschland erzählen wie vorhin, als wir auf Vater warteten.“ Karen lächelt dem Neuen noch einmal zu und stellt dann ein paar Fragen an Jörgensen, die die Arbeit betreffen. Der Großknecht antwortet nur kurz und schwerfällig.
Als Karen gegangen ist, stopft er sich langsam und nachdenklich seine Pfeife. Sein Gesicht hat einen fast gequälten Ausdruck vor Nachdenklichkeit. Karen Nielsen kommt selten abends in die Leutestube, und der Strohsack in der Knechtskammer ist doch noch ganz gut. Daß aber Karen zu dem Neuen „Sie“ sagt, wo man sich hier auf dem Kjelderuphof doch allgemein duzt, das ist ewas zu viel für Jörgensens Schädel. Auch die andern grinsen darüber und meinen, dem Neuen einen guten Rat geben zu müssen. „Wir sagen einfach ‚Karen‘ hier und nicht ‚Fräulein Nielsen‘, belehrt der Zweitknecht, „der Bauer wird fuchsteufelswild, wenn er das hört.“
Morgen ist Sonntag. Da bleibt man heute etwas länger sitzen in der Leutestube. Gegen halb zehn Uhr aber verkrümeln sich der Zweitknecht und der Hütejunge doch in ihre Kammern. Die Tagelöhner sind schon früher gegangen. Sie wollen noch nach Höjris hinüberschlendern und ein Glas Bier im Krug trinken. Und der Schweizer hat sich mit der Küchenmagd irgendwohin in den Garten verzogen. Die beiden wollen nächstes Jahr heiraten; deshalb nimmt es niemand übel, wenn sie sich absondern. Nur Walter und der Großknecht bleiben noch ein bißchen sitzen. Jörgensen qualmt schweigend. Erst als die Uhr zehn schlägt, klopft er seine Pfeife aus und reckt sich ein bißchen.
„Ja, Karen ...,“ sagt er, gleichsam eine lange Gedankenreihe zu Abschluß bringend, „sie ist verlobt mit Jensen-Möllegaard, dem größten Hofbesitzer der Gegend hier. Unser Bauer freut sich darauf, seine Tochter auf dem Mühlenhof einziehen zu sehen. Nächstes Frühjahr gibt’s eine tüchtige Hochzeit hier auf dem Kjelderuphof.“
Walter antwortet nicht. Es lag etwas wie eine Warnung in den bedächtigen Worten des Großknechtes. Da Jörgensen aufsteht und nach seiner Jacke langt, wünscht auch Walter eine gute Nacht und verschwindet in seine Kammer. Der Großknecht aber liegt noch lange wach in seinem Bett. Das „Sie“ und der neue Strohsack wollen ihm nicht aus dem Kopf.