Читать книгу Gebt uns ehrliche Waffen - Axel Rudolph - Страница 4
II.
ОглавлениеAuch Gerhard Westphal hat heute früher Feierabend gemacht als sonst. Sein kleiner, für einen Chefchemiker der Harnish-Werke viel zu anspruchsloser Ford hat ihn schon kurz nach Mittag nach Hause gebracht. Die höheren Angestellten der Werke haben sehr hübsche, kleine, villenartige Häuschen, eine kleine Stadt für sich. Und das hübscheste davon gehört Gerhard Westphal. Es liegt ganz draußen auf den Hügeln, die Edgewood umgeben und von denen man hinuntersehen kann auf die Werke und Arbeiterkolonien. Es hat alle Bequemlichkeiten, die das moderne Amerika zu bieten vermag; helle, freundliche Räume, mit praktischer Sachlichkeit gebaut und ausgestattet, alles klar, sauber, stilvoll. Gerhard Westphal hat nicht viel verändert an diesen Räumen, die ihm als Wohnung zugewiesen wurden, keine deutsche Studentenbude daraus gemacht, kaum ein paar persönliche Möbelstücke darin aufgestellt. Es ist eine Wohnung, kein Heim. Westphals Heim, das ist die Arbeitsstätte, das Labor, der Schreibtisch in seinem Büro. Da ist es warm trotz der Leere, die von dem allzu großen Raum ausgeht. Wenn er aber nach Hause kommt in diese Wohnräume, die trotz ihrer Bequemlichkeit kalt und spröde sind wie Glas, dann überkommt ihn immer ein leises Frösteln. Wohl hängt im Herrenzimmer über dem Mammutschreibtisch ein altes Bild aus der Heimat und darunter eine verblichene Mütze der Burschenschaft „Alemannia“. Aber diese Symbole von einst wirken sonderbar lächerlich und deplaciert hier. Gerhard Westphal vermag keine Zwiegespräche mehr mit ihnen zu führen. Sie sind stumm geworden in diesen Räumen.
Während er seinen Anzug mit dem Smoking vertauscht, fällt sein Blick im Spiegel auf sein eigenes, mißmutiges Gesicht, und er schneidet unwillkürlich sich selber eine Grimasse. Wieviel hätte man heute noch arbeiten können drüben im Labor. Vielleicht ... vielleicht wäre man heute grade ein Stück weitergekommen. Ob Dr. Osborne, der erste Assistent, auch die Beobachtungen sorgsam genug registrieren wird? Ob die Verbindung, die das Dicyanit mit dem Ätylen eingegangen ist, weiter fortschreiten wird? Oder ob der Versuch, den Dr. Osborne mit der A-Gruppe unternommen hat, doch noch zu einem positiven Ergebnis führen wird?
Dr. Westphal seufzt leise. Das hilft nun nichts. Diese Geburtstagsfeier im Hause Harnish ist sozusagen Dienst. Er kommt sonst nie in die Villa Harnish, kennt den großen I. T. Harnish kaum. Aber heute ist alles eingeladen, was in den Werken eine prominente Stellung einnimmt. Da muß man schon. Resigniert bindet Dr. Westphal seine Krawatte. Schließlich wird es nicht ewig dauern. In der Nacht kann man schnell noch einen Sprung ins Werk machen und nachsehen, wie das Dicyanit reagiert hat.
Ob man ein anderes Geschenk mitbringen sollte als den obligaten Blumenstrauß? Irgend etwas Persönliches? Da liegt in irgendeiner Schublade noch eine Zeichnung, die Gerhard Westphal selber vor Jahren angefertigt hat: die Pension Mohr in Heidelberg, das laubumsponnene Haus, in dem Jane Harnish während ihrer Studienzeit gewohnt hat. Kein Kunstwerk, aber mit Liebe und Schwung angefertigt, sauber schraffiert und ausgeführt. Man könnte das Blatt in eine hübsche Mappe legen und mitnehmen. Vielleicht macht es ihr Spaß.
Dr. Westphal beginnt in den Schubfächern seines Schreibtisches zu kramen. Stöße von Tabellen, Formeln, Berechnungen, lose Blätter mit Aufzeichnungen und kaum leserlichen Hieroglyphen. Ganz unten findet er das gesuchte Blatt. Ganz nett, wenn auch nichts Besonderes. Und da sind auch noch andere Blätter mit Zeichenstudien: eine gutgemeinte, aber mißlungene Zeichnung der Heidelberger Schloßruine, Skizzen vom Hörsaal, Zeichnungen von chemischen Apparaturen, sogar Versuche zu Porträtstudien, halb ausgeführte Skizzierungen von Frauenköpfen, en face, en profil, von rückwärts — und all diese Köpfe haben in ihren reinen, strengen Linien eine Ähnlichkeit mit Jane Harnish.
Unwillig legt Westphal die Blätter obenauf in die Schublade. Auch die Zeichnung der Pension Mohr. Jane Harnish. Ihr Gesicht steht vor ihm, wie er es heute im Labor sah, wie er es seit Jahr und Tag sieht hier in Edgewood: kalt, abweisend, hochmütig, ganz Tochter des großen I. T. Harnish, Erbin der größten Giftgaswerke der Welt. Damals, ja damals waren sie Kameraden, er und die junge Amerikanerin. Heute ist er für sie nichts als einer der Angestellten ihres Vaters. Etwas geschmacklos, denkt Gerhard Westphal, daß sie bei jeder Gelegenheit die Distanz so betont, als hätte sie Angst, unser einstiges freundschaftliches Verhältnis könnte sie kompromittieren. Ich denke, weiß Gott, nicht daran, auf das Einst zurückzukommen. Den Kameraden von damals, die liebe und dabei klug-verständige Jane — einen Augenblick zögert Westphal in Gedanken, dann gesteht er sich selber mit der schonungslosen Wahrhaftigkeit eines analytisch geschulten Denkers — na ja, die hab ich einmal ... sehr lieb gehabt. Aber die Tochter I. T. Harnishs, die Frau, die gefühllos ihrem Bankkonto nachjagt und für die die ganze Chemie nur eine kaltschnäuzige Gewinnkalkulation ist ... Nee, es ist schon besser, bei dem üblichen Blumenstrauß zu bleiben.
Dr. Westphal wirft noch einen sehnsüchtigen Blick nach den Tabellen und Berechnungen, die auf seinem Schreibtisch warten, und klingelt dann Mammi, der schwarzen Haushälterin, um sich Hut und Mantel bringen zu lassen.
Im Wagen gewinnen die Arbeitsgedanken wieder die Oberhand. Ellenlange Formeln ziehen wie eine Laufschrift durch sein Gehirn, Atome schießen zusammen und auseinander und bilden neue Verbindungen, die sein Gehirn fast mechanisch registiert. Als der Wagen hält, muß Dr. Westphal sich erst besinnen, wohin er eigentlich gefahren ist. Der Blumenstrauß, der, in Seidenpapier eingehüllt, neben ihm auf dem Sitz liegt, bringt ihn in die Gegenwart zurück. Ach so, ja — Jane Harnish.