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IV.

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Um dieselbe Zeit, während die Empfangsräume der Villa Harnish ein Gewoge von festlich gekleideten, lächelnden Menschen sind, lockende girrende Geigenklänge um die leise vibrierenden Kronleuchter schwirren, läuft auf der breiten Landstraße, die vom Werk zum Villenviertel führt, ein Mensch, eine Frau in einem einfachen, blauen Kattunkleid und ausgetretenen Schuhen, läuft ... läuft mit aufgelöstem, fliegendem Haar, mit schreckverzerrtem Gesicht, läuft, ohne sich um die erstaunten Gesichter einiger Arbeiter zu kümmern, die ihr vor einer Haustür nachsehen.

„Hallo, Mary! What’s the matter?“ Ein junger Arbeiter, der ihr entgegenkommt, bleibt, den Weg versperrend, mitten auf der Straße vor ihr stehen. Die Frau sieht ihn an, wild, verzerrt. Ihr Atem stöhnt, zerpflückt die Worte, die sie hervorstoßen will. Mit einer jähen Armbewegung stößt sie den Burschen beiseite, läuft ... läuft ... läuft ...

In der Villa Harnish heben ein paar tanzende Paare verwundert die Köpfe. Die Musik spielt, der Tanz geht weiter. Aber es ist eine Unruhe im Saal. Immer mehr Leute sehen fragend nach der Türe. Hier und da bricht ein Paar den Tanz ab. Köpfe stecken sich zusammen. Immer lauter, immer mehr die Musik übertönend, dringt aus dem Vestibül ein sonderbarer Lärm, das gelle Kreischen einer entfesselten, leidenschaftlichen Frauenstimme.

Mr. Harnish macht mit gerunzelter Stirn ein paar Schritte auf die Tür zu. Der Tanz stockt. Da ist der Butler, Ratlosigkeit in dem eingefrorenen Dienergesicht. Harnish fährt ihn an:

„Was ist das für ein Spektakel da draußen, he?“

Hopkins hebt die Arme wie zwei matte Flügel. „Da ist eine Frau ... Mr. Harnish ... sie tobt und schreit ... läßt sich nicht abweisen ... will unbedingt zu Ihnen ...“

„Was für eine Frau? Da soll doch ...“ Harnish geht ärgerlich mit langen Schritten quer durch den Saal auf die Tür zu. Im selben Augenblick aber fliegen die Türflügel schon auf, schlagen heftig rückwärts gegen ein paar mannshohe Cloisoné-Vasen. Einer der Diener taumelt, von einem Fauststoß getroffen, rücklings in den Saal. Ein zweiter sucht mit Gewalt die Frau festzuhalten, die sich in den Saal drängen will.

„Loslassen!“ gellt die schrille Stimme der Frau. „Verdammter Hund! Knecht! Lump! Laß los!“ Mit einem wilden Ruck hat sich die Frau auch von dem zweiten Diener losgerissen, stürzt auf Harnish zu, das Haar wirr in die Stirn hängend, die Bluse aufgerissen, die Fäuste geballt, Wut und Entsetzen im Gesicht:

„Ihr Hunde! Ihr Schweine!“ Harnish weicht unwillkürlich einen Schritt zurück vor dem Haß, der ihm wie Feueratem aus der keuchenden Stimme entgegenloht. Einige Damen schreien entsetzt auf und drängen sich ängstlich an ihre Kavaliere. Jäh bricht die Musik ab. Durch das plötzliche Schweigen aber schrillt die Stimme eines verzweifelten Weibes:

„Mein Vater! Sie schlagen ihn tot! Sie treten ihm mit Füßen ins Gesicht! Er hat den Tank III geöffnet!“

„Hopkins! Bixton! Masken!!“ I. T. Harnishs Stimme ist heiser. Sein beherrschtes Gesicht ist unwahrscheinlich weiß geworden.

Steil richtet sich Jane auf, löst sich aus den Armen Bixtons und geht mit ruhigem Schritt auf die Frau zu.

„Wer — sind Sie?“

Ist es die ruhige Frage Janes, ist es die Reaktion nach der furchtbaren Aufregung — die Frau wird plötzlich ganz klein, kriecht förmlich in sich zusammen. Der Haß erlischt in ihren Augen, ein wildes Schluchzen durchschüttert ihren Körper. Jane führt sie zu einem Sessel und kauert sich bei ihr nieder.

„Ruhig, ruhig! Was ist mit dem dritten Tank?“

„Der Tank ist dicht,“ sagt hinter Jane eine ruhige Stimme.

Jane hebt mit einem Ruck den Kopf und wendet sich um.

„Sie ...!“

Gerhard Westphal sieht ganz ruhig in diese Augen, die wieder sprühen von verhaltenem Haß. Diesmal begegnet er Janes Blick fest und sicher, es spielt sogar ein winziges Lächeln um seinen Mund, sarkastisch fast.

„Ich weiß, daß der Tank dicht ist, Miß Harnish. Denn sonst wären wir schon ...“

Auch Harnishs Augen hängen an dem Sprecher. Sein Gesicht entspannt sich, die Farbe kehrt zurück. Jane antwortet nicht. Sie hat sich, Westphal den Rücken drehend, wieder zu der Fremden gewandt und streichelt ihre verkrampften Hände. Das Schluchzen der Frau löst sich in ein leises Weinen, aus dem ein gestammeltes Erzählen quillt:

„Mary Croft heiß ich, Madam. Wir arbeiten im Werk, mein Vater und ich. Er ist krank, nicht ganz richtig im Kopf, seitdem er gasvergiftet ist. Die Detektive haben ihn erwischt, als er gerade den dritten Tank öffnen wollte. Ich kam dazu, wie sie auf ihn einschlugen. Da bin ich hergerannt ... weiß nicht wie ... hab immer nur fortgestoßen, wer mich aufhalten wollte ... Helfen Sie doch! Sie schlagen ihn tot!“ Die Stimme der Frau flammt wieder auf, kreischend, mißtönend, daß sich die Damen entsetzt die Ohren zuhalten. „Sein Gesicht war nur noch ein Blutklumpen!“

„Vater!“ Jane hebt die ruhigen, grauen Augen zu Harnish, der schweigend dasteht und sich die Unterlippe zerbeißt, gleitet hinüber zu dem Freund:

„Bixton! Rufen Sie sofort das Werk an. Man soll ihn nicht schlagen. Mr. Harnish verbietet es!“

„Er weiß ja nicht, was er tut!“ wimmert die Frau. Ihre Worte überstürzen sich, wiederholen sich. „Er war ja von Sinnen! Ist ja krank!“ Mit einer kraftvollen Bewegung reißt sie sich von Jane los, springt auf, lodernd, rasend:

„Hätt er’s nur getan! Dann wär jetzt alles aus! Dann wärt ihr alle hin! Ich! Ihr alle! Mörder! Blutsauger! Schufte, ihr! Jetzt stirbt er allein!“

Wild hysterisch beginnt sie plötzlich zu singen, ein paar Takte der Internationale: „Völker, hört die ...“ bricht jäh wieder ab und sinkt wimmernd auf den Stuhl zurück: „Jetzt ... ist er wohl längst schon totgeschlagen.“

„All right, Mr. Harnish!“ Bixton kommt hastig aus dem Vorzimmer zurück. „Keine Gefahr. Der Tank ist dicht geblieben.“

Ein Paar leere Augen sehen ihn an. Zweimal leckt Harnish sich kurz über die trockenen Lippen. Dann hat er sich in der Gewalt.

„Das weiß ich längst, Bixton. Denn sonst ...“ Er verschluckt etwas und wirft einen kurzen Blick auf Westphal, der gedankenvoll Jane beobachtet, die um die weinende Frau bemüht ist. „Dr. Westphal hat recht.“ Harnishs Stimme klingt wieder sachlich und bestimmt. „Und ... der ... Kerl?“

„Ein Arbeiter namens Croft hat versucht, den Tank zu öffnen. Wurde von den Wächtern dabei erwischt.“

„Und totgeschlagen!“ Ein Wimmern vom Sessel her. Bixton zieht die Brauen hoch.

„Man hat ihn übel zugerichtet. Aber jetzt hat ihn die Polizei bereits ins Hospital transportiert.“

Ein Aufschrei. Ungläubig starrt die Frau den Sergeanten an.

„Er lebt? Sagst du, daß er lebt, Soldat?“

„Ruhig, Mary Croft, ruhig! Du hörst ja ... „Jane beugt sich wieder über die Frau und drückt sie in den Sessel zurück.

Harnish wendet sich mit einem Ruck zu den Gästen, die erschrocken, verständnislos sich um die Gruppe geschart haben:

„Ein verrückter Attentäter.“

„Ein Kommunist!“ echot grollend ein älterer Gentleman in Harnishs Nähe. Mary Croft fährt wieder auf:

„Jetzt soll er Kommunist sein! Damit ihr ihn ins Zuchthaus schicken könnt! Kapitalistenbande! Er ist kein Kommunist! Nie gewesen! Hat gar nichts damit zu tun! Ich! Ich bin Kommunistin! Daß ihr’s wißt! Aber nicht er! Er ist krank! Nicht Kommunist! Krank!“

„Lassen Sie das Geschrei!“ Harnishs Worte kommen scharf und Gehorsam heischend. Seine Selbstbeherrschung ist nahe am Ende. „Warum, zum Teufel, arbeitet er denn, wenn er krank ist?“

„Wir müssen doch leben, Herr!“ Marys Stimme ist plötzlich wieder ganz hilflos und ergeben geworden. „Das Geld langt doch nicht. Wo sollen wir denn hingehen? Ich erwarte ein Kind. Bald schon. Und Schulden ...“

„Sei ruhig, Mary!“ Mit einer stillen, behutsamen Bewegung streicht Jane ihr über das wirre Haar, ein paar ihrer Freundinnen schieben sich mitleidig, furchtsam näher heran. Jane streckt die Hand aus: „Gebt mal ein Glas Wasser.“

Eifrig hält Daisy Glenn ihr Täschchen hin:

„Hier, Jane. Eau de Cologne.“

Hinter ihrem Rücken flüstert Mildred vorwurfsvoll der platinblonden Gwendolyn zu: „Gib ihr doch einige von deinen Pralinés, Gwen.“

Mary Croft springt plötzlich von neuem auf. Selbst Janes sportgewohnte Arme vermögen sie nicht zu halten. „Ich will zu ihm! Ich will sehen, ob er lebt!“

Als sie aus der Tür ist, geht es wie ein Aufatmen durch die Gesellschaft. Ein Summen von Stimmen schwirrt durch den Raum. Menschen umdrängen Mr. Harnish, fragend, beklagend, debattierend. Menschen umdrängen Jane, neugierig, schwatzend, bedauernd. Daisy Glenn ist noch fast fassungslos.

„Was war das nur, Jane?“

Jane sieht sie an und fühlt einen Augenblick einen unverständlichen, törichten Haß gegen dieses sorgfältig zurechtgmachte Schönheitsköniginnen-Gesicht.

„Ein Ruf aus der Welt, die ihr nicht kennt!“ sagt sie kurz und dreht der Freundin fast unhöflich den Rücken.

Harnish hat sich aus der Menge zurückgezogen und diskutiert etwas abseits mit Bixton und einigen Herren der Werksdirektion den Vorfall, jetzt wieder ganz der Herr der Harnish-Werke. Blödsinn, einen kranken Menschen ins Werk zu lassen! Kann ja namenloses Unheil anrichten. Harnish packt in Erinnerung an den ausgestandenen Schrecken die blinde Wut:

„Der Mann, der diesen Croft eingelassen hat, fliegt. Und der alte Esel selber natürlich auch!“

„Willst du den kranken Mann davonjagen, jetzt, nachdem man ihn zu Schanden geschlagen hat, Vater?“ Jane ist zu der Gruppe getreten, Empörung im Gesicht. Harnish lenkt ein. „Warum sie mich nur alle für einen Unmenschen halten? Ich glaube, sogar du, Jane? Meinetwegen können sie ruhig wohnen bleiben in der Kolonie. Aber ins Werk kommt mir der Idiot nicht mehr.“

„Klar, Mr. Harnish,“ wirft einer der Direktoren ein. „Wir können keine Verrückten im Werk brauchen.“

Jane ist noch nicht zufrieden. „Wie kannst du überhaupt erlauben, daß deine Detektive einen Menschen balbtot schlagen! Verhaften können sie ihn. Aber doch nicht mißhandeln!“

Ehe Harnish antworten kann, ist hinter Jane wieder Westphals ruhige Stimme:

„Das hat der Mann sich selber zuzuschreiben.“

„Ihre Ansicht brauch ich nicht zu hören, Dr. Westphal.“ Eine abgrundtiefe Verachtung liegt in dem Blick, mit dem Jane den Chefchemiker mißt. „Die ist ja gegeben. Ein Menschenleben ist für Sie ...“

„Erlauben Sie, Miß Harnish.“ Bixtons starkes Gerechtigkeitsgefühl zwingt ihn, sich einzumischen. „Es waren nicht nur die Detektive, die den alten Croft verprügelten. Auch Arbeiter. Recht war’s gewiß nicht, aber die Leute waren sinnlos vor Todesangst, als sie den Mann am dritten Tank hantieren sahen. Das entschuldigt sie.“

Sekundenlang sieht Jane den Freund an. Eine scharfe Erwiderung liegt ihr auf der Zunge. Plötzlich aber senkt sie den Kopf: „Ja ... Das ... versteh ich,“ sagt sie leise.

Die Musik spielt längst wieder. Es wird auch wieder getanzt. Aber eine rechte Stimmung will nicht wieder aufkommen. Der Mißklang war zu schrill. Als aufmerksamer Wirt fühlt Harnish die laue Stimmung im Saal. Willkommene Gelegenheit. Draußen im Park flammen eben die bunten Girlanden der Glühbirnen auf. Harnish beeilt sich, seinen Gästen eine Promenade durch den illuminierten Park vorzuschlagen. Lebhafte, freudige Zustimmung antwortet ihm. Man ist froh, über den peinlichen Zwischenfall hinwegzugleiten. Die Daisys, Mildreds, Glorias und Gwendolyns sind Feuer und Flamme. Eine Polonaise im Park! Jane, das Geburtstagskind, muß natürlich an der Spitze gehen. Aber Jane entschuldigt sich. Sie habe Kopfweh. Daisy Glenn schlägt sich vor den Kopf. Natürlich! Wie konnte man nur vergessen. Die Frau mit ihrem Geschrei muß ja die arme Jane entsetzlich aufgeregt haben.

„Weißt du was, Jane?“ huschelt sich Daisy an die Freundin. „Wir lassen die anderen gehen. Ich bleib bei dir. Wir setzen uns ganz still in eine Ecke. Ich mixe dir einen richtigen Martini und singe dir was vor, ja?“

„Wir wollen Jane lieber allein lassen.“ Harnish hat die Kleine sanft am Arm gefaßt und von Jane weggezogen. „Bixton mag ihr inzwischen Gesellschaft leisten. Ich glaub, er hat ihr sowieso was zu sagen.“ Die letzten Worte sind mehr an Jane gerichtet, die verwundert ihre Augen von dem Vater zu dem nervös an seinem Jackett fingernden Bixton gleiten läßt, während Harnish behutsam, aber unwiderstehlich die enttäuschte Daisy zu den bereits gruppenweise abwandernden Gästen führt. Es ist natürlich eine Ehre, am Arme I. T. Harnishs in den Park zu gehen, aber Daisy wäre doch lieber bei Jane zurückgeblieben. Noch an der Tür wirft sie einen zögernden Blick zurück. Bixton? Was hat denn Mr. Bixton Jane zu sagen? Mr. Harnish legt mit hochgezogenen Brauen den Finger an den Mund:

„Staatsgeheimnis, liebe Daisy!“

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