Читать книгу Diamanten in Lüderitzbucht - Axel Rudolph - Страница 6
Drittes Kapitel
ОглавлениеHilde Stein wartet an diesem Abend vergebens auf die Palaverstunde mit dem Heimgekehrten. Max Freytag hockt in Gutzkes sogenannter „Bar“, in der es außer dem Kaiserbild an der Wand wirklich nichts zu sehen gibt, und trinkt einen Whisky nach dem anderen. Zunächst sehr langsam und bedächtig. Zoe van Doemen hat den „Neuen“ so freundlich und liebenswürdig begrüßt, wie es sich für eine Barmaid gehört, einem Gast gegenüber, der ihr von ihrem Wirt als alter Bekannter vorgestellt worden ist. Max Freytag hat wirklich nichts auszusetzen an dem Empfang, der ihm in Gutzkes Bar zuteil geworden ist. Der Whisky ist erträglich, die holde Barfee eine wirkliche, ausgesprochene Schönheit, der alte Gutzke selbst fließt über von kordialer Wiedersehensfreude. Dennoch vermag Freytag nicht so recht in Stimmung zu kommen. Immer wieder, während er langsam seinen Whisky schlürft, folgen seine Augen den leichten, anmutigen Bewegungen des jungen Mädchens hinter dem Schanktisch.
Ja, diese Zoe van Doemen! Der lange Prokurist Stein hat wirklich recht: Das Mädel ist eine Attraktion für Lüderitzbucht. Aber etwas Sonderbares ist auch an ihr. ‚Sie paßt nicht hierher,’ entscheidet Freytag nach langer Beobachtung in seinen Gedanken. ‚Ich weiß nicht, warum, aber sie gehört eigentlich nicht hinter den Tisch da. Möchte wohl wissen, was sie hier sucht.’
Es ist nicht leicht dahinterzukommen, obwohl Freytag sich die größte Mühe gibt, der schönen Zoe, wie man so sagt, die Würmer aus der Nase zu ziehen. Sie geht liebenswürdig auf seine Fragen ein, und was sie von ihrer Herkunft erzählt, klingt wenigstens nicht direkt unglaubhaft. Aber gerade das macht ihn wieder stutzig. Barfräuleins pflegen sonst gern recht romantische Geschichten zu erzählen, ihre Vergangenheit mit allerlei bunten Erlebnissen auszuschmücken, und kein Mensch nimmt es ihnen übel, wenn sie dabei ein wenig ins Flunkern geraten. Man braucht es ja nicht zu glauben. Aber was die Zoe da erzählt von ihrer Jugend in Transvaal, vom Tod ihrer Eltern und so weiter, das klingt alles so unromantisch und solid, fast trocken wie ein einfacher Tatsachenbericht. Anderseits deutet nicht das geringste darauf hin, daß die Schöne hier besondere Ziele verfolgt. Zoe van Doemen scheint wirklich keine andere Absicht zu haben, als für den alten Gutzke möglichst viel Whisky und Kognak zu verkaufen, wie es ihrem Beruf entspricht.
Franz Mokat, der unbehaglich und gedrückt auf seinem Barstuhl kauert, hat Zoe van Doemen nur mit einem kühlen und, wie es Freytag schien, nicht gerade freudigem Erstaunen begrüßt. Nach ein paar kurzen Bemerkungen über die Begegnung neulich, von der Mokat selbst ja schon berichtet hatte, richtet sie kaum noch das Wort an ihn, sondern widmet sich mehr dem „Löwenjäger“. Nun, auch darin liegt für Freytag absolut nichts Verdächtiges. Er bildet sich nicht gerade ein, ein unwiderstehlicher Mann zu sein, aber es erscheint ihm nur selbstverständlich, daß die schöne Barfee sich mehr um ihn bemüht als um den reichlich unansehnlichen und ledernen Bahnarbeiter Mokat.
Dabei macht Franz Mokat Augen wie ein gestochenes Kalb. Die Anbetung, mit der er jeden Schritt der schönen Zoe verfolgt, ist schon fast lächerlich. Es kostet Freytag keine große Mühe, bei sich festzustellen, daß Franz Mokat bis über die Haarwurzeln in das schöne Mädchen verliebt ist. Sollte das etwa des Pudels Kern sein? Freytag grübelt und kombiniert, aber er vermag beim besten Willen nicht herauszufinden, in welcher Beziehung die Verliebtheit des armen Kerls da zu dem sonderbaren Diamantenfund stehen sollte. Auch ein paar vorsichtige Bemerkungen über die Edelsteinfunde im Kapland führen zu keinem Resultat. Zoe beantwortet sie ruhig und sachlich. Es scheint sogar, als ob sie für diese Dinge sehr wenig Interesse habe.
Nach ein paar Stunden kommt einer der Angestellten der Lüderitzbucht-Gesellschaft, um Freytag mitzuteilen, er möge nicht mehr auf Herrn Stein warten. Die mit der „Boma“ angekommene Post hat Briefe enthalten, die sofort bearbeitet werden müssen. Herr Stein und seine Leute müssen Überstunden machen. Der Angestellte nimmt einen Whisky mit Freytag, und letzterer stellt dabei leise schmunzelnd fest, daß auch dieser junge Mann in die schöne Zoe sterblich verliebt ist. Es fällt ihm offenbar sehr schwer, wieder in sein Büro zurückzugehen und den Kampfplatz der Konkurrenz Max Freytag zu überlassen.
Nach einer weiteren Stunde stillen Beobachtens und ruhiger, vernünftiger Unterhaltung ist Max Freytag zu der Überzeugung gelangt, daß Zoe van Doemen wirklich nichts mit der Diamantengeschichte Mokats zu tun hat. Man könnte also nun hier Schluß machen und den letzten Whisky trinken. Aber es bleibt bei dieser Feststellung. Trotz des langsamen Trinkens hat der Alkohol Max Freytag in Stimmung gebracht. Die Getränke, die Gemütlichkeit der altbekannten, von vielen früheren Gelagen vertrauten Bar, die innere Erregung, die ihn beim unvermuteten Anblick der Diamanten Mokats erfaßt hat, und das Lächeln der schönen Zoe — das alles hat zusammen eine Stimmung in Max Freytag erzeugt, die sich dagegen wehrt, den Abend bereits jetzt zu beschließen. Der ernste Teil dieses Barbesuches ist erledigt — denkt der junge Prospektor — jetzt kommt die Fidelitas zu ihrem Recht!
Max Freytag beginnt rascher zu trinken und lauter zu sprechen. Es dauert nicht lange, so ist er auch dabei, der schönen Zoe auf Leben und Tod die Cour zu schneiden, und hat dabei seinen stillen Spaß an Franz Mokat, der allen Aufforderungen zum Trotz bei seinem Mineralwasser bleibt und demütig zusieht, wie sein neuer Bekannter mit der schönen Frau flirtet.
Zoe van Doemen ist keine Spielverderberin. Es mag wahr sein, daß ihre Schönheit wie ihr ganzes Wesen nicht recht zu einer Barfrau passen, jedenfalls beweist ihr Benehmen bald, daß sie nichtsdestoweniger ihren Posten tadellos auszufüllen weiß. Ihre Augen blitzen den munter drauflos schwadronierenden Freytag an, ihr Mund hat auf jeden Scherz eine schlagfertige, heitere Antwort, und ihre schlanken Finger streifen öfter die Hände des Gastes, wenn sie ihm ein neues Glas hinreicht. Max Freytag wird immer wärmer und lustiger, je weiter der Abend fortschreitet. Er denkt wohl einmal flüchtig an Hilde Stein, wirft aber den Gedanken gleich wieder von sich. Die Hilde — na ja, das ist ganz etwas anderes! Das hat nichts mit diesem lustigen Abend zu tun. Wäre ja lächerlich, einen Vergleich zu ziehen zwischen Hilde Stein und diesem Barfräulein hier! Max Freytag denkt beileibe nicht an etwas Ernstes. Aber warum soll man nicht einen Abend mal lustig sein, wenn einem so was geboten ist? Bei allen Dickhäutern Afrikas, das Mädel ist nicht nur schön, sondern auch intelligent! Sehr verständlich, daß die Herren hier in Lüderitzbucht — der lange Prokurist Stein nicht ausgenommen — bis über die Ohren in sie verknallt sind.
Und nun gar der arme Kerl da, Franz Mokat! Ja, mein Lieber, da hilft all dein Anschmachten nichts. Solche Früchte sind nun einmal nicht für dich gewachsen. Aber weiß der Kuckuck, dieser Franz Mokat scheint nicht nur ein ehrlicher Bursche zu sein, er hat auch Taktgefühl und Geschmack. Schließlich hat jeder hier an der Bar gleiches Recht. Aber Mokat macht nicht den geringsten Versuch, sich aufzudrängen oder gar seinen Zechkameraden bei der schönen Zoe auszustechen. Er begnügt sich still und bescheiden mit der Rolle des farblosen Nichts, zu dem er in der Gesellschaft des jungen, kräftigen und gewandten Jägers und der schönen Hebe da verurteilt ist, sucht kaum, in das lustige Wortgeplänkel der beiden einzugreifen, und zeigt nicht einmal eine Anwandlung von Eifersucht, wenn die schöne Zoe ihn übersieht und sich mit liebenswürdigem Lächeln zu Freytag neigt. Nur seine treuen Hundeaugen hängen unverwandt an dem schönen Mädchen. Freytag findet es selbstverständlich, daß er hier der erste Mann ist und daß Zoe van Doemen sich hauptsächlich ihm widmet.
Um so größer ist daher seine Verblüffung, als dieses Verhältnis sich ganz plötzlich ändert. Mag es nun sein, daß Max Freytag in seiner steigenden Alkoholstimmung etwas zu vertraulich geworden ist, oder daß Zoe van Doemen Mitleid empfindet mit dem bescheiden-resignierten Gesicht ihres zweiten Gastes, ganz unerwartet wendet sie sich an Mokat, lächelt ihm freundlich zu und beginnt ein ruhiges Gespräch mit ihm.
Max Freytag staunt. Alle Achtung, das Mädel hat wirklich Talent zur Barfrau! Weiß die Gäste im Handumdrehen zu nehmen! Wie sie das angefangen hat, den scheuen, armen Kerl da mit ein paar sachlichen Fragen über seine Arbeit zum Reden zu bringen! Franz Mokat taut sichtlich auf, und seine Augen strahlen vor Dankbarkeit. Die Arbeit — das ist das einzige, worüber er mitreden kann. Sein Herz klopft gewaltig, während er mit Zoe spricht. Wie vernünftig sie fragen kann! Wie ernst und aufmerksam sie zuhört, obwohl das, was er, Franz Mokat, erzählen kann, doch wirklich nicht interessant ist für eine schöne, junge Frau.
Eine Weile hört Freytag verwundert dem Gespräch der beiden zu, findet aber dann, daß es nun genug ist des trockenen Tones. Mit einem lachenden Witzwort schaltet er sich wieder in die Unterhaltung ein, reißt im Handumdrehen die Führung an sich.
„Einen neuen Whisky! Und wie wär’s denn, holde Blumenfee? Wollen wir nicht zu dreien da hinten eine gemütliche Ecke etablieren? Diese Barschemel sind für Affen erfunden, aber nicht für ausgewachsene Menschen!“
Zoe van Doemen zögert lächelnd mit der Antwort. Franz Mokat aber findet wirklich und wahrhaftig den Mut, sie bittend anzusehen. „Wir würden uns sehr freuen, Fräulein van Doemen.“
Und wieder staunt Max Freytag. Das Zögern der schönen Zoe schwindet sofort. Ganz freundlich und kameradschaftlich nickt sie Franz Mokat zu und kommt um den großen Schanktisch herum.
Zu dreien sitzen sie dann an dem runden Ecktisch gegenüber der Bar. Es ist schon spät, und andere Gäste sind heute nicht zu bedienen. Nur Vater Gutzke steckt ab und zu sein zufriedenes Gesicht aus der Küchentür. Zoe beteiligt sich nur mäßig am Trinken und redet nicht einmal Franz Mokat zu, der unentwegt bei seinem Wasser bleibt. Max Freytag aber beginnt so langsam, die rote Fahne aufzuziehen. Sein Gesicht rötet sich, und seine Augen glänzen verdächtig.
„Ob wir morgen wiederkommen, holde Zoe? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Hängt von den Umständen ab. Wir, mein guter Freund Mokat und ich, wollen morgen erst mal raus nach Colmannskuppe.“
„Sie gehen wieder auf die Jagd, Herr Freytag?“
„Jawoll! Tu’ ich! Mit Mokat zusammen!“
„Oh, Sie sind auch Jäger, Herr Mokat?“
Der Bahnarbeiter windet sich verlegen unter dem erstaunten Blick des Mädchens. „Sie dürfen das nicht wörtlich nehmen, Fräulein. Bei Colmannskuppe gibt es nicht viel zu jagen.“
„Könnte doch sein, daß wir da reichere Beute machen als im dicksten Busch,“ lacht Freytag und blinzelt seinem Kameraden zu. „Was meinen Sie, Mokat, he?“
„Herr Freytag, Sie wollten doch nicht ...“
„Ach, ist ja egal!“ lacht der andere, in seiner Alkoholstimmung die vorsichtige Mahnung abweisend. „Kalkuliere, unsere schöne Tischgenossin da hat keinen Grund, heute nacht noch unsere große Neuigkeit auszuposaunen. Und morgen kann’s uns kalt lassen. Was meinen Sie wohl, schönste Zoe, was wir morgen aufspüren wollen?“
„Ich hab’ keine Ahnung, Herr Freytag.“
„Diamanten!“
Zoe wirft einen raschen Blick auf das gerötete Gesicht Freytags und lächelt nachsichtig. „Da wünsch’ ich Glück,“ sagt sie neckisch und wendet sich wieder Franz Mokat zu. Gerade das letztere ist nun aber mehr, als Max Freytag in dieser Stunde ertragen kann. Zum Donnerwetter, der Mokat mag ein braver Kerl sein, aber was hat sie sich denn jetzt mit dem zu beschäftigen! Was ist überhaupt los mit der Holden?
„Hoho, Sie halten mich wohl für betrunken?“ poltert Freytag, auf den Tisch hauend. „Mich werfen so ein paar Whiskys nicht aus dem Sattel, Verehrteste! Da muß es anders kommen!“
Zoe droht lächelnd mit dem Finger. „Na, na, Herr Freytag! Wenn Sie schon anfangen, von Diamanten zu phantasieren ...“
„Tatsache, mein schönes Kind! Werd’ ich Ihnen gleich beweisen. Knöpfen Sie mal Ihr Taschentuch auf, Mokat, und zeigen Sie dieser ungläubigen Dame Ihren Reichtum!“
„Meinen Sie wirklich ...?“
„Immer raus mit dem Plunder! Ist ja kein Mensch hier außer uns!“
Franz Mokat holt zögern sein Tuch aus der Tasche, aber Freytag reißt es ihm aus der Hand und breitet es rasch auf dem Tisch aus. „Was sagen Sie nun, holde Dame?!“
„Das sollen — Diamanten sein?“
„Unter Garantie! Wenn ich Ihnen sage, daß die Steine echt sind, können Sie’s getrost glauben!“
Zoe van Doemen hat einen der Steine aufgenommen und dreht ihn in den Händen. Auf ihrer hohen Stirn steht eine unwillige Falte. Ohne Freytag zu beachten, wendet sie sich an Franz Mokat und ihre Stimme hat einen fast strengen Klang.
„Wie kommen Sie zu den Steinen?“
„Gefunden hat er sie!“ ruft Freytag, als sein Kamerad unter dem festen Blick des Mädchens verlegen zu stammeln beginnt. „Draußen bei Colmannskuppe! Morgen sehen wir uns mal gründlich das Gelände an, wo die Dingerchen wachsen. Inzwischen aber ...“ Max Freytag greift nach dem schönsten und größten der Glitzersteine und drückt ihn dem Mädchen in die Hand. „Den schönsten sollen Sie haben, Fräulein Zoe!“
„Nein, das ... will ich nicht!“
„Doch, Fräulein,“ fällt Franz Mokat ganz aufgeregt ein. „Sie müssen ihn nehmen! Wir sind ja so dankbar ...“
„Nichts da, Mokat!“ lacht Freytag siegesgewiß. „Der Stein da, der geht von meinem Halbpart!“
„Ich danke Ihnen. Ich kann dieses Geschenk nicht annehmen, Herr Freytag!“ Zoe schüttelt ernst den Kopf und gibt den Stein rasch zurück.
„Was ich verschenkt habe, nehme ich nicht wieder! Kommt gar nicht in Frage, schöne Zoe! So! Ich lege den Stein auf den Tisch des Hauses. Da liegt er! Behalten Sie ihn oder lassen Sie ihn liegen! Ganz wie Sie wollen!“
Max Freytag steht auf und geht an die Bar, um sich selber aus der Whiskyflasche ein neues Glas einzuschenken. Es ist zu dumm, aber er ärgert sich gewaltig. Was das Mädel sich nur einbildet! Aber sie glaubt natürlich gar nicht daran, daß es sich um echte Diamanten handelt. Immerhin, Max Freytags gute Stimmung ist verflogen, und da ihn die Wendung, die die Unterhaltung genommen hat, auf einmal wieder lebhaft an das erinnert, was morgen geschehen soll, fordert er seine Rechnung und winkt dem sich gehorsam erhebenden Mokat.
„Kommen Sie, Kamerad! Wir wollen noch ein paar Stunden schlafen. Gute Nacht, Sie schöne Sprödigkeit!“
An der Tür stoßen Freytag und Mokat auf einen späten Gast, der eben hineinwill. Man wünscht sich gegenseitig einen guten Abend, aber Freytag hat genug. Er fühlt selbst, daß es für ihn besser ist, jetzt Schluß zu machen, und vor allem sticht ihn die liebe Eitelkeit, sich nicht vor der hübschen Barmaid als hoffnungslos Bezechter zu zeigen.
Der Mann, der so spät noch Gutzkes Bar aufsucht, ist der Ingenieur Karl Staupe.