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II In Einklang leben

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Wir haben gerade zusammen unsere Texte gesungen. Das geht nur mit einem gewissen Feingefühl für die Gemeinschaft. Es gehört Harmonie dazu. Wir müssen auf das Tempo der anderen achten. Tun wir das nicht, klingt unsere Rezitation falsch, irgendwie verstimmt. Dasselbe gilt auch für unser Zusammenleben. Wir müssen den Lebensrhythmus der anderen berücksichtigen. Wir brauchen Harmonie, ein bestimmtes Zusammengehörigkeitsgefühl. Ohne dies ist kein menschliches Zusammenleben möglich.

Aber dieses Zusammengehörigkeitsgefühl bricht häufig schon im ersten Moment in sich zusammen, weil der Einzelne nicht mit sich in Einklang lebt, mit sich selbst nicht im Reinen ist, nicht bei seinem eigenen Lebensrhythmus. Wir sehen in der Welt nur, was wir in uns und an uns sehen. Die Welt und wir sind ein und dasselbe. Es gibt da absolut keinen Unterschied.

Der erste Schritt zum Leben in Einklang liegt also in uns selbst. Ihn zu tun ist für jeden von uns die dringlichste Aufgabe. Ja, es gibt eigentlich keine andere Aufgabe, als innere Harmonie zu erzeugen. Dazu sind keine besonderen Umstände nötig. Es ist gleich, ob wir in der Meditationshalle sitzen, in einem Boot paddeln, das Mittagessen kochen, ein Buch lesen, im Garten arbeiten oder irgendetwas anderes tun. Allerdings werden wir nur dann zu innerer Harmonie gelangen, wenn wir zufrieden sind. Unzufriedenheit erzeugt Missklänge. Daran ist nichts zu ändern. Das ist nur folgerichtig.

Innere Zufriedenheit wiederum kann nicht von äußeren Faktoren abhängen. Diese sind niemals fehlerlos. Und das wäre auch völlig unmöglich. Zwei Monate lang war es hier viel zu heiß. Also hat sich jede darüber beklagt, dass sie zu viele Pflanzen zu bewässern hatte. Jetzt hat sich die Trockenheit in ihr Gegenteil verkehrt: Es regnet zu viel. Alles ist schmutzig, schlammig, matschig. Wo nur, wo, könnten wir die Idealsituation finden, den vollkommenen Augenblick? Es gibt ihn nicht.

Wir werden vergeblich nach den äußeren Voraussetzungen suchen, die uns vollkommen zufriedenstellen. Wir suchen am falschen Ort. Wir müssen die innere Voraussetzung entdecken, die uns zufrieden macht, und diese innere Voraussetzung benötigt zu ihrer Erfüllung mehrere Faktoren, zum Beispiel Unabhängigkeit. Ich meine hier nicht finanzielle Unabhängigkeit, die vielleicht andere Unabwägbarkeiten mit sich bringt. Nein, ich spreche von emotionaler Unabhängigkeit, die wir nur gewinnen, wenn wir nicht mehr auf äußere Zustimmung angewiesen sind.

Wir wissen einfach, dass wir immer unser Bestes zu geben versuchen, und wenn uns dann irgendwer seine Zustimmung oder Anerkennung verweigert und uns kritisiert, lässt sich daran auch nichts ändern. Schade zwar, aber so ist es nun einmal. Der Buddha ist auch nicht überall nur auf Zustimmung gestoßen. Aber er hat gesagt: »Ich hadere nicht mit der Welt, die Welt hadert mit mir.« Er hat es akzeptiert, wenn Menschen mit ihm oder mit seiner Lehre uneins waren. Er hat gewusst, dass nicht jeder einverstanden sein kann.

Zufriedenheit ist eine innere Qualität, die uns in einer Weise unabhängig macht, dass wir nun nicht mehr nach Unterstützung von außen Ausschau halten. Wir tun unser Bestes. Manchmal ist das Beste mehr als genug, manchmal nicht genug. Manchmal will es einfach nicht klappen. Auch damit müssen wir uns abfinden, ganz gleich ob die anderen dies gutheißen oder nicht.

Wir können nicht darauf warten. Im Übrigen: Wie sollten wir darauf auch warten können? Sie werden niemals alle beisammen sein. Und im Allgemeinen sind die Menschen auch niemals alle einer Meinung. Wenn wir also gelegentlich nicht so viel zustande bringen, wie wir gedacht hatten, ist dies nicht weiter schlimm; kein Grund, unzufrieden zu sein. Wahrscheinlich ist es nur eine gute Lernerfahrung: »Dieses Mal habe ich nicht so viel geschafft, wie ich dachte, schaffen zu können.«

Ohne Liebe gibt es keine innere Zufriedenheit. Wer sich nach Liebe sehnt, ist emotional abhängig und unzufrieden, denn er hat nicht, was er gern haben möchte. Und wenn er dann bekommt, was er sich ersehnt, ist er wahrscheinlich immer noch unzufrieden, weil es ja eigentlich mehr sein sollte oder weniger. Aber selbst wenn es denn endlich genau die richtige Menge Liebe ist, ist sie doch immer noch nicht dauerhaft genug, sondern eben wechselhaft. Sich nach Liebe zu sehnen ist eine schrecklich unbefriedigende Sache und wird niemals das Gefühl letztlicher Befriedigung schenken. Manchmal gelingt der Versuch, manchmal aber auch nicht. Was allerdings immer gelingt, ist Lieben. Lieben führt immer zu emotionaler Unabhängigkeit und Zufriedenheit. Wir können einen anderen Menschen lieben, ganz gleich, ob er diese Liebe annimmt oder nicht. Wenn wir andere Menschen lieben, hat das noch nicht einmal unbedingt etwas mit ihnen zu tun: Es ist eine Eigenschaft unseres Herzens.

Zufriedenheit beruht also auf Liebe, darauf, dass wir in unserem Herzen ein Feld der Harmonie hervorbringen. Dieses Feld der Harmonie sollte viele verschiedene Blumen tragen: Liebe, emotionale Unabhängigkeit, Zufriedenheit mit uns selbst, mit dem Menschen also, der wir nun einmal sind. Die Harmonie beruht nicht darauf, dass wir uns nach Liebe und Anerkennung verzehren. Im Gegenteil: Wir schenken Anerkennung und Liebe. Das ist so simpel. Und es funktioniert, weil es einfach funktionieren muss. Was könnte funktionieren, wenn nicht dies? Es macht uns großzügig. Und es funktioniert, weil es bedeutet, dass wir geben.

Sobald jemand an uns herantritt und etwas von uns will, fühlen wir uns bedroht. Das »Ich« fühlt sich bedroht: »Wenn ich jetzt gebe, was man von mir will, werde ich mich eingeschränkt und kleiner fühlen.« Daraus entsteht Disharmonie. Stellt euch einmal vor, es steht jemand mit einer Pistole in der Hand vor uns und fordert unser Hab und Gut. Wir würden uns doch bedroht fühlen, oder etwa nicht? Und so ähnlich fühlen wir uns auch, wenn jemand auf uns zukommt und unsere Liebe von uns haben will. Verschenken wir dagegen Liebe und Anerkennung, bedrohen wir erstens die anderen nicht und müssen zweitens auch nicht auf der ständigen Suche danach durch die Gegend irren. Diese innere Zufriedenheit im eigenen Herzen ist der einzige Weg zu einem harmonischen Leben. Wie könnten wir überhaupt mit irgendeinem Menschen friedlich und harmonisch zusammenleben, wenn wir nicht einmal mit uns selbst dazu in der Lage sind? Wir müssen mit uns selbst in Einklang leben. Mit wem sonst?

Gelegentlich fühlen wir uns physisch nicht ganz wohl. Das ist kein Grund, unzufrieden zu sein. »Ich bin der Krankheit unterworfen.« Wir rezitieren diesen Satz jeden Abend. Das heißt aber nicht, dass ich darüber unglücklich und unzufrieden werden muss. Die Natur des Körpers macht Krankheit unvermeidlich. Also, der Körper fühlt sich nicht wohl – mehr nicht. Der Körper hat Schwierigkeiten. Das ist nicht ungewöhnlich. Der Körper hat immer irgendwelche Schwierigkeiten.

Ein andermal glaubt der Geist vielleicht, dass er irgendetwas braucht. Nun gut, dann lasst den Geist dies eben einfach glauben. Das heißt nicht, dass ihr euch darin verstricken müsst. Sobald ihr euch darauf einlasst, dem Leiden zu glauben, das Körper und Geist hervorbringen, werdet ihr keinen Augenblick mehr zufrieden sein. Wo könntet ihr dann auch Zufriedenheit finden? Zufriedenheit hat nichts mit einem eigenen Haus, der Natur oder den Menschen zu tun, denen ihr begegnet. Zufriedenheit hat nur eine Heimat: euer eigenes Herz; und nur eine Grundlage: die Einsicht, dass wir ein Feld der Harmonie um uns aufbauen und uns mit dem Gefühl tiefer Befriedigung beglücken, wenn wir Liebe und Anerkennung verströmen. Dies ist wahre Lebenskunst.

Wahre Lebenskunst will gelernt sein. Wir können sie uns aneignen, wenn wir dazu bereit sind, uns selbst in den anderen zu begegnen. Wie könnten wir wissen, wie wir ausschauen, hätten wir nicht einen Spiegel, der es uns zeigt? Um uns selbst zu sehen, brauchen wir den Spiegel der Begegnung, das Spiegelbild unseres eigenen Seins in den anderen. Die Unstimmigkeiten, die wir mit anderen Menschen haben, sind eine Spiegelung unseres eigenen Spiegelbildes. Leben wir mit uns selbst in Einklang, wird unser Verhältnis zu den anderen ebenfalls keine Missklänge aufweisen. Dies ist dann schlechterdings unmöglich. Unser Spiegelbild lügt nicht.

In einer Lehrrede spricht der Buddha von drei Mönchen, die wie Milch und Wasser zusammenlebten. Sie verschmolzen vollkommen miteinander. Es herrschte absolute Harmonie zwischen ihnen, weil keiner seinen eigenen Willen durchsetzen wollte. Nun, diese drei waren Arahats. Es wäre vielleicht zu viel von uns verlangt, wenn wir es ihnen sofort gleichtun wollten. Immerhin vermittelt uns diese Geschichte eine Vorstellung von dem Ziel, das wir anstreben. Und dies ist notwendig. Wir würden nämlich immer nur unserem eigenen Geist glauben, wenn wir keine Vorstellung von unserem Ziel hätten. Wir würden meinen, dass unsere negativen Einstellungen und Reaktionen vollkommen gerechtfertigt sind, weil irgendjemand irgendetwas getan hat, das schlecht für uns oder doch zumindest unangenehm war.

Harmonie wird an vielen Stellen erwähnt. Für ein glückliches Leben ist sie ein wesentlicher Faktor. Manchmal hängen die Menschen an ihrem Leiden, an ihrem Dukkha. Das ist eine weitverbreitete Krankheit. Wer begreift, wie dumm sie ist, wird die Finger davon lassen. Alle Lebewesen streben nach Glück. Man braucht nicht einmal ein Mensch zu sein, um glücklich und zufrieden leben zu wollen.

Wir versuchen es mit Meditation, damit wir uns glücklicher fühlen, als wir vorher waren. Aber wir können nicht den ganzen Tag sitzen und meditieren. Manchmal scheint die Meditation auch verschüttete Erinnerungen an den Tag zu bringen, die wir nicht einmal anschauen wollen. Und wir haben auch zuweilen das Gefühl, dass uns unsere Meditation mehr Dukkha einbringt, als wir ohnehin schon haben. Aber dies scheint nur so, weil wir uns endlich unser Leiden eingestehen. Gestehen wir uns ein, dass wir leiden, müssen wir automatisch Mitgefühl für das Leiden aller anderen Wesen empfinden. Es kann gar nicht anders sein. Mensch sein heißt leiden. Es mag zwar verschiedene Entwicklungsstufen geben, aber Kinder sind nun einmal Kinder, ganz gleich ob sie ins erste, zweite oder dritte Schuljahr gehen.

Da wir Dukkha an uns und in uns selbst finden, wären wir sehr dumm, wenn wir annehmen würden, dass andere Wesen keine solchen Leiden mit sich herumtragen. Jeder hat Dukkha, aber einige können besser damit umgehen als andere. Man kann mit Dukkha auf geschickte Weise fertig werden oder sich sehr ungeschickt anstellen. Weglaufen ist sicherlich sehr ungeschickt, denn Dukkha hat die fatale Angewohnheit, stets mitzukommen. Dukkha hält sich nicht an einem bestimmten Ort auf, steckt nicht in einer bestimmten Situation, sondern in unserem Herzen. Wir müssen das Leiden gezwungenermaßen immer mit uns tragen, wenn es in unserem Herzen sitzt. Es ist im selben Flugzeug, im selben Boot, im selben Auto, wohin wir auch flüchten. Wegrennen ist also ganz bestimmt die ungeeignetste Strategie, Dukkha zu bewältigen.

Aber wir kennen alle noch eine zweite Strategie, die nicht weniger ungeschickt ist: etwas oder jemand anderes für unsere Misere verantwortlich zu machen – einen Menschen, eine Situation, das Wetter oder was sich sonst noch anbietet. Anstatt selbstverantwortlich zu sein, stehlen wir uns aus der Verantwortung.

Die dritte ungeschickte Strategie der Leidensbewältigung läuft darauf hinaus, dass wir uns von Dukkha niederdrücken und deprimieren lassen. Wir werden ganz in Dukkha hineingezogen und infolgedessen schrecklich unglücklich. Sehr viele Menschen verfallen diesem Fehler. Wenn er auch durchaus verbreitet ist, ist er deswegen doch nicht weniger töricht. Wir sind deprimiert und lassen den Kopf hängen, bis irgendein äußerer Kitzel uns aus unserer Trübsal erlöst – eine Geburtstagstorte, ein Eisbecher. Dann hebt sich unsere Laune ein wenig.

So viel zum ungeschickten Umgang mit Dukkha. Wollen wir unser Leiden auf geschickte Weise bewältigen, müssen wir es als Lernerfahrung betrachten. Die einzig wirklich vernünftige Betrachtungsweise ist die, dass wir es sehen und uns dann sagen: »So ist das also. Dies hat der Buddha mit der ersten der Vier Edlen Wahrheiten gemeint. Offensichtlich wusste er, wovon er sprach.«

Die erste Edle Wahrheit ist die Wahrheit vom Leiden, die Wahrheit von Dukkha. Die zweite Edle Wahrheit ist die der Leidensentstehung: Dukkha hat eine Ursache. Die Ursache ist Gier: der Wunsch, etwas zu bekommen, das wir nicht haben; oder etwas loszuwerden, das wir haben, aber nicht haben wollen. Das sind die einzigen beiden Ursachen. Es gibt keinen anderen Grund für Dukkha. Sobald wir Dukkha in uns erkennen, ohne uns darin zu verstricken, begreifen wir, dass Leiden eine Realität ist, ein Teil des Lebens. Und dann können wir in uns auch den Grund dafür finden. Wir sagen uns: »Stimmt genau. So und nicht anders ist es. An meinen Wünschen liegt es.« Haben wir auf diese Weise die Gültigkeit der zweiten Edlen Wahrheit festgestellt, werden wir einsehen, dass die dritte und die vierte Wahrheit ebenfalls stimmen müssen. Die dritte Edle Wahrheit ist die Wahrheit der tatsächlichen Leidensüberwindung: alles Dukkha hört auf, ein für alle Mal. Und dies ist Nibbāna – Befreiung, vollkommene Befreiung.

Die beiden ersten Wahrheiten lassen sich leicht beweisen. Das ist ein Kinderspiel. Wir können sie uns jeden Tag mindestens zehn bis fünfzehn Mal bestätigen. Dazu brauchen wir nicht mehr zu tun als aufzupassen, was passiert. Haben wir aber die Gültigkeit der ersten beiden Wahrheiten nachgewiesen, dürfen wir annehmen, dass die dritte und die vierte ebenfalls stimmen. Wir haben eine Orientierungshilfe gefunden, etwas, womit wir arbeiten können. Mit der vierten Edlen Wahrheit, dem Edlen Achtfachen Pfad, haben wir ein gutes Werkzeug dafür gefunden. Wir können in uns zu Vollkommener Anschauung, der richtigen Sicht der Dinge gelangen.

Dukkha entsteht immer und immer wieder. Das Leiden wird nicht aufhören, sich zu manifestieren, bis nicht alle Gier, alles Wünschen, alles Sehnen erloschen sind. Mit dem Erlöschen alles Wünschens aber sind wir zu Arahats geworden, vollkommen erleuchtet. Warum wundern wir uns also noch darüber, wenn wir sehen, dass Leiden entsteht? Dies sollte uns wirklich nicht überraschen. Es ist töricht, sich davon überraschen zu lassen. Wir können uns höchstens darüber wundern, wenn absolut kein Dukkha festzustellen ist. Das ist wesentlich sinnvoller: »Meine Güte, in den letzten dreißig Minuten habe ich absolut kein Dukkha gespürt!« Das wäre wirklich bemerkenswert, eine echte Überraschung. Wer sich hingegen über das Auftauchen von Dukkha überrascht zeigt, beweist damit nur, dass er weder dem Buddha richtig zugehört noch wirklich in sich selbst hineingeschaut hat.

Also müssen wir Dukkha vorbehaltlos als gegeben akzeptieren, wenn wir uns innere Harmonie erschließen wollen. Wer mit Dukkha hadert, wird sich natürlich dagegen wehren und versuchen, sein Leiden abzuschütteln. Das wird dann die dringlichste Beschäftigung in seinem Leben. Wer das tut, zäumt das Pferd von hinten auf: »Ich will endlich mein Dukkha loswerden. Also muss ich irgendetwas ändern, verbessern. Ich muss meine Mitmenschen verändern, die Situation, meinen Tagesplan, meinen Körper und so weiter.« Das ist vergebliche Liebesmüh. Es funktioniert nicht. Wir können Dukkha auf diese Weise nicht loswerden. Was wir aber aufgeben können, ist unser Wünschen. Der Buddha hat gesagt, dass dies möglich ist.

An diesem Punkt in unserem Leben müssen wir seine Worte als erwiesen hinnehmen, weil offensichtlich ein Hoffnungsschimmer besteht, dass wir zumindest einige seiner Ausführungen schon jetzt nachprüfen können, ohne dass wir dafür bereits erleuchtet oder der Erleuchtung nahe sein müssten. Da wir einen Teil nachprüfen können, müssen wir den Rest auf Treu und Glauben akzeptieren und mit unserer Praxis auf seinen Wahrheitsgehalt untersuchen.

Wenn dann, wie es so seine Art ist, das nächste Mal Leiden auftaucht, Dukkha seinen Kopf hebt und euch anschaut, akzeptiert dies, und sagt euch: »So, so. Die Dinge laufen nicht nach Wunsch.« Macht euren Wunsch, euer Sehnen ausfindig und lasst sie los. Dukkha könnt ihr nicht loslassen, nur euer Wünschen. Je mehr Wünsche wir loslassen, desto größer die Harmonie. Wünsche stören fortwährend die Harmonie. Stellt euch vor, wir chanten zusammen, und eine fängt an zu brüllen und zu kreischen, nur weil sie gern mehr gehört werden möchte als die anderen. Daran ist nichts harmonisch, kein Einklang. Oder stellt euch vor, dass irgendjemand stets eine halbe Silbe voraus sein möchte. Das würde die Harmonie vollkommen zerreißen. Wünschen zerstört alle Harmonie.

Wollen wir im Herzen innerlich zufrieden sein, müssen wir begreifen, dass diese Zufriedenheit auf emotionaler Unabhängigkeit und auf liebevollem Wohlwollen beruht, darauf, dass wir Liebe und Anerkennung schenken, anstatt sie für uns haben zu wollen, dass wir die wechselseitige Abhängigkeit von Wünschen und Leiden verstehen und unser Wünschen loslassen. Das ist der Weg. Das ist die Lehre. Ich tue nichts anderes, als euch daran zu erinnern. Ich erzähle euch nichts Neues. Wir wissen im Grunde Bescheid. Es gibt ein fundamentales inneres Wissen. Wenn wir es dann ausgesprochen hören, denken wir: »Natürlich, das ist ja so wahr.« Aber dann vergessen wir es.

Warum vergessen wir? Was bringt uns das? Alle Welt vergisst. Wozu? Das Vergessen ist Teil der fortwährenden Ich-Identifizierung und Ich-Bestätigung. Der Geist beschäftigt sich unaufhörlich mit Gedanken, die um »ich«, »mein«, »für mich«, »das gehört mir« kreisen. Alle tun wir dies, und deswegen ist die Welt voller Missklänge, ein Ort der Disharmonie. Wir müssen in unserem eigenen Herzen Harmonie finden. Nur dort können wir sie entdecken. Niemand wird sie uns schenken und uns in die Hand drücken. Aber der Buddha hat uns zumindest Hilfen gegeben. Er hat Methoden gelehrt, mit denen wir diese Harmonie verwirklichen können: die Meditation über die Allgüte (mettā bhavana); das Verhalten, das sich an solcher Liebe und Allgüte (mettā) orientiert; die acht meditativen Vertiefungen (jhāna); und die Meditation des Überweltlichen Klarblicks (vipassanā). Dies alles sind Methoden, kein Selbstzweck. Sie führen zur Durchdringung, das heißt zu vollständigem Verstehen von Vergänglichkeit (anicca), Leidhaftigkeit (dukkha) und der Nicht-Existenz eines Wesenskerns, im Allgemeinen als Selbst- bzw. Ich-losigkeit (anattā) bezeichnet.

Mit diesem Verstehen gewinnen wir Einsicht in den permanenten Wandel und Umbruch aller Erscheinungen. Wir sehen, wie schnell sich Körper und Geist verändern, wie untrennbar das Leiden zum Leben gehört, ihm gewissermaßen inhärent ist, und wir erkennen darüber hinaus die Spiele des Ich, mit denen es uns fortwährend im Wege steht. Ohne »Ich« gibt es keine Schwierigkeiten. Schwierigkeiten kann es nur geben, wenn ein »Ich« existiert, das Schwierigkeiten hat. Wo wäre ohne »Ich« noch die Schwierigkeit? Je größer das »Ich«, desto größer die Schwierigkeit; je kleiner das »Ich« desto kleiner ist auch die Schwierigkeit.

Harmonie heißt, mit anderen wirklich zusammen sein. Es heißt aber auch, mit uns selbst zusammen sein, mit uns selbst in Einklang leben. Wir erschließen uns diese Harmonie, wenn wir zu menschlicher »Ganzwerdung« finden. »Heilig« kommt von »heil«, und »heil« heißt: nicht in Teile aufgespalten, also »ganz«. »Heilig« müssen wir nicht sein, aber »ganz«: in uns vollkommen.

Dies ist eine große Aufgabe, die einzige, die sich wirklich lohnt: ganz sein, zu wissen, dass uns nichts fehlt; dass es nichts gibt, das wir irgendwo »da draußen« finden müssten, um endlich unseren Frieden zu finden, um endlich zufrieden zu sein.

Sei dir selbst eine Insel

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