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III Miteinander sprechen

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Es ist eine große Hilfe, gelegentlich gar keine Gespräche zu führen, geistig still zu sein, oder generell weniger zu reden. Der Buddha hat sich häufig über die Rechte Rede geäußert. Die Rechte Rede ist ein Bestandteil des Edlen Achtfachen Pfades und der Fünf Tugendregeln; auch in der Lehrrede vom Großen Segen (Mahā Maṅgala Sutta) ist sie erwähnt. Dort steht ebenfalls etwas über freundliche und höfliche Worte. Der Buddha hat dem sprachlichen Ausdruck und Umgang sogar eine ganze Lehrrede gewidmet, die sogenannte »Darlegung der Freiheit von allem Widerstreit«. Er hat sich zu diesem Thema geäußert, weil er zeigen wollte, dass Rede zu Kontroversen und Auseinandersetzungen führt, sobald wir nicht den richtigen Gebrauch von ihr machen.

Die meisten Menschen glauben, dass sie schon allein deswegen die Rechte Rede beherrschen, weil sie von ihrem Mundwerk Gebrauch machen können. Das ist ein Irrtum. Rechte Rede ist eine Kunst. Sie will gelernt sein. Und wie jede andere Fertigkeit oder Kunst kann jeder sie lernen, wenn er sich nur darum bemüht.

Rechte Rede hängt von unseren Denkprozessen ab. Damit nicht genug: Sie ist auch von unseren emotionalen Reaktionen abhängig, Wut zum Beispiel oder Zorn. Wer sich von seinem Zorn mitreißen lässt, wird in diesem besonderen Augenblick kaum die Rechte Rede beherrschen. Unsere Emotionen kommen in unserer Art zu reden zum Vorschein. Wer sich selbst wichtig nimmt, das heißt der typischen Ich-Verstärkung unterliegt, wird recht geschwollen daherreden. Wir müssen auf unsere Emotionen nicht weniger achten als auf unsere Gedanken. Allein ein Arahat, ein vollkommen Erleuchteter, wird die Rechte Rede in jeder Situation beherrschen. Das hält uns allerdings nicht davon ab, diese Vollkommenheit so gut wie möglich zu üben und zu erlernen.

Wir sollten niemandem schmeicheln und keine honigsüßen Worte benutzen. Das klingt falsch und ist es auch. Allerdings gibt es genug Menschen, die so sprechen. Vielleicht kennt ihr jemanden, der dies tut. Er ist leicht zu erkennen, denn er hat immer eine übertrieben liebenswürdige und beipflichtende Antwort parat. Er gibt sich alle Mühe, freundlich zu klingen. Was er sagt, ist nur nicht ganz glaubwürdig. Irgendetwas klingt falsch.

Interessant und bemerkenswert ist auch, dass die Sprache nur sieben Prozent unserer Kommunikation ausmacht, obwohl sie unserer Meinung nach doch unser Hauptkommunikationsmittel darstellt.

Ich habe dies von einer Frau gehört, die »Kommunikation« lehrt. Schon das allein sagt sehr viel über uns aus. Ihre Geschäfte laufen prächtig, ihre Workshops sind gut besucht. Das bedeutet doch, dass die Menschen nicht wissen, wie sie miteinander reden sollen, besonders wenn sie eng zusammenleben.

Aber es passiert wesentlich mehr zwischen uns als diese sieben Prozent verbale Kommunikation. 93 Prozent unserer Kommunikation sind nonverbal. Was bedeutet, dass wir unsere Gedanken und Emotionen sehr sorgfältig beobachten müssen. Unsere Gedanken und Emotionen bleiben nicht verborgen. Sie sind kein Geheimnis. Wir mögen uns zwar einreden, wir könnten es uns erlauben, zu denken und zu fühlen, was wir wollen. Wenn wir nicht darüber sprechen, wird die Umwelt auch nichts davon merken, so meinen wir. Dem ist leider nicht so. Das ist ein Irrtum.

Unsere Gedanken und Emotionen sind ein offenes Buch für jeden, der über ein kleines Maß an Bewusstheit verfügt. Wollen wir hoffen, dass wir hier alle über dieses Maß an Bewusstheit verfügen, schließlich meditieren wir ja schon seit einiger Zeit. Wir reagieren nicht allein auf die Worte, sondern auch auf die Gefühle, die sich dahinter verbergen. Und daraus können eine Menge Missverständnisse entstehen. Jemand sagt etwas. Ihm selbst ist vollkommen klar, was er damit meint. Sein Gesprächspartner hingegen fängt die damit vermischten Emotionen auf und versteht infolgedessen etwas ganz anderes. Bei einem Gespräch lassen sich solche Missverständnisse theoretisch sehr leicht ausbügeln. Man braucht nur zu fragen, was eigentlich gemeint war. Aber die Menschen fragen nicht genug. Sie verstehen etwas falsch und bleiben auf diesem Missverständnis sitzen. Daraus erwachsen Kälte und Gleichgültigkeit.

Hinter jedem Wort stehen Gefühle. Körpersprache untermalt jedes Wort. Jeder hat eine ganz eigene Körpersprache. Es gibt keinen Menschen, der in dieser Hinsicht genau dieselbe Sprache sprechen würde wie ein anderer. Wir können der Körpersprache sehr viel entnehmen. Wir müssen nur darauf achten: auf den Gesichtsausdruck, auf die Stimmfärbung und so weiter.

Worte und sprachlicher Ausdruck sind begrenzt. Eintausend Wörter reichen aus, um eine Zeitung in einer fremden Sprache zu lesen; jede beliebige Zeitung in jeder beliebigen Sprache. Eintausend Worte sind nicht sehr viel. Mehr brauchen wir nicht, um uns auszudrücken, im Allgemeinen sogar eher weniger. Worte sind also nicht gerade ein besonders subtiles Kommunikationsmittel. Ihre Feinheiten bleiben uns verschlossen, weil wir nicht über den Wortschatz verfügen, der notwendig wäre, um uns allein mit Worten verständlich zu machen. Niemand erwartet, dass seine Worte genügen, um ihn zu verstehen. Niemand reagiert nur auf Worte.

Die Sprache ist so ungeheuer wichtig, weil wir durch sie miteinander in Beziehung treten. Wohlgemerkt, Sprache in dem vielschichtigen Sinn, den wir gerade herausgearbeitet haben.

Wenn Menschen zusammenleben, müssen sie sich verbunden fühlen und entsprechend verhalten. Das Gemeinschaftsleben stellt gewisse Anforderungen. Zu beachten ist, dass wir uns nicht ein paar Menschen herauspicken, mit denen wir innigeren Kontakt pflegen. Wir müssen diese Art von Kontakt mit jedem Mitglied der Gemeinschaft pflegen.

Oft wählen wir uns aus einem Dutzend Leuten eine oder zwei oder drei Personen aus, auf die wir uns näher einlassen und sagen uns: »Das sind wohl die Besten. Mit ihnen scheine ich gut auszukommen, also halte ich mich auch an sie. Über die anderen will ich einfach hinwegsehen. Ich werde nicht gemein zu ihnen sein, aber ich werde auch nicht viel mit ihnen reden.« Das ist keine gemeinschaftsförderliche Art des Gruppenumgangs. Gemeinschaft heißt: alle zusammen. Jedes Mitglied der Gemeinschaft hat die Pflicht und das Privileg zu lernen, mit jedem anderen Mitglied der Gemeinschaft gesunde und mitmenschliche Beziehungen zu pflegen.

Wie nun können wir diese Beziehungen gesund, zu einem Erfolg machen? Wie können wir miteinander umgehen, dass keine oder zumindest so selten wie möglich Missverständnisse auftreten? Wie sollten wir uns verhalten, dass wir an unserem Zusammensein Freude haben?

Die Lehrrede von der Liebenden Güte (Karaṇīya Mettā Sutta) gibt uns einen Hinweis. Es beschreibt den Heilssucher als einen Menschen, der leicht ansprechbar ist. Habt ihr schon einmal darüber nachgedacht, was dies bedeutet? Leicht ansprechbar ist der Mensch, der seinen eigenen Standpunkt bereitwillig aufgibt und sich in die Lage des anderen hineinversetzen kann. Mit diesem Menschen kann man reden. Er wird auch bereit und fähig sein, jederzeit zuzugeben, dass er einen Fehler gemacht hat, und diesen Fehler ehrlich bedauern. Wenn er sagt, dass ihm etwas leid tut, meint er es auch. Außerdem wird er auf Vorhaltungen nicht gleich aufbrausend antworten, sondern erst einmal zuhören.

Wer leicht ansprechbar ist, kann wirklich hinhören. Wenn wir angesprochen werden, müssen wir hinhören, was man uns sagt. Wir müssen zuhören. Zuhören und bloß hören sind jedoch nicht ein und dasselbe. Ich sage zu dir oder zu dir oder zu dir: »Du hörst mir nicht zu!« Du antwortest: »Oh, ich höre schon, was du mir sagen willst.« Bemerkt ihr den Unterschied? Es ist nicht dasselbe »Hören« gemeint. Natürlich hören wir irgendetwas. Klangschwingungen rauschen durch unsere Ohrmuscheln. Aber das ist noch kein Zuhören. Zuhören ist etwas ganz anderes.

Wenn zwei Menschen miteinander sprechen, sollten sie einander zuhören. Zuhören heißt, dass wir das Gesagte so aufnehmen, wie es tatsächlich gesagt wird, anstatt sogleich unseren eigenen Kommentar dazu zu vernehmen. Das ist überhaupt einer der schlimmsten Verstöße gegen das Zuhören, besonders wenn wir uns an sich für einen guten Zuhörer halten. Zuhören heißt, dass wir vollkommen leer sind, und vielleicht noch, dass wir, wenn notwendig, einfühlsam auf das Gehörte reagieren. Aber zuweilen ist nicht einmal dies nötig. Zuweilen müssen wir das Gesagte nur auf uns wirken lassen. Wie die Rechte Rede ist auch das Zuhören eine besondere Fertigkeit, ja eine Kunst.

Es geht nicht allein darum zu hören, was uns geschildert wird. Wir müssen ganz und gar bei dem anderen Menschen sein, uns ihm vorbehaltlos öffnen. Das ist ein wichtiger Aspekt von Mitgefühl. Vollkommenes Zuhören ist Mitgefühl. Wir legen uns dann nicht unsere eigene Interpretation zurecht. Der andere möchte uns etwas sagen. In diesem Augenblick zählt das Geschwätz unseres eigenen Geistes überhaupt nicht. Wir sollten es abstellen und stattdessen bei dem anderen sein. Wir sollten zulassen, was in ihm nach Ausdruck drängt. Das ist Liebe. Allgüte. Auch was wir selbst sagen werden, muss zwangsläufig Misstöne enthalten und Unstimmigkeiten hervorrufen, wenn unsere Rede nicht von Liebe erfüllt, von Liebe getragen ist. Das wird immer wieder passieren.

Wir haben vorhin bereits die »Darlegung der Freiheit von allem Widerstreit« erwähnt. Darin sagt der Buddha sehr viel über die rechte Art zu reden. Zum Beispiel, dass wir nicht übertreiben aber auch nicht untertreiben sollten. Beides fällt in den Bereich der Lüge.

Nehmen wir einmal an, 1.500 Menschen hätten sich hier zu einer Zeremonie versammelt, und wir behaupten, es wären 15.000 gewesen, weil wir uns damit wichtigmachen wollen. Das mag absurd klingen, aber die Menschen sagen viele solcher absurden Dinge. Und sie sind gar nicht glücklich, wenn man sie darauf aufmerksam macht. Klingen Übertreibungen und Beschönigungen nicht so viel besser und wichtiger als Tatsachen?

Untertreibungen und Geringschätzungen sind ebenfalls unsauber. Nehmen wir an, ihr sagt zu einem anderen Mitglied unserer Gemeinschaft: »Du grüßt mich morgens nie als Erste. Immer wartest du darauf, dass ich dich grüße.« Vielleicht grüßt sie euch tatsächlich selten zuerst. Aber niemals? Das ist untertrieben. Es ist einfach nicht wahr. Was heißt das? Nun, es heißt, dass wir darauf achten müssen, was wir sagen. Wir müssen uns unsere Worte überlegen. Sprudeln sie einfach nur impulsiv aus uns heraus, mögen sie zwar trotzdem stimmen, aber sie können auch falsch sein. Die Chancen stehen fünfzig zu fünfzig. Vermeidet dieses Risiko. Ihr habt genug Zeit nachzudenken.

In bestimmten Situationen kommen wir nicht daran vorbei, einem anderen Menschen zu sagen, was zu tun oder was zu unterlassen ist. Zum Beispiel: »Ich kann bei geschlossenem (oder offenem) Fenster nicht schlafen.« Manchmal müssen wir auch unser Missfallen bekunden: »Du trittst mir auf den Zehen herum. Das tut mir weh«, oder was wir uns dergleichen sonst noch zu sagen haben. Das ist vollkommen in Ordnung, nur: Nehmt euch Zeit! Lasst es nicht impulsiv aus euch herausplatzen. Nehmt euch die Zeit, alle Emotionen abkühlen zu lassen. Findet zuerst euren Gleichmut. Seid ihr dann zur Ruhe gekommen, erinnert ihr euch an die vielen guten Seiten des Menschen, den ihr gleich ansprechen werdet, oder zumindest an eine gute Eigenschaft. Ihr könnt dann ganz ungezwungen auf ihn zugehen und sagen, was ihr auf dem Herzen habt. Das ist nun ganz leicht, denn ihr tut es wohlwollend, mit Liebe.

Steht hingegen keine Liebe hinter euren Worten, muss eure Bemühung um Verständigung zwangsläufig scheitern. Ihr stoßt dann nur auf Ablehnung und erntet Missverständnis. »Ich verstehe wirklich nicht, was du mir damit sagen willst«, ist noch die sanfteste Antwort, mit der ihr in diesem Fall zu rechnen habt. In den meisten Fällen wird man euch nur eisige Ablehnung fühlen lassen. Ihr seid nicht nur verletzt worden, man hat euch außerdem beleidigt. Ihr wolltet eine negative Situation bereinigen und habt bei dem Versuch, dies zu tun, eine zweite negative Reaktion einstecken müssen.

Achtsamkeit und klares Verständnis sind unbedingt erforderlich, je mehr davon, desto besser. Klares Verständnis ist das Gegenteil von Verworrenheit. Und natürlich müssen wir diese Klarheit im Alltag und in der Meditation schulen. Gewöhnlich benutzen wir nur einen kleinen Bruchteil der uns verfügbaren Zeit für diese Schulung.

In seiner »Darlegung der Freiheit von allem Widerstreit« gebraucht der Buddha eine außerordentlich hilfreiche Formulierung. Er sagt dort: »Sage nicht, was du sagen willst, wenn es verletzend sein könnte und obendrein unwahr ist. Auch wenn du etwas sagen möchtest, dass zwar hilfreich, aber leider unwahr ist, solltest du es besser nicht sagen. Hast du etwas als wahr erkannt, so sprich es trotzdem nicht aus, wenn es verletzt. Und selbst wenn du etwas erkannt hast, das hilfreich und wahr zugleich ist, solltest du den rechten Moment abwarten, bevor du es sagst.« – Der richtige Moment kann in zehn Minuten gekommen sein – oder zehn Tage, zehn Monate später.

Es gibt Augenblicke, da weiß man einfach, dass der andere gerade mitten in einem Prozess innerer Veränderung steckt, zumindest hat man den Eindruck. In dieser Situation sagt man wahrscheinlich am besten gar nichts. Irgendetwas stimmt bei uns allen nicht. Wir können nicht jede Kleinigkeit erwähnen. Das ist unmöglich. Wir würden nie mehr aus dem Reden herauskommen. Gewisse Dinge müssen jedoch gesagt werden, zumindest manchmal. In einem anderen Moment ist es dann besser, gar nichts zu sagen. Warum auch? Was jetzt ist, wird ohnehin bald anders sein. Alles wandelt sich.

Trotzdem: Man kann jedem Menschen sagen, was man ihm sagen möchte, vorausgesetzt, es ist hilfreich, vorausgesetzt, es ist wahr. Es muss nicht unbedingt anerkennend oder übermäßig verständnisvoll sein. Aber es muss Liebe dahinter stehen, und es muss im richtigen Augenblick gesagt werden. Dieser ist gekommen, wenn der andere wirklich hinhören kann, weil er innerlich ruhig ist, wenn er uns zu erkennen gegeben hat, dass er uns zuhören wird, und wenn wir selbst vollkommen ruhig sind. In keinem Fall ist der richtige Augenblick für ein Wort der Klarstellung gekommen, wenn noch Ärger in der Luft hängt, weil dieser oder jener Fehler gemacht, dieses oder jenes versäumt wurde. Dies bedeutet, dass wir uns fortwährend prüfen müssen. Warum sage ich das? Muss ich es unbedingt sagen? Was wird daraus entstehen?

Wir werden vorsichtig, und unsere Vorsicht schenkt uns Umsicht. Wir sprechen überlegt, anstatt aufs Geratewohl daherzureden, noch dazu Unwesentliches. Bis wir die Fertigkeit der besonnenen Rede endlich erworben haben, werden wir von einer Ungelegenheit in die nächste stolpern; und wir werden weiterhin Unwesentliches sagen. Das Leben braucht jedoch keine Serie von Pannen zu sein. Das Leben kann sich vollkommen überlegen und besonnen vor uns entfalten, Schritt für Schritt, den ganzen Tag.

Allerdings können wir uns für unsere Rede keinen Tagesplan entwerfen wie für die übrigen Tätigkeiten. Ihr müsst auf der Stelle bestimmen, wann der richtige Augenblick für euch gekommen ist, etwas zu sagen. Daran kommt keiner vorbei. Deswegen ist es außerordentlich wichtig, dass wir immer daran denken, was falsche Rede ausmacht und wie viel Zeit wir mit Reden verbringen, ja vergeuden.

Nun gut, wir können immerhin die Stunden abziehen, die wir schlafen. Dann reden wir ja nicht. Die Meditationszeiten können wir jedoch nicht abziehen, denn die meisten Menschen reden beim Meditieren permanent mit sich selbst. Das heißt, mit Ausnahme der Schlafenszeit und der wenigen Augenblicke völliger Sammlung und Achtsamkeit, rasseln und purzeln die Wörter in uns herum und aus uns heraus. Pausenlos sind wir mit innerer und äußerer Rede beschäftigt, mindestens achtzehn Stunden am Tag. Offensichtlich also erwerben wir uns eine wichtige Fähigkeit, wenn wir endlich erkennen, wie viel Zeit wir mit Reden verbringen.

Leider können wir uns diese Fähigkeit nicht so leicht aneignen, wie wir vielleicht meinen. Es geht ja nicht nur darum, freundlich und liebenswürdig zu sein. Das ist wirklich nicht alles. Achtet deswegen auf eure Motive, wenn ihr jemandem etwas Schönes sagen wollt. Fragt euch: »Warum will ich dies sagen?« Ihr habt einen Grund. Untersucht ihn: »Welche Absichten verfolge ich? Oder will ich mir nur selbst einen Gefallen tun?«

Ihr wisst, welches Motiv nützlich ist. Niemand braucht dies zu erklären. Sagt also, was ihr sagen wollt, wenn es euch darum geht, dass der andere sich wohlfühlt. Wenn ihr aber nur euch selbst einen Gefallen tun wollt, solltet ihr von eurem Vorhaben Abstand nehmen und besser nichts sagen. Untersucht eure Motive. Sprecht ihr, um euch selbst zu gefallen, so ist eure Rede weder besonnen noch überlegt. Im Gegenteil: Sie ist impulsiv, instinktiv. Üben wir uns nicht in besonnener, überlegter Rede, werden die Worte stets impulsiv und instinktiv aus uns herausplatzen, besonders in Stresssituationen, auch schon bei geringstem äußeren Druck.

Freundliche Worte sind nicht allzu schwer zu finden, wenn wir nicht mehr tun, als die Freundlichkeiten zu erwidern, die man uns entgegenbringt. Viel wichtiger und bedeutsamer ist jedoch, dass wir die Energie aufbringen und uns dazu aufraffen, unsere Rede insgesamt, was wir auch sagen, zu einem wertvollen Beitrag zu machen. Das ist ungeheuer wichtig, und deswegen müssen wir es üben – tagein, tagaus. Schließlich reden wir ja auch immerfort, zu jeder Tages- und Nachtzeit.

Nehmt eure Rede nicht einfach als gegeben hin. Für die Rede gilt dasselbe wie für alle anderen Tätigkeiten auch. Solange ihr nicht überlegt handelt, werdet ihr immer wieder in irgendwelche Fallgruben stolpern. Eure Rede wird immer wieder alles andere als vollkommen sein. Sie wird euch viel Grund zur Reue geben. Habt ihr im Laufe des Tages etwas gesagt, das ihr später bedauert, seid ihr nicht achtsam, nicht besonnen genug gewesen.

Befragt euch vor dem Einschlafen selbst über euren Tag. Fragt euch: »Wie viel Gutes ist von mir ausgegangen, wie viel positive Energie? Und wie viel negativen Einfluss habe ich ausgeübt?« Dies ist sinnvoller, als über die Hitze, die Moskitos oder über eure Müdigkeit nachzudenken.

»Wie oft habe ich eine der Fünf Hindernisse gezeigt? Wie oft mein Denken und Tun davon bestimmen lassen? Wie häufig habe ich sinnliche Wünsche, Bösartigkeit, Faulheit und Stumpfsinn, Unrast und Besorgtheit, wie häufig Zweifel und Skepsis gezeigt? Was kann ich tun, damit diese Fesseln mein Leben von nun an weniger bestimmen? Wie kann ich mehr Liebe zeigen und mehr Mitgefühl? Wie kann ich mich mit den anderen freuen, wenn sie sich freuen? Wie kann ich Ausgeglichenheit, Gleichgewicht finden?«

Zieht abends Bilanz. Nur Bilanz – kein Urteil, keine Selbstbeschuldigungen. Ihr erkennt, was im Laufe des Tages alles geschehen ist, und ihr erkennt es an, leugnet es nicht. Aber ihr verurteilt euch nicht dafür. Erkenntnis und Wandel, das altbewährte Erfolgsrezept: Zuerst nehmt ihr zur Kenntnis, was da ist. Dann verändert ihr es. Wenn ihr nicht nach euren Erkenntnissen handelt, passiert natürlich gar nichts. Aber trotzdem hängt alles vom ersten Schritt ab: Selbstbeobachtung. Wir müssen als Erstes sehen und überdenken, wie sich unser tägliches Leben abspielt.

Wenn ihr dies am Abend nach einem arbeitsreichen Tag wirklich macht, werdet ihr feststellen, dass einige eurer Worte alles andere als zweckdienlich und hilfreich waren. Vergegenwärtigt euch dies rückschauend, und sagt euch: »Was ich da und dort gesagt habe, war nicht zweckdienlich. Morgen will ich es besser machen.«

Vergesst nicht, die Beweggründe für euer Tun zu untersuchen. Wer seine Hilfe um jeden Preis aufdrängt, bewirkt nichts Gutes, ganz gleich, wo er es auch versucht. Alle guten Taten müssen zuerst im eigenen Herzen reifen, damit sie auch von Herzen kommen können. Nur dann bewirken sie Gutes.

Ihr könnt nicht etwas verschenken, das ihr selbst nicht besitzt. Niemand kann das. Ist das Herz offen und frei, wird sich Gutes daraus entfalten. Ein reines Herz strahlt Reinheit aus. Ein von Liebe erfülltes Herz strahlt Liebe aus, ganz unabhängig von den Worten, die gesprochen werden. Ihr braucht euch nicht einmal um besonders liebevolle und entgegenkommende Worte zu bemühen, wenn euer Herz liebt. Man wird in jedem Fall die Liebe spüren, die hinter euren Worten steht. Liebevolle Rede ist also keine Frage der Wortwahl, sondern einzig und allein eine Frage des Gefühls hinter den Worten.

Solange wir uns nicht immer und immer wieder darum bemüht haben, die Beweggründe, das Motiv für unsere Äußerungen aufzudecken, sind Unebenheiten in der Rede ebenso wenig zu vermeiden wie unwesentliches Geschwätz und Worte, die zu Konflikten reizen. Diese Ausrutscher liegen beständig auf der Lauer, um dem Geist zu schaden. Und unsere Meditation wird darunter leiden, ob wir dies wollen oder nicht. Wer ist nun der Leidtragende? Wir selbst. Unter den Folgen falscher Rede leidet stets nur der, der sich zu falscher Rede hinreißen lässt.

Rede ist wichtig, ungeheuer wichtig, so wichtig, dass der Buddha seinen siebenjährigen Sohn lang und breit darüber belehrte. Er tat dies nach der siegreichen Rückkehr von der Suche nach Erleuchtung.

Bei dieser Gelegenheit sah der Buddha seinen Sohn überhaupt zum ersten Mal, denn das Kind war in der Nacht geboren, in der der damalige Prinz Siddhartha den Palast seines Vaters verlassen hatte. Bei seinem ersten Zusammentreffen mit seinem Sohn Rahula belehrte er diesen also über die rechte Art zu reden, zum Beispiel nicht zu lügen. Das ist sehr wichtig für ein Kind. In seinen Erklärungen betonte der Buddha, dass aus falscher Rede alle anderen unrechten Dinge entstehen.

Unsere Worte müssen nicht unbedingt kränken oder beleidigen, um falsche Rede zu sein. Es reicht, dass sie unfreundlich sind oder sarkastisch. Es reicht, dass wir einen Scherz machen, der die Fehler oder das Versagen eines anderen Menschen brandmarkt. Selbstbeglückwünschungen sind ebenfalls falsche Rede, wie überhaupt alle Worte, mit denen wir uns nur selbst bestätigen wollen. Wir können diese Fehler nur abstreifen, wenn wir bereit sind, uns zu beobachten und zu ändern, wenn wir immer wieder genau überprüfen, was wir eigentlich sagen.

Der Buddha ist sehr häufig auf rechte oder falsche Rede eingegangen. Aus gutem Grund. Damals wie heute haben die Menschen große Schwierigkeiten damit. Unseren zwischenmenschlichen Kontakten fehlt es zumeist an Wärme. Es fehlt das Herz. Und dies liegt nicht an dem, was wir sagen. Es liegt an dem, was wir fühlen, und daran, wie wir infolgedessen sprechen.

Deswegen lautet unsere Aufgabe, vorbehaltlose Liebe in uns zu erwecken – eine Liebe, die nicht davon abhängt, ob die anderen liebenswert und liebenswürdig sind oder nicht. Nur ein vollkommen Erleuchteter, ein Arahat, ist auch vollkommen liebenswert. Alle anderen Wesen haben Fehler, haben Mängel, haben dunkle Flecken, sind mit Makeln behaftet. Wir vergeuden unsere Zeit und Energie, wenn wir über die Fehler anderer Menschen nachdenken. Das führt zu nichts. Nur unsere eigenen Makel und Fehler sind interessant für uns. Es sind die gleichen wie bei den anderen, nur die Zusammensetzung ist individuell verschieden.

Wer seine Rede nicht wie eine Kunst pflegt, an ihr feilt, bis sie die richtige Wirkung zeigt und keine unangenehmen, negativen Echos mehr hervorruft, der hat auch Buddhas Worte noch nicht so gehört, wie sie gemeint sind.

Rechte Rede bedeutet, dass wir nicht lügen, dass wir nicht verleumderisch über andere herziehen, dass wir nicht unfreundlich sind und nicht beleidigend, dass wir nicht klatschen und tratschen, dass wir die Menschen nicht gegeneinander ausspielen. Fehlt eines dieser Elemente, ist unsere Rede auch nicht vollkommen. Alle gehören sie dazu. Sie sind ein wichtiger Aspekt der Lehre. Wir dürfen ihn niemals übersehen.

Sei dir selbst eine Insel

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