Читать книгу die gekachelte Sonne - B. Born - Страница 2

Оглавление

1 Buch 1

2 Stadt ohne Licht

Die ersten Jahre in Berlin waren öde und relativ einsam. Bis Peter im Spätsommer 1987 zu einem Konzert ging. Es schien nur ein weiteres Konzert zu sein, wie all die vielen vorherigen. Vor der Hauptband spielte ein einzelner Gitarrist mit fitzigem Haar. Er bearbeitete seine E-Gitarre, ganz vorne am Rand der Bühne stehend und krächzte in das Mikrophon, das höher als er selbst eingestellt war, so dass er sich beim Singen auf die Zehenspitzen stellen musste. Da Peter keine Verbindung zwischen dem Gesang und dem Lärm der Gitarre erkennen konnte, schlängelte er sich in die Vorhalle und kaufte genervt an einem Stand, bei dem man eine Tischdecke über einen Tapetentisch geworfenen hatte, ein neues Bier in einem Plastikbecher.

Als der Alleinunterhalter endlich zum Ende kam, begleitet von den Pfiffen derer, die mit zwei Fingern pfeifen konnten und dünnem höflichen Geklatsche vereinzelter anderer, erhellte warmes, gelbes Licht aus einem Kronleuchter mit bestimmt hundert Kerzenglühbirnen den Saal. Der Umbau für die Hauptgruppe begann. Alle jüngeren Männer, wie auch Peter trugen eine schwarze Jeans, Armeestiefel und eine schwarze Militärjacke und sahen sich um. Peter erspähte kein bekanntes Gesicht in der Menge. Manche hatten kultig, aufgebretzelte Freundinnen mitgebracht. Voll war es eigentlich auch nicht. Die Berliner Szene interessierte sich vielleicht nicht für New Yorker Undergroundmusik oder nicht für diese Band oder keiner kannte das ‚Esplanade‘ am Potsdamer Platz.

Als das Licht des Kronleuchters wieder herunter gedimmt wurde, blieb ein oranger Schimmer. Die Band kam von rechts auf die knarrende Holzbühne gelaufen und griff nach den Instrumenten. Die Gitarren traten in eine Art Dialog. Eine Frau in einem schlichten hellen Kleid trat auf die Bühne und sang. Sie wirkte schüchtern und stark zugleich. Sie sang etwas falsch. Das Schlagzeug und der Bass setzten ein und die Gitarren schwollen an. Es wurde sehr laut. Die Gitarristen erzeugten ein Lärmfeld. Rückkopplungen und hohe, feine Melodien, fast Kindermelodien mixten sich zusammen. Aber auf dem Lärmteppich entstand eine andere, zweite Ebene. Man hörte etwas, was nicht gespielt wurde, eine Art transzendentaler Melodie. Peters Herz schlug heftiger. Es packte seinen Körper und verbreitete sich angenehm, verwandelte jede Zelle in Musik. Seine Hände sanken herab. Der leere Plastikbecher fiel einfach hinunter. Er heulte los, vor Glück und weil er dieses Erlebnis mit jemanden teilen wollte. Er glaubte, es würde ihn zerreißen.

Nach dem Konzert wankte er desorientiert durch die Straßen. So etwas wollte er unter allen Umständen öfter erleben. Um das zu schaffen, wollte er selbst Musik machen. Solche Musik. Die Frische der Nacht fraß sich in seine Jacke. Es regnete heftig. Das Konzertpublikum rannte in alle Richtungen auseinander, an den Mauern entlang, hielt sich etwas über die Köpfe. In der nächsten Straße: Scheinwerfer, Autogehupe, Gedränge bei den Kebabfritzen. Dreck weiße Taxis preschten voran. Gelbes und rotes Licht zerteilte sich auf Peters Nickelbrille zu Sternen. Also nahm er sie ab und sah hoch, blinzelte, da die Regentropfen seine Augen trafen. Die Wolken spiegelten das Licht der Straßen und glühten ihrerseits gelborange. In seiner Kurzsichtigkeit war die Stadt reines Licht. Das, was außerhalb lag, war das Nichts, unfassbar und nicht existent. Einige Prostituierte warteten quarzend den Schauer in einem Hauseingang ab.

Er trat in das Neonlicht der U-Bahnstation, hasste die dreckigen Kacheln, den Rotz, die Kippen, die Reklametafeln, aber auch die Leute, die vergnügt aussahen und die sich amüsierten. Wenn sie auf demselben Konzert gewesen waren, hatten sie die Musik nicht verstanden und hatten die verborgene Kraft nicht gespürt.

Mit der flachen Hand strich er sich den Regen aus den Haarstoppeln. Das Wasser spritzte auf die Fußbodenfliesen. In der Bahn auf einem Sitz legte er den Kopf nach hinten und schloss die Augen. Gedanklich veränderte er sein Leben. Er machte endgültig Schluss mit Beate, studierte eifrig und malte wie ein Besessener. Und gründete eine Band. Dafür wollte er alles andere vernachlässigen.

Am nächsten Morgen sprang er im Bett auf und schrie vor Schmerz. Er hatte tief geschlafen und Beates Kater hatte seine Zähne in seinen Arm gerammt. Er rannte umher, der Kater hing an seinem Arm. Aus vollem Halse schreiend, trat er barfuß eine Bierdose und ein Glas um. Dabei schlug er mit der flachen Hand den Rücken des Tieres: „Hau ab! Hau ab, du Mistvieh!“

Bevor der Kater endlich losließ, kratzte er noch einmal mit aller Kraft über seine Hand, hüpfte mit einem Buckel seitwärts durch das Zimmer, fauchte und als Peter nach ihm trat, fegte er los in Richtung Küche.

„Hey!“ schrie Beate beleidigt, die durch den Krach erwacht war. Sie setzte sich auf und lehnte sich gegen die Wand.

„Dein Mistkater hat mich wieder zerfleischt! Sieh dir an, was er gemacht hat!“ Peter beeilte sich ein Papiertaschentuch zu finden und legte es auf den blutenden Rinnsal.

„Er ist eifersüchtig“, sagte Beate. Durch ihr hellblaues T-Shirt zeichneten sich ihre Nippel ab. „Scheiß auf diesen Quatsch! Das ist ein neurotisches Mistvieh.“

Prompt kam er zurück, wetzte zufrieden seine Krallen am Teppich, der an manchen Stellen schon ganz buschig war.

„Außerdem stinkt er aus dem Maul und es ist die einzige Katze auf der Welt mit Käsefüßen“, schimpfte Peter weiter.

„Was soll ich deiner Meinung nach also machen? Ihn zurück ins Tierheim bringen?“

„Genau“, sagte Peter leise.

„Das kann ja wohl nicht dein Ernst sein!“ legte Beate los. „Tiere sind wesentlich freundlicher als Menschen. Und dankbarer! Mit Katzen verstehe ich mich besser, als mit allen anderen auf der Welt. Besser als mit dir sowieso!“ Sie drehte sich zur Wand.

Peter ging genervt die weinrot gestrichenen Holzdielen entlang zur Toilette. Während er urinierte kam der Atem in Wolken aus seinem Mund. Er besah sich die sauber gestrichenen weißen Wände und stöhnte über die Arbeit, die er damit gehabt hatte. Nichts war mehr davon zu sehen, dass die Wohnung, als Beate sie übernommen hatte, ausgebrannt gewesen war. Nichts mehr von der eingezogenen Zwischendecke, die er hatte herausreißen müssen, nichts von all dem Ruß, von den Asbestplatten. Und dabei hatte er nie gewollt, dass Beate nach Berlin nachkommt. Im Gegenteil, er hatte sich vorgestellt, dass sie ihre verkorkste Beziehung beenden könnten, ohne extra Schluss machen zu müssen, einfach durch Entfernung.

Er ging in die Küche und setzte Wasser für Tee auf.

„Alles ist total vertrackt“, fluchte er laut.

„Hau doch ab, wenn’s dir hier nicht passt“, schrie Beate aus dem Schlafzimmer. Unmöglich, dass sie ihn gehört hatte.

„Kann ich ja gar nicht!“ schrie er zurück. „Wer hat mir denn die Wichser aufgehalst, die sich in meiner Wohnung einnisten? Wer weiß, wie lange ich sie noch am Hals habe! Du weißt doch, wie schwer es ist, eine leere Wohnung zu finden.“ Er tat einige Schritte in Richtung Schlafzimmer, damit sie ihn auch verstünde und zeterte: „Wieso können die eigentlich nicht bei Ramona wohnen und Ramona wohnt hier bei dir? Schließlich wollte die ihnen unbedingt helfen.“

„Sie will halt nicht, dass ihr Ex mit seiner neuen Freundin bei ihr wohnt. Das hab‘ ich dir doch schon tausendmal erklärt. Den Gedanken, dass die dann in ihrer Wohnung Sex haben, findet sie total eklig und das kann ich gut verstehen“, rief Beate. Ihr Ton war nun etwas versöhnlicher. „Außerdem hängst du ja sowieso nur bei mir rum. Was macht das also?“

„Was? Wir hatten uns fast zwei Monate nicht gesehen! Bis du angerufen hast. Du wolltest unbedingt die beiden bei mir einquartieren und ich Depp habe mich weichklopfen lassen“, sagte er. Sie hatte leichtes Spiel gehabt. Sie hatte ihn zu einem Punkkonzert eingeladen. Sie hatten sich betrunken und sie hatte ihn abgeschleppt. Am nächsten Morgen hatte er sich in seiner alten, ätzenden Beziehung wiedergefunden: Anöden und gegenseitiges Runterziehen.

Er trug ein Tablett, mit Tee und zwei Tassen ins Schlafzimmer.

„Gerade war es mir gelungen, ein Leben ohne dich zu führen“, sagte er gequält und stellte das Tablett auf den Teppich. Beate lachte sarkastisch auf. Das traf ihn hart, denn es bestätigte, dass er nur auf sie hereingefallen war. Verbittert beobachtete er, wie sie gleichgültig ihre hennaroten Haare bürstete.

„Ich geh‘ jetzt rüber und schmeiß' sie raus“, sagte er.

„Das machst du nicht! Du bist doch nur sauer, weil zwischen uns nichts läuft“, entgegnete sie.

„Und wenn schon.“

„Kannst ja nebenan auf dem Boden schlafen, keiner zwingt dich bei mir zu liegen“, zischte sie. So schnell er konnte, zog er sich an und knallte die Haustür beim Rausgehen.

Er rannte über den Hof und hetzte im Treppenhaus schräg gegenüber die mit rotbraunem Linoleum beklebte Treppe hoch in den vierten Stock. Er hatte einen der orange schimmernden Lichtschalter gedrückt und die weißlichen Glasschalenlampen ließen den Boden wie getrocknetes Blut erscheinen. Er klopfte leicht mit dem Schlüssel und schloss ohne abzuwarten auf. Sie hatten sich in seiner nagelneuen, roten Emaille-Kanne Kaffee gekocht und frühstückten die Reste aus seinem Kühlschrank, Schmierkäse aus Käseecken, den sie auf türkisches Fladenbrot gekratzt hatten.

„Gute Nachrichten“, lachte Sabrina in einem geblümten Kleid und Strickjacke, „wir haben eine Wohnung gefunden. Gleich an der Möckernbrücke. War großes Glück.“

„Super!“ rief Peter erleichtert. „Wie habt ihr es geschafft?“

„Jeden Abend haben wir am Mehringdamm auf die frischen Zeitungen gewartet, Gogo hat eine Telefonzelle freigehalten und ich hab‘ eine Zeitung gekauft und schwupps, waren wir die ersten. Wir haben schon gestern Abend den Vertrag unterschrieben. Das ist so toll! Huuh. Ich kann es kaum ertragen.“ Sie wogte ihr Mondgesicht hin und her.

„Sehr gut! Wirklich sehr gut! Wann zieht ihr denn da ein?“ Er pustete seine zerkratzte Hand, die brannte.

„Der Vertrag gilt erst ab ersten. Aber da die Wohnung leer stand, kriegen wir schon morgen den Schlüssel“, sagte Gogo enthusiastisch. Seine Hände wärmten sich am Kaffee.

„Die Wohnung stand leer?“ Peter stutzte. „Das kommt mir komisch vor! Seid ihr sicher, das alles damit okay ist?“

„Der Vormieter hatte seine Miete nicht bezahlt und ist abgehauen. Es gibt jede Menge zu renovieren. Kannst ja mal helfen kommen“, erwiderte Sabrina.

„Oh, ihr wisst ja, ich muss etliche Hausarbeiten für die Uni fertig kriegen“, wehrte Peter ab.

„Du musst ja nicht, du hast schon genug getan, schließlich durften wir bei dir wohnen.“ Sie sah ihn direkt an.

„Ich muss jetzt los“, sagte er und nahm einen Block, Fotokopien, Bücher und einige Stifte vom Schreibtisch. Er stopfte alles in eine Plastiktüte und ging.

Voller Energie machte er sich auf den Weg in die Universität. Gerade noch so würde er es zur Vorlesung schaffen. Und wenn Sabrina und Gogo weg wären, würde er die Wohnung für Tobias herrichten, der am Wochenende nach Berlin kommen wollte. Er beabsichtigte in einer Pension übernachten. Das war zwar schrullig, aber es war Peter auch recht. Und mit ein bisschen Glück würde auch Beate nicht dazwischenfunken. Die Dinge hatten sich perfekt gewendet. In der U-Bahn las er ETA Hoffmanns ‚Meister Floh‘.

Tobias grinste breit, als Peter öffnete. Seine blonden Haare standen geföhnt hoch. Sie stammelten sich ein unterkühltes „Hi“ zu.

Er zog seine Schuhe aus und machte die drei Schritte durch den kleinen Flur in das hintere Zimmer.

„Willst du Tee? Vanillearoma, echt dufte“, fragte Peter. Tobias nickte und warf sein Jackett auf die zusammengerollte Bettdecke an der Wand.

Peter füllte in der Küche, die gleich neben der Eingangstür vom Flur abzweigte, den Blechkessel und stellte ihn auf eine der verrosteten Elektroplatten. Tobias sah sich Peters neuste Bilder an, die an allen Wänden hingen. Sie waren viel zu groß für das 20 Quadratmeter große Zimmer und noch nicht ganz fertig. Bisher erkannte man abstrakte Landschaften und milchig, grüne Flecken.

„Du bist echt mutig, dass du so malst. Das würde ich mich nicht trauen“, sagte Tobias und lachte, „du Schlingel bist deinem Stil nicht mehr treu. Das hat Berlin aus dir gemacht. Oder deine Schnulle.“

Peter hasste es, wenn Tobias ihn ‚Schlingel‘ nannte. Der Pfeifton des Kessels schwoll schnell unerträglich an und er hastete in die Küche und brühte den Tee.

Danach setzten sie sich gegenüber im Schneidersitz auf den dunkelbraunen Teppichfliesenboden, der noch vom Vormieter stammte. Peter schenkte ein, ein intensiver Vanillegeruch verbreitete sich und er stellte die Tonkanne auf ein Stövchen. Tobias zündete Erdbeer-Räucherstäbchen an, die er mitgebracht hatte und sie hörten ‚Octopus‘ von ‚Gentle Giant‘. Länger tratschten sie über gemeinsame Bekannte und Freunde in Hannover.

„Wann kommst du endlich wieder zurück?“ fragte Tobias.

„Zwei Wochen vor Weihnachten - wahrscheinlich. Du weißt, ich kann nicht direkt über Weihnachten kommen, weil mich sonst die Militärpolizei an der Grenze abfangen könnte.“

„Ach komm! Du benutzt die Bundeswehr doch nur als Ausrede. Die kriegen dich schon nicht und wenn schon, dann haust du halt wieder ab. Nein, ich denke eh nicht an eine Woche oder zwei. Ich meine eine längere Zeit. Meine Mission hier ist, dich zurückzuholen. Ich brauch‘ dich in Hannover.“

„Du redest Quatsch. Ich kann wirklich nicht weg. Die würden mich einkassieren und die Katastrophe wäre perfekt. Außerdem gefällt mir Berlin.“

„Du könntest in meinem Keller wohnen.“

„Jetzt spinnst du aber völlig! Das ist doch arschkalt. Und was sagen denn die anderen Mieter dazu, wenn sie mich im Keller erwischen?“

„Mensch Peter! Ich will dich wieder so haben, wie du mal warst. Und das meine ich ganz egoistisch.“ Tobias sah ihm ganz kurz direkt in die Augen. Geschmeichelt und abgestoßen zugleich senkte Peter seinen Blick.

„Los, komm wieder nach Hannover. Rumzischen und die Sau rauslassen. Wir könnten wieder genau da anknüpfen, wo wir aufgehört haben. Die Leute vermissen den ‚Knacks‘. Unsere Zeitung war doch echt gute Literatur höhö.“

„Aber wir haben doch gerade eine neue Nummer rausgebracht ... .“

„Schon, aber wen interessiert das schon, wenn du hier lebst?“ fragte Tobias.

„Komm du doch nach Berlin. Denk an die Möglichkeiten, all die Galerien, Maler, Literaten, Bands und alles pulsiert und ist interessant. Eine große Chance für den ‚Knacks‘.“

„Was redest du denn da? Bist du verrückt geworden? Ich kenne in Berlin niemand und überhaupt, weißt du eigentlich, wie lange es gedauert hat, alles in Hannover aufzubauen?“

„Lassen wir das Thema also!“ sagte Peter entschieden. Tobias war vor Wut rot angelaufen.

„Gut“, sagte er und zwang sich zu lächeln. Sein Blick wanderte aus dem Fenster, wo die Sonne hinter den Dächern verschwunden war und der Himmel sich orange verfärbte.

„Wo wohnt sie eigentlich?“, fragte er mit einem Frosch im Hals. Sein Mundwinkel hatte ganz leicht gezittert und er hatte nicht aufgehört, in den Himmel zu starren.

„Gleich hier im Block. In dem Haus dort schräg gegenüber“, sagte Peter so natürlich wie möglich.

„Ich habe sie gefühlt“, fuhr er stockend fort, „ich wusste plötzlich, dass sie ganz nah ist. Ich habe ihre miesen ‚Vibes‘ aufgefangen. Aber lassen wir das. Fangen wir lieber an zu malen! Zeig mir, wie du diese Strukturen hier hingekriegt hast.“ Er zeigte auf eine Stelle in einem der Bilder an der Wand.

„Das ist ganz einfach“, sagte Peter erleichtert und zeigte ihm, wie er es gemacht hatte.

„Du nimmst wirklich auf keine Maltraditionen Rücksicht“, sagte Tobias und holte einige Pinselchen aus einer alten, militärgrünen Umhängetasche hervor. Sie zogen Papier auf Holzbretter auf. Tobias ließ akribisch Ölfarbe verlaufen, was einen Hintergrund ergeben sollte. Peter kritzelte automatisch, manchmal ohne hinzusehen, auf dem Papier herum und wartete auf eine Struktur, mit der sich etwas anfangen ließ, die ihn inspirierte.

„Was willst du nur mit so einer Kuh. Du verdienst was Besseres“, sagte Tobias bitter und tunkte sein Pinselchen in ein Schnapsglas mit einer Träne Terpentin und malte einen schwarzen Schnörkel auf den grünen Untergrund.

„Du weißt, dass wir uns schon in Hannover getrennt haben. Sie spielt in meinem Leben keine Rolle mehr“, log Peter.

„Stimmt doch gar nicht! Was will sie denn sonst hier?“ erwiderte er.

„Ich sehe sie kaum. Nur manchmal, wenn ich nichts Besseres zu tun habe, gehe ich rüber und wir glotzen fern oder mampfen was zusammen“, sagte Peter.

„Ihr wohnt doch bestimmt praktisch zusammen. Und du hältst es nicht einen Tag ohne sie aus. Ich wette, dass du mindestens einmal pro Tag deinen Kopf aus dem Fenster steckst und erkundest, was die Ziege macht“, erwiderte Tobias. Peter fühlte sich mulmig, da es stimmte.

„Blödsinn!“ wehrte er sich. „Wie war’s auf Mallorca?“

„Da brauchst du gar nicht das Thema zu wechseln“, sagte Tobias schnell, „die Schnulle verdirbt dich. Sie hemmt dich und du wirst lahm. Sieh dir doch mal an, wie du hier haust.“ Peter sah sich ratlos um. Etwas Besseres als dieses Zimmer hatte er noch nie gehabt.

„Okay. Okay. Und wie war’s auf Mallorca?“ fragte er erneut.

„Prima. Ich hatte Petra mit. Als Sexproviant. Höhö. Nach zwei Tagen hab‘ ich sie nicht mehr ertragen und rausgeschmissen.“

„Wie rausgeschmissen? Und was hat sie dann auf Mallorca gemacht? Ist sie abgereist?“

„Woher soll ich das wissen? Interessiert mich wirklich nicht. Solche Dinge langweilen mich. Hab‘ dann jeden Tag gemalt. Das ganze Hotelzimmer war ein Atelier. Hab‘ eine echt gute Serie hingelegt. Die stell‘ ich nächste Woche im ‚Kunststübchen‘ aus.“

„Kunststübchen?“

„Ja, ein Café in der Altstadt. Die verkaufen gut. In der letzten Show dort hab‘ ich acht Bilder verhökert. Echt dufte. Da solltest du auch mal ausstellen.“

„Du weißt, dass mich Cafés als Ausstellungsorte nicht interessieren.“

Sie schwiegen. Peter strich flüssige, orange Farbe auf ein Blatt und kritzelte aggressiv mit einer Pastellkreide hindurch. Tobias malte tausend kleine Kringelchen.

Kurz vor Ladenschluss kauften sie im Supermarkt zwei Packungen tiefgefrorene Bihunsuppe und 10 Flaschen Bier.

Peter erhitzte die Suppe. Unterdessen tranken sie Bier, malten, hörten ‚Procul Harum‘ und glotzten auf dem Schwarzweißfernseher, den Peter auf der Straße gefunden hatte, einen Dokumentarfilm über Elefanten, die auf einen Elefantenfriedhof gingen, um zu sterben.

Als die Suppe kochte, füllte Peter sie in zwei tiefe Teller und balancierte sie ins Zimmer. Tobias schüttete unglaublich viel Tabasco dazu und probierte.

„Zu kalt“, sagte er und kochte seine Suppe erneut auf.

Peter pustete und aß. Tobias wärmte seine Suppe noch drei weitere Male auf.

Hinterher schlug Peter vor, Steinert anzurufen:

„Der kommt auch aus Hannover. Ich hab‘ ihn aber erst hier kennengelernt. Er studiert Russisch und war gerade einige Wochen in Moskau. Das muss spannend gewesen sein. Wir könnten eine Kneipentour durch Kreuzberg machen.“

„Iiih, ein Mann“, entgegnete Tobias, „ne, ne, ne.“ Er zeigte mit seinem Zeigefinger auf die Stelle, wo sich in der Hose sein Geschlecht befand und machte anschließend mit dem selben Finger eine verneinende Bewegung. „Ich will lieber Fricke besuchen. Die hat prima Möpse. Aber die musste ja auch nach Berlin abhauen, dafür hasse ich sie natürlich und das möchte ich ihr einen ganzen Abend lang zeigen. Du kommst mit und wir suchen für dich auch was zum Ärgern.“

„Hm. Ruf sie also an“, sagte Peter resigniert. Sein Plan war gewesen mit Steinert und Tobias durch Szenekneipen zu ziehen über Literatur zu diskutieren. Vielleicht hätte man sogar eine gemeinsame Literaturzeitschrift planen können: ‚Achse Hannover-Berlin‘ oder so.

„He, Fricke, hehe“, rief Tobias in den pekigen Hörer, „ich bin’s - echt. Heute bin ich dein Hassfaktor. Nee, h e u t e! Ich bin heute in Berlin! Länger als einen Tag halt‘ ich’s hier nicht aus. Ja, ich besuche Peter, wir malen. Also, du musst deine Verabredung absagen und triffst uns. Ja, das ist ein Befehl! Gut! Gut! Treffpunkt U-Bahn Neukölln unten. Wir sind in 15 Minuten da.“ Er sah dabei Peter an. Der nickte zögerlich. Er hatte bis zum Schluss gehofft, dass sie ihm einen Korb gab. Aber er musste auch schmunzeln, da es immer wieder erstaunlich war, dass Tobias mit solch plumpen Methoden Erfolg hatte.

„Kannst du nicht noch ne Freundin einladen? Peter hat doch keine Freundinnen und ich kann ihn hier auch nicht alleine zurücklassen. Überleg doch mal. Bis dann also“, sagte er und legte auf.

Bevor sie loszogen, kontrollierte Peter den Kachelofen. Die restliche Glut würde das Zimmerchen bis zum Morgen warm halten. Danach zog er seine schwarze Schweizer Offiziersjacke an und knöpfte die vielen silbernen Knöpfe mit einem Kreuz darauf zu. Tobias zog einen, von einer seiner Freundinnen, handgestrickten dunkelblauen Pullover an, darüber sein dunkelblaues Kordsakko, Fingerhandschuhe und einen langen Strickschal.

Sie stapften durch den knirschenden, frischen Schnee und tranken Bier im Gehen. Der Himmel lag flach und schwer auf den Dächern und er war grüngelb von den Gaslaternen.

Vor dem Eingang zur U-Bahn-Station rief Tobias: „Auf Ex!“ Und sie schluckten wetteifernd den Rest aus ihren Flaschen. Dann warfen sie sie, ohne hinzusehen einfach über ihre Schultern. Auf der salzgestreuten Straße zerbarsten sie, aber sie drehten sich und das war Teil des Rituals, nicht danach um.

„Geile Surri-Punk-Aktion“, sagte Tobias beim Hinuntergehen.

Fricke war stämmig und etwas größer als Tobias. Sie hatte eine schwarzweiß karierte Hose an und wasserstoffblonde Haare. „Was ist denn mit deinem Pony passiert?“ lästerte Tobias. Sie drückte verlegen ihre Lippen aufeinander und drehte ihren Kopf zur Scheibe.

„Hast du das Honigkuchenpferd gesehen? Die muss wohl aus Berlin sein, höhö“, rief Tobias einer Frau nach. Er war angetrunken und amüsierte sich. Peter fand es peinlich und albern und es schmerzte ihn, dass Tobias und er nicht mehr auf derselben Wellenlinie schwammen.

In einem Club sahen sie die Band ‚Fleischmann‘. Peter gefiel sie, kräftiger Gitarrenlärm aber kein dummer Heavymetal Rock. „Öde“, kommentierte Tobias und begrabschte Fricke.

Hinterher zogen sie durch Kneipen. Tobias zerschnipselte Bierdeckel und pöbelte Leute an. Fricke war von Wein auf O-Saft umgestiegen und grinste geschmeidig.

„Wie du gemerkt hast, ist Fricke nicht gerade mit Intelligenz gesegnet, aber deshalb mag ich sie so“, rief Tobias auf dem Rückweg laut durch den U-Bahnwagon. Er umarmte sie dabei heftig und sie wehrte sich etwas. An der Station ‚Rathaus Neukölln‘ stieg Peter aus und überließ die beiden sich selbst.

In der Frühe wälzte er sich hin und her. Immer wieder fing es an sich zu drehen, wenn er seine Augen schloss. Gegen den höllischen Nachdurst trank er Wasser aus dem Hahn.

Alsbald kaufte er Pumpernickel, Salami, Löwensenf und Orangensaft und holte aus dem Keller Briketts.

Als er mit dem Einkauf und den Kohleneimern wieder oben ankam, raste sein Herz. Tobias wartete auf dem Treppenabsatz. Er hatte einen roten Kopf und tiefe Augenringe.

„Wir haben bis eben gerammelt“, sagte er, „endlich ist sie eingeschlafen.“

Zitternd frühstückten sie. Die diesige Sonne erleuchtete die blau gestrichenen, kaputten Fensterrahmen und die zerkratzte Oberfläche des kleinen Küchentischs.

„Ich hab‘ meine Zwischenprüfung nicht bestanden. Die können mich mal“, sagte Tobias hinterher.

„Wieso denn? Das ist doch nicht so schwer. Bei wem hast du die denn gemacht?“ fragte Peter überrascht.

„Schilling, der Wicht. Der hat mir schon drei mal meine letzte Hausarbeit zurückgegeben, hatte immer was zu nörgeln. War ihm anscheinend nicht wissenschaftlich genug. Dabei hab‘ ich mir einen abgebrochen, diesen Blödsinn zu erfüllen.“

„Warum machst du denn nicht bei Gerburg deine Zwischenprüfung?“

„Diese Hippieschlampe! Die halt‘ ich nicht aus.“

„Unsinn. Sie hat echt was auf dem Kasten. Außerdem mag sie kreative Leute. Sie kennt den ‚Knacks‘ und hält ihn für gut. Bei ihr hättest du leichtes Spiel.“

„Nee, studieren ist nichts für mich. Darüber bin ich mir klar geworden. Reine Zeitverschwendung. Ich geh‘ auf Sozi und damit basta! Hab‘ ich mir genau ausgerechnet. Mit Wohngeld und einigen verkauften Bildern, kann ich gut über die Runden kommen. Ab jetzt werde ich nur noch malen und schreiben!“ Verwirrt suchte Peter nach Argumenten, um ihn umzustimmen, als Tobias sagte: „Jetzt musst du mich übrigens rausschmeißen. Ich fahr‘ in die Pension, bade, bleche und düse zurück nach Hannover.“

Zwei Wochen lang besuchte Peter Philosophie- und Germanistikvorlesungen. Er hatte keine Verabredungen und redete mit niemandem, selbst die Einkäufe und Erledigungen verliefen ohne Konversation. Abends beim Kochen befürchtete er, er könne das Sprechen verlernen oder Kieferstarre bekommen. Deshalb las er laut oder sang. Nachts ging er regelmäßig in die selbe Kneipe in der Nähe. Eine große Halle in der vereinzelte Männer Pool Billard spielten. Dort schrieb er, bis sie zumachten, fröstelnd an einem Ecktisch Geschichten.

An einem Montag sieben Uhr morgens klingelte es Sturm und Peter riss die Wohnungstür auf.

„Koohlen“, dröhnte es von unten. Er sprang in seine Jeans, streifte ein Hemd über und raste mit den Kellerschlüsseln die Treppen hinunter. Der Lastwagen stand in der zweiten Reihe.

„Wo geht’s lang, Meister? Schließ mal uff“, sagte ein kleiner Mann. Er war so breit, wie er groß war und mit Kohlenstaub bedeckt. Auf seinem Rücken lastete die erste Kiepe, mit einem Lederriemen hielt er sie in Position. Beim Runtergehen in den Keller bückte sich Peter weit herunter, denn an den scharfen Kanten der Rohre, die die Decke entlang liefen, hatte er sich schon öfter den Kopf blutig gestoßen. Der letzte Verschlag war seiner. Er ertastete das Vorhängeschloss und zündete drei Kerzenstummel an, die er mit flüssigem Wachs auf eine Holzkante klebte. Der Kohlenmann hatte währenddessen die erste Ladung Briketts nach hinten abgeworfen und war wieder verschwunden. Ein zweiter kleiner Mann mit Briketts erschien. Auch er musste sich in dem niedrigen Gang nicht bücken.

„Dunkel hier“, schnaufte er unzufrieden und warf seine Ladung ab.

„Äh, ich wollt‘ die Briketts gestapelt“, sagte Peter.

„Geht nicht“, erwiderte der und schlurfte zum Ausgang.

Peter ging geduckt hinter ihm her. Draußen atmete er die frische Luft.

„Ich wollt‘ die Briketts gestapelt, sonst passen sie mit dem Holz zusammen nicht rein“, rief er dem ersten Kohlenträger zu, als er die nächste Kiepe heranschleppte.

„Ohne Licht machen wir das nich. Keene Sorje! Wir kriegen das schon rinn“, sagte er.

Frierend zog Peter eine Kladde hervor und machte, so deutlich, dass die beiden Männer es registrieren mussten, für jede Kiepe einen Strich.

Wenn gerade keiner vorbeikam, druckste er im Hof herum, befingerte neben den Mülltonnen eine Glühbirne auf einem Stiel, öffnete eine der Tonnen und ließ entsetzt über den Gestank, den Deckel wieder zufallen. Sein Blick wanderte durch die Fensterreihen. Keiner der Vorhänge bewegte sich. Bei Beate war das dunkelblaue Tuch vor, was bedeutete, dass sie noch schlief.

Die hellbraunen Fassaden drückten sich nach oben hin zusammen, bis der bleischwere Himmel anfing. Der Schneeregen zirkelte genau in diese Schlucht.

Die Kohlenmänner fingen an, unter der Last zu stöhnen. Eine schwarze Matschspur zog sich durch den Hausflur bis zum Keller.

Nach 27 Kiepen brachte einer der Männer einen Holzsack.

„Hey, das waren erst 27! Es müssen aber 34 sein“, rief Peter ihm zu.

„Hast‘e nich‘ richtig jezählt. Ich wess doch, was ich rinnjeschleppt hab‘. Guck doch auf‘n Laster! Da is nur noch ne Tonne für den nächsten Kunnen“, schnaufte er und verschwand im Keller. Sein Kollege kam gleich hinter ihm her, auch mit Holz und überreichte Peter eine eingerußte Rechnung.

„He, das könnt ihr doch nicht machen! Das waren nie und nimmer eineinhalb Tonnen!“ sagte Peter verzweifelt.

„Bezalst‘e nun oder was?“ fragte der erste, der mit dem leeren Sack zurückkam.

Peter überreichte 390 Mark. Der Kohlenträger zählte akribisch die Scheine und verdreckte sie dabei.

„Und gibt’s noch was für die Schinderei?“ forderte er anschließend.

„Ich denk gar nicht dran“, wehrte Peter ab.

„Dast‘e nich‘ zählen jannst is deen Problem, wir haben trotzdem nen Rückenschaden und werden die Rente nich‘ erleben.“ Der Andere trottete gleichgültig an ihnen vorbei und kletterte auf einen der grauen Plastiksitze im Lastwagen, wo er sich eine Zigarette drehte. Resigniert händigte Peter auch noch einen Zehn-Mark-Schein Trinkgeld aus. Ohne einen Dank warf der Mann die leeren Holzsäcke hinten auf die Ladefläche und stieg auf der Fahrerseite ein.

Peter schloss die Haustür. Als er den Eisenhaken, der die Hoftür offen hielt, aushängte, glitt ihm die Tür im Durchzug aus der Hand und knallte zu, da die Hauswartsfrau mit ihren Einkaufstaschen die Haustür wieder aufgedrückt hatte.

„Das sieht ja wüst hier aus“, sagte sie unfreundlich. „Das müssen Sie aber alles wieder wegmachen, Herr Baldinger.“

„Ja, ja, gleich“, erwiderte Peter.

Vor seinem Verschlag im Keller glimmten in dem Briketthaufen schwach die Kerzen. Peter grub sie aus, befestigte sie neu und stapelte die Briketts an einer Wand hoch bis zur Kellerdecke. Als er endlich fertig war, holte er den Besen, das Kehrblech, einen Eimer mit Wasser und den Scheuerlappen. Oberflächlich beseitigte er den Kohlenmatsch.

Zurück in der Wohnung wusch er erst das Geschirr und dann sich selbst am einzigen Waschbecken in der Küche, heizte den Kachelofen neu an, frühstückte und sah ‚Notruf 110‘ auf DDR1.

Dann rief Sabrina an. Sie fragte, ob er nicht Lust hätte, sie in ihrer neuen Wohnung besuchen zu kommen. Sie wollte natürlich, dass er beim Renovieren helfe, aber er konnte diese Gelegenheit, unter Leute zu kommen, einfach nicht ausschlagen.

Er machte sich fertig und brach auf. Der Schneeregen hatte sich in dichtes Schneegestöber verwandelt.

Vor dem Haus von Gogo und Sabrina an der U-Bahn-Station Möckernbrücke staunte er über die tolle Lage und den stattlichen Altbau. Auf einem Stück Kreppklebeband an ihrer Tür standen ihre Namen gekritzelt. Niemand begrüßte ihn an der Tür, die angelehnt war. Nach einer Weile trat er einfach ein. Die Dielen knarrten wie verrückt. Ein langer Flur ohne Licht führte weit nach hinten und mündete in ein riesiges, mindestens 50 Quadratmeter großes Zimmer. In dessen Mitte hockte Gogo vor einem Zelt. Auf einem Stövchen vor ihm stand eine Porzellankanne mit Rosenmotiv. Sabrina lehnte in der hinteren Ecke des Raums am Kachelofen, der vier Meter fünfzig hoch fast an die Decke stieß. Neben ihr stand ein graues Telefon an einem endlosen, zum Fitz verdrehten Kabel und an der Wand ein monströses, dunkelbraunes Sofa und daneben zwei Sessel. Auf vielen Tellern brannten fette Kerzen. Sie strahlten hell, denn, obwohl es ein Uhr mittags war, gab es praktisch kein Tageslicht, denn das einzige kleine Fenster lag hinter einem Mauervorsprung und nur ein schmaler heller Streifen schaffte den Weg um diese Ecke.

Gogo hatte einen Schlafsack über die Schultern gelegt.

„Oh, hi“, grüßte er, überrascht tuend, „Tee?“

„Klar, wenn’s kein Yogi-Tee ist“, erwiderte Peter zynisch. Aber Gogo fand die Bemerkung gar nicht komisch. Er verzog sauer sein Gesicht und schenkte einen Becher voll.

„So, das ist also eure neue Wohnung! Gigantisch!“ versuchte Peter ein Gespräch zu beginnen, der den Empfang reichlich unterkühlt fand - immerhin war er zum Wändestreichen gekommen.

„Irre ne? So was Großes wollte ich schon immer mal“, sagte Sabrina. Der Ärmel ihres gelben Strickpullovers hing in ihrer Tabaksdose.

Peter wollte sich auf dem Sofa niederlassen, aber Sabrina sagte ihm, dass er sich nicht darauf setzen dürfe. Also hockte er sich in die Nähe des Stövchens auf die Dielen, wo es eisig durch die Ritzen seine Beine hochzog.

„Wir haben die Wohnung nur gekriegt, weil wir für das Sofa und die Sessel 2000 Mark Abstand bezahlen sollen“, erklärte sie.

„2000! Ist es irgendwie antik?“ fragte Peter, Sabrina und Gogo abwechselnd ansehend. Selbst in der Dunkelheit und von weitem sah das Sofa abgeranzt und morsch aus.

„Nee, wohl kaum! Wir haben das Geld auch gar nicht“, warf Gogo ein. „deshalb haben wir uns auf einen Abstottervertrag eingelassen. 200 Mark im Monat. Wir haben das Sofa annonciert und wollen es verkaufen. Aber bisher waren nur zwei Leute da, der eine wollte 150 Mark geben und der andere ist gleich wieder abgezogen.“

„150 kommt mir nicht schlecht vor“, warf Peter ein, „schließlich stehen solche Dinger manchmal einfach auf der Straße rum. Und nun?“

„Na, na 150 ist doch wohl nen Witz! Schließlich ist es eine echte Ledergarnitur“, entrüstete sich Sabrina, „außerdem haben wir gar nicht die Absicht, die Raten zu bezahlen. Wir waren beim Mieterverein und sind gleich beigetreten. Es ist total illegal, das Vergeben von Wohnungen an Abstandzahlungen und Übernahmeverkäufe zu knüpfen.“

„Aha“, sagte Peter skeptisch und schlürfte etwas Tee. „Lindenblütentee?“

„Nein, Melisse. Mach‘ etwas Honig rein“, sagte Gogo.

Gogo kreuzte seine Beine. Er trug eine braune Pumphose.

„Hauptsache euch gefällt die Wohnung“, sagte Peter.

„Leider zieht auch der Ofen nicht gut,“ sagte Gogo, „obwohl wir ihn haben reinigen lassen. Der Ofensetzer hat gesagt, er ist zu alt und wir sollen beim Vermieter einen neuen beantragen. Im Moment schlafen wir deshalb im Zelt.“

„Lasst uns anfangen“, meinte Sabrina und erhob sich. Gogo und sie zogen sich Renovierklamotten an, Peter zog ein altes Hemd, das er mitgebracht hatte, über seinen Pullover.

Sie strichen ein kleineres Zimmer mit weißer Wandfarbe.

„Wäre besser gewesen, die Tapeten vorher abzulösen“, kritisierte Sabrina, da sich große Blasen gebildet hatten. Peter hatte nichts gesagt, da er sich nicht einmischen wollte.

„Ach, das wird schon werden“, winkte Gogo ab und riss die Fenster auf. Aber durch die Kälte lief die Farbe in Rinnsälen herunter und bildete auf dem mit Folie abgeklebten Boden Pfützen.

In der Küche tranken sie Dosenbier und rauchten. Peter setzte sich erschöpft auf den Boden und regte an, den Backofen als Heizung anzuwerfen. Aber Sabrina sagte, dass sie sparen müssten. Gogo machte umständliche Handbewegungen und verteilte Farbe an seinem Nasenflügel entlang. Seine schmalen Lippen konnte man in dem schwachen Licht zwischen den Bartstoppeln nicht mehr erkennen. Aus seinen geschichteten T-Shirts quoll eine dichte Brustbehaarung den Hals hoch. Seine Locken waren mit einer feinen Schicht weißer Farbsprenkel überzogen. Peter erkundigte sich nach Gogos komischen Pumphosen.

„Hab‘ ich selbst genäht – in meiner Schule – eine Walddorfschule“, sagte er.

die gekachelte Sonne

Подняться наверх