Читать книгу die gekachelte Sonne - B. Born - Страница 3

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„War das gut?“

„Nee. Überhaupt nicht. Aber ich hatte keine Wahl. Meine Eltern sind beide Lehrer da. Also musste ich auch hin. Elektrische Geräte sind verpönt. Wenn Kollegen zu Besuch kamen, und das passierte am laufenden Band, musste unser Fernseher, der sowieso in einem Schrank versteckt war, auf den Dachboden getragen werden.“

In dem renovierten Zimmer hatten sich unterdessen Teile der Tapeten abgelöst und waren herabgefallen. Sie hatten keinen andere Wahl, als alles herunterzureißen. Es waren vier Schichten Tapeten. In einer Schlacht aus Farbe und Tapetenmassen strichen sie die Wände neu.

Hinterher wuschen sie sich mit dem eisigen Wasser aus dem Hahn die Hände und Gesichter, zogen die Malsachen aus und gingen in eine Kneipe.

„Wie habt ihr euch eigentlich kennengelernt?“ fragte Peter und rieb seine durchgefrorenen Arme.

„Ganz banal - auf der Pädagogischen Hochschule in Hannover“, erzählte Sabrina, „Gogo und ich hatten das selbe Seminar belegt.“ Sie lachte und kniff in seine stoppelige Wange. Feist legte sie ein Strumpfhosenbein auf seine Pumphosenschenkel und schwang dann ihren dicken Hintern auf ihn. Sie küssten sich lüstern.

Peter schlug vor, Pool Billard zu spielen.

Sabrina war begeistert, griff einen Queue und wirbelte ihn herum, jagte lachend Gogos Genitalen.

In einem fanatischen Billardfieber spielten sie etliche Stunden, bis sie so betrunken waren, dass es keinen Sinn mehr machte, da sie die Kugeln kaum noch trafen. Zurück am Tisch, fragte Peter Sabrina und Gogo, ob sie ein Instrument spielten. Sabrina schüttelte den Kopf.

„Ich spiel' Geige“, sagte Gogo. „War Pflicht in der Schule. Was hab‘ ich es gehasst!“

„Ich hab‘ die Idee, eine Band aufzumachen“, sagte Peter.

„Kannst du denn ein Instrument spielen?“ fragte Gogo.

„Eigentlich nicht richtig. Ich hab‘ mal Gitarrenunterricht gehabt. Aber Gitarre langweilt mich. Ich will mir einen Synthesizer kaufen und experimentelle Punkmusik machen.“

„Ramona hat mal erwähnt, dass sie gerne Schlagzeug spielen würde“, sagte Gogo. Peter musterte Sabrina, aber es schien sie nicht im Geringsten zu irritieren, dass Gogo seine Exfreundin als Bandmitglied einplante.

„Beate kann etwas singen, jedenfalls, wenn sie gut drauf ist, was leider selten passiert. Aber auch wenn sie besoffen ist, singt sie ganz ordentlich“, sagte Peter.

„Man bräuchte einen Übungsraum“, sagte Gogo.

Sabrina stellte gelangweilt ihre Arme auf den Tisch, legte ihren Kopf auf ihre Hände und stülpte ihre Lippen zum Kuss vor. Gogo lächelte bierselig und verfehlte die Lippen, als er den Kuss erwidern wollte.

Peter betrachtete hinter den beiden, weiter oben eine Reihe mit Plastikefeu, die er versuchte nicht positiv sondern negativ zu sehen, also nicht den Efeu, sondern das Drumherum, die mit Rauch gesättigte Luft, die die negative Form des Efeus bildete. Die Strahler oben über den Fenstern streuten das Licht zu einer matten Lichtwand. Er dehnte seinen steifen Kopf und wankte zur Toilette.

Dort urinierte er mehr neben, als in die Schüssel und selbst dafür musste er sich an der Wand abstützen. Am Wasserhahn faltete er seine Hände zusammen. Er kontrollierte diese Handlung ganz genau und schüttete sich Wasser ins Gesicht. Sein Denken war eigentlich ganz klar, aber sein Körper wollte nicht mehr mitspielen. Das kannte er schon. Es passierte immer dann, wenn er nicht genug gegessen hatte. Mit nassen, von der Wandfarbe milchig triefenden Haaren torkelte er zurück zum Tisch, wo Sabrina hemmungslos, geile Laute ausstoßend, Gogo bearbeitete.

„Tschau. Ich muss ins Bett“, sagte Peter, seine Jacke greifend und hob eine Hand.

„Vielen Dank fürs Helfen“, lachte Sabrina, kurz aufschauend.

Draußen prasselten ihm waagerecht fliegende Schneeflocken ins Gesicht. Sein Körper gehorchte ihm kaum noch und er benötigte den ganzen breiten Fußweg, um vorwärts zu kommen. Am Mehringdamm wartete er auf den Nachtbus. Als er einstieg, rammte ihm eine Frau mit einer Fellmütze auf einem Dauerwellenkopf ihre Handtasche in den Rücken, so dass er gegen die Scheibe in der Tür bretterte. Mehr Erinnerungen hatte er nicht.

In der nächsten Zeit nutzte Peter jede Gelegenheit, um auszugehen. Er wollte, nie mehr, und das schwor er sich, ohne ein Wort gesprochen zu haben, ins Bett gehen müssen. So etwas sei widernatürlich und abstoßend. Er verabredete sich in der Uni zum Kaffee, spielte mit Ex-Hannoveranern Doppelkopf oder half Gogo und Sabrina beim Renovieren.

Er versuchte, in Szenekneipen Leute kennenzulernen: trieb durch gelbes Licht, rotes Licht, grünlich, bleiches Neonlicht, fackelndes Licht, Licht in Dreiecken, schummeriges Licht, stapfte durch nächtlichen Schnee, Schneematsch und Regen, hörte zerrissene Punkfetzen, jaulende Rockmusik und groovy Jazz, Trommeln die das Gehirn wegschlugen. Er trank Bier. Bier aus Plastikbechern, aus feinen Gläsern, aus Humpen, aus Tassen und Flaschen. Er beugte sich herunter, um zu quatschen. Weiche Haare und Schampooduft kitzelte seine Nase. Kirschige Lippen und oder weise Lippen sprachen zu ihm. Er gab sein Bestes, um geschickt zu antworten. Aber immer wieder entglitten sie ihm. Entweder in die Hände ihrer langjährigen Freunde, neuer Freunde, gerade kennengelernter Freunde oder nach Hause auf der Flucht vor ihm.

Am Tag schlief er bis eins, frühstückte und malte.

Er wollte Steinert besuchen. Das Gaslicht der Straßenlaternen durchflutete vom frischen Schnee reflektiert die Neuköllner Schluchten. Der Teer der selbstgedrehten Zigarette verklebte seine Fingerkuppe. Der Schnee knirschte wie Styropor. Mit Seitenstechen blieb er auf einer Brücke über dem Kanal stehen. Sie bildete die Grenze zwischen Neukölln und Kreuzberg. Das schwarze Wasser war an den Rändern mit grauem Eis überzogen. Enten hockten da, den Kopf unter die Flügel gesteckt. Er schlug die Hacken seiner Stiefel gegeneinander, bis die Schneeklumpen abfielen. Dabei sinnierte er über den Unterschied zwischen Kreuzberg und Neukölln nach und ärgerte sich, dass er in Neukölln wohnte, aber auch über den Kult, der um Kreuzberg gemacht wurde. Ein Doppeldeckerbus kroch vorbei, quetschte den Schnee durch das Profil seiner Räder.

An einem türkischen Café reckte er sich hoch, um über den Store zu sehen: Drei alte Männer spielten Domino, eine Fleischberge-auf-Spieß-Reklame, eine Bauchtänzerin auf einem Kalenderblatt und ein Fernseher in dem ein Sänger türkische Schlager trällerte. In einer Arbeitereckkneipe kaufte er bei einer keifenden Berliner-Schnauze-Frau vier Flaschen überteuertes Bier.

Vor Steinerts Haus stellte er die Flaschen in den Schnee, auch um sie noch etwas zu kühlen, da er sie zu warm fand. An den Balkonen waren große Teile vom Putz abgefallen. Neben der schweren Holztür legte er einen Finger in ein Einschussloch aus dem letzten Weltkrieg und bestaunte einen Steinengel mit zerschossenem Kopf.

Die Tür war angelehnt. Also drückte er sie auf und machte sein Feuerzeug an. Da er keinen Lichtschalter finden konnte, tastete er sich hoch bis in den ersten Stock. Dort löschte er das Feuerzeug schnell, schüttelte seinen versengten Finger und drückte einen Lichtknopf. Da aber kein Licht anging, schritt er vorsichtig, nicht die Hand vor Augen sehend, Stufe für Stufe nach oben. Im vierten Stock, klopfte er und Steinert öffnete ihm.

„Wie ist die neue Wohnung?“ fragte er geblendet und warf im Vorbeigehen einen Blick in die Küche: dreckiges Geschirr, Umzugskisten, ein Tisch und zwei Gartenklappstühle aus Metall mit verrotteten, weiß überlackierten Hölzchen. Im Zimmer neben der Küche stand ein altmodisches Bett und ein dritter Klappstuhl, darauf einige Bücher, eine Lampe und ein Wecker. Über dem Bett hing ein Poster von der Band ‚Rip, Rig and Panic‘. Es zeigte eine Hyäne komisch in der Hocke. Das dachte jedenfalls Peter. Aber dann sah er noch mal genauer hin: Es war eher ein Pavian der Weitsprung machte und dabei schrie.

Die Wohnung hatte Steinert grob übergetüncht. Die nackten Glühbirnen an den Decken waren voller weißer Farbe, auf den Holzdielen war die Farbe breitgetreten.

Im zweiten Zimmer öffnete Peter zwei Biere, indem er den Kronkorken der einen Flasche in den Kronkorken der anderen Flasche verhakte und sie weghebelte. Ein Stapel Bananenkisten mit Büchern neigte sich bedenklich zur Seite. Steinert hatte aus der Küche einen zweiten Stuhl geholt, er wirkte ausgemergelt. Sie setzten sich an eine freie Kante seines Schreibtischs dessen Schubladen vorne abgebrochen waren.

„Die Wohnung ist insgesamt kalt“, begann er das Gespräch, „es gibt nur Allesbrenneröfen und die gehen dauernd aus. Überhaupt war es ein Fehler alleine zu ziehen. Ich mag das überhaupt nicht.“

„Aber wieso denn? Ich dagegen kann mir gar nicht vorstellen, mit anderen Leuten zusammen zu wohnen“, erwiderte Peter.

„Ich habe schnell festgestellt, dass ich die Nähe von anderen benötige. Ich kann besser arbeiten, wenn in der Wohnung was los ist, wenn Besuch kommt und geht, wenn gequatscht wird. In dieser Wohnung werde ich leer. So leer wie die Wohnung. Ich sitze da, stiere vor mich hin und mir fällt nichts ein. Kein kreativer Gedanke und kein Studieren gelingt mir“, erklärte er und rauchte.

„Hm“, sagte Peter sprachlos. „Und hast du was von Katharina gehört?“

„Ach, Katharina. Sie war letztes Wochenende hier. Wir haben im Bett gelegen, uns gegenseitig gewärmt und sie hat geschnarcht. Sonst war eigentlich nichts. Sie war schrecklich müde von ihrer neuen Arbeit und der Reise. Am nächsten Tag haben wir gestritten. Über dies und das, ohne wirklichen Grund. Nur, weil wir uns nicht ausstehen konnten. Sie zieht in einem Monat von Hamburg nach Zürich und macht eine Ausbildung als Bühnenmalerin an einem Theater dort.“

„Vielleicht nimmt dir die noch größere Entfernung eine Entscheidung ab“, sagte Peter.

„Da bin ich eher skeptisch“, sagte Steinert und fuhr sich übers Kinn. „Seit klar ist, dass man eine sehr lange Reise in Kauf nehmen muss, um sich zu sehen, da vermisse ich sie. Nun ist es an ihr. Sie muss herausfinden, was sie will. Durch die Distanz könnte es sogar sein, dass ihre Gefühle für mich neu erwachen - durch die Abwesenheit gewissermaßen. Ich denke, wir werden viel in Briefen klären können und uns dann wieder zusammenraufen. Aber denke ich das nicht schon seit Jahren?“

„Lass uns aufbrechen, die Lesung fängt gleich an“, sagte Peter und Steinert zog einen schweren Mantel mit Hahnentrittmuster an.

Am Ende der Wrangelstraße am Schlesischen Tor war das ‚Fischbüro‘. In einem leerstehenden Laden hatten einige Leute ein Rednerpult gezimmert und veranstalteten abgedrehte Lesungen und Diskussionen.

Ein Typ mit zerzaustem Haar informierte über neue Projekte, Lesungen und Konzerte. Die Lesung hielt ein Mann, der sich Gustav nannte und eine kleine, nackte Puppe an den glattrasierten Kopf geklebt hatte. In seiner Rede informierte er über die Bedeutung von Fischen im Arbeitsalltag. Er untermauerte seinen Vortrag mit Bildern von Fischgerippen. Die Leute im Raum brüllten vor Begeisterung.

Hinterher schlitterten Peter und Steinert über den vereisten Schnee in den ‚Elefanten‘ am Chamissoplatz. Punks stampften auf den Tischen zu Pogorhythmen, kickten Biergläser umher, eine Frau zeigte Nippelpiercing - Holzstühle barsten.

Sie zogen ins ‚Wiener Blut‘. Durchgefroren und gierig tranken sie an der Theke stehend Weizenbier und sprachen darüber, ob sie sich im ‚Fischbüro‘ engagieren und vielleicht eine Lesung organisieren sollten. Steinert sagte, er arbeite an einer neuen Erzählung über wilde Beeren und lila blaue Himmel. Peter nickte und sagte, dass er eine Geschichte über eine Amsel schreibe, die auf der Fensterbank eines einsamen Mannes ein Nest errichtet habe. „Es entsteht dabei ein Zwiegespräch mit dem Fremden. Die ständige Präsenz des Vogels verändert das Leben des Mannes und er fängt an, sich komisch zu seinen Mitmenschen zu benehmen. Später bricht er aus, er wird wieder menschlich und macht sich über den Vogel lustig.

Die schöne Bedienung stellte ihnen ein Bier hin, das versehentlich zu viel gezapftes worden war. Geschmeichelt prostete Peter ihr zu und trank davon. Aber Steinert stieß ihn von seiner rosa Wolke, denn er meinte, dass sie eben noch ihren Freund im dunklen Ende der Kneipe geküsst hätte.

Sie wechselten ins ‚Casino‘. Zitronengelbes Neonlicht durchflutete die Bar wie greller Meeresschaum. Sie bestellten zwei Flaschen Bier und stiegen mit den grünen Flaschen die drei Stufen rauf, wo die Tische waren. Das Blut pochte in Peters unterkühlten Ohren und es zischte. Unter einem Plakat mit Botticellis ‚Geburt der Venus‘, die Peter mit der ‚bezaubernde Jeannie‘ verglich, erörterte er seine neuste Absicht eine Magisterarbeit über das ‚Nichts‘ zu schreiben. Seinen Vorstoß, eine Arbeit über das ‚Spiegelmotiv‘ in der Philosophie zu verfassen, hatte er als zu umfangreich verworfen und die noch ältere Bemühung mit einer Arbeit über Nietzsches ‚Wille zur Macht‘ abzuschließen, hatte er längst begraben. Steinert stellte geschickte Fragen, die auf den existenzialistischen Ansatz des Problems abzielten und Peter konnte sie nur ausweichend beantworten. Er meißelte die Anregungen in sein benebeltes Gedächtnis, damit er sie am nächsten Tag auswerten könnte. Doch drehte sich die Bar und der Schachbrettkachelboden um sich selbst, er wogte in einem warmen Meer des Suffs. Ein durch und durch prachtvolles Wattegefühl, ein Bett aus weichen Busen, wie er fand und dass er mit mehr Bier, auszubauen beabsichtigte. An den anderen Tischen schwatzen ausschließlich Pärchen, manche tranken gar Milchkaffee. Höhnisch lachte er und trampelte die Stufen runter, um Bier zu holen. Steinert lehnte sich über das Geländer und sagte: „Für mich nicht mehr.“

Also bestellte er bei der ‚ach so schnuckeligen‘ Bedienung, ein Bier, einen Espresso und ein Glas Leitungswasser.

Steinert griff dann erneut das ‚Beziehungskistengespräch‘ auf.

„Ich weiß einfach nicht, woran ich bei ihr bin“, sagte er kopfschüttelnd, den Kaffee mit Zucker auffüllend.

„Wir müssen Katharina und Beate einfach vergessen, ausblenden und neu anfangen!“ lallte Peter enthusiastisch, „Wegblenden gewissermaßen. Nervt doch langsam, mein‘ ich, oder?“ Sein Fingernagel schob das Silberpapier am Hals der Flasche herunter und ein schleimiger Kleber quoll hervor.

Steinert sog den Espresso mit einem Schluck weg und das Leitungswasser hinterher.

Beim Bezahlen schob die Bedienung, die Peter wirklich höchst attraktiv fand, Steinert einen Zettel zu, auf dem ‚METTE’ und ihre Telefonnummer stand. Peter starrte ihr eifersüchtig in ihre wasserblauen Augen, die Steinert anstrahlten. Der faltete fast beiläufig den Zettel zusammen und steckte ihn in seine Manteltasche, wo er sicher in Sekunden in den Eingeweiden des Mantels verschwände.

Als sie die ‚Bronx‘, eine Althippy-Disco erreichten, schlug Steinert überraschenderweise vor, hineinzugehen. Peter trug das Bier im Plastikbecher, das ihm den Rest geben würde, an den Rand der Tanzfläche. Steinert vergrub seine Hände in den Hosentaschen seiner hochgekrempelten Jeans, so dass die Arme den schweren Mantel offenhielten und fing an zu einem Song von Elvis Costello zu tanzen. Verblüfft, da Peter Steinert nie zuvor hatte tanzen sehen, beobachtete er, wie er sich vor einer ganz in Lilatönen gekleideten Frau, die sich ähnlich abgehackt wie Katharina bewegte, aufbaute. Dort wogte er sinnlich, weit nach vorne gebeugt hin und her. Die Frau wirkte irritiert. Hilfesuchend bemühte sie sich mal rechts, mal links an Steinert vorbeizutanzen, was dieser aber geschickt zu verhindern wusste, bis er sie in einer Ecke regelrecht eingekeilt hatte. Als das Stück zu Ende war, nahm er die Hände aus den Hosentaschen, drehte sich um und schlurfte zurück zu Peter, dem er ins Ohr schrie, dass er, seit er in der neuen Wohnung wohne, jeden Abend diese Discothek aufsuche und dieser einsamen Frau einen Tanz schenke. Peter lachte auf. Aber Steinert schrie weiter, dass er fest an den Erfolg seiner Methode glaube und irgendwann würde diese wilde Beere ihn schon ansprechen. Bis Peter alles im Musiklärm verstanden hatte, war fast eine halbe Stunde vergangen und Neonlicht flackerte auf.

„Das Zeichen für den letzten Song“, sagte Steinert wissend. Das Weihnachtslied ‚Merry Christmas everybody‘ von ‚Slade‘ ertönte. Die begehrte Frau hatte sich aus dem Staub gemacht.

Vor der grauen Stahltür der Disco, der Himmel war aschfahl, wurde Steinert melancholisch. Ein Nasenloch zuhaltend rotzte er in den Schnee. Der Frost ließ den Schweiß auf Peters Wangen gefrieren, schwankte betrunken hin und her. Steinert schlug vor, dass Peter bei ihm übernachtete, er faselte sogar etwas von gegenseitiger Wärme in solch kalten Nächten. Aber Peter dachte mit Grausen an Steinerts garantiert inzwischen ausgekühlte Wohnung.

„Ach, lass uns lieber noch ein Kebab essen“, sagte er deshalb.

Sie stützten sich auf ihre Ellenbogen und nippten an einem türkischen Tee in einem kleinen Glas mit Goldrand. Peter ließ sich das Kebab mit allen Salaten, weißer Knoblauchsoße und roter Chilisoße präparieren und schüttete auch noch einen Löffel getrocknete Chili dazu. Steinert aß seinen ‚ohne alles‘. Hinterher und es war inzwischen hell, tranken sie Raki-Schnaps. Dann verabschiedeten sie sich voneinander und gingen jeder ihrer Wege.

Es blies ein eisiger Wind. Auf halber Strecke rutschte Peter auf dem Eis aus und seine Augenlider klappten sofort und automatisch zu. Gewaltsam schüttelte er sich wieder wach, drehte sich auf die Knie und raffte sich hoch.

Peter und Gogo hatten einen Job angenommen. Am Vorabend beabsichtigten sie in der ‚Weserklause‘ ein ‚Abschlaffbier‘ zum besseren Einschlafen zu trinken. Nach 5 Bier beschlossen sie ins ‚Basement‘ zu ziehen und dort die Nacht durchzumachen.

In einem Höllenlärm und Lichtorgel schrien sie drei giggelnden Freundinnen im Grufti-Look gestylt: schwarzer Tüll, toupierte Haare, silberne Kreuze, Totenkopfringe, violetter Lippenstift „ihr seid schön, wir sind lustig, die Musik ist dufte, alles ist dufte“ ins Ohr und diese lächelten wohlwollend in die Runde. Schnell kamen andere Männer herbeigeeilt, baggerten sie auch an und Gogo und Peter verloren das Interesse. Bald wurde es den Frauen zu blöd und sie wollten zum Ku'damm in die Bhagwandisco. Einige der Typen versuchten im Taxi mitzufahren, aber sie wurden daran gehindert und ausgelacht. Sie forderten einen zweiten Taxifahrer auf, sie zu verfolgen. Peter und Gogo hatten amüsiert vom Eingang der Disco aus zugesehen. Als das Spektakel vorbei war, gingen sie wieder rein, legten ihre Jacken über freigewordene Barhocker und bestellten mehr von dem abscheulichen Bier. Es war nun nichts mehr los. In den Ecken sackten Drogensüchtige immer wieder in sich zusammen. Verzweifelte Kerle, die alles gaben, um nicht allein im Bett zu enden, hampelten über die ganze Tanzfläche und verrenkten sich. Aber die verbliebenen zwei Psycho-Frauen wogten mit geschlossenen Augen vor sich hin. ‚The Cure‘ – ‚Mint Car‘ in Stroboskoplicht schluckte alles.

„Das halt‘ ich nicht aus!“ schrie Peter hysterisch.

„Ja, ja, aber ich brauch‘ die Knete“, sagte Gogo.

„Ich auch. Aber überleg‘ mal, wie viel wir in dieser Nacht verprasst haben. 7,30 die Stunde ist nen Witz.“

„Was für ein Schrott“, fluchte Gogo in sein Glas und legte seinen Kopf in seine Arme. Peter starrte die Schnapsflaschen vor dem Spiegel hinter der Theke an. Als sie die letzten waren und die Musik alleine den schwarz gestrichenen Raum bedröhnte, das Spiegelrad ungebrochene farbige Punkte über die schwarzen Bodenfliesen drehte, brachen sie auf.

Draußen war es bitterkalt. Der Morgennebel ließ die Autos dampfen. Gogo und Peter stießen dicke Alkoholwolken aus. Die U-Bahn nach Mariendorf kam sofort und sie waren viel zu schnell vor der Firma. Frierend und rauchend schlugen sie vor dem Eisentor die Zeit tot.

Ihre Aufgabe bestand darin Toilettenpapier, Papiertaschentücher und alles andere, was es in Drogerien gibt, auf Trolleys zu stapeln. Anschließend wurden die Trolleys mit einer dünnen Plastikfolie umwickelt, etikettiert und zum Warenausgang geschoben, wo Lastwagen warteten. In dem flackernden Neonlicht, der durchdringenden Kälte und dem Staub, der sich in die aufspringende Haut fraß, stieg in Peter ein enormer Kater auf. Am Trolley abstützend, schleppte er sich von Gang zu Gang und alle halbe Stunde schüttete er sich auf der Toilette Wasser ins Gesicht.

Eine Sirene signalisierte die unbezahlte Mittagspause. In der Kantine kauften sie Brötchen mit Würstchen und Tee und setzten sich an einen von den Festangestellten abseits gelegenen Tisch. Peter kämpfte mit Kreislaufblitzen und kriegte keinen Bissen runter.

Um halb fünf war es vollbracht. Es war wieder dunkel. Im Gehen rissen sie wütend ihren Gehaltsumschlag auf, grapschten die 65 Mark 70, warfen das Papier wütend auf den Boden, zerstampften es und schossen es eine Brücke hinunter.

Peter klingelte bei Beate. Sie machte auf und er legte sich in ihr Bett.

Mitten in der Nacht erwachte er. Deprimiert warf er sich hin und her und kämpfte mit den Tränen. Er weckte Beate und fragte sie, ob die Übersensibilisierung durch den Alkoholentzug an Katertagen auch bei ihr so etwas wie eine Parallelverschiebung zur Folge hätte, und dass sie sicher auch das Gefühl kenne, im Kater von einer parallelen Ebene aus, sich selbst zu quälen, nicht körperlich, die körperlichen Folgen wären ätzend aber bedeutungslos, aber psychisch stäche man sich doch immer wieder tief in sein Herz, wie mit einem Nagel in feines Gewebe. Beate tippte ihm wütend ihren Zeigefinger an die Stirn und sagte: „Schlaf!“

In den nächsten Wochen arbeiteten Peter und Gogo täglich in dem Lager. Peter rechnete aus, wie viel Tampons Beate bis zu ihrer Menopause benötigten würde und stülpte Tamponpäckchen in seine Socken, leerte sie in eine Tasche in seinem Spind und holte mehr. Manchmal sechs Ladungen am Tag. Mit Beates Periode würde kein Geschäft mehr zu machen sein. Die Abende verbrachten Beate und er bei Bier, Jägermeister und Spagetti vorm Fernseher. Nachdem Beates Tampon-Lebensvorrat vollständig war, klaute er Ramonas und Einwegrasierer für sich selbst. Dann flog ein Fest-Angestellter auf. Bei einer Haussuchung beschlagnahmte man eine ganze Garage voller Drogerieartikel. Zwei Wochen später hörten Gogo und er auf zu arbeiten.

In den Kleinanzeigen einer Szenezeitung hatte eine interessante Annonce für einen Synthesizer gestanden. Peter hatte angerufen und noch für den selben Nachmittag einen Besichtigungstermin ausgemacht.

Beate und er trödelten die Straßen Zehlendorfs entlang. „Na, hat man auch mal gesehen“, kommentierte sie den Stadtteil. Sie nervte Peter damit aufzuzählen, warum ihre Eltern gemein waren und warum sie ausschließlich auf langhaarige Männer abfuhr. Das alles interessierte ihn überhaupt nicht. Es war ihm sowieso nicht ersichtlich, warum sie darauf bestanden hatte mitzukommen, wie konnte sich jemand nur so langweilen.

Der Verkäufer, ein junger Technikfreak, sein Zimmer roch ungelüftet und war vollgepackt mit Keyboards und Gitarren beachtete sie kaum, sondern fummelte an einem Effektgerät. Aber Peter hatte ein gutes Gefühl, als er die 500 Mark abzählte.

Zu Hause probierte er das Gerät gleich aus. Er stöpselte das Kabel in die Stereoanlage, stellte es auf einen Stuhl, drückte Tasten, Knöpfe und modulierte Töne.

„Das ist ja nur Lärm“, stöhnte Beate. „Ich dachte, damit kann man Musik machen.“

„Muss man sich mit beschäftigen“, erwiderte Peter gereizt, „die Gebrauchsanweisung lesen und so.“

„Ich geh‘ dann jetzt“, sagte sie eingeschnappt und verschwand. Peter klimperte abwesend eine schräge Melodie und dachte darüber nach, was sie jetzt wohl machen würde: Glotzen, Haare färben, betrinken oder mit einer Rasierklinge den Arm aufschneiden.

Er führte Gogo den Synthesizer vor. Sie tranken scheußliches Berliner Bier aus bauchigen Drittelflaschen

Nach einem Halt bei einem Kebabfritzen begossen sie das Instrument und sprachen über die Band und wie sie heißen könnte. ‚Atome’, ‚Rotkehlchen’ oder ‚getrocknetes Brot’ schlug Peter vor. Gogo verwarf alles, hatte aber selber keine Idee. In dem nachfolgenden Vakuum wünschte Peter sich Tobias herbei, mit dem so etwas nie passiert war.

„Nun wird es vorangehen“, wiederholte Peter immer wieder. „Es kann doch gar nicht so schwer sein, dufte Musike zu machen.“

Gogo brummte. Sie tranken und spielten die ganze Nacht Pool Billard.

Im Morgengrauen traf Peter vor der Haustür den Typ aus dem ersten Stock.

„Hey Baldinger“, grüßte der ihn beim Nachnamen. „Hallo Padberg“, gab Peter zurück. Sie grinsten beide breit. Padberg war dürr und gelb im Gesicht. Er hatte gerötete Augen und seine blonden Haare waren schändlich verschnitten. Peter öffnete mit seinem Durchsteckschlüssel die Tür. Wie jedes mal, seit Padberg eingezogen war, verabredeten sie, dass Peter ihn bald mal besuchen käme.

An diesem Abend aber klopfte Peter bei Padberg im ersten Stock. Verschlafen und in Rippunterhose öffnete der: „Ach, du bist es. Komm rein. Sind wir irgendwie verabredet? Ich kann mich an nichts mehr erinnern.“

Er schritt zurück in sein Bett, das mit der Kopfseite an der Wand stand, genau an der Stelle an der auch Peters Matratze drei Stockwerke höher war.

„Wie spät ist es denn?“ fragte er.

Peter las den digitalen Wecker auf dem Tisch ab: „Halb fünf.“

„Oh Schreck. Da muss ich ja wohl aufstehen.“ Er schaltete mit einer Fernbedienung einen kleinen Farbfernseher an, setzte sich in einen Korbsessel, neben dem Bett und fing an, einen Joint zu drehen. Peter setzte sich auf einen der Stühle. Über einem Öl-Radiator hingen Socken und es roch streng nach Schlaf, Wäsche und kaltem Marihuanarauch.

„Heizt du gar nicht mit Kohlen?“ fragte Peter.

„Kann man das?“ fragte Padberg verwundert und sagte: „Bestes Gras, Acapulco Gold. Nur die Blüten, da kommt kein normales Dope mit.“

Er kokelte das Hütchen an der Spitze ab, schnippte es weg, entfachte das Gras und inhalierte tief. Dann reichte den Joint Peter. Der sog daran. Es war wie ein Hammerschlag gegen das Innere seines Gehirns. Flirrende Punkte. Lust. Schrille Menschen, das DDR-Sandmännchen. Es musste wohl Padmann sein. Wo war er nur? Wo war der Mann? Der Pad, der Patt, der Pack. Schallendes Gelächter. Zerschmetterndes blaues Glas. Sprühende blaue Funken, weich wie Brüste.

Ohne Zeitgefühl kam er langsam wieder zu sich.

„Kennst du eigentlich die Leute, die hier wohnen? Ich kenn‘ nach mehr als zwei Jahren, immer noch niemand“, sagte Padberg, der resistent auf das Marihuana schien.

„Hast du noch keine Bekanntschaft mit der Hauswartsfrau gemacht?“ fragte Peter mit schwerer Zunge. Weiterhin schaffte er es nicht seine Mundwinkel zu kontrollieren, die immer noch nach oben drifteten.

„Schon, schon, aber sonst?“

„Neben der Hauswartsfrau wohnt eine Gans, die...“

„Nee, das mein ich nich! Ich mein die Frau im dritten“, unterbrach ihn Padberg.

„Ach so! Sag das doch gleich! Franka heißt sie. Ich hab‘ mal ihre neurotische Katze gepflegt. Ihre Wohnung ist dufte groß und hell, viel besser als unsere Löcher. Sie hat überall auf Wäscheleinen und in Gläsern komische Kräuter. Der Gestank ist penetrant. Irgendwie säuerlich, vergammeltes Essen, Katzenklo und Kräuter gemischt. Ach ja, und überall Sexwäsche. Nicht mein Typ die Tante. Studierst du eigentlich?“

„Ach Blödsinn, ich bin eingeschrieben für Filmtheorie, aber nur so, wegen der Versicherung und meiner Eltern und arbeite nachts als Kassenfuzzi im ‚Passagenkino‘. Immer wenn ich genug Geld zusammen habe, verreise ich. Bald muss ich wieder weg. Noch so einen Winter wie diesen, ertrage ich nicht. Nie ist es hell und diese Kälte, das hält man doch nich aus!“

„Und wohin fährst du denn so?“

„Australien oder Asien.“

„Wow.“

„Pack‘ mal die rein“, sagte er und reichte Peter eine CD. Angewidert von CDs nahm Peter die Plastikscheibe mit zwei Fingern und platzierte sie in der Mini-Stereoanlage.

„Stark! Ein Traum“, kommentierte Padberg die Funkmusik, die erklang. „Ich sehe Südseeinseln und rieche den besten Kiff der Welt. Den gibt es übrigens in Thailand, wusstest du das?“ Peter schüttelte den Kopf und sah auf den Bildschirm des Fernsehers, der ohne Ton lief. Er versuchte an den Lippen einer Nachrichtensprecherin abzulesen, worum es ging, aber die Schlagzeile, die hinter ihr eingeblendet wurde, zeigte, dass er ganz falsch gelegen hatte.

„Ich muss jetzt los ins Kino. Kannst ja später auch kommen. Ich lass‘ dich so rein“, sagte Padberg lasch.

„Was läuft denn? Das ist doch nen Kommerzkino, oder?“

„Schon. Wir spielen gerade ‚die nackte Kanone‘. Ist ganz lustig.“

„Hm. Weiß nich‘, das ist bestimmt Schrott.“

„Ach komm‘, ich geb‘ dir auch nen Bier aus.“

„Mal sehen, was so anliegt.“

die gekachelte Sonne

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