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»Die Situation ist unerträglich!«

Fürst Metternich schlug mit der Faust so fest auf den Schreibtisch, daß die goldenen Schreibutensilien leise klirrten.

»Du hast doch geahnt, daß der Zar ein schwieriger Fall werden könnte, mein Lieber«, warf seine Frau ruhig ein.

»Ich weiß, ich weiß«, antwortete der Fürst ungehalten, »aber nicht so schwierig. Der Mann ist ja nicht normal. Er ist...«

Er verstummte, als fehle ihm das richtige Wort.

» .. .wie sein Vater«, schlug die Fürstin hilfreich vor.

»Nein, so schlimm nun auch wieder nicht.« Mit raschen Schritten durchmaß der Fürst das Zimmer. Wie immer, wenn er in Gedanken versunken war, streckte er auch jetzt den markanten Kopf ein wenig vor und bekam auf diese Weise etwas von einem Adler, der bereit ist, sich auf seine Beute zu stürzen.

»Ich weiß nicht, was mit dem Zaren los ist. Manchmal scheinen zwei Seelen in seiner Brust zu wohnen.«

»Wie bemerkenswert, das von dir zu hören, Clemens«, rief die Fürstin überrascht. »Erst gestern sprachen wir über diese Theorie. Die Fürstin Liechtenstein erklärte, ihr Arzt sei der Ansicht, ein Mensch könne eine gespaltene Persönlichkeit haben und so Gott und Teufel in einer Person sein.«

»Vielleicht wäre der Zar der richtige Patient für diesen Arzt«, erwiderte der Fürst trocken, »denn in einem Augenblick hält Alexander sich für den geborenen Weltherrscher, den mächtigsten Mann in Europa, und im nächsten scheint er der gütige, christliche Wohltäter sein zu wollen, der allen Menschen die Freiheit und den Frieden schenken möchte.«

Die Fürstin seufzte. Die Gereiztheit ihres Mannes war nicht zu überhören.

»Und als wäre dies nicht genug«, fuhr der Fürst fort, »behindert Alexander den gesamten Kongreß, indem er sich ständig in die Unterhandlungen einmischt. Eigentlich sollten sich die Herrscher damit begnügen, sich zu amüsieren, während ihre Bevollmächtigten die wirkliche Arbeit erledigen. Der Zar aber hält sich an keine Absprachen und besteht darauf, selbst mit mir und Castlereagh zu verhandeln. Der arme Graf Nesselrode weiß überhaupt nicht, wie ihm geschieht und was er tun soll.«

»Du findest das ärgerlich, mein Lieber?« warf die Fürstin ein.

»Ärgerlich?« rief der Fürst und zog die Augenbrauen hoch. »Es ist unerträglich. So kann das nicht weitergehen. Es muß etwas geschehen - aber was?«

Seine schlanken, ausdrucksvollen Hände machten eine Geste der Verzweiflung.

Als sie ihn so vor dem Fenster stehen sah, dachte die Fürstin, was für einen schönen Mann sie doch geheiratet hatte, ein Gedanke, der sie jeden Tag seit ihrer Hochzeit begleitet hatte.

Nicht daß sein Gesicht von klassischer Schönheit gewesen wäre, aber es zeugte von großem Charakter, und aus seinen Augen sprühte Leben. Es war aber auch das Gesicht eines Mannes, dem die Herzen der Frauen zufielen, dachte sie plötzlich und spürte Eifersucht in sich aufsteigen.

»Was soll nur geschehen?« fragte der Fürst verzweifelt. »Der Kongreß platzt, wenn wir nicht etwas unternehmen. ,Der Kongreß tanzt', dieser spöttische Satz ist in aller Munde. Meine Feinde prophezeien mir die größte Niederlage meiner bisherigen Karriere und sie könnten recht bekommen - sie werden recht bekommen, Eleonore, wenn nicht ein Wunder geschieht und es mir gelingt, den Zaren von diesem zerstörerischen Kurs abzubringen.«

»Ein Wunder? Erwartest du nicht ein bißchen viel?« fragte die Fürstin leise lächelnd.

»Anderenfalls bin ich verloren«, antwortete der Fürst mit finsterer Miene.

Erneut durchmaß er mit großen Schritten den Raum, dessen Einrichtung von ihm persönlich ausgesucht worden war. Heute hatte er jedoch kein Auge für den herrlichen Perserteppich, der seine Schritte dämpfte.

Der Fürst nannte das Haus, das er selbst hatte erbauen lassen, sein Landhaus am Rennweg, und Kaiser Franz hatte auf diese Bemerkung hin lachend gemeint, er würde dieses Landhaus liebend gerne gegen die Hofburg eintauschen. Der Fürst hatte auch die Anlage des großen Parks überwacht und dort seltene Bäume und Büsche pflanzen lassen. Das wunderschöne Landhaus am Rennweg bildete nicht nur das Zentrum der Feste, auf denen der Kongreß tanzte, in ihm liefen auch die Fäden der Politik zusammen.

Nur die Frau des Fürsten und seine engsten Mitarbeiter wußten von der nervlichen Anstrengung, die er sich Tag für Tag zumutete; sein Auftreten, seine geistreichen Gespräche und sein temperamentsprühendes Benehmen verrieten nichts. Unstreitig überragte der Fürst alle übrigen wichtigen Personen, die sich in Wien versammelt hatten.

Kaiser Alexander von Rußland hatte ein riesiges Gefolge mitgebracht; damit wollte er wohl das einfache Volk beeindrucken, das endlich einsehen sollte, daß er ganz allein Napoleon besiegt hatte.

Gekommen waren auch Friedrich Wilhelm III. von Preußen, die Könige von Dänemark, Bayern und Württemberg sowie Viscount Castlereagh, der persönliche Beauftragte des Prinzregenten von England, dazu die schönsten Frauen Europas. Aber Kaiser, Könige, Fürsten, Staatsmänner, Politiker, Höflinge, Damen und Kurtisanen drehten sich ständig um die eine Figur in ihrer Mitte, den Fürsten Clemens von Metternich. Mit seinen hellen blauen Augen, der Adlernase, der vornehm blassen Hautfarbe und dem immer spöttischen Mund blieb er vielen unvergeßlich, nachdem die Erinnerung an unzählige Maskenbälle, Empfänge und Paraden längst verblaßt war.

Dieses alle überragende politische Genie hatte sich jedoch auch viele Feinde gemacht, die nur zu begierig auf seinen baldigen Sturz warteten.

»Ein Wunder«, wiederholte er jetzt, »ein Wunder muß geschehen, Eleonore.«

Dieser flehenden Stimme hatte sie sich noch nie entziehen können.

»Wenn ich dir doch nur helfen könnte« seufzte sie.

Er kam auf sie zu und legte ihr den Arm um die Schulter.

»Du hilfst mir bereits sehr«, sagte er.

Diese einfachen Worte, aus denen seine ungekünstelte Zuneigung sprach, beglückten sie. Rasch wandte sie sich ab, damit er ihre Rührung nicht sah.

»Danke«, flüsterte sie.

Wieder wollte er unruhig hin und her gehen, als er plötzlich den Diener bemerkte, der in der Tür stand.

»Ja, was gibt es?«

»Eine Dame wartet darauf, in einer privaten Angelegenheit empfangen zu werden, Eure Durchlaucht.«

»Eine Dame? Wie ist ihr Name?«

»Sie hat ihn nicht genannt, aber sie bat um eine Unterredung. Sie kommt vom Lande.«

»Ohne Verabredung kann ich niemand empfangen«, erwiderte der Fürst unwirsch.

»Ich weiß, Eure Durchlaucht, und ich habe es auch der jungen Dame gesagt. Sie blieb jedoch hartnäckig und meinte, Durchlaucht würden sie sicher sehen wollen.«

»Sagen Sie ihr, sie habe sich in der üblichen Weise anzumelden«, wies ihn der Fürst an. »Im Augenblick bin ich sehr beschäftigt.«

»Jawohl, Eure Durchlaucht!« Der Diener eilte hinaus, und der Fürst nahm seinen Rundgang wieder auf.

»Wir können auf keinen Fall zulassen, daß Polen ein souveräner Staat wird, der von Rußland beherrscht wird«, sagte er nachdenklich, als spräche er zu sich selbst. »Der Zar würde Europa noch stärker beherrschen als Napoleon. Alexander aber legt es darauf an, und König Friedrich Wilhelm neigt dazu, ihm dies zu gewähren, wenn auch vielleicht nur mir und den Engländern zum Trotz. Was wir hier unternehmen müssen, ist wahrscheinlich zu -« Er unterbrach sich, denn der Diener war erneut eingetreten. »Was gibt’s?«

»Die Dame bat mich, Ihnen dies zu überreichen, Eure Durchlaucht.«

Der Diener hielt ein goldenes Tablett, auf dem ein mit Türkisen und Diamanten besetztes Geschmeide lag, eine hübsche Kostbarkeit, aber sicherlich nicht von übergroßem Wert. Einen Augenblick starrte der Fürst es stumm an.

Er erinnerte sich an einen weißen Körper im Mondschein, an zwei weiche Lippen, an Brüste, die unter der Berührung seiner Hand erschauerten und an das Schlagen eines Herzens gegen das seine. Langsam streckte er die Hand nach dem Geschmeide aus.

»Führen Sie die Dame herein«, sagte er.

Augenblicklich erhob sich die Fürstin von dem Stuhl, auf dem sie gesessen hatte.

»Ich werde mich vor dem Ball heute abend noch etwas ausruhen.«

Der Fürst öffnete ihr die Tür und ging, sobald sie den Raum verlassen hatte, langsam zum offenen Kamin. Sinnend starrte er auf das Geschmeide, das er in der Hand hielt.

Er hatte diese Steine das letzte Mal gesehen, als er sie behutsam um einen schlanken Hals gelegt hatte. Es war ihm damals schwer gefallen, das Geld dafür aufzubringen, doch es war eine Ausgabe gewesen, die er nie bedauert hatte. Deutlich erinnerte er sich an den Duft der Lilien und an den Mondschein, bei dem sie sich getroffen hatten in jenem verschwiegenen kleinen Tempel inmitten des Waldes. Immer noch war in ihm die Erinnerung wach an den Zauber jener Stunden, selbst nach diesen vielen Jahren, in denen es andere zauberhafte Augenblicke gegeben hatte und viele monddurchflutete Nächte. Jung und unbedacht waren sie gewesen, hatten alles riskiert für jene heimlichen Küsse.

Plötzlich seufzte er.

Charlotte war jetzt fast vierzig, und ihr Erscheinen würde die Erinnerung an jene köstlichen Jugendsünden trüben. Aber Frauen waren immer gleich. Sie konnten sich einfach nicht damit abfinden, daß es oft besser war, die Vergangenheit ruhen zu lassen.

Da öffnete sich die Tür, und der Fürst richtete sich erwartungsvoll auf. Bei dem Anblick, der sich ihm bot, verschwand jedoch das Lächeln von seinen Lippen, und der Ausdruck seiner Augen änderte sich. Dies war nicht Charlotte, dies war jemand ganz anderes - ein Mädchen, das er noch nie zuvor gesehen hatte.

Sie kam auf ihn zu, und ihr Gang war so leicht, daß sie mehr auf dem Teppich zu schweben als zu gehen schien. Sie trug einen Reisemantel aus grünem Samt sowie ein Kleid aus weißer Seide, und ein winziger Hut mit grünen Federn saß auf ihrem goldenen Haar. Ihre Augen waren blau, so blau wie die seinen, umrahmt von langen schwarzen Wimpern. Als sie vor ihm stand, sank sie zu einem tiefen Knicks nieder.

»Vielen Dank, daß Sie mich empfangen, Durchlaucht.«

Ein wunderschön geformtes Gesicht sah ihn an - eine kleine geschwungene Nase, ein großer roter Mund und jene zwei unwahrscheinlich blauen Augen.

»Wer sind Sie?«

»Ich bin, Elisabeth Schönborn. Meine Mutter meinte, Sie würden sich sicher an sie erinnern. Sie hat mir einen Brief an Sie mitgegeben.«

Sie hielt ihm den Brief entgegen, und auch nach vielen Jahren erkannte er die Handschrift. Ohne ein Wort zu sagen, nahm er den Brief entgegen, die Augen fest auf das Mädchen gerichtet.

»Ja, ich erinnere mich an Ihre Mutter«, sagte er. Dann öffnete er den Brief und las:

»Ich bin sehr krank. Die Ärzte machen mir keine großen Hoffnungen mehr. Bei meinem Tod wird man Elisabeth zu den Schwestern meines verstorbenen Mannes nach Bayern schicken. Sie sind jedoch schon alt und streng. Sie verstehen es sicher nicht, mit einem jungen Mädchen umzugehen. Verschaffen Sie Elisabeth ein bißchen Glück, bevor sie abreisen muß. Vergeben Sie mir diese Bitte, doch glaube ich, daß Sie Elisabeths Anblick belohnen wird. Charlotte.«

»Ihre Mutter ist gestorben?« fragte er.

»Ja, sie ist im Frühsommer gestorben«, antwortete das Mädchen. »Sie können sich an sie erinnern?«

»Ja, ich erinnere mich an sie.«

Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, und es erschien ihm wie die ersten Strahlen der Frühlingssonne.

»Ich bin so froh«, sagte sie. »Ich hatte schon befürchtet, daß sie sich geirrt hat. Meine Mutter war nämlich sehr lange krank.«

»Aber natürlich erinnere ich mich an sie«, wiederholte der Fürst. Er sah, das Mädchen schweigend an und fragte dann plötzlich: »Wie alt sind Sie eigentlich?«

»Ich werde nächsten Monat achtzehn.«

»Nächsten Monat!« rief der Fürst erstaunt. »Und Sie heißen Elisabeth?«

»Elisabeth Maria Clementina, um genau zu sein«, antwortete sie lächelnd.

Dem Fürsten stockte der Atem.

Clementina - die Erinnerung an jene glücklichen Nächte dort in dem kleinen Tempel stieg erneut vor ihm auf. Einen Augenblick war es nicht Elisabeth, die vor ihm stand, sondern Charlotte: Sie streckte ihre Arme nach ihm aus, ihre warmen Lippen suchten die seinen, ihr schlanker Leib drängte sich verlangend an ihn. Charlottes Augen jedoch waren grau, während die von Elisabeth blau waren.

Es kostete den Fürsten einige Mühe, diese Erinnerungen abzuschütteln. Das Mädchen wartete auf seine Entscheidung, ob es bleiben durfte oder nicht.

»Man schickt Sie also nach Bayern«, sagte er. Er versuchte seine Gedanken zu ordnen.

»Ja, jetzt, da meine Mutter tot ist, habe ich niemand mehr, nur ein paar alte Tanten. Aber ich will eigentlich gar nicht nach Bayern.«

»Sie mögen Ihre Verwandten nicht?«

»Sie sind eigentlich ganz nett. Aber ich muß alles verlassen, auch mein geliebtes Österreich.«

»Sie lieben Ihr Land?«

»Gewiß!«

Er wußte, dies war das Wunder, um das er gebetet hatte.

»Sie sagen, Sie lieben Österreich«, sagte er ruhig. »Dann wären Sie wohl auch bereit, für Ihr Land etwas zu tun?«

»Aber natürlich - alles!«

»Sind Sie ganz sicher?«

»Sagen Sie mir, was ich tun soll, und wenn es in meinen Kräften steht, dann werde ich es tun. Das verspreche ich Ihnen.«

»Ich denke, ich kann Ihnen vertrauen«, sagte der Fürst langsam. »Aber Sie müssen sehr müde und durstig sein nach der langen Reise. Bitte setzen Sie sich doch. Vielleicht möchten Sie eine kleine Erfrischung zu sich nehmen?«

»Das ist überhaupt nicht nötig«, erwiderte Elisabeth rasch. »Ich habe meine Reise an einem kleinen Gasthof am Stadtrand unterbrochen. Ich wollte nicht abgehetzt und staubbedeckt hier ankommen.«

Diese Worte gefielen dem Fürsten sehr, waren sie doch ein Beweis von Elisabeths Klugheit. Für das Mädchen hing eine ganze Menge von dem Eindruck ab, den es hier machte, und es hatte sich deshalb gut auf seinen ersten Besuch in Wien vorbereitet. Das bewies eine Weitsicht, die der Fürst gern sah. Anscheinend hatte sie nicht nur die blauen Augen geerbt.

»Zumindest könnten wir uns setzen«, erwiderte er mit dem Lächeln, das die Frauen so unwiderstehlich fanden.

Sie setzte sich auf den Stuhl, den er ihr anbot, und da saß sie nun kerzengerade, aber mit einer entzückenden Grazie. Ihre Augen blitzten vor freudiger Erwartung.

»Vor Ihrer Ankunft hatte ich um ein Wunder gebetet, das mir aus einer Schwierigkeit helfen würde«, sagte der Fürst ruhig. »Ich denke, Sie sind die Antwort auf dieses Gebet.«

»Was soll ich tun?«

»Das werde ich Ihnen gleich sagen. Sie werden Mut und Intelligenz, vor allem aber Ihren ganzen Charme brauchen.«

»Ich habe keine Angst.«

»Also gut. Ich werde Ihnen so einfach wie möglich erklären, was ich von Ihnen erwarte. Sie werden sicher wissen, daß sich die Vertreter der Großmächte in Wien versammelt haben, um ein Abkommen über einen Frieden in Europa zu schließen. Meiner Meinung nach kann dieser Friede nur dann von langer Dauer sein, wenn ein ungefähres Gleichgewicht besteht zwischen den Großen - als da sind Rußland, Preußen, Österreich, England und Frankreich.«

»Das verstehe ich.«

»Nun, leider versucht der Zar, aus Polen ein Land unter seiner Vorherrschaft zu machen. Sowohl Österreich als auch England können dem nicht zustimmen, ebenso wenig Frankreich. Der Zar jedoch ist ein schwieriger Mann - manchmal ein naiver Idealist, manchmal aber auch äußerst verschlagen und berechnend. Ich muß immer rechtzeitig und, wenn möglich, früher als alle anderen darüber unterrichtet sein, was meine Gegner planen. Habe ich mich so weit klar ausgedrückt?«

»Ja.«

»Am leichtesten erfährt man natürlich die Pläne seines Gegners von seinen Freunden, aber noch besser von den Frauen, denen er vertraut.«

»Und dabei soll ich Ihnen helfen?« Elisabeth sagte dies ganz nüchtern.

»Genau. Sie sind neu in Wien. Sie sind schön, niemand kennt Sie. Ideal für meine Zwecke.«

»Aber was ist...«, Elisabeth zögerte kurz, bevor sie es aussprach, »was ist, wenn ich dem Zaren nicht gefalle?«

»Das müssen wir abwarten. Der Zar hat eine große Schwäche für schöne Frauen, aber Sie brauchen sich nicht vor ihm zu fürchten. Verzeihen Sie meine Offenheit, aber es ist wirklich besser, wenn Sie darüber Bescheid wissen. Er hat eine Geliebte, Madame Marie Narischkin, die jedoch aus Gründen der Diskretion und wegen der Anwesenheit der Zarin in Wien in einem Dorf der Umgebung wohnt. Madame Narischkin muß einen ungewöhnlichen Einfluß auf ihn haben. Obwohl sie häufig andere Liebhaber hat, erwartet sie von ihm unbedingte Treue, und meine Informanten berichten, daß er sich peinlich genau an diese Forderung hält. Er mag Frauen, er macht ihnen den Hof, aber das ist auch schon alles - wenn Sie mich richtig verstehen.«

»Ich verstehe sehr gut. Wie werde ich dem Zaren begegnen?«

»Das läßt sich arrangieren«, erwiderte der Fürst. »Sie müssen nur die Gelegenheit ergreifen, wenn sie sich bietet. Und dann brauchen Sie nur noch zuzuhören. Jeder Mann redet, egal ob Kaiser oder Diener, Fürst oder Bettler. Alles, was sie brauchen, ist ein Zeichen der Ermutigung von der Frau, die sie versteht.«

»Und danach?«

»Sie erzählen mir alles, was gesagt wurde. Aber wir müssen uns in dieser Angelegenheit sehr in acht nehmen. Nichts bleibt geheim in Wien, sogar die Wände haben Ohren. Niemand darf auch nur ahnen, um was es Ihnen bei einem Flirt mit dem Zaren wirklich geht.«

»Ich verstehe.«

»Gut. Sie kennen mich nicht, wir stehen in keinerlei Verbindung, und wir haben uns noch nie gesehen. Sie werden bei einer über jeden Verdacht erhabenen Person wohnen, die Sie in die exklusivsten Zirkel einführen wird. Man wird Sie als die Tochter Ihrer Mutter vorstellen. Nur wenige Leute wissen, daß ich und Charlotte vor vielen Jahren befreundet waren. Es darf niemand auch nur ahnen, daß wir Bekannte sind.«

»Ich werde Sie aber wiedersehen, nicht wahr?«

»Sie werden mich sogar sehr oft sehen«, sagte der Fürst lächelnd, »und zwar sowohl in der Öffentlichkeit als auch privat, das letztere jedoch nur unter Wahrung von äußerster Diskretion. Sind Sie bereit, sich darauf einzulassen, Elisabeth?«

»Ich würde alles für Sie tun. Meine Mutter hat viel von Ihnen gesprochen und mir erzählt, was für ein wunderbarer Mensch Sie sind. Von ihr weiß ich, wieviel Europa und Österreich Ihnen zu verdanken haben.«

Der Fürst lächelte geschmeichelt.

»Wenn Sie lang genug in Wien sind, können Sie auch ganz andere Geschichten über mich zu hören bekommen. Lord Castlereagh beispielsweise nennt mich einen politischen Hanswurst.«

»Wie kann er es nur wagen?«

»Er darf genauso seine Meinung haben wie Sie. Aber überlegen Sie es sich noch einmal gut. Ich könnte es sehr wohl verstehen, wenn Sie sich lieber nicht in so gefährliche Angelegenheiten einmischen möchten. Ich würde es trotzdem so einrichten, daß Sie in Wien bleiben können, um die großen Bälle zu besuchen.«

Elisabeth erhob sich und legte bekräftigend ihre Hand auf die des Fürsten.

»Ich glaube, Sie verstehen mich nicht ganz. Als ich Ihnen sagte, ich liebe mein Vaterland, war das mein völliger Ernst. Ich bin bereit, für mein Land zu sterben, wenn dies nötig sein sollte. Wenn ich ihm jedoch auf andere Weise dienen kann, dann macht es mich stolz, dazu auserwählt zu sein.«

Der Fürst ergriff ihre kleine Hand. Er sah, daß auf ihren Wangen das Feuer der Entschlossenheit brannte.

»Ich bin stolz auf Sie. Aber jetzt müssen Sie gehen. Es wäre unklug, wenn man Ihre Kutsche allzu lange vor meiner Tür stehen sieht. Sagen Sie allen, daß Sie versucht hätten, empfangen zu werden, daß es aber unmöglich gewesen sei. Fahren Sie von hier aus zur Baronin von Waluzen. Sie ist eine entfernte Verwandte meiner Frau und absolut vertrauenswürdig. Aber selbst ihr sollten Sie so wenig wie möglich von Ihrem Besuch bei mir verraten. Ich werde noch darüber nachdenken, wie ich mit Ihnen in Verbindung treten kann. Als allererstes sollten Sie sich erst einmal ausruhen, damit Sie für den Maskenball, heute abend frisch sind.«

»Ein Maskenball ?«

»Ja. Maskenbälle sind der letzte Schrei. Hier mischen sich die gekrönten Häupter, Fürsten, Adlige und Politiker unter das gemeine Volk. Jeder tanzt mit jedem. Alle tragen Kostüm und Maske. Sie werden noch von mir erfahren, in welchem Kostüm der Zar erscheint.«

»Soll ich mit ihm tanzen?«

»Sorgen Sie dafür. Eine zufällige Begegnung ist viel unverdächtiger als eine förmliche Vorstellung.«

»Ich kann kaum glauben, daß das alles wahr ist. Vielen, vielen Dank.«

Sie verbeugte sich tief und drückte einen flüchtigen Kuß auf seine Hand.

»Ich hatte so schreckliche Angst, als ich hierher kam. Angst davor, daß Sie mich abweisen würden. Und jetzt bin ich so glücklich, daß ich es kaum fassen kann.«

»Reden wir nicht mehr davon«, sagte der Fürst und sagte nach einer kleinen Pause.

»Sie sehen Ihrer Mutter nicht besonders ähnlich.«

»Genauso wenig wie meinem Vater«, erwiderte sie.

»Nein?« Es war eine Frage, aber sie verstand sie nicht.

Der Fürst ging zum Schreibtisch, setzte sich und entwarf einen kurzen Brief, den er dem Mädchen anschließend überreichte.

»Geben Sie diesen Brief der Baronin von Waluzen«, sagte er. »Sie können sicher bei ihr wohnen. Sie wird Ihnen auch alles besorgen, was Sie brauchen. Sie sollen sich in Wien nicht langweilen.«

Elisabeth lachte glücklich. Sie ergriff den Brief, wandte sich der Tür zu und wollte schon das Zimmer verlassen als ihr noch etwas einfiel.

»Können Sie mir den Anhänger wiedergeben? Er hat meiner Mutter gehört.«

»Aber natürlich.« Der Fürst zog ihn aus seiner Tasche und überreichte ihn ihr.

»Meine Mutter bat mich, ihn immer aufzubewahren. Sie hat ihn von jemand erhalten, den sie sehr liebte.«

»Hat sie Ihnen gesagt, von wem?«

»Nein, aber ich habe es erraten.«

Blaue Augen blickten in blaue Augen.

Der Fürst verbeugte sich und küßte ihr die Hand, die den Anhänger umschloß.

»Ich bin froh, daß mich Ihre Mutter nicht vergessen hat«, sagte er mit weicher Stimme.

»Als ob das so leicht gewesen wäre«, antwortete Elisabeth lächelnd.

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