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ОглавлениеAls die Kutsche langsam durch die engen Straßen fuhr, in denen ein reger Verkehr herrschte, fühlte Elisabeth sich plötzlich ganz jung und sehr hilfsbedürftig.
War es wirklich so klug gewesen, allein nach Wien zu fahren? Ohne Begleitung wagte sie, das Mädchen vom Lande, sich zu einem gesellschaftlichen Ereignis. Sie dachte an ihre Kleider in den großen Lederkoffern; sicher würden sie hier völlig provinziell wirken. Nur gegen den ausdrücklichen Wunsch der Schwestern ihres Vaters hatte sie sich auf den Weg in die große Stadt gemacht. Die Tanten hätten sie an der Reise gehindert, wenn dies möglich gewesen wäre, aber man konnte die letzten Wünsche ihrer Mutter nicht einfach übergehen. Bis zuletzt hatten die Tanten geunkt, daß nichts Gutes dabei herauskommen könnte.
Jetzt fragte sie sich, ob sie nicht doch recht gehabt hatten. Außer dem Fürsten kannte sie wirklich niemanden. Zugegeben, er war sehr freundlich gewesen. Immer noch war sie ganz aufgeregt, daß er sie nicht nur willkommen geheißen, sondern darüber hinaus gebeten hatte, ihm und Österreich zu helfen. Solange sie bei ihm gewesen war, hatte das auch alles sehr einfach und einleuchtend geklungen. Jetzt aber, da sie allein war, hatte sie Angst, sie könnte versagen.
Der Fürst hatte es sich so einfach vorgestellt: Sie sollte den Zaren kennenlernen, mit ihm tanzen und Konversation treiben. Nun, da sie allein war, gelang es ihr ganz und gar nicht sich vorzustellen, wie ihr das gelingen könnte. Sie wußte ja noch nicht einmal, wie man sie im Haus der Baronin empfangen und ob sie überhaupt an dem Ball würde teilnehmen können.
Was sollte sie denn heute abend anziehen? Einen Augenblick war sie versucht, dem Kutscher zuzurufen, er solle umkehren und sie in die Sicherheit und Geborgenheit ihrer Jugend zurückfahren.
Doch dann stieg vor ihrem geistigen Auge das Gesicht ihrer Mutter auf, bleich und ausgezehrt von der Krankheit, und sie hörte wieder ihre Worte: »Ich möchte, daß du ausgehst, mein Kind. Du solltest all das auch erleben, was ich in meiner Jugend hatte - durchtanzte Bälle, schöne Kleider und schöne Männer.«
»Und wo gibt es die?« hatte sie lachend gefragt.
Ihr Haus lag hoch oben in den Bergen, und oft vergingen Monate, ohne daß sie jemand anderen als die Bauern der Umgebung zu Gesicht bekamen.
»Ich sehe ein, hier ist es unmöglich«, hatte Charlotte Schönborn geantwortet und sich müde in die Kissen zurückgelehnt. Aber ein paar Tage später hatte sie erneut davon angefangen.
»Elisabeth, komm her und mach die Tür zu«, hatte sie gesagt.
Verwundert hatte Elisabeth gehorcht, und als sie neben die Kranke getreten war, hatte diese ihre Hand genommen.
»Hör zu, mein Liebling«, hatte sie gesagt, »ich habe erfahren, daß man in Wien einen großen Kongreß einberufen wird.«
»Das weiß doch jedes Kind«, hatte Elisabeth geantwortet. »Man will einen dauerhaften Frieden schaffen.«
»Hoffentlich kommt es soweit«, hatte die Mutter geseufzt. »Aber begreifst du denn nicht, was das heißt? Man wird Bälle, Paraden, Kostümfeste und Konzerte veranstalten. Du solltest dabei sein.«
»Unmöglich. Wie soll das denn gehen?«
»Es läßt sich alles arrangieren«, hatte die Gräfin geantwortet.
Sie erzählte Elisabeth genau, was sie machen sollte, schrieb mit letzter Kraft jenen Brief an den Fürsten Metternich und gab ihr schließlich den kostbaren Türkisanhänger.
»Gib meinen Brief nur dem Fürsten selbst«, hatte sie gesagt. »Vertraue ihn niemand an. Diener und Sekretäre verlieren solche Dinge zu leicht oder wagen es nicht, ihre Herren damit zu behelligen. Wenn er dich nicht empfangen will, laß ihm den Türkis überbringen. Er wird ihn erkennen.«
Genauso war es gekommen. Mit Schrecken dachte Elisabeth an den Augenblick zurück, als der Fürst sie nicht empfangen wollte und sie in ihrer Verzweiflung den Anhänger auf das Tablett eines hochmütigen Lakaien gelegt hatte. Sie hatte das Gefühl eines Spielers gehabt, der seinen ganzen Besitz auf eine Karte setzt.
Das Herz war ihr vor Freude gehüpft, als der Diener zurückkehrte, um ihr zu sagen, der Fürst wolle sie doch empfangen. Noch immer spürte sie die Berührung seiner Lippen auf ihren Fingern. Nein, sie konnte ihn nicht enttäuschen. Sie preßte die Hände zusammen, um ihr Zittern zu unterdrücken.
Jetzt wurde die Kutsche langsamer und bog in die halbkreisförmige Einfahrt eines hübschen Stadtpalais ein. Der Eingang wurde geöffnet.
Elisabeth zwang sich zum Aussteigen.
»Ich habe hier einen Brief für die Baronin von Waluzen«, erklärte sie.
Ein Diener in Livree und Perücke nahm den Brief entgegen, ein anderer führte sie in einen kleinen Warteraum, wo er rasch ein paar Kerzen anzündete.
Elisabeth fröstelte. Wenn die Baronin sie nun nicht empfing, wenn sie nun nicht hier bleiben konnte? Wien war voll, jedes Bett, jedes Zimmer war belegt, und unerwartete Gäste mußten oft in ihren Kutschen oder - noch schlimmer - auf einer Bank im Prater übernachten. Vor Erschöpfung begann sie zu zittern. Daß sie etwas gegessen hatte, war nur die halbe Wahrheit gewesen, denn sie war viel zu aufgeregt gewesen, um mehr als ein paar Bissen hinunterzubekommen. Aber jetzt verspürte sie großen Hunger und Durst.
Da erschien der Diener in der Tür und führte sie durch die große Eingangshalle und einen langen Gang entlang, in dem viele Ahnenbilder hingen. Schließlich öffnete er eine Tür, und sie standen in einem hellerleuchteten Zimmer.
Es war der merkwürdigste Raum, den Elisabeth je gesehen hatte. Er war vollkommen vollgestopft mit Möbeln, Porzellanvasen, Elfenbeinschnitzereien, Gläsern und Silbergefäßen, so daß man Angst haben mußte anzustoßen. Einen Augenblick dachte sie, sie befinde sich allein im Zimmer, aber dann sah sie am Kamin eine alte Frau sitzen.
Trotz ihres Alters saß sie kerzengerade in ihrem Sessel. Um Hals und Handgelenke hingen eine Unmenge von funkelnden Juwelen, und an der Hand, die sie Elisabeth entgegenstreckte, glitzerte an jedem Finger mindestens ein Ring.
»Sie sind also Charlotte Schönborns Tochter«, sagte sie mit einer tiefen, rauhen Stimme, die wie das Krächzen eines exotischen Vogels klang.
»Ja, Madame« antwortete Elisabeth und machte einen tiefen Knicks.
»Und genauso hübsch wie die Frau Mama. Ich kann mich gut an sie erinnern und an die Hochzeit mit Ihrem Papa. Ich hätte eigentlich nicht erwartet, daß sie glücklich wird - dazu war er viel zu alt für sie.«
Elisabeth wußte nicht, was sie darauf erwidern sollte, und sagte deshalb nichts, sondern stand nur vor der Baronin und bemühte sich, nicht zu auffällig die Juwelen anzustarren, die bei jeder Bewegung der alten Frau funkelten: »Sie ähneln ihm nicht im geringsten«, sagte die Baronin mehr zu sich selbst als zu Elisabeth. »Noch dazu blaue Augen - ich frage mich...«
»Was fragen Sie sich, Madame?« wollte Elisabeth wissen.
»Oh, ich habe wohl laut gedacht«, schreckte die Baronin hoch. »Eine entsetzliche Angewohnheit. Ich bin zu viel allein. Nun, jetzt sind Sie ja da - wenn ich richtig verstehe, sollen Sie bei mir wohnen?«
»Wenn Sie die Güte haben, mich aufzunehmen, Madame.«
Über diese Bemerkung schien sich die Baronin zu amüsieren.
»Fürst Metternich wünscht es«, sagte sie, »und was er sich wünscht, das bekommt er auch. Ganz Wien gehorcht ihm. Aber das werden auch Sie sehr bald herausfinden. Jetzt sollten Sie sich aber etwas ausruhen, denn wir werden heute abend zum Maskenball gehen.«
»Sie auch, Madame?«
»Aber natürlich! Haben Sie geglaubt, Sie könnten mich ganz einfach hier lassen? Vielleicht bin ich etwas alt, aber ich bin noch nicht so alt, daß ich lieber ins Bett gehe als auf einen Ball. Ich werde noch sehr viel Zeit zum Ausruhen haben, wenn ich erst einmal im Grab liege. Ab jetzt, mein Kind, und schlafen Sie nach Möglichkeit ein bißchen.«
»Aber was soll ich bloß anziehen?« fragte Elisabeth.
Anstatt zu antworten, blinzelte die Baronin durch ein diamantenbesetztes Lorgnon auf den Brief, der in ihrem Schoß lag. »Der Fürst meint, ich soll Sie angemessen anziehen. Das kann doch nur einem Mann einfallen. Wo soll ich denn um diese Zeit ein Ballkleid herzaubern?«
»Ich habe zwei Ballkleider dabei, Madame«, sagte Elisabeth. »Eines ist aus weißer Seide und mit kleinen türkisfarbenen Knöpfen verziert. Als wir es machen ließen, erschien es mir wunderschön, aber jetzt in Wien bin ich mir nicht mehr so sicher.«
»Hat es Ihre Mutter ausgesucht?«
»Ja, Madame.«
»Charlotte hatte immer einen guten Geschmack. Ich denke, wir können uns darauf verlassen, daß es für heute abend reicht. Wenn nicht, können Sie ja immer noch ein Kostüm anziehen.«
»Wie kann ich Ihnen nur danken?« fragte Elisabeth. »Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.«
»Verlieren wir keine Worte, mein Kind«, erwiderte die Baronin. »Ich gehorche nur dem Fürsten, und außerdem tut es mir gut, daß ich ein junges Gesicht um mich habe.«
»Danke, Madame, vielen Dank!«
Bald darauf merkte Elisabeth, daß ihre Sorge, das Kleid könnte den Wiener Ansprüchen nicht genügen, völlig unbegründet war. Es war einfach geschnitten, aber es stand ihr viel besser als jedes noch so prächtige Kleid. Sie legte den Türkisanhänger ihrer Mutter an, nahm die langen Abendhandschuhe in die Hand und ging.
Wenn ihr die alte Dame schon zuvor unwirklich vorgekommen war, so war ihre Erscheinung jetzt geradezu märchenhaft. Sie trug ein aufwendig gearbeitetes Kleid aus grünem Satin mit einem tiefen Ausschnitt, der ihre dünnen, blauadrigen Arme und knochigen Schultern freiließ; ihr Hals jedoch war fast nicht zu sehen unter einer Reihe von diamantenbesetzten Halsketten. Auf dem schlohweißen Haar trug sie eine mit weiteren Diamanten geschmückte Tiara.
»Sie sehen sehr hübsch aus, meine Liebe«, sagte die Baronin und fügte nach einem lauten Lachen hinzu: »Das wird den Leuten Gesprächsstoff geben. Der Frühling und der Winter Seite an Seite.«
»Tragen wir Masken?« fragte Elisabeth.
»Bei mir kann eine Maske auch nichts mehr verbergen«, antwortete die Baronin trocken, »und in Ihrem Alter sollte man so wenig wie möglich verdecken. Nur die älteren Frauen tragen eine große Maske, in der Hoffnung, doch noch einen Mann einfangen zu können! Hier ist Ihre Maske.«
Dabei hielt sie ihr ein winziges samtenes Etwas entgegen, einen Stoffstreifen, in den man zwei Löcher für die Augen geschnitten hatte.
»Und jetzt wollen wir zu Abend essen«, sagte die Baronin und führte Elisabeth in ein Speisezimmer.
Eine solche Mahlzeit hatte Elisabeth bisher nur im Traum für möglich gehalten; jeder Gang zeugte vom Einfallsreichtum des Kochs und den Möglichkeiten einer herrschaftlichen Küche. Elisabeth schämte sich fast, als sie an die einfachen Mahlzeiten dachte, die es zu Hause gegeben und die sie immer köstlich gefunden hatte. Es war kein Vergleich mit dem, was sie hier vorgesetzt bekam.
Es war fast neun Uhr, als sie sich schließlich auf den Weg machten. Eine Kutsche brachte sie zur Hofburg, wo der Ball stattfinden sollte. Bald befanden sie sich in einer fast endlosen Prozession vornehmer Kutschen, die alle in die gleiche Richtung fuhren.
Elisabeth hatte der Baronin gegenüber kein Wort von ihrem besonderen Auftrag erwähnt, doch ging sie davon aus, daß die alte Dame sehr wohl wußte, daß der Fürst immer seine eigenen Pläne verfolgte.
Als sie sich der Hofburg näherten, sagte die Baronin plötzlich: »Fürchten Sie sich nicht! Leute, die sich fürchten, nützen weder sich noch anderen.«
»Ich habe keine Angst mehr«, sagte Elisabeth. »Nur kurz, bevor ich in Ihr Haus kam, wäre ich am liebsten davongelaufen.«
»Gott sei Dank haben Sie es nicht getan«, antwortete die Baronin mit der ihr eigenen Trockenheit. »Glauben Sie mir: Jeder, der Ihnen weismachen will, daß er in seinem Leben noch nie Angst gehabt hat, lügt.«
Inzwischen waren sie angekommen, und ein paar Lakaien beeilten sich, ihnen den Schlag zu öffnen und die Tritte der Kutsche herabzulassen.
Als sie den großen Tanzsaal betraten, fanden sie sich im hellen Licht von Tausenden von Kerzen. Überall standen große, mit den herrlichsten Blumen gefüllte Vasen. An den Wänden waren Stühle aufgereiht, auf denen die Gäste saßen, die gerade nicht tanzen wollten. Einige trugen Kostüme, während andere in kostbare Abendgarderoben gekleidet waren. Es gab mehrere Orchester, die abwechselnd Walzer und Polonaisen spielten. Aus den angrenzenden Räumen ertönten die Klänge eines Menuetts.
Alle Anwesenden waren maskiert. Es herrschte eine ausgelassene Stimmung. Die anwesenden Frauen versuchten, ihren Partnern zu verheimlichen, ob sie vornehmer Herkunft oder gewöhnliche Kurtisanen waren. Das erste Mal in ihrem Leben sah Elisabeth Menschen, die sich wie trunken dem Tanz hingaben.
Die Baronin ging voraus, und Elisabeth bemerkte, daß man die alte Dame trotz ihrer Maske aus grünem Satin erkannte. Die Leute sprachen sie von allen Seiten an, einige respektvoll, andere vertraut wie alte Bekannte.
»Ich erwähnte gerade«, sagte ein Mann, wobei er seinen Freunden zublinzelte, »daß ein Ball ohne Sie, verehrte Baronin, einfach unvollkommen bliebe.«
»Weder als Schmeichler noch als Witzbold haben Sie sich je hervorgetan, mein lieber Graf«, fertigte die Baronin den Vorwitzigen kurz ab und ging weiter, bevor diesem eine Erwiderung einfiel. Schließlich setzte sie sich auf einen Sessel im rückwärtigen Teil des Saals, der anscheinend für die höhergestellten Teilnehmer reserviert war, und bevor Elisabeth die Frage stellen konnte, die sie als einzige interessierte, tat ihr jemand den Gefallen.
»Sind die Majestäten schon hier?« fragte eine Frau in gelbem Kostüm.
»Ich glaube, da kommen sie gerade«, antwortete ihr Begleiter, ein großer Mann mit rotem Bart.
»Woher wissen Sie das?« fragte die Frau.
»Sie wollen sich zwar unter das Volk mischen«, erwiderte der Begleiter, »lassen aber keinen Zweifel daran, daß dies eine Herablassung ist. Schauen Sie sich nur den König von Preußen an. Bei solchen Gelegenheiten benimmt er sich wie ein Bulle, der auf eine Herde Kühe stößt.«
»Pst, pst«, rief die Frau in Gelb rasch.
In Elisabeths Ohr war auf einmal eine Stimme.
»Der Zar«, flüsterte sie, »trägt einen schwarzen Mantel mit silbernen Spangen und darunter eine weiße Uniform mit einer einzigen Auszeichnung.«
Die Stimme war so leise, daß Elisabeth einen Augenblick ihren Ohren nicht traute. Als sie sich rasch umblickte, sah sie noch ein Affenkostüm, das sich eilig von ihr entfernte und in der bewegten Menge verschwand.
Die Baronin hatte offensichtlich nichts bemerkt.
»Da drüben tanzt die Herzogin von Oldenburg«, rief sie. »Sie glaubt, sie ist verkleidet, aber diese Perlen würde ich auf der ganzen Welt wiedererkennen.«
»Heißt das, daß der Zar auch da ist?« fragte Elisabeth.
»Ich denke schon«, antwortete die Baronin uninteressiert.
Gerade als Elisabeth versuchte, in der Menge die beschriebene Figur auszumachen, verbeugte sich ein Clown mit einer bunten Maske vor ihr.
»Schöne Nymphe, schenk mir diesen Tanz. Verweigerst du ihn mir, so sterbe ich.«
Ohne auf die Erlaubnis der Baronin zu warten, nahm Elisabeth die Aufforderung an, denn sie verschaffte ihr die erhoffte Gelegenheit, sich im Saal umzusehen und vielleicht den Zaren zu finden. Noch wußte sie jedoch nicht, was sie dann tun würde.
Eine wilde Polonaise zog sie mit sich, und ihr Partner schwenkte sie wild im Kreis herum, als sie plötzlich den Zaren erblickte. Sie sah einen schwarzen Mantel mit silbernen Spangen, der gerade so weit zurückgeschlagen war, daß jedermann die funkelnden Diamanten auf der weißen Uniform sehen konnte.
Mit einer Geschicklichkeit, die sie sich nicht zugetraut hätte, entwand sich Elisabeth den Armen ihres Tanzpartners, verlor ihn sofort in dem Getümmel und strebte eiligst auf die Stelle zu wo sie den Zaren erblickt hatte.
Richard Melton fühlte sich etwas unbehaglich in seiner Rolle. Der Uniformrock des Zaren war ihm zu eng, und außerdem paßte ihm die ganze Situation nicht. Sich in Gesellschaft zu bewegen, hatte Richard noch nie Vergnügen bereitet, und dieser Abend war keine Ausnahme. Noch dazu hatte man ihn beim Abendessen nicht neben Katharina gesetzt, sondern zwischen zwei langweilige Hofdamen. Richard betrat deshalb ziemlich mißgelaunt den Ballsaal. Die Dienstbeflissenheit der Lakaien und die tiefen Knickse der Hofdamen, die in ihm den Zaren zu grüßen glaubten, entlockten ihm freilich ein spöttisches Lächeln! Ein Blick in einen der Wandspiegel hatte ihm gezeigt, daß der Friseur des Zaren ganze Arbeit geleistet hatte. Er sah tatsächlich wie der Herrscher aus.
Ich frage mich, wie lange ich das ertragen muß, dachte er beim Betreten des Ballsaals. Er wollte nicht tanzen, sondern etwas trinken und wandte sich deshalb an einen der Erfrischungstische, als er plötzlich eine Hand auf seinem Arm spürte und eine zarte Stimme sagen hörte: »Vorsicht, Sie treten auf meinen Fächer. Oh, jetzt ist er kaputt.«
Er bemerkte etwas zu seinen Füßen, und als er hinunterblickte, sah er, daß da der in zwei Hälften zerbrochene Perlmuttgriff eines Fächers lag. Er hob ihn auf und blickte gleich darauf in ein kleines, herzförmiges Gesicht mit zwei sehr blauen Augen hinter einer winzigen schwarzen Samtmaske. Er fragte sich, ob er es schon einmal gesehen habe, kam aber zu dem Schluß, daß das nicht der Fall sein konnte.
»Ich kann ihn reparieren lassen.«
»Geht das denn?«
»Aber natürlich. Ich kenne da einen Handwerker in der Stadt, der alles reparieren kann - gebrochene Herzen ausgenommen.«
Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht und auf der linken Wange erschien ein kleines Grübchen.
»Kommen Sie dort hinüber. Dort können wir miteinander sprechen«, schlug er vor. »Oder möchten Sie lieber tanzen?«
»Könnten... könnten wir tanzen?«
»Aber natürlich.«
Er legte den Arm um sie. Sie ließ sich bewegen wie eine Feder. Er hatte nicht geglaubt, daß jemand so leicht sein könnte.
Das Orchester spielte einen Walzer, und sie drehten und drehten sich und redeten kein einziges Wort. Als die Musik schließlich endete, befanden sie sich genau am Eingang zu einem schwach beleuchteten Vorraum, in dem hinter einer Blumendekoration zwei leere Stühle standen.
»Setzen wir uns doch«, bat Richard.
Sie folgte ihm, doch als er sie ansah, senkte sie scheu den Blick.
»Erzählen Sie mir von sich«, sagte er freundlich. »Wer sind Sie?«
»Ich heiße Elisabeth«, antwortete sie. »Mehr sollte ich auf einem Maskenball wohl nicht verraten?«
»Natürlich nicht«, sagte er rasch, denn schließlich durfte auch er seine Identität nicht preisgeben. »Aber sagen Sie mir doch, warum ich Sie noch nie gesehen habe.«
»Das ist einfach. Ich bin erst heute in Wien angekommen.«
»Erst heute? Dann sagen Sie mir doch, was halten Sie von diesem Kongreß?«
»Heute abend wirkt der Kongreß auf mich wie ein zauberhafter Walzer«, antwortete sie.
»Das ist eine schöne Beschreibung«, antwortete er.
Sie sah ihn jetzt an, und ihre Blicke trafen sich.
»Elisabeth! Ich finde den Namen sehr schön«, sagte Richard nachdenklich.
»Ich glaube, Namen haben eine besondere Bedeutung.«
»Ich wünschte, ich könnte Ihnen meinen verraten«, sagte Richard, »aber heute abend geht das nicht.«
»Nein, heute abend nicht«, antwortete sie, und er sah, wie sie auf die Diamanten schaute, die unter seinem Mantel hervorschimmerten. Er ergriff ihre Hand und sagte: »Sie sind sehr schön, Elisabeth. Bin ich der Erste, der Ihnen das sagt?« Er spürte, wie ihre Hände zitterten.
»Ja«, hauchte sie.
»Ich glaube, wir sollten Ihre Ankunft in Wien feiern.«
»Wie meinen Sie das?«
Er zögerte kurz, bevor er darauf antwortete, und sagte dann: »Wir machen uns davon und nehmen irgendwo einen kleinen Imbiß ein.« Er spürte, daß sie Angst hatte, und fuhr fort: »Ich bringe Sie sicher zurück. Ich verspreche es.«
»Sie versprechen es?«
Es war die Frage eines Kindes, das sich im Dunkeln fürchtet und Sicherheit sucht.
»Ich verspreche es«, wiederholte er mit fester Stimme.