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II »Zu glücklich, um zu schlafen« Auf der Flucht

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Als Mary am nächsten Morgen nach kurzem Schlaf erwachte, wusste sie, dass ihr Leben neu begonnen hatte. Alles, was sie bisher gewollt, versucht und sich ausgemalt hatte, im Schreiben und im Leben, war nur eine Vorstufe gewesen für das, was jetzt kommen sollte: ihr Leben mit Shelley. Sie war sich sicher und sie war ruhig, sie stand am Anfang und sah voraus, dass sie mit dem Geliebten vom Baum der Erkenntnis essen würde und dass das richtig sei und wunderbar. Sie dachte an die Worte, die in der letzten Nacht, draußen unterm Baum, gefallen waren, und dass sie selbst die Erste gewesen war, die von Liebe gesprochen hatte. Sie dachte an die Umarmungen, die auf ihre Weise von Liebe gesprochen hatten, sie verspürte einen Stich unterm Brustbein, weil Shelley jetzt nicht bei ihr war. Doch in das Glücksgefühl, das die Erinnerung an die letzte Nacht hervorrief, mischte sich Furcht. Sie und Shelley mussten ihren Weg freiräumen. Doch wie sollte das gehen? Beide wollten sich nicht mit der Sehnsucht nach der großen Liebe begnügen, um dann doch einen Kompromiss zu schließen, sie wollten die Ausgeburten ihrer Träume in die Wirklichkeit führen und waren entschlossen, dabei auf die Gefühle Dritter im Zweifelsfall keine Rücksicht zu nehmen. Mary sah sich dazu berechtigt, weil sie wusste, dass der Bund, den sie mit Percy in der vergangenen Nacht geschlossen hatte, ein Geschenk des Schicksals war, kostbar und einzigartig, was ihr nicht nur erlaubte, sondern von ihr forderte, ihn um jeden Preis zu verteidigen. Aber was würde der Vater sagen? Sein Bild stand lebensvoll neben dem des Geliebten. Ihr graute davor, den Papa zu verletzen, aber wenn es sein musste, würde sie es tun. Die Stiefmutter war ihr egal. Fanny war verreist, sie würde von allem erst später erfahren. Und Isabel? Ihre Freundin, die, wie sie gehört hatte, bald heiraten würde? Ich werde ihr schreiben, dachte Mary, sie wird uns verstehen. Doch wer wird uns helfen? Jane kam ihr in den Sinn, die Stiefschwester würde zu ihr halten. Flüchtig dachte sie an Harriet, es schien ihr aber, dass diese Frau und Shelley schon geschiedene Leute seien und es keineswegs ihre Sache sein könne, die unglückselige Verbindung zu verteidigen. Auch wusste sie, dass er zu seiner Frau gehen und ihr die Wahrheit über seine neue Liebe sagen wollte.

Shelley war jetzt ganz Mann der Tat. Am Tage nach seiner und Marys erster Liebesnacht im Angesicht des Mondes, der Sterne und der Feenkönigin (Queen Mab) trat er vor William Godwin hin und bekannte geradeheraus, dass er Mary liebe und sie ihn und dass er mit ihr fortgehen wolle. So lustvoll er als Dichter den Sinn und die Botschaft zwischen den Zeilen versteckte, so wichtig war ihm im Leben die klare Ansage. Mit Godwins Fassungslosigkeit, gefolgt von schierer Wut, hatte er nicht gerechnet. War nicht dieser Mann, den er Vater nennen wollte, der beredte Befürworter der wahren Liebe gewesen, weit entfernt davon, papiernen Verträgen im Reich der Sinne und der Leidenschaft irgendeinen Wert beizumessen? Und jetzt das! Godwin bezichtigte ihn des Verrats und der schändlichen Verführung und brach schließlich unterm Portrait der in Liebesdingen so radikal freiheitlich gesonnenen Mary Wollstonecraft auf seinem Schreibtischstuhl zusammen. Shelley hob entsetzt die Hände.

»Es ist beschlossen«, rief er mit seiner nervösen, hohen Stimme, »Mary und ich gehören zusammen, wir werden bald von hier aufbrechen und unser gemeinsames Leben beginnen. Es gibt nichts, was uns aufhalten könnte.«

Mary Shelley

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