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2.

Von Papierkram und abgehängten Kirchenglocken

Opa und ich gehen uns heute aus dem Weg.

Ich bin im Arbeitszimmer und kümmere mich um Papierkram. Was Opa macht, weiß ich nicht.

„Ach verdammt“, sage ich, stöhne und schlage den Kopf auf den Schreibtisch. Opa scheint das gehört zu haben, denn er kommt zu mir.

„Alles in Ordnung?“, fragt er.

„Ach, es wird schon gehen. Ich bin es nur leid, diesen ganzen Papierkram. Formulare und Fragebögen, Beiträge, die gesenkt und erhöht werden, ein echter Schlamassel.“

„Jaja, das Los der Freischaffenden“, sagt er, die Hände in der Hose vergraben, in den Adiletten vor und zurück wippend.

„Als freischaffender Journalist und Texter hat man es nicht einfach. Vom Berichterstatten kann man nicht leben, weißt du. Daher schreibe ich zusätzlich Gebrauchsanleitungen.“

„Gebrauchsanleitungen?“, fragt Opa. „Wie spannend. Erzähl mir mehr.“

„Irgendwer muss auch die verfassen. So mancher Kollege, der sich an Romanen versucht, wäre überglücklich mit meinen Auflagen. Allein für das Regal Expedit hat sich die Anleitung zusammen mit dem Regal schon über zwei Millionen Mal verkauft.“

„So was, so was“, sagt Opa, „bist ja ’ne kleine Berühmtheit.“

Er setzt sich auf das Sofa im Arbeitszimmer.

„Ach, was soll ich sagen. Gebrauchsanleitungen schreiben ist ein undankbarer Job. Von Millionen gelesen und doch gibt es für unsereins keine Conventions und keine Fanklubs. Dabei könnte man so schön Sammelhefte rausbringen. Mein bisheriges Opus magnum ist eine hundertzwanzig Seiten lange Anleitung für einen Toaster. Auf den ersten vierzig Seiten erkläre ich nur, wie man ihn richtig in Betrieb setzt und was man alles falsch machen kann.“

„Was es nicht alles gibt …“, sagt Opa andächtig. Er hat die Hände vor dem Schoß verschränkt und hört mir zu.

„Es macht sogar Spaß. Man hat absolut freie Hand und kann schreiben, was immer einem in den Sinn kommt, solange es im Entferntesten mit dem Produkt zu tun hat.“

„Den Eindruck hatte ich auch schon bei so mancher Gebrauchsanleitung.“

„Es ist eine missverstandene Kunst. Es gibt da die blödesten Sprüche. Ein echter Mann braucht keine Anleitung“, sage ich und äffe einen Macho nach.

„Da hatte ich auch mal einen Auszubildenden, der nach der Devise gelebt hat.“

„Und wo ist der heute?“

„Stadtfriedhof, dritte Reihe.“

„Tragisch …“

„Der Kerl hat immer nach Instinkt gehandelt. Und sein Instinkt war scheiße. Der hat wirklich alles verbrochen.“ Opa beginnt aufzuzählen: „Der ist mal im Rückwärtsgang einen Hang hinunter gefahren. Mit Vollgas.“

„War das Auto kaputt?“

„Totalschaden. Aber sei’s drum. Er war noch im ersten Jahr. Besser alle Fehler in der Ausbildung zu machen als danach, wenn man davon leben muss.“

„Das ist aber eine sehr soziale Einstellung.“

„Und die hat Ali mir auch äußerst gründlich ausgetrieben. Einmal hat er ohne mein Wissen den Zement verdünnt. Weißt du, was mit der Mauer passiert ist, die wir hochgezogen haben? Es war eine tragende Wand für das Haus eines Architekten. Die ganze Hütte hat sich später zusammengefaltet wie ein Kartenhaus. Dank dieser einen Mauer. Gott sei Dank hat die Versicherung gezahlt, da noch mehr am Fundament nicht stimmte, was aber nicht von meiner Firma erledigt wurde. Ein andern Mal kam Ali und weil nichts los war, sollte er putzen.“

„Was kann man da falsch machen?“

„Vieles. Er hat zum Beispiel sämtliches Holzwerkzeug in der Spülmaschine gewaschen, ‚um Zeit zu sparen‘, und ‚er wäre doch kein Depp, alles einzeln von Hand zu reinigen‘. Das Zeug ist alles aufgequollen von dem heißen Wasser und war reif für die Tonne. Es hat ein Vermögen gekostet, alles nachzukaufen, sag ich dir, und da hats mir auch das erste Mal richtig wehgetan. So Werkzeug ist was Persönliches, da hat man eine Verbindung zu.“

„Ich spreche nur wenig Hammer und Nagel.“

„Eines Abends kam ich in die Werkstatt, weil es so nach verbranntem Fleisch gerochen hat. Da sitzt der Kerl mit einem metallenen Schlagbohrer in der einen Hand und dem Akkuschrauber ohne Akku in der anderen Hand. Er hatte den Bohrer in eine Steckdose geschoben. Der war durch wie der Weihnachtsbraten.“

„Wie kommt man auf so eine Idee?“

„Was weiß denn ich? Diese Napfsülze. War dann im dritten Jahr. Was ich Geschichten von dem hab, du. Wir sollten mal ’ne Kirche renovieren und er hat die Glocke abgehängt.“

„Habt ihr im Turm gearbeitet?“

„Eben nicht“, sagt Opa irritiert. „Wir waren in der Sakristei am Arbeiten. Plötzlich war er weg und ich höre, wie draußen der Kran vorfährt. Da ist der zurück zur Firma und hat den Kran geholt. Abbringen konnte ich ihn auch nicht.“

„Hat er die Glocke nachher wieder aufgehängt, als ihr fertig wart?“

„Ja. Aber zuvor hat er sie geputzt. Hat den ganzen Taubendreck entfernt. Mit dem haben Dinge nicht gestimmt, die muss man erst noch erforschen. Sein Selbstversuch mit den Bohrern hat ihn dann aber direkt in den Sarg befördert und ihm das Schinden bis zur Rente erspart. Armer Ali. War ein sehr netter Typ, nur das allein reicht zum Überleben eben nicht.“

„Das Grab können wir uns ja mal ansehen. Und einen Strauß drauflegen. Mit einer kleinen Glocke im Gesteck.“

„Sehr taktvoll.“

„War Ali türkischer Herkunft?“

„Ne, das war’n Perser und er hatte eine afrikanische Frau. Aber sag mal, wieso liegst du denn heute so sehr im Clinch mit den Unterlagen?“, sagt Opa und zeigt auf meine Unordnung.

„Ach, dieses ganze Elend hier.“ Ich greife mir an das Nasenbein und schließe die Augen. Ich muss mich einen Moment sammeln. „Das Finanzamt hat mir meinen Einkommensteuerbescheid geschickt, welcher schon überfällig war, da meine Steuerberaterin dieses Jahr ein Haus gebaut hat und nicht so schnell mit der Arbeit hinterherkam, wodurch die Frist der Krankenkasse verstrichen ist, worin diese beim Bundesversicherungsamt entsprechende Zahlen einreichen muss. Jetzt muss ich das Ding einscannen, an die entsprechenden Leute schicken und will es selber mit meinen Streuerklärungszahlen gegenprüfen. Vorher muss ich aber noch das letzte Quartal an Post und Rechnungen abarbeiten damit ich meine Umsatzsteuervoranmeldung machen kann, welche bis zum Fünfzehnten, heute ist der Vierzehnte, fällig ist“, ich hole tief Luft und öffne wieder die Augen.

„Tja“, sagt mein Opa. „Selbst und ständig was?“ Er grinst.

Ich blicke nur dumm drein.

„Soll ich dir helfen?“, fragt er.

„Würdest du das?“, sage ich und schöpfte neue Hoffnung.

„Aber klar.“

Und siehe da, gemeinsam geht es tatsächlich schneller.

Das erste Buch Opa

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