Читать книгу Das erste Buch Opa - Bastian Litsek - Страница 9

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5.

Diese eine Art von Frau

Wir sitzen an der Hauptstraße vor der Bäckerei und schauen den Leuten zu.

Eine Frau geht mit ihrem Hund Gassi und ist in ihr Smartphone vertieft. Sie bekommt gar nicht mit, wie das Tier abrupt stehen bleibt, damit sie nicht in ein parkendes Auto hineinläuft.

Von links kommt eine Jugendliche, vertieft in ihr Smartphone. Von rechts kommt ein junger Mann in hastigem Tempo. Auch er schaut nur auf das Display seines Telefons. Was jetzt kommt, ist unvermeidbar. Die beiden krachen ineinander. Jeder prallt vom anderen ab und geht zu Boden. Sofort fängt die junge Frau an zu heulen, was Opa und mich gleichermaßen verwundert. Wir tauschen einen Blick aus, beobachten dann wieder das Geschehen. Die junge Frau muss an die neunzehn Jahre alt sein, warum also das Geflenne.

Da der Verkehr um die beiden normal weiterfließt und auch die Frau mit dem Hund, ohne aufzusehen, über die beiden hinwegsteigt, stehen wir auf und machen, dass wir über die Straße kommen. Opa hilft dem jungen Mann, ich der Frau auf die Beine.

Er hat sich schnell entschuldigt und sich auf und davon gemacht.

Sie hingegen heult mit einer derartigen Hingabe, dass wir es schon fast bereuen, geholfen zu haben. Nach mehreren Minuten des Heulens und Schluchzens zieht Opa die ultimative Reißleine.

Er verpasst der jungen Frau eine Ohrfeige, dass ihr die Gesichtszüge entgleisen. Das Geheul verstummt abrupt.

„Das hat mein Vater in meiner Jugend immer so gemacht“, verteidigt er sich.

„Deswegen ist es noch lange nicht in Ordnung“, gebe ich zurück.

Die junge Dame zieht die Nase hoch und schaut uns mit verheulten Augen an.

„Mein Name ist Cathy. Ich kenne mich hier nicht aus und der Akku meines Smartphones ist mitten in der Google-Maps-Navigation leer gegangen.“

„Sie haben geheult, weil Ihr Handyakku leer ist?“, fragt Opa und will schon wieder die Hand heben, um ihr noch eine zu verpassen.

„Ja. Ich bin auf der Suche nach der Bäckerei.“

Wir drehen uns beide um und blicken auf die Bäckerei, vor der wir gerade gesessen haben. Es ist ein auffälliges Gebäude. Über dem in großen Buchstaben Bäckerei steht.

„Könnt ihr mir vielleicht helfen?“, sagt sie und lächelt. Es ist ein unschuldiges Lächeln, das sagt: Ich bin liebenswert, aber doof wie Brotkruste.

„Tja“, sagt Opa.

„Wisst ihr vielleicht, wo ich meinen Handyakku aufladen kann?“

„Da hätte ich eine Idee.“ Ich reiche Cathy die Hand. Sie greift zu und wir gehen gemeinsam über die Straße, nachdem wir nach links und rechts geschaut haben, zweimal versteht sich. Sie folgt mir in die Bäckerei. Aus Erfahrung weiß ich, dass direkt neben einem der runden Tische im Sitzbereich auch eine Steckdose ist. Die Bäckereifachverkäuferin kennen wir schon lange.

„Du Jule, die junge Frau hier braucht etwas Strom und wie es aussieht einen Kaffee.“

„Und ein Gehirn“, flüstert Opa hinter uns zwischen seinen Zähnen hindurch.

Ich schaue Cathy ins Gesicht, um zu sehen, ob sie ihn gehört hat. Sie scheint für negative Inhalte nicht empfänglich zu sein.

„Ich nehme aber lieber einen Kakao anstatt einem Kaffee, Frau Jule.“

„Kindchen, bist du ein wenig behindert?“, fragt Jule unverfroren ehrlich und wischt sich die Hände an ihrer Schürze ab.

„Nein. Ich bin nicht behindert. Ich bin Cathy.“

„Wir hätten sie auf der Straße stehen lassen sollen“, murmelt Opa.

Ich gebe ihm einen Stups in die Rippen.

„Schon gut, schon gut“, sagt er, hebt die Hände und geht zurück vor die Tür zu unserem Kaffee und Kuchen, den wir haben stehen lassen.

Ich setze Cathy an den Tisch mit der Steckdose und stöpsele ihr Ladegerät ein. Weil ich ein netter Kerl bin, hole ich ihr sogar noch den Kakao vom Tresen und stelle ihr ihn hin. „Lass es dir schmecken.“

„Danke“, sagt sie. „Geld habe ich aber keines“, kommt es aus ihrem Mund mit pink-rotem Lippenstift. Ihre Lippen sehen aus, als würden sie glitzern.

„Ach, das macht doch nichts“, sage ich und zücke meinen Geldbeutel. Ich will gerade bezahlen, da meldet sie sich wieder: „Könnte ich auch eine Butterbrezel haben?“

Ich gebe keine Antwort, sondern bestelle, indem ich Jule zunicke. Die schüttelt den Kopf. „So jung war ich auch mal“, kommentiert sie und gibt mir die Butterbrezel. Ich stelle den Teller vor Cathy hin.

„Danke“, sagt die und ist wieder in ihr frisch gestartetes Smartphone vertieft.

Ich stehe einen Augenblick vor ihr und starre sie an. Jung, hübsch und so unschuldig. Unschuldig doof. Ob sie überhaupt weiß, wo sie wohnt oder wie sie dorthin zurückkommt? Vielleicht sollte ich ihr Geld für ein Taxi geben.

„Ist noch was?“, fragt Cathy. Sie hat mich beim Starren ertappt.

„Oh nein, alles in Ordnung“, sage ich. „Lass es dir schmecken.“

„Mach ich“, sagt sie und wischt, ohne aufzusehen, auf ihrem Smartphone herum.

Ich gehe nach draußen und setze mich zu Opa.

„Sie ist gut versorgt.“

„Hmmhmm“, macht Opa.

„Hatte gar kein Geld dabei das arme Ding. Etwas simpel im Kopf.“

Opa nimmt einen Schluck Kaffee, lässt mich dabei aber nicht aus den Augen. „Flori, solche Weiber hatten schon zu meiner Jugend nie Geld dabei. Die brauchen kein Geld“, sagt er und zieht die Augenbrauen hoch.

Dann klickt es in meinem Kopf und ich verstehe, was er meint.

Sofort trauere ich meinen 6,80 € hinterher.

„Die hat mich über den Tisch gezogen!“, sage ich.

„Dich und wahrscheinlich hundert andere“, sagt Opa und grinst. „Naivität war schon immer die größte männliche Schwäche. Viele verwechseln Hilflosig- oder Freundlichkeit bei Frauen mit Zuneigung.“

Ich drehe mich um und schaue zu Cathy. Sie schaut tatsächlich auf und winkt mir zu. Dann wirft sie mir mit der Hand einen Kuss zu und bläst ihn in meine Richtung.

„Manch einer bemerkt ein Leben lang nicht, wie er sich selbst zum Narren macht“, sagt Opa.

Ich drehe mich um. Opa schaut auch zu Cathy, dann verengt er die Augen zu Schlitzen. Ich will sehen, ob sie ihm auch einen Kuss zuwirft. Doch sie starrt ihn nur mit ebenfalls zu Schlitzen verengten Augen an.

„Oh ja, man kennt sich untereinander“, sagt er. „Mich wirst du nicht an der Nase herumführen. Ich gebe dir keinen aus, du dämonische Höllenfotze“, sagt er und zeigt dem jungen Ding den alten Mittelfinger.

Das erste Buch Opa

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