Читать книгу Fettnäpfchenführer Mexiko - Büb Käzmann - Страница 14

Оглавление

4

DA GEHT’S LANG, SO UNGEFÄHR

WEGBESCHREIBUNG FÜR ANFÄNGER

Der lange Flug und der Jetlag stecken Anton zwar noch in den Knochen, aber schlafen kann er auch zu Hause und bis zum Treffen mit seiner Nichte Lily ist noch Zeit. Er schaut auf die Uhr. Jetzt sitzt sie vermutlich im Bus, der sie von Puebla hierher bringt.

»Ich komme nach D.F. und wir gucken uns zusammen die Stadt an. Ich hab sowieso frei und kann anschließend noch ein bisschen schwänzen.«

Am Telefon hat Lily sich angehört, als hätte sie schon immer hier gelebt. Er ist gespannt, ob sie sich verändert hat, immerhin steht sie jetzt schon seit einigen Monaten auf eigenen Füßen, und das so fern der Heimat. Tja, aus dem widerspenstigen kleinen Mädchen, das auch an den gefährlichsten Kreuzungen nie an der Hand gehen wollte, ist eine junge selbstbewusste Frau geworden.

Es war nicht leicht gewesen, so lange frei zu bekommen. Aber Anton war fest entschlossen. Drei unbezahlte Wochen, sein Jahresund einige Tage Resturlaub, vor allem aber die vielen Überstunden, die sich auf seinem Zeitkonto angesammelt haben – schon hatte er mehr als drei Monate für seine Mexikoreise zusammen. Noch vor Kurzem hatte er geglaubt, dass seine Firma ohne ihn und auch ohne seine Überstunden nicht überleben könnte. Dann ist er plötzlich zusammengebrochen, zum Glück nur eine Kreislaufschwäche, und als ihn ein Taxi aus der Klinik nach Hause brachte, beschloss er, dass es, was auch immer das für das Überleben der Firma bedeutete, für sein eigenes besser wäre, keine weiteren Überstunden anzuhäufen und die alten auf interessante Weise loszuwerden. Also: Warum sollte er nicht mal sein Patenkind Lily in Mexiko besuchen und ein wenig im Land herumreisen? Nun gut, bei der Gelegenheit könnte er vielleicht auch Rosa besuchen, die sympathische Mexikanerin, die er vor ein paar Jahren durch die Arbeit kennengelernt und mit der er, wenn auch unregelmäßig, Kontakt gehalten hat.

Am Telefon hat Lily ihm noch einen Tipp gegeben, dem er gleich heute folgen will: »Der Plattenladen ist ganz einfach zu finden. Wenn du auf der Plaza de San Jacinto in San Angel bist, kannst du ihn nicht verfehlen. Die haben für Vinyl-Fans wie dich super Sachen, auch sehr viel typisch Mexikanisches. Und günstig.«

Also macht sich Anton auf den Weg, ein paar Haltestellen mit dem Bus, den Rest will er zu Fuß gehen. Nach dem langen Sitzen tut Bewegung sicher gut.

Er hat sich die Richtung eingeprägt und beschließt, sein Ziel über ruhige Seitenstraßen anzusteuern. Was für ein Kontrast! Eben noch mitten im tosenden Verkehr schlendert er jetzt durch enge Gässchen, die sich hin und wieder zu kleinen, lauschigen Plätzen weiten, auf denen sogar Bäume stehen. Die Luft ist sofort frischer und das entfernte Rauschen des Verkehrs ist nur noch ein milder Hintergrund fürs Gezwitscher der Vögel.

HOCH OBEN IM TAL: MEXIKO-STADT

Wir nennen sie Mexiko-Stadt, Engländer oder Amerikaner Mexico City, die Mexikaner selbst sprechen meist von México – seien Sie also nicht überrascht, wenn Ihnen ein Mexikaner in Mexiko sagt, er fahre nächste Woche »nach Mexiko« – oder von D.F. bzw. De Efe. Der Distrito Federal, der Hauptstadtbezirk ist an drei Seiten in den Bundesstaat México (nicht zu verwechseln mit dem Gesamtstaat, der Republik Mexiko) eingebettet. D.F. ist mit den umliegenden Städten und Gemeinden, die zum Bundesstaat México bzw. in wenigen Fällen zum Bundesstaat Hidalgo gehören, so stark zusammengewachsen, dass häufig von der Zona Metropolitana del Valle de México (Metropolregion im Tal von Mexiko) gesprochen wird.

Das Tal, in dem D.F. liegt, ist übrigens ein Hochtal, das rund 2.300 Meter über dem Meeresspiegel liegt. Wenn man die Hauptstadt in den ersten Tagen im wörtlichen Sinne atemberaubend findet, liegt das nicht nur an ihren kulturellen Schätzen oder dem Dauersmog, sondern auch an der ungewohnt dünnen Höhenluft.

Nach offiziellen Angaben leben in D.F. knapp 9 Millionen Menschen, in der Metropolregion insgesamt ca. 20 Millionen. Das sind rund 20 Prozent der gesamten mexikanischen Bevölkerung. Die Region wächst, allerdings weniger aufgrund der Geburtenrate, die beträgt weniger als zwei Prozent, als durch Zuzug aus anderen Regionen.

Vorsichtshalber fragt Anton jetzt doch mal nach dem Weg: »Por favor, ¿dónde está la Plaza de San Jacinto?«

Der ältere Herr ist sehr hilfsbereit: »Sie gehen einfach fünf, sechs Blöcke in diese Richtung«, er zeigt vage nach rechts, »und schon sind Sie da.«

Anton hat gedacht, er müsste eher nach links gehen, aber der Mann scheint sich auszukennen. In raschem Tempo marschiert Anton weiter. Wenn er im Plattenladen in Ruhe stöbern will, muss er sich beeilen. Aber auch sieben Häuserblöcke später ist noch nichts von der plaza zu sehen. Im Reiseführer gibt es zwar detaillierte Pläne, aber nur vom Zentralplatz zócalo und vom Stadtteil Coyoacán, nicht aber von San Angel und der Gegend um die Plaza de San Jacinto. Also noch mal jemanden fragen.

»Disculpen.« (Entschuldigung.) Anton wendet sich an drei junge Männer, die ihm entgegenkommen.

»¿Plaza de Jacinto? Da sind Sie hier falsch«, sind sich die drei einig. Der Wortführer erklärt ihm geduldig, dass die plaza ganz einfach zu finden sei, etwa acht Blöcke entfernt, ungefähr in dieser Richtung. Er deutet in die Richtung, aus der Anton gerade gekommen ist. Mit ähnlichen Worten hilft ihm etwa neun Blöcke weiter eine ältere Dame, nur schickt sie ihn wiederum in eine ganz neue Richtung.

Zwanzig Minuten später steht Anton an einer Kreuzung. Er hat mittlerweile jede Orientierung verloren und in der letzten Dreiviertelstunde bestimmt acht Mal gehört, dass es »ungefähr« bzw. »más o menos« noch so und so weit und dass die plaza »por allá«, also irgendwo dort drüben zu finden sei. Mittlerweile ist es zu spät, um noch nach Platten zu schauen. Um zur Verabredung mit Lily pünktlich zu kommen, nimmt er besser ein Taxi.

Anton hat Glück, schon bald kommt eines der rot-weißen taxis públicos vorbei. Er ist froh, dass er sich Straße und Hausnummer des kleinen Restaurants von Lily hat geben lassen. Ermattet drückt er dem Fahrer den Zettel in die Hand und sinkt ins Polster.

ÖFFENTLICH, PRIVAT, PIRAT: TAXIS

Taxis sind ein wichtiges Verkehrsmittel in Mexiko. Allein im Gebiet der Hauptstadt gibt es über 100.000 Taxis, die an jedem Werktag mehr als eine Million Menschen transportieren bzw. ihnen einen komfortablen Sitzplatz im Stau bieten. Neben den öffentlichen Wagen – in D.F. rot lackiert mit weißem Dach – existieren private Taxis, und es gibt die taxis de pirata. Weil sie keine Lizenz haben, setzen die Piraten auch keine aufs Spiel, wenn sie Touristen auf langen und teuren Umwegen zum Ziel bringen.

Die legalen Taxis erkennt man am Nummernschild, auf dem vor der Nummer ein »S« für sitio bei Taxis mit festem Standplatz oder ein »L« für libre (wörtlich: frei) für solche ohne festen Platz steht. Die legalen Fahrer haben zudem ihre Lizenz im rechten Seitenfenster hinten im Auto angebracht. Es gibt eine Fülle von speziellen Taxis, etwa für den Flughafenverkehr in D.F., Kleinbusse als Sammeltaxis (peseros oder colectivos) oder in der Altstadt Rikscha-ähnliche Elektrofahrräder, die ciclotaxis. Auch in Mexiko bieten der Fahrdienst Uber und seine Konkurrenten ihre Dienste an, was insbesondere bei den Interessenvertretungen der Taxifahrer sehr umstritten ist.

Für Ortsunkundige empfiehlt es sich nicht, ein Taxi auf der Straße anzuhalten. Sie sollten eher auf Funk- oder Hotel-Taxis zurückgreifen bzw. an einem Taxistand ein sitio-Taxi nehmen. Auf jeden Fall ist es sinnvoll, sich vorab über die ortsüblichen Preise zu erkundigen und vor Fahrtbeginn den Preis und die Modalitäten (Grundpreis, Zuschläge für Gepäck oder Nachtfahrten etc.) zu klären.

»Ya llegamos.« (Wir sind schon da.)

Anton muss eingenickt sein. Das Taxi steht direkt vor einem Gebäude, allerdings ist es kein Restaurant, sondern eine Fabrik. Er bittet den Fahrer zu warten und steigt aus. Eigenartig, die Hausnummer stimmt und das Straßenschild an der nächsten Ecke zeigt: Auch die Straße ist richtig. Sollte Lily sich geirrt haben?

Anton kehrt zum Taxi zurück. »Busco el restaurante ... San Cristobál.«(Ich suche das Restaurant San Cristobál.) Zum Glück ist ihm der Name noch eingefallen.

Der taxista runzelt die Stirn. In welcher colonia, welchem Viertel, die Straße und das Restaurant denn seien, will er wissen. Da muss Anton passen. Einige Handyanrufe später weiß der Fahrer, wo das Lokal liegt, und nach längerem Stop-and-go kommen sie am Restaurant San Cristobál an.

Wenige Augenblicke später umarmt ihn eine braungebrannte Lily. Er drückt sie, hält sie dann einen Moment auf Armlänge von sich weg und mustert sie. Und dann ist er heraus, der typische Onkel-Spruch, der ihm nie, nie, nie über die Lippen kommen sollte: »Sag mal, bist du schon wieder gewachsen?«

Reingetreten

Anton ist mit seinen Erlebnissen in recht großer Gesellschaft. Viele Mexikoreisende machen die Erfahrung, dass Passanten ihnen sehr hilfsbereit einen Weg erklären, der dann aber nicht zum gewünschten Ziel führt. Man rätselt: Ist es falscher Stolz, weshalb Einheimische nicht zugeben wollen, dass sie den Weg nicht kennen? Oder ist es eine aus unserer Sicht vielleicht eigenartige Form von Höflichkeit, die davon abhält zu sagen: »Tut mir leid, ich weiß es nicht«?

Allerdings gab es in diesem Fall kleine sprachliche Signale, die Anton hätten stutzig machen können. Wenn gesagt wird, die gesuchte Adresse befinde sich »dort hinten« (por allá) oder sie sei »ungefähr« (más o menos) noch so und so weit entfernt, ist Vorsicht angebracht. Wenn man solchen Hinweisen folgt, kann es sein, dass man etwas Gutes für die eigene Gesundheit tut, vorausgesetzt, man geht zu Fuß, aber es kann dauern, bis man ankommt.

Mexiko-Stadt ist nicht nur für Touristen, sondern auch für Taxifahrer kein Dorf, und viele Straßennamen sind mehrfach vertreten. Anton hätte sich nicht darauf verlassen sollen, dass der taxista mit Straße und Hausnummer das gewünschte Ziel ansteuern würde, sondern gleich den Namen des Restaurants und am besten noch das Viertel nennen sollen.

Umgangen

Mexiko-Stadt macht es dem Ortsfremden eigentlich nicht allzu schwer. Die Straßen sind in vielen Vierteln in Schachbrettform angelegt, ein Erbe der Kolonialzeit, das erleichtert die Orientierung. Die Häuserblöcke in diesem Quadrantensystem werden cuadras genannt. Natürlich kann man auch auf diesem Schachbrett matt gesetzt werden, wenn man die Regeln nicht beachtet. Beispielsweise sind manche Straßennamen so beliebt, dass sie gleich mehrfach vorkommen. Entscheidend ist deshalb, in welchem Stadtteil bzw. Quartier, also in welcher colonia sich die Straße befindet. Wenn Sie in Mexiko-Stadt eine Adresse genannt bekommen und die Angabe zur colonia nicht dabei ist, fragen Sie nach!

ORDENTLICH ANKOMMEN: VON KOLONIEN UND POSTLEITZAHLEN

Das mexikanische Wort colonia geht darauf zurück, dass Ende des 19. Jahrhunderts die französische Kolonie in Mexiko-Stadt außerhalb der damaligen Stadtgrenzen eine Ortschaft gründete, die der Einfachheit halber colonia genannt wurde.

Der Begriff hat sich als allgemeine Bezeichnung für die Stadtviertel von Mexiko-Stadt eingebürgert. Hin und wieder kann es zu Verwirrungen kommen, weil auch Wohnanlagen, oft mit Umzäunung, Toren und Wachen gesichert, als colonias bezeichnet werden.

Jede der rund 250 colonias im Sinne von Stadtquartier hat eine eigene Postleitzahl. Mexikanische Postleitzahlen sind fünfstellig. Die ersten beiden Ziffern stehen für den Bundesstaat bzw. einen Teil des Bundesstaates. Die 16 verschiedenen Verwaltungseinheiten (delegaciones) des Bundesstaates D.F. haben z. B. die Ziffern 00 bis 16, Yucatán hat die 97. Wie in Deutschland haben auch in Mexiko große Unternehmen oder Behörden eigene Postleitzahlen.

Hin und wieder kann es sogar vorkommen, dass Hausnummern doppelt vergeben werden. Wenn man am Zielort also kein Restaurant, nicht die angesteuerte Party oder was immer das Ziel war antrifft, ist es sinnvoll, Anwohner zu fragen. Manchmal hilft das, vorausgesetzt, Hilfsbereitschaft und Stolz sind bei ihnen nicht auch stärker ausgeprägt als die Ortskenntnis.

Zumindest dem Sprichwort nach sind die Mexikaner selbst ein bisschen misstrauisch gegenüber hilfsbereiten Zeitgenossen und ihren Wegbeschreibungen, insbesondere wenn es sich um Amtspersonen handelt. Die Redewendung besagt: »Wenn du nach dem Weg suchst, frag zwei Leute.« Und sie warnt: »Wenn einer davon Polizist ist, frag drei!«

Fettnäpfchenführer Mexiko

Подняться наверх