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Kapitel 3 - Sporttasche

Ich hätte ihn gern Finn, Florian oder Frederik genannt, aber Männer seines Alters heißen nun einmal Richard, Robert oder Reinhard, da ist nichts dran zu drehen. Also meiner hieß Reinhard. Reinhard war sportlich durch und durch. Manchmal war ich mir nicht sicher, ob das mit dem Sport eher Kampf war oder Vergnügen, aber eines wurde mir auch bei Reinhard sehr schnell klar: Das Styling beim Sport war unfassbar wichtig, egal, um welche Disziplin es sich handelte. Und wenn man nur zweimal im Jahr Badminton spielte: Man kaufte alles, was an Ausstattung zu der entsprechenden körperlichen Betätigung dazugehörte.

Wenn ich gelegentlich einen sehr vorsichtigen Blick in Reinhards Sporttasche warf, die er häufig mitbrachte, weil er offiziell im Fitnessstudio war, und ich dabei vorsichtshalber die Atmung einstellte (Wer schon einmal an verschwitzten Schienbeinschonern gerochen hat, der weiß, es riecht unfassbar! Es gibt in der deutschen Sprache keine wirklich passende und umfassende Formulierung für diesen Geruch), entdeckte ich Teile der Sportausrüstung, deren Nutzen sich mir nicht einmal erschloss. Meine Ausstattung beim Joggen ist ziemlich überschaubar: Shirt, Shorts, Strümpfe, Schuhe, fertig.

So wie Frauen nachgesagt wird, dass sie eine Schwäche für Schuhe haben, so haben Männer wie Reinhard einen absoluten Hang zu Trikots und verschiedenen Kopfbedeckungen, die je nach Sportart entsprechend auffällig gestaltet sein müssen. Während ich im Sommer einen Sonnenhut trage, im Winter eine Pudelmütze und ggf. auf dem Fahrrad irgendeinen Helm, haben Männer wie Reinhard da eine deutlich größere Bandbreite. Ein Helm, der dazu taugt, sich mit einem Mountainbike die Hänge herunterzustürzen, taugt natürlich nicht zum Inlineskaten, beim Kickboxen ist wieder etwas anderes, viel Männlicheres als Kopfbedeckung angesagt – klar, wer will sich schon mit einem Fahrradhelm auf dem Kopf vermöbeln lassen. Und bei den Funsportarten, den ganz wilden, wie Surfen, Segeln und dem Bezwingen eines Katamarans, trägt man natürlich ein lässiges Kopftuch, wie kleine Jungs an Karneval, wenn sie sich als Pirat verkleiden.

Bei anderen Sportarten sind es die lässig nach hinten umgedrehten Kappen, die schon bei einem 13-Jährigen stylisch sehr fragwürdig sind, aber gut, diese Jungs sind in der Pubertät, die Synapsen im Gehirn sind zeitweilig nur lose in Kontakt miteinander und der Hormonhaushalt spielt auch mit hinein. Da geht man gnädig mit solchen modischen Statements um. Möglich, dass bei Reinhard ebenfalls der Hormonhaushalt eine Rolle spielte, bei diesen nach hinten gedrehten Kappen.

Eines hatten die komplett unterschiedlichen Kopfbedeckungen jedoch gemeinsam: Sie verdeckten Reinhards deutlich lichter werdendes Haar, egal, ob ein gesprühter Totenkopf auf dem Helm war oder irgendwelche coolen Surfersymbole auf seinem Rotkäppchenkopftuch. Das war sehr praktisch, vor allem, wenn der komplette Körper im Sommer dunkelbraun gebrannt war von dem wilden Leben, das die Extremsportarten so mit sich brachten, und der Kopf sich dann nicht knallrot absetzte. Daher hatte ich ansatzweise Verständnis für seine Kopfbedeckungen.

Und Trikots mussten in den unterschiedlichsten Varianten sein: lang, kurz, eng, weit, schreiend bunt, atmungsaktiv und mehr. Ob Reinhards Gattin sich weigerte, die Sportklamotten in der gleichen Waschmaschine zu waschen wie die Familienwäsche, habe ich nie erfahren. In meiner Waschmaschine hätte ich diese Sportbekleidung nur ungern betreut, zumal man besonders streng riechende Stücke wie Schienbeinschoner auch gar nicht waschen kann und diese draußen zu lüften ist ebenfalls nur ein Akt der Verzweiflung mit geringem Nutzen.

Und mehr als einmal, wenn ich an Heiligabend auf dem Sofa saß, den Weihnachtsbaum betrachtete, mir einen Prosecco genehmigte – und mir dabei vorstellte, wie es sich Reinhard jetzt bei seiner Frau, den Schwiegereltern und den Kindern in der heimeligen Stube gut gehen ließ als total lieber Familienvater – und meine Laune drohte, unweihnachtlich zu werden, dachte ich: „Hey, komm, wer hat jede Woche die müffelnde Sportausrüstung im Wohnzimmer herumliegen, wer? Na? Genau!“ Und schon war der Schmerz, die Feiertage ohne ihn zu verbringen, deutlich gemildert.

Das Thema Sport hingegen fand ich etwas beunruhigend. Gut, ich lege auch Wert auf Bewegung: Joggen, Tanzen, Fitness, Bauch-Beine-Po … klar, mache ich auch alles mit. Aber bei Reinhard drängte sich manchmal der Eindruck auf, dass er vielleicht wirklich beim Cycling im Fitness-Studio oder bei Downhills oder beim Surfen sterben wollte. Anders konnte ich mir das manchmal nicht erklären, wenn die Adern vor Anstrengung bei ihm anschwollen, als stünde der Infarkt unmittelbar bevor, wenn er sich beim Sport quälte. Ich weiß es einfach nicht, es muss eine Art Urangst von ihm gewesen sein.

Ich habe lange darüber nachgedacht und mir das nach einer längeren Phase der Beobachtung von Reinhards Sportbegeisterung so zusammengereimt: Die Vorstellung, einfach tot am Schreibtisch zusammenzubrechen, während man die Steuererklärung ausfüllt, muss ihn so verängstigt haben – weil das derartig uncool rübergekommen wäre – dass er stets in Kauf nahm, im Fitnessstudio beim Stemmen von Geräten zu verenden oder beim Surfen von irgendeinem Bestandteil der Surfausrüstung erschlagen zu werden oder sich beim Mountainbiken das Genick zu brechen oder beim Sex oder Kartfahren einen Herzinfarkt zu erleiden. Dann wäre das eben so.

Das wäre dann zwar irgendwie schade und auch zu früh, aber egal, Hauptsache, nicht beim Rasenmähen oder in der Straßenbahn tot umzukippen oder einfach an irgendeiner Krankheit im Krankenhaus zu leiden, ohne auch nur ansatzweise dabei verwegen zu erscheinen. „Trikots“ im Krankenhaus sind ja eher einfarbig und zum Zubinden.

Ich will ja nicht meckern. Mit dieser Angst im Nacken arbeitete Reinhard wirklich viele sportliche Aktivitäten durch und das kam mir ja auch indirekt zugute, denn sein Anblick war ausgesprochen erfreulich und attraktiv und sein Körper sportgestählt und wundervoll.

Auch wenn ich den ganzen Hype um seine Ausstattung für die Fit-and-Fun-Momente nie verstanden habe: Die

Ausstattung eines Mannes, dem ich gern die Kissen aufschüttele, ist mir natürlich auch wichtig. Es ist also eine klassische „Win-win-Situation“. Da lässt sich über das Rotkäppchenkopftuch in den schrillen Neon-Farben doch als Frau sehr entspannt hinwegsehen.

Die Parkscheinsammlerin

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