Читать книгу »Jüdische Mischlinge« - Beate Meyer - Страница 4
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„Mag (…) ihre Zahl nicht so groß sein, – die Tragik ihrer Lage ist es um so mehr. Bis zum Einbruch der Barbaren galt ihnen die Ehe ihrer Eltern, die Beziehung zu Vater oder Mutter als behütetes Stück Privatleben, mit Achtung und Zärtlichkeit oder auch persönlichen Widersprüchen besetzt, ganz wie sich in Zeiten wirtschaftlicher Schwierigkeiten das Leben zwischen Kindern und Eltern eben zu enthüllen pflegt. Und nun reckt sich plötzlich eine Nazihand aus, blättert im Standesregister und drückt den Kindern aus einer solchen Ehe den Stempel auf, der sie von der Mehrheit ihrer Volksgenossen scheiden und zu einer Minderheit verstoßen soll, mit der sie bewußt und der Erziehung nach nur in den seltensten Fällen etwas zu tun hatten.“1
So umriß der Schriftsteller Arnold Zweig 1934 die nach der nationalsozialistischen Machtübernahme entstandene unsichere Situation der „Halbjuden“, die später in „Mischlinge ersten Grades“ und „Geltungsjuden“ differenziert wurden. Sie unterlagen einem diskriminierenden Sonderrecht, wurden teilweise in die Verfolgung ihrer jüdischen Elternteile einbezogen und mußten gegen Kriegsende nach Zwangsarbeit und Internierung ihre Deportation befürchten. Doch obwohl die Forschungs- wie auch die Erinnerungsliteratur über die Vertreibung und Ermordung der Juden im nationalsozialistischen Deutschland mittlerweile kaum noch zu überblicken ist, finden sich keine systematischen oder regionalen Monographien zum Verfolgungsschicksal der „Mischlinge“. Bestenfalls wurden deren Erfahrungen als Appendix der Judenverfolgung behandelt.2 Auch die so Eingestuften unternahmen bis in die 1980er Jahre hinein kaum Versuche, die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.3 Wenn sie als Zeitzeugen auftraten, ging es meist um die in Mischehe lebenden Eltern und deren bedrückende Erfahrungen. Rund vierzig Jahre lag das Schicksal der „Mischlinge“ im Schatten des alles überlagernden, grauenhaften Geschehens in den Ghettos, den Konzentrations- und Vernichtungslagern. Da die „Mischlinge“ letztlich nicht in den Judenmord einbezogen wurden, schien ihr eigenes Verfolgungsschicksal marginal. Selbst die während der zwölf Jahre nationalsozialistischer Herrschaft anhaltende, mehr oder weniger heftig geführte Diskussion um ihre Gleichsetzung mit den „Volljuden“ fand kaum Beachtung, denn die „Mischlinge“ blieben Teil der deutschen Gesellschaft, durch verwandtschaftliche Beziehungen zum Teil sogar mit wirtschaftlichen und militärischen Eliten verbunden.
Untersuchungen über die Politik des NS-Staates gegenüber „jüdischen Mischlingen“ nahmen vor allem in der internationalen Forschung zur nationalsozialistischen Judenverfolgung lediglich einen untergeordneten Stellenwert ein, weil die NS-Politik der Sondergesetzgebung „nur“ deutsche „Nichtarier“ betraf. In den besetzten (Ost)-Gebieten wurden „Mischlinge“ in der Regel den Juden gleichgestellt. So herrschte auch bei Historikern lange Zeit die Meinung vor, diese Gruppe sei kaum von Verfolgungsmaßnahmen betroffen gewesen. Raul Hilberg etwa urteilte: „Die Diskriminierung der Mischlinge war vergleichsweise gering.“4 Lediglich die Auseinandersetzungen um die Einbeziehung der „Mischlinge“ in die Vernichtungspolitik fanden ein stärkeres Interesse,5 da sich an ihnen anschaulich demonstrieren ließ, welche wechselnden Institutionen sich zur Durchsetzung weltanschaulicher Prinzipien zusammenfanden bzw. welche Kräfte in Staat und Partei diese Versuche behinderten, die Verwirklichung radikalerer Maßnahmen blockierten oder sie vorantrieben. Wenn das Schicksal der „Mischlinge“ in den Debatten um Judenpolitik und „Endlösung“ Beachtung findet, geht es zumeist um das Verhältnis von Partei und Staat, die strukturellen Voraussetzungen des NS-Staates für die „Realisierung des Utopischen“ (Hans Mommsen) und die Bedeutung Hitlers und seiner „Weltanschauung“ im Prozeß der „Endlösung“.
Hilberg behandelt in seiner großen Darstellung über die Vernichtung der europäischen Juden die „Mischlingspolitik“ als ein Randproblem, mit dem die Bürokratie des NS-Staates aus unterschiedlichen Gründen nicht fertiggeworden sei, obwohl sie – ebenso wie in der Judenpolitik – die „Endlösung“ angestrebt habe.6 Tatsächlich gingen jedoch Bestrebungen, den Judenbegriff auf die „Mischlinge“ auszudehnen, in erster Linie von der NSDAP und ihren Gliederungen aus, nicht aber von der „Bürokratie des NS-Staates“. Hilberg bewertet die Rettung der „Mischlinge ersten Grades“ nicht als Verdienst, sondern als „Versagen“ der deutschen Bürokratie im nationalsozialistischen Sinne. Für ihn stellen Parteiapparat und Verwaltung keine getrennten Machtblöcke dar, deren interne Differenzen und deren Konkurrenz zueinander herausgearbeitet werden müssen. Deshalb listet er zwar die Einwände der „Beamten“ auf und konstatiert die Verzögerungen, die so entstanden, kommt aber trotzdem zu dem Schluß, daß es ein gemeinsames Ziel beider gewesen sei, die „Mischlinge“ in den Vernichtungsprozeß einzubeziehen.7
Albrecht Götz von Olenhusen, der – ebenfalls bereits in den 60er Jahren – die Auseinandersetzungen zwischen Reichserziehungsministerium und Parteigliederungen auf dem begrenzten Feld der Hochschulpolitik gegenüber „nichtarischen“ Studenten untersucht, kommt zu einem entgegengesetzten Urteil: Er ortet die Konflikte im Hochschulbereich, die mit „wachsender Schärfe und Erbitterung“ geführt wurden, als einen der Schauplätze, „auf welchen unter der täuschenden Oberfläche des nach außen geschlossenen totalitären Staates mit wechselndem Nachdruck und unterschiedlichem Ausgang der Kampf um die Vorherrschaft in der zivilen Verwaltung ausgetragen wurde, welcher seit Beginn des „Dritten Reiches“ zwischen Partei und Bürokratie schwelte.“8 Damit weist er als einer der ersten auf die vorhandenen und sich verschärfenden Widersprüche zwischen Bürokratie und Partei bei der Umsetzung antisemitischer Politik hin, die vor allem Uwe Dietrich Adam wenige Jahre später umfassend erforscht hat. Dieser hebt insbesondere die Anstrengungen des Reichssicherheitshauptamtes hervor, in Absprache mit der Partei ab Sommer 1941 die Ministerialbürokratie durch einen „neuen Judenbegriff“ zu „überrumpeln“.9 Darüber hinaus geht er der Rolle Hitlers in der Diskussion um die „Mischlinge ersten Grades“ nach.10 Einen einheitlichen „Führerwillen“ zur „Mischlingsfrage“ habe Hitler nie artikuliert. Adam führt Hitlers Unschlüssigkeit hinsichtlich einer definitiven Entscheidung darauf zurück, daß „er sicher sein konnte, daß im Gefolge der Ausrottung eine spezielle Vorschrift zur gesetzesförmigen Regelung dieses Fragenkomplexes über kurz oder lang überflüssig werden würde.“11 Diese Untätigkeit – so Adam – habe sich dann jedoch ungewollt gegen Hitlers Intention gekehrt, denn die Vorstellungen der Ministerialbürokratie seien darauf ausgerichtet gewesen, ein Mindestmaß an Rechtssicherheit als Handlungsgrundlage zu erhalten. Die Bürokratie habe keineswegs ohne Anweisungen immer radikalere Auslegungen der antijüdischen Gesetze und Verordnungen entwickelt, sondern abgewartet. Die daraus resultierende Verzögerungshaltung bzw. der Rückfall in ein „traditionelles Schema“ von Verwaltungshandeln beendete nach Adam die „unmittelbare Gefährdung“ der „Mischlinge ersten Grades“ ab Herbst 194312 und rettete schließlich den Betroffenen das Leben.
John Grenville hingegen geht intentionalistisch von einem bereits vor 1933 feststehenden Vernichtungsplan Hitlers aus, der – in „Mein Kampf“ öffentlich verkündet – stufenweise verwirklicht werden sollte: Nach der Ermordung der „Volljuden“ sei die der „Mischlinge ersten“ und schließlich eventuell die der „zweiten Grades“ vorgesehen gewesen.13 In diesem Erklärungsmodell waren es nicht widerstrebende Interessen oder sich blockierende Institutionen, die die Diskussion um die „Mischlinge“ bestimmten, Maßnahmen zeitigten oder verhinderten und schließlich das Überleben der Betroffenen ermöglichten. Nach Grenvilles Interpretation hätte Hitler lediglich abgewartet, bis der geeignete Zeitpunkt zum Handeln gekommen wäre und das deutsche Volk die Ermordung einer weiteren Gruppe hingenommen hätte.14
Jeremy Noakes wiederum, der 1988 einen grundlegenden Aufsatz über die „Mischlingspolitik“ vorlegt, stellt nicht nur die Verfolgungsetappen differenzierter dar, sondern kommt nach eingehender Untersuchung zu dem Ergebnis, daß zwar die entscheidende Rolle der Bürokratie im Prozeß der „kumulativen Radikalisierung“, durch die der Judenmord beschleunigt wurde, nicht geleugnet werden könne.15 Die „Mischlinge“ aber hätten dem aktiven Handeln derselben Bürokratie ihr Überleben zu verdanken – was allerdings gleichzeitig bedeutete, daß die Vernichtung der „Volljuden“ um so reibungsloser vonstatten gehen konnte. Es habe in der Absicht der Bürokratie gelegen, die unkontrollierbare Ausdehnung des Judenbegriffs an dieser Stelle zu verhindern und deshalb habe sie sich zur Lobby der „Halbjuden“ gemacht. Hitlers widersprüchliche und zögernde Haltung erklärt Noakes mit der Angst vor Unruhe oder Protesten.16 Hitler – darin stimmen Noakes, Adam oder Grenville überein – hätte das „Mischlingsproblem“ ohne Zweifel nach dem Krieg im Sinne der „Endlösung“ aus der Welt geschafft.
Doch trotz der Detailgenauigkeit, die Noakes Untersuchung zur „Mischlingspolitik“ aufweist, und der akribischen Nachzeichnung der Diskussionsprozesse bei Adam bleibt eine Erklärungslücke: Angesichts der Radikalität der anvisierten Maßnahmen – von der Zwangssterilisation über die Aussiedlung bis hin zur Deportation– muten die tatsächlichen Repressionen gegen die „Mischlinge“ eher gering an. Auch Begründungen wie die, daß die ärztlichen Kapazitäten angesichts des Kriegsverlaufes nicht zur Verwirklichung der Sterilisations„lösung“ ausgereicht hätten, vermögen die Verschiebung und damit Aussetzung der Eingriffe auf die Zeit nach dem Krieg kaum zu erklären. So wurden Sterilisationen aus erbgesundheitlichen oder rassenhygienischen Gründen während der Kriegsjahre nicht ausgesetzt17 und die Ermordungen von Geisteskranken weitergeführt.18 Nach dieser Argumentation hätte auch der Holocaust mangels personeller und sonstiger Kapazitäten nicht stattfinden können.
Seltsam unscharf bleibt in den Untersuchungen auch die Rolle Hitlers, der nachweislich immer wieder in die Vorbereitung und Formulierung der Maßnahmen eingriff, sie verzögerte, abmilderte oder Anstöße zu neuen Verschärfungen gab. Einerseits stand er unbestritten auf Seiten derer, die glaubten, jeder jüdische Blutstropfen in einer Ahnenreihe würde diese für immer „infizieren“. Andererseits widersprachen die meisten seiner Entscheidungen dieser Überzeugung. Daß Hitler ein gutes Gespür dafür hatte, wann die zeitliche Umsetzung einer Maßnahme angebracht war oder zugunsten dieser taktischen Überlegungen weltanschauliche Prinzipien zurückzustellen waren, erklärt nur teilweise, warum er Vorschläge zunächst ablehnte, dann doch billigte, jedoch die Umsetzung in die Tat verhinderte. Auch Himmlers weitgehend eingehaltenes Stillhalteabkommen mit dem späteren Justizminister Thierack von 1943, „Mischlinge“ nicht in die Deportationen einzubeziehen, kann mit einer geplanten Verschiebung der „Endlösung“ des „Mischlingsproblems“ auf die Zeit nach dem Krieg kaum erklärt werden, beschleunigte Himmler doch die Mordmaschinerie in den Vernichtungslagern im Osten gerade im Hinblick auf die sich abzeichnende militärische Niederlage.
Ein Katalog der konkreten Verfolgungsmaßnahmen gegen „Mischlinge“ steht ebenfalls noch aus. Eine erste, von Bruno Blau 1954 herausgegebene Gesetzes- und Verordnungssammlung19 erfaßt nur einen Teil der Bestimmungen, die Juden und „Mischlingen“ gegenüber angewendet wurden. Auch der später von Joseph Walk zusammengestellte umfangreichere Nachfolgeband enthält etliche gegen „Mischlinge ersten Grades“ gerichtete Maßnahmen, erhebt jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit20 und berücksichtigt regionale Sonderbestimmungen ebenso wenig wie die Modifizierung einzelner Maßnahmen.
Aus Sicht der Täter wurden die „Mischlinge“ immer als eine „Gruppe“ definiert. Diese fiktive Gruppe war Objekt ihres politischen Handelns und Adressat der vielfältigen Verfolgungsmaßnahmen. Die Forschungsliteratur hat diese Perspektive größtenteils übernommen. Offen blieb dabei die Frage, um welchen Personenkreis es sich eigentlich handelte. Aus Sicht der politischen Akteure waren die „Mischlinge“ genetisch bedingte Gegner der „Volksgemeinschaft“, weil „jüdisches Blut“ in ihren Adern floß, und zudem eine Gruppe, die schon deswegen eine staatsfeindliche Einstellung entwickeln mußte, weil sie aufgrund ihrer Abstammung ausgegrenzt und diskriminiert wurde. Wie der betroffene Personenkreis tatsächlich zusammengesetzt war, ob er wirklich eine Gruppe bildete, die gemeinsame Merkmale aufwies und kollektive Handlungsstrategien entwickelte, geriet dabei nicht in den Blick. Eine Studie von Aleksandar-Sasa Vuletic21 über den 1933 gegründeten, mehrfach umbenannten und 1939 zwangsweise aufgelösten „Reichsverband christlich-deutscher Staatsbürger nichtarischer oder nicht rein arischer Abstammung e.V.“ verbleibt auf der organisationsgeschichtlichen Ebene.22 Nun stellte der Verband zwar den einzigen Versuch der „christlichen Nichtarier“ dar, eine organisierte Interessenvertretung zu etablieren, erreichte jedoch nur einen Bruchteil der Betroffenen: In seiner Hochphase, kurz vor dem Ausschluß der „volljüdischen“ Mitglieder, gehörten ihm reichsweit ca. 6.000 Personen an.23 Andere Arbeiten streifen das Schicksal „nichtarischer Christen“ im Rahmen der Kirchengeschichtsschreibung.24
Werden Erfahrungen der „Mischlinge“ geschildert, so bleiben sie häufig illustrativ25 oder werden nicht systematisiert.26 Noakes beschränkt sich darauf, ein Sozialprofil aus statistischen Unterlagen zu erarbeiten, verzichtet aber auf erfahrungsgeschichtliche Fragestellungen, deren Beantwortung es ermöglichen würde, die subjektive Sicht einzelner oder die Binnenperspektive der „Gruppe“ zu beschreiben. Die Verfolgungserfahrungen wurden bisher nur in einer einzigen Untersuchung thematisiert: Der Psychologe und Soziologe Franklin A. Oberlaender befaßt sich in seiner aufschlußreichen sozialpsychologischen Studie mit den „Prozessen des Identitätsmanagements“ bei „christlichen Nichtariern“ und ihren Kindern in Deutschland.27 Er wertet lebensgeschichtliche Interviews und biographische Materialien von insgesamt 44 Personen aus, die fünf Familien angehören. Aus diesem Fundus analysiert er exemplarisch fünf Biographien. Als zentrale Kategorie für die Erfahrungen getaufter Juden und „Mischlinge“ legt er den Stigma-Begriff des Soziologen Goffman an.28 Nach diesem Ansatz wurden die „christlichen Deutschen jüdischer Herkunft“ durch das Etikett „Nichtarier“ Stigmaträger, d.h. sie waren mit einem „Brandmal“ gekennzeichnet, das sie aus der Mehrheitsgesellschaft ausgrenzte und sie nötigte, ihre Identität zwischen den Polen „out-group“ und „in-group“ neu zu definieren. Gegenüber der „in-group“ geht es um die Haltung zu Mitbetroffenen, die von Selbsthaß bis zur Überidentifikation reichen kann, gegenüber der out-group um die Einstellung zur Mehrheitsgesellschaft, wobei der Stigmabegriff impliziert, daß Stigmatisierte und „Normale“ Teile eines Ganzen sind.29 Innerhalb dieses begrifflichen Rahmens geht Oberlaender altersgruppenspezifisch und transgenerationell vor und mißt den christlichen Konfessionen als „Subidentitäten“ große Bedeutung zu. Er kommt zu dem Ergebnis, daß die älteren Verfolgten ihre vor dem Nationalsozialismus erworbene Identität weitgehend erhalten konnten,30 während diejenigen, die in der NS-Zeit aufwuchsen, ein Nebeneinander verschiedener Identitätsmodelle entwickelten.31 Die jüngeren in dieser zweiten Gruppe bezeichnet Oberlaender als „Interims-Generation“, deren große psychische Belastung in späteren Lebensjahren bzw. in der transgenerationellen Übertragung zu schwerwiegenden Krankheiten, Suchtanfälligkeiten oder psychosomatischen Störungen im Alter führen könne. Auch bei der nach dem Krieg geborenen Generation findet er die Nachwirkungen der Stigmaerfahrung ihrer Eltern wieder, ohne daß die Interviewpartner diese selbst erlebt haben.32 Trotz interessanter Einzelergebnisse ist die Quellenbasis von Oberlaenders sozialpsychologischer Studie zu schmal, um die Erfahrungsgeschichte der „christlichen Nichtarier“ zu beschreiben und zu bewerten. Sie bezieht zu wenige Einzelfälle ein und berücksichtigt die verfolgungs- und kriegsbedingten Veränderungen der Lebens- und Arbeitsbedingungen zu wenig. Vor allem aber blendet sie die Wechselwirkungen zwischen Verfolgungsprozeß, dessen Rezeption in der Bevölkerung und den Umgangsstrategien der Betroffenen weitgehend aus.
Hier setzt meine Arbeit an. Sie befaßt sich in erster Linie mit den „Mischlingen“, die als „Gruppe“ – zumindest bis kurz vor Kriegsende – ein rein gedankliches Konstrukt ihrer Verfolger waren. Was hatte dieses Konstrukt mit der realen Personengruppe zu tun? Wie war die soziale Zusammensetzung des über die jüdische Herkunft eines Elternteils definierten Personenkreises? Welches Selbstverständnis zeigten diejenigen, die in die Verfolgtenkategorie „Mischling“ eingestuft wurden? Von welchen Maßnahmen waren sie tatsächlich betroffen? Welche Umgangsstrategien entwickelten sie kurz- oder längerfristig? Waren diese Umgangsstrategien geeignet, Verfolgungssituationen zumindest begrenzt abzumildern oder ihnen gar ganz zu entkommen? Welche Wirkung hatten Ausnahmeregelungen auf die Betroffenen?
Die in der Regel zwischen 1870 und 1935 geborenen „Mischlinge ersten Grades“ erlebten Stigmatisierung und Ausgrenzung als Erwachsene, Jugendliche oder Kinder. Je nach Lebensphase geriet dabei ihr Selbstverständnis ins Wanken, Lebensentwürfe konnten nicht verwirklicht werden, Positionen in der gesellschaftlichen Hierarchie gingen verloren, das Gefühl für den Wert ihres Wissens und ihrer Leistung wurde erschüttert, die Chancen auf eine selbstgestaltete Zukunft schwanden dahin. Im Längsschnitt individueller Lebensläufe akkumulierten sich diese Verfolgungserfahrungen anders als in der sachthematischen Betrachtung, die immer nur einen einzelnen Lebens- oder Arbeitsbereich analysiert. Vor allem endeten diese Erfahrungen nicht 1945 mit der deutschen Kapitulation, sondern gingen neben der allgemeinen Lebenserfahrung der so Stigmatisierten in die Erinnerungskonstruktion und die Selbstdefinition des Subjektes ein. In der vorliegenden Arbeit werden neben lebensgeschichtlichen Interviews umfangreiche Aktenbestände verschiedenster Archive ausgewertet, die gezielt Auskunft etwa über Abschulungen, Ehegenehmigungen und -scheidungen oder berufliche Beschränkungen geben. Erst so wird es möglich, innerpsychische und innerfamiliäre Prozesse mit historischen Fragestellungen zu verbinden.
Unberücksichtigt blieben in der bisherigen Forschung auch Fragestellungen, die sich auf regionale Verfolgungsprofile beziehen. Während – vor allem bei Noakes oder Adam – die Ressortkämpfe um Kompetenzen und Führungsansprüche, um die Durchsetzung weltanschaulicher Positionen sowie die zeitlichen Abläufe der Entscheidungen auf Reichsebene sorgfältig untersucht werden, erhielt die Umsetzung dieser politischen Entscheidungen auf regionaler Ebene – und noch eine Stufe darunter: durch die einzelnen Entscheidungsträger – keine systematische Aufmerksamkeit. Sie diente allenfalls dazu, Schlaglichter auf scheinbar anarchisches Handeln der Behörden und Institutionen im NS-Staat zu werfen. Dabei kann gerade die Auswertung der regionalen Praxis in zwei Richtungen fruchtbar sein: Einerseits erlaubt sie Aussagen über ein Verfolgungsprofil, das sich sowohl im „normalen“ Verwaltungshandeln wie auch in der explizit gegen „Mischlinge“ gerichteten Politik niederschlug, d.h. die Erfahrungsseite der „Gruppe“ „Mischlinge“ kann konkretisiert werden. Andererseits entsteht erst dann ein vollständiger Eindruck von der „Mischlingspolitik“, wenn die unteren Ebenen und die Entscheidungsträger vor Ort mit in den Blick genommen werden. Denn Herrschaft als soziale Praxis impliziert nicht nur die Anordnungen „von oben“, sondern immer auch die Zustimmung, das Mitmachen, das Hinnehmen, Sich-Distanzieren oder Sich-Widersetzen der Subjekte.33 Erst die Wechselwirkungen der reichsweiten und der regionalen antisemitischen Politik zusammen bestimmten die Realität des Verfolgungsprozesses, seiner Radikalisierungsschübe von oben und unten. Nur durch Betrachtung der regionalen Ebene kann beurteilt werden, ob Stagnationen der „Mischlingspolitik“ „von oben“ Freiräume und Chancen für die Betroffenen schufen, oder ob die regional Verantwortlichen diese Spielräume für Verschärfungen ausnutzten. Darüber hinaus wären Vergleiche der regionalen Verfolgungspraxis wünschenswert, die im Rahmen dieser Arbeit aber nicht geleistet werden können. Insofern versteht sie sich auch als Appell zu verstärkter komparatistischer Regionalforschung.
Die Debatte um Daniel Jonah Goldhagens Thesen vom „eliminatorischen Antisemitismus“34 hat die öffentliche Aufmerksamkeit zu Recht auf diejenigen gelenkt, die den Judenmord ausführten. Die vorliegende Untersuchung versucht den Blick auf andere, schillernde Spielarten des Antisemitismus zu richten, die das Alltagshandeln in der rassistisch definierten „Volksgemeinschaft“ bestimmten, denn die tatsächliche Behandlung der „Mischlinge“ in der Zeit zwischen 1933 und 1945 kann auch als Testfall dafür gesehen werden, wie tief der Rassenantisemitismus in die deutsche Gesellschaft hineinreichte. Dabei geht es einerseits darum, wie weit er behördliche, richterliche, schulische oder andere Entscheidungsträger prägte, aber auch das gesellschaftliche Verhalten von Arbeitgebern, Nachbarn, Kunden oder Verwandten beeinflußte. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob es bei Entscheidungsträgern außer diesem Leitmotiv noch andere nachvollziehbare Motive für Handlungen, Entscheidungen oder Unterlassungen gegeben hat. Eine Antwort darauf kann die Perspektive der „Mischlinge“ nicht geben. Diese verbleibt notwendigerweise im Bereich der Vermutungen oder des nachträglich Angelesenen. Die Motive der Akteure müssen aus anderen Quellen erschlossen werden. Die Täterforschung versucht, in Kollektivbiographien gemeinsame Merkmale und Erfahrungen der NS-Täter herauszuarbeiten. Dies ist bezogen auf die „Mischlinge“ nicht möglich, weil keine Verfolgergruppe speziell für sie zuständig war und sie selbst im Tätigkeitsfeld der Gestapo immer nur eine unter vielen Gruppen blieb. Es geht mir statt dessen darum, die punktuellen Widersacher der „Mischlinge“ dort kenntlich zu machen, wo diese ihnen begegneten: Als Verfolger der Eltern, vor Gericht, bei der rassenbiologischen Untersuchung, beim Gestapoverhör oder beim Arbeitsamt. Es liegt am Gegenstand dieser Untersuchung, daß die Porträts der Akteure auf Verfolgerseite leichter zu erstellen sind, wenn diese höhere oder gehobene Funktionen im Staatsapparat einnahmen, schriftliche Quellen hinterließen oder nach dem Krieg in Gerichtsprozessen für ihre Handlungen zur Rechenschaft gezogen wurden. Je mehr sich das Verfolgungshandeln im Alltag der „Volksgemeinschaft“ vollzog, desto schwieriger wird es, etwas über die Verantwortlichen zu erfahren: Hausmeister, Arbeitsvermittler, Verwandte oder die Putzfrau traten kurzzeitig als Akteure auf, die den Lebensweg eines „Mischlings“ nicht unwesentlich beeinflußten, und kehrten dann wieder in die Unauffälligkeit zurück.
Alle hier genannten Themenkreise durchziehen die vier Hauptteile der vorliegenden Arbeit. In jedem wird versucht
– die politischen Auseinandersetzungen auf der Reichsebene nachzuzeichnen und dabei auch den angedeuteten offenen Forschungsfragen nachzugehen,
– die Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen auf regionaler Ebene und das daraus entstehende Verfolgungsprofil zu untersuchen
– und die Wirkung der Bestimmungen und deren Ausführung auf die Betroffenen sowie deren Umgangs- und Gegenstrategien aus erfahrungsgeschichtlicher Sicht zu beschreiben und zu analysieren.
Hamburg als regionales Beispiel zu wählen, bot sich schon deshalb an, weil in der Hansestadt – nach Wien und Berlin – die meisten „Mischlinge“ lebten.
Diese vier Ebenen – Reichsebene, regionale Ebene, Betroffene und Akteure auf Verfolgerseite – bestimmen den Aufbau der Hauptteile meiner Arbeit, denen inhaltlich vier Fragen zugrunde liegen:
Der erste Teil befaßt sich mit der Situation der Mischehen zwischen 1933 und 1945. Die „Mischlinge“ waren von der Verfolgung der Eltern direkt oder indirekt betroffen, sie beeinflußte ihre Lebensbedingungen als Kinder und Jugendliche, ihre Stellung als Erben und nicht zuletzt ihr psychisches Gleichgewicht. Welchen Verfolgungsmaßnahmen unterlag nun die Elterngeneration? Hier geht es um die Auseinandersetzungen zwischen Vertretern der NSDAP, des Reichssicherheitshauptamtes und den Ministerien um die Einbeziehung der in Mischehe lebenden Juden in Zwangsmaßnahmen und Deportationen. Es werden die Lebensbedingungen in Hamburg skizziert, die sukzessiv verschärft wurden: Nach der wirtschaftlichen Enteignung folgten Zwangsarbeit, Kriminalisierungen, Einweisungen in „Judenhäuser“ und schließlich Deportationsbefehle. Am Porträt des Leiters des jüdischen Zwangsarbeitseinsatzes wird aufgezeigt, welchen Einfluß ein einzelner Verantwortlicher auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen, auf Überleben oder Tod in Vernichtungslagern hatte. Zentral ist die Frage nach der Bewältigung des Verfolgungsdrucks. Drei Fallbeispiele verdeutlichen die innerfamiliären Veränderungen ebenso wie die Haltung des (aus Sicht der Nationalsozialisten) jüdischen Ehepartners der jüdischen Gemeinschaft gegenüber: Während sich die einen dieser wieder annäherten, hielten die anderen doppelte Distanz zu den „Stammesgenossen“, um keine Anlässe für Anfeindungen zu bieten. Obwohl die Beispiele Paare betreffen, die dem äußeren Druck gemeinsam standhielten, zeigen sie auch, daß dies noch keine Überlebensgarantie für den jüdischen Partner war. Das letzte Kapitel im Teil I befaßt sich mit den Mischehen, die geschieden wurden, einem Thema, dem in der bisherigen Forschung kaum Aufmerksamkeit gewidmet wurde.35 Am Beispiel der Rechtsprechung der Hamburger Ziviljustiz wird herausgearbeitet, welche Motive die scheidungswilligen Ehepartner vorbrachten und inwieweit rassistische Prinzipien auf die Scheidungspraxis Einfluß nahmen.
Im Teil II werden die legalen Möglichkeiten untersucht, der „rassischen“ Verfolgung innerhalb Deutschlands zu entkommen. Einem Überblick über die „Mischlingspolitik“ während des Nationalsozialismus folgt die Erläuterung der Verfolgtenkategorien „Volljuden“, „Geltungsjuden“ und „Mischlinge ersten und zweiten Grades“. Die jeweiligen Definitionen wiesen so viele innere Widersprüche auf, daß tausende versuchten, Ausnahmeregelungen für sich in Anspruch zu nehmen und damit aus der Verfolgung „auszusteigen“ oder zumindest in einen minder hart betroffenen Status zu wechseln. Untersucht wird, wie erfolgsträchtig Anträge nach dem Reichsbürgergesetz oder aufgrund von Kriegsverdiensten waren, wie gerichtliche Abstammungsverfahren verliefen und welche Nebenwege die Betroffenen ansonsten beschritten, um ihre Einstufung zu verändern. Das zivilrechtliche Verfahren fußte in den meisten Fällen auf erb- oder rassenbiologischen Gutachten, die für das Hamburger Landgericht von einem Gerichtsmediziner oder einem Rasseanthropologen von der Universität Kiel erstellt wurden. Diese beiden Männer, die über das weitere Schicksal der Untersuchten maßgeblich mit entschieden, werden porträtiert. Beide retteten durch ihre Gutachten Juden vor der Deportation und erklärten „Mischlinge“ zu „Deutschblütigen“. Dennoch lagen ihre Motive nicht im Antirassismus begründet, sondern resultierten teilweise gerade aus den inneren Widersprüchen der Rassentheorien.
Von den „Gleichstellungen“ konnten letztlich nur wenige „Mischlinge“ profitieren, und auch diese mußten immer gewärtigen, den privilegierten Status wieder zu verlieren. Dennoch bewirkte die Aussicht auf mögliche Sonderregelungen bei den vereinzelten „Mischlingen“ immer wieder die Hoffnung auf Besserstellung bei individuellem Wohlverhalten.
Im Teil III werden die Veränderungen zentraler Lebensbereiche der „Mischlinge“ und die Umgangsstrategien reflektiert, die die Betroffenen entwickelten. In dieser sachthematischen Analyse geht es vor allem um die Restriktionen bei der Eheschließung und um die Möglichkeiten beruflicher Betätigung einschließlich des Bildungs- und Ausbildungsbereichs. So sind die Hamburger Anträge auf Ehegenehmigungen, ihre regionale wie überregionale Behandlung im „Reichsausschuß zum Schutze des deutsches Blutes“ ebenso Gegenstand der Untersuchung wie die Strategien der Betroffenen, mit den Ablehnungen umzugehen. Die „Mischlinge“, emotional an die Konventionen ihrer bürgerlichen Herkunft gebunden, standen vor dem Dilemma, zur Einhaltung gesellschaftlicher Normen notgedrungen illegale Wege beschreiten zu müssen. Die wenigen erlaubten Heiratsmöglichkeiten erwiesen sich in der Praxis als ähnlich aussichtslos oder wenig glücksverheißend. Die Liebesbeziehungen zu „Deutschblütigen“ waren auch der Hauptgrund für die gefürchteten Gestapokontakte. Während die gesetzlichen Einschränkungen neue Eheschließungen fast ganz verhinderten, entfaltete der Druck auf bestehende Ehen relativ wenig Wirkung, wie die nachfolgende Untersuchung der Scheidungspraxis zeigt.
Die im „Dritten Reich“ vielfach betonte freie wirtschaftliche Betätigung der „Mischlinge“ unterlag ebenfalls Einschränkungen und willkürlichen Beschneidungen, die auf der Maßnahmenebene und an Beispielen untersucht werden. Dennoch ermöglichte diese Freiheit den „Mischlingen“ das Verbleiben innerhalb der deutschen Gesellschaft, bis der Primat der Rassenideologie Oberhand gewann und sie zur Zwangsarbeit verpflichtet wurden. Selbständige konnten den Repressionen oft länger ausweichen als lohnabhängig Beschäftigte, wie die Umgangsstrategien zeigen. Das Beispiel des ersten Hamburger Nachkriegsbürgermeisters Rudolf Petersen präsentiert auf den ersten Blick sogar einen Unternehmer, der bis zum Kriegsende erfolgreich tätig sein konnte. Erst genaues Hinsehen fördert die Mischung aus Vermeidungsverhalten, Anpassung und kaufmännischer Tüchtigkeit zutage, die nach dem Krieg ihre Fortsetzung in dem Bemühen fand, den Wiederaufbau ohne Verzögerung und lästige Vergangenheitsbewältigung anzupacken.
Kurzzeitige Hoffnungen auf gesellschaftliche Reintegration hatten die Einberufungen zur Wehrmacht geweckt. Hoffnungen, die allerdings bald zerstoben. Dennoch zeigt die Auswertung der Fallbeispiele, daß eine Reihe von „Mischlingen“ mit Ausnahmegenehmigung oder getarnt das Ende des Nationalsozialismus als Soldaten erlebte. Den Abschluß des Kapitels stellt die Untersuchung der Zwangsarbeit in Hamburg dar. Ab April 1943 wurden die „Mischlinge“ unter dem Deckmantel der „Dienstverpflichtung“ erneut eingezogen. Sie sollten in Arbeitsbataillonen zusammengefaßt und „kaserniert“ werden. Während dies reichsweit geschah, kam es in Hamburg nur in Ansätzen zu einer Lagereinweisung. Dennoch fürchteten die „Mischlinge“, ihre Deportation stehe unmittelbar bevor. Die Zwangsarbeit, so angstbesetzt und demütigend viele Betroffene sie darstellen, bewirkte doch in Ansätzen einen Gruppenbildungsprozeß, der sich nach dem Kriegsende fortsetzte. Ein weiteres Kapitel im Teil III befaßt sich mit den „Mischlingen“, die sich als NSDAP-Mitglieder mit der Verfolgerseite politisch identifizierten oder versuchten, die Parteimitgliedschaft als privates Schutzschild zu benutzen, ein anderes widmet sich der Einbeziehung von „Mischlingen“ in Zwangsmaßnahmen, die vom Gestapoverhör bis zur KZ-Einweisung reichen konnten. Die Porträts eines Arbeitsvermittlers und eines Gestapobeamten sind in den Text integriert. Beide Personen hinterließen zu wenig Spuren, um mehr als eine ausschnitthafte biographische Skizze zu erstellen.
Im Teil IV werden die individuellen Auswirkungen der Verfolgung untersucht. Die Lebensgeschichten der als „Mischlinge zweiten Grades“, „Mischlinge ersten Grades“ und „Geltungsjuden“ Eingestuften zeigen, daß nicht jede Verfolgungsmaßnahme gleichermaßen traumatisierende Wirkungen hatte. Welche Möglichkeiten zur Bewältigung den Betroffenen zur Verfügung standen, variierte nach Alter, Geschlecht, Schichtenzugehörigkeit und familiärer Konstellation. Die acht ausführlich dargestellten und interpretierten Lebensläufe werden in einem zweiten Schritt daraufhin untersucht, inwieweit sie für die Gesamtgruppe der insgesamt 60 Interviewten als typisch gelten können.
Ein kurzer Ausblick skizziert abschließend, mit welcher Haltung und unter welchen Belastungen die als „Mischlinge“ Eingestuften ihre Lebensbedingungen in der Nachkriegszeit gestalteten. Dabei stehen die je nach Altersgruppe verschiedenen Anstrengungen im Mittelpunkt, wieder in ein bürgerliches Leben in der Mitte der Gesellschaft zurückzukehren, so zum Beispiel der Aufbau einer neuen wirtschaftlichen Existenz oder die Rückdatierung nun möglicher Eheschließungen. Jugendliche holten in Sonderförderkursen versäumte Schulabschlüsse und Ausbildungen nach. Neben der materiellen Wiedergutmachung, für deren Gewährung die neugegründete Selbsthilfeorganisation, die Notgemeinschaft der durch die Nürnberger Gesetze Betroffenen, jahrelang kämpfte, ging es um die Bewältigung seelischer Verletzungen, die nicht nur Individuen erlitten hatten. Auch Familien waren durch Emigration und Deportation der jüdischen Verwandten zerrissen und dezimiert, die „deutschblütigen“ Familienzweige hatten sich zum Teil als überzeugte Nationalsozialisten von Mischehen und „Mischlingen“ abgewandt. Diese Risse zu kitten, gelang nicht immer und schon gar nicht reibungslos.
Die Quellenlage ist insgesamt als gut zu bewerten. Das Anliegen dieser Arbeit, verschiedene Perspektiven auf die „Mischlingspolitik“ in ihrer Wechselwirkung zu betrachten, erfordert es, sehr heterogene Quellen heranzuziehen und miteinander in Beziehung zu setzen. Dabei handelt es sich einerseits um die Aktenbestände verschiedener Reichsministerien,36 der NSDAP37 und die im Hamburger Staatsarchiv befindlichen Hamburger Senats- und Behördenüberlieferungen.38 Während ein Großteil der Bestände im Bundesarchiv in der vorgestellten Forschungsliteratur schon ausgewertet worden ist, war es möglich, neues Material einzubeziehen, das erst nach Übernahme der Bestände des Zentralen Staatsarchivs der DDR zur Verfügung steht, so beispielsweise die Protokolle des „Reichsausschusses zum Schutze des deutschen Blutes“.
Außerdem wurden Urteile ausgewertet, die Hamburger Zivil- und Strafgerichte während und nach der NS-Zeit gefällt haben. Die Akten der Justizbehörde, des Amts- und Landgerichts, die für diese Arbeit gesichtet werden konnten, sind noch nicht an das Staatsarchiv abgegeben und deshalb bisher kaum für Forschungsvorhaben genutzt worden. Sie lagern in Kellern und auf Dachböden der Gerichte und sind lediglich durch knappe Registereintragungen erschlossen. Während die Scheidungsakten – mit wenigen Ausnahmen – bis auf die Urteilstexte ausgedünnt und zudem bereits bis Ende 1937 kassiert worden sind, waren die Akten der Abstammungsverfahren (Statusverfahren), die erst nach der Neufassung des Familienrechts 1938 möglich waren, in der Regel vollständig und bis zum Jahr 1945 erhalten. Teilweise korrespondierten Scheidungs- und Abstammungsunterlagen mit den Akten der Justizbehörde, die nach dem Krieg angelegt wurden, als Scheidungen annulliert und Eheschließungen nachgeholt wurden, die während des Nationalsozialismus verboten waren. Neben vereinzelten Strafprozeßunterlagen konnten so 146 Scheidungsurteile (Mischehen- und „Mischlingsscheidungen“), 66 Abstammungsprozesse und 212 Einzelfallakten nach dem Eheanerkennungsgesetz (Rückdatierung von Eheschließungen, an denen Juden oder „Mischlinge“ beteiligt waren und Scheidungsannullierungen) ausgewertet werden. Schließlich zog ich auch die Unterlagen der Bezirksstelle Nordwest der damaligen Reichsvereinigung der Juden in Deutschland heran, die von der Jüdischen Gemeinde Hamburgs 1993 an das Staatsarchiv abgeliefert wurden. Sie geben einen genauen Einblick in die Lebensbedingungen der Mischehen in den letzten beiden Jahren des Krieges. Einzelakten oder kleinere Bestände aus anderen Archiven oder in Privatbesitz ergänzen diesen Quellenbestand.
Die Erfahrungsgeschichte der Betroffenen kann aus vielen dieser Archivmaterialien, insbesondere denen der staatlichen Institutionen, nur punktuell, indirekt oder gar nicht erschlossen werden. Um sie zu rekonstruieren, bedurfte es anderer Quellen, die Aufschlüsse über die Erfahrungsseite der als „Mischlinge“ Verfolgten geben:
1. lebensgeschichtliche Interviews und schriftliche Selbstzeugnisse;
2. Einzelfallakten des Amtes für Wiedergutmachung und Korrespondenzen der Notgemeinschaft der durch die Nürnberger Gesetze Betroffenen, die in der Forschungsstelle für Zeitgeschichte archiviert sind.
So führte ich im Rahmen meiner Tätigkeit im Oral-history-Projekt „Hamburger Lebensläufe – Werkstatt der Erinnerung“ 60 lebensgeschichtliche Interviews mit Personen, die während des Nationalsozialismus als „Mischlinge ersten Grades“, „Mischlinge zweiten Grades“ oder „Geltungsjuden“ eingestuft waren.39 Die Interviewten gehören den Jahrgängen 1908 bis 1940 an. Dokumente aus ihrem Privatbesitz (Briefwechsel, Aufzeichnungen, Korrespondenz mit Behörden) konnten ebenfalls herangezogen werden. Die Interviews werden in dieser Arbeit zum einen ausschnittweise genutzt, um die Perspektive Betroffener auf einen Sachverhalt zu verdeutlichen (Teile I-III), zum anderen geht es – vor allem im Teil IV – um die Auswertung der lebensgeschichtlichen „Folgen der Verfolgung“ (Niederland). Die Oral history, in Deutschland erst in den letzten zwanzig Jahren als Methode der Geschichtswissenschaft etabliert, geht davon aus, daß die Lebenserinnerungen der Interviewten Konstruktionen bzw. Rekonstruktionen der Erfahrungen sind. Die Zeitzeugen ordnen in ihrer Erzählung Erlebnisse der Vergangenheit im Hinblick auf ihre gegenwärtige Situation, ihr heutiges Selbstverständnis und die Deutung des Erlebten. Sie geben also nicht die historischen Gegebenheiten „an sich“ wieder, sondern sind beeinflußt durch die Gruppen- und Milieuzugehörigkeit, die spezielle Interaktion während des Interviews oder die aktuelle Berichterstattung der Medien.40 Während die Tonbandaufzeichnungen überwiegend zwischen 1990 und 1995 entstanden, stammen die ausgewerteten schriftlichen Selbstzeugnisse aus größerer zeitlicher Nähe zum Verfolgungsgeschehen.41 Einige Nachlässe boten die Möglichkeit, die Lebensgeschichten verstorbener Personen zu rekonstruieren.42 Dies bezieht sich einerseits auf die Biographien der als „Mischlinge“ Verfolgten, andererseits auch auf die Lebensläufe derjenigen, die als Entscheidungsträger oder Repräsentanten des NS-Staates gegenüber den Verfolgten handelten.43
Für die Einzelfallauswertung beantragte ich die Einsicht in 100 Akten, die im Amt für Wiedergutmachung lagern.44 Es handelte sich dabei überwiegend um Akten über Personen, die vor 1910 geboren wurden und die aus biologischen Gründen kaum als Interviewpartner zur Verfügung standen. In den Wiedergutmachungsakten finden sich entschädigungsrelevante Vorgänge, jedoch auch allgemeine Schilderungen der Verfolgungssituation während der NS-Zeit (und die Prüfung dieser Vorgänge durch das Amt). Die erste Ablieferung des oft korrespondierenden Aktenbestandes der Notgemeinschaft – diese übernahm die rechtliche Beratung bei den Wiedergutmachungsanträgen – war zum Zeitpunkt meiner Archivrecherchen gerade an die Forschungsstelle für Zeitgeschichte abgegeben worden. Da die Selbsthilfeorganisation oft die erste Anlaufstelle für Verfolgte war, enthalten die Akten teilweise sehr lange, nicht nur auf Entschädigungsaspekte ausgerichtete Lebenserinnerungen und Abschriften von Dokumenten aus der NS-Zeit. Zusammen mit den Einzelfällen des Amtes für Wiedergutmachung konnte ich so 359 Einzelfallakten von „Mischlingen“ auswerten. Außerdem sichtete ich Unterlagen über 137 Kinder, die zwischen 1936 und 1944 als „Mischlinge“ geboren, in der Nachkriegszeit in den Genuß von Erholungskuren kamen.45 Alle Einzelfallakten unterliegen strengen Datenschutzauflagen, denen in dieser Arbeit durch Anonymisierung Rechnung getragen werden mußte. Auch die Namen der Interviewpartner sind – wenn die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen eine Anonymisierung gewünscht haben – geändert worden.
Einige zentrale Aktenbestände, die Einblick in Entscheidungsfindungs- und Verfolgungsprozesse geben könnten, sind leider nicht erhalten. So fehlen beispielsweise die Akten des Reichsarbeitsministeriums ebenso wie ein Großteil der Akten des Reichssippenamtes. Vor allem aber sind die regionalen Aktenbestände der Gestapo im Mai 1945 vollständig zerstört worden. Sie hätten einen detaillierten Einblick in die Verfolgungspraxis ermöglicht.
Abschließend sei auf einige begriffliche Probleme verwiesen: Die für die Verfolgung der „Mischlinge“ und Mischehen zentralen Begriffe, die in dieser Untersuchung notwendigerweise verwendet werden, zählte Victor Klemperer sämtlich in seiner Analyse der LTI auf, der Lingua Tertii Imperii, der Sprache des Dritten Reiches.46 Sie sind die nationalsozialistischen Umwertungen von Begrifflichkeiten, die vor 1933 andere Bedeutungsinhalte hatten und diese nach 1945 wieder bekamen, wenn sie nicht in Vergessenheit gerieten:
– Mischehen bezeichneten seit dem 19. Jahrhundert insbesondere konfessionsverschiedene Ehen, nach 1933 jedoch eheliche Gemeinschaften, in denen ein Partner nach NS-Definition „jüdisch“, einer „deutschblütig“ war.
– „Jüdisch“ war vor 1933 eine Person, die einer Jüdischen (Israelitischen) Gemeinde angehörte; 1935 definierten die Nürnberger Gesetze diese Zugehörigkeit als „rassisch“, wobei das religiöse Bekenntnis nur in eine Richtung wirkte: Getaufte Juden wurden ebenso wie diejenigen als Juden behandelt, die zur jüdischen Religion konvertiert waren.
– Als „privilegiert“ konnte sich in der Ständegesellschaft eine Person begreifen, die verbriefte Sonderrechte besaß, die nicht zu ihrem Nachteil angewendet werden durften. Bezogen auf Mischehen bedeutete das Adjektiv, daß der jüdische Ehepartner einer „privilegierten Mischehe“ keinen Stern tragen mußte und nicht deportiert wurde.
– Der Begriff „Mischling“ stammt aus der Rassentheorie und bezeichnet die Vermischung verschiedener Rassen (auch: Bastard) und wies – je nach Rassentheoretiker – eine beschreibende, meist aber eindeutig negative Konnotation auf. Heute ist er in der Tier- und Pflanzenzucht gebräuchlich, und dort gehört er – wenn überhaupt – auch hin.
Friedlander erinnert in den „Anmerkungen zur Sprache“, die er seinen Forschungen zur Euthanasie voranstellt, daran, daß jede Gruppe ein Recht auf eine kollektive Selbstdefinition hat.47 Dies gilt selbstverständlich auch für Individuen. Im nationalsozialistischen Staat wurde Einzelnen wie Gruppen dieses Recht aberkannt, sie wurden in die oben genannten rassistischen Kategorien eingestuft, die ihre Selbstdefinition außer Kraft setzten. Dennoch ist die Verwendung dieser Begrifflichkeiten unabdingbar für eine wissenschaftliche Arbeit, die sich mit dem Verfolgungsschicksal der Personen befaßt, die so etikettiert wurden. Wenn im folgenden also von Juden die Rede ist, bezieht sich der Begriff nicht auf das Selbstverständnis der Betroffenen, sondern meint die Verfolgtenkategorie; Mischehen bezeichnen hier die Ehen, die die Nationalsozialisten unter diesem Begriff subsumierten; mit „Mischlingen ersten Grades“ sind die als „vorläufige Reichsbürger“ anerkannten „Halbjuden“ gemeint, mit „Mischlingen zweiten Grades“ die den „Deutschblütigen“ zugeschlagenen „Vierteljuden“. Ich hoffe, daß nicht nur die Anführungszeichen meine Distanz zu dieser Terminologie verdeutlichen, sondern daß auch die vielen zitierten Selbstzeugnisse der so Verfolgten von ihrem anhaltenden Bemühen um eine Selbstdefinition jenseits der rassistischen Kategorien zeugen.
Dieses Buch ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die der Fachbereich Philosophie und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg im Sommersemester 1998 unter dem Titel „Verfolgung und Verfolgungserfahrungen ‚jüdischer Mischlinge‘ in der NS-Zeit. Mischehen, ‚Mischlinge‘ und nationalsozialistische Rassenpolitik 1933 bis 1945“ angenommen hat. Für die Betreuung des vorangegangenen Forschungsprojektes und der Doktorarbeit danke ich Frau Prof. Dr. Monika Richarz, Prof. Dr. Peter Reichel und Prof. Dr. Ulrich Herbert herzlich. Dr. Frank Bajohr und Dr. Birthe Kundrus haben die Entstehung des Manuskriptes mit viel Engagement, Diskussionsbereitschaft und wichtigen Hinweisen begleitet.
Zu besonderem Dank bin ich den Zeitzeuginnen und Zeitzeugen verpflichtet, die mir in vielstündigen Interviews ihre Lebensgeschichten erzählten. Während der Archivarbeit habe ich von vielen Kollegen wichtige Hinweise erhalten. Namentlich danke ich besonders Thomas Jersch, PD Dr. Ina Lorenz, Prof. Dr. Uwe Danker, Klaus Bästlein, Konrad Stein-Stegemann, Dr. Christiane Rothmaler, Friederike Littmann und Dr. Michael Wildt ebenso wie den Archivaren, vor allem Herrn Jürgen Sielemann vom Hamburger Staatsarchiv und dessen Leiter, Prof. Dr. Hans Dieter Loose. Hervorheben möchte ich auch die keineswegs selbstverständliche freundliche und kompetente Betreuung in den Archiven des Landgerichts, der Justizbehörde und des Amtes für Wiedergutmachung.
Die an der heutigen Forschungsstelle für Zeitgeschichte im Rahmen des Projektes „Hamburger Lebensläufe – Werkstatt der Erinnerung“ begonnene Arbeit konnte ich am Institut für die Geschichte der deutschen Juden fortsetzen. Die überaus freundliche Aufnahme, die mir die Kolleginnen und Kollegen dort bereitet haben, ist dieser Arbeit sehr zugute gekommen. Gisela Groenewold danke ich für Ermutigung, Unterstützung und Anregungen, Ilany Kogan für die Supervision, Prof. Dr. Benno Müller-Hill und Dr. Jochen Walther gaben mir Feedbacks zu einzelnen Teilen der Arbeit. Urs Schiller und Klaus Hannes machten sich redaktionell um das Manuskript verdient, wobei letzterer die Entstehung des Gesamtprojektes engagiert und stets hilfs- und gesprächsbereit begleitete.
Ohne die finanzielle Unterstützung der Wissenschaftlichen VW-Stiftung und der Behörde für Wissenschaft und Forschung der Freien und Hansestadt Hamburg, für die ich besonders Dr. Walter Schindler zu Dank verpflichtet bin, hätte ich das Forschungsprojekt nicht durchführen können.
Anmerkungen: Einleitung
1 Arnold Zweig, Halbjuden, in: Die Sammlung. Literarische Monatsschrift, hrsg. von Klaus Mann, 1934, I. Jahrgang, Heft 6, S.287-290, hier: S.287.
2 So handelt Benz in dem von ihm herausgegebenen umfangreichen Sammelband das Schicksal der Mischehen und „Mischlinge“ auf sechs Seiten ab. Vgl. Wolfgang Benz, Zwischen „Ariern“ und „Nichtariern“, in: ders. (Hrsg.), Die Juden in Deutschland 1933–1945, München 1989, S.684-690.
3 So erschien 1982 der autobiographische Roman Ralph Giordanos, Die Bertinis, und 1984 Ingeborg Hechts, Als unsichtbare Mauern wuchsen. Von den Reaktionen anderer Betroffener berichtet Ingeborg Hecht in einem weiteren Buch: Von der Heilsamkeit des Erinnerns: Opfer der Nürnberger Gesetze begegnen sich, Hamburg 1991.
4 Raul Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden, Berlin 1961/1982, S.294.
5 So bei Uwe Dietrich Adam, Judenpolitik im Dritten Reich, Düsseldorf 1972 und Jeremy Noakes, The Development of Nazi Policy toward the German-Jewish „Mischlinge“ 1933–1945, in: Leo Baeck Institute Year Book XXXIV, London / Jerusalem / New York 1989, S.291-354.
6 Hilberg, Vernichtung, S.300.
7 In seiner neueren Arbeit wiederholt Hilberg diese Einschätzung zwar nicht, widmet den „Mischlingen“ aber nur kurze Bemerkungen im Kapitel „Christliche Juden“, die sich auf den Paulus-Bund und die rechtliche Lage seiner Mitglieder beziehen. Immerhin revidiert er die „vergleichsweise geringe Diskriminierung“ zugunsten einer „Drangsal“, die die „Mischlinge“ als Einzelne überstehen mußten. Vgl. Raul Hilberg, Täter, Opfer, Zuschauer, Frankfurt 1992, S.171.
8 Albrecht Götz von Olenhusen, Die „nichtarischen“ Studenten an den deutschen Hochschulen, in: VfZ 14 (1966), S.175-206, S.199.
9 Adam, Judenpolitik, S.319.
10 Ebd., S.320.
11 Ebd., S.330.
12 Ebd., S.330.
13 Vgl. John A.S.Grenville, Die „Endlösung“ und die „Judenmischlinge“ im Dritten Reich, in: Ursula Büttner (Hrsg.), Das Unrechtsregime, Band 2, Hamburg 1986, S.91-121, hier: S.103.
14 Grenville, „Endlösung“, S.115ff.
15 Noakes, Nazi Policy, hier: S.352 ff.
16 Noakes führt zwei Beispiele an: den Widerspruch, den die Euthanasie-Aktion in der Bevölkerung hervorgerufen hatte, und die Proteste der Ehefrauen, als in Berlin Juden aus „privilegierten Mischehen“ verhaftet wurden. Ebd., S.354.
17 Vgl. Gisela Bock, Zwangssterilisation im Nationalsozialismus. Studien zur Rassenpolitik und Frauenpolitik, Opladen 1986, S.435-456.
18 Neuere Forschungen zur Euthanasie gehen nicht mehr davon aus, daß der von Hitler im August 1941 verkündete Stopp in eine Phase der „wilden Euthanasie“ überging, sondern betonen die zentrale Planung und Ausweitung des Krankenmordes auf weitere Personengruppen bis Kriegsende. Vgl. Michael Wunder, Die Spätzeit der Euthanasie, in: Klaus Böhme / Uwe Lohalm (Hrsg.), Wege in den Tod. Hamburgs Anstalt Langenhorn und die Euthanasie in der Zeit des Nationalsozialismus, Hamburg 1993, S.397-424, besonders S.401; siehe auch Götz Aly, Medizin gegen Unbrauchbare, in: Beiträge zur Gesundheits- und Sozialpolitik, Bd. 1, Berlin 1985, S.9-74, hier besonders S.56-70.
19 Vgl. Bruno Blau, Das Ausnahmerecht für die Juden in Deutschland 1933–1945, Düsseldorf 1965.
20 Vgl. Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat, herausgegeben von Joseph Walk, Karlsruhe 1981, S.XI.
21 Vgl. Aleksandar-Sasa Vuletic, „Plötzlich waren wir keine Deutschen und keine Christen mehr …“. Der „Reichsverband der nichtarischen Christen“ und die „Vereinigung 1937“. Organisierte Selbsthilfe von „nichtarischen“ Christen und „Mischlingen“ im Dritten Reich“, Diss. phil., Darmstadt 1994; erscheint unter dem Titel „Christen jüdischer Herkunft im Dritten Reich“ 1998/1999. Seitenangaben beziehen sich noch auf das Manuskript.
22 Ähnlich auch Werner Cohn, der die Geschichte dieses Verbandes nach den Amtszeiten seiner jeweiligen Vorsitzenden strukturiert und beschreibt. Vgl. Werner Cohn, Bearers of a Common Fate? The „Non-Aryan“ Christian „Fate-Comrades“ of the Paulus-Bund, 1933–1939, in: LeoBaeck Institute Year Book XXXIII, London / Jerusalem / New York 1988, S.327-366.
23 Vgl. Vuletic, „Plötzlich waren wir …“, S.308f.
24 So etwa Eberhard Röhm / Jörg Thierfelder, Juden, Christen, Deutsche 1933–1945, B. I-III, Stuttgart 1990, 1992 und 1995; Hartmut Ludwig, Die Opfer unter dem Rad verbinden. Vor- und Entstehungsgeschichte, Arbeit und Mitarbeiter des „Büro Pfarrer Grüber“, Diss., Berlin 1988; Sigrid Lekebusch, Not und Verfolgung der Christen jüdischer Herkunft im Rheinland, Köln 1995.
25 Vgl. Benz, Zwischen „Ariern“ und „Nichtariern“, S.684-690.
26 So bei Hans Günther Adler, Der verwaltete Mensch, Tübingen 1974, S.278-322 und S.697-703.
27 Vgl. Franklin A. Oberlaender, „Wir aber sind nicht Fisch und nicht Fleisch.“ Christliche „Nichtarier“ und ihre Kinder in Deutschland, Opladen 1996; siehe dazu auch die kritische Rezension von Heinz Abels in: BIOS 2 (1997), S.296-307.
28 Vgl. Erving Goffmann, Stigma. Über Techniken der Bewältigung beschädigter Identität, Frankfurt 1967; vgl. Oberlaender, Christliche „Nichtarier“, S.34ff.
29 Ebd.
30 Ebd., S.329.
31 Ebd., S.333.
32 Ebd., S.338.
33 Vgl. Alf Lüdtke, Die Praxis von Herrschaft. Zur Analyse von Hinnehmen und Mitmachen im deutschen Faschismus, in: Berliner Debatte. Zeitschrift für sozialwissenschaftlichen Diskurs 5 (1993), S.23-34. Lüdtke untersucht hier das Verhalten der Funktionseliten und das der (männlichen) Arbeiter in dieser sozialen Praxis.
34 Vgl. Daniel Jonah Goldhagen, Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust, Berlin 1996.
35 Während die viel umfangreichere „normale“ Scheidungspraxis unberücksichtigt blieb, wurde die Praxis der gerichtlichen Anfechtung von „Rassenmischehen“ zum Gegenstand einer neueren Veröffentlichung: Marius Hetzel, Die Anfechtung der Rassenmischehe in den Jahren 1933–1939, Tübingen 1997.
36 Zum Zeitpunkt der Archivrecherchen lagerten die Bestände im Bundesarchiv Potsdam und Koblenz.
37 Es wurden die Verfilmungen der Akten der Partei-Kanzlei in der Staats- u. Universitätsbibliothek Hamburg sowie Teilbestände des Berlin Document Centers (zum Zeitpunkt der Recherche in Lichterfelde, heute Teil des Bundesarchivs in Berlin) und des Zwischenarchivs Dahlwitz-Hoppegarten eingesehen.
38 Dazu wurden im Staatsarchiv Hamburg umfangreiche Aktenbestände daraufhin gesichtet, ob Entscheidungen zur Behandlung der „Mischlinge“ getroffen wurden und ob sich diese in der zeitlichen Dimension veränderten. Fündig wurde ich vor allem im Bestand Staatsamt, Senatskanzlei und etlichen Einzelbehörden, wobei vor allem die Akten der Schulbehörde und der Innenbehörde Aufschluß über das Thema gaben.
39 Soweit nicht anders ausgewiesen, sind diese Interviews transkribiert und in der „Werkstatt der Erinnerung“ in der Forschungsstelle für Zeitgeschichte (FZH / WdE) archiviert.
40 Zu Beginn des vierten Teils finden sich methodische Überlegungen zur Oral history, die deren Möglichkeiten, aber auch Grenzen aufzeigen.
41 Sie stammen teilweise aus dem Archiv der FZH oder FZH / WdE, teilweise sind sie Privatbesitz.
42 So der Nachlaß der Familie Petersen im Hamburger Staatsarchiv, dessen Benutzung mir die Familie freundlicherweise gestattete, oder der Nachlaß des Gerichtsmediziners Hans Koopmann.
43 Die Porträts derjenigen, die auf der Täterseite entscheidende Funktionen ausübten, entstanden ebenfalls aus einem Quellenmix von persönlichen Unterlagen, Personal- und Gerichtsakten sowie einer Auswertung ihrer Publikationen.
44 Die Namen der Betroffenen entnahm ich Listen, die die Gauwirtschaftskammer 1944 aufgestellt hatte.
45 Diese sind ebenfalls im Bestand der FZH, Notgemeinschaft, 18-1, enthalten.
46 Vgl. Victor Klemperer, LTI, Frankfurt 1975, S.200ff.
47 Vgl. Henry Friedlander, Anmerkungen zur Sprache, in: ders., Der Weg zum NS-Genozid. Von der Euthanasie zur Endlösung, Berlin 1997, S.20ff.