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Glander schaute den unrasierten und übernächtigt wirkenden Mann hinter der Ladentheke so erstaunt an, als habe er sich verhört. »Der kostet wie viel?«

»280 Euro. Das ist eine seltene Abfüllung, dafür muss man schon ein bisschen tiefer in die Tasche greifen.«

»The World of Spirits« beherbergte ein erkleckliches Angebot an Spirituosen und war stadtweit vor allem für seine gute Auswahl an Malt Whiskys bekannt. Bezahlbar seien diese, hieß es, woran Glander gerade zweifelte. Er beschloss, dem Mann sein Anliegen zu erklären, vielleicht konnte der ihm ja weiterhelfen.

»Schauen Sie mal, ich möchte einer Frau, die ich gerade erst kennengelernt habe und die am liebsten Speyside Malts trinkt, einen Whisky schenken. Sie mag sehr gerne den Balvenie Rumfass oder so ähnlich. Es soll was Spezielles sein und zeigen, dass ich mir Gedanken gemacht habe, darf aber auch nicht zu viel des Guten sein. Sie verstehen, was ich meine?«

Der Inhaber griente Glander ein wenig anzüglich an. Er hatte nur wenige weibliche Kunden und nur eine einzige, die regelmäßig bei ihm The Balvenie oder andere Abfüllungen aus der Region Speyside kaufte, auch in den höheren Preislagen. Berlin war zwar eine europäische Metropole, aber die Welt des Whiskys war hier doch eine überschaubare. Die Frau war sehr lange nicht in seinem Geschäft gewesen, und er beschloss, diesem traurigen Experten vor ihm unter die Arme zu greifen, für den Fall, dass es sich tatsächlich um diese Kundin handelte.

»Also, wenn die Lady gerne den Balvenie Rum Cask trinkt, empfehle ich aus derselben Region entweder den BenRiach Horizons für knapp fünfzig Euro oder den Macallan Masters Edition Fine Oak 2007 für einen Zehner mehr. Beide sind ein bisschen außergewöhnlich. Der BenRiach ist dreifach destilliert mit Finish in Oloroso-Sherry-Fässern. Der hat’s mit fünfzig Prozent ganz ordentlich in sich, ist dafür aber überraschend mild, was der Dame vermutlich wichtig ist. Der Macallan hat ebenfalls ein Sherry-Fass gesehen und ist regelrecht samtig, sehr lecker und eine limitierte Abfüllung. Leichter auch, mit nur knapp 43 Prozent.«

Glander stand vor dem Besitzer des Spirituosenladens und war sich schlagartig darüber im Klaren, dass er nicht länger so tun musste, als verstünde er wirklich etwas von Whisky. Der Bladnoch war ein Geschenk gewesen, und der Zufall wollte es, dass er ihm richtig gut schmeckte. Bis dahin hatte es aber auch ein Jack Daniels getan. Schön auf dem Teppich bleiben, dachte er sich. »Wissen Sie, was, ich nehme beide und entscheide mich spontan, welchen ich ihr schenke.«

»Vielleicht kommt sie ja auch mal zu Ihnen, dann haben Sie was Ordentliches zum Anbieten …« Der Mann nahm die beiden Flaschen und packte sie in eine Papiertüte mit dem Aufdruck des Ladenlogos. »Sagen wir, glatt hundert Euro, dann mache ich heute zwei Menschen eine Freude.«

Glander schaute ihn ein wenig säuerlich an. »Jeden Tag eine gute Tat, was? Sehr löblich. Vielen Dank!«

»Aber gerne.«

Als sich die Tür hinter Glander schloss, fragte sich der Besitzer, ob dieser Vogel bei der Kundin wirklich eine Chance hatte.

Zum selben Zeitpunkt traf Lea mit Talisker auf Höhe des Eupener Wegs auf eine wildgestikulierende Gruppe von Nachbarn. Als sie sich der Gruppe näherte, winkte sie Herr Michalke schon zu sich heran. »Frau Storm, schön, dat Sie jrad vorbeikomm’! Et hat schon wieda een awischt.«

Lea traute ihren Ohren nicht. Noch ein Mord? Das konnte doch nicht sein! »Wen hat es erwischt, Herr Michalke?«, fragte sie vorsichtig.

»Na, den Kalli von die Renners.«

Frau Renner hatte rotgeweinte Augen, wie Lea jetzt bemerkte, und Herr Renner legte den Arm um sie. Kalli war der dauerkläffende Foxterrier der Renners, mit dem sie – zum Leidwesen aller Nachbarn mit einem etwas leichteren Schlaf – immer um Punkt halb sieben das erste Mal am Tag Gassi gingen. Freundliche Hinweise, dass man gerne auch mal ausschlafen würde, wenigstens an den Wochenenden, prallten an den Renners ab. Kalli war ihr Augenstern, im Winter bekam er eine Weste übergestreift, um sich nicht zu erkälten, und gefüttert wurde er mit einer Mischkost, die probiotischen, linksdrehenden Biojoghurt und Beerenmüsli enthielt und gleichermaßen teuer wie unsinnig war. Kalli hinterließ ungeniert Durchfallpfützen mitten auf dem Gehweg, was die Renners komplett ignorierten. Was sollte man da auch aufheben und in einen Beutel tun?

»Frau Renner, Herr Renner, das tut mir sehr leid. Was ist denn passiert?«

»Er wurde ermordet! Das war sicher der Hantschke. Oder die Krahmer. Die mit ihren Katzen, die hat unseren Kalli gehasst, nur weil er mal eins von ihren blasierten Biestern gepackt hat.«

Frau Renner schaute empört in die Runde, die ein bekräftigendes Gemurmel hören ließ. Neben den Renners standen Herr Michalke aus dem Dürener Weg 4, die Ehepaare Schulze und Rohde aus dem Dürener Weg 25 und 39, das Ehepaar Hartmann aus dem Stolberger Ring 39 sowie Carola Sabersky aus dem Dürener Weg 21. Die Saberskys wohnten neben Hantschke.

Fifi, die Pudeldame von Frau Michalke, mit der jetzt immer Herr Michalke unterwegs war, seit er vor einem halben Jahr in den Frühruhestand gegangen war, ließ sich gründlich von Bismut, dem Rüden undefinierbarer Herkunft der Hartmanns, beschnuppern. Die Hartmanns waren beide Chemiker, und ihr Hund Bismut hatte tatsächlich die leicht ins Rosa gehende weiße Färbung, die so typisch für dieses Element gleichen Namens war. Außerdem, so Herr Hartmann, zeichnete den Hund die gleiche schlechte Leitfähigkeit wie das Metall aus: Er zeigte sich generell eher desinteressiert an den Rufen seiner Besitzer, und waren sie ohne Leine unterwegs, konnte es oft Stunden dauern, bis er wiederauftauchte.

Horst, der Basset von den Saberskys, lag von allem unbeeindruckt im Schatten eines geparkten Autos. Carola Sabersky und ihr Mann Arne hatten vier Kinder, die alle extrem sportlich waren. Carola hetzte ständig hin und her, um sie zu diversen Trainingsorten zu fahren, nachdem sie sie von zwei verschiedenen Schulen eingesammelt hatte. Lea dachte wie immer, wenn sie Carola sah, an Berge von Wäsche, die dort täglich durch die Maschine laufen mussten. Alle Kinder spielten Hockey, dazu kam noch Tennis bei Nicole, der Mittleren, Fußball bei Marcel, dem Kleinen, und Baseball bei den Zwillingen Yannick und Noah, den Ältesten. Carola Sabersky hatte das Gemüt einer Holsteiner Stute und leider auch deren Statur, wie sie selbst sagte. Ohne diese beiden Eigenschaften würde sie vermutlich in der Klapse enden, betonte sie ebenfalls recht regelmäßig, bevor sie wieder mindestens fünf Einkaufstüten vom Auto ins Haus schleppte. Carola und Arne schliefen im ausgebauten Keller, damit die Kinder jeder ein Zimmer für sich im Obergeschoss hatten, die Zwillinge teilten sich das größte. Sie hatten eine zweite Garage angemietet, um ihre Sportgeräte und Kisten voller Kleidung, Bücher und Kinderspielzeug unterzubringen, die Carola seit Jahren sichten und ausrangieren wollte. Es konnte einem schwindlig werden, wenn man die sechs zusammen sah, aber die Sabersky-Kinder waren offen und freundlich und ausgesprochen hilfsbereit. Sie mähten Rasen bei einigen Nachbarn, wuschen deren Autos oder erledigten kleinere Besorgungen. Gut in der Schule waren die vier ebenfalls.

Frau Renner nahm Fahrt auf. »Wir sind gestern Abend mit ihm wie üblich um zehn Uhr die letzte Runde Gassi gegangen. Da laufen wir immer in Richtung Supermarkt und dann durch die Eschweiler zurück. Als wir wieder in unsere Straße eingebogen sind, sahen wir den Hantschke am Straßenrand, er sah aus, als wartete er auf jemanden, und hat uns auch nicht gegrüßt. Da war mit Kalli noch alles in Ordnung, aber als wir dann zu Hause waren, fing er an zu würgen und sich zu erbrechen, und er hatte Schaum vorm Mund, und Blut kam ihm aus den Augen. Es war ganz furchtbar mitanzusehen …« Wieder brach sie in Tränen aus.

An einer Vergiftung einzugehen war ein grausamer Tod für einen Hund, das wusste Lea. Um solche Köder auszulegen, musste man diese Tiere wirklich hassen und ein komplett mitleidsloser Mensch sein. Das war jetzt der fünfte Hund innerhalb von drei Monaten, der an Giftködern verendet war. Dagegen musste man wirklich etwas tun. »Frau Renner, haben Sie Anzeige erstattet?« Die Renners schauten Lea erstaunt an. »Geht denn das, Frau Storm? So ein Hund interessiert doch bei der Polizei keinen.«

»Herr Renner, hier greift das Tierschutzgesetz.« Lea zitierte: »Paragraph 17: Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer erstens ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund tötet oder zweitens einem Wirbeltier aus Rohheit erhebliche Schmerzen oder Leiden oder länger anhaltende oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zufügt. Das heißt, auch wenn ein Hund den Anschlag überlebt, sollte man Anzeige erstatten, damit solche Hundehasser auch bestraft werden können. Die Polizei nimmt solche Fälle recht ernst, denn schließlich kann so ein Giftköder auch in die Hände von kleinen Kindern gelangen, oder es kommen Tiere um, die unter Artenschutz stehen.«

Carola Sabersky warf ein: »Da gab es doch so eine Serie im April, dreißig vergiftete Hunde in der Innenstadt, und einer ist gestorben. Stand in der Zeitung.«

Dass die Frau bei ihrem täglichen Programm noch zum Zeitunglesen kam, war in Leas Augen eine logistische Meisterleistung. »Ja, ich habe davon gehört, denke aber nicht, dass es sich hier bei uns um denselben Irren handelt. Ich kann Ihnen nur raten, Ihre Hunde bis auf weiteres an die Leine zu nehmen oder ihnen einen Maulkorb anzulegen. So können die Tiere nichts fressen, was irgendwo herumliegt. Bleiben Sie alle aufmerksam, und gehen Sie beim ersten Anzeichen von Übelkeit oder anderen Symptomen direkt zum Tierarzt! Rattengift wirkt erst nach drei Tagen, es ist also wirklich besser, die Hunde gar nicht erst etwas fressen zu lassen, was nicht von Ihnen kommt.«

Michalke nickte anerkennend. »Mönsch, Sie sind aber juht informiat!«

»Herr Michalke, schauen Sie sich meinen Hund an! Was meinen Sie, was ich mir schon alles anhören musste? Dass er an die Leine gehöre und es asozial sei, überhaupt so einen großen Hund zu haben, und andere, weniger nette Kommentare. Früher habe ich noch versucht, die Leute davon zu überzeugen, dass er aufs Wort pariert. Manche haben aber auch einfach Angst vor Hunden, und andere sind – oft zu Recht – von rücksichtslosen Hundebesitzern genervt. Da kann man dann argumentieren bis zum Umfallen.«

Die Runde nickte zustimmend. Von Horst waren leise Schnarchgeräusche zu vernehmen.

Lea fügte hinzu: »Vielleicht sagen Sie auch den anderen Hundebesitzern Bescheid, dass sie unbedingt aufpassen sollen. Ich muss weiter, ich krieg nachher Besuch. Einen schönen Tag noch!«

Die Nachbarn verabschiedeten sich von Lea. Carola Sabersky riss Horst aus dem Schlaf und zog ihn hinter sich her. »Lea, warte mal kurz!« Sie holte Lea ein und lief neben ihr her. »Sag mal, war die Polizei auch bei dir? Die standen heute Vormittag vor meiner Tür und haben mich lauter Sachen über den Hantschke gefragt. Ob der Damenbesuch hatte und so was. Ich kann das gar nicht glauben, dass der tot sein soll.«

Lea nickte. »Glaub es, der ist tot! Hatte er denn Damenbesuch?«

»Nee, nie. Bis auf gestern Abend. Ich bin sicher, dass da ’ne Frau bei ihm war. Arne und ich haben uns fast totgelacht, als wir ihn nebenan hörten. War aber auch schnell vorbei.« Sie schlug sich die Hand vor den Mund.

»Mensch, das ist so pietätlos von mir. War jedenfalls irgendwie komisch, aber wir haben ferngesehen und dann nichts mehr gehört.«

»Weißt du noch, wann das war?« Leas Neugier war geweckt. So einen Leichenfund machte man schließlich nicht alle Tage, da durfte man sich ja wohl ein bisschen für die Ermittlungen interessieren.

»Gegen Mitternacht. Da lief erst The Closer und danach Crossing Jordan. Dabei haben wir ihn kurz gehört, dann war Ruhe. Ich hab noch meinen heißen Kakao getrunken und bin ziemlich schnell eingeschlafen.«

Das hieß also, dass Hantschke um Mitternacht noch gelebt hatte und zwischen Mitternacht und drei Uhr morgens umgebracht worden sein musste. Sie hatte ihn um halb vier gefunden. Aber zwei Morde begehen, Leichen herumschleifen und dann die Szene so arrangieren – das war nicht in einer Viertelstunde erledigt, nahm Lea zumindest an. Es war niemand in der Nähe gewesen, als sie und Talisker bei den Toten aufgetaucht waren, daran hatte sie keinen Zweifel. »Hat der Hantschke mal irgendwas von viel Geld erzählt, das er bald hätte?«

»Und ob! Seit einer Woche, immer wenn ich ihm vorm Haus begegnet bin. Ich hab den ja quatschen lassen und nie so richtig zugehört. Er redete von einer Stange Geld und davon, dass er bald ›aus diesem Getto‹ rauskäme und wir gut dran täten, uns auch vom Acker zu machen.«

Sie waren auf Höhe von Carolas Zeile angekommen.

»Ich hoffe, ihr kriegt jetzt nettere Nachbarn, Carola. Muss weiter, Svenja kommt gleich noch rum.«

»Wenn sie das Haus überhaupt verkauft kriegen, vielleicht ist er ja sogar da drin umgebracht worden. Grüß Svenja von mir! Vielleicht können wir bald alle mal wieder tuppern, frag sie doch mal!«

Nicht so dringend, dachte Lea und winkte ihrer Nachbarin hinterher, als diese die Straße überquerte.

Leas Handy meldete sich mit Stand and Deliver von Adam and the Ants, als sie vor ihrer Haustür stand. Sie erkannte keine Nummer und war prompt genervt, denn auf Superneuigkeiten von ihrem Provider, exklusiv für sie, hatte sie rein gar keine Lust. Lea nahm das Gespräch entsprechend kurz angebunden an. »Storm.«

»Martin Glander. Hallo! Frau Storm, hätten Sie heute Abend Zeit für mich? Ich habe noch ein paar Fragen.«

»Herr Glander, hallo. Entschuldigen Sie, ich dachte, Sie sind so ein Typ vom Callcenter, der mir auf die Nerven gehen will. Aber haben nicht Ihre Kollegen hier in Berlin den Fall übernommen?«

Scheiße, aufgeflogen!, dachte Glander, entgegnete jedoch mit fester Stimme: »Schon, aber die wollen ja trotzdem einen Bericht von mir. Und um den ordentlich abzuschließen, fehlen mir noch ein paar Details. Je eher ich die kläre, desto schneller habe ich den Papierkram vom Hals.« Glander verdrehte die Augen, das hatte sicherlich nicht sehr überzeugend geklungen. So dämlich hatte er sich wirklich noch nie angestellt.

Lea am anderen Ende der Leitung stand vor dem Spiegel in ihrem Flur und zog ebenfalls ein Gesicht. Der Balvenie würde wohl noch länger warten müssen.

»Klar, kann ich verstehen. Wann wollten Sie denn vorbeikommen?«

»Wäre Ihnen halb acht recht?«

»Ja, das ist okay. Essen Sie Steak?«

»Sie müssen sich keine Mühe machen, Frau Storm …«

»Herr Glander, ich esse heute Abend Steak und Salat, und zwar so gegen halb acht. Wenn Sie also um diese Zeit vorbeikommen, essen Sie ruhig mit, ich koche ohnehin immer noch zu viel, seitdem …« Lea ließ den Satz in der Luft hängen.

»Dann esse ich gerne mit Ihnen, Frau Storm. Bis um halb acht dann! Wiederhören.«

Das war erheblich besser ausgegangen, als er erwartet hatte. Glander schaute die beiden Malt-Flaschen vor sich auf dem Tisch an und grübelte über ein paar Fragen, die er Lea Storm stellen konnte, um seinen Besuch zu rechtfertigen.

Kurz nach fünf klingelte Svenja Ritter bei Lea. Die Disteln vor dem Küchenfenster leuchteten in einem kräftigen Blaulila. Lea hatte es wirklich schön hier am Ende der Straße mit dem Doppelhaus, dem großen Wintergarten, der sich an der Außenseite um das Haus zog, und der edlen Backsteinfassade. Ein wenig neidvoll schaute Leas Nachbarin auf das Pflaster vor dem Haus und hoffte, sie würden sich auf die Terrasse setzen. Dann würde Leas Standpauke wenigstens nicht so laut ausfallen, denn Svenja war sich sicher, dass sie dieses Mal eine zu hören bekommen würde. Aber mit irgendjemandem musste sie dringend reden, und Lea war eben in der Nähe. Sie sah die Silhouette ihrer Freundin auf die Haustür zukommen.

»Hi Svenja, komm rein!« Lea trug ein schlichtes schwarzes Etuikleid aus Leinen mit U-Boot-Ausschnitt, der einzige Schmuck war ihr silberner Ehering am linken Ringfinger.

Svenja musste einmal mehr Leas Stil anerkennen, er passte zu ihr. Sie selbst hatte dauernd etwas an sich auszusetzen. »Lea, du siehst toll aus! Hast du noch was vor heute?«

Lea schüttelte den Kopf. Es war so typisch für Svenja, dass sie das heutige Datum nicht im Kopf hatte. Der war immer randvoll mit ihren eigenen Problemen. Sei nicht so blöd!, schalt Lea sich dann, sie hat es ja auch nicht leicht. Der gehässigere Teil ihres Innenlebens warf jedoch ein, dass Svenja erwachsen war und ihre unglückliche Ehe jederzeit beenden konnte, sich aber wohl in ihrer Leidensrolle auch ganz gut gefiel. Lea ignorierte ihn. »Ja, ich bin für den Abend verabredet mit meinem Balvenie.«

Svenja schlug sich die Hand vor die Stirn. »Mensch, Lea, es tut mir leid! Heute ist der erste Todestag von Mark, und ich dumme Kuh hab das total verpeilt. Du, ich komm einfach morgen rum, okay?«

»Nee, lass mal, komm ruhig rein! Aber deine Gummibärchen musst du alleine essen, ich mach nachher noch Abendbrot.«

Svenja hatte immer Gummibärchen dabei, wenn sie über ein Problem sprechen wollte. Kein Fett.

Lea grinste ihre Freundin an, die an der Tüte herumnestelte. »Was hat dein Ritter denn jetzt wieder verbockt? Drinnen oder draußen?«

»Sind die Runen nebenan?«

Die Runen, Gudrun und Sigrun Lehmann, manchmal auch die Lehmann-Sisters genannt, da die eine Bankerin und die andere Maklerin war, konnten als angenehme Nachbarinnen bezeichnet werden, wenn man sich nicht an ihrer Nachlässigkeit störte. Sie arbeiteten beide viel und gerne und besaßen zwei Pferde, die in einem Brandenburger Stall untergebracht waren. Da sie die Tiere jeden Abend noch versorgten, waren sie selten vor zehn Uhr daheim. Dieses Hobby ließ ihnen offensichtlich wenig bis gar keine Zeit, sich um Haus und Garten zu kümmern. In der hinteren Gartenhälfte gab es eine alte Badewanne, die kaputte Töpfe und andere beschädigte Keramik beherbergte. Sie war umringt von verrottenden Holzbodenplanken, Kunststoffdeckenpaneelen und Stühlen, denen mindestens ein Bein oder die Rückenlehne fehlten. Der Blick aus den oberen Fenstern von Leas Haus auf diese Installation bot genug Kunstgenuss, und so hatte Lea bei der Neugestaltung ihres Garten eine dichte Hecke von Glanzmispeln gepflanzt, die jetzt stolze drei Meter Höhe maß und im Sommer von weißen Blüten durchzogen war.

»Nein, die sind sicher noch bei ihren Pferden, wir können ruhig auf die Terrasse.«

»Schön, das Wetter ist so toll.«

Auf der Terrasse stand eine Karaffe mit eisgekühltem Wasser, und obwohl Svenja lieber einen Sekt getrunken hätte, schenkte sie sich ein Glas ein. Früher hatte es bei Mark und Lea immer reichlich Wein und Crémant gegeben, aber Lea hatte für die Trauerfeier alle Flaschen aus dem Keller geholt, und die übriggebliebenen hatte sie den Gästen bei der Verabschiedung in die Hand gedrückt. Einige Freunde waren mit wirklich teuren Weinen heimgegangen, und Lea hatte seitdem keine neuen mehr gekauft. Bei ihr gab es nur noch Whisky, und den fand Svenja ganz scheußlich. Whisky war ja auch ein Männergetränk, aber was sollte man machen, das war eben Leas Macke.

Lea legte ihre gebräunten Beine auf den Hocker vor ihrem Stuhl und sah Svenja fragend an. »Also, was ist los?«

Svenja blickte auf ihre makellos gepflegten Hände, öffnete die Gummibärchentüte und nahm sich eine Handvoll heraus.

Es fällt ihr nicht leicht, dachte Lea, da muss der Vollpfosten sich ja unfassbar danebenbenommen haben.

Leise sagte Svenja: »René liest seit einem halben Jahr meine E-Mails.«

Lea nahm die Beine vom Hocker und setzte sich gerade hin.

Svenja sah ihre Freundin an und wandte dann den Blick ab.

Lea entgegnete leise: »Er macht was?«

»Er liest meine Mails. Scheiße! Seit einem halben Jahr. Gestern hat er sich verquatscht und was erwähnt, was er nur aus ’ner Mail wissen konnte. Und weißt du, was er gesagt hat, als ich ihn zur Rede gestellt habe?«

Svenjas Imitation ihres Mannes war normalerweise immer ein Anlass zu großer Heiterkeit, aber dieses Mal war Lea nicht zum Lachen zumute.

»Wenn du zu bescheuert bist, deinen Account zu sichern, lädst du mich ja förmlich dazu ein, deine Mails zu lesen. Dein Account ist jeden Abend geöffnet, dass ich dann auch mal reingucke, ist doch wohl klar.«

»Das hat er nicht gesagt!« Lea war sprachlos. Das schlug alles, was René sich bisher geleistet hatte. Sie war ehrlich empört.

»Doch, hat er. Dann hat er blöd gegrinst und wollte mich in den Arm nehmen und … na, du weißt schon. Eh, der spinnt doch wohl!«

»Svenja, mit ›spinnen‹ kann man das nicht abtun. Du weißt, ich hab mich mit Kommentaren über René immer zurückgehalten, aber damit geht er jetzt wirklich zu weit. Das kannst du ihm nicht durchgehen lassen! Das ist ekelhaft.« Sie zögerte und fragte ihre Freundin dann vorsichtig: »Hat er irgendwas gelesen, das er besser nicht hätte lesen sollen?«

Svenja hatte sich auf dem letzten Firmensommerfest ein bisschen betrunken und einen Flirt mit einem zehn Jahre jüngeren Kollegen aus der IT-Abteilung angefangen. Bis jetzt war nichts passiert, aber wie lange das noch so bleiben würde, wusste nur der Äther.

Svenja war sofort klar, was Lea meinte. »Nee, das läuft nur im Büro, ich bin ja nicht blöd! René ist doch so schon eifersüchtig genug, wenn der davon wüsste, würde er durchdrehen.«

»Svenja, du musst da echt was tun! Das ist so widerwärtig – wie der Typ in der vollen U-Bahn, der das Gedränge ausnutzt, um dich zu betatschen, und du kannst dich nicht wehren. Das geht gar nicht!«

»Ich weiß ja, aber was soll ich denn machen?«

Da war sie wieder, die ewig gleiche Frage nach jeder von Renés Missetaten. Lea fiel eine ganze Reihe möglicher Reaktionen ein, angefangen vom Kauf eines eigenen Laptops, der passwortgesichert war, endend mit einer ausgedehnten Psychotherapie für diesen selbstgefälligen Schwachmaten. Aber sie hatte keine Lust, dieses Thema weiter zu besprechen. Sie würde gute Ratschläge geben und sich Svenjas Gejammer noch eine weitere halbe Stunde anhören, während die Freundin die Gummibärchen aufaß. Dann würde Svenja gehen und rein gar nichts tun. Lea verstand sie nicht, und heute war sie es leid, so zu tun, als ob. Sie sah ihre Freundin an und sagte dann ruhig: »Svenja, es tut mir leid, aber ich kann das jetzt nicht länger mit dir bereden. Nicht heute. Wenn du meinen Rat willst: Verlass ihn! Der Typ ist einfach nicht gut für dich. Und nicht gut für irgendeine andere Frau. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«

Svenja schaute sie überrascht an und entgegnete dann mit einem recht beleidigten Unterton: »Du weißt, dass ich das nicht kann. Was soll ich denn machen? Wo soll ich hin? Wovon soll ich leben?«

Lea wurde ärgerlich. »Nee, Svenja, ich will das jetzt nicht länger diskutieren. Du kannst mehr arbeiten gehen und dein eigenes Geld verdienen, du musst dir so einen Dreck nicht bieten lassen. So einfach ist das. Und jetzt muss ich mich ums Abendessen kümmern.« Damit stand Lea auf und ging ins Haus.

Talisker lag in seiner Deckenecke. Er hob den Kopf und schaute ihr nach.

Svenja folgte ihr in die Küche und verabschiedete sich dann, konnte aber ihre Neugier nicht zügeln. »Es tut mir Leid, Lea, das war heute kein guter Tag, um dich mit so was vollzuquatschen. Was machst du denn heute noch?«

Bevor Lea ihr eine Antwort geben konnte, hatte Svenja die Uhrzeit auf der Küchenuhr gesehen und einen kleinen Schrei ausgestoßen. »Huch, schon so spät! Ich muss die blöden Happen noch machen und mich umziehen. Ich geh dann mal besser. Tschüs, Lea!« Die rupfte die Stiele des Rucola ab, den sie vorher gewaschen hatte, und drehte die Lautstärke ihrer Anlage höher.

Wo der Hund begraben liegt

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