Читать книгу Ein Sommer in Berlin - Beate Vera - Страница 11

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Caterina Thomas.«

»Trinchen, hier ist deine Mutter.«

Ich hatte irgendetwas tun müssen, das mir nach den vergangenen Monaten wenigstens ein Stück weit das Gefühl der Ohnmacht nahm, und im März meinen Mädchennamen wieder angenommen. Frau Krause, eine sehr freundliche und verständnisvolle Mitarbeiterin des Bürgeramtes, hatte dies möglich gemacht. Ich hatte ihr erklärt, was geschehen war, und sie befand kurzerhand, der Nachname Hecht sei einzuordnen in die Kategorie lächerlicher Nachnamen, böte überdies Anlässe zu frivolen Wortspielen, und gab meinem Antrag auf Namensänderung statt. Beim Osteressen informierte ich meine Familie über den neuen alten Namen und über meinen Entschluss, auch den ungeliebten, von Hanno kreierten Spitznamen abzulegen, und bat alle, mich wieder Catia zu nennen. Ich hatte die Bitte an meine Mutter, mich nicht mehr Trinchen zu nennen, in den vergangenen Wochen gebetsmühlenartig wiederholt.

»Mama, wärst du so gut und nennst mich nicht mehr Trinchen? Diese Zeiten sind vorbei. Du hast doch früher auch immer Catia gesagt.«

Es folgte die Art beredtes Schweigen, wie sie nur meine Mutter hinbekam. Dann holte sie tief Luft, als müsse sie sich gegen weiteren Wahnsinn wappnen. »Wie du meinst, Trin … ich meine, Catia. Ich denke nur nicht, dass das in deiner Situation irgendeinen Unterschied macht.«

In »meiner Situation«! Was sie nicht aussprach, war der stille Vorwurf, an »meiner Situation« sei eindeutig ich selber schuld. Ich hatte den großartigsten aller Schwiegersöhne vergrault. So liederlich, wie ich mich kleidete, konnte das ja auch nicht wundernehmen. Und mein Haushalt ließ ebenfalls genug zu wünschen übrig. Richtige Ordnung, wie sie ein derart erfolgreicher Mann wie Hanno wohl verlangen konnte, herrschte dort nämlich nie.

Warum steht sie nie auf meiner Seite?, fragte die Fünfzehnjährige in mir. Die Fünfundzwanzigjährige neben ihr fügte hinzu: Und warum ist sie zugleich so abgebrüht im Stricken boshafter Zusammenhänge?

Meine Mutter, die seit meiner Geburt strengste Diät hielt, war der Typ Hausfrau aus den sechziger Jahren, bei der sich nie etwas nicht an seinem Platz befand. Sie putzte das gesamte Haus zweimal in der Woche und duldete keinen Staub und keine Fusseln oder Krümel auf den ihr untergebenen Flächen. Eigentlich war sie dauernd mit einem Lappen oder dem kleinen Handstaubsauger unterwegs. Mein Vater verbrachte, seitdem er in Rente war, seine Tage vermutlich auch deswegen lieber bei seinem Freund und Nachbarn, dem seit drei Jahren verwitweten Heiner Meyerbeck, unserem freundlichen Vermieter. Jedenfalls war das meine Interpretation der Lage daheim im Eggepfad, der im schönen, grünen Zehlendorf in Laufweite zu den Badeseen Krumme Lanke und Schlachtensee lag.

Meine Vornamen verdankte ich übrigens Papas Lieblingssängerin, niemand Geringerem als der Valente. Da meine Mutter seinen Musikgeschmack und seine Vorliebe für Urlaube in Italien teilte, hatte sie ausnahmsweise einmal nichts an seinem Vorschlag auszusetzen, und so wurde ich Caterina Germaine Maria Valentina Thomas getauft. Es gab schlimmere Namen, auch wenn ich auf Behörden und bei der Bank nie ums Buchstabieren und, im Falle älterer Sachbearbeiter, atonale Interpretationen von Ganz Paris träumt von der Liebe herumkam.

»Mama, ich möchte es so! Ist euch allen eigentlich nie aufgefallen, dass Trine nach ausgeleierten Jogginghosen in Größe 46 klingt? Ich habe diesen Namen jedenfalls gründlich satt!« Wie die Jogginghosen, setzte ich in Gedanken dazu.

Meine Mutter wäre nicht meine Mutter, wenn sie nicht noch einen draufgesetzt hätte. »Ach, Trin …, ich meine, Catia, da hilft doch kein neuer Name. Was dir fehlt, ist Disziplin! Das habe ich dir doch schon so oft gesagt. Disziplin ist das A und O, wenn man einen Mann halten will. Wenn man aufhört, diszipliniert auf sich achtzugeben, ist es nur eine Frage der Zeit …«

Ich ließ Telefon und Schultern resigniert hängen und ging ins Wohnzimmer. Dort trat ich ans Fenster und schaute hinaus auf die Potsdamer Straße. Gegenüber lag ein hässlicher Betonblock und verschandelte seit Jahrzehnten die Ecke zwischen Rathaus und Dorfkirche. Die Büsche auf dem Mittelstreifen blühten, was das Zeug hielt, die Sonne strahlte vom Himmel, und kaum ein Passant trug jetzt, Anfang Juni, noch eine Jacke. Ich schaute mich in unserem gemütlichen Wohnzimmer um.

Der Großteil von Hannos Überbrückungsgeld war für die Renovierung der Wohnung und den Umzug draufgegangen. Unter der hässlichen Auslegeware, die außer in Küche und Bad überall in der Wohnung verlegt gewesen war, waren alte Dielen zum Vorschein gekommen. Astrid hatte zwei Helfer organisiert, die das Abschleifen und Versiegeln der schönen Holzböden übernommen hatten. Das hätte ich beim besten Willen nicht alleine geschafft. In der Küche lag ein Linoleumboden, den ich nur gründlich hatte abkärchern müssen, seitdem sah er wieder ganz passabel aus, und man erkannte den Farbton wieder als freundliches Grau. Die alte Einbauküche würde ich im Sommer angehen, bis dahin war sie sauber und funktional, das würde reichen. Im Malern machte mir keiner so schnell etwas vor, und der hilfreiche Besitzer vom Farb- und Malerbedarfsladen gleich um die Ecke in der Clayallee überließ mir Tiegel aus einem Restposten zu einem sehr günstigen Preis.

Dem Bad war ich ebenfalls mit dem Kärcher zu Leibe gerückt. Nachdem die Wand- und Bodenfliesen wieder ihre ursprüngliche sandbraune Farbe angenommen hatten, hatte ich die nicht gefliesten Wandflächen und die Zimmerdecke hellblau gestrichen. Ich hatte die alte Badeinrichtung hinausgeschmissen und einen Spiegelschrank, einen hohen Schrank sowie einen passenden Waschbeckenunterschrank montiert – alles aus weißlasiertem Holz. Unzählige Italienurlaube mit meinen Eltern, spätere Frankreichaufenthalte und meine große Liebe zur französischen Sprache und der Kultur des Nachbarlandes hatten ihre Spuren hinterlassen. Ich mochte alte mediterrane Häuser und hatte schon immer davon geträumt, einmal in solch einem Stil zu wohnen. Hanno bevorzugte klare Linien, so dass das bislang nicht in Frage gekommen war. Geschwungene gusseiserne Handtuchhalter vom Trödelmarkt rundeten das Bild im Badezimmer ab.

Franziska äußerte bei einem ihrer drei Besuche, die seit unserem Umzug stattgefunden hatten, dass sie die Einrichtung »ganz nett verspielt« fände. Ich war über diese Reaktion ein bisschen enttäuscht. Meine Mutter hatte die Nase gerümpft, als sie die Wohnung sah. Diese war nicht mondän wie das Haus in Kleinmachnow und aufgrund ihrer Lage an einer lauten Straße in Zehlendorf-Mitte natürlich sowieso unpassend. Wir hatten ja nicht einmal einen Garten, lediglich einen Balkon, wenn auch wenigstens zum ruhigen Hinterhof hin.

Mir gefiel unser neues Zuhause genau so, wie es war, denn es war ganz nach meinem Geschmack eingerichtet. Es war das erste Zuhause, dessen Einrichtung ich alleine bestimmt hatte. Damals, nachdem ich bei meinen Eltern ausgezogen war, war ich zu Quinn gezogen. Warum kam der mir denn schon wieder in den Sinn? Beinahe hätte ich vergessen, dass meine Mutter noch am Telefon war.

»Mama, wolltest du etwas Bestimmtes?«, unterbrach ich ihren immer noch anhaltenden Redefluss.

»Ja, ich wollte dich an unser Hochzeitstagsessen am Wochenende erinnern. Hanno und Dana können leider nicht, sie verreisen, auf die Malediven. Ein Geschenk von Danas Eltern. Stell dir mal vor!«

Das konnte ich nicht, denn ich war fassungslos. Ich hatte schon lange aufgegeben, von meiner Mutter echte Unterstützung zu erwarten, mit einem solchen Hinterhalt hatte ich jedoch nicht gerechnet. Vielleicht hatte ich mich ja verhört. »Du hast nicht wirklich Hanno eingeladen, oder?«, fragte ich deshalb nach.

Meine Mutter verstand diese Frage offenbar nicht. »Natürlich habe ich das!«, erwiderte sie mit der Inbrunst einer Selbstgerechten. »Er ist immerhin der Vater deiner Kinder, und es ist ein wichtiger Tag für uns. An Feiertagen sollte die ganze Familie zusammen sein. Das hast du doch selber immer gesagt, als ihr noch dieses wunderschöne Haus in Kleinmachnow hattet.«

In diesem Moment fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Es würde sich nie etwas ändern, wenn ich mich nicht änderte. Mich aufzuregen wäre nur Wasser auf ihre Mühlen, ich brauchte eine andere Taktik. Die würde ich mir später überlegen. Erst einmal legte ich wortlos auf.

Das Telefon klingelte noch fünfmal, und jedes Mal ließ ich den Anrufbeantworter anspringen, dessen Lautstärkeregler ich auf stumm gestellt hatte.

Helene sah mich fragend an, als ich zurück in die Küche kam. »War das Oma?«

»Ja, das war deine Oma, meine Mutter, auch wenn das häufig schwer zu glauben ist …«

»Macht sie zum Hochzeitstag etwa wieder Lammbraten?«

Helene war seit unserem Umzug Vegetarierin. In dieser Haltung unterstützte ich sie, auch deshalb, weil unser Geld zu knapp war, um jeden Tag Fleisch auf den Tisch zu bringen, das nicht durch Hormone oder Antibiotika verseucht war. Also gab es bei uns eine Vielzahl von Eintöpfen, Gemüseaufläufen, Quiches und Pastagerichten, meist begleitet von grünen oder Rohkostsalaten. Spiegeleier – Eier waren immer im Haus – mit Kartoffeln und gemischtem Gemüse waren ebenfalls ein Renner, und meine Kinder aßen alle gerne Fisch. Selbst Helene verzichtete nicht darauf. Als selbsterklärte Ernährungsexpertin wusste sie um die wichtigen Omega-3-Fettsäuren im Lachs. Meine Kinder waren keine mäkligen Esser. Sie aßen beileibe nicht alles, aber sie probierten alles erst einmal. Vincent, mein Zehnjähriger, mochte das Gelbe vom gekochten Ei nicht, wenn es zu trocken war, Helene aß wie erwähnt kein Fleisch mehr, und Daniel verabscheute Fett, so dass er jede einzelne Scheibe Aufschnitt oder Braten gekonnt sezierte, seit er ein Messer halten konnte. Ich setzte deshalb große Hoffnung in eine Chirurgenkarriere. Alle drei liebten meine Gemüselasagne, mochten aber zu meinem Leidwesen keinen Rosenkohl, den ich sehr gerne aß. Jedes zweite Wochenende hatte ich nun ausreichend Gelegenheit dazu.

Doch zurück zu Helenes Frage nach der großmütterlichen Menüplanung. »Vermutlich gibt es wieder Lammbraten. Den macht sie ja jedes Jahr. Dieses Jahr isst sie den aber alleine. Wir gehen nicht zu Oma und Opa.«

Paps würde uns wirklich vermissen, es tat mir ein wenig leid seinetwegen, aber meine Mutter musste endlich begreifen, dass sie ständig zu weit ging und ich nicht mehr gewillt war, hinter ihr herzutrotten.

»Wir gehen nicht zu Oma und Opa? Mama, wir gehen da doch jedes Jahr zum Hochzeitstag hin!«

»Ja, und jedes Jahr essen wir Lammbraten, den keiner von uns mag, und hören Oma zu, wie sie von den Nachbarn erzählt, die sie allesamt nicht leiden kann. Von mir erwartet sie, dass ich nach dem Essen die Küche aufräume, während ihr in euren gruseligsten Klamotten dasitzt, klaglos hinnehmt, dass Oma beim Mensch-ärgere-dich-nicht schummelt, und das Ende des Abends gar nicht abwarten könnt. Das brauch ich nicht! Du etwa?«

Helene starrte mich wieder mit offenem Mund an. »Aber dann ist Oma doch tierisch sauer auf uns.«

»Auf mich, Schatz, auf mich ist sie dann sauer. Aber weißt du, was? Das ist mir egal. Ich will an dem Wochenende mit euch was Schönes unternehmen.«

»Was ist denn mit Papa?«, fragte meine große Tochter vorsichtig.

»Papa ist verreist – laut Oma«, antwortete ich lapidar. »Hat er euch beim letzten Besuch nichts davon erzählt?« Ich konnte mir die Frage selber beantworten. Vermutlich bekäme ich in den nächsten Tagen eine E-Mail von seiner Sekretärin, Frau Rückert, in der sie mir mitteilte, dass Herr Hecht sie gebeten habe, mich zu bitten, seinen Kindern mitzuteilen, dass er über die Osterfeiertage verreisen würde. »Nein. Er hat nichts gesagt. Ist mir auch egal.«

Schon tat es mir leid, ihr das nicht schonender gesagt zu haben. Helene war dreizehn, das war kein leichtes Alter, und dann trennten sich auch noch die Eltern. Ich war überrascht über mich selbst, denn das Wort »trennen« hatte ich bislang nicht gewählt. Ich war schließlich »verlassen worden«. Speziell meine Mutter ließ daran keinen Zweifel aufkommen.

»Schatz, wir machen was Tolles am Wochenende, versprochen! Wir essen was richtig Leckeres, es wird Unmengen an Eiskrem geben, und ich werde nicht meckern, wenn ihr zu viel davon esst. Vielleicht können wir baden gehen oder mal wieder ins Kino …« Wie ich das finanzieren sollte, war mir zwar ein Rätsel, aber notfalls würde ich Paps anpumpen.

Helene zog einen Flunsch. »Is’ mir egal!« Und damit verdrückte sie sich in ihr Zimmer. Zwei Minuten später dröhnte Musik von Coldplay durch die Wohnung.

Ich ließ sie gewähren. Mir half Musik schließlich auch, wenn ich traurig war. Ich öffnete wieder das Fenster, die mediterran anmutende Geräuschkulisse, die vom Bürgersteig nach oben drang, war beruhigend. Ich schnitt die Möhrchen fertig und schälte danach die Kartoffeln. Heute war Spiegeleier-Tag.

GERDA THOMAS

Meine Tochter? Ich bitte Sie, meine Tochter war schon immer kapriziös – oder weniger höflich formuliert: neurotisch. Sie ist sehr intelligent, hat zwei Klassen übersprungen und ein exzellentes Abi gemacht. Sie hatte einen glatten Einserschnitt. Aber hat sie etwas daraus gemacht? Nein. Natürlich war sie damals zum Studieren noch etwas zu jung – aber musste es denn eine betriebliche Ausbildung sein? Natürlich lese ich auch gerne einmal ein Buch, aber muss man deswegen gleich hinter einem Tresen stehen und Bücher verkaufen? Da könnte man ja auch gleich Brötchen verkaufen. Oder Stoffe. Oder Gemischtwaren.

Als Catia dann auch noch eine Affäre mit ihrem Chef anfing, da … Nein, dazu fallen mir keine höflichen Formulierungen ein. Und, Grundgütiger, dann ist die Chose holterdiepolter wieder vorbei und das Kind kreuzunglücklich. Aber kommt sie zu uns? Nein, Gott bewahre, sie zieht lieber zu einer Freundin. Und keine drei Monate später präsentiert sie uns ihren Neuen, und die verloben sich auch gleich noch.

Immerhin taugte der was als Mann. Er war älter als sie, was ich damals nur begrüßen konnte. Dieser Mann hatte Pläne, er hatte Ziele, und das – machen wir uns doch nichts vor – sind Eigenschaften, die meiner Tochter stets gefehlt haben. Gegen diese neue Beziehung hatte ich nichts einzuwenden. Catia schien froh und glücklich, und ich war es auch. Hanno war ein anständiger Mann mit einem guten Auskommen, der ihr nicht jahrelang den Hof machte, sondern der wusste, was er wollte, und das auch zügig umsetzte. Mir als angehender Schwiegermutter imponierte das. Ja, ich mochte Hanno Hecht. Er war ja auch furchtbar charmant.

Ein Sommer in Berlin

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