Читать книгу Ein Sommer in Berlin - Beate Vera - Страница 9

Оглавление

Mit der neuen Wohnung hatten wir unglaublichen Dusel. Unser Vermieter, Herr Meyerbeck, hatte sich schon lange nicht mehr um seine Immobilie gekümmert. Heiner Meyerbeck war ein älterer Herr, der sich für das von seinen Schwiegereltern geerbte Haus nicht mehr interessierte, seit seine Frau Magda zwei Jahre zuvor verstorben war. Der Makler, der dort seine Geschäftsräume gehabt hatte, hatte vor kurzem gekündigt, weil er sich vergrößern wollte. Seitdem stand das Gebäude leer. Aufgrund der Lage hätte Herr Meyerbeck sehr viel Geld für das Haus bekommen können, doch es zu verkaufen interessierte ihn nicht. Herr Meyerbeck war ein sehr guter Freund meines Vaters und der Nachbar meiner Eltern. Er hatte einen äußerst eigenwilligen Bluthund namens Hugo, einen ehemaligen Zollhund, dem er zu einem verdient gemütlichen Ruhestand verholfen hatte. Er war selbst pensionierter Zollbeamter und fand, man müsse zusammenhalten. Paps hatte Herrn Meyerbeck um Hilfe gebeten, und der hatte nichts dagegen, dass wir die Wohnung im obersten Stock bezogen, wenn wir ein Auge auf die leerstehenden Ladenräume darunter hätten. Das Haus war denkmalgeschützt, die Wohnung war renovierungsbedürftig und lag an der vielbefahrenen Potsdamer Straße, deren Verlängerung über Zehlendorf und Nikolassee bis nach Wannsee führte – und die Miete, die Herr Meyerbeck für die Fünfzimmerwohnung haben wollte, war lachhaft.

Glück hatten wir auch mit den Nachbarn. Im Nebenhaus wohnte Familie Alvarez Garcia, die Kinder freundeten sich schon kurz nach unserem Einzug an. Astrid Alvarez hatte ihren Mädchennamen Marotzke abgelegt und den wohlklingenden Nachnamen ihres Mannes angenommen. Sie war Kinderärztin und arbeitete in Teilzeit in einer Praxis, die in unmittelbarer Nachbarschaft lag. Astrid war im Kiez bekannt wie ein bunter Hund, obwohl die Familie erst seit drei Jahren hier wohnte. Astrids Mann hatte aus beruflichen Gründen von Barcelona nach Berlin wechseln müssen.

Am Tag unseres Einzugs kam sie am frühen Abend mit einer Paellapfanne von enormer Größe, einer Flasche Rotwein, zwei Gläsern und ihren Kindern vorbei, um uns willkommen zu heißen. »Hallo! Wir wohnen nebenan, ich bin Astrid, das hier sind Marisol, Jake und Pilar, meine Kinder. Wir haben Sie einziehen sehen und dachten uns, Sie haben sicher nichts Vernünftiges im Kühlschrank an so einem Tag und noch viel zu tun. Da haben wir kurzerhand eine Paella gemacht. Ich hoffe, Sie mögen Paella!« Sie wandte sich an die Kinder. »Und wer seid ihr?«

Die drei stellten sich vor, und ich nahm dieser wunderbaren Frau die Pfanne ab. Das Reisgericht roch phantastisch. »Das ist furchtbar nett von Ihnen. Aber kommen Sie doch erst einmal herein! Helene, kannst du dich mit den Jungs ums Tischdecken kümmern, bitte?«

Die sechs Kinder trabten an den Esstisch im Wohnzimmer und verteilten Teller, Gläser und Besteck. Ich zog in der Küche den Korken. Hätte ich noch in Kleinmachnow unter Hannos Fittichen gestanden, hätte ich ihren Besuch übergriffig finden müssen. An jenem Abend war ich einfach nur froh über die freundliche Geste und die Ablenkung, denn nicht nur die Wohnung, sondern auch wir vier befanden uns in einem desolaten Zustand. Franziska hatte keine Zeit gehabt, uns unter die Arme zu greifen. »Beruflich zu viel zu tun, und am Abend die Doppelstunde Mental Balance«, hatte sie mir am Telefon erklärt.

Mit Astrid wehte ein frischer Wind in unser neues Leben. Sie hatte zahlreiche Bekannte, die sie, ohne zu zögern, abrief, um mir ein wenig Hilfe beim Renovieren zukommen zu lassen. Jake unterstützte mich beim Zusammenbauen einiger Möbelstücke, zur Verzückung von Helene, die auf einmal ein Interesse am Möbelbau entwickelte, das man ihr vorher nicht zugetraut hätte.

In den kurz darauf beginnenden Herbstferien schickte ich die Kinder für zwei Wochen ins Bauernhof-Ferienlager nach Brandenburg. Hanno weilte mit seiner Dana in der Finca von deren Eltern auf Mallorca. Ich nutzte die Zeit und renovierte unser neues Heim in einem wahnwitzigen Tempo. Das Ergebnis war zufriedenstellend. Nach fünfzehn Jahren Übung im Umsetzen der neuesten Deko-Trends verfügte ich über nicht zu missachtende Fähigkeiten auf dem Gebiet der Inneneinrichtung.

Die Kinder wechselten nach den Herbstferien die Schulen. Sie gewöhnten sich bemerkenswert rasch an ihr neues Umfeld und schlossen neue Freundschaften. Ich beneidete sie darum. Mir fehlte unser großer Garten mit meinen über Jahre gehegten Rosensträuchern und der großen Haselnuss hinten am Zaun ebenso wie das gelegentliche Plauschen über den Gartenzaun mit vorbeischlendernden Nachbarn.

Daniel machte mir Sorgen. Seit sein Vater uns alle entwurzelt hatte, schlief er nicht mehr alleine. Ich genoss es zwar, den Zwerg in meinen Armen zu haben, während wir in meinem Bett lagen und ich ihm eine Gutenachtgeschichte vorlas, doch es wurde Zeit, ihn wieder an sein eigenes Zimmer zu gewöhnen. Bald.

Franziska meldete sich weiterhin kaum bei mir. Dauerstress im Job, so lautete die Antwort auf meine SMS, und ich war doppelt froh über die neue Freundschaft, die sich mit Astrid anbahnte. Während ich renovierte, half Astrid, wo sie nur konnte: Sie versorgte mich mit einer warmen Mahlzeit am Tag, wusch Wäsche für mich, bis unsere eigene Maschine installiert war, und zeigte sich am Ende meiner Hauruck-Aktion voll ehrlicher Bewunderung für meine Leistung. Ich hatte sie sofort gemocht und empfand es als Glück, sie kennengelernt zu haben. Astrid versuchte stets, mich auf bessere Gedanken zu bringen. Ihr Mann Diego war viel im Ausland unterwegs, vorrangig in spanischsprachigen Ländern. Er war Ingenieur und verantwortete die Installation modernster Turbinentechnik für ein börsennotiertes Unternehmen mit Sitz in Berlin. Bislang kannte ich ihn nur aus den Erzählungen seiner Familie, die ihn liebevoll »El Cid« nannte, wobei Astrid regelmäßig ihre gelungene Charlton-Heston-Imitation zum Besten gab. Das Paar in dem Film El Cid mit der unglaublichen Sophia Loren habe sich ähnlich selten gesehen, erklärte sie. Astrids Kinder Pilar und Jake waren maßgeblich verantwortlich für alles, was Helene derzeit »übelst krass« oder »übelst scheiße« fand. Astrid und ich waren bei unserem zweiten Treffen bereits zum Du übergegangen, und sie versuchte unermüdlich, mir den Rücken zu stärken und mir Mut zu machen.

Ein Sommer in Berlin

Подняться наверх