Читать книгу Perry Rhodan Neo 235: Das Mausbibergrab - Ben Calvin Hary - Страница 5

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1.

Mentro Kosum

Ich bin kein Pilot. Ich bin das Raumschiff.

Meine Arme sind die Bordgeschütze, meine Beine die Triebwerke. Sensoren und Taster sind meine Augen und Ohren. Beschleunigt das Schiff, strecke ich mich. Mache ich mich klein, verlangsamt es. Wir sind eins, die Maschine und ich. Das Schiff bestimmt mich, und ich bestimme es.

Das galaktische Zentrum spielt mit mir. Ein elektromagnetisches Chaos tobt um mich. Orientierungslos trudele ich durch einen Ozean aus Photonen und Gravitonen. Stellares Gas füllt die Umgebung, die Überreste einer Sternenexplosion.

Kosmischer Staub prickelt auf meiner Hülle; ich will mich kratzen, doch meine Finger schaben nicht über den Raumschiffsleib, sondern über spröde, menschliche Haut. Materiereiche Regionen bin ich zwar gewohnt, aber nirgends stehen die Masseballungen so eng wie an diesem Ort. Nur Lichtwochen trennen Pulsare von Neutronensternen. Sonnen zerreißen unter der Gravitation benachbarter Himmelskörper. Ihr Tod badet meine Sensoren in dichte Schauer heißer, radioaktiver Strahlung. Schwarze Löcher umkreisen einander im ewigen Tanz unfassbarer Naturgewalten. Ihre Schwerkraftfelder zerren an mir, als wollten sie mich aus der Flugbahn reißen.

Die Impulse der Tasterechos und Orterinstrumente bombardieren mein Hirn, überlasten meine Sinne. Ich habe das Gefühl, mein Ringwulst müsse bersten. Ein Teil meines Bewusstseins spürt das harte Polster, auf dem mein Rücken ruht. Unter der SERT-Haube rinnt Schweiß, doch die eigentliche Wirklichkeit ist weit draußen. Mein wahrer Leib ist die CREST II.

Ich bin Mentro Kosum, der Emotionaut.

Nur langsam kompensiert die Haube die Überfülle an Informationen und filtert den Dateneingang auf ein erträgliches Maß. Vor meinem inneren Auge entsteht das Bild des umgebenden Alls. Plötzlich ist es voller Gegner.

Vier Lichtsekunden vor der CREST II schwebt ein Wall aus Schlachtschiffen. Es sind Xaphaken: klobige, schwer bewaffnete Einheiten, nicht die wendigen Einpersonenjäger, die ich von diesem Feind gewohnt bin. Die Shafakk kämpfen selten mit großen Kalibern.

Es ist der 29. April 2090. Wir nähern uns Jad-Kantraja, dem Machtzentrum der Omnitischen Gaden. Klanglose Worte kitzeln meine Hörnerven, dringen von überall und nirgends auf mich ein. SENECA, das Bordgehirn, spricht direkt mit meinem Verstand, ohne den Umweg über meine menschlichen Ohren. Ich bin blind geboren, doch das Raumschiff lässt mich sehen – besser, als meine Implantate es könnten. Wo echte Augen nur eine grellweiße Wand aus Licht erblickt hätten, erkennen die Orter jedes einzelne Gestirn. Ich peile einen nahen Pulsar an, verwende zwei Sterne der Spektralklasse III als Leuchtfeuer und trianguliere einen Kurs durch die feindliche Flotte.

»Das ist ein Blockaderiegel.« Mein geschultes Ich filtert die Umgebungsgeräusche der Zentrale aus meinem Bewusstsein, doch diese Worte lässt er durch. Sie stammen von Perry Rhodan. »Sie hätten uns vor dieser Flotte warnen müssen, Bingdu!«

»Ein solcher Aufmarsch ist alles andere als normal.« Der Omnit klingt nervös. Sein fast durchsichtiger Leib macht es unmöglich, seinem Gesicht eine Regung zu entnehmen. »Die Soldaten des Compariats sind zwar überall, wo sich die Macht der Gaden zeigt. Aber so etwas habe ich noch nie erlebt.«

Die Innensensoren der Zentrale zeigen mir, dass Rhodan, Thora Rhodan da Zoltral, der Oproner Merkosh und sein Artgenosse, der Omnit Horesh jad Aedor – auf eigenen Wunsch »Bingdu« genannt – vor dem großen Außenbeobachtungsholo standen. Die Gruppe hat sich neben dem Sitz mit der SERT-Haube postiert, so nah, dass ich nur den Arm strecken müsste, um sie zu berühren. Dennoch sehe ich sie und mich selbst nur über die Optiken. Es ist, als schwebte ich außerhalb meines eigenen Körpers.

Sie starren auf die dreidimensionale Darstellung dessen, was mir die Positronik längst mitgeteilt hat:

Zwischen der CREST II und dem Omnitischen Herzen – der gigantischen Raumstation, die das Ziel meines Anflugs ist – liegt eine Sphäre aus Raumfahrzeugen, die großteils aus Wabensegmenten zusammengesetzt sind. SENECA gibt ihre Zahl mit einhunderttausend an – viel zu wenige, um die weite Raumkugel, die sie offenbar abriegeln wollen, lückenlos zu umschließen. Doch die örtlichen astrophysikalischen Zustände machen diese Gegend des Alls für Raumschiffe zum großen Teil von Natur aus unpassierbar. Nur an wenigen Orten ist die Navigation im lokalen stellaren Chaos auch ohne Lotsen gefahrlos möglich, und genau dort lauern die taktisch geschickt gruppierten Streitkräfte der Shafakk. Dummerweise befinden auch wir uns an einer solchen Stelle.

Die Mehrzahl der Waffen der Xaphaken ist auf das Zentrum einer kleinen Raumkugel von zwölf Lichtsekunden Durchmesser gerichtet, wie mir die sensiblen Messinstrumente der CREST II offenbaren. SENECA haucht mir die Zahl der Gegner zu: Siebenundzwanzigtausend. Dieser Übermacht bin ich nicht gewachsen. Noch nehmen sie uns anscheinend nicht als Bedrohung wahr. Aber ich muss an ihnen vorbei! Tollkühn rase ich auf sie zu.

»Diese Formation dient nicht der Verteidigung.« Mit verschränkten Armen umrundet Thora das Holo. Sie spricht mit analytischer Kälte, doch meinen Ohren entgeht ihre Anspannung nicht. »Jemand – oder etwas – soll an der Flucht aus dem Omnitischen Herzen gehindert werden. Wir sind Zeuge einer Belagerung.«

Die Arkonidin behält recht. Denn mein Manöver bleibt nicht unbeantwortet. Als die CREST II sich der Blockade auf dreihunderttausend Kilometer nähert, eröffnen die Shafakk ohne Vorwarnung das Feuer.

Sonnenhelle Energiefinger fressen sich durchs All, strecken sich mir entgegen. Sie verfangen sich im Libraschirm, der mich wie ein Mantel umhüllt. Blitze sprühen über meine Kugelhülle, als die Energien in den Halbraum abgeleitet werden.

»Kosum! Ausweichmanöver!«, befiehlt Thora.

Ich winde mich, beuge mich, schlängele mich durch die Front der herannahenden Gegner. Konventionelle Sprengkörper zerplatzen vor meinem Bug, bilden einen Riegel aus Feuer, Strahlung und Tod. Doch sie sind zu weit weg, um mir gefährlich zu werden.

Die Energieerzeuger der CREST II arbeiten mit Maximalleistung. Ihr Knarzen und Krachen pflanzt sich durch meinen stählernen Rumpf bis zu mir fort, bringt meine Zahnfüllungen schmerzhaft zum Vibrieren. SENECA lässt vermittels der SERT-Haube Dutzende Warnmeldungen durch meinen Verstand geistern – ich ignoriere sie. Dies, erkenne ich, ist kein Angriff, sondern Sperrfeuer. Die Shafakk sprechen nur eine Warnung aus.

»Manöver sofort abbrechen!« Rufus Darnell, der Chefingenieur der CREST II, meldet sich aus dem Maschinenraum. »Die Aggregate halten dieser Belastung nicht stand. Die Schäden, die während der letzten Tage entstanden sind, sind noch nicht gänzlich behoben.«

Ich ärgere mich. Mir braucht er das nicht zu sagen! Schließlich war ich es, der beinahe mitten in einen Gammablitz reingeraten ist. Die Schmerzen der dabei sowohl auf mich als Schiff und mich als Person einwirkenden Urgewalten sind mir noch immer gegenwärtig. Dagegen ist dieses bisschen Feindbeschuss gar nichts!

Wie zur Bestätigung von Darnells Worten geht ein Rums durch den Schiffsleib. Die Schreie aufgebrachter Techniker tönen aus dem Interkom, untermalt vom Heulen eines Alarms und dem Zischen der Schaumdüsen, als die automatischen Brandlöscher anspringen. Im Hintergrund erteilt Cameron Canary einem Mitarbeiter Befehle.

Gleichzeitig pulsiert der Schutzschirm der CREST II unter dem Feuer der Shafakk. Dieses Zeichen ist unmissverständlich: Ein Kollaps steht bevor!

»Kosum! Rückzug!«, ertönt Thoras harte Stimme. »Ein gewaltsamer Durchbruch ist unmöglich.«

Ich tue, was die Kommandantin verlangt, ziehe die Beine an und bremse ab. Die CREST II verlangsamt und kommt zum Stillstand. Die gequälten Aggregate verstummen. In meinen Ohren rauscht das Blut.

»Diese Soldaten handeln ohne Autorisation, das versichere ich Ihnen.« Bingdu klingt nun gänzlich fassungslos. »Ich verlange, mit dem Shafakk-Koor dieses Verbands zu sprechen.«

Ich halte die Position. Das bedeutet, die Steuerung des Raumschiffs nimmt mich kaum mehr in Anspruch. Die Schwerkraftfelder naher Pulsare und Sterne zerren weiterhin an der Schiffsmasse. Da und dort gleiche ich die Drift mit Korrekturstößen der Manövriertriebwerke aus, doch das erfordert nur einen Bruchteil meiner Aufmerksamkeit. Ich atme durch und habe Gelegenheit, mich auf die Gespräche ringsum zu konzentrieren.

Auf Rhodans Bitte hin stellt die Funk- und Ortungsoffizierin Sarah Maas eine Sprechverbindung mit dem Leitschiff der Shafakkflotte her. Wieder übermittelt SENECA die empfangenen Daten in mein Gehirn. Um einsatzbereit zu bleiben, verzichte ich darauf, mich von der SERT-Haube zu befreien.

Ein Shafakk erscheint im zentralen Kommunikationshologramm – ich sehe ihn vor mir, als stünde ich mit ihm im selben Raum.

Bingdu holt Luft, um zu sprechen.

Sein Gegenüber kommt ihm zuvor. »Sie sind in dieser Raumregion unerwünscht.« Die Körperhaltung des Mausbiberähnlichen ist feindselig, das schwarze Fell gesträubt. »Dieser Anflugkorridor ist Sperrgebiet.« Bernsteinfarbene Äuglein stechen aus einem Gesicht, dessen gefletschtes Gebiss von zwei riesigen Eckzähnen dominiert wird. Die gewaltigen Reißer stecken in zwei golden funkelnden »Kasshs« – geschmiedete Hüllen, die mit feinen Mustern ziseliert sind. Der Anblick lässt mich schaudern.

Bingdu gibt sich unbeeindruckt. Er tritt vor. »Wissen Sie, mit wem Sie es zu tun haben?«

»Wissen Sie, mit wem Sie sprechen?« Der Shafakk bleckt die Kiefer, als sei er bereit, jederzeit zuzubeißen. Seine Kasshs blitzen im Licht verborgener Scheinwerfer. »Ich bin der lokale Shafakk-Koor, der Kommandant dieses Flottenabschnitts. Ziehen Sie sich zurück! Meine Untergebenen sind angewiesen, beim nächsten Mal genauer zu zielen. Dies ist die letzte Warnung.«

Das Holo fällt in sich zusammen. Der Shafakk-Koor beendet die Verbindung grußlos.

Bingdu bleibt stehen, als sei er gegen eine Mauer geprallt. Sein Zögern spricht eine klare Sprache. Der Konter des Shafakk-Kommandanten hat ihn aus der Fassung gebracht.

»Mir scheint, die Soldaten des Compariats wenden sich gegen ihre Herren.« Merkoshs kurzer Rüssel wiegt hin und her, als er den Kopf schüttelt. Auch auf seinem Gesicht ist sonst meist kein Gefühl zu erkennen. Die schwarzen Flecken indes, die unter der volltransparenten Haut wie Ascheflocken durch seine Blutbahn wirbeln, verraten seine Aufregung. »Was auch immer der Grund für ihren Aufstand ist – ich frage mich, warum sie die CREST II nur verscheuchen und nicht sofort angreifen.«

Der Oproner hat derzeit einen seiner wenigen wachen Momente. Seine mysteriöse Wandlung, die vor einigen Wochen im Solsystem ihren Anfang genommen hat, ist beinahe abgeschlossen. Inzwischen gleicht er im Aussehen dem Omniten fast vollständig: gläsern, nahezu unsichtbar, ein Geist auf zwei Beinen.

»Die Shafakk sind aggressiv, aber nicht dumm«, widerspricht Perry Rhodan. »Sie wissen, dass Zweifrontenkriege schwer zu gewinnen sind. Die CREST II ist ein ihnen unbekanntes Schiff und damit ein nicht einschätzbarer Faktor. Die Anwesenheit eines Omniten an Bord sagt noch nichts über unsere Zugehörigkeit aus. Einem unbekannten Gegner grundlos den Krieg zu erklären, könnte ungeahnte Folgen haben.«

Thora Rhodan da Zoltral nickt. »Nutzen wir den Vorteil, um uns in Ruhe ein geeignetes Vorgehen zu überlegen. Mister Kosum! Wir ziehen uns zurück.«

Ich gehorche. Vorsichtig strecke ich die »Beine« von mir, und die Triebwerke nehmen ihre Arbeit auf – diesmal mit weniger Leistung und geringeren Beschleunigungswerten. Aggregate und Libraschirm protestieren kaum. Langsam ziehe ich mich aus der Waffen- und Ortungsreichweite der Shafakkflotte zurück, tiefer in die Wolke aus stellarem Gas hinein.

Die CREST II bringt den Nebel zwischen sich und das Omnitische Herz. Die Gegner folgen uns nicht – doch unserem Ziel sind wir kein Stück näher gekommen.

Perry Rhodan Neo 235: Das Mausbibergrab

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