Читать книгу Perry Rhodan Neo 235: Das Mausbibergrab - Ben Calvin Hary - Страница 6
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Omar Hawk
»Tschi!«
Das Niesen zerriss die Kakofonie menschlicher Stimmen. Feuchtigkeit klatschte Omar Hawk ins Gesicht. Der Oxtorner schreckte aus einem unruhigen Schlummer hoch. Er schlug die Augen auf.
Ein achtbeiniges Ungetüm klebte kopfüber an der Decke, umgeben von stählernen Streben, Kabelbäumen und Datenleitern. Die beiden mittleren Beinpaare liefen in starken Saugnäpfen aus. Damit hielt es sich an einem Ring aus hellem Kunststoff fest, an dem Leuchtkörper befestigt waren. Sie verbreiteten kaltes Kunstlicht.
»Können Sie dieses Vieh nicht beruhigen?«, lallte jemand.
Im ersten Moment glaubte Hawk, ein Betrunkener hätte gesprochen. Doch etwas anderes klang aus diesen Worten ... Erschöpfung. Die Stimme setzte sich kaum gegen den Lärm durch.
Dieser Krach ... Hawk kam vollends zu sich.
Er lag auf dem Rücken, auf eine unbequem weiche Unterlage gebettet, die für seine Schultern zu schmal war. Die Stimmen und das Geschrei brachten seine Trommelfelle zum Klirren. Wo war er?
Hawks Versuch, sich aufzusetzen, scheiterte. Das sofort einsetzende Schwindelgefühl raubte ihm beinahe wieder das Bewusstsein. Flecken tanzten vor seinen Augen. Entkräftet sank er ins Polster zurück und blickte sich um. Es fiel ihm unfassbar schwer, auch nur den Kopf zu drehen.
Ringsum herrschte Aufruhr. Menschen in weißen Kitteln eilten diskutierend durch einen Raum mit steril wirkenden Wandverkleidungen. Die Analysegeräte und medizinischen Instrumente in ihren Händen gaben piepsende Geräusche von sich. Diagnoseeinheiten schwebten umher, projizierten Textkolonnen, verworrene Skalen und Bilder gebrochener Knochen.
Überall sah er Menschen auf Liegen. Von ihnen stammte das Wimmern. Ein Brandmal verunstaltete das Gesicht einer jungen Frau im Bett gegenüber. Daneben lag ein Mann, dem Reste eines Overalls als versengter Plastikfladen auf der Brust klebten. Eine weiß bekittelte Frau beugte sich über den Verletzten und presste ihm eine Hochdruckspritze gegen den Hals.
Hawk stöhnte. Seine Erinnerung kehrte zurück. Er befand sich an Bord des terranischen Expeditionsschiffs CREST II. Seine Heimat Oxtorne hatte er auf Weisung von NATHAN verlassen. Der Transfer war auf unkonventionelle Weise erfolgt: mittels der Miniaturversion eines Zeitbrunnens, der sich in einem versiegelten Teil des Raumschiffs befunden hatte. Die Passage durch das System der Zeitbrunnen hatte Hawk schwer zugesetzt. Zwar schützte ihn die oxtornische Physiologie teilweise vor der »temporalen Nekrose«, wie die Auswirkung dieser exotischen Transportart auf den menschlichen Körper genannt wurde. Völlig gefeit war er dagegen jedoch nicht.
Nun erwachte er in der Medostation aus einem Heilschlaf, in den die Mediziner ihn versetzt hatten. Seine Odyssee durch die Zeitbrunnen hatte doch noch Spätfolgen gehabt. Sogar Hawks schier unverwüstliche Konstitution hatte Schwierigkeiten damit, die Temporale Nekrose im Zaum zu halten. Warum also weckten sie ihn – seinem Gefühl zufolge war er doch gerade erst weggeschlummert? Brauchten sie Betten für die Verletzten? Was war während seines Schlafs geschehen?
Das Stimmengewirr schwächte sich allmählich in dem Maße zu einem aufgeregten Murmeln ab, wie die Mediker den Patienten nach und nach schmerzstillende Mittel verabreichten.
Nachdenklich musterte Hawk den versengten Overall des Manns, der sich mit schmerzverzerrtem Gesicht im Bett gegenüber wälzte. Die Rangabzeichen eines Technikers prangten auf dem Schulterteil. Die Frau daneben war ebenfalls eine Technikerin.
In einem der Maschinenareale muss Feuer ausgebrochen sein, schlussfolgerte Hawk. War die CREST II in ein Raumgefecht geraten? Geduldig ertrug er die Schwäche, die ihn ans Lager fesselte. Dennoch – es war Zeit, dass er auf die Beine kam!
»Tschi!« Der Okrill nieste ein zweites Mal. Wieder klatschte Hawk der Schnodder ins Gesicht.
Das weckte ihn endgültig. Er wischte sich den Schleim von der Wange. Hierfür den Arm zu heben, kostete schier übermenschliche Anstrengung. Nur der Ekel gab ihm die nötige Kraft. Das Zeug stank nach Essig und Verwesung.
»Ich spreche mit Ihnen!«, lallte es erneut. »Pfeifen Sie dieses Vieh zurück. Es macht mir Angst.«
Endlich gelang es Hawk, sich auf die Ellbogen zu stützen. Er wandte sich dem Sprecher zu.
Die Worte stammten von einem bleichen Kerl, dem Aussehen nach südamerikanischer Abstammung, der im Bett neben ihm ruhte. Misstrauisch starrte der Mann zu dem Okrill empor und zog sein dünnes Laken, mit dem er bedeckt war, bis zum Kinn, als wolle er sich darunter verstecken. Mit der anderen Hand umklammerte er die Lehne eines leeren Stuhls, der neben seinem Lager stand.
»Hiii, Watson!« Hawk krächzte mehr, als dass er sprach. Er wünschte sich einen Schluck Wasser.
Der Kopf des Tiers ruckte herum. Es fixierte Hawk aus starren Kugelaugen, als überlege es, ihn zu verspeisen. In dieser kalten, technischen Umgebung wirkte das Geschöpf urtümlicher und wilder, als es ohnehin war.
Schwach winkte Hawk dem Okrill zu. »Komm da runter! Zurück ins Quartier mit dir!« Ob die Ärzte ihn in die Medoabteilung gelassen hatten? Oder war Watson einfach hereinspaziert, um über Hawk zu wachen? Das schien wahrscheinlicher.
Bei seinem Aufbruch von Oxtorne war der Okrill Hawk mehr oder weniger zugelaufen. Oder vielmehr: Watson hatte Hawk als »Herrchen« erwählt. Hawk akzeptierte das. Wer sein Leben liebte, stellte sich einem Okrill nicht in den Weg. Dennoch gehörte Watson nicht hierher.
Das Tier reagierte nicht auf seinen Ruf. Stattdessen kletterte es gemächlich vom Lampenring, presste sich an die Decke und öffnete die Schnauze. Ein armdicker Wurm aus grellrosafarbenem Fleisch schnellte zwischen den Kiefern hervor. Klatschend landete sein Ende in einem freien Stromanschluss über Hawks Liege.
Watson »trank« die Energie. Blitze umtanzten die Zunge. Grellblaue Lichtreflexe mäanderten über die Wandverkleidungen. Ein bedrohlich lautes Knistern ertönte.
Die Frau mit der Brandwunde im Gesicht krächzte erschrocken. Ärzte und Helfer gingen auf Abstand, um nicht von den tanzenden Lichtbögen getroffen zu werden. »Zügeln Sie ihr Vieh, Hawk!«, rief jemand.
Mein Vieh – ha! Eher umgekehrt. Hawk behielt diesen Einwand aber für sich. Seine brechende Stimme hätte die Ironie zunichtegemacht. Der Okrill war nicht einschätzbar. Hawk rechnete jederzeit damit, bei ihm in Ungnade zu fallen.
Ein helles Kichern schallte durch die Medostation. In dieser Umgebung war es ebenso fremd und unpassend wie das Ungetüm an der Decke. Hawk blickte in Richtung des Gelächters.
Der Platz neben dem Bett des ängstlichen Latinos war plötzlich nicht mehr leer. Nun saß da ein kleines Pelzgeschöpf, kippelte mit dem Stuhl und balancierte auf einem breiten Biberschwanz, den es durch die Streben der Rückenlehne streckte. Hawk war sicher, dass dabei Telekinese im Spiel war. Das Fell des Wesens sträubte sich von der Statik, die Watsons »Mahlzeit« freisetzte.
»Hallo, Gucky«, grüßte Hawk. War der Ilt die ganze Zeit über da gewesen, und der Oxtorner hatte ihn in seiner Benommenheit bloß nicht bemerkt? Oder war der Mausbiber eben erst hierherteleportiert?
»Ich finde das nicht zum Lachen«, lallte der Bleiche. »Dieses Vieh wird uns am Ende töten. Ich habe die Verwüstungen in den Reaktorräumen gesehen. Einige der Verletzten sind seinetwegen hier.« Die letzten Worte verschliff er, sodass er kaum zu verstehen war. Er fixierte den Okrill, dann fielen ihm die Augen zu.
»Watson gehorcht nur, wenn er gehorchen will«, sagte Hawk entschuldigend. »Ich habe keinen Einfluss auf ihn.«
»Keine Sorge, Josue!« Ein einzelner Nagezahn ragte aus Guckys Oberkiefer. Lichtbögen spiegelten sich im Zahnschmelz. »Die Xenobiologin Danielle Pyme richtet im Arboretum gerade einen Okrillvergnügungspark ein. Bis es so weit ist, passen Omar und ich auf den Kleinen auf.« Er blinzelte erst dem Oxtorner, dann Watson zu, als sei der Okrill ein alter Freund.
Omar Hawk teilte Guckys Zuversicht nicht. Sein Vertrauen zu dem Geschöpf wuchs zwar, doch sie lernten sich nach wie vor erst kennen. Sogar Hawk kannte die vollen Fähigkeiten eines Okrills nicht. Schon als Kind hatten die Erwachsenen ihm beigebracht, diese Spezies zu meiden. Konnten die Umbauten im Arboretum, von denen der Ilt gesprochen hatte, Watson bändigen?
Der Latino reagierte nicht auf Guckys Zuspruch. Seine Augen blieben geschlossen, der Brustkorb hob und senkte sich sacht. Er war eingeschlafen.
»Was ist mit ihm?« Hawk musterte den Mann. Er schien nicht verwundet oder verletzt zu sein, gehörte also nicht zu den Opfern des Brands oder der Explosion – oder was auch immer in den Maschinensektionen geschehen war.
Gucky ließ den Nagezahn verschwinden. »Moncadas spürt Energiewellen aller Art. So nah an der galaktischen Kernzone gibt's davon natürlich reichlich. Die Strahlung macht ihm zu schaffen.«
»Warum ist er dann nicht auf Terra geblieben?« Die Bedingungen im Milchstraßenzentrum mussten den Terranern doch klar gewesen sein. Hawk verstand nicht, warum man ein Besatzungsmitglied absichtlich in Gefahr brachte.
»Es gibt Medikamente, die den Einfluss dämpfen.« Gucky stellte das Kippeln ein. »Normalerweise sollten die das lokale Energiechaos für Moncadas erträglich machen. Aber offenbar macht ihm etwas anderes zu schaffen. Wir wissen nicht, was.«
Das Knistern steigerte sich zu einem Höhepunkt, bevor es schlagartig verstummte. Watsons Zunge löste sich vom Stromanschluss und schnellte in sein offen stehendes Maul zurück. Ein Medotechniker, der gerade die Holoanzeige am Überwachungsmonitor eines der Krankenbetten ablas, stöhnte erleichtert auf.
»Hiii, Watson.« Abermals winkte Hawk den Okrill zu sich, erntete aber nur einen starren Blick aus leblosen Facettenaugen.
»Ist schon gut!« Der Chefarzt Drogan Steflov trat aus dem Bereitschaftsraum, der ihm als Büro diente, und machte einen respektvollen Bogen um den Okrill. »Um ihr Haustier kümmern Sie sich bitte später, Hawk. Schonen Sie Ihre Kräfte noch für ein paar Minuten. Es ist eigentlich ein Wunder, dass Sie überhaupt noch leben.«
Hawk sank aufs Lager zurück. »Sie übertreiben. Wann lassen Sie mich hier raus?« Inzwischen drängte es ihn danach, in die Zentrale zurückzukehren. NATHAN hatte ihn nicht ausgesandt, um die Mission im Bett zu verbringen. Auch wenn sein ursprüngliches Ziel Plophos gewesen war.
Der Mediziner eilte von Liege zu Liege, zeichnete die Behandlungsvorschläge der Positronik ab und legte einem jungen Techniker tröstend die Hand auf die Stirn. »Bald, Hawk. Ich musste Sie vorzeitig wecken. Wie Sie erkennen, gab es einen Zwischenfall. Ihr Zustand lässt mich rätseln, aber ich benötige jedes verfügbare Bett.«
Hawk nickte. »Das dachte ich mir schon. Was ist geschehen?«
»Die Shafakk.« Gucky fing wieder zu kippeln an. Diesmal wirkte es eher nervös als übermütig. Seine Schnurrhaare zitterten. »Diese Scheusale haben uns grundlos attackiert. Mentro Kosum hat die CREST II beinahe überfordert, um uns aus der Reichweite ihrer Waffen zu holen. Zum Glück wollten sie uns nur verscheuchen. Die hätten uns sonst pulverisiert.« Bezeichnend wies er auf die Verletzten.
Hawk begriff. Guckys gute Laune war gespielt. Der Mausbiber litt mehr unter dem abscheulichen Äußeren und dem kriegerischen Verhalten seiner »Verwandten«, als er zugab. War er aus diesem Grund hergekommen? Wollte er mit dem »Krankenbesuch« sein schlechtes Gewissen beruhigen? Immerhin stammte sein Volk von den Gegnern ab.
Ein Angriff von Shafakk, obwohl sich ein Omnit an Bord aufhält. Was geht im Compariat vor? Hawks Verlangen, endlich aktiv zu werden, wuchs.
Steflov trat vor die Medoeinheit am Fußende des Krankenlagers und klappte sie um, sodass der Oxtorner auf das holografische Anzeigefeld sah. Ein Sensorarm entfaltete sich und glitt über Hawk hinweg, um ihn von Kopf bis Fuß zu durchleuchten.
Hawk lag da und betrachtete sein Inneres. Schicht um Schicht entstand ein dreidimensionales Abbild seines Körpers. Sein schmales Skelett wurde von Blutbahnen überlagert, dann von Organen. Muskeln zeichneten sich über dem Knochengerüst ab. Schließlich überzog Haut die Holokopie. Sie blieb halbtransparent.
Watson hockte wie versteinert hinter Steflov, glotzte auf das Holo. Hawk fragte sich, was der Kreatur durch den Kopf ging.
»Es geht Ihnen schon besser?« Der Arzt wirkte erstaunt.
Hawk horchte in sich hinein, wertete die Schmerzimpulse aus, die seine Nerven lieferten. Die bleierne Müdigkeit verflog mit jedem Atemzug mehr. Der Schwindel ließ nach. Sein Herz schlug unregelmäßig, wohl infolge des Herzanfalls, den er bei seiner Ankunft erlitten hatte. Doch die Rhythmusstörungen waren zu vernachlässigen. Einem Terrageborenen, vermutete er, wären sie gar nicht aufgefallen.
»Ja«, antwortete er schließlich. »Ich vermute, in Ihren Augen ist das ungewöhnlich.«
»Alles an Ihnen ist ungewöhnlich. Ich habe nie Muskulatur in solcher Dichte gesehen.« Steflov rief ein zweites Hologramm auf und schob es zum Vergleich neben das erste.
Auf einen flüchtigen Blick zeigten beide Holos das identische Bild: die Anatomie eines Manns, mit halbtransparenter Haut und darunter sichtbaren Knochen sowie Organen. Erst beim zweiten Hinsehen begriff Hawk, dass es sich um verschiedene Personen handelte.
»Diesen Scan habe ich von mir selbst angefertigt, beim Aufbruch der CREST II. Er war Teil der üblichen Funktionstests.«
Als Steflov die oberen Hautschichten komplett ausblendete und die Schulterpartien beider Abbildungen vergrößerte, wurden die Unterschiede deutlich erkennbar. Hawks Muskelfasern waren dünner, dafür hatte er in etwa die doppelte »Muskelmasse« – ohne dass seine Arme merklich dicker gewesen wären.
Gucky stieß einen Pfiff aus. Er verließ den Platz an Moncadas' Seite und watschelte vor das Holo. »Im Armdrücken hättest du gegen diese ... Kompaktkonstitution keine Chance, Drogan. Es sei denn, ich helfe telekinetisch nach.«
Steflov wischte beide Holos beiseite. »SENECA hat mir Überwachungsaufzeichnungen Ihrer Ankunft gezeigt, Hawk. Ich wusste, dass Sie über ungewöhnliche Körperkräfte verfügen. Ich hatte auf Implantate getippt, Prothesen oder eine Stimulation durch hyperanabole Substanzen. Die Umweltanpassung an Ihren Heimatplaneten erklärt jedoch Ihre Widerstandsfähigkeit.«
»Es hat seine Vorteile. Oxtorne ist eine harte Welt.« Hawk lächelte. NATHAN hatte seine Kolonie im Geheimen aufgebaut. Zum Genom der Bevölkerung war außerhalb der Hyperinpotronik nichts verzeichnet. Die Verblüffung des Mediziners war somit verständlich. Hawk seinerseits kamen die Menschlein von der Erde geradezu zerbrechlich vor.
Ein Signalton kündigte eine Nachricht aus der Zentrale an. Wenig später klang Perry Rhodans Stimme aus einem Akustikfeld. »Gucky, ich brauche dich.«
»Soll ich wieder das Universum retten? Ich dachte, Kosum hätte die Lage im Griff.«
Hawk hörte zu. Durch Gucky wusste er von dem Beinahegefecht gegen die Streitkräfte des Omnitischen Compariats, wobei ihm noch immer ihm die Hintergründe fehlten. Konnte er aus dem Gespräch mehr erfahren?
»Die CREST II steht im Ortungsschutz eines Blauen Riesen«, informierte Rhodan. »Unsere Langstreckensensoren konnten die Raumregion kartieren. Inzwischen liegen erste Ergebnisse vor. Die solltest du dir ansehen!« Er beendete die Verbindung.
Gucky zeigte den Nagezahn. »Ich könnte aus seinen Gedanken lesen, worum es geht. Aber ich würde mir die Überraschung verderben.« Er grüßte zum Abschied und wandte sich zum Gehen. Das verdickte Hinterteil mit dem ausladenden Biberschwanz wiegte bei jedem Schritt auf und ab.
»Warte! Ich komme mit.« Hawk setzte sich auf. Sekundenlang kehrte das Schwindelgefühl zurück, sein Herz pochte unter der Belastung.
Steflov legte ihm die Hand auf die Brust, wollte ihn aufs Lager zurückdrücken. »Sie sind noch nicht so weit. Ich muss noch weitere Untersuchungen anstellen, bevor ich Sie entlassen kann.«
Der Versuch, Hawk aufzuhalten, war lächerlich. Der Oxtorner spürte die Berührung kaum. Mühelos schüttelte er den Griff ab und schwang die Beine über den Rand der Liege. »Sagten Sie nicht, Sie bräuchten freie Betten?«
Steflov rollte mit den Augen. »Positronik! Patient fixieren!«
»Übertreibst du's nicht, Drogan?« Gucky hielt am Ausgang inne.
Omar Hawk kannte die Konfiguration von Rechnern, wie sie auf der CREST II verbaut waren. Die Positronik der Medostation war ein untergeordnetes System von SENECA, das unabhängig vom Bordgehirn entschied. Sie befolgte den Befehl des Chefarztes, indem sie einen Emitter im Kopfende der Liege aktivierte und ein Fesselfeld aufbaute.
Hawk fühlt sich jäh niedergedrückt. Er spannte die Arme, kämpfte gegen die unsichtbare Macht an, doch das Feld passte sich seinen Kräften an. Normalerweise hätte er sich durchsetzen können. Aber nicht in seinem geschwächten Zustand. Hatte der Mediziner recht, wenn er den Patienten dabehalten wollte? Aber Hawk hatte einen Auftrag zu erfüllen. Seine Gesundheit war zweitrangig.
Es war Watson, der ihn rettete. Der Blick des Okrills war starr auf ihn gerichtet. Als Hawk vor Anstrengung ächzte, öffnete Watson das breite Maul.
Es ging zu schnell, als dass Hawk jemanden hätte warnen können. Die rosafarbene Zunge schoss fingerbreit an Steflovs Oberarm vorbei und blieb am Fesselfeldemitter kleben.
Ein Knall und ein greller Blitz legten das Gerät lahm. Der Medotechniker, der sich zuvor über Watson empört hatte, stieß einen Schrei aus. Drogan Steflov zuckte zusammen.
Sofort ließ der Druck auf Hawks Schultern nach. Er war frei.
Gucky schüttelte den Kopf. »Wenn ich so was mache, kriege ich regelmäßig Ärger!« Nachdenklich musterte er den Okrill.
»Bei dir fürchtet ja auch niemand, dass du Stromschläge verteilst, wenn jemand mit dir schimpft. Vielleicht solltest du damit anfangen.« Hawk ließ die Schultern kreisen, erhob sich vom Bett und schlug Steflov sanft auf den Rücken. »Sorry, Doc!«
Mit einem Stöhnen ging der Mediziner in die Knie. Hawks leichter Schlag brachte ihn ins Wanken.
Hawk grinste und nahm die Hand vom Rücken des Terraners, dann versetzte er dem Okrill einen Hieb auf die Schnauze. »Hiii, Watson. Ich fürchte, in die Zentrale wirst du mich nicht begleiten können. Schauen wir mal, wie weit die Xenobiologin mit diesem Okrillvergnügungspark ist.«
Zusammen mit Gucky und dem Okrill verließ Omar Hawk die Medostation.
Zehn Minuten später erreichten sie den Grünanlagensektor der CREST II.
Omar Hawk sah seine düstersten Ahnungen bestätigt. Von Sicherheitsvorkehrungen konnte nicht die Rede sein. Zumindest nicht von solchen, die einen Okrill an der Flucht hindern würden.
Die Decke war in hellem Blau illuminiert – ein großflächiges Hologramm, dem Himmel über Terrania nachempfunden. Tageslichtlampen und Infrarotstrahler simulierten einen warmen Frühlingstag. Es roch nach frisch gemähtem Gras und feuchter Erde.
Der Oxtorner betrat eine Rasenfläche von etwa hundert auf fünfzig Metern, die dem Anschein nach hastig freigeräumt worden war. Hochbeete und Bänke, die der Besatzung sonst zum Verweilen dienten, standen übereinandergestapelt am Rand. Mobile Schutzschirmprojektoren bildeten einen Ring um die freie Fläche. Sie waren desaktiviert.
In der Mitte des Bereichs, vor einem transportablen Positronikpult, stand ein großes Laufrad wie aus einem überdimensionierten Hamsterkäfig. Eine grauhaarige Frau in Zivil und ein schlaksiger, bebrillter Mann stellten Stühle und Tische zu einer Art Hindernisparcours auf, die sie wohl hastig aus einer der Mannschaftsmessen hergebracht hatten. Ein künstlicher Teich stellte die einzige Trinkwasserquelle dar. Einen Zugang zur Stromversorgung entdeckte Hawk nirgends.
»Ist dies die neue Okrillpension?«, krähte Gucky mit aufgesetzter Fröhlichkeit. »Wir hätten einen Gast für euch!«
Als die Frau Hawk, den Ilt und Watson bemerkte, kam sie mit ausgestreckter Hand auf den Oxtorner zu. Der zurückgekrempelte Ärmel entblößte sonnengebräunte Unterarme.
»Sie sollten einen kleinen Generator aufstellen.« Hawk ergriff ihre Hand und schüttelte sie vorsichtig. »Watson hat stets Hunger nach Energie. Die Ankunft an Bord hat ihn verausgabt.« Er versuchte, nicht an die Verwüstungen im Meilersektor und die Verwundeten in der Medostation zu denken.
»Keine Sorge.« Die Frau deutete auf die Positronikkonsole. »Wir werden den Guten durchleuchten. Sobald wir herausgefunden haben, was er braucht, wird es ihm an nichts mangeln.«
Der Mann folgte der Grauhaarigen in einigem Abstand. Im Gehen fixierte er den Okrill. »Es ist hässlicher, als ich dachte. Im Biologiestudium haben wir so was früher seziert.« Sein verpickeltes Gesicht offenbarte einen abschätzigen Ausdruck. Strähniges Haar fiel ihm ungewaschen in die Stirn.
Hawk widerstand dem Drang, ihm die Meinung zu sagen. Der Kerl war ihm unsympathisch, und viel hübscher als der Okrill war er auch nicht.
Sie machten sich miteinander bekannt.
Die Zivilistin stellte sich als Danielle Pyme vor, die Leitende Xenobiologin an Bord. »Im Omnitischen Compariat gibt es nicht nur Oproner oder Sleeker, sondern unzählige weitere fremde Lebensformen, die es zu erforschen gilt. Früher oder später wird Perry Rhodan unsere Dienste brauchen.« Ihre Stimme klang alt, was nicht recht zu ihrem jugendlichen Gesicht passte.
Der Picklige hieß Thomas Becker, ein Student aus Terrania, der Pyme als Assistent begleitete. Soeben zog er eine Art Hundeleine samt Halsband aus der Hosentasche und bückte sich zum Okrill. »Halt ja still, du Froschmonster! Sonst schieße ich dir ein Betäubungszäpfchen in den Allerwertesten.«
»Hiii, Watson!«, flüsterte Hawk. Halb rechnete er damit, dass sich das Tier losreißen, gegen die Leine wehren und über den Jungen herfallen würde.
Der Okrill ließ das Prozedere jedoch in stoischer Gelassenheit über sich ergehen.
»Versprechen Sie mir, ihn nicht zu betäuben?« Zwar begriff Hawk, wie gefährlich Watson für die zarten Terrageborenen und die Technik an Bord der CREST II war. Doch er war und blieb ein Tier. Ihn für sein Verhalten zu bestrafen, erschien Hawk unfair.
Pyme lächelte jungenhaft. »Welchen Sinn hätte das? Womöglich wirken die uns bekannten Betäubungsmittel auf Watsons Biochemie ohnehin nicht. Achten Sie nicht auf Thomas, er versucht nur, witzig zu sein. Vergeblich, wie ich hinzufügen möchte.«
»Hm.« Der Student winkte ab.
Pyme zog ein kleines Gerät aus einer Transporttasche, die an einem der Schutzschirmprojektoren lehnte, dazu ein Stäbchen mit einer gummiartigen Kugelspitze. Letzteres drückte sie Becker in die Hand. »Ich brauche eine Zellprobe, damit wir Watsons Genom und seine Bedürfnisse analysieren können.«
Der Student zögerte, bevor er das Stäbchen entgegennahm. Unbeholfen ging er vor dem Okrill in die Knie und machte Anstalten, es dem Tier ins Maul zu stecken. Die Gummispitze prallte gegen verhornte Froschlippen. Watsons Nüstern bebten.
Beckers Wangen röteten sich. Genervt sah er zu Hawk auf. »Anscheinend muss ich es doch sezieren. Außer, Sie befehlen ihrem Killerfrosch, das Maul zu öffnen.«
»So gut dressiert ist er nicht.« Hawk musterte den Studenten, suchte ein Lächeln oder ein verräterisches Zucken auf den spröden Lippen. Meinte Becker seine Drohung ernst, oder hielt er sich tatsächlich für witzig? Hawk gelang es nicht, ihn einzuschätzen. Einen Oxtorner aus der Ruhe zu bringen, war schwer, aber dieser Kerl war auf dem besten Weg dazu.
Guckys helles Lachen zerschnitt die Anspannung. »Lass mich, Omar! Ich besorge dem Jungen seine Genprobe.« Furchtlos trat er neben den Okrill, bückte sich neben Watsons Schnauze und hob den Arm.
Kurz überlegte Hawk, Becker zu warnen, entschied sich aber dagegen. Er ahnte, welchen Spaß der Ilt sich erlauben würde. Sollte er ihn haben!
Gucky schlug zu. Seine Pfote traf den Okrill dicht hinter den Nasenlöchern. »Hiii!« Es knallte. Vermutlich verstärkte der Ilt seinen Hieb telekinetisch.
Watson legte den Kopf in den Nacken, atmete tief ein – und nieste. Klare Flüssigkeit löste sich aus seinen Nüstern, platschte auf Beckers Wangen. Festerer Schleim spritzte auf seinen Hals und die Brillengläser.
Der junge Mann wurde bleich. Seine Hände zitterten. Es kostete ihn sichtlich Mühe, die Beherrschung zu wahren.
Hawk verkniff sich ein Schmunzeln. Es geschah dem Kerl recht. Wer damit drohte, anderer Leute Tiere mit dem Skalpell zu zerlegen, und sei es im Scherz, hatte es nicht besser verdient. Er wusste aus leidiger Erfahrung, wie widerlich der Schnodder stank.
»Damit wäre die Probe mit meinem Erbgut kontaminiert. Gut gemacht, Gucky.« Becker nahm die Brille ab, rieb das Teststäbchen über seine Wange, bis es in die Flüssigkeit getränkt war, und reichte es Pyme. Ungeschickt versuchte er, sich den restlichen Schleim abzuwischen, entschied sich dann aber wohl dagegen. »Ich gehe mich mal umziehen.« Er stand auf und entfernte sich mit steifen Schritten.
»Das war nicht nett, Gucky.« Hawk verlieh seiner Stimme einen tadelnden Unterton. In Wahrheit kämpfte er die Schadenfreude nieder.
Der Ilt zeigte unschuldig den Nagezahn.
»Keine Sorge.« Pyme lachte. »Sich mit fremden Sekreten zu beschäftigen, gehört zu unserem Studiengebiet. So was härtet ab, und der Junge kann das brauchen.« Sie fasste Watsons Leine, zog daran und trat auf die Rasenfläche.
Wieder rechnete Hawk damit, dass das Tier sich losreißen würde, und wieder wurde er überrascht. Der Okrill folgte Pyme gehorsam.
»Braver Junge!« Sie machte Watson los, tätschelte ihn hinterm Hals. Mit einem Fingerdruck auf ihr Multifunktionsarmband aktivierte sie die Schutzschirmprojektoren. Zusammen mit dem Tier blieb sie in dem behelfsmäßigen Gehege zurück.
Omar Hawk war zufrieden. Thomas Becker war ein Scheusal, Danielle Pyme hingegen mochte er, und – noch wichtiger – Watson mochte sie ebenfalls. Der Okrill war in guten Händen.
Er wünschte der Exobiologin Glück und trat mit Gucky den Weg zur Zentrale an.