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Nichts zu berichten

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Lieber Ben, liebe Leser,

manchmal könnte ich mich ohne Punkt und Komma aufregen, pausenlos. Immerzu. Nicht selten über die Medien im Allgemeinen oder die Berichte über Michael Schumacher im Besonderen. Michael Schumacher, der berühmte Rennfahrer, den alle und jeder zu kennen meint, die Person des öffentlichen Lebens, der als Mensch aber gar nicht mehr wahrgenommen wird. Michael Schumacher hatte einen schweren Unfall. Das wissen alle. Das ist schlimm, und es ist traurig, genauso wie es traurig ist, wenn so etwas einem Unbekannten passiert. Aber diese Medien, nein diese Medien! Was sind deren Macher doch für ein widerliches, penetrantes Volk! Und was sind wir doch für ein widerliches, penetrantes Volk, rund um die Uhr zu glauben, Medien konsumieren zu müssen. Weil heutzutage ja alles so schnell sein muss. Weil unsere Gehirne ja mit Infos geflutet werden müssen. Und unter dem Deckmäntelchen der Information erlauben wir boulevardesken Arschkrampen uns Dreistigkeiten, dass es einem übel wird. Die Familie von Michael Schumacher hat um die Achtung ihrer Privatsphäre gebeten, mehrmals wohlgemerkt. Aber das ist doch den werten Herrschaften von der Presse wurscht! Man hat schließlich eine Aufgabe! Das Volk zu unterrichten, denn das gemeine Volk hat ein Recht darauf zu erfahren wie es dem Michael Schumacher geht, ob er in seinem Krankenbett einen Schlafanzug trägt, welche Farbe der Schlafanzug hat und ob auf seinem Nachttischchen frische Blumen stehen. Private Schicksale interessieren die Leute eben, dafür schnüffelt man auch schon gern mal ein bisschen tiefer rum oder bohrt nach, obwohl von den Verwandten inständig und mehrfach um ein bisschen Ruhe und Rücksicht gebeten wurde. Wie ein interner, geheimer und bis dato nicht veröffentlichter Mail-Verkehr aussieht, wenn die Familie von Michael Schumacher zum x-ten Male einen widerlich penetranten, hier nicht namentlich erwähnten Reporter darum bittet, dass man ihre Privatsphäre doch bitte akzeptieren solle, das lest Ihr jetzt:

Familie von MS: "Die Familie von Michael Schumacher bittet erneut um Respekt für ihre Privatsphäre, das Arztgeheimnis und darum, die behandelnden Ärzte nicht in ihrer eigentlichen Arbeit zu stören. Gleichzeitig möchte sie sich nochmals ausdrücklich für die weltweite Anteilnahme bedanken. Michaels Narkosemittel werden seit kurzem reduziert, um ihn in einen Aufwachprozess zu überführen, der sehr lange dauern kann. Es war ursprünglich die klare Absprache zwischen allen Beteiligten, diese Information zum Schutz der Familie erst zu kommunizieren, wenn sich dieser Prozess konsolidiert hat. Über Zwischenschritte werden wir keine Auskunft geben, bitte respektieren Sie das..."

Im Grunde ist an dieser Aussage ja eigentlich nichts falsch zu verstehen, oder? Dort steht nicht, das man die Presse bittet, mal eben vorbei zu kommen, weil man so gern ein Interview geben möchte oder sich sonst wie über den Koma-Patienten unterhalten möchte. Die Familie möchte weder ein Statement abgeben, noch sich darüber äußern, ob Schumacher mit der Wimper gezuckt oder mit dem kleinen Zee gewackelt hat. Die Familie möchte ihre Ruhe, meine Fresse, ist das so schwer zu begreifen? Doch anscheinend schon, denn was antwortet der werte TV-Redakteur, nenne wir ihn an dieser Stelle der Einfachheit halber Herr Schwervonkapie, auf dieses Anschreiben? Folgendes:

Herr Schwervonkapie: "Liebe Familie Schumacher,

danke für die Info. Um Ihr schriftliches Statement ins Fernsehen zu transportieren, würden wir Sie gerne ins Programm schalten und ein TV-Team schicken, um einen kurzen O-Ton von jemandem aus der Familie aufzuzeichnen. Bitte rufen Sie mich zurück, damit wir schnell reagieren können. Und wäre es möglich, auch eine kurze Stellungnahme vom behandelnden Arzt zu bekommen? Oder von einer der Krankenschwestern? Vielleicht sogar vom Sohn?

Freundlich grüßt,

Herr Schwervonkapie"

Was muss die Managerin, die die Belange der Familie vertritt, nun erneut antworten? Würde sie nämlich nicht reagieren, stünde ja das Scheiß-TV-Team eine Stunde später vor ihrer Tür!

Familie von MS: "Sehr geehrter Herr Schwervonkapie,

nochmals: die Familie steht für ein Gespräch nicht zur Verfügung. Vielen Dank für Ihr Verständnis."

Da fragt man sich doch, ob Herr Schwervonkapie sich nicht schon sämtliche Gehirnstränge aus seiner weichen Birne gespült hat. Aber das Lächerliche an der ganzen Diskussion ist schlicht, dass sich nichts, aber auch rein gar nichts ändern wird. Dass man eben Bilder braucht, Nachrichten machen muss, egal welchen Inhalts, es muss eben immer irgendetwas berichtet werden. Wie war das noch, als Robert Enke sich wegen seiner Depression das Leben genommen hat? Oh, da war die Schelte der Medien untereinander so groß. Journalisten sind sich in TV-Sendungen fast gegenseitig an die Gurgel gegangen, weil sie sich von einem Kollegen nicht ans Bein pinkeln lassen wollten. Aber gelernt hat man: Nichts! Medien haben nämlich so etwas wie eine Lernresistenz! Wenn es etwas zu berichten gibt, okay, aber wenn es nichts zu berichten gibt, einfach mal die Fresse halten!

Schweigend grüßt Euch,

Greta.

***

Liebe Greta, werte Leserinnen und Leser,

manchmal träume ich wirklich davon, dass irgendwann ein Tag anbricht, an dem Folgendes geschieht: Man guckt morgens in die Zeitung und entdeckt lauter weiße Flecken und über den entsprechenden Rubriken wie Politik oder Vermischtes steht jeweils nur der Hinweis: "Liebe Leser, es tut uns Leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass ausnahmsweise gar nichts passiert ist, über das zu berichten sich lohnen würde. Höchstens irgendwelcher Mumpitz, der nicht mal uns wirklich zu interessieren hat und Sie schon gar nicht. Also machen Sie sich einen schönen Tag und beschäftigen Sie sich heute mal nicht mit Dingen, die Sie im Grunde einen feuchten Kehricht angehen. Bis demnächst."

Und dann schaltet man den Fernseher ein und der Nachrichtensprecher erklärt einem Ähnliches: "Guten Abend, meine Damen und Herren, mangels wirklich relevanter Ereignisse zeigen wir Ihnen jetzt einen preisgekrönten Kurzfilm über das Leben der Feuerlandindianer" oder "es folgen Ausschnitte aus dem legendären Unplugged-Konzert von Nirvana".

Allerdings befürchte ich, dass dieser Traum niemals in Erfüllung gehen wird. Denn offenbar ist es so, dass in der Medienbranche, speziell in der Abteilung Boulevard, mittlerweile immer mehr Typen beschäftigt sind, mit deren Berufsethos es auch nicht wesentlich weiter her ist als mit dem von Bankern, Bischöfen und Versicherungsheinis. Klar, die Leute stehen alle mächtig unter Druck, wegen der Gier und wegen der Quoten und überhaupt des Marktes mit seinen allmächtigen Gesetzen, gegen die weder ein Kraut gewachsen ist noch der normale menschliche Verstand und Anstand etwas ausrichtet. Irgendwo sitzen immer gelackte, gegelte Ober-Medien-Fuzzis mit synergetisch-controlling-verseuchten Hirnen und geben den Tagesbefehl aus: "Los, nun liefert Sensationen! Bringt mir das Foto vom Pimmel des Neuen von Jenny Elvers, kratzt einen Sperma-Fleck von Heidis Bettlaken, ich will ein Video von der Verteidigungsministerin, wie sie beim Truppenbesuch in Afghanistan auf dem Donnerbalken hockt. Aber bitte dalli!"

Und wenn das alles partout nicht klappen will, die große Enthülle scheitert und auch sonst keine Mega-Sensation weit und breit in Sicht ist wie beispielsweise ein umfallender Reissack in China, dann wird sich halt selber eine gemacht.

Ich habe mal am Bildschirm einen vor pseudo-journalistischer Erregung schnappatmenden Jungreporter gesehen, der auf dem Brocken stand und mit brechender Stimme das Verbal-Ejakulat absonderte: "Ich stehe hier auf dem Brocken, wir haben bereits Windstärke 8 und es kann nicht mehr lange dauern, bis der Orkan eintrifft. Die Rettungskräfte stehen einsatzbereit." Und ich musste daran denken, wie ich als Kind mal auf einem Butterschiff war, das nach Helgoland fuhr, bei Windstärke 10, was aber kaum eine Sau an Bord mitgekriegt hat, weil das mehr oder weniger normal war, bei Windstärke 10 nach Helgoland butterzufahren. Ferner fiel mir die alte Flitzpiepe Heidegger mit ihrem ominösen Satz ein, dass das Nichts nichtet. Ich hatte diesen Satz genau wie den Heidegger immer ziemlich blöd gefunden, aber auf einmal fand ich ihn gar nicht mehr so blöd. Anschließend kam mir dann plötzlich auch noch Kai Ebel in den Sinn. Kai Ebel, der Mann in der Boxengasse, der dem Schumi und dessen Kollegen oder sonst irgendwem, ruhig auch mal einem der Boxenluder, immer das Mikro hinhielt und irgendwelches nichtige Zeug wissen wollte, das im Grunde auch niemanden interessierte, weil ja schließlich jeder sehen konnte, was da abging. In meinem persönlichen Blödmann-Ranking lag Kai Ebel sogar noch ein Stück hinter Heidegger.

Aber jetzt, als ich des orgasmierenden Pseudo-Reporters in seiner Orkan-Panik auf den Harzhöhen angesichtig wurde, wie er solch einen Wind um das bisschen Wind machte, das ihm lediglich seine ohnehin beschissene Frisur ruinierte, da fühlte ich mich im Geiste genötigt, dem Kai Ebel ein wenig Abbitte zu tun.

Die Blödheit der Anderen

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