Читать книгу Albert de Menier - Exposition Universelle Die Gotteskinder von Paris - Benjamin Klunzinger Karl - Страница 5
12.04.1900 Die Reise beginnt
ОглавлениеEndlich, gleich bin ich am Anhalterbahnhof! Ich habe dringend eine Abwechslung nötig.
Hätte sich diese einmalige Möglichkeit nicht aufgetan, wäre ich wohl aus Verzweiflung noch freiwillig in eine der deutschen Kolonien ausgewandert, nur um einen Tapetenwechsel zu bekommen. Aber ich fahre jetzt nach Paris! Mit Sicherheit war es die richtige Entscheidung, nach Paris zu fahren, vor allem jetzt, wo dort das größte Ereignis stattfindet das die Welt je gesehen hat - die Pariser Weltausstellung.
Ich kann es immer noch nicht glauben. Es hört sich jedes Mal komischer an, je öfter ich es zu mir selber sage: „Offizieller Gesandter des Kaiserreiches in Paris“.
Auch wenn es kein großer Unterschied zu dem ist, was ich in Berlin in den letzten Jahren gemacht habe, ist es eine große Änderung in meinem Leben. Hoffentlich kann ich dort genügend Anerkennung bei meinen Vorgesetzten sammeln. Wenn man befördert werden will, muss man auch mal etwas riskieren. Wenn ich mich nicht zu dumm anstelle, ist mir die Beförderung sicher. Allerdings schauen in Paris einige Augen auf mich, da kann eine kleine Dummheit große Folgen haben.
Karriere hin oder her, so langsam muss ich auch an meine Zukunft denken, ich bin schließlich schon 29 Jahre alt und meine Mutter fragt immer wieder nach, wann sie endlich ein paar Enkel von mir bekommt.
Aber überstürzen darf man das natürlich auch nicht. Ich muss eben warten, bis mir die richtige Frau über den Weg läuft, denn die werde ich brauchen. Schließlich weiß ich mittlerweile auch, dass es nicht der Storch ist, der die Babys bringt.
Ich habe gehört, dass es in Paris viele gutaussehende Frauen geben soll, aber ob Paris die richtige Stadt ist, um eine Frau zum Heiraten zu finden? Den besten Ruf haben sie ja nicht. Meine Mutter war jedenfalls nicht so begeistert, als ich ihr sagte, dass ich nach Paris gehe. Ich höre immer noch ihre Worte: „Was willst du in diesem Sündenpfuhl, weißt du denn nicht, wie es da zugeht?“
Ich soll mich bei meiner Ankunft sofort melden und ihr regelmäßig schreiben, wie es mir geht – als ob ich noch ein kleiner Junge wäre. Wenn es nach ihr ginge, müsste ich ihr jeden Tag schreiben.
Ich kann sie ja verstehen, dass sie so besorgt ist, ich bin schließlich ihr einziger Sohn. Wäre mein Vater damals 1871 nicht im Krieg gegen Frankreich in der Nähe von Paris gefallen, hätte ich wahrscheinlich noch zahlreiche Geschwister, aber so hat sie nur noch mich. Leider habe ich meinen Vater nie kennengelernt, da er schon starb, bevor ich geboren wurde. Ich weiß nicht einmal, ob er überhaupt wusste, dass ich auf dem Weg war.
Paris! Ich bin so aufgeregt. Die Entscheidung fiel sehr schnell, als man mich fragte. Es war weniger eine Frage, sondern eher ein Befehl, aber ich freue mich auf die neuen Aufgaben. Diese Weltausstellung ist größer als alle anderen, die es je gegeben hat. Direkt an der Seine, von den Esplanades des Invalides über den Quai d`Orsay bis zum Marsfeld, auf dem der riesige Eiffelturm steht. Auf der anderen Seite der Seine erstreckt sie sich vom Trocadéro bis an den Place de la Concorde, an dem sich das mächtige Riesentor als Haupteingang befindet. Außerdem gibt es aus Platzgründen noch einen Außenbereich im Bois de Vincennes am Rande der Stadt.
Wahrscheinlich hat man mich gewählt, da ich französisches Blut in den Adern habe. Von meinen Vorfahren, ist nur noch unser Familienname übriggeblieben – „de Menier“. In Berlin werde ich mit meinem Namen öfters komisch angeschaut, aber in Paris habe ich hoffentlich keine Probleme damit.
Ich weiß, dass es nicht einfach werden wird. Obwohl der Krieg gegen Frankreich schon fast 30 Jahre zurückliegt, hat man es als Deutscher in Frankreich immer noch sehr schwer. Auf der Weltausstellung von 1889 hatte Deutschland keine eigenen Ausstellungen und als Besucher wurde man mit Missachtung gestraft. Ich frage mich, ob wir immer noch so von den Franzosen gehasst werden, oder ob sich die Meinung unserer Nachbarn über uns mittlerweile geändert hat?
Auf jeden Fall habe ich die Anweisung, mit äußerster Vorsicht und Diplomatie vorzugehen, das heißt, ich soll mich nicht überall einmischen und mich aus allem raushalten. Damit werde ich keine Probleme haben, da ich hauptsächlich zwischen den deutschen Besuchern, den Verantwortlichen und den Franzosen in polizeilichen Angelegenheiten vermitteln soll. So war zumindest die offizielle Beschreibung meiner Tätigkeiten, die Realität sieht wahrscheinlich dann so aus, dass ich bei Fällen ermitteln darf, bei denen unsere Landsleute betroffen sind.
Eigentlich sollte ursprünglich der Chefinspekteur selbst fahren, aber dieser wollte sein schönes Büro und seine Familie nicht verlassen - oder sollte ich besser sagen, er durfte seine Familie nicht verlassen. Ich habe gehört, bei ihm zu Hause hat Madame die Hosen an. Sie hatte anscheinend kein Vertrauen in ihren Mann und hat wohl auch so manch anzügliche Geschichten über die Pariser Damenwelt gehört.
Aber was soll`s, Hauptsache ich darf für ihn einspringen. Das Beste daran ist, dass ich jetzt erster Klasse reisen darf, da schon alles organisiert wurde und man die Fahrkarte nicht mehr umtauschen konnte. Immerhin kostete die Bahnfahrt fast 100 Mark, soviel hätte man für mich sonst nicht springen lassen. Auf die Unterkunft bin ich auch gespannt, da man so kurzfristig auch keine andere Unterkunft finden konnte. Da werde ich mit Sicherheit auch in besseren Verhältnissen wohnen, als ich es sonst gewohnt bin…
„So, da sind wir.“ Mit diesen Worten unterbricht der Kutscher die Gedanken seines Fahrgastes, als diese am Bahnhof ankommen. Dem jungen Mann wird nun bewusst, dass er seiner Heimatstadt für über ein halbes Jahr lebe wohl sagen muss. Es herrscht ein reges Treiben am Bahnhof. Reisende kommen und gehen, die Frühlingssonne erhellt die Eingangshalle und der Abschied fällt bei Sonnenschein wohl leichter als bei Regenwetter, bei dem man im Allgemeinen etwas melancholischer wird.
Seinen großen Koffer lässt er vom Kofferträger aufgeben, aber sein Handgepäck nimmt er besser selbst, schließlich befindet sich eine nicht unbeträchtliche Summe Bargeld darin, wie wohl auch bei jedem anderen Reisenden hier am Bahnhof, der eine längere Reise vor sich hat.
Er ist zwar schon öfters mit dem Zug gefahren, aber noch nie eine so lange Strecke, immerhin fast 1200 km. Zum Glück ist der Zug dank der modernen Technik schon in 20-24 Stunden da, das geht ganz schön fix.
Also auf in die erste Klasse! Der Waggon ist riesig, er hat immerhin 7 Abteile, die über einen Seitengang zugänglich sind, beim Betreten bemerkt man den luxuriösen, modernen Linoleumboden. Die Decken sind aufwendig bemalt und die Beschläge vergoldet. Wenn man sich hinsetzt, schmiegt sich der mit blau gemustertem Samt bezogene Sitz an den Fahrgast. Da muss man sich in die erste Klasse verlieben, nach so einer Fahrt, kann man wahrscheinlich nie wieder zweite Klasse fahren.
Im Abteil ist Platz für 4 Personen. Allerdings ist in dem Abteil, welches sich der junge Mann ausgesucht hat, schon ein Platz besetzt. Ein Pastor, der seine Augen geschlossen hat und zu schlafen scheint, hat es sich dort gemütlich gemacht. Ein großer brauner Lederkoffer, auf dem die Initialen R. K. stehen, liegt im Gepäckfach über ihm. Die Seitenwände des Koffers verzieren etliche Aufkleber mit Reisezielen, anscheinend ist der Pastor schon viel herumgekommen. Er nimmt neben ihm Platz, um in Fahrtrichtung zu sitzen, dabei macht er anscheinend so viel Lärm, dass sein Sitznachbar aufschreckt.
Der junge Mann nimmt natürlich gleich die Gelegenheit wahr und stellt sich vor: „Gestatten, Albert de Menier.“ Ganz verdutzt und überrascht schaut ihn der Pastor an, erhebt sich und stellt sich ebenfalls vor: „Angenehm, ich bin Pastor Richard Koch.“
Nachdem sich die beiden gegenseitig bekannt gemacht haben, fangen sie auch gleich eine angeregte Unterhaltung an.
„Wo führt Sie der Weg hin? Fahren Sie auch nach Paris?“ „Ganz recht, Gottes Weg führt mich nach Paris. Ich werde dort in der Missionsausstellung über meine Erfahrungen in den deutschen Kolonien berichten. Ich habe mittlerweile fast jede einzelne durchreist“ „Das ist interessant.“ „Angefangen habe ich in Kiautschou, der asiatischen Provinz, da hatte ich auch die Möglichkeit die tolle asiatische Küche kennenzulernen. In China gibt es Gegenden, in denen fast alles aufgetischt wird. Von Insekten bis hin zu Reptilien und was es nicht alles aus den Meeren gibt...“ Unser junger Kommissar hat einen Fehler gemacht - hat der Pastor erst einmal zu reden angefangen - hört er nicht mehr auf. Wahrscheinlich kann er bis Paris ununterbrochen weiterreden.
Die Eingeborenen, die er bekehrte, hatten wohl auch keine andere Wahl, als sich missionieren zu lassen, sie kamen nicht zu Wort, um zu widersprechen. Der junge Albert de Menier nickt immer nur zustimmend. Dennoch ist es interessant, was der Pastor erzählt. Er war anscheinend auch in Samoa, auf den Marshallinseln, im Kaiser-Wilhelms-Land, auf dem Bismarck-Archipel und kreuz und quer durch Afrika.
Der gute Pastor wird bei seinen Erzählungen jedoch unterbrochen, als noch weitere Fahrgäste zusteigen. Es betreten zwei Frauen das Abteil, die mit Sicherheit der gehobenen Berliner Gesellschaft angehören. Es handelt sich um eine junge Dame mit ihrer Zofe, schätzungsweise 20-22 Jahre alt. Als die feine junge Dame das Abteil betritt, erwischt sich der Kommissar selbst dabei, wie er sie anstarrt. Sie sieht einfach atemberaubend aus, zum Glück hat das niemand bemerkt.
Ihre nussbraunen Haare sind aufwendig geflochten und hochgesteckt. Ihre dunkelgrünleuchtenden Augen und ihre roten Lippen strahlen eine Sinnlichkeit aus, die man nicht zu beschreiben vermag. Ihre Schuhe, die mit Sicherheit ein Vermögen gekostet haben, passen farblich perfekt zu ihrem dunkelblauen Kleid, dazu einen beigen Sommermantel und einen dunkelblauen verspielten Hut – einfach umwerfend.
Als ob dies nicht schon reichen würde, um einen Mann zu betören, lässt der Duft ihres Parfums die Sinne des jungen Mannes benebeln und seinen Herzschlag in die Höhe eilen. Als sie sich umdreht, sieht er sie auch noch lächeln und es läuft ihm eiskalt den Rücken herunter.
„Ge-Gestatten mein Name ist de Menier, Albert de Menier“ stammelt der junge Mann in leisen Tönen. Wahrscheinlich hat sich auch sein Gesicht leicht rot verfärbt - hoffentlich ist es nur ein leichtes rot - auf jeden Fall fängt die Zofe der hinreißenden Dame zu grinsen an.
Der junge Mann ist nach dieser Vorstellung etwas verlegen und denkt sich, dass es besser ist, erst einmal seine Sinne wieder zu sammeln.
Nachdem sich nun auch der Pastor vorgestellt hat, öffnet diese bezaubernde Frau ihre Lippen und die Mitreisenden vernehmen ihre Worte: „Angenehm, mein Name ist Schubert, Isabell Schubert.“ Diese Stimme klingt auch noch wie Musik in den Ohren des jungen Herrn und diese Melodie geht ihm vorerst auch nicht mehr aus dem Kopf.
„Sophie, verstaue bitte das Handgepäck, ich werde den Fensterplatz nehmen.“ „Sehr wohl Fräulein Schubert“, antwortet diese. Ein Glück sitzt auch der Pastor mit im Abteil, da dieser weiter zu reden beginnt, hat der verlegene Kommissar Zeit sich zu sammeln. Der Pastor stellt dem jungen Fräulein auch solche Fragen die Albert de Menier interessieren. Es würde sich nicht geziemen, wenn er das junge Fräulein selbst ausfragen würde, aber ein Mann Gottes darf so etwas.
„Darf ich fragen, wo eine junge Dame wie Sie und ihre Begleitung hinwollen?“ fragt der Pastor. „Nun, mein Vater stellt auf der Ausstellung in Paris aus und ich nehme die Gelegenheit wahr übermorgen an der großen Eröffnungsfeier teilzunehmen. Das ist eines der größten Ereignisse des neuen Jahrhunderts. Da kommt bestimmt auch der französische Präsident Loubet und alle anderen wichtigen Persönlichkeiten, die in Frankreich Rang und Namen haben.“ „Präsident Loubet? Ich finde es eigenartig, dass ein gewählter Präsident ein Land regiert.“ stellt Albert de Menier fest. „Wieso? Finden Sie?“ wundert sich Pastor Koch. „Nun ja, ein König hat es schließlich von klein auf gelernt und weiß was zu tun ist. In Frankreich oder den USA könnte sogar ein Schuhputzer das Land regieren, ich bezweifle, dass dies gut gehen kann. Wenn Sie ein paar Schuhe kaufen wollen, gehen Sie schließlich nicht zum Metzger, man geht zum Fachmann.“ Pastor Koch schaut Albert de Menier erstaunt an und erwidert: „Ich finde dieses demokratische System eigentlich sehr einfallsreich, wenn man die Geschichte betrachtet, hat sich leider nicht jeder König oder Kaiser bewährt, man siehe nur Nero der das alte Rom niederbrannte. Wenn sich ein Präsident als unfähig erweist, wird er in der nächsten Wahl nicht mehr gewählt. Wenn ein König Misswirtschaft treibt, bleibt nur ein Aufstand und dann rollen Köpfe, das hat man damals bei der großen Revolution in Frankreich gesehen.“ „Schon klar, aber wie entscheiden Sie, wer bei der Wahl zum Präsidenten der richtige ist, sie kennen die Kandidaten nicht persönlich...“
Während dieser Diskussion, aus der sich Fräulein Schubert und ihre Zofe Sophie heraushalten, ertönt ein schriller Pfiff und man hört, wie die Türen geschlossen werden. Das ist preußische Pünktlichkeit, genau um 13:25 Uhr setzt sich der Zug mit kurzem rütteln in Bewegung und man hört bei geöffnetem Fenster das schnauben des Dampfrosses, welches sich abmüht den ganzen Tross hinter sich herzuziehen. Die Reisenden schließen noch schnell das Fenster, da sonst der ganze Qualm ins Abteil strömt.
Der Zug fährt zwischen den Fassaden der großen Mietshäuser Berlins hindurch, ab und zu befindet sich ein karges Gelände zwischen den Gebäuden, auf denen Anwohner ihr Gemüse anbauen. In der Entfernung sieht man den Rauch der Fabriken emporsteigen, wobei auch der Rauch des Zuges durch den Fahrtwind am Fenster des Abteils vorüber geweht wird. Da merken die Reisenden erst, wie schnell doch der Zug ist, das müssen immerhin 50 bis 60 km/h sein, damit dürften sie die Großstadt bald hinter sich haben.
Nachdem die Reise nun begonnen hat, versucht Albert die junge hübsche Dame in das vorherige Gespräch mit einzubeziehen. „Wie denken Sie darüber Fräulein Schubert? Könnten Sie mit einem Präsidenten als Oberhaupt leben?“ „Ich denke, ich könnte auch einen Präsidenten akzeptieren. Bisher kenne ich noch keinen Präsidenten, nur unseren Kaiser. Allerdings muss ich sagen, unser Kaiser ist ein toller Mann, von der Kaiserin kaum zu schweigen. Sie verstehen es Feste zu feiern, außerdem ist unser Kaiser immer so elegant gekleidet. Ob der französische Präsident auch so eine Ausstrahlung hat, werde ich hoffentlich bald erfahren.“ „Waren Sie etwa auch schon mal bei Hofe in Berlin?“ „Aber natürlich, das ist ein Muss! Ich habe kaum einen Ball im Stadtschloss ausgelassen und kann es kaum erwarten, wenn der nächste ansteht. Ich bin dort mittlerweile ein alter Hase.
Vor 4 Jahren bei meiner Einführung am Hofe, war alles noch so ungewohnt und neu. Ich weiß noch, als wäre es gestern gewesen. Ach, war das ein Spaß! Ich bekam dafür extra ein neues Kleid geschneidert und konnte es kaum erwarten das Ballkleid anzuprobieren. Ich war fast täglich beim Schneider, um nachzuschauen wie weit es schon ist. Als ich es schließlich das erste Mal trug, war ich hin und weg. Das schwierigste war, dann noch die richtigen Accessoires zu finden, die Schuhe, den Fächer und nicht zu vergessen den richtigen Schmuck. Wenn man bei Hofe eingeführt wird, muss man einen perfekten Eindruck hinterlassen, kaum auszudenken, wenn man da etwas Peinliches macht. In der Nacht davor konnte ich kein Auge schließen. Die Fahrt zum Stadtschloss schien eine Ewigkeit zu dauern und die Kutschen stauten sich. Als endlich meine Kutsche an der Reihe war und ich ausstieg, nahm ich den Duft des Schlosses wahr, ein ganz spezielles Parfum, das nur für das Schloss kreiert wurde. Man riecht es beim Betreten des Berliner Stadtschlosses. Wenn ich meine Augen schließe, kann ich den Geruch immer noch wahrnehmen. Am Eingang wurde man schließlich den anwesenden Persönlichkeiten vorgestellt und schon hier musste man aufpassen, sich keinen Fauxpas zu leisten. Herren und Damen warteten ungeduldig, dass es endlich losging. Ha! Und das Beste war, dass diese dumme Gans - Konstanze von Trapnitz - sich übergeben musste. Sie hatte ihr Korsett anscheinend zu eng geschnürt. Das kommt davon, wenn man die anderen immer übertreffen muss. Sie wäre wohl am liebsten im Erdboden verschwunden. Das geschieht ihr aber auch recht, sie denkt immer, sie wäre etwas Besseres und versucht mich jedes Mal zu übertreffen. Kaum habe ich ein schönes Kleid gefunden, kommt sie mit einem das 3-mal so teuer war, oder ich unterhalte mich auf einem Ball mit einem netten jungen Mann, kommt sie und erzählt Unsinn über mich und zieht sein Interesse auf sich. Ich könnte Sie manchmal erwürgen! Wenigstens war der Abend für sie dann gelaufen.“ Nachdem sich Isabell wieder beruhigt hat, erzählt sie weiter. „Aber egal, ich behielt natürlich meine Fassung, selbst als es dann losging und man den Kammerherrn mit seinem großen Stab auf den Boden klopfen hörte. Das Klopfen auf den Boden ließ meinen Herzschlag in die Höhe eilen, gleich werde ich dem Kaiser gegenüberstehen, denn das war nun das Zeichen, dass das Kaiserpaar eingetroffen war. Es breitete sich eine Stille aus, nicht einen Ton konnte man hören. Zuerst kamen die höheren Damen an die Reihe. Sie betraten nacheinander den Saal und wurden durch den Hofmeister erst der Kaiserin mit Namen vorgestellt, dabei mussten diese mit ihrem „Kompliment“- einer tiefen Verbeugung - ihren Respekt bezeugen. Ich habe das Kompliment tagelang geübt, kaum vorzustellen, wenn man aus dem Gleichgewicht gekommen und vor dem Kaiser und der Kaiserin gestürzt wäre, man hätte sich im Schloss nie wieder blicken lassen können. Nach dem Kompliment vor der Kaiserin folgte natürlich auch das vor dem Kaiser – dieser war wieder toll gekleidet, von so einem stattlichen Mann träumt jede Frau. Ich kam schließlich am Ende dran. Es war einfach wundervoll, diese Aura, die das Kaiserpaar ausstrahlte, ich bin immer noch begeistert, wenn ich nur daran denke. Als der Cours vorüber war, verschwand das Kaiserpaar wieder schnell und man konnte sich bei einem aufgebauten Buffet stärken und sich mit den anderen austauschen. Ich schwebte eine ganze Woche auf Wolke Sieben. Es war der schönste Tag in meinem Leben.“
„Ein Buffet?“ unterbricht Pastor Koch das junge Fräulein, „Was gab es denn Leckeres am Buffet? Ich wette am Hofe gibt es nur gute Sachen.“
„Sie sind wohl Experte, was gutes Essen betrifft?“ fragt Albert den Pastor mit leicht ironischem Unterton. „Nicht nur gutes Essen, einem guten Wein kann ich auch nicht widerstehen. Ach wie habe ich das alles auf meinen Reisen vermisst, aber der liebe Gott prüft uns ständig. Es gab Zeiten, da habe ich mich nur von Reis und Bohnen ernährt. Wie habe ich da von gebratenen Hühnchen, ein bisschen Schinken oder gar Austern geträumt. Austern! Haben Sie schon mal Austern gegessen? Also das müssen Sie mal probieren. Sie müssen frisches Rindermark mit gehacktem Fasanenfleisch und Gänseleber vermischen. Dann mit grünem Pfeffer und Meeressalz würzen, anschließend noch frischgehobelte piemonter Trüffel und kleingeschnittene englische Austern beifügen. Diese Masse füllt man dann in Taschen aus Nudelteig und lässt sie in heißem Wasser garen, dazu serviert man eine leichte Steinpilzsoße. Ein Gedicht sage ich ihnen.“ Der Kommissar versucht es sich vorzustellen, allerdings würde ihm so ein Mahl einen Monatslohn kosten. „Wie können Sie sich als Pastor so ein teures Essen leisten?“ fragt er den Mann Gottes.
„Der liebe Gott hat es bisher ganz gut mit mir gemeint, ein guter Freund und Gönner, der jetzt in Paris lebt, hat sich meiner angenommen. Er ist ebenfalls ein Gourmet. Wenn ich bei ihm vorbeischaue, teilt er die Gaumenfreuden mit mir. Mein Förderer ist derjenige, der es mir auch ermöglicht hat, die Welt zu bereisen und die armen Ungläubigen zu bekehren. Er ist ein großer Wohltäter, wäre er nicht reich, wäre er wahrscheinlich Pastor wie ich geworden, aber so kann er mit seinem Geld eine Menge Gutes tun. Mein Gönner hat mir auch die Billets für die Zugreise und eine Unterkunft vermittelt. Allerdings ist er auch sehr bescheiden, ich soll normalerweise nicht herumerzählen, was für ein großer Wohltäter er ist. Ach ja, Fräulein Schubert, Sie erwähnten, dass ihr Vater auf der Weltausstellung ausstellt, darf ich Fragen was seine Firma macht?“ damit versucht der Pastor das Thema zu wechseln und wendet sich der hübschen jungen Frau zu. „Nun, er macht in Garne und Stoffe, für die Bekleidungsindustrie. Vor einigen Jahren hat er sich mit Seidenrauben befasst, um Seide herzustellen, allerdings hatte er da einiges an Lehrgeld bezahlt. Das neueste Produkt ist Stoff aus Spinnenfäden….“
„Spinnenfäden? Und was kommt dann als nächstes? Wohl Zwirn aus Einhornhaar!“ fällt Albert Isabell spöttelnd ins Wort und macht sich darüber lustig – doch schon bereut er es, da ihn Fräulein Schubert ganz böse anschaut. Diesen Scherz hätte er sich sparen sollen und er versucht wieder einzulenken.
„Also Spinnenfäden? Sind die nicht zu fragil und dünn?“ „Wenn Sie wirklich interessiert sind, kann ich gerne darüber erzählen“, erwidert sie mürrisch. „Man kann natürlich nicht jede Spinne die einem über den Weg läuft dafür hernehmen. Wir verwenden dafür eine spezielle Spinnenart aus Madagaskar, allerdings nicht nur eine, sondern mehrere Spinnen auf einmal. Man muss die Spinnen allerdings voneinander trennen, da sie sonst übereinander herfallen würden.“ „Und wie bekommt man den Faden von der Spinne?“ fragt Albert nun neugierig nach. „Die Spinne hat eine Drüse am Hinterleib, diese muss man berühren, und der Faden bleibt hängen. Das macht man mit allen Tierchen und spinnt die Fäden dann zusammen.“ „Benötigt man dafür nicht unzählige von diesen Tierchen?“ „Natürlich reichen da nicht nur 5-6 Spinnen, man benötigt schon mehrere hundert Spinnen. Angst darf man da nicht haben. Die Spinnen sind auch besser wie Seidenraupen geeignet, da die Raupe nur einmal einen Kokon spinnt. Die Spinne dagegen kann sehr oft verwendet werden. Ist ihr Faden zu Ende, wird sie immer wieder aufgepäppelt und liefert einen neuen Faden. Da fällt mir ein, als mein Vater damit begann, Arbeiter für die Garnherstellung zu suchen, haben die meisten, das Firmengelände so schnell wie möglich wieder verlassen, als sie ein paar hundert Spinnen auf einmal sahen. Da war auch so manch gestandenes Mannsbild dabei“, erzählt sie mit einem breiten Grinsen im Gesicht. „Wie fühlt sich so ein Zwirn eigentlich an?“ wollen die Mitreisenden wissen. „Der Stoff ist sehr geschmeidig und fein, vor allem glänzt er phantastisch in der Sonne.“ Dabei lenkt sie die Aufmerksamkeit auf ihren Schal, der wirklich außergewöhnlich im Licht der Sonne funkelt. „Der fühlt sich ja beeindruckend an, den kann sich mit Sicherheit nicht jeder leisten.“ „Deswegen ist die Ausstellung für uns so wichtig. Es hätte keinen besseren Ort wie Paris geben können. Vielleicht schaffen wir es, einen der großen Modeschöpfer, wie zum Beispiel Monsieur Felix für unsere Stoffe zu interessieren.“ „Monsieur Felix?“ so etwas kann schließlich nur ein Mann fragen.
„Sie kennen nicht Monsieur Felix? Er ist einer der kreativsten Modeschöpfer, den die Welt je gesehen hat. Ich muss mir auf jeden Fall seine neueste Kollektion anschauen. Auf der Ausstellung hat er im Kostümpalast eine Retrospektive der Kleidung erstellt, er soll mehrere Jahre recherchiert und dann die Moden der letzten Jahrhunderte dargestellt haben. Außerdem gibt es dort im Salon Felix einmal in der Woche eine Modenschau - Les dernières créations de son atelier. Da werde ich mir so manches Kleid aussuchen. In Berlin wird mir dann keine mehr den Rang ablaufen, selbst diese Konstanze von Trapnitz nicht.“ Albert de Menier merkt, dass sich im Leben dieser hübschen Frau doch so einiges um Mode dreht und auch um die Rivalität zu dieser anderen Frau, dieser „von Trapnitz“, oder wie sie hieß. Eine Frau die etwas auf sich hält, hat anscheinend auch eine Rivalin.
„Wie lange haben Sie vor in Paris zu bleiben?“ fragt der Pastor das junge Fräulein. „Nun, eigentlich hatte ich vor vier Wochen zu bleiben, aber wer weiß, vielleicht gefällt mir die Stadt so gut, dass ich noch länger bleiben werde.“ „Und da hat ihr Verlobter nichts dagegen?“ stichelt Pastor Koch weiter. Oh wie dankt Albert dem Pastor für diese Fragen. „Sie sind aber ganz schön neugierig, aber wäre ich verlobt, würde ich mit Sicherheit kaum alleine mit Sophie nach Paris fahren. Nicht dass ich keine Verehrer hätte, auf den Bällen kann ich mich kaum erwehren und meine Ballkarte ist immer rasch voll. Mein Vater schleppt auch immer wieder Geschäftspartner an, die wohl eine gute Partie wären. Ich möchte aber erst mein Leben genießen und dazu gehört unter anderem diese Reise nach Paris.“ Das klingt wie Musik in den Ohren des jungen Albert - Fräulein Schubert ist noch nicht verlobt, ob er allerdings eine Chance bei ihr hat, mag man trotzdem bezweifeln. Ihre Leben sind zu unterschiedlich, da sind Welten dazwischen. Was er in einem Jahr verdient, würde ihr kaum für eine Woche reichen. Die Leute würden auch darüber reden, dass er nur wegen des Geldes an ihr interessiert wäre. Ihr Vater würde ihn mit Sicherheit auch nicht akzeptieren und im hohen Bogen hinauswerfen, aber wenn er nur an dieses bezaubernde Lächeln von ihr denkt - sie hat in der kurzen Zeit sein Herz erobert.
„Was machen Sie eigentlich in Paris?“ wendet sich nun Pastor Koch an Albert. „Ich bin beruflich unterwegs, von Beruf bin ich Kriminalkommissar bei der Berliner Polizei und abkommandiert, um auf der Ausstellung nach dem Rechten zu sehen. Aber hauptsächlich bin ich für die Belange der Deutschen Aussteller und Besucher verantwortlich und werde die Kontaktperson zur französischen Polizei sein. Ich werde auch nach der Ausstellung dort bleiben, bei der Demontage wird ebenfalls die Polizei benötigt. Eigentlich schade, dass die tollen Gebäude und Attraktionen ab dem 12. November wieder abgerissen werden, zumindest bis auf ein paar Ausnahmen. Das meiste ist auch nicht für die Ewigkeit gebaut worden, nur Gips und Sperrholz. Sogar nach der Ausstellung von 1889 wollte man den Eiffelturm anschließend wieder abreisen und jetzt kann man sich Paris nicht mehr ohne ihn vorstellen. Kaum zu glauben, aber es gab sogar die Idee den Eiffelturm für die diesjährige Weltausstellung bis zur ersten Plattform abzutragen und als Gestell für einen riesigen Globus umzufunktionieren, jetzt haben sie zum Glück den Globus auf ein Extragestell errichtet.“ „Oh mein Gott, das wäre ja furchtbar gewesen, ich wollte schon immer mal da hoch, man soll bei schönem Wetter bis zu 80 km weit blicken können“, mischt sich Fräulein Schubert in die Unterhaltung mit ein. „Es wurde nun glücklicherweise entschieden, den Turm weitgehend so zu lassen wie zuvor. Man hat ihm nur eine neue Aufzugsanlage verpasst und was ich gehört habe, soll er auch neu gestrichen worden sein. Jetzt ist er Gelborange, welches in 5 Farbtönen abgestuft wurde. Außerdem erhellen während der Nacht 5000 Glühlampen die Kontur des Turms.“ „Da haben Sie sich ja ganz gut informiert Herr de Menier, wenn das mit ihrem Polizeidienst nicht klappt, können Sie ja noch Fremdenführer werden“, witzelt Fräulein Schubert. „Nun, eigentlich gehört es zu meinem Beruf, über möglichst viel Bescheid zu wissen. Ich muss mich ja in Paris zurechtfinden und nicht nur auf dem Ausstellungsgelände. Ich habe schon sämtliche Fremdenführer und Stadtpläne durchgeschaut. Beinahe hätte sich die Ausstellung noch verschoben, da die Franzosen hinter dem Zeitplan zurückliegen. Das hätte in Preußen nicht passieren können, da wären wir wohl schon zwei Wochen früher fertig gewesen. Die Ausstellung eröffnet aber nun doch wie geplant. Da wird es eben noch so einige Baustellen geben. Ich befürchte das erschwert auch meine Arbeit, da so mancher Dieb als Bauarbeiter getarnt auf das Gelände gelangen könnte.“ „Sie scheinen ihren Beruf zu lieben. Hatten Sie schon immer vor Polizist zu werden?“ fragt Fräulein Schubert überraschend interessiert. „Es blieb mir nicht viel übrig, da mein Vater im großen Krieg gegen Frankreich gefallen war, hatte meine Mutter etwas dagegen, dass ich beim Militär eine Laufbahn einschlage. Gleich nach meiner Grundausbildung habe ich mich dann für den Polizeidienst gemeldet. Somit habe ich einen ehrbaren Beruf und konnte mich gleichzeitig um meine Mutter kümmern. Einige meiner Kameraden aus der Grundausbildung hat es in die ganze Welt verschlagen, nicht nur in die Kolonien. Als am Anfang des Jahres die Engländer begannen deutsche Schiffe in Südafrika zu kapern, da sie glaubten sie hätten Munition und Waffen für ihre Feinde geladen, haben so einige ihren Dienst quittiert und kämpfen nun freiwillig auf der Seite der Buren in Transvaal gegen die Briten. Hoffentlich werden wir nicht in einen Krieg mit Großbritannien gezogen. Ich denke zwar nicht, dass dies passiert. Unser Kaiser wird sich aus diesem Krieg wahrscheinlich heraushalten, wieso sollte er sich auch mit seiner Großmutter, der englischen Königin, anlegen. Also bleiben wir wohl neutral. Ich bin mal gespannt, wie sich die Engländer und die Buren aus Transvaal auf der Ausstellung verhalten werden. Ich denke da wird es so einige Spannungen zwischen den beiden Parteien geben. Die Engländer verlieren durch diesen Krieg momentan an Ansehen, da jeder denkt, sie haben den Krieg nur begonnen, um an die Bodenschätze dort zu kommen. Mittlerweile sympathisieren insgeheim auch einige mit den Buren, man denke nur an den Attentatsversuch letzte Woche auf den Prince of Wales. Der ist auf der Fahrt nach Kopenhagen in Brüssel von einem Attentäter beschossen worden. Gott sei Dank wurde er nicht getroffen, wer weiß, was das für Folgen gehabt hätte. Was mich allerdings am meisten wunderte ist, dass der Attentäter nur 15 Jahre alt war, ein Junge Namens Sipido. Auf jeden Fall begründete er seine Tat mit dem Überfall der Briten auf Transvaal.“
„Also nicht alle sympathisieren mit den Buren, zumindest nicht die offiziellen der Regierung. Der Kaiser hat dem englischen Botschafter zu dem missglückten Attentat seine Glückwünsche entsendet. Und auch ich bin fest der Meinung, dass so ein Krieg unnötig ist. In den deutschen Kolonien wurde ich stets freundlich empfangen, vor allem in Afrika, da haben sie die christlichen Lehren schneller angenommen als anderswo...“ Nun fängt Pastor Koch wieder zu erzählen an, man muss schon Angst haben das er dabei erstickt, da er beim Reden kaum Luft holt. Hauptsächlich erzählt er über die Eingeborenen und vor allem über ihre Küche. Fräulein Schubert scheint an den Erzählungen sehr interessiert zu sein während ihre Zofe Fräulein Sophie die Augen geschlossen hat und ein bisschen schläft. Während die Landschaft am Fenster vorüberzieht, schließt auch der junge Albert de Menier seine Augen, da die Fahrt noch sehr lange dauert.
Im Bois de Bologne, dem großen Pariser Park am Rande der Stadt, zwitschern die Vögel, und ein zarter Wind bewegt die Blätter der großen alten Bäume. Im Schatten einer alten Eiche sitzen eine junge Frau und ein junger Herr mit ihrem Picknickkorb auf einer Decke. Aus einiger Entfernung hallt aus einem Zigeunerlager freudige Musik zu ihnen herüber. „Oh Phillipe, es ist so schön hier, ich möchte hier nie wieder weg.“ „Aber Lotte, wovon sollen wir dann leben?“ „Von Luft und Liebe!“ „Liebe? Wie meinst du das?“ Das junge Mädchen ist aufgeregt. Jetzt ist wohl der richtige Moment. Sie sollte ihm ihre Liebe gestehen. Ihre Hände fangen an zu schwitzen, ihre Stimme wird ganz klein und sie bekommt fast keinen Ton heraus, aber sie reist sich zusammen. „Muss ich dir das noch sagen?“ „Was meinst du?“ fragt der junge Mann etwas distanziert.
Wieso ist er mit ihr zum Picknick gegangen, wenn er nicht auch etwas empfindet? Wieso fragt er so seltsam? Ist es nicht seine Aufgabe, vor ihr auf die Knie zu fallen und ihr Liebesschwüre zu bekunden? Lotte fängt zu zweifeln an und traut sich nun doch nicht, ihm ihre Gefühle zu gestehen. Vielleicht gibt es an diesem Tag eine andere Gelegenheit. „Lotte, setz dich mit dem Sonnenschirm auf die Decke und leg dich zurück, dann mache ich ein schönes Foto von dir. Das schenke ich dir dann, wenn ich es entwickelt habe.“ Die junge Mademoiselle folgt seinen Anweisungen und schaut ihn dabei ganz verliebt an. Warum stürzt er sich nicht auf mich, es ist doch niemand weit und breit? Was stimmt nicht mit ihm, sie würde ihn nicht abweisen, heute wäre der richtige Tag. Stimmt vielleicht etwas nicht mit ihr? Der junge Mann hält Distanz, er berührt sie nicht einmal zufällig oder sucht ihre Nähe. Kann es sein, dass er sich nicht traut? Kaum hat er das Foto gemacht, kommt er zu ihr zurück und fängt an, den Picknickkorb auszuräumen. Neben einem Baguette und einer kalten Poularde holt er noch eine Flasche Wein hervor. Wahrscheinlich muss er sich erst noch Mut antrinken. Da verzeiht sie ihm, wenn er trinkt, solange es nicht zur Gewohnheit wird. Er schenkt beiden ein und schaut ihr tief in die Augen. Jetzt ist es so weit, jetzt wird er sich trauen, denkt sie sich. Er prostet ihr zu und lächelt dabei, die Gläser geben ein leises Klirren von sich, als sie sich treffen. Mit einem hoffnungsvollen und erwartungsvollen Blick trinkt sie einen kräftigen Schluck, da auch sie hofft, dass der Wein ihre Befürchtungen hinwegspült. Er schaut ihr beim Trinken verträumt zu und lächelt sie an. „Oh Phillipe, was ist auf einmal los, ich fühle mich so eigenartig, ich fühle mich plötzlich so schwach, hilf mi…“ Sie kippt auf einmal nach hinten um, verträgt sie so wenig? Der junge Mann schaut sich um ob jemand in der Nähe ist, steht auf und eilt zu ihr hin…
„Oh sehen Sie, Herr de Menier ist doch tatsächlich eingeschlafen“, bemerkt Pastor Koch zu Fräulein Schubert. „Bei der langen Reise nach Paris ist es auch kein Wunder. Es wäre gut, wenn während der Reise hier im Abteil immer jemand wach ist. Sogar in Europa kann man schnell ausgeraubt werden. Ich habe schon so manches Lehrgeld bezahlt.“ „Das kann ich mir vorstellen Herr Pastor, aber wie haben Sie überlebt, wenn Sie ihr Geld in fernen Ländern, wie zum Beispiel in Afrika oder Asien verloren haben, wie kamen Sie dann ohne Geld zu Recht?“ „Das Geheimnis ist, sein Geld weitestgehend zu verstecken und nur so viel in der Börse zu behalten, wie man für den Tag braucht. Andererseits habe ich aber auch schon gute Erfahrungen gemacht. Menschen – mögen sie noch so arm sein – helfen gerne. Ich habe immer versucht so viel Geld zu verstecken, das ich zur Not zur nächsten großen Stadt komme, in der ich mir dann neues Geld anweisen lassen kann, oder dass ich zur nächsten Mission, oder zum nächsten Kloster komme.“
„Ich möchte diese nette Unterhaltung nicht unterbrechen, aber Sophie und ich sollten langsam in den Speisewagen gehen, bevor wir keinen Platz mehr bekommen. Es wäre schön, wenn Sie uns begleiten würden, aber wie Sie schon sagten, ist es besser, wenn immer jemand ein Augenmerk auf das Gepäck hat. Wären Sie so lieb und schauen auch nach unserem Handgepäck?“ säuselt Fräulein Schubert mit einem Augenaufschlag, bei dem jeder Mann dahinschmelzen würde. „Aber natürlich, das mache ich sehr gerne, außerdem habe ich die Hilfe der Polizei, wenn Herr de Menier wieder aufwacht“, scherzt der Pastor höflich zurück.
Fräulein Schubert schnappt sich Sophie, die ein bisschen vor sich hindöste und verschwindet mit ihr aus dem Abteil. Die beiden machen sich auf den Weg in den Speisewagen.
„Kaum zu glauben, du hast schon wieder einen Verehrer“, grinst Sophie Isabell an, während sie durch die Waggons gehen. Isabell ist nicht nur Sophies „Arbeitgeberin“, sondern auch ihre beste Freundin. Sind sie unter sich, merkt man nichts von einem Angestelltenverhältnis. „Glaubst du wirklich? Meinst du den Pastor oder Herrn de Menier?“ „Tu nicht so, als hättest du das nicht gemerkt. Herr de Menier konnte dich kaum anschauen und wurde rot im Gesicht, das fand ich sogar recht süß. Er scheint mir nur ein bisschen schüchtern zu sein.“ „Wenn du ihn so süß findest, kannst du dich gerne um Ihn bemühen. Ich befürchte, dass mich ein schüchterner Mann schnell langweilen wird. Ich brauche jemanden, der mich in die entferntesten Ecken der Welt entführt und sich todesmutig jeder Gefahr stellt, um mich zu beschützen. Er muss mich vor den Pranken der indischen Tiger retten, mich aus den Klauen siamesischer Piraten befreien und mich vom Totempfahl der amerikanischen Indianer losschneiden. So sieht der richtige Mann für mich aus!“ „Oh Isabell, du liest zu viele Liebesromane. Glaubst du, so einem Mann reicht eine einzige Frau? Wenn der Alltag an die Türe klopft, wirst du vom indischen Tiger gefressen, von den Piraten über die Planke geschickt oder wartest bis zur Unendlichkeit am Marterpfahl der Indianer. Ein Mann, der ein bisschen schüchtern ist, wird dir treu sein.“ „Treue will ich ja auch, aber es muss doch auch einen Mann geben, der alles für mich riskiert, mir trotzdem ein Leben lang treu bleibt und ein guter Vater für meine Kinder wird.“ „Natürlich gibt es solche Männer, aber die haben dir Schneewittchen und Dornröschen schon weggeschnappt. Ich denke Herr de Menier ist nicht der Traumprinz, aber ich finde ihn doch sehr nett.“ „Ja, er scheint nett zu sein, und Aussehen tut er auch nicht so schlecht, aber mein Vater würde mich enterben, wenn ich mit einem Mann ankomme, der keinen Titel oder keine Fabrik besitzt. Wie gesagt, du kannst dich ja um ihn bemühen.“ „Daraus wird wohl nichts, er hat nur Augen für dich und das wäre kein guter Start. Ein Mann soll nur Augen für mich haben. Eine Frau sollte nicht um einen Mann kämpfen müssen, wie du schon sagtest, ein Mann hat die Pflicht, um die Frau seines Herzens zu kämpfen.“ „Ach Papperlapapp, du bist zu zimperlich, Männern muss man den richtigen Weg weisen, wenn er merkt, dass er bei mir keine Chancen hat, schlägt deine Stunde, dann kannst du ihn trösten.“ „Ich weiß nicht recht, das fühlt sich nicht richtig an. Ich glaube wir sollten das Thema wechseln, hast du schon gewählt, was du essen willst?“ versucht Sophie sich zu retten. „In Ordnung, lassen wir das Thema, aber denke daran, wir Frauen sind in der Überzahl, auf 5 Millionen heiratsfähige Männer kommen 6 Millionen Frauen, da geht so manche leer aus, am Ende stirbst du noch als alte Jungfer. Zur Not kannst du vielleicht eine Braut Gottes werden und dich in ein Kloster begeben. Oder du könntest in die Kolonien gehen, da herrscht noch Frauenmangel“, stichelt Isabell noch einmal nach.
Bevor Sophie allerdings antworten kann, unterbricht sie der Kellner und nimmt die Bestellung auf. „Hast du deinem Vater Bescheid gesagt, wann wir morgen in Paris ankommen? Er wollte uns doch Klaus den Fahrer schicken, um uns am Bahnhof abzuholen.“ „Oh, das habe ich doch tatsächlich vergessen. Aber was soll`s, das wird sicherlich ein Spaß mit den öffentlichen Verkehrsmitteln durch Paris zu reisen. Das wird unser erstes Abenteuer.“
„Abenteuer? Ich denke eher es wird eine Qual mit dem ganzen Gepäck durch die Stadt zu kommen. Wieso hast du auch so viel mitgenommen, ich dachte du wolltest hier groß einkaufen gehen.“ „Ach Sophie, du kennst mich doch, ich kann mich oft nicht entscheiden und dann habe ich nichts zum Anziehen, es muss doch alles zusammenpassen. Kaufe ich mir neue Schuhe, passen sie wahrscheinlich nicht zu meinen Kleidern, also brauche ich ein neues Kleid. Natürlich finde ich nicht gleich das passende Kleid zu den neuen Schuhen, aber dafür ein anderes Kleid was mir sehr gut gefällt, wozu ich dann wieder andere Schuhe brauche. Ich denke du verstehst meine Misere. Naja, dann habe ich noch das gleiche Problem mit Hut, Schirm, Fächer und nicht zu vergessen dem Schmuck, ich brauche dann neuen Schmuck. Also bis ich die passenden neuen Kombinationen gefunden habe, muss ich eben das altbewährte anziehen.“ „Hast du auch etwas anderes in Paris vor, als einkaufen zu gehen? Wir werden doch den Louvre und andere Museen anschauen. Ich will unbedingt mal auf den Montmartre zu den ganzen Malern und Künstlern. Auf jeden Fall darf auch der Eiffelturm nicht fehlen.“ „Natürlich Sophie, der Louvre und der Eiffelturm sind doch Pflicht, ebenso wie die großen Kaufhäuser...“
„Verzeihen Sie meine Damen, wenn ich mich vorstellen darf, mein Name ist Graf Georg der Erste zu Limburg. Da hier im Speisewagen alles besetzt ist, wollte ich Sie fragen, ob die reizenden Damen etwas dagegen hätten, wenn ich mich zu Ihnen an den Tisch setze?“ Sophie wollte schon ein bisschen zur Seite rücken, als Isabell schnell antwortet „Oh das tut mir leid, aber wir benötigen diesen Platz noch für meinen Verlobten, der jederzeit kommen muss.“ Mit diesen Worten hat Isabell den gut gekleideten Herren mit Monokel und Zylinder abgewiesen, der sich kurz für die Unterbrechung entschuldigt und schließlich drei Tische weiter geht und dort einen Platz bei zwei Herren findet.
„Aber Isabell, wieso hast du denn den Grafen angeschwindelt? Oder kommt da noch ein Verlobter, von dem ich nichts weiß? Erwartest du etwa doch noch Herrn de Menier?“ spöttelt Sophie. „Hast du das nicht gemerkt? Wenn das ein Graf ist, bin ich die Kaiserin von China. Dieser Mann hatte zwar einen schicken Anzug an, der ihm aber nicht im Geringsten gepasst hat. Der war nicht nur viel zu groß, es ist mindesten 5 Jahre her, dass der Anzug mal Modern war. Mit Kleidung kenne ich mich aus, auch mit Herrenkleidung. Außerdem waren seine Hände voller Schwielen von harter Arbeit und ich glaube nicht, dass es einen Grafen von und zu Limburg gibt.“ „Vielleicht ist er von dem weitverbreiteten verarmten Adel?“ erwidert Sophie. „Nein, nein, wäre er vom verarmten Adel, würde er nicht erster Klasse nach Paris reisen, außerdem kostet sein Anzug trotzdem noch genügend Geld, auch wenn er mindestens schon 5 Jahre alt ist. Also glaub mir, mit dem stimmt etwas nicht.“ „Schade, mit dem wäre dein Vater sicherlich einverstanden - einen Grafen!“
Während des Essens haben die beiden die Möglichkeit den „Grafen“ zu beobachten und Isabell fühlt sich immer mehr bestätigt, dass sie Recht hatte. Nachdem der Graf die beiden Herren drei Tische weiter, ohne etwas zu bestellen, wieder verlassen hat, fangen diese sehr nervös an, nach ihren Geldbörsen zu suchen. Als sie diese nicht finden verständigten sie den Schaffner, der sich auf die Suche nach dem Grafen macht. Allerdings war der Graf nicht mehr zu finden - wie vom Erdboden verschluckt.
„Gut, dass du gemerkt hast, dass bei dem etwas nicht stimmt. Ich glaube mir wäre die Lust auf Paris vergangen, wenn wir ausgeraubt worden wären. Allerdings ist mir doch ein bisschen mulmig, wenn man so etwas direkt mitbekommt. Ob die beiden ihr Geld wiederbekommen?“ „Ich glaube die haben soeben ihr Lehrgeld bezahlt, man kann nur hoffen, dass sie es wie Pastor Koch handhaben und nicht alles Geld in ihren Börsen hatten. Auch wenn der Schaffner den Grafen gefunden hätte, wäre es fraglich, ob er sich getraut hätte, diesen zu beschuldigen oder sogar zu durchsuchen. Entweder hat er sich schon längst anders verkleidet, und wenn nicht, hat er das Diebesgut mittlerweile weiter gereicht. Es könnte sogar sein, dass der Dieb den Zug beim letzten Halt verlassen hat“, antwortet Isabell und ruft zugleich den Kellner zum Bezahlen zu sich. Noch auf dem Weg zum Abteil kann es Sophie nicht fassen und hört nicht mehr auf, über den Vorfall zu reden.
Als Albert wieder aufwacht scheint draußen noch die Sonne, Fräulein Schubert und Sophie sind verschwunden, allerdings ist das Handgepäck der beiden noch da. Er fragt den Pastor, der in ein Buch vertieft ist: „Wo sind denn die Damen abgeblieben?“ „Die beiden sind vor einer halben Stunde in den Speisewagen verschwunden und haben mich gebeten auf ihre Sachen aufzupassen.“ „Warum sind Sie nicht mitgegangen? Haben Sie denn keinen Hunger?“ fragt Albert den Pastor „Ach, ich reise nie ohne mein Proviantpaket, das habe ich auf meinen langen Reisen gelernt.“ Als der Pastor dies sagt, hebt er seine große Tasche aus der Ablage und öffnet diese. Da staunt Albert nicht schlecht, denn was sich in dieser Tasche befindet, reicht wohl für mehrere Wochen. Höflich wie der Pastor ist, bietet er ihm ein Stück Brot und getrocknete ungarische Salami an. „Es geht doch nichts über ein Stück Salami mit Schwarzbrot. In Paris werden wir so leckeres Brot nicht mehr so schnell bekommen“, grinst der Pastor während er genüsslich in das Brot beißt. „Da müssen Sie aber bis Paris alles aufessen, sonst bekommen Sie noch am Zoll Ärger. Die haben es nicht gern, wenn man Lebensmittel ins Land einführt, vor allem Fleisch und Wurstwaren“ „Ach was, ich habe bisher noch bei keinem Zollbeamten meine Tasche öffnen müssen.“ „Aber Herr Pastor, Sie können mir doch nicht sagen, dass Sie etwas über die Grenze schmuggeln wollen, ich bin doch Polizist.“ „Das dürfen Sie nicht so eng sehen, Sie sind schließlich kein Belgier oder Franzose, da kann Ihnen das doch egal sein. Außerdem, wenn ich in meine Bibel schaue, kann ich keine Passage finden, die besagt, dass man kein Essen mit nach Frankreich nehmen darf und für mich gelten in erster Linie die Gesetze Gottes. Ich denke es wäre eine größere Sünde, wenn ich das alles hier wegschmeißen müsste.“ „Zugegeben, das wäre Verschwendung, aber Sie bringen mich in eine missliche Lage, da ich jetzt davon weiß.“ „Also wenn Sie deswegen ein schlechtes Gewissen haben, können Sie ihr Gewissen bei mir durch eine Beichte erleichtern und ich gebe Ihnen die Absolution. Ansonsten müssten wir alles aufessen und auch noch meinen schlesischen Quittenlikör leeren, ich hoffe doch, dass Sie mir dabei helfen?“ Was soll man da noch antworten, da bleibt Albert nichts anderes übrig, als ein oder zwei Gläschen mitzutrinken, und er nimmt dankend an.
Albert startet eine Unterhaltung mit dem Pastor, am besten über sein Lieblingsthema – nein, nicht das Essen - sondern über die Kolonien: „Glauben Sie, dass es den Eingeborenen in den Kolonien besser geht, seitdem wir sie kolonialisiert haben?“ „Natürlich, ohne uns hätten sie nicht zu Gott gefunden und die medizinische Versorgung, die sie durch uns genießen. Da sollten die Eingeborenen dankbar sein.“ „Wenn es ihnen so viel besser geht, warum gibt es dann immer wieder Aufstände, wie z.B. in Indien oder sogar in China, da soll es mittlerweile auch Probleme mit dieser Boxersekte geben.“
„Das sind doch alles Ignoranten, die sehen nicht den Fortschritt und die Vorteile, die sie haben. Sehen Sie, ich war auch eine Zeitlang in China und da habe ich Kontakt zu diesen Boxern gehabt. Früher haben diese Menschen ihr Geld unteranderem damit verdient, Reisende gegen eine Entlohnung zu begleiten, um diese zu beschützen. Allerdings versiegte ihre Einnahmequelle, seitdem es die Eisenbahn dort gibt, und das Reisen dadurch vereinfacht wurde. Jetzt geben sie uns die Schuld, dass sie kein Geld mehr verdienen und versuchen die Ausländer aus ihrem Land zu drängen. Das sind aber zum Glück nur wenige und die chinesische Kaiserregentin sieht auch die Vorteile durch den Fortschritt. Ich denke, das legt sich wieder.“
„Also gewinnt bei der Kolonialisierung jeder? Die Eingeborenen durch unsere Technik und wir durch die Rohstoffe? Ich bin echt gespannt, wie sich die Kolonien auf der Ausstellung präsentieren, ich glaube kaum, dass ich je in eine Kolonie reisen werde.“ „Wieso eigentlich nicht, es werden immer gute Leute gesucht, sei es durch die Missionen oder durch einen der zahlreichen Schlotbarone.“ „Schlotbarone?“ fragt Albert zurück. „Schlotbarone sind die Fabrikbesitzer, deren Fabriken mit Kaminen für Energiegewinnung oder Rohstoffverhüttung bestückt sind? Also verdienen sie ihr Geld durch ihre Schlote. Aber ich würde es natürlich begrüßen, wenn Sie im Dienste der Missionen in die Kolonien reisen - zum Wohl der Menschheit“, entgegnet der Pastor.
„Es gibt zu viele Glücksritter, die einfach ohne nachzudenken in die Kolonien reisen, um reich zu werden. Man hört immer nur von denen, die es geschafft haben, aber auf einen der Glücklichen, die reich wurden, kommen mindestens 1.000, die es nicht geschafft haben, und wenn sie mit ihrem Leben davon kommen, kann man sie noch als glücklich bezeichnen. Jemand der wegen des Geldes in die Kolonien reist, ist auch blind, für all die herrlichen Plätze, die Aussichten, die Sonnenuntergänge, oder die vielen bunten Vögel in den Regenwäldern. Da weiß man erst, was für eine gute Arbeit unser Herrgott geleistet hat.“ „Wie kommt es eigentlich, dass ein Franzose ihre Mission unterstützt, von den 38 Mio. Franzosen sind gerade mal 2-3 % Protestanten.“ Nach kurzem Überlegen antwortet der Pastor: „Mein Gönner ist eigentlich in Preußen aufgewachsen, da seine Vorfahren des Glaubens wegen aus Frankreich vertrieben wurden. Aber das wissen Sie ja am besten, Sie kennen ja die Schicksale der französischen Protestanten. Im Gegensatz zu Ihnen hat er sich aber nie als deutscher gefühlt und ist vor einigen Jahren nach Paris in die Heimatstadt seiner Vorfahren gezogen.“
Die Unterhaltung wird durch die Rückkehr der beiden hübschen jungen Damen aus dem Speisewagen unterbrochen. Albert muss aufpassen, dass er Fräulein Schubert nicht wieder anstarrt und schaut fast zu auffällig weg. Er muss unbedingt einen Weg finden, sich zu beherrschen, aber diese Frau verwirrt ihn, er weiß nicht, wie er sich verhalten soll. Zum Glück ist er in diesem Abteil nicht allein mit den beiden jungen Frauen, sein Verhalten würde sonst den Anschein vermitteln, er sei ein Psychopath.
Da übernimmt Pastor Koch glücklicherweise wieder die Initiative und spricht zu Isabell: „Ihrem Gepäck geht es gut, ich habe es keinen Moment aus dem Auge gelassen.“
„Na das ist schön, geht es meinen Spinnen auch gut?“ fragt Fräulein Schubert mit einem ernsten Gesichtsausdruck.
Da weiten sich den beiden Männern die Augen. „Soll das heißen, Sie haben in ihrer Tasche Spinnen?“ fragt Albert entsetzt und rutscht automatisch ein bisschen weiter von den Taschen weg. „Ich hoffe doch, dass die gut weggesperrt sind“, fügt Pastor Koch noch hinzu. Bevor jedoch Fräulein Schubert etwas sagen kann, fängt ihre Zofe Fräulein Sophie laut zu lachen an, und auch Fräulein Schubert kann sich das Lachen nicht mehr verkneifen. „Keine Angst, die Spinnen sind gut weggesperrt, hier in diesen kleinen Kästen“, erklärt sie und packt zwei Schaukästen aus, in denen je eine große Spinne festgepinnt ist.
„Sehen Sie, die sind vollkommen ungefährlich, die beiden Tierchen sind nicht mehr am Leben. Ich bringe sie meinem Vater als Exponate für die Ausstellung, damit die Besucher sehen können, wer für die tollen Stoffe eigentlich verantwortlich ist. Erst wollten wir lebende ausstellen, aber die Gefahr ist zu groß, dass sie geraubt werden und jemand anderes mit der Produktion beginnt.“
„Ich glaube, das wird auf der Ausstellung ein generelles Problem sein, dass neue Techniken oder auch Produkte geklaut werden, um sie nachzubauen. Damit werde ich wahrscheinlich im Dienst öfters zu tun bekommen. Es ist dank der Technik immer einfacher zu spionieren. Die Kameras werden immer besser und kleiner. Seit es die kleinen Kameras ohne Platten sondern mit Film gibt, kann mittlerweile jeder damit umgehen. Klar muss man auf der Ausstellung die Aussteller um Erlaubnis fragen, aber so ein Foto ist schnell gemacht. Mit der Handkamera darf man kostenlos fotografieren, aber die professionellen Fotografen müssen pro Tag 25 Franc oder sogar 1000 Franc für die gesamte Dauer der Ausstellung zahlen, um eine Profikamera aufstellen zu dürfen.“
„Gut zu wissen, worauf man achten muss, ich habe von meinem Vater eine Kamera bekommen und auch schon viel damit herumexperimentiert. Auf so einer Reise wäre es ein Verbrechen, wenn man seine Kamera vergessen hätte“, während Isabell dies sagt, holt sie aus ihrem Handgepäck eine Filmkamera heraus und präsentiert sie stolz. „So etwas hätte ich auf meinen Reisen auch haben sollen, was für schöne Motive ich gesehen habe, sei es bei den Eingeborenen oder in der Tier- und Pflanzenwelt, einfach schade, dass ich mir da keine Andenken machen konnte“, bedauert der Pastor während er sich die Kamera anschaut.
„Da kommt mir eine Idee!“ ruft Isabell aus. „Was halten Sie davon wenn ich ein Foto von uns mache, das erstes Foto meiner Parisreise.“ Bevor jemand überhaupt etwas dagegen sagen konnte zielt sie schon mit dem Objektiv auf die Mitreisenden, die gerade noch genügend Zeit hatten, sich in Pose zu setzten, bevor es klick macht. „So das war`s schon. Das hat doch nicht wehgetan oder?“ „Das nicht, aber ich hoffe doch, dass Sie mir und Herrn Pastor Koch einen Abzug zukommen lassen?“ „Gerne, wo soll ich es denn hinschicken?“ fragt Isabell nach. Das lässt sich der junge Albert nicht zweimal sagen und reicht Isabell seine Visitenkarte mit den Worten: „Bitte sehr, auf dieser Karte steht allerdings nur meine Adresse in Berlin, ich werde Ihnen noch schnell meine Unterkunft in Paris aufschreiben, sonst muss ich ewig auf einen Abzug warten. Ich habe eine Privatunterkunft für die gesamte Dauer der Weltausstellung, sie befindet sich in der Avenue d`Antin.“ Mit diesen Worten schreibt Albert seine Pariser Adresse auf die Rückseite der Karte.
„Das ist witzig, meine Unterkunft ist in der Avenue Montaigne, ganz in ihrer Nähe“, meldet sich Pastor Koch zu Wort und gibt Isabell und Albert auch seine Visitenkarte. Am Ende tauscht schließlich jeder mit jedem seine Karte aus, dabei kommt auch heraus, dass Isabell und Sophie ein Appartement in der Rue de Rivoli haben, also wohnen zufällig alle recht nah beieinander.
„Vielleicht können wir uns alle in den nächsten Tagen in Paris mal treffen? Es ist selten, dass man auf einer Fahrt eine so nette Gesellschaft kennen lernt“, fragt Albert natürlich „ohne“ Hintergedanken in die Runde. Pastor Koch willigt begeistert ein und Isabell nach kurzem Zögern schließlich auch.
„Gehen die Herrschaften gerne ins Theater oder in die Oper? Ich habe gehört man soll unbedingt ins Théâtre française gehen, dass soll ein Muss sein, man spielt dort französische Klassiker - Dramen und Lustspiele, dort könnten wir uns doch in den nächsten Tagen treffen?“ schlägt Pastor Koch vor, worauf Isabell gleich ins Wort fällt: „Daraus wird wohl nichts. Das Théâtre française ist am 8. März abgebrannt und wird wahrscheinlich erst im Juli wieder eröffnet, das werden wir während unseres Aufenthaltes leider nicht anschauen können. Das stand doch in allen Tageszeitungen. Allerdings führt das Ensemble seine Vorführungen im Odeon Theater oder in der Oper auf, wenn dort spielfrei ist. Es gibt aber auch genügend andere Möglichkeiten wie die Opera-Comique, das Palais Royal, eines der Kabaretts, oder wir besuchen eines der Cafés Concert.“ „Das wäre auch nicht schlecht, da müssen wir allerdings auch einen Tag finden, an dem wir alle Zeit haben. Dann kann man vielleicht auch eher sehen, welche Etablissements in Frage kommen. Allerdings muss ich jetzt schon sagen, dass ich meine Termine für meine Vorträge in der Missionars-Sonderausstellung erst noch bekommen werde“, wirft der Pastor mit bedauern ein. „Dem muss ich leider beipflichten“, meldet sich Albert zu Wort, der eigentlich die Idee dazu hatte, „Ich werde die ersten Tage auch noch viel zu tun haben, ich muss mich zum Dienst melden und werde mich mit der französischen Gendarmerie anfreunden müssen, man wird mir wahrscheinlich so einen Flick an die Seite stellen. Erst muss ich morgen zur Gesandtschaft des Deutschen Reiches in der Rue de Lille und anschließend zur Polizeipräfektur auf der Île de Cité im Zentrum der Stadt. Morgen ist auch noch der einzige Tag, an dem ich eine Bank aufsuchen kann, um meine Wertsachen zu hinterlegen. Schließlich beginnt übermorgen auch mein Dienst, dann habe ich erst mal keine Zeit mehr“, muss Albert mit Bedauern feststellen. Dieses Treffen wird wohl nicht zustande kommen.
Mittlerweile ist es schon recht spät und es wird ruhig im Abteil, einer nach dem anderen legt sich zurück und macht die Augen zu. Das beständige Geräusch „Ta-Tack, Ta-Tack,“ welches die Räder machen, wenn sie über die Schwellen rollen, begünstigt den Schlaf, es ist ein monotones, beruhigendes Klacken.