Читать книгу Albert de Menier - Exposition Universelle Die Gotteskinder von Paris - Benjamin Klunzinger Karl - Страница 6
13.04.1900 Willkommen in Paris
ОглавлениеAm nächsten Morgen rattert der Zug immer noch beständig Richtung Paris, nach und nach erwachen die Reisenden im Abteil. Doch schon nach kurzer Zeit wird der Zug immer langsamer und bleibt letztendlich stehen. Man verspürt plötzlich eine Unruhe im Zug und der Schaffner saust durch den Gang und ruft: „Tout le monde descend – alles raus hier!“ Dies bedeutet anscheinend, dass der Zug in Verviers an der Deutsch-Belgischen Grenze angekommen ist.
Die Reisenden packen alle ihr Handgepäck und verlassen genervt den Zug. Sie begeben sich ins Zollhaus und stellen sich in 5 Reihen an einem langen Tisch an, hinter dem auch 5 Zollbeamte stehen. In diesem Moment beobachtet Albert, wie sich Pastor Koch verhält, der seine Tasche ja mit Lebensmittel und auch Alkohol gefüllt hat - sein Reiseproviant. Er hätte sich besser nicht hinter ihn stellen sollen, denn wenn er seine Tasche öffnet und der Zollbeamte den Inhalt sieht, wird es ganz schön lange dauern, bis es in der Schlange weiter geht. Einer nach dem anderen wird abgefertigt und Albert wird immer nervöser. Nicht so der Pastor, der steht in aller Seelenruhe da und nähert sich Schritt für Schritt dem langen Tisch. Nur noch die eine Dame und dann kommt der Pastor an die Reihe...
Doch was ist denn jetzt los? Als die Dame vor dem Pastor an der Reihe ist kommt noch ein zweiter Beamter hinzu und die beiden fangen mit der Dame zu diskutieren an. Die Beamten auf Französisch und die Dame auf Deutsch. Das kann jetzt dauern, bis das geklärt wird und dann anschließend noch unser Herr Pastor. In diesem Moment schreitet Pastor Koch nach vorne und vermittelt zwischen den diskutierenden. „Madame, die Beamten versuchen Ihnen doch nur klar zu machen, dass Sie keine Lebensmittel mitführen dürfen, Sie müssen ihre zwei Wurststullen aus der Handtasche nehmen, sonst lassen Sie die Zollbeamten nicht durch. Seien Sie froh, wenn Sie nicht noch eine Strafe bekommen.“ Als die Dame etwas von einer Strafe hört, ist sie sofort ruhig und überlegt kurz, was sie als nächstes machen soll, während der Pastor sich an die Beamten wendet und ihnen auf Französisch mitteilt, das die arme Frau nichts davon wusste und natürlich die beiden Brote entsorgen wird. Die beiden Zollbeamten schauen die Dame streng an, während diese die Brote in aller Eile mürrisch verschlingt. Zu aller Zufriedenheit verschließt der Zollbeamte schließlich die Tasche und macht sein Prüfzeichen dran. Die anderen vier Warteschlangen sind schon fast abgearbeitet und der Beamte muss sich nun sputen, da der Schaffner an der Türe steht und mit dem Finger auf seine Uhr zeigt, da der Zug schon Verspätung hat.
Als nun Pastor Koch an der Reihe ist, bedankt sich der Beamte für seine Hilfe, zeichnet ohne hineinzuschauen seine Tasche ab und Albert ist an der Reihe.
Dieser ist noch ganz baff vom Pastor, als ihn der Zollbeamte verärgert zum wiederholten Male fragt, ob er etwas zu verzollen hätte. Als Albert dies verspätet verneint, nimmt der Zollbeamte seine Tasche in die Hand und räumt alles auf den Tisch. Man soll einen viel beschäftigten Beamten nicht warten lassen. Albert bereut es, dass er einen Satz Kleidung zum Wechseln in seinem Handgepäck verstaut hatte, denn ganz oben auf dem Stapel, den der „nette“ Beamte aus seiner Tasche holte, liegt natürlich seine Unterwäsche und der gute Albert merkt wie sich Isabell und Sophie hinter ihm amüsieren. Jetzt ist auch er genervt und gestresst und begibt sich murrend in den Warteraum, wo er Pastor Koch trifft. „Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu. Wenn die wüssten, was Sie alles in ihrer Tasche haben, hätte man Sie wohl eingesperrt.“ „Wieso sind Sie denn so gereizt mein lieber Herr de Menier, ich habe Ihnen doch gesagt, dass der Herr für mich sorgt und ich noch nie eine Tasche öffnen musste.“ „Wir werden sehen, ob Sie auch bei der Kontrolle an der Französischen Grenze davonkommen“, entgegnet Albert und ist wirklich gespannt, ob der Pastor beim nächsten Zollamt erwischt wird.
„Das ist ein Skandal!“ mit diesen Worten taucht Isabell hinter den beiden Herren wutschnaubend auf. Süß wie sie aussieht, wenn sie wütend ist. Sie lässt sich auch kaum von Sophie beruhigen, bis sie dann erzählt, wieso Isabell so aufgebracht ist. „Ich wollte meinen Vater überraschen und ihm zwei Packungen seiner Lieblings-Zigaretten mitbringen, da er die in Paris nicht bekommt und da nimmt man mir die eine weg und sagt mir, ich dürfte nur 12 Stück mitnehmen. Ich wette der hässliche Kerl raucht sie nach Feierabend.“ „Wussten Sie nicht, dass man nicht mehr einführen darf? Sie hätten doch die anderen 12 Zigaretten Fräulein Sophie geben können, dann hätte jeder die maximale Menge gehabt“, als Albert dies erwähnt, ärgert sie sich noch mehr. „Wieso habe ich nicht selbst daran gedacht! Aber wenn der Beamte so mürrisch guckt, kann man nicht nachdenken. Wenigstens musste ich nicht meine Geheimnisse, wie Sie die ihren offenbaren.“ Womit sie wohl auf die Unterwäsche, die Albert auspacken musste, anspielt und den Ärger an den armen Albert auslässt. Dieser schmollt kurz, und bevor er noch etwas erwidern kann flüstert ihm Sophie zu: „Machen Sie sich nichts daraus, Sie sind mit Sicherheit nicht der erste, der so bloßgestellt wird, nachher tut es ihr sicherlich leid, dass sie etwas zu ihrer peinlichen Situation von vorhin gesagt hat.“ Bevor das Thema noch weiter erörtert wird, öffnen sich zum Glück die Türen des Warteraumes und alle können wieder in den Zug steigen.
Während die Gesellschaft ihr Abteil betritt, wendet sich Isabell an Albert: „Es tut mir schrecklich leid Herr de Menier, dass ich Sie so bloßgestellt habe, aber ich war in diesem Moment so verärgert und da geht manchmal das Temperament mit mir durch.“ „Es ist schon gut Fräulein Schubert, machen Sie sich keine Gedanken, ich bin hart im Nehmen, so eine Kleinigkeit bringt mich nicht aus der Ruhe.“
Um wieder Ordnung in das Abteil zu bringen, beginnt der Pastor mit einer Unterhaltung, und nicht wie zu erwarten, über Essen oder Kolonien, nein, er wendet sich an Isabell: „Bereuen Sie es nicht, dass Sie am 6. Mai nicht in Berlin sind? Da ist doch der Geburtstag unseres Kronprinzen und die große Feier zu seiner Volljährigkeit.“ „Das habe ich mir auch schon überlegt, wie ich das bewerkstelligen soll, eigentlich muss man da in Berlin sein, selbst der österreichische Kaiser Franz kommt mit Erzherzog Ferdinand zwei Tage zuvor am 4. Mai in die Stadt. Der österreichische Kaiser war das letzte Mal kurz nach dem Tode seines Sohnes da - und da war ich noch ein kleines Mädchen. Die ganze Stadt wird in einem Ausnahmezustand verfallen. Man wird keinen Friseurtermin mehr bekommen, die Schneider sind ausgebucht, die Schuster haben keine Zeit mehr und bei den Juwelieren gibt es nur noch den langweiligen Rest, mit dem man kaum auffällt, also wie gesagt eine Katastrophe.
Was denken Sie wie es wäre, wenn ich dort mit einem Kleid von einem der Pariser Schneider der Grande Couture wie Redfern, Felix oder einem anderen aus dem Quartier de l`Opéra oder de la Bourse auftauchen würde, die würden sich alle nach mir umdrehen. Vielleicht lasse ich mir noch ein schönes Schmuckstück bei einem der Juweliere aus der Rue de la Paix anfertigen, die Zeichner kommen direkt zu mir nach Hause und entwerfen ein Schmuckstück nach meinen Vorstellungen. Natürlich wäre es sinnvoll, wenn ich davor schon ein passendes Kleid als Grundlage hätte.“ „Glauben Sie, dass Sie das alles zeitlich hinbekommen? Vor allem müssten Sie sehr früh aus Paris zurück fahren. Es wäre doch schade, wenn Sie nur die Hälfte dieser schönen Stadt sehen würden.“ Mit diesen Worten versucht der junge Albert sein Bedauern zu äußern, dass diese hübsche Frau so schnell wieder aus seinem Leben gerissen wird – er kann Paris schließlich das nächste halbe Jahr nicht verlassen. Die Stadt der Liebe verwandelt sich für Albert wohl sehr schnell in die Stadt der Trauer und der Sehnsüchte.
„Wenn ich mir etwas vorgenommen habe, habe ich es bisher auch immer geschafft. Das wird ein enger Zeitplan, aber ich werde es schaffen nach Berlin zurückzufahren, meinen großen Auftritt zu haben und anschließend wieder nach Paris zurückzukommen und den Rest der Stadt und der Ausstellung zu genießen. Ich kann mir eben diese Gelegenheit nicht entgehen lassen, es kommen aus allen Herren Länder die Vertreter. Unter anderem auch die Kronprinzen aus Italien und Rumänien, der Herzog von York, der russische Großfürst Konstantinowitsch, die Prinzen Karl von Schweden, Leopold von Bayern und Albrecht von Württemberg…“
„Sie können sich doch den ganzen Stress sparen, im Deutschen Haus auf der Ausstellung wird es exorbitante Feierlichkeiten zu diesem großen Tage geben, wenn nicht dort, dann mit Sicherheit im deutschen Konsulat. Es werden zwar keine Prinzen und Herzöge aus allen Herren Ländern da sein, aber zumindest werden Sie mich antreffen“, meldet sich Albert mit einem verschmitzten Lächeln zu Wort, ohne zu wissen wie Isabell darauf reagiert. „Aber Herr de Menier, so verlockend sich das auch anhört, habe ich doch gesellschaftliche Pflichten und muss mich in Berlin sehen lassen.“ Albert merkt, dass man Isabells Herz nicht so leicht erobern kann. Vielleicht ist es jetzt nicht der richtige Zeitpunkt.
Man glaubt gar nicht wie schnell die Zeit vergeht, da der Zug schon wieder langsamer wird und zum Stillstand kommt - sie haben die Französische Grenze erreicht.
Langsam öffnet Lotte ihre Augen, ihr Schädel brummt, was ist nur geschehen? Es ist dunkel, nur unter einem Türspalt dringt etwas spärliches Licht an den Ort, wo sie sich befindet. Sie ist etwas verwirrt, sie war doch gerade mit Phillipe im Park, und die Sonne hat ihre Nase gekitzelt, was ist nur geschehen? „Phillipe? Phillipe? Bist du da?“ Leider bekommt sie keine Antwort. Oh mein Gott, was ist nur passiert? Hoffentlich ist Philippe nichts geschehen. Sie versucht sich im Dunkeln zurechtzufinden. Vorsichtig steht sie auf und tastet sich vorwärts, sie kann einen kleinen Tisch ertasten und mit äußerster Vorsicht spürt sie etwas auf diesem. Lotte erkennt dieses Objekt, als sie es in die Hand nimmt. Es ist tatsächlich eine Petroleumlampe. Wo eine Lampe ist, wird das Feuer nicht weit sein, sie tastet weiter auf der Tischoberfläche und hat Glück, das fühlt sich wie eine Streichholzschachtel an. Nervös öffnet sie es und holt ein Zündhölzchen heraus. Sie ist sich nicht ganz sicher, ob sie wirklich sehen will, wo sie ist, die Dunkelheit hat momentan auch etwas Beschützendes. Die junge Frau streicht das Zündholz und eine Flamme entzündet sich, welche sie gleich an die Petroleumlampe weitergibt. Die zappelnde Flamme erhellt den Raum, und sie ist entsetzt. Sie scheint in einem Keller zu sein, auf der einen Seite befindet sich das steinerne Gewölbe, welches eine Kälte ausstrahlt. Ansonsten ist ihre Zelle, anders kann man das hier nicht nennen, mit Holzbrettern und einer Holztüre abgegrenzt. Sie weiß nicht, ob sie noch mal rufen soll, wer weiß wer dann kommt, hoffentlich ist Phillipe nichts passiert. Haben sie ihn etwa getötet? Oh mein Gott, wahrscheinlich! Er hätte mit Sicherheit um sie gekämpft, er muss tot sein, sonst hätte sie nie entführt werden können. Lotte grübelt darüber nach, wie lange sie bewusstlos war, in diesem Zustand hätte man wer weiß was mit ihr anstellen können, im gleichen Moment wird sie panisch, hat man etwa wer weiß was mit ihr gemacht? Hat man etwa ihre Unschuld geraubt? Sie spürt keine Schmerzen, aber wieso sollte man sie sonst betäuben, wenn nicht deswegen?
Man kann hören wie sich Schritte nähern, der Schlüssel wird in das Schloss geschoben und mit einem knarzenden Geräusch öffnet sich die Türe. Das Mädchen schreckt zusammen,…
Der Schaffner fordert die Reisenden an der Grenze zwischen Belgien und Frankreich erneut auf, den Zug mit dem Handgepäck zu verlassen und zum Zollhäuschen zu gehen. Pastor Koch schleppt wiederum seine Provianttasche mit sich und Albert ist gespannt, ob dieser nun diesmal kontrolliert wird. Es sind sechs Warteschlangen, an denen man sich anstellen kann. Nachdem sich Albert angestellt hat und Isabell mit Fräulein Sophie hinter ihm, stellt sich der Pastor in eine der anderen Reihen an. Der wird wohl auf uns Rücksicht nehmen wollen, um uns nicht zu kompromittieren, wenn er seine Tasche öffnen muss, das ist aber anständig von ihm, denkt sich Albert noch. Da die Schlange des Pastors schneller abgefertigt wird, sieht Albert, wie der Pastor nun an die Reihe kommt. Nach dem der Beamte fragt, ob der Pastor etwas zu verzollen hätte, verneint er dies. Jetzt ist er fällig, jetzt wird er erwischt! Aber nein, der Zollbeamte markiert ohne hineinzuschauen die Tasche des Pastors und wünscht ihm noch einen schönen Tag.
Nachdem alle anderen auch abgefertigt wurden, eilt Albert zum Pastor in den Warteraum und fragt: „Wie haben Sie das gemacht? Haben Sie den Beamten bestochen oder verhext?“ „Aber nicht doch, ich sagte Ihnen doch, dass ich noch nie meine Taschen öffnen musste. Der Herr ist eben mit mir.“ Albert schaut den Pastor ungläubig an. Da nimmt der Pastor ihn beiseite und erklärt: „Ich muss zugeben Herr de Menier, es ist nicht nur Gottvertrauen alleine, manchmal muss man dem Herrn helfen, dass er uns helfen kann. Ist Ihnen etwas aufgefallen, als wir die Zollstation betraten?“ „Nichts Besonderes, da waren die Schalter mit den Zollbeamten in ihren Uniformen, der Lange Tisch auf dem man sein Handgepäck präsentiert, Fahrgäste, die teilweise verärgert über den ganzen Aufwand waren und in den Schlangen standen, sonst nichts.“
„Aha, sonst nichts? Wie sind Sie nur Kommissar geworden?“ stichelt er den jungen Polizisten an. „Es standen 6 Zollbeamten hinter dem Tresen, davon waren zwei noch ganz jung, die sich keinen Fehler erlauben dürfen und deswegen alles peinlich genau und akribisch durchsuchen. Die 4 anderen waren verheiratet und schon etwas älter, die nehmen es nicht mehr so genau, da sie schon zu lange dabei sind. Schließlich habe ich mich für die eine Reihe entschlossen, da dieser Beamte auch noch ein Kreuz um den Hals trug, da wusste ich, dieser wird einen Mann Gottes nicht durchsuchen.“ Jetzt ist Albert aber baff, hat er den Pastor so unterschätzt? „Donnerwetter, Sie sind ja mit allen Wassern gewaschen, wo haben Sie denn das gelernt?“ „Als Pastor braucht man eben gute Menschenkenntnis und wenn man die Welt bereist, kommt man ohne diese Fähigkeit leicht unter die Räder.“ Albert ist immer noch etwas über den guten Herrn Pastor überrascht, oder sogar schockiert. Aber was soll`s, jetzt geht’s erstmal wieder in den Zug und auf die letzte Etappe der Reise. Paris wir kommen!
Jetzt nach der Landesgrenze und kurz vor der Stadtgrenze steigt die Nervosität des jungen Kommissars, wie wird er an seiner neuen Arbeitsstätte aufgenommen? Wie ist seine Unterkunft? Wird alles so, wie er es sich vorgestellt hat, oder verwünscht er diese Stadt in kürzester Zeit?
Sophie ist die erste die den Eiffelturm in der Ferne entdeckt und macht alle auf ihn aufmerksam.
In Kürze wird der Zug im „Gare du Nord“ eintreffen, da wird sich diese illustre Gruppe wieder trennen, Albert hofft zumindest, dass es kein Abschied für immer wird.
Der Zug wird schon langsamer, als er ins Stadtgebiet einfährt und beim Erreichen des Bahnhofes steigen nun alle aus. Pastor Koch marschiert voraus zum Ausgang, ohne sein Gepäck abzuholen. Die anderen begeben sich währenddessen zum Warteraum des Zolls, um ihr Gepäck, welches in Berlin aufgegeben wurde, in Empfang zu nehmen. Allerdings dauert es nicht lange und der gute Pastor steht wieder bei den anderen. „Wo sind Sie denn abgeblieben?“, fragt Albert. „Haben Sie das nicht in ihren Reiseführern gelesen? Man soll sich gleich eine Kutsche reservieren, wenn der Zug ankommt, und nicht erst warten, bis man sein Gepäck bekommt. Man muss dem Kutscher nur nach seiner Nummer fragen und schon hat man diese reserviert. Aber keine Angst, Sie müssen nicht mit dem Bus fahren, ich habe gleich eine große Kutsche reserviert, da können Sie und die beiden Damen gerne mitfahren, wir haben ja alle den ähnlichen Weg.“ Das ist aber nett vom Pastor, aber bevor Albert sich bedanken kann, öffnen sich die Türen und jeder muss sein Gepäck selber aus den Haufen heraussuchen, mit dem man doch tatsächlich wieder durch den Zoll muss. Diesmal braucht der Pastor keine Angst wegen seiner Tasche zu haben, da das Handgepäck nicht mehr kontrolliert wird, das geschah ja schon an der Landesgrenze – ach, ist das Reisen kompliziert!
Unter der Führung des Herrn Pastors geht es zur Kutsche, wobei Isabell und Sophie sich zwei Kofferträger leisten. Die armen Kofferträger, was Frauen immer mitnehmen müssen, wenn sie reisen. Sie haben sicherlich dreimal so viel wie die Herren dabei und Albert bleibt schließlich ein halbes Jahr!
Die größere Herausforderung hatte der Kutscher. Er musste sogar den Strapontin – den ausklappbaren Rücksitz - verwenden, um alles zu verstauen und nichts zu vergessen. Dennoch haben sogar die Reisenden in der Kutsche noch Platz gefunden. Die einen würden es als zu eng bezeichnen und andere wiederum, einfach nur gemütlich, natürlich sind die armen Pferde zu bedauern.
Die Fahrt führt über die Rue de Lafayette, Boulevard Italiens, weiter über die Oper in die Avenue de L`Opéra zur Rue de Rivoli, wo die Herren sich von den beiden Damen mit einem baldigen Wiedersehen verabschieden. Anschließend geht es über die Rue de Rivoli, den Place de la Concorde, der Champs Elysees zur Avenue D`Antin, in der sich Albert verabschiedet und dem Pastor eine gute Fahrt wünscht, die allerdings schon in der nächsten Parallelstraße endet.
„Mon dieu! Wieso ich! Wieso hat es ausgerechnet mich getroffen! Habe ich so etwas Schlimmes angestellt, dass mich das Leben so straft? Ich bin zwar kein Kind der Unschuld, aber das Schicksal treibt ein böses Spiel mit mir. Mama sagte damals – lern die Sprache des Feindes, das wird dich einmal weit bringen – Pustekuchen. Jetzt habe ich den Ärger, meine Kollegen ziehen mich ständig auf, nicht dass ich sowieso schon der Depp bin. Jetzt darf ich den Babysitter für diesen Crouton aus Deutschland spielen, der wahrscheinlich kein Wort unserer schönen Sprache spricht. Ich darf ihn wohl den ganzen Tag begleiten und jedes einzelne Wort übersetzen. Ausgerechnet jetzt, wo wir eh schon so viel zu tun haben, die Kriminalität ist in den letzten Wochen in Paris enorm angestiegen. Hat die Weltausstellung erst einmal begonnen, wird man gar nicht mehr Herr der Lage werden.“ „Ach Jean, reg dich nicht so auf, sei doch froh, während sich die anderen alle mit den Verbrechern herum ärgern, darfst du mit dem deutschen Kommissar eine ruhige Kugel schieben. Da mal einen kleinen Betrug aufnehmen, dort mal den Fifi einer feinen Dame suchen – also alles überhaupt kein Stress. Da kannst du auch mal auf deine große Schwester hören, mach einfach das Beste daraus, da kannst du vielleicht Beziehungen aufbauen, die dir später mal helfen werden. Vielleicht winkt dir danach noch der Titel eines Inspecteur divisionnaire.“ „Ja ja Marie, du glaubst doch nicht, dass man für das Auffinden eines Schoßhündchens befördert wird? Man wird befördert, wenn man einen spektakulären Mord oder Spionagefall aufklärt!“ „Das glaubst aber auch nur du. Wenn es das richtige ist, kann ein Schoßhündchen, einem Tür und Tor öffnen, die Dankbarkeit einer Dame ist nicht zu unterschätzen. Also merk dir, nicht der Commissaire de polis legt fest wer befördert wird, sondern zu 70 % seine Frau. Auch wenn ihr Männer glaubt, ihr hättet das sagen, wenn ihr erst mal verheiratet seid, macht ihr das, was die Ehefrau euch sagt. Wenn du Glück hast, findest du auch irgendwann eine, die dir sagt wo es lang geht, dann muss ich das nicht immer machen!“ „Jetzt hör aber auf, ich werde schon noch eine Frau zum Heiraten finden, aber ich muss doch erst vom Kuchen probieren, bevor ich ihn nehme.“ „Jean, du bist wie ein kleiner Junge, du kannst uns Frauen doch nicht mit Süßspeisen vergleichen, so wirst du nie eine anständige Frau finden.“ „Ach was, wenn du zum Konditor gehst, schaust du dir doch auch erst die Auslage an, welche Torte am besten aussieht.“ „Und was ist mit den inneren Werten? Ist dir das denn egal?“ „Nein, wenn mir die Torte gefällt, probiere ich auch von der Füllung. Ich will ja nicht auf eine Mogelpackung hereinfallen. Wie oft habe ich schon gedacht – Oh wie toll eine Schokotorte und am Ende war es doch nur eine saure Zitronenfüllung!“ „Jean Baptist Roussou, wenn das Mutter hören würde, würde sie dich übers Knie legen und den Hintern versohlen, was für eine Torte bin ich denn in deinen Augen?“ fragt Marie wütend schnaubend, schon fast am Explodieren. „Ach Marie du bist doch die süßeste Torte mit Himbeer-Schokobuttercremefüllung, doppelter Sahneglasur und mit einer feuerroten Kirsche obendrauf.“
„Doppelter Sahneglasur? Willst du etwa sagen ich bin fett?“ Marie schaut ihren Bruder bestürzt mit feuchten Augen an und Jean ist auf einmal ganz klein und versucht zu retten was zu retten ist: „Nein, nein, natürlich nicht! Du weißt doch wie gerne ich Sahne mag, das ist doch das, was ich an dir Liebe, du bist doch mein allerliebstes Schwesterherz. Du wirst einen Mann mal sehr glücklich machen, ich wollte doch nur sagen, dass in dir nur das Beste steckt, bitte glaub mir, ich wollte dich nicht beleidigen. Wie kann ich das wieder gut machen? Wenn du wieder lieb zu mir bist, gehe ich auch mit dir in die Oper, und du weißt, was für ein Opfer das für mich ist.“
Maries Schluchzen verwandelt sich schlagartig in ein breites Grinsen und sie antwortet mit ruhigen, gelassenen Ton: „Siehst du, so musst du dir das vorstellen, wie das von statten geht, wenn die Frau des Commissaire de polis ihren Mann manipuliert und ihm sagt, wen er befördern soll, nachdem du ihren Fifi gerettet hast. Übrigens glaub bloß nicht, dass du dich vor der Oper drücken kannst, du hast es mir gerade versprochen.“ Verdutzt schaut Jean ungläubig seine große Schwester an. „Das ist gemein, erst dieses Theater, dass du böse auf mich bist und dann muss ich noch in die Oper? Hast du mich den gar nicht mehr lieb? Wer hat dir denn beigebracht so unausstehlich zu sein?“ „Was heißt hier unausstehlich? Sei doch froh, dass dir jemand zeigt, wie es im Leben läuft, da kommst du mit deiner Tortenphilosophie nicht sehr weit. Plan mal deine Zukunft und finde eine nette Frau, die dir ein paar liebe Kinder schenkt, aber komm nicht wieder mit so komischen Damen an, wie du sie die ganze Zeit schon anschleppst. Ich merk mir schon gar nicht mehr ihre Namen.“ „Du hast gut reden, als meine ältere Schwester bist du doch erst mal an der Reihe, und glaub mir, ich gebe dir nicht bei dem Erstbesten meinen Segen.“ „Wie soll ich denn einen netten Mann kennenlernen, ich bin doch den ganzen Tag in den „Les Halles“ arbeiten, da kommen immer wieder die gleichen dummen Filous vorbei, die ich nicht mal mit der Feuerzange anpacken würde. Ach wie gerne wäre ich zum Theater gegangen, ich hätte abends meine Vorstellungen und die Männerwelt würde mir zu Füßen liegen, so wie der großen Sarah Bernard. Aber nein, ich musste ja das Erbe unserer Mutter antreten und Fische verkaufen, den Gestank bekommt man auch nach 2-3 maligen Waschen nicht weg. Ich weiß, ich sollte glücklich über den Arbeitsplatz in den Hallen sein, aber hätte ich nicht einen Gemüsestand betreuen können?“ „Nach dem Auftritt von gerade eben, glaube ich gern, dass du es im Theater zu was gebracht hättest. Aber siehst du, man muss eben damit zufrieden sein, was das Leben einem bietet, also muss ich mich mit diesem deutschen Beamten rumärgern. Wahrscheinlich ist es so ein preußischer Bürokrat, der alles peinlichst genau nimmt. Ich sehe ihn schon vor mir – ein kleiner untersetzter kahlköpfiger Typ, der seinen Bierbauch vor sich herschiebt und schon nach ein paar Schritten aus der Puste ist. Zum Glück gibt es auf der Ausstellung Rollstühle zu mieten.“ „Was soll das heißen, man muss mit dem zufrieden sein, was das Leben einem bietet, mit der Einstellung wirst du immer ein kleiner Kommissar bleiben.“
„Zugegeben, vielleicht hast du auch in gewisser Weise recht, aber ich muss mich trotzdem um diesen Deutschen kümmern, auch wenn ich nicht die geringste Lust dazu habe. Heute Mittag kommt er am Gare du Nord an und ich soll ihn dann in der Avenue d`Antin in Empfang nehmen. Wenigstens kann ich ein paar Spesen abrechnen. Der Deutsche wird wohl im Geld schwimmen, wenn er in so einer feinen Straße absteigt. Ich werde mir auf jeden Fall eine Droschke spendieren, ich habe keine Lust mich jetzt noch in den Bus zu quetschen – der Chef darf dann bezahlen!“ Nachdem sich Jean von seiner Schwester verabschiedet hat, macht er sich auf den Weg.
Als er sich der Adresse nähert, an der er den deutschen Beamten erwartet, sieht er schon von weiten den Gesuchten am Straßenrand stehen, der seine Vorstellungen sogar noch übertrifft. Nicht nur dass er klein, untersetzt, Mitte 50 ist und sonstige Klischees bedient, die sich Jean vorgestellt hat. Vor allem fällt seine Kleidung dermaßen auf, dass er am liebsten kehrt gemacht hätte. Eine schöne Lederhose mit Hosenträgern, ein komischer Hut und weiße Kniestrümpfe – mon dieu.
Jean reißt sich zusammen, geht auf ihn zu und will ihn gleich testen. Er spricht ihn auf Französisch an, wobei er dabei auch noch höflich salutiert. „Bonjour, sind Sie der deutsche Kommissar, der für die Ausstellung abkommandiert wurde?“ Der Mann schaut ihn verdutzt an und fragt zurück: „Wos host gsagt?“ Jean rollt mit seinen Augen, als hätte er es nicht gewusst, nicht nur dass er kein Französisch kann, sondern der Dialekt ist so schlimm, dass er sich fragt, ob das überhaupt Deutsch ist. Also fragt er ihn nochmal auf Deutsch, aber so langsam, dass es jeder verstehen müsste: „Sind – Sie – der – deutsche – Kommissar –für – die - Weltausstellung?“ „Bist deppert? I watt auf mei Frah!“ kam eine forsche kurze Antwort zurück.
Anscheinend ist er nicht der gesuchte Kommissar, auch wenn Jean nicht verstanden hat, was der andere geantwortet hat! Glück gehabt, das war der Falsche, wie hätte das funktionieren sollen, wenn er den Deutschen nicht verstehen würde? Am Ende steht er noch dumm da, weil seine Kollegen denken würden, er könnte gar kein Deutsch, obwohl er immer damit angegeben hatte. Er entschuldigt sich noch bei dem armen Mann am Straßenrand und begibt sich zum Haus der genannten Adresse.
Jean läutet bei der Concierge, die mit ziehen an einem Draht die Türe öffnet. Jean begibt sich zur Pförtnerloge, die es nur in den feineren Häusern gibt und fragt gleich nach dem deutschen Gast: „Bonjour Madame, mein Name ist Jean Roussou von der Pariser Polizei, ist hier heute Mittag ein Deutscher abgestiegen?“ dabei zeigt er noch seine Dienstmarke, um sich auszuweisen. „Non, Non Monsieur, es ist kein Deutscher hier im Haus, wir sind hier ein anständiges Haus, hier kommt so schnell kein Deutscher rein. Wäre noch schöner, einen Deutschen zu beherbergen, da müsste ich das Bettzeug verbrennen, wenn der wieder geht, am besten sogar das ganze Bett. Non, Non, Monsieur, hier wohnen nur anständige Leute“, antwortet die Concierge aufgeregt, die offensichtlich keine Sympathie für Leute aus Deutschland zu haben scheint, wohl ein Überbleibsel vom Krieg vor ca. 30 Jahren.
„Sie missverstehen mich Madame, ich bin auf der Suche nach einem deutschen Kommissar, der hier ein Apartment haben soll.“ „Ein Kommissar? Hier bei uns? Aus Deutschland? Was bezahlen die dem, dass er sich unser Haus leisten kann? Aber was soll`s, wie ich Ihnen schon gesagt habe, wohnt hier kein Deutscher. Nach der Namensliste, die ich bekommen habe, sind heute ein englischer Gentleman namens John Butterfield, ein Landsmann Namens Albert de Menier und eine feine russische Dame abgestiegen – also kein deutscher Inspekteur! Heute wird auch sonst keiner mehr erwartet.“ „Merde, da haben mir die Idioten auf der Wache die falsche Adresse mitgeteilt.“ Mit lauten Flüchen verlässt Jean das Gebäude wütend und genervt.
Das fängt gut an, erst dieses Geschrei unten am Eingang, was man eher in einer Absteige erwarten würde und dann sollte ich eigentlich bereits vor einer Stunde von einem französischen Kollegen abgeholt werden. Wenn der mich schon am ersten Tag versetzt, kann ich mich auf etwas gefasst machen. Wenn ich jetzt gehe und er kommt doch noch, sieht es schlecht für mich aus, aber ich bin jetzt schließlich in Paris und da sollte ich keine Zeit verlieren. Nichts desto trotz, ist die Wohnung hier schon unglaublich, es gibt sogar eine Toilette innen drin, da muss man nicht raus auf den Flur oder in einen Hinterhof. Wenn ich jetzt noch einen Bediensteten hätte, wäre das hier perfekt, aber so muss ich eben alles selber machen. Nachdem Albert alles resümiert hat, macht er sich dann doch auf den Weg zum deutschen Konsulat.
Sein erstes Abenteuer wird eine Fahrt mit dem Pariser Omnibus sein. Albert begibt sich bei der nächsten Station zum Bureau d` Omnibus und zieht eine Nummer. Diese Nummer ist die Reihenfolge in der die Fahrgäste zusteigen dürfen. Ist der Omnibus voll steht am Bus „complète“ und man muss auf den nächsten warten. Das soll verhindern, dass es ein Gedrängel gibt. Albert hat Glück der Conducteur auf der hinteren Plattform ruft seine Nummer auf und er steigt mutig auf die obere Plattform. Dort oben sitzt man im Freien und er genießt die Frühlingssonne. Kaum hat er seinen Platz eingenommen, gibt der Omnibuskutscher in seiner schicken Uniform – Blaue Jacke, Hose und einem schwarzen Hut mit Silberband – den Pferden die Peitsche zu spüren.
So etwas Vergleichbares gibt es in Berlin nicht, da drängen sich die Fahrgäste noch rein, auch wenn es schon so eng ist, dass man Angst hat, der Wagen fliegt gleich auseinander. Auch würde sich eine Dame wohl nie hier hoch bemühen, aus Angst die Kleidung könnte verrutschten und einen unvorteilhaften Ausblick präsentieren. Auf der Fahrt beobachtet er die Pariser und Pariserinnen. Die kleinen anmutigen französischen Dienstbotinnen, auch Trottin genannt, eilen durch die Straßen. Sie tragen mit Stolz die Hutschachteln oder auch andere Artikel zu den Damen, die schon sehnsüchtig darauf warten. Straßenhändler bieten ihre Waren an und hier und da staut sich der Verkehr, da durch die Weltausstellung zwei Brücken für den Verkehr nicht mehr freigegeben sind.
Nach einiger Zeit erreicht Albert die Rue de Lille 78, in der sich das deutsche Konsulat und die Gesandtschaft befinden, da er sich hier zu seinem Dienstantritt melden soll. Der Gesandte des deutschen Reiches gibt Albert noch letzte Instruktionen:
„Herr de Menier, ich hoffe es ist Ihnen bewusst, wie wichtig ihre Aufgabe hier für das Wohl der Beziehung zwischen Frankreich und Deutschland ist. Ich denke, ich muss Ihnen nicht sagen, dass ein kleiner Zwischenfall große Konsequenzen haben kann. Hier wird nicht nur ihr polizeiliches Wissen, sondern auch ihr politisches Feingefühl gefragt sein. Es wurde uns eine Depesche mit einer Auflistung deutscher Verbrecher übersandt, die sich wahrscheinlich in Paris aufhalten. Bei Bedarf können Sie diese Informationen mit ihren französischen Kollegen teilen. Haben Sie schon Kontakt zur französischen Polizei aufgenommen?“ „Nein, leider hat man mich diesbezüglich versetzt, die Beamten haben es wohl nicht so wie wir mit der Pünktlichkeit.“ „Damit müssen Sie hier rechnen, machen Sie aber deswegen bloß keinen Aufstand. Sie wissen ja, nur keine Aufregung – Deutsch-Französische Beziehungen! Vor der morgigen Eröffnung der Weltausstellung werden Sie Herrn Müller treffen. Ihren Kontaktmann auf dem Ausstellungsgelände im deutschen Haus am Quai d`Orsay. Er wird Sie täglich um 8:00 Uhr morgens über die Geschehnisse des Vortages informieren, sei es von der Ausstellung, sowie nationale oder internationale Vorkommnisse. Sie werden ihn natürlich über ihre Fälle informieren wie weit Sie sind und was Sie zu tun gedenken. Also, ich hoffe Sie werden alles dafür tun, um uns keine Schande zu bescheren!“
Während der Gesandte Albert noch ermahnt, händigt er ihm noch ein Schreiben, welches ihm Zutritt zur Einweihungsfeier verschafft und eine extra Polizeimarke aus, die nur für die diensthabenden Polizisten auf der Ausstellung gültig ist. Nachdem Albert demütig alles bejat und zum Abschied noch salutiert, macht er sich nun auf den Weg zur Polizeipräfektur auf der Île de Cité in der Nähe von Notre Dame, um sich auch hier zu melden.
Am Tresen weißt sich Albert beim Beamten aus und wird gleich zum Commissaire de police zitiert, der ihm ebenfalls einen herzlichen Empfang bereitet. „Monsieur de Menier, willkommen in unserer schönen Stadt, wir dachten schon Sie wollten gar nicht zu uns kommen. Ihr neuer Kollege sollte Sie eigentlich in Empfang nehmen, aber er konnte Sie an der besagten Adresse nicht auffinden.“
„Vielen Dank für diesen netten Empfang, ich denke da müssen wir uns knapp verpasst haben, ich musste mich noch bei unserer Gesandtschaft melden. Ich hoffe es gab durch mich keine Unannehmlichkeiten.“ „Nein, Nein, unser Kommissar Roussou war zwar ein bisschen verstimmt, aber das legt sich auch wieder. Wie Sie sehen, herrscht bei uns etwas Unruhe, da wir für die morgige Eröffnung noch so einiges organisieren müssen. Wir müssen 2 Polizeistationen auf dem Ausstellungsgelände ausrüsten. In der Station in der Nähe der Invaliden-Esplanade werden auch Sie einen Schreibtisch bekommen. Um es kurz zu machen, melden Sie sich bitte morgen früh vor der Eröffnungsfeier bei Kommissar Roussou, der die Ehre hat, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Sie finden ihn auf dem Revier in der Ausstellung, da haben Sie auch gleich die Möglichkeit, sich mit dem Gelände vertraut zu machen, dann ist noch nicht alles mit Menschen vollgestopft. Falls Sie etwas benötigen, wenden Sie sich bitte an Kommissar Jean Roussou.“ Mit diesen Worten wird Albert höflich klar gemacht, dass die Unterredung beendet ist und er sich auf den Weg machen soll.
„Ah, was macht ihr denn schon hier? Wolltet ihr nicht erst morgen früh kommen? Ich hätte euch doch einen Wagen geschickt!“ „Oh Papa, ich dachte, du freust dich uns zu sehen? Sophie und ich sind extra einen Zug früher zu dir gereist, weil ich dich so vermisst habe.“ Und schon fällt Isabell ihrem Vater um den Hals und drückt ihn ganz herzlich. „Wie war eure Fahrt? Gab es irgendwelche Probleme?“ „Nein, Nein, nichts Nennenswertes, wir hatten Gottesbeistand und Polizeischutz.“ „Wie soll ich denn das verstehen?“ „Wir saßen in einem Abteil mit einem netten Pastor und einem deutschen Polizeibeamten, also konnte uns nichts passieren.“ Da mischt sich Sophie mit ein: „Ganz so unproblematisch war das aber nicht, kannst du dich nicht mehr an den Vorfall im Speisewagen erinnern? Diesen komischen Grafen, der anscheinend keiner war?“ Isabell schaut Sophie böse aus den Augenwinkeln an, da sie dies lieber verschwiegen hätte. Ihr Vater kann manchmal etwas überbesorgt reagieren. „Ach das war doch gar nichts“, versucht sie die Geschichte zu relativieren. „Das war nur ein Taschendieb, wie es sie in Berlin zu hunderten gibt, also nichts Besonderes.“ Die Blicke Isabells scheinen ihre Wirkung nicht zu verfehlen und Sophie bestätigt kleinlaut ihre Worte: „Stimmt eigentlich, der Vorfall war doch nicht so besonders.“ „Soll euch mein Fahrer Klaus die Stadt zeigen? Wenn er mich am Marsfeld abgesetzt hat, brauche ich den Wagen heute nicht mehr.“ „Das ist nicht nötig, ich möchte mir heute lieber noch ein bisschen die Juweliere und Modeateliers anschauen, das mach ich lieber mit Sophie alleine.“ Wie Isabell schon befürchtete, versucht ihr Vater seinen Fahrer Klaus als Aufpasser mitzuschicken. Da gehen sie doch lieber zu Fuß, man kann sich schließlich die Einkäufe auch nach Hause schicken lassen.
„Bevor ich es noch vergesse, hier hast du noch deine Schätzchen!“ mit diesen Worten öffnet Isabell ihre Tasche – eine der vielen – und holt die beiden Schaukästen mit den Spinnen heraus. „Ich denke die sollte ich nicht durch die Stadt schleppen, obwohl sie wahrscheinlich die Taschendiebe abschrecken würden.“
„Das ist perfekt, die kann ich gleich noch mit zu unserem Stand auf der Ausstellung mitnehmen. Den müsst ihr euch unbedingt auch noch anschauen, spätestens Übermorgen nach der Eröffnung, nicht dass du nur die Stadt unsicher machst. Übrigens, wenn du in den Modeateliers bist, kannst du dort nicht unsere Stoffe anpreisen? Du kannst doch deinen Schal als Muster mitnehmen.“
Das hat ihr noch gefehlt, nicht nur dass der Schal nicht zu dem Outfit passt, welches sie zum Einkaufen anziehen wollte, sondern wie sieht das denn aus, wenn sie hausieren geht. Da nimmt Isabell doch keiner mehr als Kundin ernst. Männer haben schon komische Vorstellungen. Da vergeht einem der ganze Spaß am Einkaufen.
„Ich schau, was ich machen kann, ich bin schließlich kein gelernter Verkäufer, ich kenne mich eher auf der anderen Seite des Tresens aus!“ Damit versucht sie sich noch herauszureden, aber ihren Vater will sie natürlich auch nicht verärgern.
Bevor die beiden Damen die Stadt erobern können, beziehen sie noch ihre Quartiere. Isabells Zimmer ist riesig. Es ist mit einem großen Himmelbett und einem Schreibtisch im Stile Ludwig XIV. ausgestattet. Die Tapeten sind mit einem sehr aufwendigen Dekor verziert. Ansonsten hat das Zimmer alle Annehmlichkeiten, die eine moderne Frau braucht, sogar ein eigenes Badezimmer.
Dagegen muss sich Sophie mit einer kleinen Kammer begnügen, die eher einer Zelle im Gefängnis ähnelt. Ein plumpes Holzbett mit Baumwollbettwäsche, ein Schrank und eine Waschschüssel stehen ihr zur Verfügung. Die Toilette befindet sich auf dem Gang. Das Zimmer ist wie in Paris üblich im 6. Stock, dort werden alle Bediensteten untergebracht, hier wird er nur „le 6e-étage“ genannt. Aber Sophie hat gelernt, sich nicht zu beklagen, sie kann froh sein, dass sie eine Kammer für sich alleine hat. Sie muss sich nur in Acht nehmen, da Klaus, der Fahrer von Herrn Schubert – ein komischer Kauz – auch ein Zimmer hier oben hat. Der scheint solche Gelegenheiten gerne auszunutzen. Man kann nichts beweisen, aber er soll vor ein paar Jahren die Küchenhilfe im Hause Schubert geschwängert haben. Es soll zwar einvernehmlich gewesen sein, aber geheiratet hatte er das arme Ding nicht. Das war aber alles vor ihrer Zeit und auf Hörensagen kann man nicht viel geben.
Nachdem Sophie die Koffer von Isabell ausgeräumt hat und ihre eigenen Habseligkeiten in ihrer Kammer verstaute, können die beiden losmarschieren.
Beim Verlassen des Hauses, hören Sie aus der Ferne die Musik einer Blaskapelle, die immer lauter wird. Erst dachten beide an eine Militärparade, aber dafür sind es zu wenige und es sind auch zahlreiche Frauen darunter. Diese tragen hellblaue Uniformen, die keine Armee der Welt tragen würde.
Isabell fragt eine Passantin, was dies für ein Schauspiel sei. „Das sind die „Gotteskinder von Paris“, eine Gruppe von Gläubigen, die sich seit kurzem hier in Paris ausbreiten, sie sind für Zucht und Ordnung und versuchen den Teufel zu bekämpfen. Kein Alkohol, keine Freuden, nur Singen und Beten für das Seelenheil. Sie marschieren im Namen Gottes!“ Ein bisschen erinnert das an die Heilsarmee in Berlin mit ihren Halleluja-Mädchen, die die Seelen von Sündern retten wollen.
„Jetzt müssen wir uns aber sputen, der Tag dauert nicht ewig, ich muss für morgen noch einen Friseur finden, der noch einen Termin frei hat, wenn ich Pech habe sind die Guten schon alle ausgebucht. In die Rue de la Paix schaffen wir es heute sowieso nicht mehr, dafür ist es zu spät. Die Grande Couture muss eben warten, wir sind schließlich noch mehrere Tage hier in Paris.“ „Wieso sind wir eigentlich nicht schon früher hergereist, dann hätten wir nicht so viel Stress?“ stellt Sophie die berechtigte Frage. „Sophie, Sophie, du weißt doch, dass ich Verpflichtungen in Berlin habe, bei denen ich nicht immer so planen kann, wie ich möchte. Ich wurde doch vorgestern noch in den Salon von Frau Hirschfeld eingeladen und da kann man nicht absagen. Manche warten Jahre, um eingeladen zu werden. Die Einladung kam zwar recht kurzfristig, aber ich wurde eingeladen! Im Großen und Ganzen war der Abend nicht wirklich nach meinem Geschmack. Erst wurde über langweilige Kunst und noch langweiligere Wohltätigkeitsarbeiten beim Tee geredet und dann haben auch noch ihre Nichten ein paar Duette gesungen. Wäre es nicht der Salon von Frau Hirschfeld gewesen, wäre ich nicht hingegangen, aber wenigstens kann ich jetzt sagen, ich war dort. Dummerweise waren auch nur ältere Damen anwesend, bei deren Themen wäre ich auch beinahe eingeschlafen, aber was sein muss, muss sein.“
Die beiden klappern die Friseure ab, um noch einen Termin zu bekommen. Als sie gerade den 5. Laden betreten, hört Isabell eine bekannte Stimme ihren Namen übertrieben langgezogen säuselnd rufen: „Isabell, wie schön dich hier zu treffen, es muss eine Ewigkeit her sein, seit ich dich das letzte Mal gesehen habe. Ich habe dich sofort an diesem Kleid erkannt, das hattest du doch auch schon das letzte Mal an als wir uns trafen, oder? Ach ja man sollte auch sparsam sein. Hier in Paris gibt es eine Menge Kaufhäuser, in denen du dir günstige Konfektionskleider kaufen kannst, oder du gehst nach Montrouge und holst sie dir direkt in den Fabriken. Ach wie schön ist es dich hier zu sehen.“
Das kann doch nicht wahr sein, jetzt reist man 1.200 km weit, und wen muss man da treffen? Diese arrogante Konstanze von Trapnitz mit ihrer Zofe!
„Konstanze meine Liebe, wie habe ich dich vermisst, wie schick du wieder aussiehst, hast du dieses Kleid im Wohltätigkeitsbazar gekauft? Ich glaube so eines habe ich letztes Jahr dort abgegeben. Wie kommst du nach Paris?“ entgegnet Isabell angespannt.
„Ach, ich bin schon eine Woche hier und habe gerade noch den letzten freien Friseurtermin für morgen bekommen, es scheint mir, als spielt die Stadt wegen der Eröffnungsfeier verrückt.“ „Bist du alleine hier in Paris?“ „Aber nein, erinnerst du dich an den netten Leutnant vom letzten Ball? Den, mit dem du getanzt hattest. Nun ja, wir sind jetzt verlobt, und er hat mich hierher eingeladen, da sein Vater eine Fabrik für Rüstungsgüter besitzt. Wir haben morgen bei der Eröffnungsfeier tolle Plätze bekommen, noch weiter vorne, und ich würde auf dem Schoss des Präsidenten sitzen.“ „Schön für dich, da gratuliere ich dir doch gleich zu deiner Verlobung. Wenigstens hat dein Verlobter Geld, denn tanzen konnte der nicht, mir tun heute immer noch die Füße weh.“
„Du bist ja reizend, wie eh und je, ich dachte schon, ich hätte ihn dir weggeschnappt. Aus schlechtem Gewissen hatte ich dir etwas Gutes tun wollen und dir einen Termin im Salon von Frau Hirschfeld organisiert. Ich musste dafür sogar ein bisschen flunkern, ich sagte, du engagierst dich so sehr für die Wohltätigkeit und du bist ein Kenner in der Kunstszene. Außerdem liebst du doch Kammermusik am Klavier, oder? Naja, du brauchst dich jetzt nicht bei mir zu bedanken, dazu sind Freundinnen doch da. Nur schade, dass der Termin so knapp vor der Ausstellung war, du wärst sicherlich auch gerne ein bisschen früher hergereist.“
„Herzlichen Dank, so einen schönen Abend wie bei Frau Hirschfeld habe ich schon lange nicht mehr erlebt, die waren ja alle so reizend, ich freue mich schon auf das nächste Mal. Ist auch nicht so schlimm, dass ich so spät nach Paris gekommen bin, Paris läuft mir ja nicht davon. Ich habe bereits alles von daheim geregelt, ich gehe nur hier durch die Friseursalons, um mir ein paar Anregungen zu holen. Meine Sophie freut sich schon darauf mir die Haare machen zu dürfen, sie ist eine so begnadete Frisöse.“ Nach all dem Geplänkel trennen sich die beiden „Busenfreundinnen“ wieder. Kaum ist Konstanze außer Sicht, kann man bei Isabell die Wut in sich hoch kochen sehen, indem sich ihr Gesicht rot färbt und sie ihre Hände zu Fäusten zusammenpresst.
„Ich kann es nicht glauben, diese miese Kokotte, das macht sie doch alles mit Absicht. Was habe ich der nur getan? Jetzt ist sie auch noch verlobt, obwohl ich mit dem zuerst getanzt hatte, dann schnappt sie mir auch noch den letzten Friseurtermin vor der Nase weg. Das ist doch nicht zum Aushalten. Eigentlich war ich froh, dass ich in den Salon von Frau Hirschfeld eingeladen wurde und jetzt hab ich es ihr zu verdanken? Wahrscheinlich hat sie mir die Einladung organisiert, damit ich erst so spät nach Paris fahre, ich könnte sie erwürgen!“
„Beruhig dich Isabell, das ist doch genau das, was sie will. Lass dich doch nicht immer von ihr ärgern. Mach das Beste daraus, immerhin bist du jetzt im Salon von Frau Hirschfeld willkommen, da kannst du doch viele Kontakte knüpfen. Aber sollte das wirklich dein Ernst sein, dass ich dir deine Haare machen soll? Ich habe außer an mir bisher noch keine Frisuren gemacht.“ „Ach was, das musste ich doch sagen, was blieb mir denn anderes übrig?“ entgegnet Isabell den Tränen nahe. „Ich bekomme keinen Termin mehr und irgendeine Lösung muss her, lass dir doch etwas einfallen. Am liebsten würde ich wieder heimfahren.“
„Ach komm, lass dir Paris von ihr nicht verderben. Außerdem solltest du doch auch froh sein, diesen dummen Hans Weber bist du jetzt los, der wurde dir doch lästig. Sagtest du nicht, wenn man seine Dummheit mit Gold aufwiegen würde, wäre man reicher als sein Vater?“
„Und wie ist der deutsche Beamte so?“ fragt Marie ihren Bruder der abends nach Hause kommt. „Pustekuchen, ich konnte ihn nicht finden. Bei der Adresse die man mir nannte, war kein deutscher abgestiegen. Ich habe von meinem Chef schon eine Abreibung bekommen. Er sagte was von Unfähigkeit und Inkompetenz, dass ich nicht die einfachsten Aufgaben erledigen könnte. Ich hatte schon Angst, dass er mich degradiert. Wieso muss so etwas immer mir passieren. Ich habe mich dann natürlich bei unserer Vorzimmerdame aufgeführt, da sie mir anscheinend die falsche Adresse mitgeteilt hatte, aber sie beteuerte, dass es die Adresse war, die sie vom deutschen Konsulat mitgeteilt bekam. Jetzt redet sie auch kein Wort mehr mit mir, und wenn ich in Zukunft ein Anliegen habe, wird sie mich ignorieren.“
„Du Armer, du hattest wohl keinen so guten Tag, aber morgen geht die Sonne wieder auf und du wirst den heutigen Tag schnell vergessen.“ „Ich schon, aber mein Chef und die Vorzimmerdame werden mir noch lange nachtragend sein. Schuld ist nur dieser dumme Deutsche!“
„Jetzt lass deine Wut nicht an dem aus, du musst ein halbes Jahr mit ihm zusammenarbeiten und da solltest du für ein gutes Verhältnis sorgen, es fällt sonst alles auf dich zurück.“ „Du hast Recht, ich jammere dir die ganze Zeit was vor, ohne zu fragen, wie dein Tag war.“ „Mein Tag war super, wie schon die ganze Woche, wir verkaufen so viel Fisch wie noch nie. Die ganzen Hotels und großen Restaurants kaufen uns schon um 5:00 Uhr früh leer, die Porteurs kommen kaum noch nach, die Waren von den Güterzügen anzukarren. Seit die Besucher und Aussteller zur Weltausstellung gekommen sind, läuft das Geschäft. Ab morgen, nach der Eröffnungsfeier wird es sicherlich noch mehr los sein.“ „Na dann geht es dir wenigstens gut. Morgen muss ich erst mal den Deutschen finden, am Ende darf ich noch vor ihm einen Kniefall machen, weil ich ihn heute nicht empfangen habe. Ich bat darum, dass man ihm ausrichtet, dass wir uns auf der Polizeistation an den Esplanade des Invalides treffen. Ich hätte lieber auf die Ehre verzichtet und meinen Dienst wie bisher geleistet. Da stand ich wenigstens nicht im Blickfeld des Hauptkommissars, es wäre auch unproblematischer, wenn ich mit dem russischen oder amerikanischen Beamten zusammenarbeiten müsste, da gibt es keine politische Spannung, da könnte man wohl auch seinen Spaß haben.“