Читать книгу Albert de Menier - Exposition Universelle Die Höllenpforte - Benjamin Klunzinger Karl - Страница 6
26.04.1900 Murony! Murony!
ОглавлениеAlbert ist morgens unterwegs zum Deutschen Haus, dabei hört er die Zeitungsjungen die Neuesten Schlagzeilen ausrufen: „Die Bestie vom Bois de Boulogne hat wieder zugeschlagen! - Polizei ist machtlos – Jetzt ist niemand mehr seines Lebens sicher!“ So gerne er da ermitteln würde, sind die einzigen Bestien, um die er sich kümmern darf, die gestohlenen ausgestopften Wölfe oder die Zweibeinigen, die sein junges Glück in Gefahr bringen - diese verdammte Konstanze! Er macht noch einen kleinen Abstecher ins Blumengeschäft und lässt Isabell ein kleines Sträußchen schicken, das beschwichtigt sie hoffentlich.
„Guten Tag Herr de Menier, wir fangen am besten mit den Internationalen Nachrichten an. In Pretoria haben die Buren einen herben Rückschlag erleiden müssen. Dort ist eine Gießerei, die als Waffenarsenal verwendet wurde, vor zwei Tagen in die Luft geflogen, wahrscheinlich war es Sabotage. Das war es auch schon mit den internationalen Nachrichten. Ich hoffe, dass Sie in den anderen Fällen von gestern weitergekommen sind, denn ich habe etwas von nationaler Bedeutung für sie.“ Wenn es von nationaler Bedeutung ist, hat die Bestie wahrscheinlich einen Deutschen angefallen, und sie dürfen in diesem Fall ermitteln, da wird sich Jean freuen - aber nicht doch.
„Wie Sie vielleicht wissen, ist einer unserer größten deutschen Schriftsteller hier in Paris begraben. Der von uns allen geschätzte Heinrich Heine, der 1856 auf dem Friedhof von Montmartre beigesetzt wurde, ist in Gefahr.“
„Was sollte einem Toten schon großartig passieren? Noch toter kann er doch nicht werden?“ „Natürlich nicht, aber auf dem Friedhof wurden in den letzten Nächten Grabschändungen der übelsten Sorte begangen, die letzte in unmittelbarer Nähe des großen Schriftstellers. Am besten gehen sie zum Friedhofsvorsteher und lassen sich alles erklären.“ Eigentlich passt ihm das nicht in seine Planung. Heute Nachmittag kommt Alberts Mutter in Paris an und da muss er sie doch abholen.
Aber es bleibt ihm nichts anderes übrig, er und Jean begeben sich am Morgen auf den Montmartre, der so früh seinen Charme noch nicht ausbreitet wie am Abend. Am Morgen herrscht hier das normale Treiben wie im Rest von Paris, in der einen Straße treibt ein Ziegenhirte seine kleine Herde voran und verkauft an die Bewohner frische Ziegenmilch direkt vom Euter. Ein Installateur bietet seine Dienste an, indem er mit seiner Glocke beständig läutet.
Der Charme der Stadt erlischt schlagartig, wenn in den großen Wohnanlagen, in denen es noch keine Wasserklosetts gibt, die Sickergruben geleert werden. Mit einer Pumpe, die durch eine Dampfmaschine angetrieben wird, wird die stinkende Kloake mit viel Lärm und Rauch herausgepumpt und entsorgt. Kein schöner Anblick, aber so ist es eben in der Großstadt.
Die beiden Kommissare erreichen den Friedhof und finden zu dieser Zeit recht schnell den Vorsteher in seinem Häuschen, der die beiden dann herumführt.
„Wir haben immer mal Probleme mit Halbwüchsigen, die es als Mutprobe sehen, nachts hier über den Friedhof zu schleichen und vielleicht auch ein Paar Blumen zu klauen. Aber was hier in den letzten Nächten passiert ist, kann man kaum glauben. Jemand hat doch tatsächlich ein paar Gräber geöffnet und die Leichen übel zugerichtet.“
Sie kommen zu einem der betroffenen Gräber, bei dem die schwere Steinplatte zur Seite geschoben wurde. In diesem Grab liegt eine Leiche die noch nicht so sehr verwest ist, sie liegt wohl erst wenige Wochen oder Tage hier. „Ich kann mich noch daran erinnern, als diese arme Frau – Gott hab sie selig – zu Grabe getragen wurde.“ „Was war denn die Todesursache der Armen? Starb sie durch Enthauptung? Ihr Kopf ist ja vom restlichen Körper getrennt.“ „Nein Monsieur, sie starb durch eine kurze schwere Krankheit. Was sie hier sehen, sind die Folgen der Leichenschändung, ihr wurde der Kopf abgetrennt und dazu noch ein Holzpflock mitten durchs Herz gestoßen.“ Jean und Albert sind entsetzt, wieso sollte jemand eine Tote so schlimm zurichten? „Ist Ihnen schon aufgefallen, dass im Mund der Leiche ein Stein steckt? Was ist denn das für Zeug da im Grab?“ will Jean wissen und holt mit seiner Hand ein paar schwarze Körnchen heraus. „Es sieht aus wie Mohnkörner, verstehe wer will, aber wozu schüttet jemand Mohnkörner in das Grab. Ist Ihnen schon dieses weiße Zeug rund um die Grabstelle und entlang der Wege aufgefallen? Was ist denn das?“ will Albert wissen. „Oh, das ist mir noch gar nicht aufgefallen, aber es sieht fast wie Salz aus, jemand hat hier Salz verstreut. Das ist mir in all den Jahren noch nicht vorgekommen, und ich habe schon so einiges miterlebt. Leider war dies nicht das einzige Grab, es waren insgesamt vier Gräber, die auf diese Weise zugerichtet wurden.“
Die beiden lassen sich alle Gräber zeigen, die auf die gleiche Weise geschändet wurden. Tatsächlich liegen alle in unmittelbarster Nähe zum deutschen Schriftsteller, dessen Grab zum Glück unberührt blieb. „Ist Ihnen sonst etwas aufgefallen? Wo könnten die Übeltäter denn auf das Gelände gekommen sein?“ „Das kann überall sein, man ist schnell über die Mauer gesprungen. Aber jetzt wo sie fragen, gibt es tatsächlich noch etwas Sonderbares. In den letzten Tagen habe ich immer wieder tote Katzen gefunden, nicht dass es selten wäre, hier gibt es hunderte, aber so viele tote Katzen auf einmal habe ich auch noch nicht gehabt, denen wurde allen der Hals umgedreht. Die armen Viecher sind ja so zutraulich, da hat man leichtes Spiel.“ „Haben Sie eine Idee, wer so etwas machen würde?“ erkundigt sich Jean.
„Nein, es kam schon vor, dass Gräber geöffnet wurden, um nach Wertgegenständen zu suchen, die den Toten von ihren Hinterbliebenen mit hineingegeben wurden. Vor Zehn Jahren gab es hier einen kuriosen Fall, da wurden Gräber nachts geöffnet, um von den Toten Fett zu rauben. Aus diesem Fett wurden Kerzen hergestellt, das sogenannte Diebeslicht. Man sagt, dass derjenige, der mit einer Kerze aus menschlichem Fett einen Einbruch begeht, nicht erwischt wird. Die Opfer sollen durch die brennende Kerze in einen tiefen Schlaf versetzt werden. Aber das hat wohl nicht so richtig funktioniert, der Verbrecher wurde auf frischer Tat ertappt und dann auch für die Schändung der Leichen verurteilt.“ Die beiden Polizisten sind über die Schilderungen des Friedhofvorstehers entsetzt, solche Formen von Aberglauben ist ihnen auch noch nicht untergekommen. Vielleicht ist auch Aberglaube der Grund für die Störung der Totenruhe der geschändeten Leichen. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als eine Nachtschicht einzulegen, ausgerechnet an dem Tag, an dem Alberts Mutter kommt. Isabell wird auch nicht so begeistert sein, aber daran muss sie sich gewöhnen, er muss und will schließlich arbeiten. Das Problem ist nur, dass er seine Mutter noch abholen muss.
Wenn es sein muss, kann er Pastor Koch oder Marie fragen, ob einer der beiden sie abholen kann. Außerdem hat er beim besten Willen kein Hotelzimmer mehr für sie bekommen und seine Mutter muss bei ihm nächtigen, also zieht er auf das Sofa.
„Hallo Isabell, aufwachen, schau was ein Botenjunge vorhin vorbeigebracht hat?“ Isabell öffnet langsam erst das eine Auge und erblickt Sophie ganz verschwommen, die etwas in der Hand hält. Dann entscheidet sie sich doch, auch das andere zu öffnen und sieht jetzt alles klarer. Sophie hält ihr einen Strauß mit roten Rosen vors Gesicht. „Was hast du denn da? Von wem sind die denn? Einem neuen Verehrer?“ „Nein, kein neuer Verehrer, die sind von Albert, der hat wohl ein schlechtes Gewissen wegen gestern.“ „Das soll er auch haben, was hat er auch mit dieser Schnepfe zu schaffen. In Gefangenschaft hat sie noch so getan, als wäre unser Streit beigelegt und jetzt läuft sie meinem Albert nach.“ „Ach sei nicht so hart zu Albert, der kann wahrscheinlich nichts für diese Situation. Du kennst doch Konstanze, wenn die was will, dann setzt sie alle Hebel in Bewegung und geht über Leichen. Wahrscheinlich hat sie bei der Rettung gesehen, was für ein toller Kerl dein Albert ist, da musst du jetzt wohl um ihn kämpfen.“ „Ach das glaube ich nicht, sonst hätte mein Schatz kein schlechtes Gewissen und würde mir Blumen schicken. Aber jetzt steh doch nicht so rum, los gib mir die Blumen, da steckt doch noch eine Karte drinnen.“ Nachdem Sophie die Blumen überreicht hat, nimmt sie sogleich die Nachricht in die Hand und fängt an laut vorzulesen:
Liebste Isabell,
auch wenn mein Herz von fremder Macht umworben,
wär`s ohne deine Liebe längst gestorben.
Mein Herz erwartet den einen Moment,
wenn es dich aus vielen Schatten erkennt.
Dann schlägt es schneller als je gedacht,
es liegt allein in deiner Macht.
In Liebe,
dein Albert
Nachdem Isabell sichtlich gerührt das letzte Wort vorgelesen hat, ist auch Sophie den Tränen nahe. „Oh mein Gott, wo hat dieser Mann nur diese Worte her? Ich möchte auch so einen, ich befürchte du musst aufpassen, dass ich ihn dir nicht auch noch streitig mache.“ Isabell schaut Sophie schockiert und streng zugleich an, die allerdings gleich wieder lachend abwinkt und Isabell versichert, dass sie kein wirkliches Interesse an Albert hat. Aber seine Briefe mit den Blumen machen sie doch neidisch.
„Vielleicht sollte ich ihm öfters einen Grund geben, sich bei mir zu entschuldigen, dann bekomme ich vielleicht häufiger so ein schönes Gedicht.“
„Weißt du eigentlich, was heute für ein Tag ist? Deine Mutter kommt heute Nachmittag hier in Paris an!“ „Mama kommt? Wirklich? Das ist toll, ich muss ihr gleich Albert vorstellen, sie muss ihn unbedingt kennenlernen. Ich glaube, er wird ihr auch gefallen.“ „Darauf würde ich mich an deiner Stelle nicht verlassen, du weißt doch worauf sie Wert legt. Albert hat weder einen großen Namen, noch ist er reich, da musst du schon ganz tief in die Trickkiste greifen, dass sie mit ihm einverstanden ist.“ „Ach das mach ich schon, ich weiß doch, wie ich Mama überreden kann. Zur Not hilft mir Papa, der war ja auch am Anfang nicht mit ihm einverstanden.“
Die Reisenden kommen rasch voran, beim Zoll an der Deutsch-Belgischen Grenze oder auch Belgisch-Französischer Grenze verläuft alles reibungslos. Endlich erreichen sie nach der langen Fahrt den Bahnhof und der Graf ist ein echter Gentleman und hilft den beiden Damen mit ihrem Handgepäck. Beim Aussteigen reicht er ihnen seine Hand. Anschließend hebt er eine Tasche nach der anderen aus dem Waggon. Auf dem Bahnsteig scheint auch einiges los zu sein. Ein paar französische Polizisten betreten die Waggons der zweiten Klasse und scheinen diese zu durchsuchen. „Da wird wohl wieder einmal ein Taschendieb sein Unwesen treiben. Das passiert immer wieder, ich fahre die Strecke so oft, das ist nicht das erste Mal. Aber keine Angst meine Damen, ich bin ja bei Ihnen, da kann Ihnen so schnell nichts geschehen.“ „Oh mein Herr Graf, ein Glück, dass wir Sie haben, in Ihrer Gegenwart fühle ich mich gleich viel sicherer. Ich hoffe Sie machen ihr Versprechen wahr und kommen mich besuchen. Ihnen Frau de Menier wünsche ich noch einen angenehmen Aufenthalt hier in Paris“, wendet sich Frau Schubert an Alberts Mutter, mit der Hoffnung, dass diese sie und den Grafen schnell verlässt und sie diese auch nicht so schnell wiedersieht. Allerdings verabschiedet sich auch der Graf zu Limburg höflichst von den beiden und entschuldigt sich kurz, da er dem Schaffner noch ein Trinkgeld geben möchte. Also machen sich die Damen auf den Weg.
Wie nicht anders zu erwarten trägt Frau de Menier ihr Handgepäck selbst, während Frau Schubert natürlich vorauseilt, da sie gleich einen Gepäckträger ergatterte.
Noch bevor Alberts Mutter ihr restliches Gepäck abholen kann, steht da plötzlich ein Mann, der etwas beleibter ist und tatsächlich wie ein Pastor aussieht. Ein seltsames Bild, der Pastor hält ein Schild hoch, auf dem tatsächlich ihr Name steht. Erst ist sie misstrauisch, wieso sollte sie ein Pastor abholen. Wäre doch der Graf noch da, der könnte sie zur Not beschützen, aber woher sollte ein Dieb wissen, dass sie heute mit dem Zug in Paris ankommt. Also gibt sie sich zu erkennen. „Bon jour, suchen Sie etwa mich?“ „Na wenn Sie Frau de Menier sind, dann habe ich auf Sie gewartet. Ihr Sohn Albert muss heute leider arbeiten, da bat er mich, dass ich mich um Sie kümmere. Ich hoffe Sie hatten eine angenehme Reise.“ „Im Allgemeinen schon, man kann sich eben seine Reisegefährten nicht aussuchen. Ich weiß nicht, was in meinen Sohn gefahren ist, sein Geld einfach so herauszuwerfen, er hat mich doch tatsächlich erster Klasse reisen lassen. Die zweite Klasse hätte es auch getan, da wären auch nicht solche versnobten Damen gewesen. Woher kennen Sie denn meinen Sohn?“ „Ach das ist eine längere Geschichte, die soll Ihnen am besten Albert erzählen, aber kennengelernt haben wir uns in der versnobten ersten Klasse.“ „Oh entschuldigen Sie, ich wollte sie nicht beleidigen, mich hat nur die eine Dame so genervt. Ich darf mich aber nicht zu sehr aufregen, denn es war ja auch ein hinreißender Graf im Abteil, bei dem hat man nicht gemerkt, dass er was Besseres war.“ Da sich die beiden nun herzlich unterhalten, merken sie nicht wie die Zeit vergeht, denn als sie zu der Gepäckausgabe kommen, sind die meisten Leute schon weg und sie haben keine Probleme ihren alten Koffer zu finden, den der Pastor freundlicherweise trägt. Mit einer Droschke fahren sie zu Marie, wo schon ein leckeres Abendessen wartet.
Frau Schubert wurde von Klaus abgeholt. Während sie gleich ins Automobil stieg, musste Klaus das Gepäck holen. Allerdings war es nicht nur ein Köfferchen, sondern gefühlt, ihr gesamter Kleiderschrank. Nachdem dies erledigt war, fuhren sie zur Unterkunft der Familie Schubert.
Es ist bereits abends und die Sonne taucht die Baumwipfel in ein dunkles Rot. Aus nicht allzu weiter Ferne hört man das Gefiedel der Zigeuner, die mit ihren Wägen, um ein loderndes Feuer, ihr Lager aufgeschlagen haben. Die Besucher dieses schönen Parks – dem Bois de Boulogne - eilen nach Hause, um in Sicherheit zu sein, nicht nur vor den Verbrechern, die hier in der Dunkelheit ihr Unwesen treiben. Nein, selbst die Verbrecher verlassen diesen Ort.
Seit einigen Tagen hört man nachts das Geheul eines Tieres, ähnlich dem eines Hundes. Allerdings geht dieses Geheul einem durch Mark und Bein. In den letzten zwei Nächten wurden zwei Personen übel zugerichtet, eine wohlhabende Dame und ein armer Bursche, der hier einen Platz für die Nacht gesucht hatte. Ihnen wurde regelrecht das Fleisch vom Knochen gelöst. Zeugen erzählten von den Schreien der armen Unglücklichen. Als man sie am nächsten Morgen fand, zumindest das was von ihnen übrigblieb, hatten selbst die Polizisten so etwas noch nicht gesehen. Während das Gras niedergedrückt war und große Abdrücke eines Raubtieres zu sehen waren, quollen aus dem aufgeschlitzten Bauch der Toten die Gedärme. Arme und Beine bestanden nur noch aus Knochen und Hautfetzen. Bissspuren am ganzen Torso lassen auf ein sehr großes Gebiss schließen. In den dunklen leeren Augen der weißen, blassen Gesichter der Opfer, sah man, dass hier kein Geschöpf Gottes am Werk war. Es scheint so, als wäre Zerberus, der Höllenhund selbst, aus den Tiefen der Hölle heraufgekommen, dem es nach frischem Fleisch lechzte. Und wieder hört man dieses angsteinflößende Geheul in nicht allzu weiter Ferne.
„Männer, wir sind hier, um dem Biest den Gar auszumachen! Die Einwohner der Stadt bauen auf uns“, mit diesen Worten versucht Kommissar Planchon, der vom Polizeipräsidenten höchst persönlich auserkoren wurde, die Bestie zu fangen, seine Männer zu ermutigen, die sich bei den Geräuschen in der Dunkelheit beängstigt anschauen. Ein Huschen hier und ein Zischen da, die kühle Abendluft lässt die Nackenhaare emporsteigen.
Die Zigeuner am Lagerfeuer spielen weiter ihre Musik und tanzen, als ob diese Bestie ihnen nichts anhaben könnte. Planchon teilt seine Männer auf und lässt sie in einer langgezogenen Reihe, die mit einzelnen Bäumen bewachsenen Wiesen durchkämmen. Der Abstand zwischen den Männern, die keine andere Wahl haben, als hier zu sein, beträgt gerade mal zehn Meter, aber es fühlt sich an, als wäre der nächste Kilometer weit weg.
Unter den Männern des Kommissars haben sich auch drei Jäger gesellt, die schon die wildesten Tiere in Afrika gejagt haben und nun auf eine mächtige Trophäe hoffen. Mit dem Gewehr im Anschlag folgen sie den armen Gendarmen, die wohl das Tier anlocken sollen. Es erklingt wieder das Heulen eines Tieres und allen stockt der Atem. „Da ist es!“ hört man einen schreien. „Dort oben am Waldrand!“ Und tatsächlich ein großes zotteliges Wesen steht da und jault. Schon hört man einen, zwei und nun auch einen dritten Schuss und das Biest sinkt zu Boden, gefolgt von einer Totenstille. Erst verharren alle, nicht dass es wieder aufspringt und einem die Kehle durchbeißt. Einer der Jäger traut sich nun doch, und geht langsam auf den regungslosen Körper zu. „Es ist tot, wir haben es erlegt!“ Nun ist die Anspannung gelöst und man merkt die Erleichterung der Männer, so ein Glück, gleich beim ersten Mal haben sie es erwischt.
„Hallo Mama, wie habe ich dich vermisst, hattest du eine angenehme Fahrt?“ freudig strahlend begrüßt Isabell ihre Mutter, die gerade zur Tür hereinkommt, während Klaus das Gepäck nacheinander in die Wohnung schleppt. „Mein armes Kind, geht es dir wieder gut, ich habe solche Angst um dich gehabt. Ich wäre vor Kummer fast gestorben. Aber erzähl, was ist passiert?“ „Ach das ist gar nicht so einfach zu erzählen, aber sogar Papa hat mitgeholfen mich zu befreien!“ „Was? Franz hat Mut bewiesen? Manchmal bezweifle ich, dass er so etwas für mich tun würde.“ „Ach Mama, du tust Papa unrecht, er war mein Held.“ „So, so, ich war also dein Held“, meldet sich Herr Schubert zu Wort, als er den Salon betritt. „Ich dachte ein anderer war an diesem Tag dein Held. War da nicht auch ein junger Herr, der mich in den Schatten gestellt hat?“ „Ach verrat doch nicht gleich alles, aber wenn Papa schon damit herausplatzt, muss ich dir von ihm erzählen. Er heißt Albert und ist ein Schatz, du musst ihn unbedingt kennenlernen.“
„Na sowas, hat sich unser kleines Mädchen etwa wieder verliebt? Naja wohl wieder eine dieser Schwärmereien, oder? Was ist er von Beruf? Was machen seine Eltern? Aus welchem Haus ist er denn?“ „Ach Mama, das ist doch nicht wichtig, ich bin hin und weg von ihm.“ „Na das hab ich mir doch gedacht, wohl so ein Taugenichts, aber zum Glück ist dein Vater da, der dich vor solchen Individuen schützt. Was würdet ihr nur ohne mich machen, ich habe auf der Fahrt hierher einen echten Grafen kennengelernt, der wird uns sicher bald besuchen.“ „Aber Eleonore, schreib doch unserer Tochter nicht wieder vor, wen sie treffen darf und wen nicht. Dieser junge Mann ist anständig und hat nur die besten Absichten, davon konnte ich mich überzeugen.“ „So? Da lass ich dich einmal mit unserem Augapfel alleine und schon macht ihr Dummheiten.“ „Ach Mama, lern Albert doch erst einmal kennen bevor du über ihn urteilst.“ „Na schön, dann lassen wir jetzt das Thema, komm und gib deiner Mutter einen Schmatzer, ich habe dir auch etwas aus Berlin mitgebracht.“ Frau Schubert zitiert Klaus herbei, der eine ihrer Taschen bringen soll, die sie als Handgepäck dabeihatte. „Na sowas? Wo ist es denn? Ich habe es doch hier reingetan! Ich kann es einfach nicht finden.“ „Soll ich dir helfen Mama, hast du es vielleicht in deinen Reisekoffer getan? Was ist es denn?“ „Das gibt es doch nicht. Ich habe extra einen Flakon deines Parfüms mitgebracht, ich habe es nach deinem persönlichen Rezept neu mischen lassen. Oh nein! Meine Geldbörse ist auch verschwunden! Im Speisewagen hatte ich sie noch. Das war bestimmt diese komische Frau, die mit im Abteil saß, die muss mich beklaut haben, während ich geschlafen habe. Wahrscheinlich hat sie auch den netten Grafen beklaut - den Armen.“
„Na da muss ich dir Albert doch früher vorstellen als ich dachte, aber wenn es um Verbrechen geht, ist er der Richtige.“ „Ah, ist er etwa ein hoher Beamter in der Botschaft?“ „Nicht ganz, er ist Kommissar und fängt Verbrecher, am besten wir gehen morgen bei ihm vorbei.“ „Aha, Kommissar? Was verdient denn so einer?“ fragt Frau Schubert enttäuscht und überrascht zugleich.
„Ich hoffe meine Mutter ist hier in Paris gut angekommen, schade dass ich sie nicht abholen konnte.“
„Keine Angst Albert, auf Pastor Koch ist doch Verlass und mit meiner Schwester ist noch jeder zurechtgekommen.“ „Ja, aber ich glaube, das ist ihre erste lange Reise, seit ihrer Hochzeitsreise und die ging nur bis nach Rügen. Außer mir hat sie doch keinen mehr, ich muss doch auf sie aufpassen.“ Albert bedauert immer noch, dass er seine Mutter am Bahnhof nicht abholen konnte, dafür darf er nun nachts bei spärlichem Licht auf einem Friedhof herumlungern und irgend so einen Verrückten auf frischer Tat ertappen. Die beiden Kommissare haben sich in der Nähe des Grabes von Heinrich Heine versteckt. Eigentlich eine Schande, dass für einen der großen Deutschen Männer nur so eine läppische Platte eingelassen wurde. Für ihn müsste man ein Mausoleum errichten. Zumindest sollte es den anderen Gräbern ebenwürdig sein. Der Friedhof ist mit etlichen prachtvollen Grabstätten und Gruften versehen, die aber auch teilweise sehr verwittert und vom Alter gezeichnet sind. Viele sind moosbewachsen, und man kann manchmal kaum noch die Inschriften entziffern. Es ist totenstill, nur das Maunzen der streunenden Katzen kann man vereinzelt vernehmen. Ab und zu hören sie auch knirschende Geräusche, die aus den Gräbern zu kommen scheinen, aber davor hat sie der Friedhofsvorsteher schon gewarnt, das kommt wohl wirklich aus den Gräbern. Das zersetzen der Leichen macht doch so manches Geräusch. Aus weiter Ferne hört man auch ein eigenartiges Gejaule - zum Glück ist es in weiter Ferne. Ein schwarzes Kätzchen schmiegt sich schnurrend an Jeans Bein, dem fast das Herz stehen bleibt, als er das flauschige Tier spürt.
Zwischen den Grabsteinen hören die beiden auf den Kieswegen Schritte und nach einiger Zeit auch ein leichtes Stöhnen, als ob jemand schwere Arbeit verrichtet. Albert und Jean reißen sich zusammen und schleichen sich näher ran, mit dem verschmusten kleinen Kätzchen im Schlepptau, das sich nicht mehr von Jean trennen mag.
Die beiden können bei dem schwachen Licht zwei dunkle Gestalten erkennen, die sich an einer Grabplatte zu schaffen machen. Es scheint ein recht frisches Grab zu sein, entweder sind das zwei Grabräuber, die nach wertvollen Grabbeigaben suchen, oder es sind die Verrückten, die die Leichen so entstellen. Sie sind sich nicht sicher, was ihnen lieber ist, Räuber oder Verrückte zu fangen. Sie warten noch ab, bis sie das Grab geöffnet haben, um zu sehen, was sie vorhaben.
Leider können sie die beiden Gestalten immer noch nicht erkennen, aber als sie die schwere Grabplatte zur Seite geschoben haben und der eine hineinsteigt, sehen sie, wie dieser eine Art Pflock mit beiden Händen in die Höhe reißt, um damit auf die Leiche einzustechen. In diesem Moment stürmen die Kommissare aus ihrem Versteck auf die Halunken zu. Jean hat mit dem, der im Grab kniet leichtes Spiel, er kann ihn oben an den Händen packen, die er ja nach oben gerissen hatte, um zuzustoßen und zieht ihn nach hinten um. Mit einem schmerzerfüllten Laut lässt dieser den Pflock fallen und versucht sich loszureißen, aber Jean hat ihn in seiner Umklammerung fest im Griff. Albert hat da etwas weniger Glück, er stolpert über Jeans neue Freundin, der kleinen schwarzen Katze und fällt dem zweiten Schurken direkt vor die Füße. Dabei löst sich ein Schuss aus seiner Pistole, die er gezogen hatte. Der zweite Halunke - fast zu Tode erschreckt - nimmt die Füße in die Hand und rennt schreiend davon. Dabei ruft er immer wieder etwas in einer Sprache, die den beiden unbekannt ist. „Murony! Murony!“ Ohne sich nach seinem Freund nochmals umzuschauen, ist der Grabschänder verschwunden. „Wenigstens haben wir einen geschnappt, mal sehen was das für ein Bursche ist.“ Albert rappelt sich nach seinem Sturz wieder auf und hilft Jean, der den anderen Kerl immer noch festhält. Dabei liegen die beiden mit der ursprünglichen Eigentümerin dieser Grabstelle in diesem engen Sarg. „Mein Gott, das ist noch ein Junge, gerade mal 15-16 Jahre alt! Gehörst du zu den Zigeunern? Was habt ihr hier nur vorgehabt? Habt ihr etwa auch die anderen Gräber so gotteslästerlich entweiht? Jean, brauchst du Hilfe?“ „Nein, lass dir ruhig Zeit, ich liege hier bequem… Natürlich brauche ich deine Hilfe, glaubst du, mir macht es Spaß hier auf der Toten zu liegen?“
„Bitte Messieurs, lassen Sie uns unser Werk vollenden, sonst wird großes Unglück über uns hereinbrechen. Bitte ich flehe Sie an, es geht um Leben und Tod.“ Angsterfüllt bittet der Junge die beiden Kommissare ihn freizulassen. „Das könnte dir so passen, am Ende sollen wir dir noch helfen die Leiche dieser armen Seele zu verstümmeln“, erwidert Albert, der dem zitternden Zigeunerjungen, der Tränen in den Augen hat, Handschellen umlegt. Nachdem Jean und der Junge aus dem Grab gestiegen sind, untersucht Albert die Sachen, die die beiden Grabschänder dabeihatten. Den Holzpflock hatten sie ja schon gesehen, aber unter den Habseligkeiten, die in ein Leinentuch gebunden waren, sind noch Mohnsamen, ein paar uralte Silbermünzen und Salz.
Kaum ist Jean wieder auf den Beinen, schnurrt schon wieder dieses schwarze Kätzchen um ihn herum. Um nicht auch über diesen süßen Fratz zu stolpern, nimmt er es auf den Arm. Als der Gefangene die kleine Katze sieht, wird er fast panisch: „Nein, nicht, lasst dieses Biest nicht an mich rankommen, dreht dem Ding den Hals um, euer Unglück ist sonst unvermeidbar!“ Jean gibt diesem unverschämten Jungen einen Klapps. „Was sind denn das für Manieren, was hat dir denn dieses arme Kätzchen getan? Du solltest aufpassen, was du sagst, sonst drehen wir dir noch den Hals um und stecken dich in das offene Grab zu der anderen!“ „Das würdet ihr wirklich tun? Alles nur das nicht, habt Mitleid.“ Die beiden wissen nicht, ob sie diesen jungen Kerl einsperren oder in eine Anstalt stecken sollen, der ist ja vollkommen plemplem.
„Erzähl was ihr hier vorhattet?“ will Albert wissen und schaut dem Jammernden streng in die Augen. „Meine Großmutter wird enttäuscht von mir sein, weil ich versagt habe, aber das ist alles ihre Schuld! Sie haben mich daran gehindert den Murony zu töten!“ „Murony? Das hat dein Kumpel doch vorhin schon geschrien, was ist das?“ „Ein Murony ist ein… ist ein…, wie heißt das noch mal? Ach ja ein Vampir!“
„Ein Vampir? Soll das ein Scherz sein?“ „Nein, schaut euch doch die Tote an! - Und ich flehe euch an tut diese Hexe weg!“ damit meint der Junge das schwarze Kätzchen auf Jeans Arm. „Pass auf, was du zu meiner neuen Freundin sagst, die ist doch ganz lieb.“ Es sieht auch herzzerreißend aus, wie das kleine kuschelige Knäuel auf Jeans Armen liegt und ihm die Finger leckt. „Schon gut, aber bitte, schaut euch die Tote an, sie wurde vor 3 Wochen begraben und ihre Fingernägel sind weitergewachsen und auch ihre Haare, seht ihr das nicht!“
Jetzt schauen die beiden doch auf die Leiche herunter. Im Schein der Laterne, die sie mittlerweile entzündet haben, wird ihnen doch etwas mulmig. Die Nägel sind tatsächlich unnatürlich lang, die Haare können sie schlecht beurteilen, da eine Frau nun mal lange Haare hat, aber könnte dieser Junge etwa recht haben? Auch die sonstige Erscheinung der Leiche ist merkwürdig, sie sieht noch so frisch und wohl genährt aus. „Ich weiß nicht, gibt es so etwas wie Vampire überhaupt? Meine Tante hatte mir immer wieder von solchen Gestalten erzählt, aber das waren doch nur Märchen. Was denkst du Albert, sieht sie nicht sonderbar aus?“ „Schon, aber was sollen wir machen, wir können doch nicht zulassen, dass er ihr den Pflock durchs Herz rammt.“ „Wieso nicht? Sie ist doch schon tot, wenn sie ein Vampir ist, würden wir das Richtige tun und wenn nicht? Schmerzen wird sie mit Sicherheit keine mehr empfinden.“ „Fängst du jetzt auch zu spinnen an? Wir bringen den Jungen aufs Revier und lassen die Leiche von Doktor Huisman dem Pathologen anschauen.“ „Dürfen wir das? Sie wurde doch schon beerdigt.“ „Hm, eine Leiche aus einem Grab dürfen wir wohl nicht einfach da rausnehmen. Aber angenommen, das Grab war ursprünglich leer und der Junge hat versucht dort eine Leiche zu verscharren, dann müssten wir doch die Leiche untersuchen lassen, zumindest um festzustellen, dass es sich wirklich um die Tote auf dem Grabstein handelt. Wir sind schließlich erst hinzugekommen, als das Grab schon geöffnet war.“ Gegen diese Argumentation kann Jean natürlich nichts erwidern, so stören sie die Totenruhe der unseligen Begrabenen und lassen sie zu Doktor Huisman bringen. Als die Tote herausgehoben wird, bemerken die Anwesenden am Hals derselben mehrere Male. Könnte es stimmen, was der Junge erzählt hatte, und es handelt sich tatsächlich um einen Vampir?
„Ist es Ihnen wirklich recht, wenn ich hier auf meinen Sohn warte?“ „Was ist das für eine Frage, natürlich können sie so lange bleiben, bis Albert wiederkommt. Ich befürchte fast, das wird erst sehr spät in der Nacht sein. Aber ich mache Ihnen gerne unser Gästezimmer zurecht, und mein Bruder Jean nimmt sie morgen mit zum Revier.“ Im Hause Roussou wird Gastfreundschaft großgeschrieben, und wenn es sich um Alberts Mutter handelt, erst recht. „Können Sie mir sagen, wieso mich mein Sohn nach Paris gerufen hat? Er wollte unbedingt, dass ich ihm den Ring meiner Mutter mitbringe. Es kann eigentlich nur bedeuten, er braucht ihn, um jemandem einen Antrag zu machen. Ich kann das eigentlich gar nicht glauben, er ist doch erst ein paar Tage von zu Hause weg. Ich hoffe doch, er hat nicht so ein leichtlebiges Pariser Mädchen kennengelernt, das ihm den Kopf verdreht hat. Hier in Paris kommt man doch so schnell unter die Räder, was man nicht alles von den unzüchtigen Frauen hier hört?“ „Aber Madame, ich hoffe doch, Sie meinen mich nicht auch damit, ich bin eine waschechte Pariserin und kann Ihnen versichern, dass es hier nicht weniger oder mehr unsittliche Frauen gibt als anderswo!“ protestiert Marie, die von den Worten von Frau de Menier doch etwas verletzt ist. „Ich kann Sie aber beruhigen, ihr Sohn ist nicht in die Falle eines leichten Mädchens gegangen. Ich möchte nicht zu viel verraten, aber sie ist eine ganz Nette. Albert soll Ihnen am besten selbst alles erzählen, sonst bekomme ich am Ende noch Ärger, wenn ich alles hinausposaune.“ „Wie lange sind Sie und der Herr Pastor eigentlich schon verlobt?“ Der Pastor bekommt einen Hustenanfall, als er die Worte vernimmt, und Marie schaut ihn ganz verliebt an, während sie ihm auf den Rücken klopft, um ihn vom Hustenanfall zu befreien. Alberts Mutter tritt ja nicht absichtlich in jedes Fettnäpfchen, aber das waren jetzt gleich zwei hintereinander.
„Nein Madame, wir sind nicht verlobt, wie kommen Sie denn darauf?“ fragt Pastor Koch, nachdem er wieder reden kann. „Nun Sie beide sind miteinander so vertraut, da habe ich angenommen, dass Sie beide zusammen sind, es macht auf jeden Fall den Eindruck.“ Diese Worte lassen den armen Mann grübeln, darüber hatte er sich noch keine Gedanken gemacht, auch wenn er sich in Maries Gegenwart immer so wohl fühlt.
Pastor Koch ergreift die Flucht und verabschiedet sich mit einer Ausrede. Leicht verärgert, da Alberts Mutter ihren Richard so unter Druck gesetzt und damit verjagt hatte, macht sie dennoch wie versprochen das Nachtlager für ihren Gast zurecht und sie gehen schlafen.