Читать книгу Albert de Menier - Exposition Universelle Der Jagdclub von Paris - Benjamin Klunzinger Karl - Страница 4
05.05.1900 Ein unerwarteter Gast
ОглавлениеDas gibt`s doch nicht, alle sind glücklich, nur ich nicht! Albert ist mit Isabell verlobt und meine Schwester Marie wird mich bald mit ihrem Pastor verlassen, dann bin ich ganz alleine. Ich weiß auch gar nicht, wieso Sophie sich nicht gleich in mich verliebt hat, ich bin doch eine gute Partie. Als Beamter der französischen Polizei habe ich ein geregeltes Einkommen, da muss es doch bei ihr Klick machen. Außerdem kann ich auch mit einiger Erfahrung aufwarten, die ich schon mit so mancher Frau gemacht habe. Ich bin also kein Anfänger mehr und könnte ihr so einiges beibringen. Sollte eine Frau nicht stolz sein, wenn ihr Mann schon Erfahrung mit anderen Frauen hat? Wenn ich dann bei ihr bleibe, bedeutet das doch, dass sie gewonnen hat und sie besser wäre als alle anderen vor ihr. Sie hätte dann den Hauptgewinn und alle anderen würden sie beneiden. Sophie könnte auch damit angeben, dass sie mich gezähmt hätte. Komisch, aus irgendeinem Grund erliegt sie nicht meinem Charme, oder denken Frauen etwa anders? Vielleicht sollte ich es so wie Albert bei Isabell versuchen und ihr viele Blumen schicken. Aber sieht das dann nicht so aus, als ob ich verzweifelt wäre? Zugegeben, das bin ich auch, wenn ich es nicht schaffe, sie von mir zu überzeugen, lernt sie womöglich noch einen anderen kennen.
Jean hat es im Leben nicht leicht, alles um ihn herum ändert sich. Am liebsten hätte er weiter mit seiner Schwester Marie im Elternhaus gelebt und sein Leben so geführt, wie bisher, aber das liegt nicht in seiner Macht. Es kommt eben immer anders als man denkt. Vielleicht hat er Glück und Sophie bekommt Torschlusspanik, da ihre Freundin jetzt verlobt ist, womöglich schlägt dann doch noch seine Stunde. Liebe ist manchmal wie eine Infektion, hat sie einen erwischt, steckt sie die anderen auch an. Wenn er doch nur diesen verdammten Amor dazu bringen könnte, seine Pfeile auf Sophie zu schießen.
Wenigstens hat er sein kleines Kätzchen „petit sorcière“, das wird ihn nicht so schnell verlassen. Hoffentlich wird er nicht irgendwann so ein komischer Kauz, der alleine mit einem Rudel Katzen lebt. Etwas deprimiert macht Jean einen Spaziergang durch die Stadt und überall sieht er plötzlich junge Paare die glücklich zu sein scheinen, verdammt, das hat der Frühling wohl so an sich.
Heute haben er und Albert wieder frei, aber was soll er machen, wenn er nicht auf der Arbeit ist? Ohne Ablenkung muss er immer wieder über seine Schwester Marie und Pastor Koch, Albert und Isabell und natürlich über Sophie nachdenken. Gibt es denn neben der Arbeit einen Sinn zu leben?
Er schaut sich die Schaufenster der Geschäfte an. Die Frauen haben es gut, wenn ihnen langweilig ist, gehen sie einkaufen, und die Welt ist wieder in Ordnung.
„Extra Blatt! Extra Blatt! Die Bestie ist gefangen, erfahren Sie die Details!“ Als Jean das hört, reißt ihn das aus seiner Schwermut. Auch wenn sie den Fall vorgestern schon abgeschlossen haben, quetscht die Presse dieses Thema immer noch weiter aus.
Jean wirft einen kurzen Blick hinein und kann seinen Namen darin lesen, da kauft er gleich fünf Ausgaben, das lässt ihn wenigstens ein bisschen seine Probleme vergessen. Wenn die Leute, die ihm entgegenkommen nur wüssten, dass er derjenige war, der den Fall mit seinem preußischen Kollegen gelöst hat, dann würden ihm alle zu Füßen liegen, und die Damenwelt würde über ihn herfallen. Leider funktioniert das bei Sophie nicht, sie weiß, dass er der Held ist und straft ihn immer noch mit Gleichgültigkeit.
Während er über die Boulevards spaziert, fallen ihm die vielen Plakate auf. Bald sind hier in Paris wieder Wahlen. Es wird ein neuer Stadtrat gewählt, aber was soll sich schon groß ändern? Überall sieht man die Wahlversprechen, von den Nationalisten, den Sozialisten, den Republikanern und auch von den vielen kleinen anderen Parteien, von denen man kaum etwas gehört hat. Obwohl, eine dieser kleinen Parteien macht gerade von sich Reden, aber nur, weil ihr Vorsitzender spurlos verschwunden ist. Es ist ein gewisser Pierre Delac der Partei „Pur Parisienne“. Eigentlich sollte ihn niemand vermissen, die Ansichten dieser Partei sind sehr radikal. Sie sind der Meinung, dass die Pariser Bürger die Krönung der menschlichen Schöpfung sind. Nicht dass sie die Franzosen meinen, nein speziell Pariser, die Nachfahren des alten Lutetia. Am liebsten würden sie alle anderen aus der Stadt verjagen, aber ganz so konsequent sind sie dann doch nicht, irgendjemand muss schließlich die Drecksarbeit erledigen oder als Diener in ihren Haushalten arbeiten. Wenn es nach denen ginge würden sie wohl die Sklaverei wieder einführen.
Oh, ich bin immer noch in meiner kleinen Stube und mich hat auch kein Prinz wachgeküsst, ich habe meine Augen von selbst geöffnet. Das Leben ist ja so gemein, Isabell hat alles was man sich nur vorstellen kann und ist jetzt auch schon verlobt. Eigentlich darf ich nicht eifersüchtig sein, wir sind schließlich beste Freundinnen, aber wieso darf ich immer nur zuschauen, wenn die anderen Glück haben? Wer hätte gedacht, dass Albert solch ein Glücksgriff ist? Da kann man Isabell schon beneiden. Hoffentlich verfalle ich jetzt nicht in Panik. Am Ende lasse ich mich aus Verzweiflung doch noch mit diesem Jean ein. Zugegeben, er hat sich mittlerweile ein bisschen geändert, aber ich weiß noch wie er am Anfang war, das kann ich nicht vergessen. Wenn ich bedenke, was er damals vor dem großen gläsernen Treibhaus auf der Ausstellung zu mir gesagt hatte, als sich Albert und Isabell heimlich getroffen hatten, gleich nachdem Konstanze entführt wurde. Erst versuchte er mir Honig ums Maul zu schmieren - das war ja noch ganz nett - aber dann sagte er: „Mademoiselle Sophie lassen Sie uns in das andere „Treib-Haus“ gehen, da kann ich Ihnen die große Palme mit den beiden Kokosnüssen zeigen.“ Ich weiß genau, was er damit meinte, ich kann kaum glauben, dass es eine Frau auf dieser Erde gibt, die auf seine Aufforderung eingegangen wäre? Nicht ohne, dass er dafür bezahlen müsste. Aber momentan ist es in meinem Leben so trostlos, dass ich fast dazu geneigt bin, mir Jean doch noch mal näher zu betrachten, vielleicht war es nur ein missverstandener Scherz? Womöglich ist das hier in Paris so gang und gäbe? Er hat mir schließlich auch das Leben gerettet, war zuletzt ganz freundlich und nicht mehr anstößig zu mir. Ach Männer! Wer versteht die schon?
Sophie denkt weiter über ihr zukünftiges Leben nach, was bedeutet es wohl für sie, wenn Isabell verlobt ist? Sie wird ab jetzt immer das dritte Rad am Wagen sein, sie braucht auch einen Mann. Das Problem ist, dass Albert mit seinem Antrag die Messlatte ganz schön hochgelegt hat, da wird sie mögliche Bewerber besonders kritisch überprüfen.
Jetzt wird es aber Zeit, die Arbeit ruft. Sophie macht noch ihr Bett, richtet ihre Toilette und begibt sich zu Isabell, um sie aus ihren süßen Träumen zu reißen. Familie Schubert hat Albert zum Tee am Nachmittag eingeladen, da muss sich Isabell schließlich besonders hübsch machen.
„Guten Morgen liebe Margot, hast du gut geschlafen?“ empfängt Oberst Strobel die Mutter von Albert de Menier, als diese zum Frühstück kommt. Margot de Menier hat ja bei Konstanze von Trapnitz eine Unterkunft gefunden, nachdem sie von Marie Roussou, der Schwester von Jean, hinausgeworfen worden war. Bei Konstanze von Trapnitz hat sie auch die Bekanntschaft mit dem Oberst gemacht, der dort ebenfalls zu Gast ist.
„Ach es geht so, ich habe seit dem Vorfall auf dem Ball keinen ruhigen Schlaf mehr, es war alles so schrecklich, ich hoffe meinem Sohn geht es gut? Wieso haben wir nicht gewartet bis die Bestie gefangen wurde?“ „Aber Margot, wir mussten uns doch in Sicherheit bringen. Ich hätte es mir nie verzeihen können, wenn dir oder Konstanze etwas passiert wäre. Ich glaube deinem Sohn geht es gut, in der Zeitung ist ein Bild von ihm.“ Mit diesen Worten zeigt er ihr das Foto. „Nicht doch, das ist nicht Albert, das ist Jean, sein französischer Kollege.“ „Ach so, da hätte ich doch beinahe den falschen für deinen Sohn Albert gehalten.“
„Na ihr Lieben, was tuschelt ihr denn so?“ will Konstanze wissen, als sie zu den beiden stößt. „Ach, wir haben gerade über meinen Sohn und dem Vorfall beim Ball gesprochen.“ „Der Vorfall? Da war doch dein Albert der Held, oder?“ „In der Zeitung wird er nur nebenbei erwähnt, dieser Jean Roussou wird in der französischen Presse mehr gefeiert, wahrscheinlich, weil er ein Landsmann ist. Es wäre wohl ein Skandal gewesen, wenn ein Deutscher den Franzosen die Bestie weggeschnappt hätte.“ „Na Konstanze, wäre dieser Jean Roussou nicht etwas für dich? Da Margots Sohn in eine andere verliebt ist, wäre der doch nicht schlecht, er ist ja schließlich ein Held?“ mit dieser Aussage zieht der Oberst nicht nur Konstanzes Unmut auf sich, sondern auch Margots, die von dieser Idee nicht begeistert ist. „Bist du verrückt? Mein Sohn ist zwar verliebt, aber diese Schwärmerei vergeht auch wieder, ich werde Konstanze helfen, dass er sich in sie verliebt. Eine Mutter weiß schließlich, was für ihren Sohn gut ist und das ist mit Sicherheit nicht diese eingebildete Isabell, mit ihrer noch eingebildeteren Mutter!“ Der Oberst hat schon verstanden und verliert kein Wort mehr über dieses Thema, schließlich will er keinen Streit an diesem herrlichen morgen verursachen. „Hast du deinen Sohn seit dem Ball noch mal gesehen?“ „Leider nicht, deswegen kann ich auch nicht so gut schlafen.“ „Wieso springst du nicht über deinen Schatten und gehst als erstes auf ihn zu?“ „Nein das geht nicht, das endet wieder in einem Fiasko. Er muss erst selbst erkennen, dass diese Frau die Falsche ist und dann soll er zu mir kommen, sonst sieht es so aus, als ob ich kleinbeigebe.“ „Wäre das denn so schlimm? Es geht schließlich um die Familie?“ Darauf bekommt der Oberst, der es gut gemeint hat, keine Antwort, und Alberts Mutter schmollt.
Es ist ein dunkler Raum. Die Wände sind genauso wie der Boden, mit weißen Fliesen versehen. Der Zustand der Fliesen war wohl in vergangenen Tagen schon mal besser, denn lange Risse ziehen sich hindurch. In gewissen Abständen sind Petroleumlampen an der Decke angebracht, deren Flammen bei jedem Luftzug zu tanzen beginnen, und das Licht flackert.
Ebenso hängen von der Decke lange, teilweise leicht verrostete Haken herunter, wie in einem Schlachthaus. Es scheint sich auch wirklich, um ein solches zu handeln, da man die Stimme eines Mannes hört, der etwas erklärt.
„…das Geheimnis ist, dass man mit einem Schlag auf den Kopf das Gehirn ausschaltet, danach muss man das Schlachtgut mit den Füßen nach oben aufhängen. Als nächstes durchtrennt man mit einem kräftigen scharfen Messer die Halsschlagader. Am besten schneidet man bis auf den Knochen, dann ist man sich sicher, dass man nicht zu zaghaft war, sonst dauert alles zu lange. Das Blut lässt man herauslaufen und fängt es auf, man will doch nichts vergeuden, oder? Hat man den letzten Tropfen aufgefangen, weitet man den Torso und muss aufpassen, dass das Fleisch nicht mit Kot verunreinigt wird, sonst kann man alles wegschmeißen. Es gibt doch nichts Besseres wie seine Wurst und Pasteten selbst herzustellen, da kann man alles so würzen wie es einem beliebt. Heute habe ich allerdings etwas anderes vor. Nach dem Ausbluten ziehe ich erst die Haut ab. Ach ja, gibt es noch Fragen?“ erkundigt sich die Stimme des Fleischers. Für die Hygiene trägt er eine lange Schürze und Handschuhe. In der einen Hand hält er einen Knüppel und mit der anderen entfernt er den Knebel des an den Füßen herunterbaumelnden Mannes.
„Nein! Nicht! Lassen Sie mich gehen! Ich will hier raus! Ich zahle Ihnen alles was Sie wollen, aber lassen Sie mich gehen…“, fängt dieser gleich lauthals zu schreien an. Er fleht um Erbarmen! Das Entsetzen spricht aus seinem Gesicht, verzweifelt windet er sich, aber er bekommt die Hände, die hinter seinem Rücken gefesselt sind, nicht frei. Immer wieder flackert das Licht, und seine Schreie durchdringen nicht die dicken Mauern. Es hört ihn keiner, da er mit diesem Verrückten alleine ist. Er versucht sich, mit aller Kraft zu befreien, aber je mehr er es versucht, umso fester ziehen sich seine Fesseln zusammen.
Die Schmerzen die er dabei spürt sind nebensächlich, er muss es schaffen sich zu befreien, sonst hat sein letztes Stündchen geschlagen, aber es gelingt ihm nicht. Der Mann mit dem Knüppel in der Hand geht auf ihn zu und bemerkt noch: „Nur zu, schrei dir die Seele aus dem Leib, für die habe ich keine Verwendung, mir reicht dein Fleisch!“ Mit diesen Worten holt er aus und…
„Oh mein Gott, das müsst ihr probieren, diese Leberpastete schmeckt so gut. Ich kann nicht genug davon bekommen. Auch wenn es eine Sünde ist, weiter zu essen, obwohl man schon satt ist, ich kann einfach nicht aufhören. Dieser Geschmack ist einzigartig, so etwas habe ich noch nie gegessen. Ich wüsste zu gern, was das Geheimnis dieser leckeren Pastete ist?“ schwärmt der gute Pastor Koch, als er bei Jean und Marie Roussou, die heute beide frei haben, zum Mittagessen vorbeikommt. Er hat unterwegs extra etwas aus einer der Charcuteries, eine der edel eingerichteten Metzgereien, in denen es auch Aufschnittwurst, Schinken oder kalten Braten gibt, mitgebracht. Dazu gibt es natürlich ofenfrisches Baguette und etwas Käse.
„Die haben doch alle ihre Geheimrezepte. In der Regel kommt es auf die Qualität des Fleisches und der Gewürze an. Ich muss dir aber zustimmen Richard, diese Pastete schmeckt außergewöhnlich gut, die musst du auch probieren Jean.“ Jean ist immer noch nicht glücklich, dass seine Schwester mit dem Pastor zusammen ist, er verflucht jetzt schon den Tag, an dem ihn seine Schwester in die Kolonien verlässt. Er darf aber nicht so miesepeterisch sein, sonst vergrault er alle noch schneller als er denkt.
Leider muss er zugeben, dass das Essen, welches der Pastor mitgebracht hat, wirklich einmalig schmeckt. Wenn es etwas gibt, mit dem sich der Pastor auskennt, dann mit Essen. „Haben sie dir gesagt, aus welchem Tier die leckere Pastete ist, Richard?“ will Marie von ihrem Pastor wissen. „Ich habe gefragt, aber die haben ein großes Geheimnis daraus gemacht. Sie sagten, dass die Auswahl der Fleischsorten gerade den Geschmack ausmacht. Es soll aber alles aus der Region stammen, alles aus Paris. Dieser Metzger ist ein wahrer Künstler, wozu braucht man den Louvre oder die Galerien, wahre Kunstwerke findet man in den Metzgereien oder auch Cremerien. Diese Kunstwerke sind nicht nur was fürs Auge, nein auch etwas für die Nase und den Gaumen! Naja, wenn ich wieder Lust darauf bekomme, muss ich die Pastete eben wieder dort kaufen. Diese Pastete haben sie allerdings erst seit kurzem, angeblich eine neue Kreation.“
„Jetzt aber genug vom Essen. War das gestern Abend nicht romantisch, als Albert Isabell den Heiratsantrag gemacht hat? Ich muss immer noch heulen, wenn ich daran denke“, schmilzt Marie dahin und schaut Richard dabei an, mit der Hoffnung, dass er ihr auch mal so einen Antrag machen wird. „Ich glaube das reicht, Albert lässt uns mittlerweile alle schlecht dastehen. Wenn ich Sophie meine Aufwartung machen will, erwartet sie wohl das Gleiche.“ „Ist das denn so schlimm, mein Bruderherz? Das ist doch das, was jede Frau will.“ „Ach was, Frauen wollen richtige Männer, mit Ecken und Kanten und keine Weicheier. Sie wollen einen Mann, der weiß wie es im Leben läuft, und ihnen sagt, wo es lang geht.“ „Ich sehe schon, du willst meinen Rat nicht, aber sag später nicht, ich hätte es dir nicht gesagt.“ „Haben Isabell und Albert schon einen Termin für den großen Tag?“ will Pastor Richard Koch wissen. „Nein ich denke nicht, den werden sie aber sicher bald festlegen.“
„Ah da ist ja einer der großen Helden“, wird Albert von Herrn Schubert, Isabells Vater, in Empfang genommen. „Isabell ist noch nicht so weit, sie schwebt noch auf Wolke Sieben und braucht heute etwas länger. Haben Sie heute denn keine Blumen dabei? Denken Sie, da Sie jetzt am Ziel sind, bedarf es keiner Blumen mehr?“ „Nein, ich war schon im Blumenladen, aber dann musste ich an Ihre Worte denken und dachte mir, heute mal eine Pause einzulegen.“
„Gut, aber schieben Sie die Schuld nicht auf mich, wenn Isabell enttäuscht ist. Ich habe Sie heute kommen lassen, um nach ihrem Antrag mit Ihnen zu erörtern, wie es mit Ihnen beiden nun weitergeht. Natürlich sollen da auch meine Frau und Isabell dabei sein.“
Zu diesem freudigen Anlass hat der Herr des Hauses extra einen Patissier kommen lassen, der zum Tee seine leckeren Tartes oder auch Torteletts kreieren soll. Vielleicht ist der ja auch gleich der passende Mann für die Hochzeitstorte. Nachdem der Tee und Kaffee angerichtet sind, kommen die Damen dazu, um mit Albert die Details zu besprechen. Sophie darf diesmal leider nicht mit dabei sein, da dies eine reine Familiensache ist. Isabell wird ihr aber sicherlich später alles erzählen.
Als Isabell den Salon betritt, fallen sich die beiden frisch verlobten um den Hals und jetzt trauen sie sich sogar, sich vor den Augen von Isabells Eltern zu küssen. Nach der freudigen Begrüßung der beiden Liebenden, spricht Eleonore gleich das wichtigste an: „Wann habt ihr vor zu heiraten, wollt ihr euch noch hier in Paris oder erst in Berlin das Jawort geben?“ Die Beiden schauen sich an und beginnen gleichzeitig, wie aus einem Mund zu reden. „Paris!“ „Berlin!“ Während Albert Paris sagt, kommt aus Isabells Mund das Wort Berlin. Beide schauen sich überrascht an. „Isabell meine Liebe, willst du wirklich noch so lange warten, bis wir vereint sind? In Berlin könnten wir erst in einem halben Jahr heiraten, wenn mein Dienst hier vorüber ist.“ „Albert, du glaubst doch nicht, dass man eine Hochzeit innerhalb eines halben Jahres organisieren kann, außerdem sind meine Freundinnen alle in Berlin!“ „Ich kann aber nicht so lange warten, ich werde noch verrückt, wenn das so lange dauert. Am Ende überlegst du es dir doch noch anders!“ „Was denkst du von mir, ich liebe dich doch!“
Es scheint sich zwischen den beiden die erste Uneinigkeit zu entwickeln. Aber Albert gibt nach und lässt sich breitschlagen. Das ist hoffentlich nicht ein Zeichen, wer in der Beziehung die Hosen an hat. „Mit den Vorbereitungen müssen wir natürlich sofort anfangen. Ich weiß auch schon, wer mir mein Hochzeitskleid schneidert. Monsieur Rossignol ist mir noch etwas schuldig, da er mein Ballkleid damals an eine andere weggab.“ „Da will ich aber unbedingt mit, ich brauche schließlich auch ein neues Kleid, und die Kleider für die Brautjungfern dürfen dann auch nicht fehlen.“ Herr Schubert sieht schon, wie das Geld mit vollen Händen ausgegeben wird, aber wieso auch nicht, sein Engelchen heiratet schließlich nur einmal.
Mittlerweile werden auch schöne Schoko-Tartes mit einer süßen Fruchtcreme und zahlreiche andere Leckereien vom Patissier zum Mittagstee aufgetischt. Isabell und Eleonore protestieren gleich: „Seid ihr verrückt? Wir können doch jetzt nicht mehr solche Kalorienbomben essen, bis zur Hochzeit muss noch so einiges heruntergehungert werden. Ich muss als Braut perfekt aussehen!“ „Aber Isabell, mein Schatz, ich liebe dich doch gerade, so wie du bist, wenn du noch dünner wirst, übersehe ich dich noch bei unserer Hochzeit.“ „Nichts da, bis zur Hochzeit berühren meine Lippen keinen Kuchen mehr.“ Albert erkennt seine Isabell nicht wieder, wie kann so eine Hochzeitsplanung doch das Gemüt ändern, Isabell macht sich jetzt schon Stress, obwohl die Hochzeit erst in über einem halben Jahr in Berlin stattfindet.
Während des Mittagstees wurden von den Damen schon die wildesten Ideen besprochen, während Albert und Franz nur stumm zuhören konnten. Bei einem Vorschlag von Isabell kam sogar ein geschmückter Elefant vor, aber das hat sie hoffentlich nicht ernst gemeint. Auch wenn der Termin noch nicht festgelegt ist, hat man schon mal eine grobe Richtung. Nachdem der Mittagstee beendet wurde, brechen Eleonore und Isabell auf, um gleich zu Monsieur Rossignol zu gehen und Sophie darf die beiden auch begleiten.
Auf dem Weg zum großen Modeschöpfer, fällt den dreien auch die Wahlwerbung in der Stadt auf. Es kommt ihnen sogar ein Mann mit einem Handkarren entgegen, der im Namen der Partei „Pur Parisienne“ kleine Häppchen an die Bürger der Stadt verteilt, um ihre Stimme zu bekommen.
Sophie hat ganz schön Hunger, sie war ja beim Tee nicht dabei, also hält sie kurz am Wagen mit den leckeren Schinken- und Pastetenbrotstückchen an und will eines abschwatzen. „Was ist denn los Sophie, wo bleibst du? Wir haben dafür keine Zeit. Beeil dich, wir haben einen engen Zeitplan!“ ruft Isabell ihrer Freundin auf Deutsch zu.
„Non! Das ist nur für unsere Pariser Bürger und nicht für so ein Pack wie Sie, verschwinden Sie!“ wird Sophie von dem Mann mit dem Handkarren angeschnauzt, während sich zwei bis drei andere, die anscheinend aus dieser schönen Stadt kommen, gleich mehrere Stücke von diesen lecker riechenden belegten Brotstücken nehmen. Jetzt merkt Sophie, dass diese Partei wohl etwas gegen Ausländer hat. Aber es gibt auch andersdenkende Pariser, so zerrt eine Frau ihren Mann mit und schimpft ihn, dass er bloß nichts von diesen Rassisten annehmen soll.
Die drei erreichen das Atelier des großen Meisters und müssen leider feststellen, dass dieser nicht da ist, aber immerhin bekommen sie einen Termin in zwei Tagen, um alles zu besprechen.
Kaum verlassen sie die Traumwerkstatt, da macht Sophie ihre Freundin Isabell auf etwas aufmerksam. „Schau da drüben, bei dem Karren mit den leckeren Schnittchen, die dieser Kerl von diesen „Pur Parisienne“ verteilt. Ist das nicht Konstanze?“ Tatsächlich, Konstanze von Trapnitz steht da und hat doch tatsächlich eines dieser leckeren belegten Schnittchen in der Hand und will gerade zubeißen.
„Ja so kenn ich unsere Konstanze, wenn es etwas umsonst gibt, steht sie zur Stelle!“ Konstanze hält inne, als sie Isabells Stimme hört, blickt auf und ruft ihr auf Deutsch zu: „Ich kann es mir erlauben so etwas zu essen, aber du meine liebe Isabell solltest da vorsichtiger sein, sonst wirst du noch dicker als du eh schon bist!“
Als der Mann, der die Schnittchen verteilt, merkt, dass Konstanze auch keine Pariserin ist, schlägt er ihr das Schnittchen aus der Hand und pöbelt sie an, sie solle verschwinden. Sophie lacht in sich hinein, wenn ich nichts bekomme, dann wenigstens diese dumme Kuh auch nicht.
Überrascht und ohne diesen Kerl eines weiteren Blickes zu würdigen, geht Konstanze auf Isabell zu. „Da scheint dieser Kerl anderer Meinung zu sein. Der denkt wohl auch, du bist zu fett, deswegen gibt er dir nichts zu essen!“ „Ach was, das ist doch nur ein Spinner, wir können ja mal deinen Albert fragen, wer von uns beiden die Schlankere ist?“ „Das lass mal schön bleiben, der gehört mir!“ „Ich habe dir doch schon gesagt, so lange kein Ring an deinem Finger steckt…“ Da unterbricht Isabell ihre Kontrahentin und klimpert mit ihren Fingern vor Konstanzes Gesicht herum. Konstanze bleiben die Worte im Hals stecken, als sie den Ring sieht. „Ist das…? Soll das…? Bedeutet das etwa, du bist mit ihm verlobt?“ reagiert Konstanze schockiert. Dabei begutachtet sie den Ring und erwähnt abfällig: „Naja, der ist ganz nett, aber da sind nicht einmal Diamanten drauf, ist das dann überhaupt ein Verlobungsring? Gebraucht ist er auch noch, da bedeutest du Albert wohl nicht so viel, wenn er bei dir spart?“ „Blödsinn, das ist schließlich der Ring seiner Großmutter, also hat er einen sehr großen ideellen Wert, der hat mehr Bedeutung, als so ein neuer Brillantring.“ „Ja, ja, rede dir das nur ein, ich glaube eher, du hast das falsch verstanden, und er gab dir den Ring nicht als Verlobungsring, sondern einen Ring als Abschiedsgeschenk, damit du immer an ihn zurückdenken kannst.“ „Da irrst du dich, oder fällt jemand der einen verlassen will, vor einem auf die Knie und bekundet seine Liebe? Vor allen Leuten, hoch oben auf dem Eiffelturm während Geigenmusik spielt?“ Da fehlen Konstanze die Worte, die Einzelheiten über den Antrag wollte sie jetzt nicht hören, aber Isabell musste ihr das einfach unter die Nase reiben. Schmollend und ohne jeden weiteren Kommentar macht sich Konstanze vom Acker, während die anderen Damen gutgelaunt von dannen ziehen.
In einem prachtvollen Rittersaal im Stile Ludwig des XVI, an einer ebenso prächtigen Tafel, sitzen fünf Männer, allerdings ist die Stirnseite nicht besetzt. Hinter dem leeren Platz hängt ein Gobelin mit eigenartig geknüpften Sprüchen und Symbolen. Im Zentrum des Symboles ist eine geballte Faust zu sehen, welche von einem roten Kreis umgeben ist. Am Ringfinger dieser Faust prangt ein goldener Ring mit einem Monogramm „P.P.“. Außerdem steht ein Spruch um den roten Kreis herum. „Eine reine Stadt - ist eine saubere Stadt!“
Der Mann, der rechts neben dem leeren Platz sitzt, steht auf und gibt ein Handzeichen. Daraufhin verlassen die Diener den Raum, und der Mann beginnt zu reden: „Meine Herren, wir haben uns heute hier versammelt, da wir immer noch keine Spur von unserem hochgeschätzten Vorsitzenden Delac haben. Nach unserer Satzung müssen wir einen neuen Vorsitzenden wählen. Vor allem so kurz vor den Stadtratswahlen. Das Pariser Schiff braucht einen Steuermann!“ Die verbleibenden vier Männer nicken zustimmend. „Ich stelle mich dieser Herausforderung und stehe als Kandidat zur Verfügung. Hat sonst noch jemand Interesse?“ fragt der Wortführer mit strengem Blick in die Runde. Keiner der Anwesenden meldet sich, dieser Mann hat sie anscheinend gut im Griff. „Gut, wenn sich sonst niemand zur Verfügung stellt, schreiten wir zur Wahl. Wer stimmt für mich?“ Von den vier übrigen Männern heben drei ihre Hand, ebenso der Kandidat selbst. „Wer stimmt gegen mich?“ Auf diese Frage gibt es allerdings keine Reaktion. Einer enthält sich also seiner Stimme, er macht sich wohl Hoffnung, dass der bisherige Vorsitzende Delac doch wieder auftaucht, und da will er diesen nicht verärgern.
„Also dann ist die Wahl eindeutig, und ich nehme ihre Entscheidung dankend an.“ Applaus ertönt, während sich der Gewählte feiern lässt. Als erste Amtshandlung beginnt er mit dem Stühlerücken und wechselt auf den leeren Platz an der Stirnseite.
„Da nun die Personalie geklärt ist, kommen wir zu unserem Hauptproblem. Durch diese Weltausstellung treibt sich in unserer schönen Stadt das Gesindel aus allen Herren Länder herum, man hört kaum noch unsere schöne Sprache. Der Präsident schaut nur zu, wie alles den Bach herunter geht. Wir müssen die Stadtratswahlen gewinnen! Wenn wir an der Macht sind, werden wir dem Präsidenten zeigen, wo es lang geht, dann dauert es nicht mehr lange, und wir sitzen auch im Elysee-Palast! Wir müssen den Wählern die Gefahren aufzeigen, die dieses Gesindel mit sich bringt. Seit Beginn dieser Ausstellung haben unsere Bürger sicherlich schon gemerkt, wie sich alles ändert. Die Straßen sind überfüllt, die Preise steigen ins unermessliche und die Kriminalität nimmt rasant zu. Dieses Pack verführt auch unsere Frauen, und wenn sie unsere schöne Stadt wieder verlassen, bleiben diese ohne Ehre zurück. Wir können nicht länger zuschauen, wie sie Schande über unsere Töchter bringen, wir sind die einzige Rettung für Paris!“ Es folgt ein stürmischer Beifall der Anwesenden, der neue Vorsitzende hat wohl den Nerv der Mitglieder getroffen. „Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir weiter vorgehen. Auch wenn ich unseren vorherigen Vorsitzenden Delac verehrt habe, muss ich sagen, dass er zu schwach war. Die Sache mit Dreyfus hatte nicht die gewünschte Wirkung, das Militär ist weiterhin unterwandert. Wenn wir Erfolg haben wollen, müssen wir erst das kranke Geschwür am Kopfe dieser Stadt, oder besser, dieses Landes entfernen!“ Dies bleibt nicht die einzige Hetzrede in dieser Runde, man kann nur hoffen, dass sie nicht alles ernst meinen.
Nachdem die Damen von ihrem Ausflug zu Monsieur Rossignol wieder nach Hause gekommen sind, begibt sich Sophie auf den Weg in ihre Kammer. Das ganze Gerede über Hochzeit und dem ganzen Pipapo hat sie etwas schwermütig gemacht, und sie muss immer wieder darüber nachdenken, wie alleine sie eigentlich ist. Sophie hat schon fast die Türe zu ihrer Kammer erreicht, da schwingt eine andere Türe plötzlich auf, direkt gegen ihren Kopf, und sie liegt plötzlich am Boden.
Ganz benommen schaut sie hoch und muss erst einmal die Vögelchen verjagen, die um ihren Kopf herumschwirren. „Oh Pardon Mademoiselle, ich bin untröstlich. Es tut mir schrecklich leid, ich war so in Eile. Geht es Ihnen wieder gut?“ Sophie schaut in die dunkelbraunen Augen eines jungen Mannes, der ihr mit einem Tuch frische Luft zu wedelt. „Was ist denn passiert? Hat mich ein Zug überfahren? Oh wie mir der Schädel brummt.“ Die arme Sophie weiß nicht, was mit ihr geschah, aber anscheinend ist ein Engel vom Himmel gefallen und ihr direkt auf den Kopf. Der junge Mann, der sich so besorgt um sie kümmert, hat ein nettes Lächeln und feine Sommersprossen um die Nase. Der ist aber süß! „Es tut mir schrecklich leid, dass ich Sie umgerannt habe, aber ich bin in Eile, ich habe den Job noch nicht so lange, und da darf ich nicht zu spät zu meinen Herren kommen.“ Als der junge Mann sieht, dass es Sophie wieder besser geht, beteuert er noch mal sein Bedauern zu diesem Unfall und will verschwinden. Als er die Treppe schon fast erreicht hat, ruft Sophie ihm noch hinterher: „Wie heißen Sie? Wer sind Sie?“ Der eilige Bursche hält kurz inne und antwortet: „Ich bin Alexandre, ich arbeite bei den Stonebridges in der dritten Etage.“ „Ich heiße Sophie!“ konnte sie gerade noch hinterherrufen, als dieser zauberhafte junge Mann verschwindet. Sophie rappelt sich wieder auf und weiß immer noch nicht so wirklich, was passiert ist. Es fühlt sich so an, als hätte Amor nicht mit Pfeilen sondern mit Kanonen auf sie geschossen, so brummt ihr der Schädel, und sie denkt gleichzeitig an die süßen Sommersprossen des jungen Mannes.
Albert hatte noch mit Herrn Schubert zusammen im Salon gesessen und eins bis zwei Gläschen Cognac getrunken, während die Damen wie eine wildgewordene Herde durch die Straßen und Geschäfte von Paris gelaufen sind. Nachdem die Damen zurückgekommen waren, gibt es noch ein leckeres Abendessen, bevor sich Albert auf den Heimweg macht.
Kaum ist er daheim und öffnet seine Türe, weht ihm ein frisches Lüftchen um die Ohren - es zieht. Da hatte er wohl am Morgen vergessen, die Fenster zu schließen. Das sieht ihm gar nicht ähnlich, aber er war wahrscheinlich mit seinem Kopf schon bei Isabell, als er die Wohnung verließ. Er geht gleich, ohne das Licht einzuschalten zum offenen Fenster, um es zu schließen. Doch plötzlich spürt er die Spitze einer Klinge an seinem Rücken. „Bewegen Sie sich nicht und lassen Sie das Licht aus. Wenn Sie schreien durchbohre ich Sie!“ „Da muss ich Sie leider enttäuschen, auch wenn ich in so einer teuren Wohnung lebe, gibt es bei mir nichts zu holen.“ „Das ist nicht der Grund, wieso ich hier bin, Herr de Menier!“ Hat der gerade „Herr de Menier“ gesagt? Dann ist dieser Eindringling sicherlich Deutscher.
„So mein geschätzter Herr Kommissar, nehmen Sie langsam mit zwei Fingerspitzen ihren Revolver aus der Tasche und lassen ihn auf den Boden fallen!“ Der Fremde weiß offensichtlich, wer Albert ist, aber was will dieser Mann von ihm? Während Albert der Aufforderung des Fremden folgt, drückt dieser, so lange Albert den Revolver zwischen seinen beiden Fingern hält, seine Klinge etwas stärker in den Rücken.
„Jetzt können Sie sich umdrehen, aber ganz langsam.“ Albert dreht sich nun auch um und erblickt die Umrisse eines Mannes. Er scheint gut gekleidet zu sein, und das geringe Licht, welches durch die Fenster in die Wohnung scheint, spiegelt sich in den Augen des Unbekannten, anscheinend trägt der Fremde eine Brille oder ein Monokel. „Wenn ich mich vorstellen darf, mein Name ist Graf Georg der Erste zu Limburg.“ „Sie? Sie sind doch der, der meiner Mutter den Ring geklaut hatte?“ unterbricht Albert den Eindringling. „Ach klauen ist so ein hartes Wort, sagen wir doch lieber, ich bekam von ihrer Mutter eine Dauerleihgabe.“ „Da haben Sie aber Pech gehabt, den Ring habe ich wiederbekommen. Sind Sie etwa deswegen hier?“ „Aber nicht doch, der Ring ist schon vergessen, aber richten Sie bitte Ihrer werten Frau Mama meine herzlichsten Grüße aus, wir hatten uns auf der Zugfahrt ja so nett unterhalten.“ „Ach hören Sie doch auf rumzuquatschen! Sagen Sie gleich, was Sie wollen, wieso sind Sie hier?“ „Wenn Sie mich so nett fragen, werde ich es Ihnen sagen. Ich habe ein Geschenk für Sie!“ „Ein Geschenk? Wieso? Wollen Sie sich etwa wegen des Diebstahls bei mir und meiner Mutter entschuldigen und das damit wieder gutmachen?“ „Nein, nein, ich mache das für einen guten Freund, der spurlos verschwunden ist.“ Während der Graf das sagt, deutet er mit seiner Klinge auf ein Paket, welches auf dem Tisch steht.
Dieses Paket ist eigentlich unübersehbar, aber Albert hat es bei dem schwachen Licht in der Wohnung eben erst bemerkt. Es ist rechteckig und ca. 30 cm lang und 30 cm breit, die Höhe beträgt um die 40 cm. Verpackt ist es mit Zeitungspapier und mit Schnüren verzurrt. Als Albert genauer hinschaut sieht er, dass die Zeitung, die zum Verpacken genommen wurde, ausgerechnet diese ist, in der Isabell und Konstanze bei der Eröffnung des Kunstpalastes miteinander kämpften. „Sehen Sie sich das Päckchen ruhig genauer an, aber warten Sie mit dem Auspacken, bis ich wieder gegangen bin. Die Zeitung können Sie gerne zur Erinnerung behalten, die dürfen Sie ihrer Verlobten schenken!“ Damit will der Graf wohl andeuten, dass er über Albert sehr gut Bescheid weiß und seine Beziehung zu Isabell kennt. „Was hat es mit dem Paket auf sich, und was ist mit ihrem ominösen Freund?“ „Mein Freund heißt Fritz, mehr müssen Sie über ihn nicht wissen.“ „Wie sollen wir ihn denn finden, wenn wir seinen Nachnamen nicht wissen.“ „Der ist unwichtig, genauso wie sein richtiger Vorname, also nennen wir ihn einfach nur Fritz. Fritz gehört zum gleichen… wie soll ich es am besten ausdrücken? Ach ja, zum gleichen Verein. Wir haben uns in verschiedene Richtungen spezialisiert, deshalb kommen wir uns auch nie in die Quere. Sonst hat man bei uns im Beruf nicht viele Freunde, auch wenn man der gleichen Organisation angehört. Während ich mich auf den Dienst direkt am Kunden verschrieben habe, hat sich Fritz mehr auf den Dienst in deren Räumlichkeiten spezialisiert. Wenn die Bewohner weg sind, schaut er nach, ob diese nicht Sachen haben, die sie nicht mehr brauchen und entsorgt diese.“
„Ich verstehe, Sie sind Taschendieb und ihr Fritz ist ein ordinärer Einbrecher.“ „Aber nicht doch, diese Worte sind nicht annähernd zutreffend. Wir entsorgen nur Sachen, die die Menschen nicht brauchen, oder können Sie mir sagen, wozu man ein Diamantencollier benötigt? Wer so etwas hat, wird schon nicht verhungern.“ „Wollen Sie mir sagen, Sie sind wie Robin Hood?“ „Aber nein, wir geben es doch nicht anderen Leuten, das verdirbt nur deren Charakter, wir müssen doch auch an unsere Altersversorgung denken. Aber genug, wir schweifen ab. Kommen wir wieder zurück zu Fritz. Also Fritz hatte vor drei Tagen wieder einmal eine solche Hausbesichtigung gemacht, um zu schauen, ob die Bewohner nicht doch etwas entbehren können. Er wurde fündig, allerdings nicht das was er erwartet hatte. Es war nichts was man bei einem Hehler zu Geld machen konnte, aber dafür hätte der Besitzer wohl alles gezahlt, um es wieder zu bekommen.“ „Und was war es?“ „Das schauen Sie sich am besten selber an, wenn ich wieder gegangen bin. Fritz gab mir dieses Päckchen zur Aufbewahrung während er Kontakt zu demjenigen aufnahm, dem der Inhalt des Päckchens gehörte. Jetzt habe ich schon drei Tage nichts mehr von ihm gehört und da hoffe ich doch, dass Sie ihn finden.“ „Kennen Sie die Adresse, wo er die Sachen herhatte?“ „Nein, aber er hat die Gegend um die Sorbonne bevorzugt.“ „Und was soll ich jetzt machen? Ich kann solange nicht ermitteln, bis Sie nicht zu uns aufs Revier gekommen sind und eine Vermisstenanzeige aufgegeben haben.“ „Für wie dumm halten Sie mich? Schauen Sie sich dieses kleine Geschenk genauer an und Sie haben ihren Fall! Jetzt muss ich Sie bitten, dass Sie sich umdrehen und langsam bis 50 zählen.“ Albert gehorcht, dreht sich um und beginnt zu zählen: „eins, zwei, dr…“, weiter kommt er leider nicht. Albert findet sich auf einmal am Boden liegend wieder, der Graf hat ihn anscheinend, um zu verschwinden KO geschlagen. Mit Dröhnen im Kopf rappelt er sich auf und macht erst einmal das Licht an, um sich das Geschenk genauer anzuschauen.
Er löst die Schnüre mit denen es verzurrt ist, wickelt vorsichtig das Zeitungspapier ab, und es kommt ein gläserner Zylinder mit einem festverschlossenen Deckel zum Vorschein. In diesem Glasbehälter befindet sich eine trübe Flüssigkeit. Albert schaut sich das ganze genauer an, und als er den Behälter von der anderen Seite betrachtet will, schreckt er zurück! Es starren ihn plötzlich zwei tiefblaue Augen an. Vor Schreck wirft er fast noch den Behälter um, konnte ihn aber gerade noch festhalten. Dabei fällt ihm ein Etikett auf, welches am Glas haftet:
„Pierre Delac – Frühjahr 1900 – Plage der Menschheit Nr. 1“
Albert weiß nicht, was er davon halten soll, aber dieser Name Pierre Delac kommt ihm irgendwie bekannt vor, er weiß nur nicht mehr woher? Vielleicht ist es der Name des Präparators, der den Kopf eingemacht hatte. Wenn dieser Fritz seine Beutezüge in der Gegend der Sorbonne durchgeführt hat, kann es sich auch um ein wissenschaftliches Exponat handeln. Es gibt doch immer wieder Menschen, die ihren Körper nach dem Tode der Wissenschaft vermachen. Dieser Kopf kann genauso gut für medizinische Vorlesungen an der Universität benutzt worden sein. Dann wäre das Ganze nicht so sonderbar, einen anderen Grund kann sich Albert auch nicht vorstellen, wieso man einen Kopf in so ein Einmachglas stecken sollte. Da Albert nicht an ein Verbrechen glaubt und keine Lust mehr hat, am heutigen Tage die Wohnung zu verlassen, nimmt er den Kopf erst am nächsten Tag mit auf die Arbeit.