Читать книгу Albert de Menier - Exposition Universelle Der Jagdclub von Paris - Benjamin Klunzinger Karl - Страница 5
06.05.1900 Geburtstagsfest
Оглавление„Guten Morgen Herr de Menier, ich hoffe Ihnen haben die freien Tage gutgetan? Die Verbrecher haben auf jeden Fall keinen Urlaub gemacht. Zahlreiche Langfinger waren wieder unterwegs. Laut ihren Französischen Kollegen handelt es sich zum Großteil um eine Diebesbande, die ihr Unwesen treibt. Sehen Sie zu, dass sie die Helfershelfer fangen. Die führen Sie dann hoffentlich zu ihrem Bandenchef. Ich will, dass Sie diese Plage ausrotten!“ nimmt ihn sein Vorgesetzter Herr Maier in Empfang. Albert trägt das Päckchen, welches er am Vortag zugestellt bekommen hatte, bei sich.
„Bevor ich das Weltgeschehen vergesse: die Engländer marschieren in breiter Linie auf die Buren in Südafrika vor, das Blatt hat sich gewendet. Außerdem ist in Indien eine große Hungersnot ausgebrochen, aber unser Kaiser hat den Hungernden eine großzügige Spende von mehreren 100.000 Mark zugesagt. Aber das wichtigste ist natürlich der heutige Geburtstag unseres Kronprinzen, er wird 18 Jahre alt und somit volljährig. Vor zwei Tagen ist sogar schon der Kaiser Franz Josef aus Österreich in Berlin eingetroffen. Diesbezüglich gibt es eine große Feier hier im Deutschen Haus. Ich hoffe sie erscheinen in voller Uniform - das ist Pflicht!“ Albert hatte sowieso vor, dort zu erscheinen. Isabell freut sich auch schon, mit ihm dort hinzugehen, nun hat das Ganze auch einen offiziellen Charakter. Ursprünglich hatte Isabell ja vor, zum Geburtstag des Kronprinzen in Berlin zu sein, aber da kam ihr wohl Albert in die Quere.
„Und wie hast du deinen gestrigen freien Tag verbracht?“ „Ach, ich war mit meiner Schwester und Pastor Koch zu Hause, ich kam mir so überflüssig vor. Dieses Geturtel ging mir auf die Nerven.“ „Ich glaube du brauchst eine Ablenkung, komm doch einfach heute Abend mit mir und Isabell zum Fest ins Deutsche Haus?“ „Was soll denn da anders sein? Ob jetzt meine Schwester mit dem Pastor oder du mit Isabell herumturtelst, glaubst du, das ist etwas anderes?“ „Natürlich werde ich mit Isabell meinen Spaß haben, aber du hast dann die Möglichkeit auch ein nettes junges Mädchen kennenzulernen, oder du versuchst es nochmal bei Sophie, die kommt sicherlich auch mit.“ „Ich werde es mir noch überlegen, ob ich komme, eine weitere Abfuhr von Sophie ertrage ich nicht. Übrigens, was schleppst du denn die ganze Zeit mit dir herum? Ist das etwa ein Geschenk für mich?“
„Oh nein, dieses Päckchen hat mir dieser dubiose Graf von Limburg gestern Abend überreicht, der meinte, dass es etwas mit einem Verbrechen zu tun hat, aber ich glaube, dass es sich nur um ein wissenschaftlich, medizinisches Exponat handelt.“ „So? Ist das nicht dieser Graf der deine Mutter bestohlen hatte?“ „Genau der!“ „Was ist denn da drinnen?“ Bevor Albert mit Erklärungen anfängt, packt er es aus und präsentiert seinem überraschten Freund den Kopf. „Ist der echt? Glaubst du wirklich, dass es sich nicht doch um ein Verbrechen handelt?“ „Wer würde denn jemanden töten und dann den Kopf aufbewahren? Das wäre doch krank. Außerdem stammt dieses Ding aus der Gegend der Sorbonne, also muss es sich wohl um ein wissenschaftliches Exponat handeln.“ „Ich weiß nicht? Dieses Gesicht kommt mir bekannt vor.“ Jean betrachtet den Kopf genauer, diese Gesichtszüge, woher kennt er dieses Gesicht?
„Da vorne ist noch ein Etikett mit einem Namen drauf, vielleicht ist es der Besitzer oder der Name des Präparators?“ macht Albert seinen Freund darauf aufmerksam. Jean betrachtet das Etikett genauer und schaut Albert sprachlos an.
Nachdem er seine Sprache wieder gefunden hat, bestätigt er seinem Freund die Annahme. „Du hast recht, der Name auf dem Etikett ist der bedauernswerte Besitzer dieses Exponates. Damit meine ich nicht den, dem das Glas gestohlen wurde, sondern den ursprünglichen Besitzer dieses Kopfes.“ „Wie bitte? Kennst du etwa den armen Mann in dieser trüben Suppe?“ „Das würdest du auch, wenn du nicht immer nur an deine Isabell denken und auch mal in die Zeitung schauen würdest. Das ist der vermisste Politiker Pierre Delac, der wird schon seit einer Woche vermisst.“ Albert ist überrascht. „Bist du dir sicher?“ „Und ob, erstens steht der Name vorne drauf und zweitens sind Bilder von ihm in den Zeitungen gewesen, also hat meine Annahme Hand und Fuß, im Gegensatz zu diesem armen Wicht hier.“ „Dann ist das also doch ein Mord! Dann haben wir einen neuen Fall!“ „Freue dich nicht zu früh, gestern ist Kommissar Planchon mit der Suche nach dem vermissten Politiker beauftragt worden, also wird es sein Fall sein!“
„Oh verdammt, kommt uns der denn ständig in die Quere?“ „Lass ihn doch, wir haben ihn das letzte Mal dumm aussehen lassen, da darf er sich jetzt mit diesem Schädel herumärgern. Wenn er den Fall übernimmt, hast du mehr Zeit, dich um deine Verlobte zu kümmern.“ Was ist denn jetzt mit Jean los? Wieso gibt er so einfach den Fall ab? Albert merkt, dass er sich ein bisschen besser um seinen Freund kümmern muss. Das macht er am besten heute Abend, wenn er ihn mit auf die Geburtstagsfeier zu Ehren des Kronprinzen ins Deutsche Haus schleift, dann vergeht ihm das Trübsal blasen.
„Dann bleibt uns eben nichts anderes übrig, als den anderen Vermisstenfall zu übernehmen. Dieser Graf von Limburg, der mir gestern den Kopf gab, vermisst seinen Kumpel, einen gewissen Fritz. Ich denke, wenn wir den finden, haben wir auch eine Spur zum Mörder von Monsieur Delac.“ „Na schön, wenn du meinst, wie heißt dieser Fritz denn noch?“ „Hm, einfach nur Fritz, mehr wollte mir der Graf nicht verraten.“ „Und du glaubst, dass das für eine Vermisstenanzeige ausreicht? Hat er ihn wenigstens beschrieben?“ Leider muss Albert auch diese Frage mit nein beantworten. „Wie sollen wir denn jemanden finden, von dem wir nicht mehr als den Vornamen wissen, wir würden ihn nicht mal erkennen, wenn er schon bei Doktor Huisman in der Leichenhalle liegt. Vielleicht ist dieser Fritz zu Geld gekommen, und hat dann in den letzten Tagen alles in den Bordellen verjubelt? Vielleicht hat der Graf deswegen seinen Freund nicht mehr zu Gesicht bekommen?“
„Das stimmt, allerdings will ich mich lieber um einen Vermissten kümmern, wie um die vielen kleinen Taschendiebe hier auf der Ausstellung. Bevor wir uns aber auf die Suche nach diesem Fritz machen, sollten wir den Kopf zu Doktor Huisman in die Morgue bringen, er muss schließlich erst bestätigen, dass dies wirklich Pierre Delac ist, zumindest ein Teil von ihm. Solange das nicht bewiesen ist, braucht Planchon auch nichts darüber zu erfahren. Ich befürchte, dass Doktor Huisman die Todesursache wahrscheinlich nicht ermitteln kann, der Kopf wird dafür wohl nicht ausreichen.“
„Ich hoffe, dass der Fund seines Schädels, dieser Partei Pur Parisenne keine Sympathien zukommen lässt. Bisher waren sie nur eine kleine Partei, vollkommen unbedeutend“, erwähnt Jean nebenbei. „Wieso kannst du diesen Delac nicht leiden?“ „Persönlich kannte ich ihn ja nicht, aber diese Pur Parisienne sind sehr radikal. Wer nicht aus Frankreich kommt, ist minderwertig und besonders die aus Paris sind die Krönung der Schöpfung. Wenn es nach ihnen ginge, würden sie auch allen Andersdenkenden und Andersgläubigen den Garaus machen. Die Weltausstellung war ihnen auch ein Dorn im Auge, die haben Angst, dass sich die vielen Fremden mit den Pariser Damen einlassen und somit die Blutlinie verunreinigen. So ein Schwachsinn! Bei dir als deutscher Protestant, würden sie wahrscheinlich die Hunde loslassen und dich zurück über die Grenze jagen. Glücklicherweise kann man ihn jetzt nicht mehr wählen.“ „Na zum Glück, aber da steht doch sicherlich schon eine Nummer zwei in den Startlöchern.“ „Da wirst du recht haben, aber nur nicht den Kopf verlieren, diese Partei ist recht klein, und wenn ich mir Delac anschaue, wird sie jetzt noch kleiner. Vielleicht war es auch ein interner Machtkampf, und ein Parteimitglied hat ihn im wahrsten Sinne des Wortes einen Kopf kürzer gemacht.“
„Darf ich dir meinen guten alten Freund vorstellen? Das ist Pastor Bertrand Duval. Er ist erst gestern hier in Paris angekommen. Bertrand ist ein weiterer Schützling von meinem Geldgeber Monsieur Laffon. Leider treffen wir uns nicht so häufig, da wir immer in unterschiedlichen Kolonien unterwegs sind“, stellt Pastor Koch einen Herrn Anfang der 40er vor. „Es freut mich, Sie kennenzulernen, ich habe noch nicht so viele Freunde von Richard kennengelernt.“ „Oh Mademoiselle, die Freude ist ganz meinerseits. Ich habe gedacht, Monsieur Laffon scherzt, als er mir erzählte, mein Freund Richard hat eine Herzensdame gefunden. Aber wenn ich Sie mir so ansehe kann ich es verstehen, dass sein Herz erweicht wurde. Da hat er doch noch ein bisschen Platz in seinem Herzen gehabt, ich dachte es wäre schon von seinen Zöglingen in den Kolonien ausgefüllt.“ „Jetzt tue nicht so, du hattest doch auch eine liebe Frau – Gott hab sie selig.“ „Ja meine Charlotte, die Cholera hatte sie mir genommen, das ist eben der Preis, den man zahlt, wenn man in den Kolonien arbeitet.“ „Oh, Sie Armer, mein herzlichstes Beileid“, bekundet Marie. „Das ist schon gut, danke. Es ist mittlerweile schon vier Jahre her, und sie lebt in meinem Herz und meiner Seele weiter.“
„Siehst du Marie, das ist einer der Gründe, wieso ich mich davor gesträubt habe, Gefühle für dich zuzulassen, in den Kolonien ist das Leben für eine Frau zu gefährlich. Ich hasse mich immer noch dafür, dass ich so egoistisch bin und deine Liebe erwidert habe.“ „Aber Richard, so schlimm wird es schon nicht werden, hier in Paris sterben auch Menschen. Versuch doch mal eine Straße zur Hauptverkehrszeit zu überqueren, so ein Bus oder eine Droschke fährt dich schneller über den Haufen als eine Herde Antilopen.“ „Du hast ja Recht, es ist überall gefährlich, aber ich könnte es mir nie verzeihen, wenn dir etwas passiert.“ „Du brauchst keine Angst um mich zu haben, außerdem habe ich dich ausgesucht, du hattest keine Chance, mir zu entkommen“, lacht Marie. „Das stimmt leider, wie hätte ich nein sagen können, bei deiner leckeren Bouillabaisse, oder deinem Coq au vin. Das musst du mal probieren Bertrand, das beste Coq au vin, das ich je gegessen habe.“ „Jetzt wird mir so einiges klar, die gute Marie ist nicht nur in deinem Herzen, sondern auch in deinem Magen. Ich hätte mir auch nichts anderes vorstellen können, dass eine Frau, die meinen Freund hier abbekommt, nicht kochen könnte. Apropos Freund, darf ich euch meinen Freund Manuka vorstellen, er ist aus Neu Guinea aus meiner Mission. Er hat mich durch die schwere Zeit geführt, als meine Frau gestorben war.“ Richard und Marie erblicken einen großen muskulösen dunkelhäutigen Mann mit freiem Oberkörper und Lendenschurz. Als er auf sie zukommt und seine Hand ausstreckt, sieht er im ersten Moment furchteinflößend aus. Aber kaum steht er neben Pastor Bertrand Duval, durchzieht ein breites Grinsen sein Gesicht, und er strahlt eine Sympathie aus, die jede Furcht verfliegen lässt. In einem nahezu perfekten Französisch begrüßt er Marie und Richard.
„Ich bin hocherfreut Sie beide kennenzulernen. Bertrand hat mir schon so viel von Ihnen erzählt. Pastor Koch, es freut mich Sie endlich auch persönlich zu treffen. Natürlich auch ihre liebreizende Frau.“ Überrascht über den dunkelhäutigen Freund von Pastor Duval, grüßt Pastor Koch zurück und bemerkt: „Ich bin erstaunt über Ihre gute französische Aussprache, aber diese bezaubernde Frau ist noch nicht meine Ehefrau.“
Noch nicht! Aber bald werde ich deine Frau sein, du entkommst mir nicht mehr, geht es Marie durch den Kopf.
„Was hältst du davon Marie, wenn du Pastor Duval und Monsieur Manuka heute Abend zeigst, wie gut du kochen kannst?“ „Du weißt genau, dass ich da nicht nein sagen kann, ich kann dir doch keinen Wunsch abschlagen. Da werde ich mir etwas Besonderes einfallen lassen müssen.“
„Da kommen wir doch gerne, nicht wahr Manuka? Jetzt müssen wir uns aber beeilen, wir müssen noch Monsieur Laffon unsere Aufwartung machen. Ach ja bevor ich es vergesse mein Freund Manuka isst kein Fleisch.“ Kaum hat Pastor Duval sich verabschiedet, ist er mit seinem großen dunklen Freund auch wieder verschwunden.
Nachdem Sophie, Isabell bei der Toilette geholfen und Ordnung in ihren Kleiderschrank gebracht hat, geht sie erst einmal in ihre Stube, um sich ein bisschen auszuruhen, wer weiß, wo Isabell sie am Mittag noch hinschleppt? Kaum hat Sophie die Treppen in die sechste Etage erklommen, geht sie vorsichtig an der Türe vorbei, die ihr gestern an den Kopf geschlagen wurde. Das kann sie heute nicht nochmal gebrauchen, dabei denkt sie an diesen jungen Mann mit seinen Sommersprossen, der an ihren Kopfschmerzen schuld war. Kaum hat Sophie die Tür passiert, schwingt sie wieder auf und verfehlt sie nur knapp. „Sie haben es wohl auf mich abgesehen? Wollen Sie mich umbringen?“ fährt Sophie den jungen Mann an, der gerade eilig aus dem Zimmer kommt. „Oh Verzeihung, das war wirklich nicht meine Absicht, aber ich muss mich immer so beeilen, da mein Herr ein Choleriker ist und immer schnell herumschreit, wenn man nicht gleich zur Stelle ist. Ihr Name ist Sophie, nicht wahr?“ erkundigt sich der junge Mann und beschwichtigt Sophie mit seiner angenehmen ruhigen Stimme.
Eigentlich war Sophie ja wütend auf ihn, weil er sie fast zum zweiten Mal über den Haufen gerannt hätte, aber dann erblickt sie wieder seine zarten Sommersprossen und sein auf ihre Antwort wartendes Lächeln. „Oh ja das stimmt, mein Name ist Sophie. Wie war nochmal ihrer?“ fragt Sophie etwas verlegen nach, wobei sie noch ganz genau weiß, wie dieser junge Mann heißt, aber sie will nicht zu interessiert an ihm erscheinen.
„Ich bin Alexandre, ich hoffe Sie sind mir wegen gestern nicht mehr böse. Wenn es ein Trost für Sie ist, ich bekam ganz schön Ärger, weil ich zu spät zu Mr. Stonebridge kam. Ich konnte Sie doch nicht liegen lassen, nachdem ich sie KO geschlagen hatte.“ „Stellen Sie sich fremden Frauen immer so vor?“ „Nein natürlich nicht, aber so konnten Sie mir wenigstens nicht weglaufen“, lacht er die hübsche Zofe an. Jetzt muss auch Sophie lachen und kann ihm dummerweise nicht mehr böse sein, sie wollte doch eigentlich distanziert sein, und jetzt bringt er sie zum Lachen. „Na also, es sieht so aus, als ob Sie mir nicht mehr böse sind. Darf ich Sie heute Abend zur Entschuldigung einladen? Ich habe gehört, auf der Ausstellung kann man im Palais de la Danse sein Tanzbein schwingen.“ Sophie ist sich nicht ganz sicher, ob Isabell etwas dagegen hat, die will sicherlich mit Albert weggehen, und da muss sie ihr noch beim Ankleiden helfen. Außerdem, wie peinlich wird es werden, wenn dieser Alexandre merkt, dass sie kaum tanzen kann? Aber kann sie überhaupt nein zu diesem süßen Kerl sagen? „Ich würde ja gerne Ihre Einladung annehmen, aber ich muss erst noch abklären, ob ich frei bekomme.“ „Das kann ich verstehen, ich muss meine freien Abende sonst zwei Wochen im Voraus beantragen, aber ich hoffe, dass es bei Ihnen klappt, sonst muss ich noch ohne Sie tanzen gehen.“ So ein Mist, jetzt setzt er sie unter Druck. Sophie will ja auch nicht, dass dieser süße junge Mann alleine zum Tanzen geht, sonst lernt er dort noch eine andere kennen. Obwohl, da wird es sicherlich nicht so viele Türen geben, die er einer anderen an den Kopf schlagen kann. „Wenn Sie Zeit haben, stecken Sie mir einfach bis heute Abend eine Nachricht an die Tür, Sie wissen ja welche es ist?“ „Keine Sorge, die vergesse ich nicht so schnell, die hat einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen.“ „Dann freue ich mich jetzt schon auf heute Abend, ich hole Sie um 20:00 Uhr ab!“ Selbstbewusst verabschiedet sich der junge Mann von Sophie, die schon fast keine andere Wahl hat, als mitzugehen.
„Einen schönen guten Tag Monsieur Struck“, wünscht das Zimmermädchen, als der Herr des Hauses zur Arbeit gehen will. „Darf ich erfahren, wohin Sie gehen und wann Sie wieder kommen? Falls jemand fragt.“
„Ich gehe nur zur Börse, heute Nachmittag werde ich wieder da sein, ich muss mich dann noch umziehen, für die Geburtstagsfeier des Kronprinzen im Deutschen Haus. Lass mir schon mal die Sachen rauslegen!“ „Sehr wohl Monsieur Struck“, antwortet das Mädchen und öffnet dem Herrn des Hauses die Haustür. Herr Struck verlässt das enorme Anwesen, eine riesige Stadtvilla mitten in Paris mit großen Jugendstilornamenten, bunten Scheiben und verspielten Frauenfiguren an der Fassade. Er ist der Direktor der Pariser Außenstelle der preußischen Kreditgesellschaft, er hatte Glück, die Außenstelle in dieser schönen Stadt leiten zu dürfen. Erst hatte er Bedenken wegen seiner deutschen Herkunft, hier in Paris auf Feindseligkeiten zu stoßen, aber er wurde freundlich empfangen. Gerne wäre er auch in eine der Außenstellen in den Kolonien gegangen, da hätte er seinem Hobby – dem Jagen – nachgehen können, aber hier in der Zivilisation lässt es sich besser leben. So muss er eben zum Jagen verreisen.
Vor dem Haus steht schon eine Droschke bereit, die für diese Uhrzeit bestellt wurde. Der ungepflegte, zottelig, bärtige Kutscher hält ihm die Türe auf und macht seinen Diener mit einer tiefen Verbeugung. Nachdem Monsieur Struck eingestiegen ist, schließt der Kutscher die Tür und begibt sich gemächlich auf seinen Bock um loszufahren. Währenddessen hat der Fahrgast schon seine Tageszeitung aufgeschlagen, um die Börsenkurse zu studieren. Plötzlich schlägt er sich an den Hals. „Verdammt! Diese verflixten Pferdebremsen!“ flucht er. Da ist durchs offene Fenster so ein Drecksvieh in die Kutsche gekommen. Herr Struck merkt, wie sich auf einmal Schweißperlen auf seiner Stirn bilden, sein Atem wird schwächer, er spürt seine Glieder nicht mehr, er versucht noch, den Kutscher um Hilfe zu rufen, aber der hört nichts, da auch kein Ton aus seiner Kehle kommt. Er hört nur noch das Knallen der Peitsche und das Hufschlagen der Pferde, als die Droschke losfährt. Er ist noch bei Bewusstsein, sofern man das so nennen kann. Es kommt ihm vor, als ob ein Schleier seine Augen trübt und die Geräusche, die er vernimmt sind gedämpft. Helle und dunkle Schatten ziehen am Fenster der Kutsche vorüber. Alles fühlt sich so schwer und unwirklich an. Plötzlich bleibt es dunkel, der Wagen hat anscheinend gehalten, denn er hört dumpfe stampfende Schritte auf sich zukommen und die Türe wird aufgerissen. Wie von Geisterhand bewegt er sich aus der Kutsche, wahrscheinlich hat man ihn gepackt und zieht ihn, aber er hat keinerlei Gefühl in seinem Körper. Auch wenn ihn seine Sinne im Stich lassen, eines versagt seinen Dienst nicht - seine Nase. Ein ihm bekannter Geruch steigt ihm in die Nase. Wie oft ist ihm dieser Duft in der Vergangenheit schon begegnet, damals als er mit seinen Freunden auf Großwildjagd war und sie ihren Fang präpariert hatten. Er muss an sein Wohnzimmer denken, mit den vielen ausgestopften Tieren. Wie schön wäre es, wenn er jetzt dort wäre. Diese Hilfslosigkeit ist beängstigend. Hatte er einen Schlaganfall? Bringt man ihn in ein Hospital? Der Geruch würde auch in ein Hospital passen.
„Margot, ich wollte dich gestern nicht beunruhigen, aber ich habe zufällig Isabell Schubert, diese blöde Kuh, getroffen. Du wirst es nicht glauben, aber die hat mir einen Ring unter die Nase gehalten - einen Verlobungsring.“ Als Konstanze das erzählt, bleibt der Schluck Tee, den sich Margot gerade genehmigen wollte, im Hals stecken und sie verschluckt sich mächtig. Nachdem ihr Hustenanfall vorüber ist, findet Margot ihre Stimme wieder. „Einen Verlobungsring? Willst du mir damit sagen, dass Albert sich mit dieser dummen Gans verlobt hat?“ „Ja! Das hat sie mir mit einem hämischen Grinsen erzählt, ich war am Boden zerstört.“
„Ich dachte, ich hätte zumindest so lange Zeit, bis Albert den Ring meiner Mutter, den ich mitbringen sollte, wiederfindet. Im Nachhinein war es eigentlich ein Glücksfall, dass der Ring auf der Fahrt hier her gestohlen wurde. Ich hoffte, dass die Verlobung dadurch noch auf sich warten lässt. Wahrscheinlich hat er ihr einen anderen gekauft, also wieder Geld zum Fenster hinausgeschmissen. Ach wie sehne ich die Zeit zurück, als Albert noch mein kleiner Junge war. Du hättest sehen sollen wie besorgt er war, als er erfuhr, dass ich ausgeraubt wurde, er ging gleich mit mir auf die Polizeiwache, um eine Anzeige aufzunehmen. Jetzt hab ich schon so lange nichts mehr von ihm gehört und muss von dir auch noch erfahren, dass er verlobt ist! Er hätte zu mir kommen und es mir erzählen müssen, aber jetzt erfahre ich es von dir!“
„Oh du Arme, vielleicht hätte ich dir doch nichts davon erzählen sollen, aber mir tat mein Herz so weh, als diese dumme Isabell damit herumprahlte. Es war wie ein Schlag ins Gesicht, ich musste einfach mit jemandem reden.“ „Ich danke dir, dass du mir das erzählt hast, nicht dass ich erst davon erfahre, wenn er schon verheiratet ist. Es ist schon schlimm genug, dass er das alles ohne meine Einwilligung macht.“ „Ach wie schön wäre es gewesen, wenn dieser Rubinring an meinem Finger gefunkelt hätte, ich wäre überglücklich gewesen“, bekundet Konstanze ihre vermeintlichen Gefühle für Margots Sohn. „Rubine? Dann hat er den Ring also doch wiedergefunden! Eigentlich hätte er ihn mir erst zurückgeben müssen. Dann hätte ich ihn behalten, und er hätte nicht diesen Fehler machen können, aber jetzt ist es zu spät, jetzt ist das Kind in den Brunnen gefallen.“ „Wie recht du hast, ich könnte heulen!“ und schon kullern ein paar Tränchen aus Konstanzes Augen. „Lass deinen Kopf nicht hängen, auch wenn er jetzt verlobt ist, ist er noch lange nicht verheiratet. So eine Verlobung ist doch nichts wert, wenn ich ihnen meinen Segen nicht gebe.“
„Albert, Doktor Huisman hat gerade im Revier angerufen, er hat den Kopf schon untersucht, wir können gleich vorbeikommen“, informiert Jean seinen deutschen Kollegen. „Das ging aber schnell!“ „Wieso auch nicht, da gab es ja nicht viel zu untersuchen, es war schließlich nur der Kopf.“
Die beiden eilen sofort in die Morgue und wollen sich vom Doktor die Ergebnisse zeigen lassen, allerdings müssen sie feststellen, dass noch jemand anwesend ist. „Roussou? De Menier? Was machen Sie denn hier, Delac ist mein Fall, wollen Sie meinen Fall klauen?“ „Mein lieber Planchon, natürlich ist das Ihr Fall, uns interessieren nur die Ergebnisse, da wir den Kopf gefunden haben. Den Rest von Delac können Sie gerne alleine suchen.“
„Wo haben Sie den Kopf eigentlich gefunden? So etwas findet man doch nicht zufällig!“ „Beruhigen Sie sich Planchon, nur nicht den Kopf verlieren, jemand hat mir den Kopf in die Wohnung gestellt, ich dachte erst an einen makabren Scherz.“ Dabei lässt Albert bewusst den Grafen aus dem Spiel, so haben sie immerhin noch die Suche nach diesem Fritz.
„Meine Herren, darf ich um Ruhe bitten! Wenn ich jetzt mit meinen Erläuterungen beginnen darf?“
Doktor Huisman führt die drei zu dem Marmortisch, auf dem der Kopf liegt. Der Glasbehälter mit der Flüssigkeit steht offen daneben und den Kommissaren kommt ein intensiver stechender Geruch entgegen. „Zuerst einmal zur Identität des Toten. Zu 99 % kann ich bestätigen, dass es sich um Monsieur Delac handelt. Wenn ich das Gesicht mit den Fotos aus der Presse vergleiche, kommt das hin. Vor ein paar Stunden war auch seine Frau da, die bestätigte, dass es sich um ihren Mann handeln würde. Die Arme, sie ist erst einmal ohnmächtig geworden, als sie nur den Kopf ihres Gatten da liegen sah.“
Was hätte man auch anderes erwarten sollen, wenn man auf einmal den abgetrennten Kopf seines geliebten Ehemannes zu sehen bekommt. Ein bisschen mehr Feingefühl wäre beim Doktor wünschenswert. Nichtsdestotrotz macht der Pathologe mit seinen Ausführungen weiter. „Was Sie hier riechen ist Alkohol, jemand hat versucht, den Kopf für die Nachwelt zu konservieren. Allerdings war er wohl noch nicht ganz fertig. Wenn Sie sich den Behälter anschauen, ist darin eine trübe Brühe, die hätte er nochmal erneuern müssen, da das restliche Blut im Kopf die Flüssigkeit verfärbt hatte. Es handelt sich auch nur um eine 60 prozentige Alkohollösung, die am ersten Tag der Konservierung benutzt wird. Später ersetzt man die Flüssigkeit mit 75 prozentigem Alkohol, gemischt mit ein bisschen Formalin. Der Behälter war auch nur mit Siegelwachs vorübergehend verschlossen. Ein Profi nimmt für das endgültige Verschließen der Behälter Guttapercha aus dem Milchsaft der Guttapercha Pflanze. Die Augen des Toten wurden auch noch durch Glasaugen ersetzt.“
Planchon ist einfach nur erstaunt und auch etwas schockiert, da er den Kopf im Gegensatz zu Jean und Albert, noch nicht gesehen hatte. Nachdem sich sein erster Schock gelegt hat, beginnt er dem Pathologen Fragen zu stellen. „Hat es sich hier also um einen Profi gehandelt?“ „Ich denke, dass der Präparator seine Erfahrungen auf diesem Gebiet gemacht hat, aber es gibt ein paar Dinge die ein Sammler von Tierpräparaten nicht akzeptieren würde, wenn er so präparierte Tiere kaufen wollte. Sehen Sie das an der Stirn des Toten? Da ist ein Bluterguss, es sieht so aus, als ob dort vor seinem Tod eine Gewalteinwirkung ausgeübt wurde. So etwas darf bei einem Ausstellungsstück nicht passieren, das sieht unschön aus. Außerdem, wenn man sich die Stelle betrachtet, an der der Kopf abgetrennt wurde, sieht man, dass das Opfer erst einen langen tiefen Schnitt an der Kehle bekam, anschließend wurde der Kopf mit mehreren Schnitten in unterschiedlicher Höhe abgetrennt. Die untere Halspartie ist ausgefranzt. Perfekt wäre ein einzelner sauberer Schnitt, wie von einer Guillotine. Ansonsten hat der Präparator sein Handwerk verstanden. Ich konnte sogar in den Nasenhöhlen 96 prozentigen Alkohol finden, dass dort beim Ausspülen der Körperöffnungen zurückgeblieben ist. Die anderen Körperöffnungen am Kopf wurden ebenfalls ausgespült.“ Kommissar Planchon wie auch Albert und Jean sind angewidert, wie kann jemand so etwas mit einem Menschen machen. Hinweise auf den Täter haben sie durch die Ausführungen des Pathologen leider auch nicht bekommen. In erster Linie liegt es jetzt auch an Planchon, mit dem Fall weiter zu machen.
Albert und Jean müssen sich des Friedens willen von jetzt ab, aus der Sache heraushalten. Zumindest waren sie froh, das Ergebnis der Obduktion zu erfahren. Da Planchon auch nichts vom Fritz, dem vermissten Freund des Grafen von Limburg weiß, können sich die beiden indirekt um den Fall kümmern.
Auf dem Weg ins Polizeirevier kommt Albert plötzlich eine Idee: „Ich glaube, ich weiß jetzt, wie wir die Identität dieses Fritzes herausfinden können, wir schauen im Spitznamenverzeichnis nach. Wenn er vorbestraft ist, werden wir ihn schon finden!“
Kaum sind sie zurück, kramt Albert das Verzeichnis hervor, welches er bei Amtsantritt zusammen mit anderen Unterlagen im Deutschen Konsulat ausgehändigt bekam.
Nach kurzem Suchen findet Albert die Seite, auf der vier Fritze zu finden sind. Sie müssen versuchen durch Ausschließen den richtigen zu finden.
Den „Schönen-Fritz“ können sie streichen, da es seine Masche ist, sich an reiche Frauen ran zu machen und ihnen nach einer sündigen Nacht nicht nur die Ehre zu klauen. Der „Fleppen-Fritz“ fällt auch raus, da der sich auf gefälschte Papiere spezialisiert hat. Als nächstes streichen sie den „Fledder-Fritz“, da dieser seine Opfer ausraubt, wenn sie besoffen sind, oder bewusstlos in einer Ecke liegen.
„Ich denke dieser „Makko-Fritz“ ist der, den wir suchen, der gehört zu den Makkener, die mit einem Nachschlüssel oder einem Dietrich die Türen öffnen können. Sie gehen erst auf Klingelfahrt, das heißt, sie läuten an den Türen, und wenn jemand öffnet, fragen sie nach dem Weg, wenn keiner öffnet wissen sie, dass niemand da ist und steigen in das Haus ein.“ „Bist du sicher? Wenn dieser Fritz aber doch noch nie ertappt wurde, ist er auch nicht in diesem Verzeichnis, oder?“ „Da hast du recht, aber jeder wird irgendwann mal ertappt. Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen, vor allem noch kein Meisterdieb. Die meisten werden gefasst, wenn sie die Verbrecherlaufbahn neu einschlagen, da machen sie noch die meisten Fehler und stehen dann schon mal im Verzeichnis. Ich bin mir sicher, dass der „Makko-Fritz“ unser Mann ist.“ „Schön, jetzt wissen wir, wie der gesuchte aussieht und heißt, aber wir haben doch keinen Fall, da keiner eine Vermisstenanzeige gemacht hat und er auch nicht wegen Raubes gesucht wird.“ „Wegen Raubes kann jemand schneller gesucht werden als man denkt. Herr Maier hat mich ja wegen der vielen Taschendiebstähle hier auf der Ausstellung dazu verdonnert, die Diebe zu fangen. Mit Sicherheit passt irgendeine Täterbeschreibung eines der Diebstahl-Opfer auf den „Makko-Fritz“, dann können wir ihn deswegen zur Fahndung ausschreiben.“ „Ob das so klug ist? Wenn er doch nicht der Richtige ist? Dieser Fritz ist doch kein Taschendieb? Das fällt doch sicherlich auf!“ „Na sei doch nicht so pessimistisch, wer sagt denn nicht, dass er sein Tätigkeitsfeld vielleicht geändert hat? Wenn er nicht unser gesuchter Fritz ist, haben wir uns eben geirrt und lassen ihn wieder laufen. Aber so haben wir wenigstens die Möglichkeit, diesen Fritz zu finden und sind dadurch auch Planchon einen Schritt voraus.“
Mit der Aussicht, Planchon eins auszuwischen, willigt Jean ein, schließlich will er ja lieber auch den Mörder Delacs suchen, als auf die Jagd nach Taschendieben zu gehen.
„Um wieviel Uhr geht ihr heute Abend auf das Fest? Wann soll ich dir beim Ankleiden helfen?“ „Albert holt mich um 18:30 Uhr ab, wieso fragst du? Willst du auch mitkommen?“ „Ach nein, ich störe euch doch nur, ich habe mir überlegt, ob ich heute Abend frei haben kann? Ich würde gerne die Stadt erkunden. Ich glaube du und Albert werdet in den nächsten Tagen lieber alleine sein wollen.“ „Ach was, auch wenn ich jetzt verlobt bin, sind wir doch trotzdem noch Freunde. Außerdem wird Albert auch Jean mitbringen, dann kannst du den besser kennenlernen.“ „Oh nein, den habe ich schon zu genüge kennengelernt. Ich gehe heute Abend lieber in die Stadt.“ „Ganz alleine? Bist du dir sicher? Alleine wirst du doch unter die Räder kommen.“ „Keine Sorge, ich bin nicht alleine.“ „Was? Was soll das heißen, du bist nicht alleine? Hast du etwa jemanden kennengelernt?“ „Naja, kennengelernt kann ich nicht gerade sagen, aber der Diener von den Stonebridges hat mich heute eingeladen, ich denke das könnte nett werden.“ „Hm, wer passt denn auf euch auf? Du brauchst doch eine Anstandsdame!“ „Keine Sorge, ich pass auf mich selber auf, ich werde schon keine Dummheiten machen.“ „Wie du meinst, da wird Jean aber enttäuscht sein. Ist es denn was Ernstes mit dir und diesem Burschen?“ „Sein Name ist Alexandre, und ich kann natürlich nicht sagen, ob es etwas Ernstes ist, ich kenne ihn ja kaum, ich gehe zum ersten Mal mit ihm aus.“ „Eigentlich sollte ich ihm als deine Freundin erstmal auf den Zahn fühlen, aber da kommst du sehr kurzfristig. Am liebsten würde ich dir heute nicht frei geben, zu deiner eigenen Sicherheit.“ „Ach bitte, tue mir das nicht an, wann habe ich denn sonst die Möglichkeit, jemanden kennenzulernen.“ „Na gut, aber pass auf dich auf und um Mitternacht bist du wieder zu Hause!“ „Ja Mama, wie du befiehlst.“ „Das meine ich ernst junges Fräulein, ich bin als deine Freundin für dich verantwortlich, und wer soll mir beim Ankleiden helfen, wenn du schwanger wirst?“ Sophie schaut Isabell entsetzt an. „Wie kannst du nur glauben, dass ich so etwas machen werde? Du musst mich doch besser kennen.“ „Es tut mir leid, aber ich mache mir eben Sorgen um dich, und du bist doch noch nie alleine mit einem Mann aus gewesen, ich habe weniger Angst, dass du Dummheiten machst, als dieser junge Herr!“
Isabell gibt ihrer Freundin widerwillig frei, sie hat ein mulmiges Gefühl bei dieser kurzfristigen Verabredung, aber verbieten kann sie es ihr ja nicht.
Also heftet Sophie eine kleine Nachricht an die Tür von Alexandre, dass sie sich schon auf den Abend mit ihm freut.
Jean kommt gerade nach Hause und muss an der Eingangstür überrascht feststellen, dass fremde Stimmen aus der Wohnung kommen. Sind da etwa Einbrecher am Werke? Albert wurde ja auch von diesem Grafen in seiner Wohnung überrascht, als er nach Hause kam.
Aber nicht mit mir, der Eindringling kann was erleben, denkt sich Jean. Ganz leise schiebt er den Schlüssel ins Schloss und dreht ihn vorsichtig um. Mit einem leisen Klicken öffnet er die Tür und schleicht sich hinein. Vorsichtshalber hat er seine Waffe gezogen und begibt sich äußerst leise zum Esszimmer. Nachdem er einen Blick riskiert hat, schreckt er zurück. Da ist ein großer dunkler Mann, bei dem einen angst und bange wird. Hoffentlich hat er Marie nichts angetan. Mit einem Satz springt er ins Zimmer und bedroht den Fremden: „Keine Bewegung, Sie sind verhaftet! Da hast du dir die falsche Wohnung ausgesucht, hier machen wir mit Halunken wie dir kurzen Prozess!“ Überrascht schaut der dunkelhäutige Mann Jean an und hebt die Hände. Ein Glück, der Eindringling versteht seine Sprache.
„Jean! Was soll der Unsinn, so behandelt man doch keine Gäste!“ fährt Marie ihren Bruder an, als sie aus der Küche eilt, nachdem sie ihren Bruder herumschreien hörte. Völlig verwirrt schaut er seine Schwester und wieder den Fremden an. „Was ist denn hier los?“ „Ach Jean, was soll der arme Monsieur Manuka nur denken, wir sind doch hier nicht bei den Vandalen. Entschuldige dich gefälligst bei ihm, der Gute hat sicherlich einen Schreck bekommen.“ Bevor sich Jean jedoch bei dem sonderbaren Gast entschuldigen kann, muss er sich erst einmal die Augen reiben, hat er zu viel getrunken? Er sieht auf einmal doppelt, hinter Marie steht Pastor Koch, aber gleich zweimal. Nun gänzlich aus dem Konzept gebracht, setzt er sich erst einmal hin. „Sie müssen Maries Bruder sein?“ kommt einer der beiden Pastoren auf ihn zu, und nun erkennt Jean, dass dieser eine nicht Pastor Koch ist. „Ich muss mich dafür entschuldigen, dass wir Sie so überrumpeln, aber ihr Fräulein Schwester hat uns zum Abendessen eingeladen. Mein Name ist Pastor Bertrand Duval und dort drüben ist mein Freund und Weggefährte Manuka.“ „Oh, ich verstehe, ich dachte ich werde verrückt, es tut mir leid, dass ich Sie so erschreckt habe Monsieur Manuka, aber ich habe geglaubt, bei uns wird eingebrochen.“ „Keine Sorge, ich bin nicht nachtragend, ich wurde schon ganz anders in Empfang genommen.“
„Willst du mitessen?“ fragt Marie ihren Bruder. „Nein danke, ich bin schon mit Albert verabredet, wir gehen ins Deutsche Haus zu den Feierlichkeiten zur Volljährigkeit des Kronprinzen. Ich wollte mich nur in Schale werfen und meine gute Uniform anziehen.“
Jean begibt sich in sein Zimmer, gefolgt von seinem kleinen Kätzchen, dem anscheinend zu viele Fremde im Esszimmer sind. „Na, petit sorcière, wird dir das da draußen zu viel? Ich kann mich heute Abend leider nicht um dich kümmern. Kannst du dich noch an Sophie erinnern? Du hattest sie auf dem Polizeirevier kennengelernt. Sie hatte dich gestreichelt, ach wie gern hätte ich damals mit dir getauscht. Ich könnte ein paar Streicheleinheiten von ihr gebrauchen.“ Jean unterhält sich mit seiner kleinen schwarzen Katze. Wenigstens sie versteht ihn, auf jeden Fall widerspricht ihm das Kätzchen nicht. Sie hört seelenruhig zu und beobachtet ihr Herrchen beim Ankleiden, während sie es sich auf seinem Bett gemütlich macht und sich in sein Kopfkissen kuschelt. „Vielleicht habe ich heute Abend mehr Glück, ich muss Sophie einfach von mir überzeugen. Kannst du dir vorstellen, dass ich, seit ich sie kenne, kein Interesse mehr an anderen Frauen habe? Was ist nur los mit mir? Sophie muss doch auch Gefühle für mich haben, oder bin ich wirklich so unausstehlich?“ Jean bekommt nur ein Maunzen zur Antwort, was wohl alles bedeuten kann. Zum Abschied grault er das putzige Kätzchen an den Ohren, was mit einem Schnurren erwidert wird. Voller Zuversicht, heute Sophie von sich zu überzeugen, macht er sich auf den Weg zum Deutschen Haus. Albert wird er dort treffen, der will noch Isabell und Sophie abholen.
Sophie hat sich herausgeputzt, sie trägt ihr bestes Kleid. Sie hätte sich sicherlich auch eines von Isabell ausleihen können, aber sie will nicht übertreiben, sonst erwartet der junge Mann noch zu viel, wenn sie ein extravagantes Kleid trägt. Ungeduldig wartet Sophie unten am Eingang des Hauses auf Alexandre, der auf sich warten lässt. Eigentlich ist es doch die Aufgabe der Frau, den Mann auf sich warten zu lassen, hoffentlich denkt der junge Mann jetzt nicht, sie ist zu sehr an ihm interessiert, weil sie pünktlich ist. Während sie wartet, überlegt sie sich nochmal, ob es wirklich klug war, alleine mit diesem Mann auszugehen. Isabell hat ja auch recht, sie kennt ihn eigentlich nicht.
Ihre Bedenken sind auf einmal wie weggeblasen, als Alexandre plötzlich mit einem breiten Grinsen vor ihr steht, und sie merkt, wie sie verlegen zurück grinst. „Entschuldigen Sie Mademoiselle Sophie, ich konnte leider nicht früher kommen, Monsieur Stonebridge hat mich nicht gehen lassen. Ich hoffe Sie sind mir nicht böse?“ „Ach was, ich bin auch eben erst gekommen, ich kenne das, ich komme auch nicht immer pünktlich weg, wenn ich frei habe.“ Auch wenn Sophie bereits seit 20 Minuten gewartet hat, kann sie diesem charmanten adretten jungen Mann nicht vorwerfen, zu spät zu sein.
Sie ist von Alexandre noch mehr überrascht. In seinem Dienerlivree sah er ja schon ganz gut aus, aber jetzt in seinem Anzug, sieht er wie ein richtiger junger Herr aus, der der feinen Gesellschaft entsprungen sein könnte. Sie hat ja nicht viel Ahnung von Männermode, aber das was Alexandre trägt, sieht recht teuer aus. Es ist schön, wenn ein Mann auf sein Äußeres achtet. Stolz hängt sie sich in seinen Arm ein, den ihr der junge Mann anbietet und zusammen flanieren sie zum Ausstellungsgelände, um in den Palais de la Danse zu gehen. Sie genießt es, die Wärme die sein Arm ausstrahlt zu spüren, es gibt ihr ein bisschen Geborgenheit in dieser großen Stadt, in der sie bisher kaum alleine unterwegs war.
„Hallo, da seid ihr ja endlich, ist Sophie nicht mitgekommen? Geht es ihr nicht gut?“ Albert traut sich kaum Jean darauf zu antworten. Zum Glück übernimmt das Isabell für ihn: „Nein, nein, Sophie ist heute nicht mit dabei, sie hat ein Rendezvous.“ „Ein Rendezvous? Aber ich dachte, sie wollte hierher kommen? Mit wem hat sie denn ein Rendezvous?“ Überrascht und enttäuscht zugleich schaut Jean voller Entsetzen Isabell an, wie kann Sophie ihm das nur antun? „Ich weiß auch nicht genau, mit wem sie unterwegs ist, aber es scheint ein Angestellter einer anderen Familie in dem Haus zu sein, in dem wir wohnen.“ Jeans Gesichtszüge verlieren ihre Prägnanz, und er wird blass. Fast muss man schon Angst haben, dass er umfällt. Es ist ein Schock für ihn, er hatte ja vor, sich heute ins Zeug zu legen und Sophie von sich zu überzeugen, aber damit hat er nicht gerechnet. Albert nimmt ihn am Arm und zieht ihn mit ins Deutsche Haus. „Na komm schon, lass dich nicht hängen, hier gibt es genügend andere hübsche Fräuleins, die alle darauf warten dich kennenzulernen.“ Teilnahmslos folgt er den beiden, er weiß gerade nicht, wie er darauf reagieren soll, aber sein kleines französisches Herz zerbricht in viele kleine Teile. Zum Glück gibt es hier auf der Feier Schaumwein, von dem sich Jean gleich bedient, es ist die beste Idee, sich den Kummer erst einmal wegzuspülen.
Auf der Geburtstagsfeier wurde an nichts gespart, man könnte meinen, der Kronprinz kommt gleich persönlich vorbei. Das Deutsche Haus prangt in den preußischen Farben, das Buffet quillt über, und die Musik lädt zum Tanzen ein. Herr und Frau Schubert sind natürlich auch hier und machen es den jungen Leuten vor, wie man sein Tanzbein schwingt, man könnte meinen, sie sind gerade mal 20. Jean verkrümelt sich zur Bowlenschale und bedient sich kräftig, während er desinteressiert Albert und Isabell beim Turteln beobachtet. Am besten lässt man ihn erst mal zur Besinnung kommen, das legt sich irgendwann wieder, wenn der Schmerz nachlässt.
Während Albert dem bunten Treiben am Rand der Tanzfläche zuschaut, tippt jemand von hinten an seine Schulter. Als er sich umdreht erstarrt er fast zur Salzsäule und auch Isabell bekommt keinen Ton heraus. Margot de Menier, seine Mutter, steht vor ihnen und blickt ihrem Sohn Albert streng in die Augen. „Da ist ja mein feiner Herr Sohn, muss ich über sieben Ecken erfahren, dass du dich verlobt hast? Wann hattest du vor, mir das zu erzählen?“ Im ersten Moment weiß Albert nicht, was er antworten soll. Er schaut ins vorwurfsvolle Gesicht seiner Mutter und auch auf den strengschauenden Oberst an ihrer Seite. Aus dem Augenwinkel erblickt er zusätzlich auch noch Konstanze, die sich fernab ein Schälchen Bowle holt. Kommt denn alles auf einmal zusammen? Nachdem er sich wieder gefangen hat, reagiert er geistesgegenwertig und versucht bei seiner Mutter alles herunterzuspielen. Er tut am besten so, als ob alles bestens und das Normalste auf der Welt wäre.
„Mama, wie freut es mich, dich endlich wieder zu sehen, ich dachte schon, du bist zurück nach Hause, nach Berlin gefahren. Ich wollte dir morgen einen Brief über diese freudige Nachricht zuschicken. Findest du das nicht auch toll? Du wolltest doch immer, dass ich jemanden finde, mit dem ich eine Familie gründen kann, und jetzt werden deine Wünsche wahr. Wir beide sind so froh, dass du doch noch nicht nach Berlin gefahren, bist und wir es dir persönlich sagen können.“
Margot hatte mit dieser Reaktion ihres Sohnes nicht gerechnet und ist erst einmal sprachlos. Eigentlich hatte sie gedacht Albert hätte ein schlechtes Gewissen und würde vor Scham im Erdboden versinken, aber dem war nicht so. „Wir wurden uns noch nicht vorgestellt“, mischt sich nun der Oberst ein. „Ich bin Oberst Strobel, ein Bekannter Ihrer werten Frau Mutter. Darf ich Ihnen und Ihrer Verlobten herzlichste Glückwünsche aussprechen?“ Mit diesen Worten reicht er Albert die Hand. Margot weiß nicht, was gerade schiefläuft, eigentlich wollte sie ihrem Sohn eine Szene machen und Isabell bloßstellen, aber jetzt fällt ihr auch noch der Oberst in den Rücken und nimmt ihr den Wind aus den Segeln. „So, du wolltest mir schreiben? Wie ich sehe hast du Großmutters Ring wieder gefunden, hättest du mich nicht erst informieren sollen, bevor du den Ring weiter gibst?“ „Aber Mama, ich weiß doch, dass du nichts dagegen gehabt hättest, du hättest doch sicherlich nicht dem Glück deines Sohnes Steine in den Weg werfen wollen, oder?“ Jetzt muss Margot verärgert kleinbeigeben und beglückwünscht wiederwillig ihren Sohn und auch Isabell zur Verlobung. Oberst Strobel merkt wie unwohl sich seine Begleiterin fühlt, also schnappt er sie sich und führt sie auf die Tanzfläche.
„Herr Roussou, Sie haben aber Durst, das ist doch sicherlich schon Ihr drittes Glas Bowle?“
Jean blickt hoch und wäre überrascht, wenn er nicht so niedergeschlagen wäre. Konstanze von Trapnitz steht vor ihm und beginnt eine Unterhaltung. „Mademoiselle von Trapnitz? Sie kommen genau im richtigen Moment!“ Mit diesen Worten fasst er nach ihrem Arm, und schon wirbelt er sie im Takt der Musik umher. „Aber Hallo? Herr Roussou zügeln Sie ihr Temperament, was sollen denn die Leute von uns denken?“ Jean ist die Meinung der Menschen um ihn egal, er muss seinen Kopf von Sophie frei bekommen, und da ist Konstanze gerade die richtige Medizin. „Mademoiselle von Trapnitz, seien Sie etwas lockerer und lassen sich von mir führen, ich zeige Ihnen, zu was wir Franzosen fähig sind!“ Ohne Widerworte und völlig überrumpelt lässt sie sich von dem angeheiterten französischen Kommissar mit überraschender Sicherheit über das Parkett führen.
Albert fällt fast sein Glas aus der Hand, als er mitbekommt, mit wem sein Freund da tanzt. Isabell staunt nur mit offenem Mund und ihr schwant nichts Gutes, was hat Konstanze jetzt schon wieder vor?
Es ist stockdunkel, und Monsieur Struck weiß nicht, wo er ist. So langsam glaubt er nicht mehr daran, dass er einen Schlaganfall hatte. Er bekommt mit der Zeit wieder Gefühle in seine Extremitäten. Wäre es nicht dunkel, könnte er wohl jetzt auch wieder klarer sehen. Sein Gehör ist auf jeden Fall voll da, denn er hört ein langsames stetiges Tropfen. Da er immer mehr Gefühle in Arme und Beine bekommt, muss er jetzt zu seinem Erschrecken feststellen, dass seine Hände und Füße gefesselt sind.
„Hallo! Ist da jemand? Kann mich jemand hören?“ Sein Rufen ist vergebens, er bekommt keine Antwort. Jetzt fällt ihm auf, dass immer noch der Geruch in der Luft liegt, den er vorher schon wahrgenommen hatte: Parafin, Ethanol und noch manch andere chemische Substanz. Er glaubte schon, vergessen worden zu sein, aber da sieht er, wie sich der schwache Schein einer Petroleumlampe unter dem Türspalt nähert.
„Ah, mein Gast ist wach, darf ich Sie in meinem bescheidenen Heim willkommen heißen Monsieur Struck“, sagt eine piepsige Stimme, die ihm irgendwie bekannt vorkommt. „Was wollen Sie von mir? Geht es um Geld? Wieviel wollen Sie? Meine Bank wird es Ihnen schon zahlen!“ „Aber, aber, Geld allein macht nicht glücklich. Es gibt Dinge, die mir weit mehr Befriedigung geben als Geld!“ „Oh mein Gott, wie meinen Sie das, was haben Sie mit mir vor?“ bekommt es der Entführte in seiner Zwangslage doch mit der Angst zu tun. Die Stimme lacht laut auf: „Monsieur Struck, hier hilft Ihnen kein Geld der Welt, hier sind Sie auf sich alleine gestellt. Lassen Sie mich Ihnen zeigen was Ihnen bevorsteht.“ Mit der Laterne bewegt sich die Stimme zur anderen Seite des Raumes, und das Licht erhellt ein komisches Drahtgestell.
Aus einem Standfuß führen von unten zwei dicke Drähte nach oben auf ein ovales Holzbrett, welches hochkant nach oben ragt. An diesem Brett sind zwei weitere starke Drähte befestigt, die wie zwei abgewinkelte Arme abstehen. Oben auf dem Brett ist eine Kopfnachbildung aus Gips und an den Enden der starken Drähte jeweils Hände und Füße, ebenfalls aus Gips, befestigt. Man könnte fast meinen es wäre ein dilettantischer Versuch eine menschliche Skulptur zu erschaffen.
„Können Sie sich schon vorstellen, was ich mit Ihnen vor habe?“ fragt die Stimme. Der Gefangene schweigt, er hat keinerlei Idee, was dieser Mann meint.
Die Laterne bewegt sich weiter und erhellt ein Gestell auf dem ein ledriges, stellenweise haariges, undefinierbares Etwas liegt. Jetzt weiß der Gefangene, was dieses tropfende Geräusch gemacht hatte, da von diesem undefinierbarem Etwas, nach und nach ein Tropfen perlt und in den Bottich darunter fällt.
Die Stimme geht zu diesem „Etwas“ hin und hebt es ein wenig an einer der haarigen Stellen hoch. In diesem Moment hört man nur noch ein Würgen und der Gefangene erbricht sich. Anscheinend hat er erkannt was das ist. „Sind Sie verrückt geworden? Wer ist das, was haben Sie mit ihm gemacht, ist das wirklich die abgezogene Haut eines Menschen?“
Jetzt weiß er auch was das für ein komisches skulpturähnliches Gebilde war, es scheint ein Untergestell zu sein, genau so eines, wie es normalerweise zum Ausstopfen von Tieren gemacht wird - nur hier in Form eines Menschen.
„Um den ist es nicht schade, er war ein subversives Subjekt, er hatte versucht, mich zu erpressen. Es ist schließlich das erste Mal, dass ich mich an einen Menschen ran traue. Sie kennen sich doch mit dem Ausstopfen von Tieren aus, oder? Sie müssten doch wissen, dass es nicht so einfach ist, wenn man eine neue Spezies vor sich hat, leicht kann man sich beim Einteilen der Hautpartien verschneiden. Im Gegensatz zu einem Tier müssen die Nähte beim Menschen am Rücken sein und nicht vorne am Bauch, es gibt ja auch so wenig Fell, wo man die lästigen Nähte verstecken kann. Da kam mir dieser Verbrecher gerade recht, mit dem kann ich üben, was ich mit Ihnen vorhabe. Sie glauben gar nicht, wie schwierig es war, das Fleisch zu erhalten, wenn man die Haut vom Rücken her abzieht, nicht dass es mit Kot oder Körperflüssigkeiten verunreinigt wird.“
Herr Struck fängt plötzlich, lauthals an zu schreien. Panisch, fast ohne Luft zu holen schreit er ununterbrochen um Hilfe, aber niemand erhört ihn, begleitet werden seine Schreie vom Lachen dieser Stimme. Nach einigen Minuten werden die Schreie leiser bis sie letztendlich verstummen. „Na, ist es nicht befreiend, sich seine Ängste und Sorgen von der Seele zu schreien?“ „Sie sind verrückt! Wieso machen Sie sowas? Was haben Sie gegen mich, ich habe Ihnen doch nichts getan!“ „Oh doch, das haben Sie, die Zeit vergisst nie, und die Zeit verzeiht nie!“
Man hört ein Schluchzen und merkt, wie der Gefangene nachdenkt was dieser Verrückte meint. Plötzlich könnte man meinen, es hat bei Herrn Struck klick gemacht, denn er fängt wieder lauthals zu schreien an, einerseits mit Hilferufe und andererseits mit Worten des Bedauerns und des Flehens. „Keine Angst, es dauert noch ein bisschen, bis ich mit dem hier fertig bin, Sie können noch über ihre Sünden nachdenken, vielleicht verzeiht Ihnen Gott, wenn Sie beten, aber ich verzeihe nicht!“
Die Stimme lässt sich nicht erweichen, sie packt dieses haarige ledrige Etwas, die abgezogene Haut eines Menschen und wirft es über den daneben stehenden Gerberbock. Mit geschickten Handbewegungen bearbeitet die Stimme es mit dem Gerbermesser, um die Fleisch- und Bindegewebereste penibel zu entfernen, dabei trällert diese Stimme vor sich hin, während Herr Struck um Hilfe schreit:
„Einst war ein reicher Schnösel, der war so bös zu mir – den Kopf hat er ganz schnell verloren, das war`s mit seiner Gier.
Sein Kumpel war nicht besser, hat Schande mir gebracht – jetzt ist er wieder aufgewacht und ist in meiner Macht.
Dieser ist ganz bleich vor Angst, wär am liebsten nicht bei mir – ihm zieh ich die Haut über den Kopf zu meiner Wohnungs zier…“
Sophie bemerkt die neidischen Blicke der anderen Frauen, als sie das Palais de la Danse betreten. Momentan ist eine Gruppe dunkelhäutiger Dahomey Tänzer auf der Tanzfläche, die zu einer feurigen exotischen Musik, wild und spärlich bekleidet, tanzen. Sophie ist von der Atmosphäre überwältigt, nicht nur von Alexandre, der eine gute Figur macht, nein auch von den tanzenden Eingeborenen, die das Blut einer jeden Frau in Wallung bringen. Wie oft bekommt man schon so muskulöse, dunkelglänzende Oberkörper von Männern zu sehen, vor allem so viele auf einmal. Alexandre bahnt sich mit Sophie den Weg durch die Menschenmenge und lotst sie zu einem Tisch, an dem schon ein junges Pärchen sitzt und offensichtlich herumturtelt. Überraschend springt die junge Frau auf und umarmt Alexandre innigst, der nichts dagegen zu haben scheint.
„Alexandre, schön dich hier zu sehen, wer ist denn deine Bekanntschaft?“ „Hallo, Schwesterchen, hätte nicht gedacht, dich hier zu treffen. Das ist Sophie, ich möchte ihr das Pariser Nachtleben zeigen.“ „Ich bin sehr erfreut, mein Name ist Edith. Ich dachte schon, mein Bruder hat überhaupt kein Interesse an Frauen, aber jetzt, wo ich Sie so anschaue, hat er wohl nur auf Sie gewartet.“ Sophie fehlen die Worte und kann nur ein „Hallo!“ erwidern. Erst dachte sie schon, was will die denn von ihrem Alexandre, dann war sie überrascht und erleichtert, dass es nur seine Schwester ist und was diese dann noch sagte, brachte sie vollkommen aus dem Konzept. Hat Alexandre etwa wirklich auf sie gewartet?
„Setzt euch doch zu uns, es ist eh kein anderer Platz mehr frei.“ Die beiden setzen sich zu Alexandres Schwester, auch wenn sich Sophie jetzt etwas beobachtet fühlt. Gleich beim ersten Rendezvous ein Familienmitglied von ihm zu treffen, ist sehr gewöhnungsbedürftig. Aber Edith fängt gleich an, die beiden auszuquetschen, ohne Rücksicht auf ihren Geliebten neben ihr, der noch kein einziges Wort gesagt hat, geschweige denn, dass er vorgestellt wurde. Er scheint es gewohnt zu sein und hört zum einen der Musik und beiläufig dem Gespräch zu.
„Und, wo habt ihr zwei euch kennengelernt? Na Alexandre, lass dir nicht alles aus der Nase ziehen!“ Sophies Begleiter hat keine Wahl, er muss seiner Schwester Rede und Antwort stehen, da hilft auch kein Herumgedruckse. „Ich habe sie KO geschlagen und mit hierher entführt.“ Edith schaut die beiden fragend an, und Sophie findet wieder ihre Stimme. „Doch das stimmt, Alexandre hat mich KO geschlagen, aber das war nicht mit Absicht, hoffe ich zumindest“, dabei lacht sie leicht. „Ich habe ihr versehentlich die Tür an den Kopf geknallt, da konnte sie mir nicht mehr davonlaufen.“ „Oh Bruderherz, du musst die Frauen nicht vorher KO schlagen, du kannst sie auch einfach fragen, ob sie mit dir ausgehen, ich wette, Sophie hätte auch so ja zu dir gesagt, nicht wahr meine Liebe?“ „Ich weiß nicht, er hat mich eher damit überzeugt, wie rührend er sich um mich gekümmert hatte, als ich da am Boden lag, er war einfach süß.“ „Na, da hast du anscheinend eine ganz neue Masche erfunden, wie du Frauen einladen kannst.“ Langsam verschwindet Sophies Nervosität, die über sie gekommen war, als sie Edith getroffen hatte, jetzt findet sie diese Frau sogar sympathisch. Sophie weiß nicht wieso, aber irgendetwas hat Edith an sich, was sie an Isabell erinnert, was ist das nur?
Als der Kellner vorbeisaust, bestellt Alexandre gleich etwas zu trinken, während sich seine Schwester weiter um Sophie kümmert. „Was machst du denn beruflich Sophie?“ „Ach ich bin Zofe bei einer Familie im gleichen Haus in dem Alexandre arbeitet. Und was machst du so Edith?“ „Ich bin da sehr flexibel, ich mache das, wonach mir gerade ist, ich bin schon immer über die Runden gekommen.“ Bevor Sophie das Mysterium um Ediths Beruf lösen kann, kommt schon der Kellner mit den Getränken. Es sind vier Gläser mit einer eigenartigen grünen Flüssigkeit, dazu noch vier komische Löffel mit Löchern, Zuckerwürfel und ein Krug mit Wasser. „Was ist das denn?“ fragt Sophie in die Runde und erntet nur Gelächter, da sie offensichtlich nicht weiß, was Absinth ist.
Edith verteilt die Gläser, legt jedem einen Löffel auf die Kante des Glases, drei bis vier Zuckerwürfel darauf und übergießt das Ganze mit Wasser, bis sich die Würfel aufgelöst haben und das Mischungsverhältnis ca. eins zu drei ist. „Los, auf einen Schluck runter mit dem Zeug!“ Sophie hat keine Wahl, sie setzt an und kippt alles auf einmal herunter, was mit einem heftigen Hustenanfall belohnt wird. Ein bisschen erinnert sie der Geschmack an Lakritze, die hatte sie als Kind immer gerne gegessen. Sophies Gesicht wird knall rot, und sie versucht es zu verbergen. Edith macht sich schon über sie lustig, aber auf eine charmante Art und Weise, dass sie ihr nicht böse sein kann. „Komm, lass uns tanzen!“ fordert Alexandre Sophie gleich auf, und ehe sie etwas dagegen sagen kann, findet sie sich in seinen Armen wieder und kann es nicht fassen, wie leichtfüßig sie sich doch unter seiner Führung bewegen kann. Das liegt sicherlich an diesem Zaubertrank, wie hieß der noch mal? Ach ja Absinth. Sophie beobachtet beim Tanzen Edith, die mit ihrem Geliebten herumpussiert, ab und zu kommt jemand vorbei, den diese anscheinend kennt, sie hat wohl viele Freunde hier. Ein bisschen bewundert sie Alexandres Schwester, wie unbeschwert sie doch ist, die hat anscheinend vor gar nichts Angst.
Nachdem Albert seiner Mutter den Wind aus den Segeln genommen hatte, hat sie sich erst einmal nicht mehr blicken lassen und ist mit ihrem Oberst verschwunden. Etwas, was Albert noch mehr beunruhigt ist Jean, der doch tatsächlich ununterbrochen mit Konstanze tanzt, die das anscheinend auch noch genießt. Es wäre ein Albtraum, wenn die beiden miteinander anbandeln würden. Albert kann jetzt aber nicht zu den beiden rüber gehen und das unterbinden, sonst könnte Konstanze das noch so auffassen, er wolle was von ihr. Aber was sollte Konstanze schon von Jean wollen? Sie macht das sicherlich nur, um Isabell zu ärgern. Konstanze konnte nicht an ihn ran kommen, jetzt versucht sie es bei Jean, diese Frau ist eben leicht zu durchschauen. Leider bleibt Albert nichts anderes übrig, als den beiden zuzuschauen. Isabell ist das auch ein Dorn im Auge, sie überlegt schon die ganze Zeit, wie sie dem Ganzen einen Riegel vorschieben kann. Am Ende lacht Konstanze sich Jean an, damit er sie mit auf ihre Hochzeit nimmt, wer weiß was sie sich dann dort einfallen lässt. Das ist alles nur einer ihrer heimtückischen Pläne.
„Monsieur Roussou, ich hätte nie gedacht, dass Sie ein so guter Tänzer sind, da steckt wohl mehr hinter ihrer Fassade als man denkt.“ „Mademoiselle Konstanze, Sie haben eben noch nie das Temperament eines heißblütigen Franzosen kennengelernt. Ich kann Ihnen nur sagen, haben sie einmal einen Franzosen gehabt, wollen sie keinen anderen mehr.“ „Ist das eine Drohung oder ein Versprechen?“ „Ganz wie Sie wollen meine Gute“, kichert Jean stark angeheitert. Mittlerweile haben beide schon ganz schön einen sitzen.
Solange sie hier auf der Feier sind, werden sie schon keine Dummheiten machen, denkt sich Albert und versucht sich nun schließlich, mit seiner Verlobten auch zu amüsieren. Bevor die beiden aber zum Tanzen kommen, unterbricht die Musik und der deutsche Botschafter steht mit einem Glas Schaumwein auf der Treppe und bringt einen Toast auf den jungen Kronprinzen aus. Zum Schluss seiner Rede kommt etwas Unerwartetes „… und nun darf ich auch noch eine Belobigung aussprechen, welche höchst persönlich von unserem Kaiser Wilhelm II entsandt wurde. Unserem Kommissar Albert de Menier und seinem Kollegen haben wir es zu verdanken, dass die Bestie von Paris gefasst wurde, darauf möchte ich gleich im Anschluss anstoßen!“ Alle Augen richten sich auf Albert, der ganz überrascht und etwas verlegen ist, als ihm alle zuprosten. Isabell ist ganz stolz auf ihren Verlobten und himmelt ihn an. Die Musik setzt wieder ein, und man kann auf Alberts Gesicht noch ein fettes, zufriedenes Grinsen erkennen.
Jetzt wird es aber Zeit, dass er seine Verlobte auf die Tanzfläche führt. Kaum haben sie mit einem Walzer begonnen, stellen beide fest, Jean ist verschwunden. Schlimmer noch, Konstanze ist auch weg. Die beiden werden hoffentlich keine Dummheiten machen, Jean ist in diesem angetrunkenen Zustand zu allem fähig und Konstanze ist sowieso unberechenbar. Isabell und Albert suchen das ganze Gebäude, in der die Feierlichkeiten stattfinden, nach den beiden ab, was gar nicht so einfach ist, da alles restlos überfüllt ist. Leider bleibt die Suche ohne Erfolg.
Kaum haben Alexandre und Sophie den Tanz unterbrochen taumelt Sophie ganz schwindelig zum Tisch zurück. Was muss sie da feststellen, es steht schon wieder ein Glas dieses Zaubertrankes für sie bereit. Mit Anfeuerungsrufen der anderen kippt sie auch das zweite Glas Absinth in einem Zuge herunter und erntet Beifall von den drei anderen am Tisch. Sophie fühlt sich pudelwohl bei ihren neuen Freunden, so ist also das wahre Leben, das sollte sie öfters mal machen. Während sich die Gruppe köstlich amüsiert, hört man zwei Tische weiter einen Aufschrei: „Man hat mich bestohlen, mein Collier, es ist weg!“ Aus einer anderen Ecke hört man kurze Zeit später einen ähnlichen Aufschrei, da dort anscheinend eine Geldbörse gestohlen wurde. Während ein paar Gendarmen der Sache nachgehen, lässt sich die illustre Gruppe aber nicht davon beirren und feiert weiter mit der nächste Runde Absinth. Langsam spürt Sophie die Wirkung des Zaubertrankes, und als sie aufstehen will machen ihre Beine schlapp und sie sinkt lachend in ihren Stuhl zurück. „Ich glaube meine Füße haben einen anderen Willen wie ich…
„Na wo ist denn das Loch?“ fragt Jean während Konstanze wie ein Schulmädchen dabei kichert. „Du wirst es doch finden, es ist doch sicherlich nicht das erste Mal, dass du ihn da hineinsteckst.“ „Natürlich nicht, aber das Loch ist so klein. Oder ist dieses Ding hier zu groß? Ich glaube du musst mir beim Einführen helfen.“ „Kein Wunder, du stocherst ja wie ein Blinder rum!“ „Es ist aber auch so dunkel.“ „Dann lass mich mal machen, los gib mir den Schlüssel!“ Endlich haben es die beiden geschafft, Konstanze hat die Tür zu Jeans Wohnung aufbekommen. Als Jean die Türe ganz leise aufschiebt, hält er den Zeigefinger vor seinen Mund und macht: „Pst!“ Allerdings mit solch einer Lautstärke, das Marie, die schon im Bett ist, sicherlich wach wird. Zum Glück kommt sie nicht heraus, sie würde ihn zur Schnecke machen, wenn er anstatt Sophie, von der er die ganze Zeit geschwärmt hatte, nun eine andere mit nach Hause bringt.
„Wo ist denn jetzt der Kaffee, den du mir versprochen hast?“ Kaum zu glauben aber Jean ist schon per Du mit Konstanze. Was der Alkohol nicht alles bewirkt. „Nur keine Hektik, ich gehe schon in die Küche.“ Jean bleibt plötzlich in der Küchentür wie angewurzelt stehen, hebt seine Arme und geht rückwärts wieder ins Esszimmer zurück, wo sich Konstanze wundert, was ihr Gastgeber da für ein komisches Spiel vor hat. Jetzt sieht sie auch, warum Jean zurückkommt, ihm folgt ein gutgekleideter Herr mit Monokel. In der einen Hand hält dieser seinen Stock, der wohl als Scheide seines Degens dient, den er in der anderen Hand hält und Jean entgegenstreckt.
Konstanze schreit vor Schreck leicht auf, und auf einmal öffnet sich die Tür von Maries Schlafgemach. „Was ist denn hier los? Du weißt doch, dass ich früh raus muss, wieso hast du dann so viele Gäste eingeladen? Seid gefälligst etwas ruhiger!“ Halb schlaftrunken und mit leicht zusammengezwickten Augen, da ihr das Licht zu grell ist, steht Marie in ihrer Tür. Kaum hat sie Jean zurechtgewiesen, dreht sie sich, ohne die Gäste weiter zu beachten, um und kriecht wieder in ihr Bettchen.
„Nehmen Sie sich bitte die Worte ihrer Schwester zu Herzen, wir wollen doch nicht zusätzlich die Nachbarn aufwecken“, meldet sich der Eindringling zu Wort. Konstanze hat sich in eine Ecke gekauert und ein Kissen vom Sofa geschnappt, um sich damit zu schützen. „Sie sind doch der Graf von Limburg, oder wie auch immer ihr richtiger Name ist!“ „Gut erkannt, ich sehe, mein Ruf eilt mir voraus. Verzeihen Sie, mein Fräulein, ich wollt ihr Rendezvous nicht unterbrechen, deswegen versuche ich mich so kurz wie möglich zu fassen, wenn es Ihnen beliebt.“
Eines muss man dem Grafen lassen, er bleibt in jeder Lebenslage höflich und gelassen.
Konstanze kauert weiter nur in der Ecke und bekommt aus Angst kein Wort heraus. Also wendet sich der Graf wieder an Jean. „So Herr Roussou, wie Sie sicherlich von ihrem Kollegen Herrn de Menier bereits wissen, suche ich meinen Freund Fritz, können Sie mir schon etwas sagen? Haben Sie schon einen Hinweis?“ Jean muss sich an einen der Stühle vom Esstisch festhalten, da sich die Zimmerdecke etwas dreht.
„Glauben Sie, wir können hexen? Wir haben noch keine Hinweise auf ihren Makko-Fritz“ „Ah, wenigstens wissen Sie schon mal von welchem Fritz hier die Rede ist.“ „Makko-Fritz? Was ist das für ein komischer Name?“ will Konstanze plötzlich wissen, die ihren Platz nicht verlassen hat.
„Makko bedeutet in der Gaunersprache so viel wie falscher Schlüssel, Fritz ist mit dem Dietrich der schnellste, den ich kenne. Aber genug mit der Lehrstunde, was können Sie mir zu dem Schädel sagen, den ich Ihrem Kollegen gegeben habe?“ Jean erzählt dem Eindringling, was sie von Doktor Huisman wissen, dass es sich tatsächlich um den präparierten Kopf von Delac handelt. Jean überlegt sich dabei, wie er vielleicht diesen Grafen überwältigen könnte, aber wahrscheinlich würde er das nicht einmal im nüchternen Zustand schaffen. „Das ist nicht viel, was Sie mir da sagen, aber ich habe Ihnen ja versprochen, es kurz zu machen, ich werde Sie wieder verlassen. Hierzu muss ich Sie bitten, sich fünfmal im Kreis zu drehen Herr Roussou.“ Jean glaubt nicht, dass dies eine gute Idee ist, ihm ist ja jetzt schon schlecht, aber er hat keine andere Wahl. „Schneller!“ befiehlt der Graf, als er zur Tür eilt, um zu verschwinden. Bei der dritten Umdrehung geschieht das Unvermeidbare. Jean muss anhalten, und ehe er sich versieht, kommt ihm alles hoch, was er an diesem Abend zu sich genommen hat: halbverdaute Canapés, Schnittchen, Bowle und was es sonst noch auf der Feier gegeben hat. Ein Aufschrei des Ekels ertönt aus Konstanzes Mund, da Jean ausgerechnet in ihrer Richtung stand und ihr Kleid alles abbekam. Angewidert und völlig aufgebracht schüttelt sie den Brei von sich ab und läuft laut fluchend aus der Wohnung. Das war es wohl mit dem Stelldichein, die sieht er mit Sicherheit nicht so schnell wieder. Da ist dieser verdammte Graf an allem schuld, der wusste wahrscheinlich genau, dass sich Jean übergeben muss, wenn er sich dreht, so konnte der dann auch ungestört entkommen. Leider muss Jean jetzt die ganze Sauerei aufputzen, Marie würde ausflippen, wenn sie aufsteht und es hier am Morgen so aussieht.