Читать книгу Miss-Geschicke - Berina Cater - Страница 4
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ОглавлениеSchon eine ganze Weile hatte ich unentschlossen, auf meinem Füller herum kauend, an meinem Arbeitsplatz gesessen und versucht ein Pro und Contra für eine Kon-taktanzeige zu finden. Es gab kein eindeutiges Ergebnis. Bis sich meine innere Stimme meldete: „Machen! Einfach machen! Nicht weiter darüber nachdenken! Los, mach’ endlich!“
„Stimmt“, sagte ich laut. „Sonst wird das nie was.“ Flie-ßend schrieb ich nun endlich einen brauchbaren neuen Text.
AKADEMIKERIN
Anf. 30/ 1,75m, schlank, gutaussehend, m. Ni-veau, selbstbewusst, stilsicher, humorvoll, tier-lieb, sportlich, m. Interesse f. Kunst, Kultur, Natur, Architektur, Reisen, gute Küche sucht männl. Pendant o. Anhang f. gemeinsame Unternehmungen.
Zuschriften nur mit Foto an Chiffre:
Fertig! Das musste reichen, bei diesen Anzeigenpreisen. Schließlich waren die wichtigsten Angaben mehr oder weniger vorhanden. Oder das, was ich für das Wichtigste hielt. Genau genommen war der Text aus verschiedenen attraktiven Annoncen aus der FAZ einfach zusammen gewürfelt. Wozu sollte ich mich lange mit einer eigenen Textgestaltung aufhalten? Es hatte schon lange genug gedauert, bis ich mich überhaupt zu diesem Schritt durchringen konnte. Aber nach meiner langen Scheidungszeit und dem Ärger, die diese mit sich gebracht hatte, war ich nun mein Singledasein leid.
Dabei hatte ich mir mein neues Leben ohne Anhang so wahnsinnig aufregend und spannend vorgestellt. Wie hatte ich mich darauf gefreut, endlich tun und lassen zu können, was ich wollte. Ohne ständiges Herumgenörgel, ohne diese überflüssigen süffisanten Kommentare wegen meines eleganten Kleidungstils, meiner Freundinnen, meiner angeblichen Unsportlichkeit, meiner Vorliebe für Urlaube in südlichen sonnigen Ländern, meiner Frisur, meiner angeblich übertriebenen Ordnung, über meine zu anspruchsvolle Vorstellung von guter Küche und Ernährung, einfach wegen allem. Zumindest war es mir irgendwann so vorgekommen.
Natürlich war ich froh, meinen Ex los geworden zu sein. Jemand, der so überhaupt nicht zu mir gepasst hatte. Außer optisch vielleicht. Aber um diese Optik zu wahren, hatte ich immerhin zwei Jahre lang nur flache Schuhe getragen. Denn die Größe stimmte nicht, so oder so gesehen. Es war nicht nur meine Meinung, dass er mir das Wasser in keiner Weise reichen konnte. Das hatte sich leider schon sehr schnell heraus gestellt.
Das erste Gespräch zuhause bei meinen Eltern war dann auch schon die erste Katastrophe. Mein Vater hatte sich so heftig an seinem Cognac verschluckt, als die kurz bevor stehende Hochzeit angekündigt wurde, dass ernsthaft in Erwägung gezogen worden war einen Arzt zu holen. Meine Mutter und mein Zukünftiger waren schon auf den ersten Blick wie Hund und Katze, was sich übrigens während dieser zweijährigen Kurzehe niemals gelegt hatte. Meine gesamte Familie verhielt sich ablehnend.
Selbst meine Großmutter hatte mich gefragt, wie ich bloß an so einen „komischen“ Mann geraten war. Dasselbe Verhalten bei meinen Freunden. Niemand hatte sich schlecht über ihn geäußert, jedoch war man so reserviert, dass es äußerst schwierig gewesen war, Trauzeugen zu finden.
Spätestens diese Merkwürdigkeit hätte mir zu denken geben müssen. Aber damals war meine rosarote Brille wohl eher dunkelrot gewesen, vor lauter Verknalltsein.
Leider stellten sich dann die Zweifel aller meiner Lieben als nur zu wahr heraus. Während ich mich karriere- und gehaltsmäßig von Job zu Job verbesserte, flog mein Ehemann schon in der Probezeit ausnahmslos aus jedem Arbeitsverhältnis heraus. Dafür tat er nicht viel, wie man es nimmt. Er kam ständig zu spät, spielte permanent krank, wobei er echte hypochondrische Züge entwickelte. Folge: Krankenscheine mit anschließender Kündigung. Die dadurch gewonnene Freizeit verbrachte er durchweg mit sportlichen Aktivitäten, manchmal allerdings auch zu zweit in unserem Apartment.
Er fuhr alkoholisiert Auto, wurde öfters erwischt und war schließlich auch den Führerschein los. Danach war er in seiner Mobilität äußerst eingeschränkt. Er begann sich zu langweilen und fing die Trinkerei richtig an, was wiederum beim Arbeitsamt zur Unvermittelbarkeit führte, denn Vorstellungstermine konnte er in solch einem Zustand nicht wahr nehmen. Wollte er auch gar nicht. Seiner Meinung nach verdiente ich genug für Zwei und außerdem bekam er dazu noch Arbeitslosengeld.
Sein Äußeres hatte auch dementsprechend gelitten. Er war aufgedunsen und fett geworden. Eine Therapie hatte er bereits nach zwei Besuchen abgebrochen. Letztendlich musste ich erkennen, dass er überhaupt nicht arbeiten wollte.
Ich hatte einen richtigen Schmarotzer geheiratet.
Meine Geduld ist groß, in diesem Fall war sie zu groß, aber immerhin nicht grenzenlos. Es reichte endgültig. Ich reichte die Scheidung ein.
Nur hatte ich mich in meinem Noch-Ehemann auch hier wieder getäuscht. Der ganze Trennungsvorgang war das reinste Desaster. Er wollte sich nicht scheiden lassen und machte auf unterhaltsbedürftigen Alkoholiker.
Nach zwei langen Nerv aufreibenden Jahren hatte ihn mein Anwalt aber dann doch geschafft und er hatte schließlich in die Scheidung eingewilligt.
Natürlich nur mit entsprechender Abzocke.
Ich erließ ihm sämtliche Schulden, die er bei mir hatte. Denn während ich hart an meiner Karriere arbeitete und spät abends total erledigt vom Job nach Hause kam, sehnte ich mich nur noch nach einer heißen Dusche und meinem Bett. Ich brauchte dringend Schlaf, um frühmorgens um fünf Uhr aufzustehen und mich auf meinen langen Arbeitsweg zu begeben, damit ich pünktlich im Büro erschien. Logischerweise hatte ich weder Zeit noch Nerv, mich um Kontoauszüge zu kümmern. Das sollte mich dann teuer zu stehen kommen.
Mein Gatte hatte selbst nach dem Rauswurf aus dem damals noch gemeinsamen Apartment weiter großzügig Gebrauch von meinen Kreditkarten gemacht, was ich leider erst viel zu spät bemerkte.
Mir kommt immer noch die Wut hoch, wenn ich daran denke. Aber schließlich hatte ich selber Schuld daran. Ich, mit meinem Gottvertrauen in die gute Menschheit. Niemals wäre ich auf so eine miese Idee gekommen.
Schwamm drüber. Gott sei Dank war ich diesen Typen endlich los.
Das neue Leben konnte beginnen!!! Also, den Blick nach vorn gerichtet und nicht nach hinten. Eben!
Ich stand auf, um den Brief mit meiner brisanten Einlage in den Postkasten um die Ecke einzuwerfen. Mist, wieder mal keine einzige Briefmarke im Haus. Wie kalt war es denn draußen? Unangenehm kühl und regnerisch, würde ich sagen. Ein Spaziergang zur Post wäre dafür dann doch zu weit. Ich schnappte mir den Autoschlüssel, meine Geldbörse und die bequeme Jacke vom Haken. Ein kurzer Blick in den Spiegel und … nein, stopp. Jeder Tag ist Premiere!!! Das hatte man mir doch lange genug bei der Stilberatung, dem Hairstylisten und dem Visagisten eingetrichtert. Selbst eine meiner Freundinnen hatte mir dies als Leitmotto in mein neues Leben mitgegeben.
Stimmt schon. Man kann nie wissen, wer einem gleich über den Weg läuft: ein neuer Arbeitgeber, ein Auftraggeber, ein netter Mann, die große Liebe?
„Mensch, Elena, Du gibst die Hoffnung wohl nie auf?“, schimpfte ich mit mir selber. „Wie oft ist dir das denn in all den vergangenen Monaten passiert? Kein einziges Mal“, war die ehrliche Antwort. Na also!
Innerlich wehrte ich mich immer noch gegen die Art des Kennenlernens per Inserat. Nein, nein, nichts da! „Der Brief wird losgeschickt. Beschlossene Sachen werden durchgeführt! Marsch, ins Bad für kleine Restaurierungsarbeiten!“
Ich prüfte mein neu erlerntes Zehn-Minuten-MakeUp. Keine besonderen Auffälligkeiten. Etwas Lippenstift, etwas Rouge auf die Wangen. Macht tatsächlich frischer. Ich kniff die Augen zusammen und testete auf „Fältchen“. Keine da. Aber die Haut spannte leicht. Vielleicht etwas trocken. Das ist der Nachteil des Vorteils ständig bei airco zu arbeiten. Vergaß ich während der Arbeit ausreichend, also mindestens zwei Liter Stilles Wasser zu trinken, machte sich das schnell durch Spannungsgefühle bemerkbar. Ich sollte unbedingt mal wieder bei meiner Kosmetikerin vorbei schauen. Ich griff zum Telefon.
„Hallo, Anita. Ich bin’s, Elena. Hättest Du eventuell möglicherweise vielleicht morgen noch ein Terminchen zum Feierabend frei?“ flötete ich ins Telefon.
„Aha, es brennt wieder, was?“
„Äehm, nein. Es spannt eher. So um die Augen.“
„Wie oft hab’ ich Dir schon gesagt, Du sollst mehr trinken!“
Ich musste ziemlich grinsen, was sie am anderen Ende der Leitung irgendwie bemerkte.
„Ja Mensch, keinen Alkohol. Der entzieht noch mehr Flüssigkeit. Das weißte doch wohl“, kam es patzig zurück.
„Ja, Mama. Aber ich habe mir schon das Rauchen abgewöhnt. Ein bisschen Spaß muss schon noch sein.“
„Dann geh’ eher ins Bett! Das hilft in den meisten Fällen.
„Mit wem denn?“, zog ich sie auf.
„Frau, du nervst! Komm’ morgen um 17 Uhr vorbei. Ich verschieb’ die alte Klawunde auf die nächste Woche. Ist bei der Vielfaltigkeit eh alles vergeblich und sie sagt mir auch jeden zweiten Termin ab. Aber sei’ pünktlich! Muss danach noch schnell was abholen.“
„Was denn, wo denn?“
„Meeensch, sei nicht so neugierig! Außerdem hab’ ich zu tun. Die Maske muss runter“, sprach’s und drückte mich einfach weg.
Schade, ich hätte noch gern ein bisschen mit ihr geplaudert. Aber seit Anita sich selbstständig gemacht hatte, war sie nur noch im Stress und leider auch oft schlecht gelaunt. Unsere Treffen waren daher schon fast eine Seltenheit. Irgendwie fehlte mir das. Sie war sonst immer so amüsant und ihre gute Laune war wirklich ansteckend.
Na ja, immerhin hatte ich meinen Termin.
Hilfe! Ein Blick auf die Uhr sagte mir deutlich, dass ich mich sputen musste, wenn ich noch in die Post wollte.
Postangestellte müsste man sein, oder überhaupt Beamtin. Ich kenne keine anderen Arbeitnehmer, die so pünktlich den Griffel fallen lassen wie diese. Dazu noch ein geregeltes Gehalt. Seufz. Aber ehrlich gesagt hätte ich niemals so ein Sesselpupser sein wollen. Diese ständig gelangweilten Gesichter und dann auch noch unfreundlich bis zum Gehtnichtmehr. Für mich wäre das die reinste Unterforderung und größte Unkreativität gewesen. Nee, dann schon lieber ständig unter Strom, dafür aber gefordert und interessant! Ich stieg schnell in meinen Marvin, ich meine in meinen BMW und fuhr los.
Ja und? Meine Autos hatten stets Namen. Meistens den eines früheren erinnernswerten Lovers. Diese Anzahl war überschaubar. Über die Auto-Namensgebung lachten sich meine Freundinnen schlapp. Schließlich konnte ich aber meine Beziehungen zählen, worauf ich stolz war! Rena dagegen wechselte so häufig wie das Wetter und war wiederum darauf stolz. Was soll’s. Jeder Blume ihre Puste.
Haaalt! Die wollen doch wohl nicht schließen? Nur eine Briefmarke, bitte! Ich parkte schnell und mal wieder Verkehr behindernd, spurtete über die Straße und – zu. Klasse, dafür hatte ich mich auch noch optisch aufgepeppt. Ich wedelte mit dem Brief dem Postmenschen hinter der Glastür zu und deutetet auf die Stelle, wohin man üblicherweise eine Marke klebt. Er schüttelte nur den Kopf und deutete auf mich und dann nach links.
Bitte was? Ich sah nach links rüber. Hhm? Ach, da entdeckte ich einen Briefmarkenautomaten. Oh, Mann! Da hätte ich mich überhaupt nicht beeilen müssen. Fehlte nur noch entsprechendes Kleingeld. Noch mal Glück gehabt. Marke drauf und ab die Post.
Ich war richtig stolz auf mich. Der Brief mit meiner Kontaktanzeige war nun endlich eingeworfen. Nach langem Zaudern. Zuerst fand ich es altmodisch und auch peinlich. Hatte ich das denn nötig? Ich erfand jede Menge Ausreden. Aber mal ehrlich: dauernd so ganz unbemannt war auch nicht mein Fall. Ich hatte es nicht glauben wollen, aber als Geschiedene wird man in der Tat hier und da nicht mehr eingeladen. Zumindest dann nicht, wenn die Bekannte oder Freundin einen Ehemann aufzuweisen hat. Offensichtlich hatten sie Angst davor, ich könnte mich an ihn heran machen. Als ob man das nicht auch als verheiratete Frau tun könnte, wenn man nur wollte. Man brauchte sich doch nur umzusehen. Welche Ehe war denn wirklich intakt? Die meisten hatten so genannte Ausrutscher längst hinter sich. Nur vorgeschobene Gründe hielten die Gemeinschaft aufrecht. Von Liebe und Partnerschaft schon lange keine Spur mehr. Mal war es wegen der Kinder, wegen der eigenen Eltern, die man nicht enttäuschen wollte. Mal wegen des gesellschaftlichen Ansehens. Die wirklichen Gründe werden lieber verdrängt. Es ist ja auch viel einfacher, aus Gewohnheit oder Bequemlichkeit zusammen zu bleiben, als sich mit der Gesamtproblematik auseinander zu setzen.
Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, über solchen Kram gar nicht mehr nachzudenken. Aber manchmal, besonders in der dunklen und kalten Jahreszeit, überkamen mich diese hässlichen Gedanken ganz plötzlich.
In diesem Zusammenhang fiel mir meine Freundin Rena ein. Sie hatte damals einen fast zwanzig Jahre älteren Mann geheiratet. Sie ließ sich angeblich wegen ihrer längst erwachsenen Tochter nicht scheiden. Schließlich hatte die Süße so ein gutes Verhältnis zu ihrem Vater, das sie natürlich nicht zerstören wollte.
Klar! Dabei hatte Rena während der gesamten Ehe und bis heute ein Verhältnis nach dem anderen. Dazu noch eine Dauerbeziehung mit einem früheren Freund. Mir war schleierhaft, wie sie das seit so vielen Jahren verbergen konnte. Denn eines war mal ganz sicher: wenn ihr krankhaft eifersüchtiger Ehemann das heraus bekommen würde, wäre sie geliefert! Er würde sie in seinem Eifersuchtswahn auf der Stelle umbringen! Ehrlich !
Ich hatte schon länger nichts mehr von ihr gehört. Ich setzte mich ins Auto und wählte ihre Nummer in der Hoffnung, dass Hörni – so nannte ich ihren Angetrauten – nicht zuhause war. Nicht einmal normal reden konnte man dann. Meistens nahm er den Hörer vom Zweitgerät ab und belauschte uns heimlich. Das konnte für sie ganz schön gefährlich werden. Wir hatten uns deshalb auf „Fremdvokabular“ geeinigt, eine Art Geheimsprache, die er nicht verstehen konnte. Ganz schön albern, in unserem Alter.
Wenn ich Glück hatte, war er vielleicht zum Seniorenschwimmen. Der Ruf ging bis zum Besetztzeichen durch. Niemand meldete sich, keiner da. Pech gehabt.