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Was sollte ich nun mit diesem angebrochenen Abend anfangen? Langsam machte sich ein Hungergefühl breit. Der Magen knurrte. Was könnte ich mir denn Gutes gönnen? Alles, was mir einfiel, war mit viel Aufwand verbunden. Für mich allein war mir das dann doch zuviel Arbeit, außerdem hatte ich heute auch keine richtige Lust zum Kochen.

Wer könnte denn mit mir essen gehen? Na klar, Ulla! Sie hatte als Einzige meiner Freundinnen noch nicht die Liebe gefunden, ganz zu schweigen von der ganz großen. Sie nahm aber jede Gelegenheit wahr, nach dem Richtigen zu suchen.

„Hallo?“, meldete sie sich, wie gewohnt ohne Namen.

„Hallo, ich bin’s.“

„Ach du bist’s. Was gibt’s?“

„Nichts Besonderes, außer Hunger.“

„Mädel, da hast Du aber Glück gehabt. Ich wollte gerade runter zu meiner Mutter.“

Das hieß übersetzt, dass sie gerade auf dem Weg zu ihrem Abendessen war, was ihre Mutter von jeher für sie kochte, denn das Kind konnte so was doch nicht.

Ulla nutzte das schamlos aus. Sie wohnte in einer eigenen Wohnung mietfrei im Hause ihrer Eltern und zahlte weder anfallende Nebenkosten noch Kostgeld. Natürlich besorgte die Mutter auch das Putzen und füllte dem Kind ständig den Kühlschrank auf, inklusive diverser teueren Alkoholika. Das Kind liebte nun mal In-Gesöffe, angefangen bei Champagner. Sie verwöhnte sie nach Strich und Farben. Vielleicht deshalb, weil sie sich echte Sorgen machte, dass ihr einziges Töchterlein keinen Mann mehr abbekommen könnte. Die Sorgen waren auch gar nicht so unbegründet. Bei den Ansprüchen, die die Kleine so an den Tag legte. Sie kaufte nur die teuersten Kosmetika und Klamotten, verreiste nach Lust und Laune, ging aus wohin und wann immer sie wollte. Das Geld reichte selten bis Ultimo. Mr.Right würde das irgendwann schon regeln.

Dass für sie nur ein vermögender gut aussehender Partner infrage kam, war sowieso klar.

Im Vergleich dazu hatte sie selber allerdings recht wenig zu bieten. Lehrberuf ohne Abitur, kleines Gehalt, mopsig, eine große Klappe, ein altes ungepflegtes Auto, konnte im wahren Leben ohne die Eltern eigentlich gar nichts.

Woher sie diese unrealistische Einstellung wohl hatte? Ihr gesamter Freundeskreis war gespannt, wie die Partnersuche mal enden würde. Na, meine Sorge sollte das nicht sein. Als Freundin war sie jedenfalls unschlagbar. Nur das zählte für mich und ich würde ihr in jedem Fall behilflich sein, den Supermann, den sie sich so vorstellte, zu finden.

Fünfzehn Minuten später hupte ich vor ihrer Haustür. Sie stand schon am Fenster und winkte zu mir herunter. Nachdem sie sich auf den Beifahrersitz gezwängt hatte, entfaltete sich von dort aus eine enorme Parfümwolke.

„Ich dachte wir wollen essen gehen?“, grinste ich sie an.

„Ja sicher. Hast Du etwa keine Lust mehr? Ich habe einen Mordshunger! Tu mir das nicht an!“, blaffte sie.

Ich sah sie lachend an und hielt mir dann die Nase zu. Ich kann diese grässliche Über-Einparfümierung sowieso und zum Essen schon mal gar nicht leiden. Das zeugt für mich nicht von gutem Geschmack, im wahrsten Sinne des Wortes. Also richtete ich mich auf Abendessen von der Sorte heiß und fettig ein.

„Wo soll es denn hin gehen, meine Holde?“

„Weiß nicht“, knurrte sie beleidigt. „Du hast mich doch angerufen. Also wirst du wohl wissen, wo du hin willst.“

„Nein. Das überlasse ich heute allen arabischen Wohlgerüchen der Welt neben mir“, frotzelte ich.

„Na dann fahr’ endlich los … zum Türken!“ kam es regelrecht geschossen zurück.

Ich verzog mein Gesicht. Musste das denn sein? Da hatte ich nun sprichwörtlich mein Fett weg. Wir sahen uns an und fingen an zu lachen. Ja, das war Ulla! Eben noch beleidigt, in der nächsten Minute schon wieder alles vergeben und vergessen. Eine Eigenschaft, die ich sehr an ihr schätze.

Ich fuhr nach ihren Anweisungen. Diesen neuen Türken kannte ich nicht. Die türkische Küche schätze ich nicht besonders, gehe aber jedes Mal mit, weil ich keine Spielverderberin sein will. Ich bestelle dann eben etwas zurückhaltender als meine Freundin.

Als wir ankamen, war das Restaurant leer, total leer. Kein einziger Tisch war besetzt. Es war wohl noch etwas zu früh. Tatsächlich, erst mal knapp achtzehn Uhr. Und dann noch dieses fiese Wetter, was mit Sicherheit heute nicht für viel Publikum sorgen würde. Ich wollte schon wieder gehen, aber Ulla meinte: „Nee, ist doch nicht schlecht. Dann haben wir einmal die ungeteilte Aufmerksamkeit des gesamten Personals.“

Das gefiel mir schon gar nicht, so ausgeguckt zu werden.

Ulla suchte den ersten Tisch im hinteren erhöhten Bereich aus, von wo man den ganzen Raum gut überblicken konnte. Ich ahnte schon, warum.

„Gute Aussicht, was?“, kam es prompt von ihr.

„Von hier aus kann man das Material gut ausgucken“, sagte sie erfreut.

Wenn was kommt“, zweifelte ich.

„Ach du immer mit deinem Pessimismus.“

Im Augenblick jedenfalls wurden nur wir ausgeguckt. Hinter der Theke polierte jemand ausdauernd Gläser mit Blick in unsere Richtung. Jemand anders rückte alibimäßig und grinsend Stühle zurecht. Ein Kellner putzte das Besteck, wobei er immer wieder zu uns hinüber sah. Eine reine türkische Männergesellschaft.

Na Mahlzeit! Das konnte was werden. Kalt war es hier auch noch. Mein Hungergefühl wurde immer weniger. Ich fühlte mich unwohl.

„Wollen wir nicht doch lieber woanders hin?“, fragte ich.

„Wieso denn? Kann doch ganz lustig werden. ABWARTEN! Wir trinken jetzt erst mal was Schönes.“

Als der Ober mit der Speisekarte nahte, bestellte sie uns zuerst mal zwei Raki, zum aufwärmen. Der Ober zog die Augenbrauen hoch – ich auch.

Hochprozentiges auf fast nüchternen Magen! Schließlich musste ich noch Auto fahren. „Musst du ja nicht trinken, wenn du nicht möchtest. Den kann ich gerne übernehmen. Aber wir wollen doch noch ein Weilchen bleiben. Ich lade dich heute mal ein, “ versuchte sie mich zu überreden. Sie sah mir meine Begeisterung wohl an.

Ach, naja. Sie hatte recht. Man muss nicht sofort so miesmuschelig sein, wenn nicht alles hundertprozentig läuft. Wie sie schon sagte: ABWARTEN.

Ich sah mich um und fand das Ambiente gar nicht so schlecht. Die Wände waren einfach weiß gestrichen und mit interessanten großformatigen Landschaftsfotos aus der Türkei dekoriert. Keine bunten Wandschmierereien, wie üblich. Die gepflegte Tischwäsche passte farblich zu den Vorhängen und den modernen Stühlen. Edle Gläser und teures Besteck rundeten den Eindruck ab. Echte Grünpflanzen in weißen, formschönen Behältnissen zwischen einigen Tischen sorgten für etwas Intimität. Der Türke präsentierte sich in einer schlichten Eleganz.

„Wirklich, nicht schlecht. Hätte ich nicht gedacht“, gab ich zu.

„Na siehste. Aber erst rumunken. Und jetzt mach’ mal ein anderes Gesicht!“

„Sorry, aber mir fiel nur eben der letzte türkische Laden ein, in den du mich geschleppt hast.“ „Mann, du immer mit deinen Vorurteilen! Kann doch mal passieren. Die Italiener sind auch nicht immer gut. Wenn ich da an deine empfohlenen frutti di mare denke, die mich danach die ganze Nacht im Bad beschäftigt haben …, bah.“

„Schon gut, schon gut. Ich sage ja nichts mehr.“

Es war ihr nach dem Besuch bei einem neuen angesagten Italiener wirklich schlecht ergangen. Sie hatte mich nachts um Hilfe bittend angerufen und wollte nur noch sterben. Seitdem reichte ihr schon allein Fischgeruch aus und sie verbat sich, dass jemand an ihrem Tisch etwas in dieser Richtung bestellte.

Ulla kippte den Raki runter. „Ahhh, das brennt nicht schlecht.“

Hatte ich mir schon gedacht und deshalb nur leicht am Glas genippt. Das reichte mir erstmal. Der Ober nahm Ullas Bestellung entgegen. Denn wenn sie einlud, bestand sie darauf, die Gerichte auszuwählen.

„Einmal Tavuk Sote, einmal Kuzu Sote, ein Viertel Weißwein, ein Viertel Rotwein und eine Flasche Wasser bitte und – einen doppelten Raki.“

Ich hatte überhaupt keine Ahnung, was mich erwartete. Fragen war zwecklos, ich musste mich überraschen lassen. Das war auch nicht neu. Allerdings wunderte ich mich wieder mal, was Ulla an Alkohol vertragen konnte. Na, von vertragen konnte nicht direkt die Rede sein. Man merkte ihr eigentlich nie an, was sie schon intus hatte. Es überfiel sie ganz plötzlich. Aber meistens sah sie gar nicht ein, dass dann schon Schluss sein sollte und bestellte unbemerkt noch einen Drink. Das wiederholte sich dann einige Male. Wie oft hatten sie einige Mädels, wie sie uns nennt, blau wie eine Haubitze nach Hause geschleppt. Dabei war das nicht ganz einfach. Meist torkelte sie zwischen unseren stützenden Armen hin und her. Kein schöner Anblick und dazu noch gemeine Bemerkungen einiger blöder Dreibeiner. Uns war das peinlich und wir wählten dann lieber dunkle, einsamere Umwege zum Fahrzeugzeug und brachten sie nach Hause. Es war gut, dass sie sich häufig nicht daran erinnern konnte.

„Na, wie läuft’s denn so bei Dir?“, wollte sie wissen.

„Was meinst Du?“, stellte ich mich dumm. Ich wusste ganz genau, was sie meinte. Seit Jahren war sie auf Ehemannsuche, wobei es in den vergangenen zwei Jahren wirklich schlimm geworden war. Sie setzte sich selber unter Druck und ließ daher keine Gelegenheit aus, jemanden kennen zu lernen. Die biologische Uhr hatte zu ticken begonnen, wie sie meinte und schließlich wünschte sie sich zwei Kinder. Uns allen war das völlig unverständlich. In den Jahren, die wir uns nun schon kannten, wäre sie die Letzte gewesen, die man sich als Mutter hätte vorstellen können – bei dem Lebenswandel und den hausfraulichen Qualitäten. Außerdem hatte sie sich niemals dahingehend geäußert. Ich konnte mir das auch überhaupt nicht vorstellen!

„Was wohl, du Nase!“

Sie sah mich eindringlich an und ich merkte, wie ich rot wurde. Von dem bisschen Raki konnte das ja nicht sein.

„Wusste ich doch! Erzähl’ mal! Hast du jemanden kennen gelernt?“

„Nö“, gab ich einsilbig von mir.

„Aber da ist doch was. Du bist rot wie eine Tomate. Na los, sag’ schon. Ich bekomme es sowieso heraus.“

Das stimmte. Wenn sie etwas rausbekommen wollte, hatte sie es – mit welchen Mitteln auch immer – geschafft. Es machte keinen Sinn, ihr etwas zu verschweigen, wenn sie einen Verdacht hatte. Aber ich zierte mich trotzdem.

„Naja, die Sache ist so … “. Ich suchte nach Worten.

„Weiter!“

„Hhm, also kennen gelernt habe ich noch niemanden.“

„Noch“, grinste sie. „Wusste ich’s doch!“

„Wie soll ich das sagen? Also … “.

„Mach’ es doch nicht so spannend. Erzähl endlich“, versuchte sie mich zu ermutigen.

Es blieb mir nichts anderes übrig, als mit der Sprache heraus zu rücken. Ich nahm mich zusammen und berichtete wahrheitsgemäß von allen vorherigen Überlegungen und meinem Entschluss, mich nun ernsthaft nach einem Partner und nicht nur einem Spielzeug umzusehen.

„Klasse. Finde ich wirklich gut. Du lebst jetzt lange genug alleine. Nicht alle Männer sind so wie dein Ex“, freute sie sich.

„Aber viele, viel zu viele“, gab ich zu bedenken.

„Ach was! Sei’ doch nicht wieder so pessimistisch. Das wird schon. Give men a chance!“

Genau im richtigen Augenblick kam das Essen und ich konnte wenigstens fürs Erste noch die Annonce verschweigen.

„Mmhh, wie das duftet. Du hast heute meinen Geschmack gut getroffen“, sagte ich anerkennend und probierte die geschnetzelten Fleischstücke mit Paprika und Champignons. Die Zutaten waren wirklich frisch und das Ganze sah äußerst appetitlich aus.

„Und dann noch Hähnchen in Weißwein-Sahnesoße. Schmeckt prima“, sagte ich anerkennend.

„Meins auch“, sagte sie zufrieden. „Ich habe fast dasselbe. Nur mit Lammfleisch in Rotwein-Tomatensahne“.

Selbst der Salat war knackig frisch und einfach herrlich. Hätte ich selber nicht besser machen können. Und das sollte schließlich etwas heißen.

„Was für ein Unterschied zu den anderen Türken. Von mir aus können wir öfter hierher gehen.“

„Siehste!“, triumphierte Ulla. „Kannst ruhig mal auf Ulla-Mama hören.“

Wir mussten lachen.

Genau in dem Augenblick öffnete sich die Eingangstür und zwei gut aussehende Männer traten ein. Sofort setzte sich Ulla in Positur. Nachdem die Beiden an einem Tisch am Fenster Platz genommen und einmal kurz in die Runde geschaut hatten, vertieften sie sich schweigend in die Speisekarte.

Ulla setzte ihr schönstes Lächeln auf, ließ das Essen völlig unbeachtet stehen und beobachtete das Material. Zugegebenermaßen sah es gut aus; beide dunkelhaarig mit perfektem Haarschnitt, sehr gepflegt, schlank, äußerst geschmackvoll und teuer gekleidet. Als Designerin sehe ich das auf den ersten Blick.

„Wow“, entfuhr es Ulla. „Die wären doch was für uns. Zwei auf einen Streich“, kicherte sie. Darauf konnte ich ein Lachen nur mühsam unterdrücken. Das war ganz nach ihrem Geschmack. So richtig schön bequem beim Essen noch zwei passende Ehemänner dazu abstauben, ohne jeden Aufwand. Tja, dagegen wäre sicher nichts einzuwenden. Nur hatte ich leider noch nicht von solchen Wundern gehört, an die ich prinzipiell auch nicht glaube. Ich bin sehr realistisch und nach meiner Eheerfahrung auch eher pessimistisch.

„Nun guck doch mal! Welcher gefällt dir besser? Rechts oder links?“, fragte sie aufgeregt auf ihrem Stuhl herum rutschend.

„Mensch, bleib’ ruhig sitzen. Und glotz nicht so in die Richtung. Das ist ja peinlich“.

„Wieso? Vielleicht haben die uns noch gar nicht gesehen. Irgendwie muss man sich doch bemerkbar machen.“

„Mag sein, aber sicher nicht unangenehm“, rügte ich.

Ulla konnte sehr direkt sein. Ihr war es völlig egal, was andere Leute dachten, solange sie ihr Ziel erreichen konnte. Mir war das oft unangenehm. Aber wer mit ihr ausging, musste damit rechnen.

„He, die gucken überhaupt nicht. Was sind das denn für welche?“

Sie reckte sich deutlich in die Höhe.

„Wirf’ doch die Wasserflasche rüber. Das fällt bestimmt auf“, bemerkte ich sarkastisch. „Phh“, machte sie verächtlich und zu meinem Entsetzen rief sie lautstark durch den Raum: „Herr Ober, ich vertrockne! Bringen sie bitte noch einen Roten davon!!! “ und deutete mit dem Finger auf die beiden kleinen Weinkaraffen.

Der Ober fühlte sich so nicht angesprochen und drehte sich einfach um. Als wäre das nicht genug gewesen, hob Ulla nun den Arm und rief winkend und noch lauter: „Haaallo, Herr Oooober!“

Das hatte dann doch Erfolg, aber welchen! Der Ober nickte ihr schnell zu und verschwand. Dafür hatten wir nun die Aufmerksamkeit der beiden Männer. Beide drehten die Köpfe in unsere Richtung, taxierten die noch immer winkende Ulla, drehten sie wieder weg und prusteten los; wenn auch dezenter als das auffällige Winken, auf jeden Fall unüberhörbar. War das megapeinlich! Ich wäre gern in einem Mauseloch verschwunden.

„Musste das sein?“, zischte ich wütend.

Ich war sauer. So ein Benehmen fiel natürlich auch auf mich zurück.

„Ach hab’ dich nicht so. Die sind doch sowieso schwul“, winkte sie ab.

„Wie kommst du denn darauf?“

„Sieh’ doch hin.“

Zögernd sah ich zu den Männern hin.

Sie sahen sich verliebt in die Augen, wobei einer von ihnen zärtlich die Wange des anderen streichelte.

Zuerst mal war ich völlig sprachlos. Ich hatte zwar nicht darüber nachgedacht, hätte damit aber nicht gerechnet. Ich entspannte ich mich wieder. Über Ullas Benehmen müssten wir dringend reden, so was wollte ich nicht noch mal erleben. Aber in diesem Fall fühlte ich mich einfach nur erleichtert.

Den Aufenthalt in diesem Lokal wollte ich trotzdem besser beenden. Ich schlug vor, das von meiner Freundin so geliebte Dessert ausfallen zu lassen und dafür noch eine nette Cocktailbar aufzusuchen, um dort weiteres Material zu sichten. Dazu wollte ich sie im Gegenzug einladen. Schließlich war es noch recht früh am Abend.

Ulla war Feuer und Flamme.

„Ja toll! Endlich mal ein guter Vorschlag ! Was ist denn mit Dir los? Du trinkst doch so gut wie nie Cocktails?“

„Ich nicht, aber du. Außerdem glaube ich nicht, dass sich hier noch viel tut.“

„Sieht ganz danach aus. Na, dann lass’ uns gehen.“

Nach etwa fünf Minuten Fußmarsch durch den Regen, mehr gerannt als gegangen, leuchtete uns schon der rosafarbene Schriftzug „Flamingos“ entgegen.

Leicht durchnässt und völlig außer Atem stürzten wir regelrecht in die Bar hinein. „Mannomann, ihr habt’s aber eilig“, tönte eine Stimme vom Tresen.

Wir klopften uns die Jacken ab und ohne weiter hinzusehen rief Ulla laut in die Richtung zurück: „Ja, wir sind Alkoholiker und uns geht gerade der Stoff aus. Mal schnell her damit.“

Schallendes Gelächter dröhnte uns entgegen. Wie wir erst jetzt sahen, war der Laden beinahe schon überbesetzt und bis auf wenige Ausnahmen nur von Männern. Während wir die nassen Jacken an die Garderobe hängten, warf Ulla mir einen viel sagenden Blick zu.

„Aber du weißt schon, dass wir beide morgen arbeiten müssen?“ erinnerte ich sie.

„Wer könnte das an deiner Seite schon vergessen, Miss Vernunft? Komm’, sei kein Spielverderber. Wir gucken uns nur ein bisschen um, dann sehen wir weiter.“

Sie rammte mir auffordernd den Ellenbogen in die Seite.

Nur keine Zugeständnisse machen! Da muss man bei Ulla ganz schön aufpassen. Ich hatte da schon so manch böse Erfahrung gemacht. Also sagte ich erstmal gar nichts und ging hinter ihr her, Richtung Tresen.

Da hatte uns tatsächlich schon jemand zwei Tequila Sunrise spendiert. Die ganze Runde nuckelte grinsend an diesem Drink und wartete gespannt, was wir tun würden. Alle Blicke richteten sich auf uns, als Ulla gut gelaunt den ersten Cocktail an mich weiter reichte, den zweiten in die Höhe schwenkte und fröhlich in die Runde rief: „Heißen Dank, dem edlen Spender!“

Es wurde geklatscht und gepfiffen.

„Und was ist mit Dir?“, sprach mich ein Typ aus der Runde an.

„Ähm, ich muss noch fahren“.

Dafür erntete ich einige Buhrufe. Was soll’s? Offensichtlich war das nicht mein Tag. Mir war überhaupt nicht nach einer betrunkenen Männerclique. Noch waren sie nicht soweit, allerdings war das nur eine Frage von kurzer Zeit. Die Mischungen im Flamingos waren dafür berüchtigt. Aber ich wollte meiner Freundin nicht schon wieder den Spaß verderben.

Ich bestellte mir ein Mineralwasser und ließ den Cocktail stehen, was meinen Nachbarn zu einer Frage veranlasste.

„Du meinst das wirklich, was? Mit dem Auto fahren, meine ich.“

„Klar. Schließlich möchte ich meine Freundin heile nach Hause bringen. Und mich auch, “ sagte ich nicht gerade freundlich. Dass man sich immer für das Nichttrinken rechtfertigen muss, werde ich nie begreifen.

„Wieso fragst Du?“, ging ich auf das duzen ein.

„Ach, nur so. Kommt ziemlich selten vor, dass jemand gar nichts trinkt, wenn er noch fahren muss.“

„Aha. Und wer sagt, dass ich noch gar nichts getrunken habe?“ meinte ich grinsend.

„Habe ich mir so gedacht. Wie eine Alkoholikerin siehst Du nun wirklich nicht aus.“

Er sah mich anerkennend von oben bis unten an.

Schon wieder! Das darf doch nicht wahr sein, dachte ich. Mit Sicherheit war ich tomatenrot geworden. Das musste ich mir unbedingt abgewöhnen. Ich rührte angestrengt die Zitronenscheibe mit dem Strohhalm in meinem Mineralwasser herum und nahm dann ein paar große Schlucke. Danach fühlte ich mich besser.

„Woher kommt ihr denn? Ich habe euch Zwei hier noch nie gesehen.“

Er ließ nicht locker.

„Von draußen, „antwortete ich gleichgültig.

„Tatsächlich. Hätte ich nicht gedacht.“ Er lachte mich offen an.

„Und ihr seid vorher essen gewesen.“

Woher wusste er das denn? Ich sah ihn verblüfft an und stellte gleichzeitig fest, dass er strahlende katzengrüne Augen hatte. Ein seltenes Grün bei einem Mann. Überhaupt sah er ganz gut aus. Wo hatte ich denn meine Augen gehabt?

„Wie kommst du darauf?“, fragte ich ihn freundlicher.

„Die Knoblauchfahne riecht man meilenweit, deshalb.“

Darauf wäre ich nun wieder nicht gekommen. Aber welche Gerichte gibt es beim Türken schon ohne Knoblauch? Daran hatte ich natürlich nicht gedacht. Mein Gott, wie peinlich. „Steht dir gut.“ Er grinste wieder.

Ich dachte, ich hörte nicht richtig.

„Was, die Knoblauchfahne?“, stellte ich mich dumm.

„Nein, wenn du rot wirst.“

Der Mensch war ganz schön direkt. Leider hatte er recht. Das hatte ich überhaupt nicht im Griff. Wenn mir auch nur ansatzweise etwas peinlich war, errötete ich bis unter die Haarwurzeln. Viele meinten, es verliehe mir etwas Natürliches. Für mich war das nur ein deutlich sichtbares Zeichen von Unsicherheit, auf das ich gut verzichten konnte. So langsam hatte ich auch keine Hoffnung mehr, dass es sich legen würde, in dem Alter. Schließlich war ich doch kein Teeny mehr. Ich musste wirklich professionell etwas dagegen tun. Das nahm ich mir fest vor.

„Mit einer Glühbirne brauche ich wenigstens keine Taschenlampe für den Heimweg“, entgegnete ich lässig.

Er lachte sich halb kaputt. „Witzig bist du auch noch. Wer hätte das gedacht?“

Irgendwie war ich nun gar nicht mehr in Stimmung. Auch wenn der Typ gut aussah und recht nett zu sein schien, hatte ich keine Lust mehr. Ich hielt nach Ulla Ausschau. Die blickte gerade vom anderen Ende der langen Theke zu mir herüber und zwinkerte mir zu. Mit meinem Glas in der Hand rutschte ich vom Hocker und verabschiedete mich an dieser Stelle. „Ich muss mal zu meiner Freundin rüber.“

„Na, was hast du denn da Nettes aufgegabelt?“, empfing sie mich.

Ich verzog das Gesicht.

„Wieso, was haste denn? Sieht doch gut aus“, meinte sie.

„Weiß auch nicht. Ist heute nicht mein Tag. Irgendwie geht alles schief. Ich glaube, ich sollte besser nach Hause fahren. Die Luft hier ist auch ganz stickig. Außerdem ist es viel zu voll. Man kommt sich ja vor wie in einer Sardinendose.“

„Bist du schon mal drin gewesen?“, lachte sie mich aus.

„Nee, mal ehrlich. Das macht dir doch sonst nichts aus. PMS, was?“

„Kann schon sein“, murrte ich. „Können wir nicht lieber noch zu mir fahren?“

„Ach nee, lass mal. Da wird deine Laune nicht besser. Das Material hier ist auch nicht nach meinem Geschmack und ich merke den Cocktail ganz gut. Die Gesamtmischung war wohl nicht ganz passend. Dann bring mich besser gleich nach Hause.“

Wenige Minuten später verließen wir die Bar.

„Ulla wird erwachsen“, frotzelte ich.

„Haha, du Miesepeter. Hoffentlich hast du dich bis zum nächsten Mal wieder eingekriegt. In letzter Zeit bist du ziemlich oft schlecht drauf. Hast du Ärger im Job?“

„Nö, das nicht gerade. Aber sonst hast Du leider recht. Fällt mir schon selber auf. Vielleicht liegt es einfach nur am Wetter. Immer dieses Nass-Kalte. Wahrscheinlich eine ganz normale Herbst-Depri.“

„Ja, mag sein. Mich nervt diese Jahreszeit auch immer. Und im November kommen noch dazu die vielen Toten-Feiertage, schrecklich. Wie soll man da positive Gedanken haben?“

Ich setzte Ulla vor dem Haus ihrer Eltern ab und fuhr ohne Umwege zu meiner Wohnung. Ich wollte einfach nur ins Bett. Hoffentlich hatte ich mir keine Erkältung eingefangen. Ich spürte ein leichtes Kratzen im Hals und fühlte mich wirklich unwohl, einfach kaputt. Meine feuchten Sachen hängte ich schnell auf und suchte danach nur noch Ruhe. Nach einer ausgiebigen heißen Dusche mit meinem Lieblingsduft ging es mir schon etwas besser.

Wo war denn nur mein Kuschel-Schlafanzug? Ich kramte in der Schublade und fand ihn ganz unten. Na logisch. Er war nach Jahreszeit eingeordnet und befand sich somit in der Winterabteilung. Zwar war es noch nicht so kalt, aber mir war eben danach. Dazu noch die passenden Bettsocken angezogen … und fertig.

Aahhh, was für eine Wohltat. Meine Laune besserte sich leicht. Mir war nach einem Glas Wein, nach einem großen bitte.

Wenn ich heute schon nicht beim Italiener war, dann sollte es wenigstens ein guter italienischer Rotwein sein! In meinem Vorrat fand ich einen Villa Cafaggio Chianti Riserva.

Mmhhh, seeehr gut. Ich nahm einen weiteren Schluck aus dem Glas. Der Wein war hervorragend. Mir wurde gleich wärmer. Schnell ging ich damit zum Bett und nahm das dort liegende Buch auf. Nun noch ein paar Kissen in den Rücken gestopft … soooo ließ sich das aushalten.

Die Lektüre war leicht und amüsant. Sie handelte von einem Ehepaar, das unterschiedlicher nicht hätte sein können. Wirklich komisch.

Meine Gedanken schweiften immer wieder ab.

Es stimmte schon. In letzter Zeit war ich sehr launisch. Oft hatte ich eigentlich völlig grundlos miserable Laune. Das konnte unmöglich nur mit den Herbstmonaten zu tun haben. Normalerweise hatte ich das schlechte Wetter gerne zum Anlass genommen, Freunde zu einem guten Essen zu mir einzuladen. Das hatte immer Spaß gemacht. Aber irgendwie fehlte mir dazu die richtige Lust. Nie konnte ich mich wirklich zu etwas aufraffen, alles war mir zu viel. Ich war oft gereizt oder richtig genervt. Dabei war ich doch eher ein fröhlicher Mensch. Was war bloß los mit mir?

Dämliche Frage. Wenn ich ehrlich war, kannte ich den Grund doch ganz genau. Weihnachten nahte. Singles Grauen. Vor diesen Festtagen fürchtet sich jeder allein lebende Mensch. Sofern man Verwandte hat, wird man von Pflichtbesuchen mit aufgesetzter Freundlichkeit geplagt. Begrüßung mit Küsschen, auch wenn man den Menschen nicht ausstehen kann. Schließlich gehört sich das so … reiss dich zusammen. Heftige, erstickende Umarmungen und eklige nasse Küsschen von Tante Trude und Konsorten. Dass sie nicht behaupten ich wäre noch gewachsen, wundert mich fast. Es folgen viele üppige Mahlzeiten, die oft nur aus Höflichkeit nicht abgelehnt werden und einen dafür nachts nicht schlafen lassen. Danach der übliche Geschenkeaustausch. Geheuchelte Freude auf beiden Seiten.

Man langweilt sich und sehnt das Ende des Tages herbei, um dann meistens nach langer Rückfahrt genervt und total kaputt ins Bett zu fallen. Ein Wahnsinnsstress. Und jedes Jahr dasselbe.

Ist man ganz allein, hat man zwar seine Ruhe. Aber das ist auch nicht gut, denn davon gibt es nun zuviel. Das Fernsehprogramm ist lausig und langweilig. Es besteht fast nur noch aus Wiederholungen und dämlichen Casting-Shows. Hier und da gibt es vielleicht mal was zu lachen, aber sonst?

Lesen ist auch blöd. Macht man das ganze Jahr über.

Dann noch die Sache mit dem Essen. Mir macht es jedenfalls gar keinen Spaß, für mich als einzige Person ein Festmahl zuzubereiten. Der Aufwand lohnt nicht. Außerdem, soll ich mir dann vielleicht selber zuprosten und Frohe Weihnachten wünschen? Finde ich äußerst albern.

Wenn es draußen still wird und man die geschmückten Weihnachtsbäume in den Wohnräumen sehen kann, erzeugt das eine merkwürdige Stimmung. Mich überkommt dann ein trauriges Gefühl.

Mir ist zum Heulen. Keiner hat mich lieb, ich zerfließe vor Selbstmitleid.

Diese schrecklichen Tage überstehe ich meistens nur mit viel Rotwein und DVDs, jeder Menge Knabbereien und Weihnachtsgebäck.

Manchmal überkommt mich auch ein Ordnungsfimmel und ich räume auf, was meine Wohnung so zu räumen hat. Wenn ich damit fertig bin, beginne ich auszumisten. Danach fühle ich mich wenigstens erleichtert.

Natürlich könnte ich an diesen unerfreulichen Tagen auch arbeiten. Das wäre wenigstens produktiv, aber mir fehlt dann leider jegliche Konzentration.

Ich lasse mich leicht von den wenigen Geschehnissen draußen ablenken. Höre ich Lachen oder sogar Gesang, laufe ich neugierig zum Fenster, um die Vorübergehenden zu beobachten. Dabei stelle ich mir oft vor, wie diese wohl das Fest verbringen. Und manchmal werde ich ganz neidisch. Besonders wenn ich mir einrede, dass es bei Anderen nur harmonisch und in guter Stimmung zugeht. Überall ist es besser als bei mir, bilde ich mir jedenfalls ein.

Erst einige Tage nach dem Fest, nehme ich dann mit Genugtuung zur Kenntnis, dass diese Idealvorstellung meinerseits doch nicht der Realität entspricht. Wenn Freundinnen und Kollegen über verpatzte Weihnachten berichten, bin ich fast zufrieden. Nicht, dass ich ihnen etwas Schlechtes gewünscht hätte, aber warum sollte es anderen immer besser gehen als mir?

Miss-Geschicke

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