Читать книгу Miss-Geschicke - Berina Cater - Страница 6
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ОглавлениеWas hatte ich nicht schon alles unternommen, um diesem ganzen Gemache auszuweichen.
Einmal hatte ich ein befreundetes Künstlerpaar angerufen und scheinheilig nachgefragt, was diese Weihnachten zu tun gedächten, wobei ich ganz genau wusste, dass sie extreme Weihnachtshasser sind.
Hat dann auch funktioniert. Sie luden mich gegen „Speis’ und Trank“ ein.
Ich brachte eine Gans und verschiedene gute Weine mit. Nach einigen Stunden Autofahrt, die ich am Heiligen Abend langsam hinrollend auf der Autobahn bei ätzender Radiomusik verbrachte – ich hatte wie immer keine CD im Wagen -, kam ich endlich an und wurde bereits sehnlichst erwartet. Oder wohl eher die Gans? Die verschwand nach kurzer Behandlung schleunigst im Backofen.
Das Tierchen war so groß, dass es in keinen Bräter hinein passte. Ich hatte es nur gut gemeint. Dafür war jetzt stundenlanges Warten angesagt.
Der Tisch war gedeckt. Das Kaminfeuer brannte gut. Uns Dreien knurrte ordentlich der Magen.
Um die lange Garzeit zu überbrücken, probierten wir schon mal verschiedene Digestive und kümmerten uns dabei gemeinsam um die Beilagen. Wir hatten viel Spaß dabei.
Auf das Dessert wollten wir ausnahmsweise verzichten, weil der Hausherr ein Süßer war und offensichtlich sämtliche Weihnachtsleckereien gekauft hatte, die der Markt hergab. Natürlich nur für mich. Er mochte „das ganze Weihnachtsgedöns“ ja angeblich nicht. So was Scheinheiliges! Dabei kannte jeder seine Vorliebe dafür. Einen so gewaltigen Berg an Naschwerk auf einmal hatte ich höchstens im Kaufhaus gesehen. Das war unglaublich. Für mich hätte das länger als ein Jahr ausgereicht.
Unser Magenknurren war nun heftiger geworden. Es gab nicht mehr viel zu tun. Wir probierten uns durch verschiedene Aperitifs. Die waren auch nicht übel. Die Stimmung wurde immer ausgelassener. Wir scherzten, erzählten uns die größten erlebten Reinfälle von Weihnachten und lästerten, was das Zeug hielt. Die Stimmung war in der Tat sagenhaft gut. Es hätte nicht besser sein können. Ja, so sollte Weihnachten sein. Das kam meiner Vorstellung schon viel näher.
Als die Gans dann soweit war, waren wir es nicht mehr. Wir Drei saßen ganz schön angbläut am Tisch und aßen herum albernd den gelungenen Braten. Keine Spur von Benehmen. Die Stimmung war auf dem Höhepunkt und der Hinweis der Hausfrau, dass es sich schließlich um ein „schweres Essen“ handele, hielt uns dann auch nicht davon ab, die guten Weine zu genießen.
Das war ein wirklich schöner Abend, der mir immer in Erinnerung bleiben wird. Vor allem wegen des folgenden Morgens, oder besser gesagt, wegen des folgenden Abends, der als Morgen für uns begann …
Nicht übel war auch meine Weihnachtsflucht nach Mallorca.
Nachdem ich mich kategorisch gegen meine Verwandtschaft entschieden hatte und leider feststellen musste, dass niemand, aber auch wirklich niemand Zeit für mich hatte – keine einzige Freundin, kein Freund – entschied ich mich für Weihnachten im Ausland.
Wenn man Mallorca noch Ausland nennen kann. Aber egal. Klar hätte ich Lust auf Christmas-Shopping in NYC oder wenigstens in London gehabt. Aber abgesehen davon, dass ich auf einen stundenlangen Flug keine Lust hatte, war es jetzt äußerst schwierig in Großstädten noch eine Unterkunft, geschweige denn einen Flug dort hin zu bekommen. Für Kurzentschlossene ist das so gut wie unmöglich. Also dann lieber Malle! Nur bloß nicht allein zuhause bleiben.
Es gab noch vereinzelt Flüge. Aber die Sache mit dem Hotel war dann doch nicht so einfach wie ich dachte. Nirgendwo freie Einzelzimmer. Malle war ebenfalls fast ausgebucht. Ich musste mit dem Vorlieb nehmen, was da war. Und das war der übrig gebliebene Rest, entweder Schrott oder völlig überteuert. Zu den Festtagen können die Veranstalter sich alles leisten.
Ich entschied mich für die zweite Möglichkeit. Wenn schon, denn schon. Schließlich wollte ich mich dort nicht auch noch ärgern.
Luxushotels haben neben allem was geboten wird den Vorteil, dass jede Menge Zeugs zuhause gelassen werden kann. Bademantel, dazu gehörende Frottee-Badeschläppchen, dicke kuschelige Badetücher, Fön, sowie zahlreiche Bad-Utensilien kann man getrost vergessen. Dafür hat man entweder einen leichteren Koffer oder kann, wenn die Wahl mal wieder schwer fällt, haufenweise Kleidung mitnehmen, die dann ungetragen wieder zurück geht. Mein Koffer war daher immer gleich schwer. Aber was soll’s. Schließlich weiß man vorher nicht was kommt und Frau möchte auf alles vorbereitet sein.
Der Koffer war gepackt, Freunde über meinen Verbleib unter Telefonnummer-Angabe informiert, das Taxi bestellt. Noch einen letzten Blick zurück … alles in Ordnung. Los, Taxi! Komm schon. Draußen war es erbärmlich kalt. Ich fror. Ah, da näherte sich ein heller Mercedes. Ja, das war mein Taxi. Der Fahrer wuchtete mein Gepäck mit einem bösen Blick in den Kofferraum. War wohl schwerer, als ich angenommen hatte. Ich tat so, als hätte ich den Blick nicht bemerkt, setzte mich nach hinten und sah mir meine kurz zuvor ausgewählte Lektüre für die nächsten zehn Tage näher an.
Zuerst mal der Reiseführer mit der Landkarte. Natürlich hatte ich vor, die Insel auf eigene Faust in einem schicken Mietwagen zu erkunden. Das war doch klar. Rumsitzen war noch nie mein Ding, deshalb gingen mir Feiertage ja so auf den Nerv. Was konnte man groß unternehmen, wenn alles geschlossen war?
Jetzt sollte das anders werden. Ich freute mich auf die schöne Landschaft Mallorcas, freute mich ebenso auf sommerliche Temperaturen und darauf, dass ich die Winterklamotten in Kürze los sein würde. War lange her, dass ich das erste Mal dort war. Aber ich hatte die Insel an sich und die mallorquinische Küche noch in bester Erinnerung.
Hmmh, mir läuft direkt das Wasser im Mund zusammen, wenn ich an die wunderbar duftenden Meeresbuffets in den Geschäften und den Restaurants denke. Sie sind an Vielfalt und Frische kaum zu überbieten. Oder die Paella, die mindestens zwei Tage vorher bestellt werden musste. Eine wahre Köstlichkeit!
Gutgelaunt saß ich im Taxifond. Daher nahm ich die Fahrzeit nicht als solche wahr. Mitten in der Nacht war auf den Autobahnen kaum Verkehr. So setzte mich der mürrische Taxifahrer recht schnell am Eingang des Flughafens ab. Das Gepäck knallte er hart auf den Asphalt.
Was glaubte der, was mein Koffer gekostet hatte? Wahrscheinlich hatte er nicht die geringste Ahnung und schätzungsweise war ihm das völlig egal.
Dafür gab es auch kein Trinkgeld. Davon bin ich sowieso kein Fan. Diese ständigen Überlegungen, was jeweils angemessen ist. Außerdem bekomme ich auch keins, wobei so manches Mal mit Sicherheit ein Eilzuschlag fällig gewesen wäre. Wie oft hatte ich mir und das bis heute, die Nächte um die Ohren geschlagen, um Sonderwünsche termingerecht zu erfüllen. Das wird allerdings als selbstverständlich angesehen. Trinkgeld, was ist das?
Gegenüber dem unfreundlichen Taxifahrer musste ich also gar kein schlechtes Gewissen haben.
Wie immer war ich überpünktlich. Wenn schon Touristenklasse, dann wenigstens so gut wie möglich. Ich hoffte, einen Fensterplatz zu ergattern. Zu meinem Erstaunen herrschte schon dichtes Gedränge am Abflugschalter. Wahrscheinlich hatten Andere ebenso gedacht wie ich. Aber ich hatte Glück. Ein Fensterplatz war mir schon mal sicher. Und nach einem Blick auf die Waage drückte der nette Mensch an der Abfertigung wegen meines leichten Übergepäcks sogar ein Auge zu.
Das war schon mal gut gegangen. Nun brauchte ich noch einen Kaffee.
Glücklicherweise öffnete gerade der nächste Coffee-to-Go Shop. Dazu noch ein frisches Schinken-Käse-Croissant. Die Welt konnte ausnahmsweise auch schon um diese Uhrzeit ganz angenehm sein. Denn wenn ich eines nicht bin, dann ein Frühaufsteher, was man mir auch immer ansehen kann.
Ich vermied es, in einen der vielen Spiegel zu sehen. So spannend sind geschwollene Augen in einem verquollenen Gesicht nun auch wieder nicht. Ich ärgere mich ständig darüber und frage mich wie andere Frauen das anstellen, um diese Zeit so frisch und ausgeschlafen auszusehen. Bei mir hilft einfach gar nichts. Selbst dicke Schminke kann nichts ausrichten. Im Gegenteil, die macht alles nur noch schlimmer! Ärgern hilft leider genauso wenig.
Ich hatte vor, im Flieger ein Schläfchen einzulegen. Ein paar Stunden später würde sich das mit dem Aussehen dann sowieso von selbst regeln. Also, was soll’s? Es gibt Schlimmeres.
Genau das sollte nur kurze Zeit später folgen. Mit dem Schläfchen wurde es schon mal nichts. In der Reihe hinter mir hatte eine Familie mit entzückenden Kindern Platz genommen, die abwechselnd den ganzen Flug über plärrten und nicht zu beruhigen waren. Meine Nerven! Ich konzentrierte mich angestrengt auf die Tageszeitung, die mir die Stewardess gegeben hatte. Danach auf das Bordmagazin. Es gelang mir nicht wirklich.
Der Herrenkegelclub weiter hinten war nämlich auch nicht zu überhören. Je näher wir unserem Flugziel kamen, desto lauter wurden die Kegelbrüder, total angetörnt durch viel zuviel Alkohol. Sollte man wirklich verbieten. Sie hatten sich überhaupt nicht mehr unter Kontrolle. Echte Prollis! Da nutzten auch die Ermahnungen der Flugbegleiter nichts.
Dann kam wie erwartet diese furchtbare Bordverpflegung. Der Kaffee ist mehr oder weniger schlecht, geht meistens gerade noch so. Aber den Rest kann man getrost ganz vergessen.
Auf dem Mini-Tablett lagen in Klarsichtfolie eingeschweißt ein gekühltes, trockenes Brötchen an Salatblatt und kleiner, geschmacklich undefinierbarer Käsescheibe sowie Pfötchen gebender Wurstscheibe. Durch die drei Zutaten wird das Brötchen so gut angefeuchtet, dass es sich nicht mehr beißen sondern nur noch durch die Zähne ziehen lässt.
Der Rest ist dafür einzeln verpackt.
Eine kleine Scheibe Vollkornbrot, ein Stückchen Butter, ein Näpfchen transparente rosa und zähe Marmelade ohne Frucht, ein Mini-Päckchen Frischkäse, ein Rund-Näpfchen Leberwurst und als Krönung ein kleiner Becher schlabberiger übersüßter Fruchtjoghurt.
Ja, ich weiß. Auch mir ist der Welthunger bekannt. Aber außer mir würden auch noch viele andere Fluggäste dafür gern die Überlebenspäckchen auf Kurzstrecken spenden. Man könnte sie einfach abwerfen. Vielleicht können die Fluggesellschaften das mal aufnehmen. Schließlich ist die Verpflegung im Preis inbegriffen.
Das wissen natürlich alle Mitflieger. Und was bezahlt ist, wird auch schön aufgegessen. Geschmack ist Nebensache und überhaupt nicht gefragt. Von denjenigen, die das opulente Frühstück annehmen, ist dazu offensichtlich nicht einmal die Hälfte in der Lage, gesittet zu essen. Es spielen sich immer wieder dieselben Szenen ab. Die Tabletts mit der Verpflegung werden den Flugbegleitern regelrecht entrissen. Die Passagiere stürzen sich darauf, als würden sie gerade verhungern. So auch mein korpulenter Sitznachbar.
Er konnte wohl nicht schnell genug an sein Brötchen kommen und riss die Folie mit einem ordentlichen Ruck so schwungvoll auf, dass die Wurstscheibe auf meinem Blazer landete. Iiihhh! Unbekümmert grapschte er die Wurst von diesem und rieb fürsorglich mit einem benutzten Papiertaschentuch nach. „Tut mir leid“, sagte er und grinste mich dämlich an.
Mir auch, dachte ich, sagte aber nichts. Der Fettfleck war deutlich zu sehen.
Das zähe Brötchen war natürlich nicht zu schneiden. Er steckte den Daumen hinein, riss es auf, schmierte Butter dazwischen und stopfte die Wurstscheibe hinein. Dann verschlang er es mit zwei großen Bissen, wobei er mich mit Kuhaugen ansah. Danach fischten seine Wurstfinger die Käsescheibe heraus, die er zusammen quetschte und sich gierig in den Mund stopfte. Eine Ecke guckte noch raus. Sie wurde gnadenlos mit dem Zeigefinger nach gestopft.
EKELHAFT! Einfach nur EKELHAFT!!!
Mann, was hatte ich doch immer wieder für ein Glück in diesen Touri-Bombern!
Den Inhalt aller Näpfchen verteilte er dann in Häufchen nebeneinander auf der Vollkornscheibe, klappte sie zusammen und verschlang das Ganze ebenso wie vorher das Brötchen. UÄHHHHHHHH!!!
Nun war der Kaffee dran. Er riss das Zuckerpäckchen auf und verteilte damit die Hälfte in seinem Umfeld.
Mein Journal knisterte beim Umblättern, weil mir etwas von den Haaren hinunter rieselte. Der wird doch hoffentlich nicht noch Milch hinein schütten, dachte ich. Kaum gedacht, schon gemacht.
Er zog mehrmals an der Minilasche und rutschte immer wieder ab. Schließlich erwischte er sie doch und zog sie heftig hoch. Genau was ich befürchtet hatte!
Die Milch spritzte in vielen kleinen Tröpfchen heraus und verteilte sich unter anderem wieder auf meinem Blazer.
Noch mehr Fettflecke!!! Den Rest der Milch gab er in seinen Kaffee.
„Entschuldigung“, murmelte der Unsympath und rieb wieder an meinem Blazer herum. Danach schlürfte er unüberhörbar sein Heissgetränk.
Mir fiel so langsam der Unterkiefer runter. Hatte dieser fressende Fleischberg eigentlich überhaupt keine Manieren? Die Frage konnte ich mir selber beantworten.
Denn danach schlabberte er geräuschvoll in Sekundenschnelle den Jogi, den er sich freundlicherweise mal auf die eigene Hose kleckerte.
Irgendwie erinnerte mich das an Loriot. Als ich diese ähnliche Szene zum ersten Mal gesehen hatte, fand ich sie sehr amüsant aber total übertrieben. Hätte nie gedacht, dass sie keine Erfindung ist. Jedenfalls konnte ich ab sofort mitreden.
Mein Blazer war nun total ruiniert. Normalerweise hätte mir der Fiesling die Reinigungskosten erstatten müssen. Aber ich wollte mit dem da bloß nichts weiter zu tun haben.
Später würde ich dafür lieber den guten Service meines Hotels in Anspruch nehmen.
Das sollte doch kein Problem sein. Dachte ich aber nur! Dieser Flug hatte noch eine Krönung.
Während der Fleischkloss neben mir Kekse, Schokoriegel und Gummibärchen weiter unkontrolliert in sich hinein stopfte, bemerkte ich plötzlich einen merkwürdigen Geruch.
Ich blickte von meiner Reiselektüre auf und schnupperte herum. Was roch denn da so fies? Undefinierbar. Bahh, der Geruch verstärkte sich immer mehr. Wo kam das überhaupt her? In meinem Blickfeld war nichts Ungewöhnliches auszumachen. Kam das von hinten?
Es kam. Und wie!
Ich drehte leicht den Kopf und spähte zwischen meinem Sitz und dem meines gefräßigen Nachbarn hindurch. Ich konnte nicht glauben, was ich dort sah. Das konnte doch wohl nicht sein! Eine Frau in der Reihe hinter mir hatte ihren Nachwuchs auf den Schoss genommen und hielt in der Hand einen geöffneten Henkelmann, woraus sie sich und das Kind abwechselnd fütterte.
„Einen für Mami, einen für Baby. Einen für Mami, einen für Baby.“
Das Baby war zwar keines mehr, schmatzte und grunzte aber zufrieden. Der üble Geruch verbreitete sich eindeutig aus dem Henkelmann. Nein, es war kein Spinat, den Kinder ja so gerne mal in ihrem Umfeld verteilen. Bei der grünen Pampe handelte es sich zweifelsfrei um Grünkohl!!! Ehrlich!
Die Frischluftdüsen über mir schafften es leider nicht, diesen markanten Duft zu vertreiben. Und Fenster öffnen ging ja auch nicht. Booaahhhh, der Kohlgestank waberte richtig über mir! Das war ja nicht auszuhalten!
Mir wurde schlecht. Ich musste unbedingt aus diesem Essensdunst heraus. So musste ich wohl oder übel meinen Sitznachbarn ansprechen und ihn bitten, mich doch eben mal aus der Reihe heraus zu lassen. Er nickte und erhob sich kauend. Dabei schubste er unsanft seinen auf der anderen Seite sitzenden und bereits schlafenden Nachbarn derartig, dass dieser erschrocken aufsprang und sich wortlos und verwirrt aus der Reihe heraus drängen ließ. Ich murmelte ein leises "Entschuldigung" und begab mich schnellstens in Richtung WC.
Wenigstens war das frei.
In der engen Kabine ließ ich mir sofort Wasser über Hände und Gesicht laufen. Tat das gut! Das war Hilfe in letzter Sekunde. Mir wurde langsam besser. Aus dem Spiegel blickte mich eine nur entfernt bekannte und total bleiche Person an. Mannomann. Mir war wirklich schlecht geworden. Mein kleines Makeup aus früher Morgenstunde war fast gar nicht mehr vorhanden. Das machte mich noch blasser.
Muss auch nicht sein, dachte ich und zog mit zwei Fingern ein Schminkutensil nach dem anderen aus meiner Mini-Handtasche. Nach kurzer aber intensiver Restaurierung sah die Sache schon anders aus. So konnte ich mich wieder zu meinem Platz begeben. Allerdings hatte ich einen regelrechten Horror davor. Hoffentlich war der Geruch weiter verflogen. Vorsichtshalber nebelte ich mich mit meinem Parfum ein und verließ seufzend diese enge Nasszelle.
Kindergeschrei. Nein, Gebrüll. Mir blieb aber auch gar nichts erspart.
Auf dem Gang liefen einige Flugbegleiterinnen hektisch mit einer Plastikschüssel und jeder Menge Papiertüchern vor mir her.
Da war doch hoffentlich nicht noch jemandem von diesem Kohlgeruch schlecht geworden, dachte ich vor mich hin grinsend und hatte das natürlich nicht wirklich so gemeint.
Die Stewardessen befanden sich allerdings allesamt verdächtig nahe an meinem Platz. Genauer gesagt, befanden sie sich mehr oder weniger direkt an meinem Platz. Der dicke Nachbar saß auf seinem und glotzte mich fassungslos an. Da sah ich die Bescherung.
Dem "Baby'' hinter mir war es wohl egal gewesen, ob Mami Spinat oder Grünkohl eingefahren hatte. Es hatte die gesamte grüne Pampe über meinen Sitz und das Jackett meines Nachbarn, an dem das Flugpersonal gerade angestrengt herum rubbelte, erbrochen.
Eklig! Ich konnte mir ein schadenfrohes Grinsen trotzdem nicht verkneifen. Nun konnte er mal nachfühlen wie das war, wenn man so nett dekoriert wurde. Haha!
Gleich darauf verging mir aber die Schadenfreude, als man mir mitteilte, dass die Maschine nicht nur komplett ausgebucht sondern überbucht war. Das bedeutete im Klartext, nicht einmal ein Notsitz konnte mir angeboten werden. Und jetzt?
Da ich schließlich bei der Landung nicht stehen durfte, konnte man meinen Sitzplatz nur noch reinigen so gut es ging. Nachdem das erledigt war, wurden zuerst Zeitungspapier und darüber einige Decken verteilt.
Mittlerweile hatte der Dicke auch sein Jackett zusammen mit einem Gutschein für die Reinigungskosten zurück erhalten. Nur das "Baby", das am wenigsten von dem Grünzeug abbekommen hatte, ließ sich nicht beruhigen und plärrte lautstark weiter.
So verbrachte ich genervt den Rest der Flugzeit auf Kotze sitzend mit übertönender Musik aus meinem Kopfhörer. Nur gut, dass mein Parfum so intensiv war. Ich hätte selber für nichts garantieren können.
Nach der Landung sah ich zu, dass ich schnellstens an mein Gepäck kam. Bloß nicht noch mehr Zeit mit dieser nervtötenden Meute vergeuden! Das Gedränge und Gerangel an der Rezeption um die besten Zimmer konnte ich mir wahrlich gut vorstellen. Allerdings bezweifelte ich sehr, dass diese Chaoten sich eine derart luxuriöse Unterkunft wie meine leisteten. Aber man konnte ja nie wissen.
Den Bustransfer zum Hotel ignorierte ich und suchte mir ein Taxi. Nach kurzer Fahrt erreichten wir das Ziel.
Ich zahlte dem Taxifahrer die genannte Summe mit einem großen Schein, den Rest durfte er behalten. Ich war in Eile. Jetzt war ich an der Reihe. Ich wollte das beste Zimmer. Ärger hatte ich schon genug gehabt. Das sollte ab sofort anders werden. Für die Feiertage wünschte ich mir gutes Wetter, Ruhe und Entspannung, kulinarische Genüsse und nette Menschen.
Der Taxifahrer bedankte sich überschwänglich für das großzügige Trinkgeld und brachte meinen Koffer bis zur Rezeption.
Hier erwartete mich ein gut aussehender, äußerst freundlicher Rezeptionist, der mich in perfektem Deutsch begrüßte. Ein Hamburger, zu meiner großen Enttäuschung. Schade, mit einem Spanier hätte ich gern geflirtet, aber mit einem kühlen Norddeutschen machte mir das keinen Spaß.
Immerhin sorgte er für mein gewünschtes Zimmer.
Im obersten Stockwerk mit fantastischer Aussicht auf das Meer, den Strand und den Boulevard. Durch die riesigen Schiebetüren gelangte man auf eine sehr großzügige uneinsehbare Terrasse mit weißen Liegestühlen. Im Wohnraum befanden sich neben einem Kingsize-Bett eine geschmackvolle moderne Sitzecke mit riesigem Flachbildschirm und Musikanlage an der Wand und ein kleiner Schreibtisch, über den man ebenfalls auf den Boulevard blicken konnte.
Das schwarzweiße Marmorbad war riesig: ein überdimensionaler Spiegel über dem Whirlpool mit integrierten farbigen Wellnessleuchten, eine Saunadusche, ein in die Wand eingebautes TV-HiFi-Center, dimmbare Leuchten. Die Palme war sogar echt. Einsame Spitze! Und das alles für mich allein!
Sofort war ich wieder mit meinem Single-Leben ausgesöhnt.
Hier drin würde ich alle Zeit der Welt verbringen können, ohne dass schon morgens ständig jemand an die Tür klopfte, meckerte und fragte, ob ich den Sonnenuntergang heute noch sehen wollte.
Ach nö, das brauchte ich gar nicht. Diese zehn Tage, weit ab von Schmuddelwetter und Weihnachtsrummel würden sehr schön werden. Ich würde mir auf keinen Fall diese kurze Auszeit verderben lassen, von nichts und niemandem!
Trotzdem, zuerst die Pflicht: Koffer auspacken. Wäre schade um die sorgfältig gebügelte Garderobe.
Während ich die Sachen aufhängte, schweiften meine Gedanken ab. Wie war der dreiwöchige Urlaub eigentlich damals vor Jahren hier mit meinem Mann, als ich mir zu seinem Entsetzen die „Putzfraueninsel“ als Ziel für die Hochzeitsreise gewünscht hatte?
Auf Anhieb fiel mir gar nichts ein. Ach doch, sicher. Er hatte mir den Wunsch nicht abschlagen wollen, hatte allerdings wie immer eine Bedingung gestellt. Er wollte nicht ins Hotel. Zu meiner Überraschung hatte er für die gesamte Zeit eine Vierzehnmeter-Yacht gechartert, mit der wir die ganze Balearengruppe umsegelt hatten. War nicht schlecht. Allerdings hatte er mich vorher darüber nicht informiert. Die Folge war, dass ich völlig unpassende Kleidung eingepackt hatte. Keine Jeans, die zum Segeln geeignet war. Keine Windjacke, kein dicker Pulli und schon gar keine passenden Bootsschuhe. War nicht mein Fehler! Trotzdem musste ich mir die ganze Zeit das Gemecker darüber anhören, bis es mir schließlich reichte und ich nach einer Woche shoppen ging. Danach war das Thema erst mal gegessen. Aber trotzdem waren mir mein heute gewähltes Domizil und meine Ruhe doch lieber.
Mein Magen meldete sich. Logisch, mit einem Croissant in aller Herrgottsfrühe kommt man nicht weit. Das Bordessen hatte ich schließlich abgelehnt. Ich sah auf die Uhr und stellte fest, dass es für ein Mittagessen noch zu früh war. Was nun? Zimmerservice? Och, nee. Doch nicht jetzt schon. Ich sah mich noch mal genauer um und entdeckte die gut gefüllte Obstschale. Das war als Vorspeise jetzt genau das Richtige. Schließlich wollte ich nicht mit Hüftgold zurück fliegen. Fehlte auch noch. Keine Lästerei im Urlaub, aber danach. Darauf konnte ich gut verzichten! Ich griff beherzt zu.
Nachdem ich alle Sachen dort untergebracht hatte wo sie hin gehörten, spürte ich ein leicht mulmiges Gefühl im Bauch. Kodderich, würde der Hamburger von der Rezeption sicher sagen. Ich schob das auf meinen Hunger, der zweifelsohne noch genau so vorhanden war, wie vor dem Obstverzehr.
Ich entschied mich trotzdem zuerst fürs frisch machen, danach für ein kleines Mittagessen. Ich konnte das Essen am Abend, wenn ich nichts mehr tun musste, schon immer in aller Ruhe und entspannt besser genießen. Warum sollte ich das im Urlaub ändern? Außerdem wurde ich nach einer ordentlichen Mahlzeit mit Wein und allem, was dazu gehörte, immer schläfrig und meine Unternehmenslust war meistens verflogen. Schlafen konnte ich auch zu Hause.
Als ich mich entkleidet hatte, stockte mir der Atem. Das durfte doch nicht wahr sein! Wie sah meine Anzughose bloß von hinten aus? Grün gefleckt? Und so war ich hoch erhobenen Hauptes durch die Hotellobby gelaufen? Mensch, diese Kotzkröte aus dem Flugzeug!
Nicht nur der Blazer, der gesamte Anzug war hin. Ich bezweifelte stark, dass das heraus zu bekommen war. Jetzt fiel mir auch dieses Duftgemisch Kohl – Parfum auf. Pfui Deibel! Das war ein Fall für die Hotelreinigung. Das musste umgehend erledigt werden, wenn ich dem Anzug noch eine Chance geben wollte.
Ich klingelte nach dem Service und zog mir dafür schnell den flauschigen Frotteemantel aus dem Bad über.
Wieder so eine merkwürdige Welle in meinem Bauch. Vielleicht sollte ich etwas trinken?
Ich nahm ein Mineralwasser aus der gut bestückten Bar, goss mir ein großes Glas ein und leerte es auf einen Zug. Das tat gut. Den Rest kippte ich auch noch hinterher.
Nachdem der Anzug abgeholt worden war ging ich ins Bad, um zu duschen. Auf dem Weg dahin spürte ich einen leichten Krampf im Bauch, wie …. Ich beschleunigte meine Schritte. Wie das schmerzte! Das WC hatte ich gerade noch rechtzeitig erreicht. Der Krampf löste sich. Ich war im wahrsten Sinne des Wortes erleichtert.
Ich nahm eine ausgiebige Dusche. Als ich mich abtrocknete, hatte ich wieder dasselbe Gefühl im Bauch. Ich musste wieder flitzen. Bloß das nicht! Doch, eindeutig Durchfall. Nach weiteren Bauchattacken lag ich erschöpft auf dem Bett und überlegte, wo ich die Kohletabletten hingepackt hatte. Ich konnte mich nicht erinnern, sie gesehen zu haben. Im Bad kramte ich in den verschiedensten Täschchen herum und konnte sie nicht finden.
Na, Mahlzeit! Das hatte mir jetzt noch gefehlt. An einen Gang in die nächste Apotheke war gar nicht zu denken. Es regte sich in meinem Bauch schon wieder was.
Nein, das war kein Zustand. Wer konnte schon wissen, wie lange das noch andauern würde? Außerdem hatte ich nicht vor, diese wertvolle Zeit auf meinem Zimmer zu verbringen. Wohl oder übel musste ich mir ein Mittel vom Hotelservice bringen lassen. War mir ganz schön peinlich. Erst voll gekotzte Klamotten abgeben und dann das.
Während das Mittel besorgt wurde, hatte ich noch so einige runs. Der Badezimmerspiegel zeigte einen bleichen Zombie mit dunklen Augenrändern. War ich das etwa?
Es klopfte jemand an die Zimmertür. Die Tabletten, endlich!
Ich nahm sie nach Vorschrift ein und legte mich völlig geschafft ins Bett. Nur kurz, bis die Wirkung einsetzte. Ich fröstelte und fühlte mich müde.
Ich wurde von Telefonklingeln geweckt. Es war stockdunkel. Wo war denn hier ein Lichtschalter?
Ich setzte mich auf und versuchte, mich zu orientieren. Ich ging dahin, wo ich den Schreibtisch vermutete, auf dem sich das Telefon befand. Autsch! Ich war mit einem Zeh voll gegen ein Tischbein gedonnert. Jaul! Dafür hatte ich plötzlich Licht, weil ich mit dem Fuß auf dem Lichtschalter der Stehleuchte stand. Ich humpelte zum Telefon. Wer wollte denn was von mir? Der unterkühlte Hamburger von der Rezeption erkundigte sich freundlich nach meinem Gesundheitszustand und ob man noch etwas für mich tun könne. Ich verneinte dankend, für den Augenblick jedenfalls.
Nachdem ich aufgelegt hatte, ließ ich mich auf mein Bett plumpsen und sah mir den Zeh näher an. Schmerz lass nach! Er verfärbte sich bereits bläulich und war auch schon dicker als sein linkes Pendant. Ich packte mir Eiswürfel aus meiner Bar in ein Handtuch und wickelte es um den Fuß mit dem pochenden Zeh. Das hatte ich ja richtig gut hinbekommen. Dazu noch ein flaues Gefühl in der Magengegend. Bauchschmerzen hatte ich jedenfalls keine mehr. Die Tabletten hatten wohl gewirkt.
Wieso war das denn schon so dunkel? Ich sah auf die Uhr. Wie spät war das?
Zwanzig Uhr? Ich hatte volle acht Stunden fest durch geschlafen.
Nun begann es in meinem Magen richtig zu rumpeln. Ich fühlte mich zwar wesentlich besser, hatte aber nicht die geringste Lust mich zu stylen. So wollte ich aber auch nicht in eines der hoteleigenen Restaurants gehen. Mir fiel wieder mein ruiniertes Outfit bei der Ankunft ein. Nein, lieber gar nicht. Außerdem pochte der Zeh heftig.
Ich studierte die Fernseh- und Videoprogramme. Gar nicht schlecht. Nacheinander zwei amüsante Weihnachtsfilme, die ich bisher immer verpasst hatte.
Ich entschied mich für einen gemütlichen Fernsehabend und bestellte mir ein leichtes Abendessen beim Zimmerservice.
Danach inspizierte ich den Inhalt meiner Bar. Dass sie gut gefüllt war, hatte ich ja schon gesehen. Ich fand einen guten landestypischen Rotwein. Meine Laune hob sich. Der Abend würde doch noch ganz nett werden.
Ich entkorkte die Weinflasche und stellte sie mit einem Glas auf den Tisch. Dann schaltete ich die TV-Anlage ein. Es liefen noch die letzten Minuten der Tagesschau in Deutschland. Der Wetterbericht sagte dort für die Weihnachtstage das übliche Schmuddelwetter mit Wind und Regen an. Wie gut, dass ich hier auf der sicheren Seite war. Ich freute mich schon auf morgen, einen sonnigen und warmen Tag. Zufrieden kuschelte ich mich mit einer dicken Decke in den bequemen Sessel und probierte den Wein. Ja, doch, der war schon mal gut.
Kurze Zeit später wurde mein Abendessen serviert. Es duftete angenehm nach Wein und Knoblauch. Die Meeresfrüchte an einem wunderbaren Gemüsereis waren die reinste Augenweide, der Geschmack einfach göttlich. Dazu ein knackiger Salat und als Dessert der von mir so geliebte spanische Karamellflan rundeten das Ganze ab.
Das Malheur acht Stunden zuvor war bereits vergessen.
Heeerlich! Wie schön das Leben doch sein konnte. Auf das Leben! Und noch ein Glas Wein! Uuuups, die Flasche war schon leer. Hatte die auf der anderen Seite noch ein Loch? Ach, egal. Schließlich war ich im Urlaub.
Ich öffnete eine weitere Flasche. Leider gab es nicht noch eine von der ersten Sorte. Aber dieser Rote war genau so gut, vielleicht ein bisschen schwerer. Der Film war auch klasse. Mir liefen vor Lachen die Tränen herunter. Endlich mal ein richtiger Weihnachtsfilm, nicht immer nur so was Gefühlvolles und Trauriges. Wirklich Spitze! Der Wein auch. Nur leider endet auch irgendwann der schönste Film.
Ich schaute noch mal ins Programm. Tatsächlich, bis zum nächsten Film war noch eine gute halbe Stunde Zeit. Da konnte ich mich in Ruhe richtig bettfertig machen.
Ich krabbelte unter meiner Kuscheldecke hervor und ging ins Bad. Was stand denn da für ein schicker Glasflakon? Mal sehen. Ein Badeöl. Der Duft war mir unbekannt, gefiel mir aber sehr gut. Ich stellte den Flakon zurück an seinen Platz, obwohl … Warum eigentlich nicht? So ein schönes warmes Bad im Whirlpool mit Wellnessbeleuchtung würde mir bestimmt gut tun. „Mein erstes Bad heute unter Palmen“, kicherte ich. Das war die Idee! Ich ging wieder in den Wohnraum, schaltete dort zuerst den Fernseher aus und öffnete die Bar. Die zweite Weinflasche war zwar noch nicht ganz leer, aber wenn schon, denn schon. Wer gibt sich auch im Pool mit Wein ab? Ich hatte richtig gesehen. Da stand der vermutete Champagner.
Noch fünf Minuten bis zum Filmbeginn. Gekonnt öffnete ich die Flasche, brachte sie ins Bad und ließ schon mal das Wasser einlaufen. Noch ein Schuss von dem gut duftenden Öl hinein. Fehlte nur noch ein Champagnerglas, das ich ebenfalls in der Bar fand. Für einen ungestörten Genuss schnell das rote Schild außen an der Eingangstür befestigt und wieder ab ins Bad. Die Zeit lief.
Wenn der Film so gut war wie der erste, wollte ich auf keinen Fall den Anfang verpassen. Ich stellte das richtige Programm ein, hängte den Bademantel auf und stieg in die Wanne. Die war fast voll gelaufen. Ich hatte mir gerade das erste Glas dieses edlen Schampus eingegossen, da lief auch schon der Vorspann. Erwartungsvoll lehnte ich mich zurück. Mein Zeh fing wieder an zu pochen. Den hatte ich total vergessen. Er war jetzt richtig blau. Ich hängte das Bein einfach über den Wannenrand, das Pochen wurde etwas weniger. Es ließ sich jedenfalls aushalten. Der Film war sehr komisch. Es gab wieder viel zu lachen. Meinetwegen hätte ich jedes Jahr die Weihnachtszeit auf diese Weise verbringen können. Der Schampus war richtig süffig, ging runter wie Wasser. Ich fühlte mich wie die Königin von Saba, mindestens.
Ein betörend duftendes, beleuchtetes Whirlpoolbad mit Champagner unter Palme im Marmorbad zum amüsantesten Film des Jahres. Hatte schon was. Das wollte ich auch zu Hause. Prost! Und solche Wellnessleuchten hätte ich auch gern in der eigenen Wanne. Und der Film erst. Der war der reinste Knaller. Ich wollte mich fast totlachen. Noch mal Prost! Mensch, was ging es mir gut! Ich schloss für einen Augenblick die Augen.
Als ich sie wieder öffnete sah ich nur noch Schwarz auf dem Bildschirm. Außerdem fröstelte ich. Wieso war das Wasser so schnell kalt geworden? Leicht schwindelig stieg ich aus der Wanne und schnappte mir ein Handtuch. Die Haut fühlte sich schrumpelig an. Uuhhh, war mir kalt. Ich zitterte richtig. Schnell in den Bademantel und am besten ab ins Bett, zum aufwärmen. Dann sah ich noch eine Zwei auf dem Radiowecker ….
Die nächste Zahl, die ich sah, war wieder eine Zwei. Nur, dass es jetzt hell war. Einige Leuchten im Raum waren auch angeschaltet. Wieso das denn? Ich setzte mich auf. Autsch, hatte ich Kopfschmerzen. So einen Brummschädel hatte ich ewig nicht gehabt.
Und so langsam dämmerte es mir. Mein Fernsehabend als Fortsetzung im Bad. Ach du grüne Neune. Ich musste in der Wanne eingeschlafen sein. Wie sah das überhaupt hier aus? Abgegessene Teller, leere Weinflaschen. Mit leichter Übelkeit begab ich mich ins Bad.
Mein Gott, was hatte ich da bloß veranstaltet? Ein umgekipptes Glas, eine weitere leere Flasche, eine kleine Überschwemmung, Wasser im Whirlpool mit Beleuchtung. Oh, Mann.
Im Spiegel wieder der Zombie. Die Ursache für Kopfschmerzen und Übelkeit war gefunden. Wenigstens hatte ich ausreichend Aspirin dabei. Mein Fuß schmerzte auch. Ein Zeh war dick angeschwollen und blau wie der Enzian. Himmel!
Mir wurde gerade richtig schlecht und schwindelig. Ich musste mich setzen. Schnell noch ein Schluck Wasser, bevor Schlimmeres passierte. Ich stöhnte. Diese Messer im Kopf! Das Zimmer war nun sonnendurchflutet und das Licht schmerzte in meinen Augen. Und jetzt? Vielleicht sollte ich mal was Anständiges essen. Aber nur der Gedanke daran verursachte mir wieder einen derartigen Übelkeitsanfall, dass ich ins Bad stürzte …
Danach fühlte ich mich besser.
„So kann das aber nicht weiter gehen“, sagte ich zu mir selbst. „Nee, echt nicht. Dafür hätte ich auch zuhause bleiben können.“
Ich beschloss tapfer, eine kalte Dusche zu nehmen und mich an die frische Luft zu begeben. Wenn nur diese Kopfschmerzen nicht gewesen wären. Und der Schmerz im Fuß. Und die dicken Augen. Und das verquollene Gesicht. Das hatte ich nun davon. Nicht mal einen Abend durfte man sich amüsieren.
„Selber Schuld“, sagte ich laut. „Riss’ dich jetzt zusammen!“
Genau! Ich nahm mir einen weißen Mini und ein marineblaues Top aus dem Schrank, dazu blaue Flipflops. Was anderes hätte ich meinem dicken Zeh auch gar nicht zumuten können. Auf Schminke verzichtete ich. Hätte eh nichts gebracht. Dafür setzte ich meine mega große Sonnenbrille auf. Das war viel effektiver, denn ich verspürte noch einige Messerstiche. Das würde sich an der frischen Luft erledigen.
Ich steckte nur einen Geldschein ein, hatte sowieso nichts Besonderes vor. Nur bloß schnell nach draußen. Ich drehte den Türanhänger noch auf grün um. An den konnte ich mich überhaupt nicht erinnern. Bloß raus hier, aus diesem schmachvollen Umfeld!
Die Sonne schien zwar, aber es war längst nicht so warm wie angenommen. Ich bekam eine leichte Gänsehaut. Sicher war das der Klimawechsel. Der Körper muss sich natürlich daran gewöhnen, sagte ich mir und ging geradeaus zum Meer hinunter. Ich setzte mich in den Sand. Der war für mein Gefühl ziemlich kalt und feucht. Ich beschloss, mit den Füssen durch das Wasser am Strand Richtung Zentrum zu laufen. Uaaahh, eisig !!!
Stell dich nicht so an, schimpfte ich mit mir. Tapfer ging ich weiter.
So langsam musste ich mir Gedanken über die Weihnachtstage machen. Am Heiligen Abend wollte ich auf keinen Fall allein in einem Restaurant essen gehen. Außerdem würden die meisten sicher geschlossen sein und ich konnte mich für diese Gelegenheit auch nicht mehr an etwas wirklich Passendes erinnern. War ja immerhin schon fast eine Ewigkeit her.
Nach einem halbstündigen Strandspaziergang ging ich zum Hotel zurück. Hier war nichts los. Nur wenige Touristen hielten sich am Wasser auf. Außerdem war es ganz schön windig. Aber immerhin war ich meine Kopfschmerzen los.
Auf dem Rückweg wurde mir klar, dass ich völlig planlos war. Also mal der Reihe nach. Fast zwei Tage hatte ich schon verplempert. Es wurde Zeit für ein ordentliches Programm. Die Tage passiv absitzen kam nicht infrage. Ich brauchte Informationen.
Zuerst würde ich mich über das hoteleigene Programm informieren. Genau, das war der einfachste Weg.
Unterwegs dorthin kaufte ich noch die Inselzeitung und begann, darin herum zu blättern. Nicht anders als in Deutschland. Überall große Anzeigen, worin die Restaurants ihre Menüs anpriesen. Die Hotels und Discos glänzten mit verschiedenen Silvesterprogrammen. Das hätte ich billiger haben können. Neee, danach war mir auch auf Malle nicht. Schließlich hatte ich genau das mit meiner Flucht vermeiden wollen.
Aber hier … : Autovermietung. An der nächsten Straßenecke kaufte ich mir eine große Landkarte, auf der alle Straßen eingezeichnet waren. Damit setzte ich mich in ein Café, bestellte einen Cafe con leche und sah mir die Insel genauer an.
Mein Plan für Heiligabend war schnell gemacht. Früh aufstehen, kleines Frühstück, danach mit dem Auto nach Palma ins Zentrum. Erst ein Bummel durch die Altstadt, ein wenig shoppen. Mittagessen. Danach in verschiedenen Spezialitätengeschäften Delikatessen für den Abend einkaufen.
Ich hatte beschlossen, den morgigen Abend als Selbstversorger zu gestalten. Ich freute mich schon auf die Köstlichkeiten, die ich nach Lust und Laune erstehen würde. Damit war ich auch von den unterschiedlichen Öffnungszeiten und den Reservierungen unabhängig. Am Abend war ich dann von den Laufereien des Tages wahrscheinlich so erledigt, dass ich froh sein würde, die Füße vor dem Fernseher hoch legen zu können.
Das Programm stand und war beschlossene Sache. Ich zahlte meinen Milchkaffee und ging zurück zum Hotel.
An der Rezeption bat ich um Reservierung eines schicken Cabrios für die restlichen Tage und erkundigte mich nach dem Weihnachtsprogramm. Freundlich händigte man mir eine Mappe aus und wies mich darauf hin, dass es nur noch wenige freie Plätze gab.
Ich bedankte mich und suchte mein Zimmer zwecks weiterer Planung auf. Da klingelte schon das Telefon. Es gab kein Cabrio meiner gewünschten Marke, alle vermietet.
Ich entschied mich für einen BMW. Hatte man schon versucht, auch vermietet. Genauso Mercedes. Pech gehabt! Die Marke war mir nun egal, Hauptsache offen. Da musste doch was zu finden sein! Sicher, man bemühte sich.
In der Zwischenzeit sah ich mir das Programm an. Schon allein die Fotos hätten mir was sagen sollen. Die Restaurants waren allesamt überdekoriert und voll besetzt, das Publikum in glitzernder Festbekleidung und nicht meinem Alter entsprechend.
Da meldete sich nochmals die Rezeption. Der offene Mietwagen würde ab morgen in der Hoteltiefgarage bereit stehen. Na also, ging doch.
Ich bedankte mich und nahm wieder die Straßenkarte zur Hand. Während ich mir ein paar Touren überlegte, meldete sich mein Magen unüberhörbar. Mir fiel ein, dass ich den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte. Es wurde höchste Zeit für eine ordentliche Mahlzeit, wenn ich den vorherigen Abend nicht wiederholen wollte. Siebzehn Uhr war zwar etwas früh für ein Abendessen, aber was soll’s. Dafür hatte man freie Platzwahl und musste sicher nicht lange warten. In der Nähe des Hotels hatte ich ein sehr ansprechendes Lokal mit großer Terrasse am Meer gesichtet. Das sollte es sein!
Mein Magenknurren hörte schon gar nicht mehr auf und mein Zeh war immer noch dick angeschwollen. Schonung für morgen war die Devise. Ich nahm den Lift nach unten.
Draußen stellte ich fest, dass der Wind stärker geworden war und überlegte, ob ich mich nicht lieber schnell umziehen sollte. Ehrlich gesagt, hatte ich keine Lust dazu. Solange die Sonne schien, war es auszuhalten. Ich würde mich in eine geschützte Ecke setzen. Sonst war ich auch nicht so zimperlich.
Fünf Minuten später saß ich auf der Terrasse des Nobelrestaurants. Nachdem die Bedienung mir die Karte gebracht und meine Getränkebestellung aufgenommen hatte, bemerkte ich erst, wie edel die Lokalität war. Die Preise waren mehr als gesalzen. Daher auch die spärliche Anzahl von Gästen. Egal. Erstens schmerzte der Fuß wieder, zweitens war ich für einen Wechsel zu bequem und drittens hatte ich mittlerweile einen Mordshunger.
Ich hätte die exquisite Karte einmal rauf und runter bestellen können, entschied mich schließlich für überbackene Jakobsmuscheln, Schwertfischsteak mit verschiedenem gegrillten Gemüse, Riesengarnelen mit Knoblauchsauce, dazu Salat und einen Brotkorb. Das Dessert ließ ich noch offen.
Wie erwartet, dauerte die Zubereitung nicht lange. Der Knobiduft stieg mir in die Nase. Die mediterrane Küche war eindeutig mein Favorit. Allein das geschmackvolle farbige Arrangement auf den Tellern erfreute die Augen.
Ich hatte eine ausgezeichnete Wahl getroffen, das Essen war vorzüglich.
Nur die Riesengarnelen taten sich etwas schwer, ihre Krustenkleider herzugeben. Offensichtlich froren sie genauso wie ich, mittlerweile. Die Sonne war plötzlich ganz verschwunden, der Wind aber immer noch da. Sehr unangenehm.
Ich wollte mir aber auf keinen Fall diesen Genuss verderben lassen. Ich zog mit einer ruckartigen Drehung diesmal fester am Kopf der Garnele. Mit Erfolg. Dann schälte ich sie ganz heraus. Das schmeckte einfach köstlich. Mit der nächsten verfuhr ich genauso. Drehen, gleichzeitig feste ziehen und zack … rutschte ich von dem öligen Panzer ab und traf mit der Hand meine Wasserflasche, die wiederum auf die Schüssel mit der Knoblauchsauce fiel und diese hoch katapultierte. Der fettige Inhalt ergoss sich über meinen nagelneuen, sündhaft teuren Max-Mara Mini.
Panikartig sprang ich auf und machte die Sache damit nur noch schlimmer. Die Soße lief erst den Rock und dann an meinen Beinen herunter.
Aufmerksames Personal war schon herbeigeeilt und versuchte zu retten, was zu retten war. Sie tupften das meiste vom Rock ab.
Wie sich dabei heraus stellte, hatte auch das Top, ebenfalls Marke M. M., etliche Spritzer ab bekommen. Die Beine wischte ich selber ab, wegen der Kürze des Rockes. Es musste ja nicht noch peinlicher werden. Es reichte auch so.
Man bedauerte das Missgeschick. Ich auch. Die Sachen waren bei dem Fettgehalt bestimmt hin. Ich sah furchtbar aus. Zum Glück waren nur wenige Gäste da, die mich mitleidig ansahen. Trotzdem fühlte ich mich ausgeguckt und bekam wieder mein altbekanntes tomatenrotes Gesicht. Warum immer ich?
Ich wollte nur noch weg vom Ort meiner Schande und bat um die Rechnung. Die Schande sollte noch größer werden.
Bei der Gesamtsumme schluckte ich erstmal. Der Wein war ein sehr guter Jahrgang gewesen. Mir fiel ein, dass ich meine Geldbörse auf dem Zimmer gelassen hatte und sich in meiner Rocktasche nur noch das Wechselgeld aus dem Café vom Nachmittag befand. Und jetzt?
Da half gar nichts. Ich musste mit der Wahrheit heraus rücken, wenn ich nicht als Zechpreller da stehen wollte.
Der Geschäftsführer war nicht gerade amüsiert. Er besah sich meinen elektronischen Zimmerschlüssel und rief im Hotel an, um das Problem zu schildern und sich nach mir zu erkundigen.
Nachdem man ihm meinen Aufenthalt dort bestätigt hatte, entschloss er sich, mir seinen Oberkellner als Begleitung zur Verfügung zu stellen, damit dieser an Ort und Stelle den Betrag einkassieren konnte. Was blieb ihm auch anderes übrig, wenn er an das Geld kommen und kein Aufsehen erregen wollte? Letztendlich war ich froh über diese Lösung, zuerst zumindest.
Der Kellner wollte sich nicht davon abhalten lassen, mir bis zum Zimmer zu folgen.
Bekleckert wie ich war, fiel ich so schon jedem in meinem Hotel auf, dazu noch ein hinterher laufender Mann, eindeutig als Kellner zu identifizieren. Es drehten sich einige Leute nach uns um, sodass mir wieder die Schamesröte ins Gesicht stieg.
An der Rezeption angelangt, fragte mich der Hamburger beim Vorbeigehen grinsend, ob er den Reinigungs- oder Wäscheservice für mich benachrichtigen sollte. Hoch erhobenen Hauptes entschied ich mich lässig dankend für den Reinigungsservice. Bei all der Peinlichkeit war mir wohl bewusst, dass sich ein derartiges Fettgemisch durch einen Waschvorgang erst recht fixieren würde.
Wortlos fuhr der Kellner mit mir im Lift, wo meine Kleidung eine ordentliche Knoblauchfahne verbreitete, zum obersten Stockwerk hinauf. Ich bat ihn, vor der Tür zu warten.
Meine Geldbörse war wieder mal so gut weg gelegt, dass ich sie selber auf Anhieb nicht finden konnte. Nach einer Ewigkeit, so kam es mir jedenfalls vor, zahlte ich mit hochrotem Kopf den Betrag und verzichtete großzügig auf das Wechselgeld. War das mega peinlich!!! Immerhin verabschiedete sich mein unerwünschter Begleiter nun freundlich. Dieses Restaurant würde ich nie wieder betreten! Das wusste ich genau.
Ich ließ mich laut seufzend in den Sessel fallen. Musste mir immer so was passieren? Ich dachte noch ein Weilchen über so einige meiner Missgeschicke nach als ich bemerkte, dass ich im Dunkeln saß. Da fiel mir ein, dass es hier um diese Zeit noch früher dunkel wurde als zu Hause. Hatte ich völlig vergessen. Tja, schon wieder ein Tag rum, fast.
Was konnte ich noch unternehmen? Nicht viel. Ich konnte mir meine Sachen für morgen bereit legen.
Zuerst meine trendy Tasche, bei der Größe besser Beutel genannt, mit den notwendigsten Überlebensutensilien einer Frau: ein kleines Kosmetiktäschchen mit Lippenstift, eine kleine Probe Make-up, Rouge, Lidschatten, Mascara, Kajalstift, Puder für eventuelle Korrekturen sowie Aspirin, Pflaster, Papiertaschentücher, Kamm, Deo, Parfum, Desinfektionstüchlein, Zahnseide und Zahnpflegekaugummi, Lutschpastillen gegen Knobifahne, Kugelschreiber und Mini-Block, Sonnenbrille, die neue Landkarte mit Stadtplänen, Taschenschirm und natürlich meine Geldbörse mit Kleingeld zum Parken und Kreditkarten, falls ich in einer Boutique nicht widerstehen konnte.
Mein Outfit war schnell zusammen gestellt. Schließlich ging es in die bekannte Inselhauptstadt. Ich wählte eine weite schwarze Leinenhose mit passendem, nicht zu offenherzig geschnittenem Top. Dazu schicke schwarze Riemchensandaletten, erst einmal getragen. Perfekt! Leicht elegant, auf keinen Fall anmachend.
Ich wollte niveauvolle Menschen kennen lernen und keine Ballermänner. Die wären das Letzte gewesen.
Zufrieden hängte ich die Kleidung an die Garderobe.
Ich wollte den folgenden Tag richtig genießen, ohne Stress und Ärger.
Dazu wollte ich ausgeschlafen sein. Ich begab mich schon mal für eine Dusche und ein Pflegeprogramm ins Bad. Um mein Haar inklusive Kur wickelte ich ein Handtuch. Danach gönnte ich mir noch eine Maske und erneuerte den Nagellack auf Finger- und Fußnägeln mit einem unauffälligen angesagten Farbton, passend zum Lippenstift. Nach dieser Prozedur schaute ich mich zufrieden im Spiegel an. So konnte ich mich morgen wieder sehen lassen.
Ich räusperte mich. Da war es wieder, so ein unangenehmes Kratzen und Stechen im Hals. Das hatte doch wohl nichts zu bedeuten? Ach, das hat man schon mal, tröstete ich mich. Und kalt war mir nur, weil ich außer dem Bademantel nichts weiter trug. Den tauschte ich sofort gegen ein süßes Shorty mit Spaghettiträgertop und ging sofort ins Bett. Viel Schlaf würde mir gut tun.
Als ich aufwachte und auf den Wecker sah, zeigte der zwei Uhr. Das schien ja wirklich meine Zeit zu sein. Ich hatte zuviel Wasser getrunken, meine Blase meldete sich. Ich ging kurz ins Bad und danach schleunigst wieder zu Bett. War doch ganz schön kalt im Raum. Ich deckte mich rundherum gut zu. Ich wollte nur schnell wieder einschlafen.
Scherbenklirren und Gegröle drang an meine Ohren. Was war das denn, mitten in der Nacht? Da, schon wieder. Nur näher. Ich schloss die Augen. Das würde schon aufhören. Ich wollte jetzt schlafen.
Ach du Schande! Es wurde unüberhörbar die erste Strophe der deutschen Nationalhymne gesungen. Die spinnen wohl, kein Benehmen! Da, wieder splitterndes Glas. Jetzt war ich aber wach, und meine Neugier auch. Was war denn da los?
Ich schaltete Licht an, sprang mit einem Satz aus dem Bett und trat auf meine Terrasse hinaus. Eine Meute pöbelnder und singender Glatzköpfe, offensichtlich völlig betrunken, randalierte auf dem Boulevard. Sie warfen leere Flaschen durch die Gegend. Einige landeten in den Fenstern von Restaurants und Cafés. Hier und da hatten sich Menschen gesammelt und schimpften laut. In der Ferne sah man Blaulicht. Es kam immer näher. Laute Sirenen tönten durch die Nacht, als plötzlich aus einem Großfahrzeug mehrere Polizisten mit Stöcken heraus sprangen. Es kam zu einer kurzen Schlägerei. Die Polizei hatte eher leichtes Spiel mit den alkoholisierten Randalierern, die sich selber nicht mehr auf den Beinen halten konnten. Nach einiger Zeit war der Spuk vorbei. Ich ging frierend ins Bett und schlief sofort ein.
Bis ich erneut geweckt wurde. Diesmal um vier Uhr, durch Lautes Singen und Lachen.
Was denn nun schon wieder? Ich drehte mich ein paar Mal herum und versuchte, mir die Bettdecke über die Ohren zu ziehen. Der Lärm war immer noch da. Ich gab auf. Wieder stand ich auf und ging zum Fenster.
Ungefähr zwanzig Jugendliche hatten es sich am Strand mit einigen Kästen Bier gemütlich gemacht. Die sahen zwar harmlos aus, Marke Ballermann, waren aber allesamt betrunken, was nicht zu überhören war. Ich legte mich wieder hin und hoffte, schnell einschlafen zu können. Pusteblume!
Nach einer Stunde war ich noch immer hellwach. Ich versuchte es mit Lesen. Funktionierte nicht. Der Lärm hatte sich zwar gelegt, aber ich nahm jedes Geräusch draußen und um mich herum wahr. Mittlerweile war es halb sechs. Eigentlich konnte ich genauso gut aufstehen, mich fertig machen und auf dem Zimmer frühstücken. Aber das war Quatsch, sagte ich mir. Einmal war es noch stockdunkel und die Läden in Palma öffneten doch nicht schon um acht Uhr. Was sollte ich bis dahin also machen? Ich versuchte wieder zu schlafen.
Halb sieben, sieben Uhr, ich schlief erschöpft ein.
Halb neun.
„Oh nein, so spät schon!“ rief ich laut. Das hatte ich natürlich nicht beabsichtigt.
Au, was war das für ein Stich in meinem Hals und wie hörte sich meine Stimme an? Oh nein, oh doch! Halsschmerzen mit Kellerstimme! So kündigte sich bei mir immer eine handfeste Erkältung an.
Der heilige Morgen fing ja bestens an. Nur gut, dass ich wenigstens schon die Kleidung zurecht gelegt hatte. Damit musste ich wenigstens keine weitere Zeit verplempern.
Im Bad lachte mich der mittlerweile bekannte Zombie an. Ich sah richtig krank aus. Eingefallene Wangen, rote Augen begleitet von großen dunklen Augenrändern.
Aspirin, aber sofort! Ich nahm gleich zwei davon. Nachdem ich mich sorgfältig geschminkt hatte, fühlte ich mich besser. Was Make-up doch ausmachte, dachte ich und nahm mir vor, mich wegen der leichten Halsschmerzen nicht hängen zu lassen.
Ich kleidete mich an und ging sofort zum Frühstücksbuffet.
Das sah sehr einladend aus. Ich bediente mich schnell selber, weil ich mich nicht lange aufhalten wollte. Denn viel reizvoller als das, stellte ich es mir in einer schicken Bar in Palma vor. Ich wollte mir nur eine Grundlage schaffen.
Der Saal war ziemlich leer.
Entweder schliefen die meisten noch wegen des bevorstehenden langen Abends oder sie waren schon ausgeflogen, um noch Geschenke zu kaufen oder bummeln zu gehen, da die Geschäfte heute eher schließen würden, vermutete ich.
Ich schluckte den letzten Bissen herunter und sah nach draußen. Lieber Himmel, braute sich da etwa was zusammen? Der Himmel war schon ziemlich grau. Der Wind schüttelte die Palmenkronen heftig. Ich musste mich umziehen, wenn ich mir nicht noch mehr einfangen wollte. Ich ließ den Rest meines Kaffees stehen und verließ den Raum einen Schritt schneller.
Auf der oberen Etage angekommen, begann ich nach Wetter entsprechender Kleidung zu suchen. War gar nicht so einfach. Wie würde sich der Tag wettermäßig entwickeln?
Ich entschied mich nun für ein praktisches Outfit. Eleganz konnte später noch präsentiert werden.
Ich wählte eine weiße Jeans und ein schwarzes langärmeliges T-Shirt. Das passte wenigstens zu der zuvor gewählten Tasche und den Sandaletten.
Ging doch schneller als erwartet. Jetzt aber ab die Post. Es wurde höchste Zeit, wenn ich meinen Bummel nicht in Stress ausarten lassen wollte.
An der Rezeption wieder dieser Hamburger. Er fragte grinsend, ob er den Wagen vorfahren lassen sollte oder ob ich ihn lieber selber aus der Tiefgarage holen wollte. Ich entschied mich für vorfahren lassen, wenn er schon so dämlich fragte. Mit einer Spur zuviel Grinse, wie ich fand und begab mich zum Ausgang.
„Und eine Gute Fahrt“, wünschte der Hamburger wieder grinsend.
„Hat der eigentlich ewig Dienst?“, fragte ich mich leicht irritiert.
Draußen hatte jemand ausgerechnet direkt vor dem Eingangsportal ein Auto geparkt.
Ich sah nach rechts und links. Nichts weiter zu sehen. Ich wartete noch ein paar Minuten, bevor ich den Portier nach dem Verbleib meines Cabrios fragte. Dieser telefonierte kurz mit der Rezeption und bat mich, noch einen kurzen Augenblick zu warten.
Eilig trat ein Angestellter aus der Tür, entschuldigte sich höflich, händigte mir den Schlüssel für mein Mietfahrzeug aus und deutete auf den vor der Tür geparkten Wagen.
Nein, nein, das konnte nur ein Missverständnis sein. Ich hatte ein Cabrio, einen offenen Wagen bestellt, versuchte ich klarzustellen.
Bei dem roten Fiat Panda mit Rolldach handelte es sich eindeutig um ein offenes Fahrzeug, erklärte man mir.
Ich war sprachlos.
Ungehalten ging ich zurück zur Rezeption und verlangte einen Fahrzeugtausch. Nach einigen Telefonaten bedauerte man. Dies war erst nach den Feiertagen möglich, denn erstens waren sowieso alle Cabrios vermietet und außerdem hatten die Agenturen wegen des heutigen Tages bereits geschlossen.
Ich war sauer. Stinksauer.
Sollte ich mit so einer hässlichen Klapperkiste etwa nach Palma fahren? Sicher war die auch nicht. Jeder, der wollte, könnte das Dach öffnen und über die Sitzbank an den Kofferraum und dessen Inhalt gelangen. Wo sollte ich denn meine Einkäufe deponieren?
Ich entschloss mich fürs erste für ein Taxi.
„Erst in einer Stunde“, teilte man mir mit. „Alle Taxis sind unterwegs. Heute ist Heilig Abend“.
Meine Nerven! Darauf wäre ich wirklich nicht gekommen.
Es war bereits kurz nach zehn Uhr. So lange konnte ich überhaupt nicht warten. Bis ich mit dem Taxi in Palma angekommen wäre, wären die Spezialitäten ausverkauft gewesen. Das ging nun gar nicht! Darauf wollte ich nicht verzichten!
Mir blieb nichts anderes übrig, als mit diesem Blechhaufen vorlieb zu nehmen.
Wütend riss ich dem Spanier den Schlüssel aus der Hand.
Nicht mal Fernbedienung! Meine Tasche warf ich auf den Beifahrersitz und zwängte mich in den engen Wagen. Dabei blieb ich mit meinem Top hinten irgendwo hängen. Egal, bloß weg hier.
Was für eine Blamage! Ausgerechnet mir, einem Motorsportfan, musste das passieren! Gut, dass mich niemand von Zuhause so sehen konnte!
Ich gab ordentlich Gas und legte einen perfekten Kavalierstart hin.
Kopfschüttelnd sahen die beiden Männer mir hinterher.
War mir auch egal. Ich wollte schnellstens nach Palma, schon um aus dieser elenden Kiste aussteigen zu können.
Nachdem ich das Hotelviertel hinter mir gelassen hatte und ich mich anscheinend nach einer Ewigkeit auf der Hauptstrasse zum Zentrum befand, erhöhte ich die Geschwindigkeit, um die verlorene Zeit wieder aufzuholen.
Da war auch schon der Hafen in Sicht.
Und die Polizei.
Ein Polizist winkte. „Meint der mich?“, dachte ich und winkte zurück.
Energisch sprang er vom Seitenstreifen hervor und bedeutete mir mit einem schrillen Pfiff und hoch erhobener Hand zu stoppen.
Auch das noch! Wohl oder übel musste ich anhalten.
„Señora, Sie fahren viel zu schnell. Haben Sie das Schild nicht gesehen? Sie sind schon in der City“, sagte der Polizist streng und verlangte meine Papiere.
Mit dem ist nicht gut Kirschen essen, dachte ich und begann in meiner voluminösen Tasche zu suchen. Ich geriet unter seinem finsteren Blick in Panik und musste kleinlaut zugeben, dass ich sie nicht dabei hatte.
„Ich habe sie im Hoteltresor vergessen.“
„So eine große Tasche und keine Papiere“, meinte der Beamte kopfschüttelnd.
„In welchem Hotel wohnen Sie?“
Ich nannte ihm den Namen und den Ort. Er sah mich nun genauer an und warf dann wieder kopfschüttelnd einen Blick auf mein Gefährt. Er nahm meine Personalien auf und ging zum Polizeiwagen, um meine Angaben zu überprüfen. Nach gefühlten mehreren Stunden kam er zurück und sagte:„Sie können fahren Señora, weil heute Weihnachten ist. Aber langsam!“ Ich bedankte mich und fuhr erleichtert los.
Bloß weg hier, dachte ich und schlich nun mit sehr gemäßigtem Tempo Richtung Altstadt, sodass sich mehrere Autofahrer nach mir umdrehten. Ich hätte dasselbe gedacht!
Wie erwartet war die Stadt völlig überfüllt. Den Wagen wollte ich bei nächster Gelegenheit parken. Zu Fuß kam man heute schneller vorwärts.
Da, endlich eine Seitenstrasse, die mal nicht zugeparkt war. Im Gegenteil, kein einziges Fahrzeug war hier abgestellt. Hatte wohl noch niemand entdeckt. Konnte mir auch egal sein. Ich war froh, aus dieser engen Kiste heraus zu sein.
Ich sah auf meine Armbanduhr und war entsetzt, wie viel Zeit ich bereits verloren hatte. Ich musste mich sputen, sonst würden meine Befürchtungen doch noch wahr werden. Schließlich hatte ich entschieden, mich heute Abend selbst zu versorgen und das bitte schön ausgesucht edel.
Um Zeit einzusparen verzichtete ich darauf, in geplanter Reihenfolge einzukaufen.
Zuerst erreichte ich die bekannteste Bäckerei Palmas ‚Forn del Teatre’.
Hier wollte ich mir ein paar zuckersüße Ensaimadas als Dessert kaufen. Von diesem luftigen Etwas kann ich gar nicht genug bekommen, auch wenn nach dem Genuss die Finger von dem vielen Puderzucker ganz klebrig sind.
Hmmm, dieser Duft, der mir aus der Bäckerei entgegenströmte, ließ mir das Wasser im Mund zusammen laufen. Ich stellte mich an die Theke und wartete geduldig bis ich an die Reihe kam.
„Si, Señora?“, fragte mich eine gestresste Verkäuferin.
Ich wählte eine Riesen-Ensaimada in einer Schachtel für zuhause und vier kleine für heute. Man kann ja nie wissen, ob einen nicht der süße Zahn plagt, so zum Schlückchen Champagner vielleicht?
Auf welchen Namen ich denn bestellt hatte, wollte die Frau wissen.
Seit wann musste man hier das Gebäck bestellen?
Musste man nicht. Aber es war alles schon ausverkauft. Die Ware, die sich noch im Laden befand, war ausschließlich bestellt und bezahlt und lag nur zur Abholung bereit. Man würde auch gleich schließen. Ich könnte es aber noch in Supermärkten versuchen.
Na super! Das hatte ich schon mal verbaselt. Ich wollte keine Fabrik-Ensaimadas aus irgendwelchen Geschäften. Ich hatte mich so auf diese alte Traditionsbäckerei, wo Kuchen und Gebäck noch einen einzigartigen Geschmack zu bieten hatten, gefreut.
Verärgert verließ ich den Laden.
Und jetzt? Dann gar keine, beschloss ich trotzig. Oder einfach etwas anderes. Ich würde schon noch fündig werden, dachte ich, war mir aber nicht wirklich sicher. Egal jetzt, nur nicht noch mehr Zeit verplempern! Immerhin könnte ich noch nach den Feiertagen eine Schachtel dieser Köstlichkeit für zuhause besorgen.
Dieser Einfall verbesserte meine Laune schlagartig. Besser später als gar nicht. Außerdem gab es doch noch andere nette Dinge, die mein Herz oder besser gesagt mein Magen begehrte. Optimistisch betrat ich ein Deli und wurde auch gleich fündig.
Ich erstand einige Flaschen spanischen Champagner, einen landestypischen Krauterlikör als Aperitif, Stücke verschiedener gefüllter Pasteten; vorzugsweise mit Krebsfleisch und Fisch, andere mit Huhn und Gemüse, eine Gazpacho, eine kleine Mandeltorte, ein Päckchen von diesem herrlichen Nougat und mindestens vier Hände voll Dulces, diese kleinen unglaublich süßen Mini-Kuchen, die sorgfältig einzeln verpackt wie Riesenbonbons aussehen. Davon gab es hier unzählige Sorten, alle mit anderer Füllung und Geschmack. Es macht richtig Spaß diese kleinen Dinger zu essen, denn jedes ist eine Überraschung für sich. Die würde ich auf meinen Erkundungsfahrten unterwegs essen. Ich freute mich schon darauf.
Es fehlten nur noch Brot und einige Käsesorten. Dafür wollte ich aber ein anderes Geschäft aufsuchen. Ich hatte nicht damit gerechnet, so schnell so viel zu kaufen. Ein bisschen Einkaufsspaß wollte ich schon noch haben.
Ich zahlte an der Kasse eine nicht unerhebliche Summe. Mit dieser Höhe hatte ich nicht gerechnet, tröstete mich aber damit, dass schließlich alles handgemacht und von bester Qualität war. Und außerdem war Weihnachten, dazu noch auf einer spanischen Insel. Genau!
Mir war jetzt nach einer kleinen Kaffeepause.
Am Ende der Straße stieg mir ein verführerischer Kaffeeduft in die Nase und ich entdeckte eine kleine schicke Bar. Mit meinen Einkaufstüten quetschte ich mich zwischen den Stühlen hindurch und fand noch einen Platz an einem kleinen Stehtisch. Na ja, klein aber fein, dachte ich, stellte meinen Einkauf auf den Boden ab und bestellte ein Wasser, einen doppelten Espresso und drei kleine Empanadas mit Spinatfüllung. Während ich wartete, sah ich mir interessiert die Barbesucher an. Das gesamte Publikum war bis auf wenige Ausnahmen ungefähr in meinem Alter, alle gut gekleidet und natürlich zu Zweit am Tisch.
Ach ja, dafür haben die sich an den Feiertagen alle wieder schön in der Wolle, tröstete ich mich.
Manchmal ging mir mein Singledasein eben doch auf die Nerven, auch wenn ich es nicht eingestehen wollte. Dann hob ich die Vorzüge dieses Lebens hervor und war wieder eine Weile zufrieden. Bis zum nächsten Mal, so wie jetzt. Gedankenverloren biss ich in das kleine Hefeteilchen. Hmmmm, war das gut. Warum gibt’s die bei uns eigentlich nicht? Ich sollte das bei meinem Bäcker unbedingt anregen. Dieses pikante Gebäck würde sicher ein Renner werden.
Trotzdem tröstete mich das alles nicht wirklich. Irgendwie wollte ich nicht richtig in Stimmung kommen. Es war wohl doch etwas daran, dass ich angeblich launisch war. Draußen änderte sich wieder mal das Wetter, es sah nach Regen aus.
Ich dachte an meinen damaligen Aufenthalt hier mit meinem Exmann und fragte mich, warum Geschiedenen eigentlich immer nur Negatives einfällt, oder zumindest hauptsächlich.
Ich wollte gerade einen Schluck Espresso nehmen, als ich derb von der Seite angerempelt wurde. Ich erstarrte. Die gesamte braune Flüssigkeit hatte sich über meine weiße Jeans verteilt!
Oh nein, nicht schon wieder! Ich schloss kurz die Augen. Das nützte leider gar nichts. Ein Kellner war über meine Tüten gestolpert. Und auch wenn man sich untröstlich entschuldigte und die Reinigungskosten übernehmen wollte, wusste ich, diese Hose war einmal …
Bin ich eigentlich der Dauerpechvogel? So was passierte immer nur mir und in letzter Zeit reichlich oft. Genug ist genug. Ohne Bezahlung verließ ich wortlos die Bar. Auf die Rechnung hatte man nochmals entschuldigend verzichtet.
„Mist, Mist, Mist!“, schimpfte ich draußen laut. Ich beschloss, sofort zum Hotel zurück zu fahren. Bis ich mein rotes „Cabrio“ erreicht hatte, hatte sich auch meine Stimmung wieder geändert.
So schnell lasse ich mich doch nicht klein kriegen, dachte ich und warf meinen Einkauf in den Kofferraum. Jetzt wird erst eine neue weiße Jeans gekauft. Kann ja wohl nicht so schwer sein. Danach wollte ich die restlichen Lebensmittel besorgen. Allerdings musste ich mich jetzt wirklich beeilen. Einige Läden hatten bereits geschlossen.
Dabei wollte ich mir hier überhaupt keinen Stress machen. Aber bisher hatte ich nur das Gegenteil erlebt.
Mit Hilfe meines Stadtplanes versuchte ich, mich neu zu orientieren und stellte schnell fest, dass sich das Kaufhaus ‚Il Corte Ingles’ in der Nähe befand. Das hatte ich noch in guter Erinnerung. Eilig machte ich mich auf den Weg dorthin. Hier hatte ich mich schon einmal von Kopf bis Fuß eingekleidet. Eine passende Tasche zum damaligen Outfit hatte ich noch immer. Sie war aus wunderbarem handschuhweichem Leder. Die Erinnerung daran machte mir wieder Mut.
Schon bald hatte ich mein Ziel erreicht. Ich betrat das Geschäft und bemerkte, wie einige Verkäuferinnen mich entsetzt ansahen.
In meiner fleckigen Hose musste ich ja einen fürchterlichen Eindruck machen. Nur gut, dass sich die braunen Inseln auf der Vorderseite der Hose befanden, schoss es mir durch den Kopf und ich merkte, wie ich rot anlief.
Eine sehr charmante Verkäuferin hatte meine peinliche Situation erkannt und fragte mich freundlich nach meinem Wunsch.
Stotternd erklärte ich ihr das Malheur und fragte nach einer ähnlichen Hose. Sie nickte mir ermutigend zu und führte mich schnell in die gewünschte Abteilung. Zu meiner Erleichterung fanden wir sofort etwas Passendes. Dazu präsentierte sie mir ein ausgefallenes Oberteil, dass mir auf Anhieb gefiel, weniger allerdings der Preis.
Eigentlich brauchte ich es auch nicht. Schließlich passte das Shirt, das ich gerade trug, sehr gut dazu. Womöglich hatte es einige Kaffeespritzer abbekommen, aber die waren auf dem schwarzen Stoff nicht zu sehen und nach einer Wäsche ohnehin ganz heraus gewaschen.
Die Verkäuferin bemerkte mein Zögern, stellte den Spiegel so ein, dass ich mich auch von hinten sehen konnte und deutete auf meinen Rücken.
„Sehen Sie bitte, Señora.“
Ungläubig starrte ich in den Spiegel. In mein neues Shirt hatte ich einen richtigen Winkel hinein gerissen. Heute Morgen war der jedenfalls noch nicht da, überlegte ich. Wie war das denn passiert? … Da fiel mir meine eilige Abfahrt vom Hotel ein! Stimmt! Beim Einsteigen war ich irgendwo hängen geblieben, hatte aber nicht weiter darauf geachtet. Dazu war ich viel zu wütend gewesen.
Da ich nicht länger wie ein Clochard herum laufen wollte, kaufte ich natürlich dieses exquisite Teil und zog die neuen Sachen gleich im Laden an. Das sah wirklich gut aus. Ich lächelte mein Spiegelbild zufrieden an, drehte mich ein paar Mal hin und her und sah an mir herunter.
Die schwarzen Sandaletten störten gewaltig. Aber da hatte meine Beraterin bereits ein weißes Paar herbei gezaubert, welches sie mir lächelnd präsentierte.
Ganz schön clever, dachte ich und lächelte zurück. Die Dame hatte einen ausgesprochen guten Geschmack. Perfekt, diese Sandaletten rundeten den Gesamteindruck ab.
Es hätte mich nun gewundert, wenn sie nicht noch eine ebenso exquisite wie passende Tasche parat gehabt hätte. Ein ausgefallenes Stück, was ich ohne Zögern auch noch erstand.
An der Kasse bekam ich zwar einen leichten Schock, aber mir war das im Augenblick egal. Das Outfit stimmte zu hundert Prozent und es war eine Seltenheit, dass ich mich so schnell und dazu noch in nur einem Geschäft entscheiden konnte. Genau deshalb, schnell weg hier, bevor ich noch andere Sachen entdeckte. Dieser erste Ausflug war viel teurer geworden als gedacht.
Als ich das Warenhaus verließ, regnete es in Strömen. Das Wasser schoss an den Gehsteigen entlang. Toll, ich in meiner neuen weißen Hose und vorbei flitzende Fahrzeuge. Diese Hose würde so nicht lange weiß bleiben. Ich wartete noch eine ganze Weile, es änderte sich nichts.
Also ging ich wieder hinein und zog zum Entsetzen des Verkaufspersonals meine alte ruinierte Kleidung wieder an. Kopfschüttelnd sah man mir hinterher.
Ich warf noch einen kurzen Blick auf den Stadtplan und meine Uhr. Dann rannte ich über die Straße.
Auf meinem Weg hierher hatte ich irgendwo in der Nähe ein Käsefachgeschäft gesehen, das wusste ich genau. Denn auf den krönenden Abschluss meines selbst gekauften Weihnachtsmenüs wollte ich heute schon gar nicht verzichten.
Ich lief schon eine geraume Zeit die Straße entlang und wollte fast aufgeben, da sah ich den Laden. Nichts wie rein, der Regen wurde immer heftiger und die Temperatur immer niedriger.
Welch ein Paradies hatte ich da entdeckt. Mir ging das Herz auf. Selbst mein Magen meldete sich bei diesem Anblick. Wohl aus diesem Grunde kaufte ich einige Stücke zuviel ein, der Bon zeigte ein Gewicht von einem Kilo an. Ach was, Käse konnte ich immer essen. Den heutigen Rest würde ich einfach in meinem Kühl-Barfach aufheben. Jetzt noch ein ordentliches, mit Olivenöl gebackenes Brot und schon hatte ich alles. Selig verließ ich den Laden.
Bis ich allerdings meinen Mietwagen erreicht hatte, war ich ganz schön durchnässt und ich fror. Mit Bedauern entschied ich, meine heutige Einkaufstour zu beenden. Hatte ohnehin keinen Zweck mehr. Mittlerweile waren die Läden bis auf wenige Ausnahmen geschlossen.
Als ich in der Nebenstrasse, in der ich geparkt hatte, mein tolles Gefährt entdeckte, sah ich schon von weitem den Zettel unter dem Scheibenwischer.
War wirklich mein Glückstag heute! Ein Strafmandat wegen Parkens in verbotener Zone/Altstadt.
Ich hatte nicht vor, das zu bezahlen und warf den fast unleserlich aufgeweichten Zettel einfach fort. Sollten die mich zu Hause erst mal finden. Ich hatte für heute genug Ärger gehabt!
Meine neuen Sachen und das Käsepaket warf ich auf den Beifahrersitz und fuhr Richtung Hotel.
Hoffentlich sitzt dieser Hamburger nicht wieder an der Rezeption und grinst mich so frech an, dachte ich. Bisher hatte ich mit meinem Aussehen wirklich noch niemanden beeindrucken können. Im Augenblick hatte ich eher Ähnlichkeit mit einer nassen Ratte. Das Shirt klebte an meinem Körper, die Flecken auf der Hose waren unübersehbar, mein Haar hing mir wirr und nass ins Gesicht und die Schminke war verlaufen. Mein Anblick war wieder mal zombiemäßig!
Mittlerweile goss es in Strömen. Die Scheibenwischer konnten die Wassermassen kaum bewältigen, die Sicht war stark eingeschränkt. Im Schneckentempo erreichte ich endlich das Hotel. Ich fuhr sofort in die Tiefgarage. Heute würde das wohl mit einem Ausflug nichts mehr werden. Außerdem musste ich dringend aus diesen durchweichten Sachen heraus.
Erleichtert parkte ich den Wagen und stieg aus, um die Einkäufe aus dem winzigen Kofferraum zu nehmen.
Ich öffnete ihn und wollte gerade hinein greifen … Ich sah nichts darin. Da war nichts, rein gar nichts. Ich sah noch einmal auf den hinteren Sitzen nach, vielleicht war da einfach was durchgerutscht. Oder im Fußraum? Auch nichts! Mir wurde heiß. Ich geriet in Panik. Das konnte doch nicht sein! Das textile Dach war völlig in Ordnung und den Wagen hatte ich doch verschlossen, bevor ich los ging, oder etwa nicht? Hatte ich, beim ersten Mal. Offensichtlich aber nicht beim zweiten Mal, nachdem ich den ersten Einkauf im Auto deponiert hatte. Danach hatte ich es ziemlich eilig gehabt.
Frau, bewahre die Ruhe. Denk’ mal gut nach.
Ich lehnte mich an das Fahrzeug und überlegte. Da konnte ich überlegen, solange ich wollte. Ich kam nur zu einem Ergebnis: Die Sachen waren weg, vermutlich aus dem unverschlossenen Auto entwendet. Mir war nur der zweite Einkauf geblieben und das war nicht das, was ich mir unter einem Menü vorstellte. Ein Kilo Käse und Brot.
Und jetzt? Alle Geschäfte waren geschlossen, die wenigen Restaurants, die heute überhaupt geöffnet hatten, boten nur bereits vorbestellte Weihnachtsmenüs an.
So langsam wurde mir meine Lage klar. Es war jetzt keine Zeit mehr zu verlieren. Ich griff mir die wenigen Tüten aus dem Auto und eilte, derangiert wie ich war, zur Rezeption. Dort fragte ich nach einem freien Tisch für das angekündigte Weihnachtsmahl.
Man bedauerte. Kein einziger freier Tisch mehr, vielleicht ein Platz …? Wie, ich sollte Heiligabend mit wildfremden Menschen an einem Tisch dinieren?
Wenn ich nicht mit knurrendem Magen vor dem Fernseher sitzen wollte, war das anscheinend die einzige Möglichkeit. Oh Mann, mir blieb auch nichts erspart! Widerwillig sagte ich zu, bezahlte die Reservierung und fuhr missmutig mit dem Lift ins oberste Stockwerk zu meinem Zimmer. Dort verstaute ich schnell den Käse im Barfach, was nicht so einfach war. Man hatte für Nachschub gesorgt und ich musste erstmal Platz schaffen. Ich entfernte alle Getränke, die ich ohnehin nicht vor hatte zu trinken und stopfte dafür das Käsepaket hinein.
Jetzt war duschen angesagt. Im Bad erschrak ich vor meinem eigenen Spiegelbild. Das war noch schlimmer als heute morgen. Irgendwie sah ich verändert aus, diese riesigen dunklen Augenränder! Ach, das kommt nur durch das verlaufene Make-up, tröstete ich mich wieder.
Nach der Dusche fühlte ich mich jedenfalls besser. Es waren noch ein paar Stunden Zeit bis zur ungeplanten Weihnachtsfeier. Ich nahm mir eines meiner Bücher, setzte mich in den bequemen Sessel und legte die Füße hoch. Am Tisch wollte ich wenigstens ein bisschen ausgeruht sein.
Ich war wohl eingeschlafen, denn erst als ich mit steifem Nacken versuchte, die Uhrzeit auf dem Radio-Display zu erkennen, bemerkte ich die Dunkelheit und dann, dass es schon reichlich spät war. Schon wieder musste ich mich beeilen. Das wird langsam zu einem Dauerzustand, dachte ich genervt.
Immerhin noch pünktlich betrat ich im kleinen Schwarzen, was mich auf jeder Reise begleitet, den großen Speisesaal. Dieser hatte sich seit dem Frühstück außerordentlich verwandelt. Wohin man auch blickte, Glitzer und Glimmer. Glitzer auf den dekorierten Tischen, Glitzer an den Wänden. Und das in den verschiedensten Farben. Für eine Vertreterin des Purismus eine echte Zumutung! Dazu kam mir eine unangenehme Wärme mit starken Essensgerüchen entgegen. Sehr unangenehm.
Ich hatte keine besonderen Erwartungen, weil ich solche Gala-Diners noch nie leiden konnte. Und diesmal auch noch allein. Ich fühlte mich ziemlich unwohl. Hoffentlich hatte ich wenigstens einigermaßen passable Tischnachbarn.
Ich zeigte meine Tischkarte vor und wurde durch den Saal geführt. Das Publikum bestand hauptsächlich aus Senioren, teilweise ebenfalls weihnachtlich geschmückt. Während die Herren sich in schlichten Anzügen präsentierten, hatten sich die Damen ihrem Umfeld angepasst. Sie glitzerten um die Wette. Die Einen, mit Schmuck behängt wie Tannenbäume, die Anderen in schillernden Roben.
Stimmt wirklich. Je oller, je doller, dachte ich. Mir wird es immer ein Rätsel bleiben, warum selbst Millionärinnen sich derart geschmacklos kleiden. Die Verkäuferinnen solcher Unmöglichkeiten, die den Kunden darin perfektes Aussehen einreden, kann ich allerdings auch nicht verstehen, aber schon gar nicht die Designer. Niemals würde ich meinen Namen für diese Scheußlichkeiten hergeben, im Leben nicht. Für mich gilt immer noch das Motto "Less is more''.
Meine Überlegungen wurden unterbrochen. Hatten wir meinen Platz erreicht? Ich schaute an dem Ober, der gerade seine Schritte verlangsamte, vorbei auf den Tisch vor ihm. „Bitte, Señora“, sagte er und rückte einen Stuhl vom Tisch ab, damit ich Platz nehmen konnte. Ich bedankte mich und stellte mich meinen Tischnachbarn vor.
Hoch erfreut sprang Ernst, ein dicker glatzköpfiger Mittfünfziger von seinem Stuhl auf, wobei er am Tischtuch hängenblieb und die Gläser ordentlich wackelten. Dafür bekam er einen vollendeten Diener hin. Immerhin! Seine Frau dagegen musterte mich unterkühlt. Ihr Blick blieb missbilligend an meinem Dekolleté hängen.
Tja, wer hat, der hat, dachte ich grinsend. Ich musste mich jedenfalls nicht tannenbaummäßig aufmachen, um Aufmerksamkeit zu erzeugen.
Das andere Ehepaar stellte sich als weitgereiste Kosmopoliten vor. So sahen die auch gerade aus. Alles in allem viel zu laut, einfach nur schrill, Marke Neureich. Angeber eben.
Die fünfte Person, Mark, war wie ich allein unterwegs. Unverheiratet, wie er mir sofort gestand.
Puuhh! Das konnte was werden. Langweiler, Angeber und ein aufdringlicher Single.
Meine Menschenkenntnis hatte mich nicht getäuscht. Der Abend war schrecklich.
Während Ernst jede meiner Bewegungen mit großem Interesse verfolgte, langweilte sich seine stumme Gattin offensichtlich zu Tode. Die ganze Zeit saß sie schweigend mit einem blasierten Gesichtsausdruck am Tisch und beobachtete gelangweilt das Publikum.
Eheleute Neureich glänzten den ganzen Abend mit völlig überzogenen Stories, wobei die
Gattin versuchte, ihren Ehemann in allem noch zu übertreffen.
Wo sie war, war alles am Besten, am Größten, am Schönsten. Sie sprach nur in Superlativen.
Sie redete und redete ohne Punkt und Komma, ohne Anfang und Ende. Eine Nervensäge erster Güte. Ob die wohl mal auf die Idee kam, dass auch andere Leute in Amerika oder auf den Bahamas gewesen waren? Die Frau war eine einzige Zumutung.
Nicht viel besser Mark. Er schnitt zwar nicht derartig auf, versuchte aber ständig, mich aus der Reserve zu locken oder besser gesagt auszufragen. Optisch entsprach ich offensichtlich seinem Beuteschema. Nun wollte er unbedingt heraus finden, ob der „Rest“ auch stimmig war. Der Gute hatte keine Chance. Er gefiel mir überhaupt nicht, absolut nicht mein Typ. Ich beantwortete seine Fragen nur widerwillig und einsilbig.
Um es kurz zu machen: Das Essen war einem Luxushotel angemessen und wie erwartet sehr gut. Der Abend dagegen die Langeweile pur. An diesen Leuten konnte ich einfach keinen Gefallen finden. Höflich verabschiedete ich mich gleich nach dem Dessert mit der Ausrede, ich müsste nun „meine Lieben“ zu Hause anrufen, die schon längst darauf warteten.
Mit den enttäuschten Gesichtern der Herren konnte ich leben. Ich war froh, den Saal verlassen zu können.
Erleichtert schloss ich die Zimmertür hinter mir. Meine High-Heels flogen ausnahmsweise mal in die nächste Ecke. Mein schmerzender Zeh machte sich in diesen Schuhen wieder bemerkbar.
Ich dachte über meine Tischgenossen nach. Gott, wie langweilig. Wenn ich etwas nicht ausstehen kann, dann sind das dumme und langweilige Menschen. Die können einem wirklich den letzten Nerv töten. Wenn sie sich wenigstens nicht so intelligent vorkämen und ständig versuchten, sich mit bildungsmäßig weit überlegenen Menschen auf eine Stufe zu stellen. Warum begriffen sie nicht, dass das nur peinlich werden konnte?
Ich entkorkte eine Flasche Champagner und begann mich zu ärgern, dass mir mein Einkauf inklusive mehrerer Champagnerflaschen abhanden gekommen war. Ein teurer Spaß, aber ich hatte selber Schuld. Warum hatte ich es auch immer so eilig? Hätte ich das Fahrzeug abgeschlossen, wäre das nicht passiert.
Ich knabberte an einer Ecke Käse und hing meinen Gedanken weiter nach.
Was hatte ich damals eigentlich mit meinem Mann hier alles unternommen? Ich konnte mich an Langeweile nicht erinnern. Wir waren ständig unterwegs. Sicher, auf einer Yacht ist das schon anders als in einem Hotel. In den verschiedenen Marinas der Balearen hatten wir eigentlich nur nette Menschen kennen gelernt, Gleichgesinnte eben. Das war’s wohl, was den Unterschied ausmachte. Sicher würde ich unter der Menge der Gäste von heute abends ebenfalls interessante Personen finden, nur müsste man ihnen zufällig begegnen. Ich konnte sie schlecht suchen. Das würde unter Anmache fallen. Nein, lieber nicht. Dabei hatte ich fest damit gerechnet, musste ich mir eingestehen. Warum sonst wohl hatte ich mir diese teure Unterkunft ausgesucht?
Ich sah aus dem Fenster. Es regnete immer noch sehr heftig. Das Meer war nicht einmal zu sehen und die Palmen bogen sich bereits. Doch nicht besser als zu Hause, dachte ich und schaltete die TV-Anlage ein. Na endlich, ein Wetterbericht. Die Gesamtwetterlage in Europa war einfach nur schlecht, überall niedrige Temperaturen und Regen. Zur Krönung wurde für Mallorca auch noch ein heftiger Sturm angesagt. So langsam wurde ich richtig sauer. Das sollte mein Weihnachtsurlaub sein? Bisher war ich ein Fall für die TV-Serie "Pleiten, Pech und Pannen". Mit meinen Missgeschicken hätte ich glatt den ersten Platz belegt.
Mein ruiniertes Outfit vom Tage warf ich fort, trank bis ich bettfertig war die Flasche leer und ging ins Bett. Morgen ist auch noch ein Tag, sagte ich mir.
Am ersten Weihnachtstag erwachte ich um zehn Uhr mit Halsschmerzen. Der ganze Kopf schmerzte, das Gesicht glühte. Nicht das auch noch! Ganz langsam, wie auf Watte, ging ich ins Bad und blickte in den Spiegel.
Der Zombie hatte zu Weihnachten eine Schwester bekommen. Ich sah leicht doppelt. Was das bedeutete war mir klar. Ich war durch und durch erkältet, wenn nicht noch schlimmer. Ich musste schnell handeln.
„Ein doppeltes Glas Aspirin, Schwester!“, verlangte ich von meinem unwillkommenen Zwilling im Spiegel. Dann bestellte ich mir ein großes kräftiges Frühstück mit einer großen Kanne Kamillentee auf das Zimmer. Bis es gebracht wurde, schaltete ich wieder die TV-Anlage ein und glaubte meinen Augen nicht zu trauen.
Ich sprang aus dem Bett … aua, mein Kopf. Tatsächlich! Schnee! Schnee auf Malle! Hatte es das schon mal gegeben? Die Kopfschmerzen waren einen Augenblick lang vergessen. Ich machte einige Fotos von der Terrasse aus. Unglaublich! Der gesamte Boulevard war von einer dicken Schneeschicht überzogen. In den Bergen musste das fantastisch aussehen, dachte ich und ging schnell wieder ins Zimmer, um meinen Zustand nicht noch zu verschlimmern. Was sollte ich heute also machen oder besser, was konnte ich machen?
Es klopfte an der Tür, mein Frühstück wurde gebracht. Schnell ging ich wieder ins Bett und bat den Kellner herein.
Was er mir auf dem Servierwagen präsentierte sah sehr gut aus, aber meine Nase meldete mir leider nichts. Das bedeutete nichts Gutes. Die Erkältung war doch ganz ordentlich. Nachdem der Kellner gegangen war, setzte ich mich im Bett auf und probierte die Spiegeleier mit Speck. Ich schmeckte nichts. Na Mahlzeit, dachte ich und würgte das Essen herunter. Halsschmerzen, Schluckbeschwerden, Kopfschmerzen und Geschmacksverlust. Das hatte ich gut hin bekommen. Ich zwang mich, aufzuessen. Wer derart erkältet ist, braucht kräftige Nahrung, redete ich mir ein.
Erschöpft ließ ich mich zurück in die Kissen fallen und bemerkte dabei meine feuchten Haare. „Auch noch Fieber!“, stöhnte ich.
Irgendwie war mir auch gar nicht gut und lange musste ich nicht nach der Ursache fahnden. Mein Magen rebellierte heftig. Ich sauste ins Bad und war mein Frühstück gleich wieder los. Logisch, hätte ich mir doch denken können. In diesem Zustand verträgt mein Körper keinerlei Fett. Er ist damit völlig überfordert und braucht einfach nur Tee, Zwieback, Aspirin und Ruhe. Mir fiel mein Weißbrot ein, das ich im Schrank deponiert und gestern völlig vergessen hatte. Das würde sich heute gut für meine Zwecke eignen. Dazu goss ich mir eine Tasse Tee ein und mümmelte an dem Brot herum. Auf Zimmerservice hatte ich gerade keine Lust mehr. Ich brauchte jetzt Ruhe. In der nächsten Minute war ich schon eingeschlafen.
Als ich wach wurde, dämmerte es schon wieder. Ich fühlte mich nicht wirklich besser. Nur nicht hängen lassen, dachte ich. Das wird schon wieder. Ich bestellte eine Kanne frischen Kamillentee, dazu Zwieback und etwas leichtes Gebäck. Ich hatte mich noch nie mit Zwieback oder Knäckebrot anfreunden können, diesem trockenen Zeug.
In der Zwischenzeit nahm ich mein Telefon und versuchte meine Freundinnen zu erreichen, um Frohe Weihnachten zu wünschen. Besetzt, besetzt, besetzt oder es meldete sich niemand. Nach einigen Versuchen gab ich auf, könnte ich später auch noch machen.
Ich versuchte zu lesen, konnte mich aber nicht konzentrieren, weil in meinem Kopf einige Katzen Mäuse jagten. Wieder stellte ich die TV-Anlage an und wieder gab es nichts Besonderes.
Endlich kam meine Bestellung. Mach jetzt bloß keinen Fehler, dachte ich beim Anblick des viel zu großen Gebäcktellers.
Die Auswahl sah sehr ansprechend aus und hätte für vier Personen gereicht. Ich musste mich bei diesem Anblick wirklich zusammen reißen, zumal mein Magen anfing zu knurren. Ich schlürfte eine Tasse Tee und kaute lustlos auf dem Zwieback herum. Wirklich geschmackloses Zeug, oder lag das gerade an meinem Zustand? Wie viel ich wohl schmecken konnte? Sehnsüchtig sah ich zu der Kuchenplatte hinüber. Schließlich hatte ich die nicht nur zur Ansicht bestellt. Ich probierte ein kleines Teilchen. Hhhmmm … verdrehte ich die Augen. Zwar hatte ich immer noch fiese Schluckbeschwerden, aber immerhin schmeckte ich was. Eindeutig Erdbeerglasur. Die konnte mir doch nicht schaden! Ich nahm ein zweites Teilchen und war ebenso entzückt. Ach, tat das gut! Eine Füllung mit Limetten-Mousse, heeeerlich. Noch ein ganz kleines, aber wirklich nur noch eins, nahm ich mir vor und schon war das dritte ganz im Mund verschwunden.
Die Einsicht, dass so viel Süßes zurzeit nicht angesagt war, siegte. Um mich abzulenken, telefonierte ich den ganzen Abend mit Freunden. Ich musste mir genervte Berichte über Weihnachten anhören. Schadenfreude wollte aber nicht aufkommen. Ich fühlte mich einfach nur schlapp und sollte besser schlafen. Was war ich heute einsichtig? Ich musste wohl krank sein. „Auf morgen“, sagte Scarlett O’Hara und löschte das Licht.
Der zweite Weihnachtstag begann mit der Wettervorhersage meines Weckers. Ich hatte nicht wieder so spät aufstehen wollen. Aber das Wecken hätte ich mir in diesem Fall sparen können. Ungläubig stand ich auf, zog die Vorhänge zur Seite und traute meinen Augen nicht. Draußen tobte ein regelrechter Schneesturm, kein Mensch auf der Straße, kein Fahrzeug unterwegs. Wir waren eingeschneit. Da hätte ich genauso gut Skiurlaub in den Dolomiten machen können. Aber der ganze Après Ski Zirkus gefiel mir seit Jahren nicht mehr und deshalb hatte ich mich für Frühlingstemperaturen auf Mallorca entschieden.
Von wegen Frühlingstemperaturen! Wenn das Schneetreiben so anhielt, konnte man nicht einmal das Hotel verlassen. Wie auch, barfuss und im Minirock? Für dieses Wetter hatte ich gar keine passende Kleidung.
Ich musste niesen. Keine Papiertaschentücher da. Ich holte mir eine Kleenexbox aus dem Bad und überlegte, wie ich den Tag herum bekommen sollte. Wenigstens waren die Kopfschmerzen verschwunden. Ich fühlte mich ziemlich lustlos. Vernünftigerweise sollte ich mal was essen, war gerade die richtige Zeit dafür. Ich kleidete mich rasch an, auf Make-up verzichtete ich. War mir heute auch egal. Dann eben vornehme Blässe, dachte ich und ging zum Frühstücksbüffet.
Hier konnte mich auch nichts reizen. Ein Marmeladenbrötchen, ein Kaffee. Das war’s. Ich kaufte mir in den Hotelshops Papiertaschentücher, eine Anzahl an Illustrierten und eine Menge Ansichtskarten. Irgendwie musste ich mich beschäftigen, wenn ich nicht schon wieder vor dem Fernseher hocken wollte. Morgen hatte ich das Auto tauschen wollen, aber bei dem Wetter konnte ich das vergessen.
An den weiteren Tagen gab es eine Wetteränderung nur dahin gehend, dass sich der Schnee in Regen verwandelte. Ein unglaubliches Sauwetter, dazu noch meine Erkältung. Ich war wütend. Die nächsten und letzten Tage meines Weihnachtsurlaubes verbrachte ich ausschließlich im Hotel, das allerdings eine Menge Annehmlichkeiten zu bieten hatte, für die mir zuhause die Zeit fehlte.
Ich buchte im Spa Massagen, jede Menge kosmetische Behandlungen, ging in die Sauna, ins Solarium und besuchte Yogakurse. Das hatte zur Folge, dass ich meine Erkältung schnell los war und tatsächlich vollkommen erholt heimkehrte.
Trotzdem schwor ich noch auf dem Rückflug, Weihnachten nie wieder allein irgendwo hin zu fliegen.