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Genesis
ОглавлениеZuerst aufgefallen ist es bei den Globsch. Die leben auf einem Wasserplaneten, haben sich irgendwie semi amphibisch entwickelt und auch schon einen gewissen Grad an Intelligenz erreicht. Genau da liegt der Haken. Bis heute kann es nicht ganz geklärt werden, ob nicht doch Doktor L seine Finger im Spiel hat, oder es sich um einen Systemfehler handelt.
''Du hast dort nicht richtig aufgepasst, Helge'', lautet Wolkes Kommentar dazu.
Bei den Globsch ist jedenfalls folgende Sachlage eingetreten. Zur Fortpflanzung müssen sie unbedingt ins Wasser gehen und dort ablaichen. Das hat bis dato einwandfrei funktioniert, jedoch kommt es in der letzten Zeit immer mehr zu Störfällen. Anstatt ins Wasser, platziert einer von den Froschköpfen sein Gelege auf das Blatt einer Teichrose. Selbstverständlich trocknen die Eier dadurch aus. Es entstehen jedoch knisternde Geräusche dabei, die den Globsch ein angenehm kitzelndes Gefühl im Hypothalamus verschaffen. Von diesem Augenblick an beherrscht ein kollektives, grenzenloses Entzücken die gesamte Population.
''Der heilig' knisternde Laich, der heilig' knisternde Laich'', betet die Gemeinschaft in jeder Laichzeit. Völlig berauscht vom eigenen Schwachsinn basteln sie sich auf diese Weise die erste verbriefte Religion der Schöpfung.
Ein ums andere Mal wird die zukünftige Generation der Globsch von nun an auf Blätter von Teichrosen gelegt. Umringt von frömmelnden Anbetern, vertrocknen die Gelege dort innerhalb kürzester Zeit. Und so geschieht es zum ersten Mal in diesem Universum, dass eine Lebensform durch eigene Idiotie von der Bildfläche verschwindet.
Viele Milliarden Jahre später wird von einer anderen angeblich intelligenten Lebensform eine durchaus galaktisch umstrittene These entwickelt.
Die Hochintelligenz Theorie!
Diese Theorie beschreibt im Detail, dass Lebensformen die absolut verblödet, ungetrübt durch Fachwissen, von sich selbst über alle Maßen eingenommen und obendrein in der Schule das nächste Level nie erreichen, aller Wahrscheinlichkeit nach hochbegabte Wesen sind.
Es kommt darauf hin zu vermehrten elterlichen Versuchen, ihre beknackten Sprösslinge als 'Ultima Ratio' anzupreisen, weil bei ihnen sämtliche Voraussetzungen für Hochintelligenz zutreffen.
''Hier guck mal, unser Kevin. Nur Sechsen in der Schule. Der Junge hat es richtig drauf!''
Wie gesagt, diese These stößt im Universum nicht unbedingt auf ungeteilte Zustimmung.
Was dem Alten im Laufe der Zeit klar wird, ist der Zusammenhang zwischen Intelligenz und Idiotie. Je mehr Grips er den Lebensformen mit auf den Weg gibt, desto blöder verhalten die sich.
Ein gutes Beispiel dafür sind Wesen, die zu mehr als 90% aus Wasser bestehen. Aus einem dem Alten immer noch schleierhaften Grund, zieht es diese Leute immer wieder in die trockensten Gebiete ihrer Planeten.
''Wieso schickst du die eigentlich immer in die Wüste'', will Wolke von ihrem Bruder wissen.
''Damit hab ich nichts zu tun! Die Irren gehen von ganz alleine dahin!''
Das stimmt. Ohne Zwang und aus völlig freien Stücken marschiert immer mal wieder das eine oder andere Individuum in die Wüste. Angeblich fühlt es sich auserwählt, kann dort am allerbesten meditieren und mit seinem Gott in Kontakt treten.
''Was erzählst du dem denn für ein Zeug'', fragt Wolke neugierig.
''Ich erzähl dem gar nichts. Der Bekloppte hört Stimmen!''
Auch das stimmt. Nach mehreren Wochen mangelhafter Nahrungsaufnahme und gefährlicher Wasserunterversorgung haben die sogenannten Auserwählten einen besorgniserregend dehydrierten Zustand erreicht. In diesem Stadium arbeitet der klare Verstand eigentlich nur noch wie eine Stotterbremse. Warum dieser sogenannte Messias dann von seinen Artgenossen überhaupt noch ernst genommen wird, bleibt wohl für immer deren Geheimnis. Noch viel rätselhafter sind jedoch die 'Worte Gottes', die solch ein Messias in der Wüste empfangen haben will.
''Helge?!''
''Ich hab' keinen Ton gesagt'', beteuert der Alte immer wieder bei seiner Schwester.
Mittlerweile vermutet er Doktor L hinter all den Einflüsterungen. Mit seinem schon fast kriminell zu bezeichnendem Humor würde er nur allzu gut ins Bild passen. Das ist das stille Post Prinzip auf galaktischer Basis. Erzähle irgendeinem etwas und lass es von ihm an seine Jünger weitergeben. Was am Ende dabei herauskommt ist bar jeglichen Verstandes und meistens haarsträubend schrill. Trotzdem aber hochgradig lustig und das liebt Doktor L.
Was die ganze Angelegenheit aber wirklich ärgerlich macht, sind die Mitteilungen an den Alten. Es verhält sich ungefähr so wie in den sozialen Netzwerken. Er bekommt sofort eine Nachricht, sobald wieder irgendein angeblich Berufener seinen Namen nennt.
'Gott, du wurdest in einem Kommentar erwähnt'.
Ping und schon klingelt es beim Alten. Wirklich ärgerlich.
An dieser Stelle muss unbedingt darauf hingewiesen werden, dass Wolke dies alles geahnt hat. Außerdem weiß sie auch, dass der Alte mehrere Milliarden Jahre für den kleinen blauen Planeten brauchen wird. Dann kommt noch einmal der Fluss nebst Kleve hinzu. Das sind summa summarum zusätzlich ein paar hundert Millionen Jahre obendrauf. In der ganzen Zeit hat sie nichts weiter zu tun als Urlaub machen und die Aufmerksamkeit des Doktors auf sich zu ziehen, während ihr Bruder für alles verantwortlich zeichnet. Da zeigt sich wahre Intelligenz. Immerhin und das spricht für ihren guten Charakter, steht sie ihm mit Rat und Tat hilfreich zur Seite. Trotzdem gibt es immer wieder Vorkommnisse, zu denen selbst Wolke kein guter Ratschlag mehr einfallen möchte. Da ist zum Beispiel das Ritual des Nahrungsmittelopfers. Man begegnet diesem Phänomen vorwiegend auf Planeten mit konstanter Nahrungsmittelknappheit, oder in Gegenden, wo außer Flechten und Moose nichts Vernünftiges zu essen wächst. Angefangen hat es auf dem Planeten Kul Üp. Aus einem dem Alten völlig unerklärlichen Grund, brachten die dort lebenden Kököck an jedem Wochenende Nahrungsmittel zu einem Versammlungsort, um sie ihm dort als Gabe zu opfern.
''Helge, isst du den Kököck etwa das Essen weg? Das reicht ja kaum für die selbst!''
''Jetzt mach aber mal 'nen Punkt Wolke. Das Zeug von denen ist doch unter aller Sau.''
An dieser Aussage ist tatsächlich etwas dran. Da man sich auf Kul Üp vorwiegend vegetarisch ernährt und obendrein Rohkost unter den Einheimischen die favorisierte Zubereitungsart ist, kann das Spektrum der Geschmacksvielfalt eher als lausig bezeichnet werden. Als einzige fleischliche Alternative wird ein Wurm, der an einen ausgehungerten Engerling erinnert und auch genau so schmeckt, zu gewissen Festivitäten serviert. Dieser Wurm wird von den Dorfältesten zuerst mit einem Kissen erstickt, bevor man ihn zusammen mit einem vergoldeten Zahnstocher und einer winzigen Bürste auf einem Teller serviert. Der Zahnstocher ist jedoch nicht für die Reinigung der Zahnzwischenräume gedacht, sondern man durchsticht damit den Anus des Poi Pjong, wie der Wurm von den Kököck genannt wird. Danach kann das Vieh ganz einfach mit den Fingern vom Kopf her in Richtung untere Körperhälfte ausgedrückt werden. Um nichts vom köstlichen Innenleben zu verschwenden, muss der Feinschmecker daher konstant kräftig saugen, während seine Lippen den Anus kräftig umschließen. Aus hygienischen Gründen wird der deswegen mit der beigelegten winzigen Bürste vorher sorgfältig gereinigt. Dann wünscht man sich einen guten Appetit. Den Kököck scheint der Poi Pjong tatsächlich hervorragend zu munden. Für den Alten ist es jedoch eine Zumutung. Allein der Gedanke an zermanschtes Organ-Fäkalien Gemisch im Mund, verursacht bei ihm immer einen spontanen Ekelherpes. Da bevorzugt er doch lieber eine leckere Kohlroulade.
''Solange Frau Blum in unserer Kantine arbeitet und dort das Essen zubereitet, kommt mir so ein Scheiß nicht auf den Teller. Das ist voll eklig'', entrüstet sich der Alte.
''Schon gut Helge. Die haben es doch nur gut gemeint'', besänftigt Wolke.
''So viel Güte halte ich nicht aus!''
Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass eine Woche auf Kul Üp zirka 36 irdischen Stunden entspricht und es dann schon wieder Wurm zu essen gibt, kann man den Alten voll verstehen. Bis auf den heutigen Tag ist es ihm übrigens nicht gelungen diesem blödsinnigen Ritual Einhalt zu gebieten. Mit Sicherheit hat Doktor L, verkleidet als falscher Prophet, seine Finger im Spiel und feuert mit kontraproduktiven Kommentaren an die Ureinwohner den Wahn weiter an.
''Eure Sünden werden vergeben. Opfert noch mehr kostbare Nahrung als Zeichen eures Glaubens und betet auch zur Mutter Gottes um Fürbitte für euch.''
''Was hat denn jetzt unsere Mutti damit zu schaffen? Helge unternimm etwas dagegen'', fordert Wolke ihren Bruder auf.
''Ich stopf' dem Antichristen jetzt das Maul'', erklärt der Alte entschlossen.
Durch dauerhaftes Anbieten von Ekelwürmern und beleidigendes Involvieren von Familienangehörigen platzt dem Alten, zum ersten Mal in der Geschichte des Universums, der Kragen. Am nächsten Wochenende, also gerade einmal 36 Stunden später, hält der falsche Messias wieder eine Rede an sein Volk. Doch bevor er weiteren Blödsinn zum Besten geben kann, greift der Alte ein, öffnet den Himmel und lässt ihn vor versammelter Mannschaft von einem Blitz erschlagen.
''Hättest du das nicht vielleicht etwas eleganter lösen können'', fragt Wolke.
''Jetzt kann ich es eh nicht mehr ändern, aber sag der Mutti nix davon, bitte!''
Von diesem Augenblick an betrachtet der Alte das Ausschalten von ihm nicht genehmen Kreaturen durch Blitzschlag, als ein zuverlässiges, zweckdienliches und probates Mittel.
Auf Kul Üp ändert sich jedenfalls nach dem öffentlichen Toasten ihres Hauptschamanen einiges an den Essgewohnheiten. Man sieht den Vorfall als klares Omen und beginnt die kargen Speisen zu kochen. Auch gegrillt wird dort jetzt mit der nötigen Hingabe. Ab sofort steht gesottenes Moos mit überbackenen Flechten auf der Kököck Tageskarte. Dazu gibt es den Poi Pjong jetzt gegrillt.
Hand aufs Herz, das Vieh schmeckt auch gegrillt immer noch extrem beschissen. Erst sehr viel später, nachdem der Alte Tomaten und Chilischoten erfunden hat, findet so ein Poi Pjong gebraten, in grobe Stücke geschnitten und serviert mit Pommes Rot-Weiß, als kulinarisches Highlight einen Ehrenplatz in der Geschichte des Ruhrpottes. Man nennt ihn dort der Einfachheit halber Currywurst. Es ist aber, wie gesagt, der gleiche Wurm und schmeckt immer noch fragwürdig.
Auf anderen Planeten ist die Entwicklung für die Ureinwohner nicht so glücklich verlaufen, obwohl die Currywurst als eine glückliche Fügung zu betrachten, in großen Teilen des Universums weiterhin stark angezweifelt wird.
Ein Paradebeispiel dafür, dass ungefilterte Opferbereitschaft ziemlich unglücklich enden kann, ist Kotscheboil. Dieser Planet liegt ziemlich genau am anderen Ende der Galaxis. Ruhig und friedlich rotiert er ohne großes Aufsehen um sein Heimatgestirn. Einerseits ist es von Anfang an eine sehr karge und nährstoffarme Welt. Andererseits hat der Alte den dort ansässigen Bilsch eine gehörige Portion Intelligenz, als intellektuelles Rüstzeug für die Ansprüche der Evolution mit auf den Weg gegeben. Es herrscht für sehr lange Zeit eine ruhige Ausgewogenheit zwischen Nahrungsangebot und Nahrungsverbrauch auf Kotscheboil. Die Bilsch gehen wirklich außerordentlich klug mit den Ressourcen um. Alles was sie betreiben ist fachgerecht und nachhaltig. Gastfreundschaft nimmt bei ihnen einen hohen Stellenwert ein und so wird jeder Fremde der sich in ihre Dörfer verirrt, stets mit offenen Armen empfangen und üppig bewirtet. Alles in allem sind sie ein gottgefälliges Völkchen.
Das ist dem Alten selbstverständlich nicht entgangen und so drückte er eines Tages sein Wohlgefallen in gewählten Worten aus.
''Siehst du Wolke, auf Kotscheboil läuft alles richtig gut, nicht wahr?''
Durch eine zufällige, von Doktor L initiierte Raumzeit Verwerfung, die eine kurze Verformung der galaktischen Feldlinien verursacht, werden die Worte des Alten just in diesem Moment absichtlich in Richtung der Bilsch weitergeleitet. Zur selben Zeit steht Fräulein Regula, ihres Zeichens selbsternannte Seherin der Bilsch, auf der Hundeauslaufwiese des Zentralparks ihres Heimatplaneten. Sie versucht dort zum wiederholten Mal telepathischen Kontakt zu ihrem Haustier herzustellen. Es handelt sich hierbei um eine Überschlagreaktion, denn ansonsten ist Fräulein Regula eine ziemlich intelligente und seriöse Person mit ausgeglichener Mentalität. Sobald aber der kleine 'Pittermann' mit ins Spiel gebracht wird, kommt es bei ihr zu einer progressiven Infantilität. Man kann dann praktisch dabei zusehen, wie sich ihr IQ Stück für Stück erst einmal verabschiedet. Da steht man als Verteidiger des Abendlandes recht hilflos daneben und versucht eine Erklärung zu finden. Und in genau diesen Zustand ertönt die Aussage des Alten hinein.
''Pittermann, was hast du gesagt?!''
Natürlich hat der kleine Hund nichts gesagt und gehört hat er auch nichts. Eigentlich hat er genug Auslauf für heute gehabt, hat ordentlich auf die Wiese gekackt und will jetzt am liebsten sofort wieder nach Hause, denn der kleine Hunger klopft gerade wieder an seine Tür. Doktor L hat vorsorglich eine Wiederholungsschleife in die Textübertragung eingebaut und so kommt es, dass Fräulein Regula die Worte des Herrn noch einmal in veränderter Form zu hören bekommt.
''Der Schöpfer schaut mit Wohlgefallen auf euch, aber ihr könntet euch langsam etwas erkenntlicher zeigen und eurem Herrn zum Dank ein Opfer bringen!''
Im sicheren Gefühl eine Botschaft Gottes durch ihren keinen Hund empfangen zu haben und selbst die Auserkorene zu sein, macht sich Fräulein Regula auf den Weg in ihr Dorf um den Bilsch die freudige Nachricht zu übermitteln.
Die Begeisterung ist grenzenlos!
Endlich ist man vom Herrn wahrgenommen worden. In diesem Augenblick wird eine neue Religion aus der Taufe gehoben und geht als 'Tag der Interferenz' in die Geschichte ein.
Von nun an wird geopfert was das Zeug hält. Und zwar mehr als man sollte. Um ihre Dankbarkeit zu zeigen hätte weniger als die Hälfte schon glatt ausgereicht.
Und so wird in der glückseligen Euphorie das Momentum einfach etwas überstrapaziert. Die Bilsch opfern nun jeden Tag in frommer Verzückung ihre kostbaren Ressourcen. Auch warten sie auf ein erneutes Zeichen des Herrn in Form einer kleinen anerkennenden Ansprache. Fräulein Regula wird von den Dorfbewohnern gebeten noch einmal ihren kleinen Hund zu beschwören. Trotz ihrer Bemühungen in den folgenden Tagen, kommen jedoch keine verwertbaren Informationen aus der kleinen Kreatur heraus. Sie versucht es sogar mit einer besonders leckeren Futterration um dem Tier wenigstens ein paar Worte zu entlocken. Doch 'Pittermann' schweigt und auch eine erneute telepathische Verbindung zu ihrem kleinen Hund kann sie nicht mehr herstellen. Schließlich nimmt man das Schweigen als 'Gottes Wille' hin und beschließt Fräulein Regula und ihren kleinen treuen Begleiter erst einmal nicht weiter zu behelligen. Nichtsdestotrotz wird aber für den Fall einer erneuten Mitteilung des Herrn, zur Sicherheit ein Botendienst eingerichtet. Man will ja schließlich auf dem Laufenden bleiben. Aber es vergeht Jahr um Jahr ohne das sich etwas Außergewöhnliches ereignet. Schließlich segnet 'Pittermann' das Zeitliche und bekommt daraufhin einen Ehrenplatz als 'Der heilig Hörende' im spirituellen Glauben der Bilsch. Als viele Jahre später dann auch Fräulein Regula ihr Dasein quittiert, wird sie posthum und einstimmig zur ersten Prophetin ihres Volkes gekürt. Über diesen Titel hätte sie sich zu Lebzeiten im Diesseits sicherlich sehr gefreut, aber im Jenseits kann man sich dafür einfach nichts kaufen. Letztendlich kommt es wie es kommen muss:
Die Evolution übernimmt die Kontrolle!
Die gesamte Population der Bilsch beginnt nun langsam, ja fast unmerklich, zu schrumpfen. Nicht das ihre Anzahl geringer wird, nein, aber im Verlauf einiger Generationen büßen sie ständig mehrere Millimeter ihrer Körpergröße ein. Anfänglich fällt diese Entwicklung auch nicht weiter auf, da sie sich in Zeitlupen Geschwindigkeit abspielt. Als jedoch nach zirka 300 Generationen der Erste aus der Gemeinschaft plötzlich nicht mehr in seine Wohnung hineinkommt, weil er mittlerweile so klein geworden ist, dass sich für ihn das Schlüsselloch nun in schwindelerregender Höhe befindet, da merkt selbst der Blödeste unter ihnen:
''Hier stimmt etwas nicht! Unsere Großeltern kamen noch an die Türklinke heran!''
Anstatt nun über diese Entwicklung nachzudenken und eventuell die richtigen Schlüsse daraus zu folgern, ziehen es die Bilsch vor, nicht darüber nachzudenken. Statt dessen beschließt man im religiösen Wahn, noch mehr kostbare Lebensmittel dem Schöpfer zu opfern.
''Irgendwann wird unser Herr wieder alles ins rechte Lot rücken'', hoffen die Bilsch inbrünstig und voller Zuversicht.
In der Zwischenzeit behilft man sich mit alten Apfelsinen- und Kartoffelkisten. Die werden kurzerhand vor die Eingangstüren gestellt und schon sind Schlüsselloch und Klinke keine Hindernisse mehr. Da es aber aufgrund der sowieso schon knappen Nahrungsmittel Ressourcen nicht genügend Obst- und Gemüsekisten gibt, nimmt man, um in Aufzügen die Knöpfe zu bedienen, der Einfachheit halber alte Kochlöffel. Es wird eh kaum noch etwas gegessen, daher kann auf Besteck und andere Küchenutensilien leicht verzichtet werden.
Leider will der Augenblick des rechten Lotes einfach nicht kommen.
Selbst als Wolke bei ihrem Bruder wieder einmal interveniert:
''Sag' mal Helge, willst du denen nicht ein bisschen helfen? Irgendwie stecken die in einer Sackgasse!''
''Geht nicht Wolke. Im Universum Vertrag steht ganz klar im Kleingedruckten, dass alle Bewohner volle Autorität über ihre Planeten haben. Mir sind sogar dann die Hände gebunden, wenn die ihren Dotz mutwillig im Arsch machen!''
''Helge, bitte, achte auf deine Wortwahl!''
''Ist ja gut, aber ich hab' einfach keinen Bock mehr mich von einem windigen Rechtsverdreher verklagen zu lassen und dann in feuchten Gerichtssälen meine Zeit zu verplempern. Einmal hat gereicht!''
Die Bilsch haben von all dem nicht die leiseste Ahnung. Daher ist es auch kein Wunder, dass ihre gesamte Population progressiv weiter schrumpft. Wiederum 300 Generationen später stehen dann letztendlich alle geschlossen auf der Straße. Niemand kommt mehr in seine Bude!
Das bedeutet im Klartext, dass durch übertriebene Opferbereitschaft zum ersten Mal ein ganzer Planet obdachlos geworden ist. Obendrein kann nun keiner mehr von ihnen sein Klo benutzen.
Womit sich den Bilsch sofort die Frage stellt: ''Wo machen wir denn jetzt hin?''
Da es ein sehr pingeliges und reinliches Völkchen ist, behelfen sie sich mit alten Tageszeitungen auf die nun geschissen wird. Das alles geschieht aus einer vom tiefsten Herzen kommenden Liebe zur Natur. Es gilt als Sakrileg guten Mutterboden zu kontaminieren. Proportional zu ihrer schrumpfenden Körpergröße wird im Verlauf der Jahrtausende der Bedarf an Zeitungen natürlich immer geringer. Schließlich kommt der Tag an dem die Bilsch nur noch kleine Papierschnipsel abreißen auf denen sie dann ihr Geschäft platzieren.
Aus Gründen der Hygiene und der gesellschaftlichen Kommunikation, benutzt man deshalb irgendwann nur noch eine einzige Stelle im Wald als gemeinschaftliche Latrine.
Plötzlich, eines schönen Tages, verschwindet der erste Bilsch auf dem Weg dorthin!
Da es sich um ein beliebtes Mitglied der Gemeinschaft handelt, ist die Bestürzung riesig groß. Sofort beginnt man intensiv nach seinem Verbleib zu forschen, doch selbst nach stundenlanger Suche ist keine Spur zu finden.
''Er ist wie vom Erdboden verschluckt'', stellen die Ermittler konsterniert fest.
Sie haben zu diesem Zeitpunkt nicht die leiseste Ahnung wie unglaublich nahe ihre Aussage an der Wahrheit liegt.
Und dann verschwindet der Zweite!
Als ein paar Tage darauf auch Nummer Drei und Vier einfach weg sind ohne einen Abschiedsbrief zu hinterlassen oder wieder aufzutauchen, da breitet sich langsam so etwas wie Panik unter den Bilsch aus.
''Wir sollten besser unserem Schöpfer noch ein Opfer darbringen, auf das er uns verschone'', lautet die Devise der Hinterlassenen.
Es ist im Dorf zwar kaum noch etwas übrig das man opfern kann, aber mit einem,
''Ich hab' noch 'ne Tüte Müsli zu Hause'',
macht sich jedoch sofort jemand auf den Weg.
Als er schließlich zurückkehrt sind alle verschwunden.
Mutterseelenallein steht er nun auf dem Dorfplatz und fühlt sich zum ersten Mal in seinem Leben so richtig verlassen.
Er ist zu spät gekommen!
Mutlos schaut er auf die Tüte Müsli und sein letzter Gedanke ist: ''Hol's doch der Teufel!''
Genau in diesem Moment öffnet sich urplötzlich der Boden unter ihm, es wird schwarz und er stürzt für eine Ewigkeit ihm unbekannten Gefilden entgegen -
und dann sitzt er zwar arg derangiert, aber immerhin ohne größere Blessuren wieder im Kreise seines Völkchens!
''Hast dir ganz schön Zeit gelassen Alter'', wird er freudig begrüßt.
Man liegt sich in den Armen und ist heilfroh nun endlich wieder komplett zu sein. Nach einer kurzen Analyse der Situation stellen die Bilsch fest, dass ihre ganze Population durch die Eingangsschächte von Regenwürmern in die Tiefe gerutscht ist.
Da bekommt der Ausdruck ''Wurmloch'' gleich eine ganz andere Bedeutung!
Leider ist die Geschichte hier noch nicht zu Ende, denn die Entwicklung, sprich die Schrumpfung, geht weiter. Nach mehreren zig tausenden von Jahren sind die Bilsch dann endlich auf der Ebene von Fadenwürmern und anderem mikroskopisch kleinen Leben angekommen. Auf der Oberfläche des Planeten ist derweil eine andere Spezies entstanden, hat Intelligenz entwickelt und den Ackerbau als eine gute Sache zur Nahrungsversorgung entwickelt. Auch die Nutzhaltung von domestizierten Tieren in sogenannter Stallhaltung wird als probates Mittel praktiziert und trägt maßgeblich zur Versorgung der Bevölkerung bei. Die anfallenden Fäkalien werden schließlich als hervorragender Dünger erkannt. Von da an gibt es kein Halten mehr. Ungebremst und mit wachsender Begeisterung wird nun täglich die Gülle auf die Felder ausgebracht. Bei einer dieser Aktionen wird just die Ackerfläche behandelt, unter der die gesamte Population der Bilsch friedlich mit ihren neuen Kumpanen, Fadenwürmer und Pantoffel-Tierchen, im Untergrund lebt.
Das Letzte was die Bilsch sehen ist ein brauner Tsunami aus Scheiße, der sich durch Wurmlöcher und Kapillare seinen Weg unerbittlich in die Tiefe bahnt.
Es gibt kein Entrinnen!
Die großartige Zivilisation der Bilsch mit all ihren Errungenschaften, gottesfürchtig, opferbereit, dankbar und dem Herrn ergeben, wird in einem einzigen Augenblick des Schreckens von einer Welle aus stinkender Jauche weggeschwemmt.
Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man es glatt für einen Witz halten.
Was man im Kosmos hingegen für einen grandiosen Witz hält ist der Umstand, dass von eben dieser Gülle verspritzenden Nachfolgegeneration sehr viel später die ehemalige Gemeinschaftslatrine der Bilsch im Wald entdeckt und ausgegraben wird. Die mittlerweile steinhart mineralisierten Zeitungsschnipsel, inklusive der fossilen Köttel obendrauf, werden einer intensiven Prüfung unterzogen und von den Archäologen nach deren Dafürhalten pikanterweise als prähistorisches Bodenmosaik eingestuft.
''Da gibst du denen richtig viel Grips mit, damit die auch wirklich strahlende Momente haben können und dann so etwas'', wundert sich der Alte und schüttelt resigniert den Kopf.
''Nimm es nicht persönlich, Helge'', sagt Wolke tröstend zu ihrem Bruder, ''die meinen es nicht so, aber irgendwie liegen sie auch richtig. Da ist schon ein Muster zu erkennen.''
''Fang du jetzt bitte nicht auch noch an. Für mich persönlich hat Doktor L dort seine Finger im Spiel gehabt, der alte Pfuscher!''
''Und was ist mit Galon? Meinst du da auch?!''
''Boah Wolke, erinnere mich bloß nicht daran!''