Читать книгу Die stärkste Liga der Welt - Bernd Schwickerath - Страница 8

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1840 bis 1917

Der lange Weg zur NHL

Wo fand das erste Spiel statt? Wer hat die Sportart in ihren Anfangsjahren geprägt? Die Eishockey-Geschichte beginnt Jahrzehnte vor dem ersten NHL-Spiel, der heutige Sehnsuchtsort aller Spieler war nicht mal die erste Profi-Liga. Und sie war auch alles andere als von langer Hand geplant, sie entstand eher zufällig.

Wenn die Frage nach den Ursprüngen einer Sportart gestellt wird, gehen mit der ein oder anderen Nation schon mal die patriotischen Pferde durch. Jeder würde gern der Erste sein. Der, der der Welt eine Sportart geschenkt hat. Das ist im Eishockey nicht anders. Auch da werden Ansprüche angemeldet und zur Beweisführung alte Texte oder Zeichnungen hervorgekramt, auf denen Spiele mit Stöcken und Bällen auf Eis beschrieben sind. Da wird großzügig darüber hinweggesehen, dass das meiste eher eine Art Eisgolf darstellt und weder Tore mit Torhütern noch Zweikämpfe zu sehen sind, schreibt Horst Eckert in seiner „Eishockey Weltgeschichte“.

Der seriöse Teil der Sporthistoriker ist sich spätestens seit der Veröffentlichung des McGill-Reports von 1943 einig, dass die Ursprünge des heutigen Eishockeys in Kanada zu finden sind. Irgendwann zwischen 1840 und 1880. Irgendwo zwischen den alten Freizeitgewohnheiten der nordamerikanischen Ureinwohner und denen der europäischen Siedler. Doch selbst innerhalb Kanadas gab und gibt es Streitigkeiten. War das erste Spiel nun in Kingston, Halifax oder Montreal? Bis heute gehen die Meinungen auseinander. Weil die Sportart wie viele andere an diversen Orten gleichzeitig weiterentwickelt wurde.

Besonders hervorgetan haben sich dabei die Studenten eben jener McGill-Universität in Montreal. Die schrieben die ersten Regeln auf und führten entscheidende Neuerungen ein: den Torhüter, den neutralen Schiedsrichter, die Anzahl der Spieler, die Zeitbegrenzung, die ersten Linien, die Schutzausrüstung, die Trikots und den Puck. Einiges übernahmen sie vom Rugby wie das frühere Verbot, nach vorne zu passen, oder Verhaltensregeln für Zweikämpfe. Zudem organisierten sie das erste offizielle Eishockey-Spiel in einer Halle – am 3. März 1875 im Victoria Skating Rink in Montreal.


Das erste offizielle Eishockey-Spiel der Welt fand 1875 im Victoria Skating Rink in Montréal statt. (Quelle: William Notman & Son)

Dass es Soldaten und Studenten waren, die entscheidenden Anteil an der Weiterentwicklung und Verbreitung des Eishockeys hatten, ist kein Zufall. So war das bei den meisten modernen Sportarten, die ihre Wurzeln im damaligen britischen Weltreich hatten. Ursprünglich als Disziplinierungsmaßnahme für allzu draufgängerische Privatschüler oder als Training und Zeitvertreib für Soldaten konzipiert, trug die Kolonialmacht sie ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach Übersee. Dort wurden die Spiele von der oberen Mittelschicht begeistert übernommen, abgeändert und zu eigenen Disziplinen weiterentwickelt.

Das soll in Nordamerika besonders intensiv verfolgt worden sein, um sich von den ungeliebten Kolonialherren abzugrenzen und die Sportarten als etwas Amerikanisches zu verkaufen. Aus Rugby und Fußball wurde American Football, aus alten Schlagballspielen Baseball, das sehr schnell sehr viel populärer wurde als das urbritische Cricket. Eishockey entstand aus einer ganzen Reihe anderer Spiele: aus dem schottischen Shinty (später Shinney genannt), dem irischen Hurling und dem französischen Hoquet, aus alten Ureinwohner-Spielen, aus Lacrosse sowie aus Elementen von Rugby und Feldhockey.

Der vielleicht entscheidende Tag auf dem Weg dorthin kam im Winter 1856: Britische Soldaten, die zuvor im Krim-Krieg in Russland gekämpft hatten, waren nach Kanada geschickt worden und hatten der Legende nach Langeweile. Also lernten sie in den zugefrorenen Hafenbecken von Kingston und Halifax das Schlittschuhlaufen. Aber auch das soll sie nach einigen Wochen nicht mehr ausgefüllt haben. Bis sie sich ihre Shinney-Schläger und -Bälle schnappten und das ihnen bekannte Spiel aufs Eis übertrugen.

Eishallen tragen das neue Spiel in die Großstädte

Der Anfang einer neuen Sportart war gemacht. Allerdings der einer zunächst regional und temporär begrenzten. Denn für Eishockey braucht es nun mal Eis. Das war im Winter kein Problem, gerade in ländlichen Gebieten oder weiter im Norden, wo Seen und Flüsse regelmäßig zufroren. Im restlichen Land wurde das neue Spiel erst populär, als es ab etwa 1865 die ersten Eishallen gab. Die machten den Sport nicht nur unabhängig von Wetter und Jahreszeit, sie trugen ihn auch in die großen Städte und sorgten für eine Vereinheitlichung der Regeln.

Zuvor spielten manche Teams mit Torhüter, manche ohne, es gab weder klare Größen der Tore noch einheitliche Zeitabschnitte oder eine feste Anzahl an Spielern. Meist konnte mitspielen, wer noch irgendwie auf den See passte. An den ersten Spielen in den 1850er Jahren sollen bis zu 200 Spieler beteiligt gewesen sein. 25 Jahre später, mit einer mehr oder weniger einheitlichen Eisgröße in den Hallen und klaren Eiszeiten, war das erstmals anders.


Vorreiter des neuen Sports: Die Studenten der McGill-Universität in Montréal im Jahr 1901. (Foto: William Notman & Son)

Beim berühmten Premierenspiel im März 1875 in Montreal standen nur noch acht Spieler pro Team auf dem Eis, die Zeit wurde auf 60 Minuten begrenzt, und damit der (Holz-)Ball nicht mehr springt und ständig ins Publikum fliegt, wurde er an den Seiten abgeschnitten. Der Puck, wie wir ihn heute kennen, war geboren. Ebenso ein ganzer Sport, der nicht nur Aktive, sondern vor allem in den rasant wachsenden Großstädten auch Zuschauer und damit Sponsoren anlockte. Um die 500 Besucher sollen das erste Spiel, das sogar in der Zeitung angekündigt und hinterher besprochen wurde, gesehen haben. Noch im selben Jahr gründeten sich allein in Montreal fünf Eishockey-Vereine, die regelmäßig in vollen Hallen spielten.


Der ursprüngliche Stanley Cup – noch ohne seinen berühmten Sockel.

Das neue Spiel erregte gar so viel Aufsehen, dass es sich binnen weniger Jahre zu einem Massenphänomen in ganz Kanada und im Norden der USA entwickelte. War es vorher meist ein lockerer Zeitvertreib ohne feste Strukturen, gründeten sich nun Hunderte Mannschaften und Vereine. Zunächst an Schulen, Universitäten und in teureren Wohngegenden, in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts auch innerhalb der neuen städtischen Gesellschaft sschichten der Angestellten und der Arbeiter, die durch Gesetzesänderungen und Arbeitszeitverkürzungen ein modernes Freizeitbewusstsein entwickelten. Und die davon profitierten, dass vor allem in den Metropolen immer mehr Eishallen gebaut wurden und erste Firmen Schlittschuhe, Schläger oder Schutzkleidung in Massenproduktion herstellten und entsprechend günstiger anbieten konnten. Bis dahin war Eishockey ein reiner Zeitvertreib für die Mittel- bis Oberschicht, die sich die Ausrüstung leisten konnte und auch entsprechend viel Freizeit für derlei Hobbys hatte, schreibt der Autor Daniel Mason.

Trotzdem gab es bereits in den 1870er Jahren genügend Mannschaften, um erste Verbände und Ligen zu gründen. In Québec City, Kingston, Halifax und natürlich Montreal sind erste Amateurligen nachweisbar. Auch die vorerst berühmteste Liga entstand 1886 in Montreal, die Amateur Hockey Association of Canada (AHAC). Bereits ab 1893, fast 25 Jahre vor der Gründung der NHL, stritten sich die Teams der AHAC sowie die Mannschaften der Nachfolgeligen um die bis heute und wohl bis in alle Tage berühmteste Trophäe des Eishockeys: den Stanley Cup.

Den hatte Frederick Arthur Stanley (zwischen 1886 und 1893 als Lord Stanley of Preston bekannt), der britische Generalgouverneur von Kanada (1888 bis 1893), den Sportlern geschenkt. Lord Stanley hatte mit Eishockey zwar nichts am Hut, dafür seine Kinder umso mehr. Seine Tochter spielte selbst, seine Söhne waren mit dem ebenfalls aus England stammenden Lord Kilcoursie befreundet, der ein begeisterter Eishockey-Spieler war und sich regelmäßig ärgerte, dass sein liebstes Hobby immer noch nicht mehr war. Im Gegensatz zu Fußball und Rugby, die in seiner englischen Heimat bereits in Profiligen organisiert waren. Und erst recht im Vergleich zum Baseball, der in den USA schon seit 1869 professionell betrieben wurde, Hunderte Spieler und Funktionäre ernährte und Millionen Fans begeisterte.

Also überredete er Lord Stanley, einen Pokal zu stiften, der unter den Siegern der Regionalmeisterschaften ausgespielt werden sollte. Das sollte dem Lord nicht nur Sympathien einbringen, das sollte auch die Professionalisierung und die Vermarktung des neuen Sports ankurbeln. Lord Stanley tat wie ihm geheißen, kaufte den Cup für 10 Guines (umgerechnet knapp 50 US-Dollar, was 2017 etwa 1.326 Dollar entspräche) in London und ebnete dem Eishockey damit den Weg in eine große Zukunft. Durch den offiziellen Pokal eines wichtigen Politikers wurde nicht nur der Wettbewerb aufgewertet, von nun an berichteten auch die Medien immer häufiger über den Sport. Am 22. März 1894 wurde das erste Finale um diese Trophäe ausgespielt (1893 bekam sie der Gewinner der AHAC-Liga), von da an wurde der Pokal jedes Jahr vergeben, in den ersten Jahren ausschließlich an Amateurteams.

Die ersten Profiligen

Das änderte sich erst nach der Jahrhundertwende, als durch Zuschauer sowie Sponsoren immer mehr Geld in den Sport kam und die ersten Aktiven und Funktionäre von ihm leben konnten. Zumindest über die Wintermonate. Zunächst galt das lediglich für die Betreiber der Eishallen und manche Spieler, die unter der Hand bezahlt wurden. 1904 änderte sich aber auch das, als die International Professional Hockey League (IPHL) an den Start ging, die erste Eishockey-Profiliga der Welt.

Das passierte aber nicht im Epizentrum des neuen Sports in Montreal, wo nahezu alle wichtigen Fortschritte erzielt wurden, das passierte nicht mal in Kanada, sondern im US-Bundesstaat Michigan. Dorthin hatte es Jack „Doc“ Gibson verschlagen, einen kanadischen Zahnarzt, der in seiner alten Heimat Ontario ein ebenso begeisterter wie begnadeter Eishockey-Spieler war. Und der sich nichts mehr wünschte, als seinen Sport als bezahlter Profi ausüben zu können, wie er es von anderen Sportarten her kannte.

Doch die Chance dazu gab es in Kanada nicht. Der Verband in seiner alten Heimat, die konservative Ontario Hockey Association (OHA), war strikt dagegen. Weil er sich als Teil des viktorianischen Britannien verstand und die auch in Deutschland bestens bekannten Ideale des „edlen Amateurs“ hochhielt. Und weil er sich „nach unten“ abgrenzen wollte. Nur wer sich den Sport selbst leisten könne, solle mitspielen. Wer nicht, der hat eben Pech gehabt.

Eine „Elite, die ihren eigenen exklusiven Club betreibt“, sei die OHA gewesen, schreibt der Historiker Alan Metcalfe. Notfalls sperrte der Verband auch ganze Teams. So geschehen 1902, als die Mannschaft von „Doc“ Gibson die Regionalmeisterschaft gewann und jeder Spieler von der Stadt dafür einen Silberdollar bekam. Für den Verband war das bereits zu viel. Fortan durften Gibson und seine Mitspieler nicht mehr in Ontario Eishockey spielen. Die Professionalisierung konnte das Verbandsveto gegen Gehaltszahlungen dennoch nicht aufhalten. Denn das Geld kam nun automatisch in den neuen Sport – und es musste irgendwo hin.

Neue Fans – neues Geld

Das lag am neuen Publikum. Wenn auch eher selten als Aktive auf dem Eis, so strömten nach der Jahrhundertwende immer mehr Arbeiter als Zuschauer in die Hallen. Die wollten sich im Gegensatz zum Bürgertum oder den Studenten zuvor eben nicht nur die Zeit auf den Tribünen vertreiben, um persönlich Bekannten beim Spielen zuzusehen. Die Menschen aus den industrialisierten Ballungszentren und Bergbaugebieten suchten nach einem Ausgleich vom harten Berufsalltag, nach einem Ventil.

Dazu passte die harte und emotionale Gangart beim Eishockey. Und weil ihnen die meisten Aktiven unbekannt waren, wurde das Team wichtiger als der einzelne Spieler. Folglich stieg die Identifikation mit den Mannschaften, was wiederum die Ergebnisse der Spiele wichtiger werden ließ. Man wollte die Fans ja bei Laune halten. Was durch die höheren Zuschauerzahlen und die dadurch steigenden Einnahmen kein Problem war. Plötzlich hatten die Vereine Geld, um der Konkurrenz die besten Spieler abzujagen.

Mittlerweile waren Spielerwechsel und geheime Zahlungen längst an der Tagesordnung. Daran änderten auch Strafen, Sperren und öffentliches Wehklagen des Verbands nichts. Je weiter der Sport in die Arbeiterklasse vordrang, desto weniger verband Spieler und Zuschauer mit den Gepflogenheiten und Moralvorstellungen der britisch geprägten Mittelbis Oberschicht.

In den USA war das ohnehin längst der Fall. Profi-Baseball war seit Jahrzehnten ein gut funktionierendes Business, das im Alltag vieler US-Bürger eine wichtige Rolle spielte. Auch in anderen Sportarten wurde offen gezahlt. Kurz nach der Jahrhundertwende galt das nun auch fürs Eishockey, als sich in der Arbeiterstadt Pittsburgh die erste semiprofessionelle Liga gründete, die Western Pennsylvania Hockey League (WPHL). Die bot vor allem den Spielern ein Zuhause, die in ihrer kanadischen Heimat gesperrt worden waren. Und weil es zu der Zeit noch zu wenige talentierte US-Spieler gab, machten sich Dutzende Kanadier auf den Weg nach Pittsburgh, um bei einem der vier Teams der WPHL ganz legal Geld zu verdienen.

„Doc“ Gibson wiederum tat das im Portage Lake Hockey Club. Er selbst hatte den Klub aus der Minenstadt Houghton in Michigan unweit der kanadischen Grenze als ersten Vollprofiverein aufgebaut und sollte sich nun an den Funktionären in der alten Heimat rächen. Gibson holte immer mehr Kanadier nach Michigan, wo sie unter professionellen Bedingungen trainierten. Irgendwann spielten in Portage Lake so viele talentierte Kanadier, dass der Klub als der beste in den gesamten USA galt. Sogar besser als der Meister der WPHL aus Pittsburgh, der am Ende der Saison immer auf Portage Lake traf, um den US-Meister auszuspielen. Irgendwann konnten die semiprofessionellen Teams aus Pittsburgh nicht mehr mithalten. Und weil es den kanadischen Klubs von ihren Verbänden verboten wurde, gegen die Profis aus den USA zu spielen, gingen Gibson und seinem Klub die Gegner aus. Es musste etwas geschehen. Und es geschah etwas.

Möglich machte das die Hilfe von James R. Dee, einem erfolgreichen Geschäftsmann aus Houghton, der seit Jahren als Fan zu den Spielen des Portage Lake Hockey Clubs ging. Dee wollte aber nicht mehr nur gutes Eishockey in seiner Heimatstadt sehen, er wollte auch daran verdienen. Also ließ er die größte und modernste Eishalle Amerikas errichten, das Amphidrome, ein protziger Bau, der mit seinen Türmen nicht zufällig an ein Schloss erinnerte. 5.000 Zuschauer fanden dort rund um die Eisfläche Platz.

Dee und Gibson – die „Väter des professionellen Eis hockeys“

Was noch fehlte, waren die passenden Gegner in einer reinen Profiliga. Also verhandelte Dee mit den Teams der WPHL aus Pittsburgh sowie mit potenziellen Mitstreitern aus anderen Städten, die durch ihre Kupferminen zu Reichtum gekommen waren. Zunächst standen sogar Teams aus Montreal, Detroit, Chicago und anderen Großstädten zur Diskussion, doch daraus wurde nichts. Dee fand trotzdem genügend Mitstreiter für seine ehrgeizigen Pläne. 1904 war er am Ziel, als neben seiner Lieblingsmannschaft aus Portage Lake auch welche aus den Kupferstädten Calumet und Sault Ste. Marie in Kanada sowie aus Pittsburgh und Sault Ste. Marie in Michigan einstiegen. Sie gründeten die International Hockey League, die erste reine Eishockey-Profiliga der Welt. Bis heute gelten Dee und Gibson deswegen als „Väter des professionellen Eishockeys“.

Nun fehlten nur noch die passenden Spieler für die fünf Teams. Immerhin wollte der Geschäftsmann dem Publikum „das beste Eishockey bieten, das man für Geld bekommen kann“, erzählt Laine Drewery in einer CBC-Dokumentation im Jahr 2006. Also beauftragte Dee seinen alten Bekannten „Doc“ Gibson. Der Zahnarzt sollte nach Kanada reisen und die besten Spieler des Landes davon überzeugen, in Michigan für Geld zu spielen. Schwer war das nicht. Denn die IPHL war die Chance, auf die viele Spieler seit Jahren gewartet hatten. In den Wochen vor dem Saisonstart entschied sich fast täglich ein weiterer Topspieler für einen Wechsel in den Süden, was die örtlichen Zeitungen immer euphorischer verkündeten.


Cyclone Taylor, der erste Eishockey-Superstar, verdiente bereits mehr Geld als der Premierminister.

Die neue Liga wurde schnell ein Erfolg. Die Fans kamen in Strömen und fuhren sogar zu Auswärtsspielen ihrer Teams, die Bahn setzte erste Sonderzüge ein. Die Zeitungen waren voll von Spielberichten und Geschichten über die Teams und ihre Spieler. Und in den Salons wurde fleißig auf die Spiele gewettet.

Obwohl die Vereine fast ausschließlich in kleinen und eher wenig attraktiven Arbeiterstädten zu Hause waren, verließen selbst absolute Topspieler ihre kanadische Heimat, um in der neuen Liga Geld zu verdienen. 15 bis 40 Dollar gab es mindestens pro Woche. In nur zehn Wochen konnte ein Eishockey-Spieler das verdienen, was ein Industriearbeiter im ganzen Jahr bekam (knapp 375 Dollar). Selbst Gehälter von mehr als 1000 Dollar waren keine Seltenheit. Das bekam man im normalen Berufsleben nicht mal als Vorarbeiter oder gehobene Bürokraft. Nicht selten gab es darüber hinaus gutbezahlte Jobs für die spielfreie Zeit. Möglich machten das die lokalen Minenbesitzer. Als in der zweiten Saison auch Frederick „Cyclone“ Taylor, der beste Spieler seiner Zeit und ein Superstar in Kanada, in die IPHL wechselte, wähnten sich die Macher am Ziel. Taylor verdiente stolze 3000 Dollar für die Saison, mehr als der kanadische Premierminister.

In Kanada wurden sie derweil zunehmend nervös. So gut wie jeder Topspieler wollte nun weg, was den heimischen Fans und den Kommentatoren in den Zeitungen gar nicht gefiel. Doch anstatt dem Problem mit einer Öffnung zu begegnen und selbst ProfiEishockey zuzulassen, versuchte es der Verband aus Ontario mit Härte: Er erließ eine neue Regel, nach der jeder Spieler, der in der IPHL spielte, für sämtliche Vereine in Kanada gesperrt wurde. Es blieb beim Versuch. Jeder Spieler, der etwas auf sich hielt, wollte nun einen Platz in der neuen US-Liga haben.

Der Traum vom dauerhaften Reichtum war trotzdem schnell vorbei, nach nur drei Jahren war Schluss mit der IPHL, die von sich aus stets funktioniert hatte. Doch die Wirtschaftskrise hatte den Kupfermarkt im Norden Michigans hart getroffen. Zahlreiche Minen mussten schließen, die Arbeiter zogen weiter, so taten es auch die Eishockey-Spieler. Aus den eben noch boomenden Bergarbeiter- wurden binnen weniger Monate Geisterstädte. Investor James Dee wandte sich dem Filmgeschäft zu. Und als hätte es noch eines Symbols für das Ende des ProfiEishockeys in Michigans Kleinstädten bedurft, brannte das mächtige Amphidrome nur wenige Jahre später bis auf die Grundmauern nieder.

Für das professionelle Eishockey war das Aus der ersten Liga allerdings weniger dramatisch. Im Gegenteil: Die IPHL hatte bewiesen, dass die Zeit der reinen Amateurligen vorbei war. Auch die konservativen Kanadier konnten sich nicht mehr gegen die Professionalisierung wehren, wie der Historiker Jack Falla sagt: „Die Liga war wichtig, denn zum ersten Mal war der Sport offen für Professionalität. Nun gab es keine Heuchelei mehr wie: ,Oh nein, wir sind nur Amateure, ignoriere bitte, dass du nach dem Spiel einen 20-Dollar-Schein in deinem Schlittschuh finden wirst.‘ Jetzt hieß es: ,Es ist Showbusiness, es ist Unterhaltung, lasst sie uns bezahlen und die Show genießen.‘“

Ein Showbusiness, beste Unterhaltung lieferten fortan diverse Ligen, auch in Kanada. Die Teams waren nun längst keine Ansammlungen sportbegeisterter Freunde mehr. Wer in den immer neuen Profiligen mitspielte, der verstand sich auch nicht mehr als gemeinnütziger Klub mit Jugendteams, Vereinsleben und sozialen Projekten. Die Vereine verstanden sich als das, was Profisport-Teams bis heute sind: profitorientierte Unternehmen der Unterhaltungsindustrie. Mit Besitzern, professionellen Managern, hauptamtlichen Trainern und bezahlten Spielern. Wollte ein neues Team in eine Liga, musste es sich nicht etwa sportlich qualifizieren, sondern sich schlicht einkaufen. Einen Auf- und Abstieg kannten die Ligen ebenso wenig wie heute. Wer drin war, war drin, wer nicht, der nicht. Und wer Geld verdiente, blieb auch drin. Wer nicht, der suchte schnell das Weite, versuchte sich in einer anderen Liga oder stieg aus dem neuen Business wieder aus.

Weil es weltweit mittlerweile Dutzende professionelle Sportligen gab, die Millionen Fans anlockten und viele reiche Männer noch reicher machten, versuchten im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts auch diverse Eishockey-Ligen ihr Glück. Doch nichts war von Dauer, sie alle scheiterten recht schnell. Immer wieder zogen windige Geschäftsleute mit übergroßen Egos die Fäden und gingen im Streit auseinander. Meistens ging es ums Geld.

Das floss nun in Strömen. Vor allem in den Ballungszentren Toronto, Ottawa und Montreal. Kleinstädte oder ländliche Regionen konnten kaum oder gar nicht mehr mithalten, das Zeitalter der Metropolen war angebrochen. Die hatten auch gern mal zwei oder drei Teams in einer Liga und bildeten erste regionale Rivalitäten, die die Begeisterung für die Liga noch weiter anheizte.

Das galt vor allem für Montreal, wo es für die englisch- und französischsprachigen Bevölkerungsteile jeweils eigene Teams gab. Das galt aber auch für Toronto, das mit seinen Vororten bereits um 1900 fast eine halbe Million Einwohner hatte. Mit ihren großen Hallen, ihren vielen potenziellen Zuschauern und Sponsoren, mit ihrem Medienaufkommen sowie ihren Verdienstmöglichkeiten für die spielfreie Zeit hatten die Großstädte unschlagbare Vorteile gegenüber der Provinz.

Der Westen wacht auf

Die Welle der Professionalisierung schwappte langsam auch in den Westen Kanadas, der in der bisherigen Entwicklung des neuen Nationalsports eine eher untergeordnete Rolle einnahm. Möglich machten das Joe Patrick und seine Söhne Lester und Frank, die selbst seit Jahren als Profispieler unterwegs waren. Ursprünglich kamen auch die Patricks aus dem östlichen Bundesstaat Québec, doch 1907 brachen sie ihre Zelte in der alten Heimat ab, verkauften ihr kleines Geschäft und nutzten das Geld, um in den weitestgehend unberührten Wäldern von British Columbia eine Holzfabrik zu gründen. Die entwickelte sich schnell zur Goldgrube, nur vier Jahre später verkauften sie die Firma, angeblich für eine Million Dollar, so jedenfalls berichtete es Laine Drewery.

Doch zur Ruhe setzen wollten sie sich nicht. Jetzt ging es erst richtig los, denn nun hatten die Eishockey-verrückten Söhne endlich das Geld, um sich ihren Traum zu erfüllen: ihre eigene Profiliga. Was allerdings eine riskante Idee war. Erstens regnet es an der Pazifikküste weitaus häufiger, als es schneit, zweitens lebten dort Anfang des 20. Jahrhunderts längst nicht so viele Menschen wie im Osten. Selbst in Vancouver, dem wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum British Columbias, waren es nach der Jahrhundertwende nur knapp 150.000.

Lester und Frank ließen sich trotzdem nicht von ihren Plänen abbringen und steckten das Geld ihres Vaters in den Bau zweier Eishallen in Vancouver und Victoria, die ersten mit Kunsteis in ganz Kanada. Nur einen Monat nach der Fertigstellung der beiden Hallen im Dezember 1911 gründeten sie die Pacific Coast Hockey Association (PCHA) und lockten zahlreiche Spieler aus Ontario und Québec mit dicken Gehaltschecks an. Darunter auch Superstar „Fred“ „Cyclone“ Taylor, der sich wieder mal fürstlich entlohnen ließ. Nicht ganz zufällig nannte sich sein Team Vancouver Millionaires.

Die PCHA entwickelte sich zu einer der wichtigsten Ligen der Eishockey-Geschichte. Und das nicht nur, weil sie den Westen sowie Teile der USA (Seattle, Portland) eroberte, sondern weil sie das Spiel auf dem Eis für immer verändern sollte. Den Patrick-Brüdern – Spieler, Manager, Trainer, Ligabesitzer in einem – war eins bewusst: Zwei schicke Hallen und mehrere Topspieler würden langfristig nicht reichen, um Profi-Eishockey im Westen zu einer Erfolgsgeschichte zu machen. Also trafen sie sich immer wieder mit „Cyclone“ Taylor, um Regeländerungen zu besprechen, die den Sport für die Zuschauer attraktiver machen sollten. Solche hatten sie bereits früher im Kopf, aber erst jetzt, als Besitzer ihrer eigenen Liga, konnten sie sie auch umsetzen.

So führten sie Rückennummern ein, damit die Fans immer wussten, welcher ihrer Lieblingsspieler gerade den Puck hat. In ihrer Liga durften sich Torhüter zum ersten Mal auf den Boden fallen lassen, um Schüsse abzuwehren, was deutlich mehr spektakuläre Paraden zur Folge hatte. Sie erfanden den Penaltyshot, weil sie wussten, dass die Zuschauer ein episches Eins-gegen-eins-Duell lieben würden. Sie führten Reihenwechsel und das dritte Drittel ein, damit die Spieler mehr Pausen haben, fitter sind und das Spiel am Ende nicht verflacht. Sie waren die ersten, die den Spielern Scorerpunkte für Assists gaben, und führten detaillierte Statistiken. Sie kamen auf die Idee, dass jedes Team ein Farmteam haben sollte. Sie erfanden die Play-offs, um am Ende der Saison ein paar Entscheidungsspiele mehr zu haben. Und, als wichtigste Neuerung überhaupt, sie erlaubten den Spielern, den Puck nach vorne zu passen, und machten Eishockey damit zum schnellsten Mannschaftssport der Welt.

Von einem Tag auf den anderen wurde der Pass zur wichtigsten Waffe im offensiven Eishockey. Vorher durfte der Puck wie beim Rugby immer nur nach hinten oder zur Seite gespielt werden. Erst diese entscheidende Regeländerung habe spätere Größen wie „Howie“ Morenz, Guy Lafleur oder Wayne Gretzky möglich gemacht, sagen Historiker. All diese Maßnahmen wurden schnell so populär, dass andere Ligen sie übernahmen. Und trotzdem war auch die Zeit der ersten Profiliga im Westen begrenzt. Zwar hielt die PCHA länger durch als die meisten anderen Profiligen ihrer Zeit, nach etwa zwölf Jahren war aber auch für sie Schluss. 1924 stellte die PCHA ihren Betrieb ein.

Die Ligen kommen und gehen

Im Osten lief es ähnlich unbeständig. Dort hatte sich die Eastern Canada Hockey Association (ECHA) aufgeschwungen, die Massen zu begeistern. 1905 ursprünglich für Amateure gestartet, wurde sie ab 1908 zur Profiliga und zur populärsten Liga ihrer Zeit, weil sie prominente Teams aus Montreal, Ottawa und Québec vereinte, die sich um den Stanley Cup stritten. Doch trotz der guten Voraussetzungen existierte auch die ECHA gerade mal vier Jahre. 1909 zerstritten sich die Teambesitzer, lösten die Liga gleich wieder auf und gründeten zwei neue, die sich als erbitterte Rivalen verstanden: die Canadian Hockey Association (CHA) sowie die National Hockey Association (NHA), der direkte Vorgänger der NHL.


Gefahr aus dem Westen: 1915 gewannen die Vancouver Millionaires den Stanley Cup.

Der Wettstreit der beiden neuen Profiligen im Osten dauerte aber nicht mal acht Wochen, dann gab die CHA auch schon wieder auf, weil sie kaum Zuschauer anlockte und drei ihrer fünf Teams nun doch bei der eben noch so verhassten Konkurrenz mitspielen wollten. Die NHA nahm das Angebot dankend an und entwickelte sich in der Folge zur populärsten Profiliga Kanadas. Vor allem, weil sie im Vergleich zur parallel existierenden Ontario Professional Hockey League oder der Ligen im Westen den Vorteil hatte, Teams aus Großstädten zu beheimaten. Darunter so prominente wie die Montreal Canadiens, die damals noch größeren Montreal Wanderers, die alten Ottawa Senators oder bekannte Teams aus Toronto wie die Shamrocks oder Blueshirts, die als Vorgänger der Maple Leafs gelten – auch wenn das nicht ganz stimmt (mehr dazu in Kapitel 3).

All diese Teams stritten sich zudem um den Stanley Cup. Lange behielt die NHA die begehrteste Trophäe in der Geschichte des Eishockeys aber nicht für sich. Ab 1914 musste sich der Meister der NHA mit dem der neuen Pacific Coast Hockey Association der Patrick-Brüder um den Stanley Cup messen. Und nicht immer gewannen die großen Teams aus dem Osten, es dauerte nicht lange, da konnten die neuen aus dem Westen mithalten. Bereits 1915 gewannen die Vancouver Millionaires den Stanley Cup, 1917 waren die Seattle Metropolitans als erstes US-Team dran.

Der Anfang vom Ende: Der Streit mit Eddie Livingstone

Die beliebteste Liga blieb dennoch die NHA mit all ihren Großstadt-Teams aus dem Osten. Doch trotz guter Finanzen und des großen öffentlichen Interesses – nicht selten kamen 6000 oder mehr Zuschauer zu den Spielen – lief auch in der NHA nicht alles rund. Diverse Streitigkeiten, Intrigen und Kleinkriege zwischen den Teambesitzern gaben der Liga manchmal den Charakter einer Seifenoper.

Besonders ein Mann tat sich dabei hervor: Edward „Eddie“ Livingstone, den Eishockey-Historiker D’Arcy Jenish wie folgt beschreibt: „Ein schmächtiger, bebrillter Mann, der das sanfte Benehmen eines Pfarrers hat, aber die penible Persönlichkeit eines Steuerfahnders oder eines Zöllners. Er war stets von der unweigerlichen Richtigkeit seiner Position überzeugt und bereit, bis zu seinem letzten Atemzug zu kämpfen, um sie zu verteidigen.“

Von Beginn an war der Sohn eines schwerreichen Unternehmers für immer neue Schlammschlachten und Kleinkriege verantwortlich. Es gab kaum einen Teambesitzer, mit dem Livingstone nicht ständig aneinandergeriet, kaum eine Saison, in der er keine Absprachen brach oder halbseidene Tricks bei Spielerverpflichtungen ausprobierte. Das machte die Konkurrenz regelmäßig rasend, erst recht, wenn Livingstone mal wieder drohte, mit seinen Teams in die USA zu gehen, wenn er nicht das bekam, was er wollte. Hatte er sich für einen Spieler entschieden, scheiterte aber, beschimpfte er ihn über die Presse und stellte öffentlich dessen Charakter in Frage. Auch seine Zahlungsmoral soll nicht immer die beste gewesen sein. Das Problem war allerdings: Es gab keine rechtliche Handhabe, ihn aus der Liga zu werfen. Er musste freiwillig gehen, aber daran verschwendete er keinerlei Gedanken.

Für den vorläufigen Tiefpunkt im Verhältnis zwischen ihm und dem Rest der Liga sorgte er kurz vor der Saison 1915/16. Livingstone besaß bereits die Toronto Shamrocks, als er auch den Lokalrivalen Blueshirts kaufte. Das sorgte schnell für Kritik: Eine Person solle nicht über zwei Teams in derselben Liga bestimmen können, hieß es. Und es dauerte nicht lange, da zeigte sich, warum: Im Westen hatten die Patrick-Brüder gerade ein neues Team in Seattle gegründet, um den US-Markt zu erobern. Dafür warben sie zahlreiche Spieler der Blueshirts ab, was Livingstone aber nicht störte.

Er transferierte einfach sämtliche Spieler von den Shamrocks zu den Blueshirts. Irgendwann standen die Shamrocks fast ohne Spieler da, und Livingstone machte keine Anstalten, das noch zu ändern. Stattdessen versuchte er nun, das Team zu verkaufen. Was so kurz vor der Saison und ohne Spieler aber natürlich nicht klappte. So mussten die Shamrocks die Saison absagen, die NHA ging mit nur noch fünf Teams an den Start. Folglich musste an jedem Spieltag eine andere Mannschaft aussetzen und konnte kein Geld verdienen. Die anderen Besitzer schäumten vor Wut, doch Livingstone war sich keiner Schuld bewusst und profitierte nebenbei: Statt wie in der Vorsaison einen lokalen Konkurrenten zu haben, konzentrierte sich die komplette Aufmerksamkeit Torontos nun auf ein Team. Sein Team.

Vor der nächsten Saison kam die Diskussion aber erneut ins Rollen. Ein sechstes Team sollte her. Und es kam eins: Im Sommer kaufte niemand geringeres als die kanadische Armee die Rechte der pausierenden Shamrocks und gründete ihr eigenes Team. Das Militär hatte mittlerweile so viele Eishockey-Spieler in seinen Reihen, dass es in diversen Amateurligen eigene Teams stellte. Nun wagte es sich unter dem Namen „228. Battalion“ auch in den Profibereich. Was in der nationalistisch-aufgeheizten Kriegsatmosphäre begeistert von den Fans aufgenommen wurde. Sofort wurde das 228., das sein Zuhause ebenfalls in Toronto hatte, das beliebteste der Liga. Livingstone gefiel das natürlich weniger – und er brauchte nicht lange, um sich mit der Armee anzulegen. Der Anfang vom Ende für die NHA.

Die Liga war seit Jahren ins Visier der Armee geraten. Wie in vielen Ländern interessierten sich auch die kanadischen Streitkräfte für die heimischen Sportler. Junge Männer mit Teamgeist und körperlich guter Verfassung standen ganz oben auf der Wunschliste. Zu Beginn des „Großen Krieges“ warben hochrangige Militärs gezielt bei den Eishockey-Klubs. „Das größte Spiel eures Lebens“ sei der Weltkrieg, lautete der Spruch. Und zahlreiche Spieler folgten dem patriotischen Ruf, weil sie davon überzeugt waren, nach wenigen Monaten wieder zurück zu sein. Selbst der damals erst 14-jährige „Howie“ Morenz meldete sich freiwillig, allerdings fiel auf, dass er bei seinem Alter gelogen hatte, und er wurde heimgeschickt. Andere wie Conn Smythe, damaliger Topspieler und später Manager der Maple Leafs, lernten die Schrecken des Krieges hautnah kennen. Die Schlacht im fernen Europa wurde ein grausames Gemetzel mit Millionen Toten und einem in Teilen zerstörten Kontinent. Smythe selbst wurde in seinem Flugzeug abgeschossen und blieb 14 Monate in Kriegsgefangenschaft. Niemand rechnete damit, dass er dort lebend rauskommt, aber er hatte im Gegensatz zu vielen anderen Glück.

Daheim in Kanada wurde derweil weiter Eishockey gespielt. Und es standen mal wieder große Veränderungen an. Dass die Saison 1916/17 die letzte der NHA sein würde, konnte zu Beginn der Spielzeit jedoch niemand ahnen. Zu gefestigt wirkte die Liga, der selbst die aggressive Transferpolitik der PCHL im Westen sowie der seit zwei Jahren tobende Weltkrieg nichts anhaben konnten. Trotz der fehlenden Spieler schafften es die NHA-Teambesitzer jedes Jahr, konkurrenzfähige Mannschaften aufs Eis zu stellen und einen spannenden Wettbewerb zu garantieren. Und mehr noch: Wenn nun selbst die Armee mit einem eigenen Team dabei ist, dann handelt es sich wahrlich um ein seriöses Business, hieß es allerorten.

Endlich schien die Zeit der ständig wechselnden Ligen vorbei zu sein, endlich kam so etwas wie Konstanz in den professionellen Eishockey-Betrieb. Da störte es auch nicht, dass die Blueshirts gleich am ersten Spieltag in Montreal ohne ihren Stammtorhüter Claude Wilson auskommen mussten, weil der den Zug verpasst hatte. Insgesamt war die NHA gesund, der Sport hatte ein gutes Niveau, die Fans kamen, das Geld floss.

Der Streit mit dem Militär eskaliert

Doch es gab ja immer noch Eddie Livingstone, der bereits während der Saisonvorbereitung Streit mit dem neuen Lokalrivalen suchte. Der Besitzer der Blueshirts hatte dem 228. Battalion seinen Goalie Percy LeSueur im Tausch für Topstürmer Gordon Keats gegeben. Nur weigerte sich LeSueur, für das Armeeteam zu spielen, weil er dann parallel auch seinen Militärdienst hätte antreten müssen. Also verlangte das 228. Battalion, dass der Wechsel rückgängig gemacht wird. Doch Livingstone dachte gar nicht daran. Es sei nicht sein Problem, ließ er verlauten. Prompt drohte die Armee, die Liga gleich wieder zu verlassen. Erst nachdem die Liga-Verantwortlichen zwischen den beiden Parteien vermittelten, beruhigten sie sich.

Es dauerte nicht lange, da gerieten die Teams allerdings erneut aneinander. Zunächst nach einem Derby im Januar, in dem beide Seiten überhart zu Werke gingen. Zweieinhalb Wochen später, kurz vor dem nächsten direkten Duell der Teams aus Toronto, forderte das Armeeteam, Livingstone müsse Keats zumindest für dieses Spiel draußen lassen. Wenig überraschend kümmerte das den streitbaren Besitzer nicht. Er lasse gar keinen Spieler draußen, tönte er, eher lasse er das ganze Spiel ausfallen. Tagelang war das Theater Gesprächsthema in Toronto. Beide Seiten befeuerten den Streit immer weiter mit neuen Vorwürfen und Drohungen. Die Zeitungen berichteten aufgeregt, was die NHA-Bosse erneut veranlasste, zur Mäßigung aufrufen. Man schade doch nur dem Ansehen der Liga und damit dem Profit.

Den Bossen der Armee reichte es nun endgültig. Die Idee hinter dem Engagement im ProfiEishockey war es, die Truppe in Zeiten des Weltkriegs bei Laune zu halten und das Ansehen des Militärs in der Bevölkerung weiter zu steigern. Stattdessen verstrickte es sich nun in öffentliche Schlammschlachten mit einem selbstsüchtigen Teambesitzer. Das sei der Armee nicht würdig, sagte ein hoher Offizier in einem Zeitungsinterview: „Wir sind gründlich angewidert von dem schlechten Ruf, den uns die Verbindung mit dem Eishockey eingebracht hat. Ich bin der Meinung, dass es für jeden im 228. besser gewesen wäre, wenn wir uns überhaupt nicht mit Profisport beschäftigt hätten“, sagte er den „Daily News“. Nur einen Tag später wurde das 228. Battalion aus der Liga genommen, nach Halifax gebracht und auf seinen Einsatz an der Front in Europa vorbereitet.

Die Nachricht verbreitete sich wie eine Schockwelle durch die Eishockey-Welt. Statt langfristig von der Zusammenarbeit mit der Armee zu profitieren, war daraus binnen weniger Monate ein PR-Desaster geworden. „Der Zustand der National Hockey Association lässt sich als chaotisch beschreiben“, kommentierte der „Ottawa Citizen“.

Zudem stand die NHA erneut nur mit fünf Teams da. Und wieder war es Eddie Livingstone, der mit seinen Spielchen und Machtkämpfen dafür gesorgt hatte. Diesmal war es aber noch schlimmer als in der Vorsaison, nun zog sich ein Team während der Saison zurück. Wie sollte es also weitergehen? Was passiert mit den 13 bereits absolvierten Partien? Spätestens jetzt waren die Besitzer der übrigen Teams mit ihrer Geduld am Ende. Ständig aussetzen zu müssen, koste zu viel Geld. Außerdem lohne sich die weite Reise nach Toronto nicht, wenn ihre Klubs dort nur ein Spiel machen könnten, schreibt Andrew Ross in „Joining the Clubs“.

Komplott gegen Livingstone

Die Zukunft sollte in einem eilig einberufenen Not-Meeting besprochen werden. Und das wurde sie auch – ohne Livingstone, der nicht erschienen war. Ergebnis der Zusammenkunft: Für eine passende Anzahl an Mannschaften mussten nun auch die Toronto Blueshirts die Liga verlassen. Der andere Grund für den Ausschluss: So konnte man auch endlich den ungeliebten Livingstone loswerden. Das Problem war allerdings, dass die Liga langfristig ein Team aus Toronto brauchte. Nur wie sollte man das hinbekommen, ohne bald wieder mit dem Querulanten zusammenarbeiten zu müssen?

Für den Rest der Saison sollte es erst mal ohne ihn gehen, hatten die Blueshirts doch ohnehin keine Chance mehr, das Finale zu erreichen. Also teilten sie die Spieler unter den anderen Teams auf. Livingstone protestierte zunächst nicht mal. Man munkelte, dass es ihm so spät in der Saison egal gewesen sei, da sein Team ohnehin nur noch zwei Heim- und fünf Auswärtsspiele hatte. So konnte er die Gehälter sowie die Reisekosten für die letzten Wochen der Saison sparen. Er ging ja davon aus, zur neuen Saison wieder dabei zu sein.

Doch das wollten die anderen Teambesitzer verhindern und stellten ihm ein Ultimatum: Entweder verkauft er seine Anteile an den Blueshirts oder das Team wird auch für die nächste Saison gesperrt. Livingstone war außer sich, weil ihm langsam dämmerte, was der wahre Plan der Konkurrenz war: Man wollte ihn dauerhaft ausschließen. Als er herausfand, dass die anderen Vereine seinen Spielern bereits Jobs für die spielfreien Sommermonate in ihren Städten besorgt hatten, verklagte er die Liga sowie die restlichen Teambesitzer – das Tischtuch war endgültig zerschnitten. Niemand wollte noch länger mit Livingstone zusammen in einer Liga spielen. Nur war da immer noch der Umstand, dass sie keine Möglichkeit hatten, ihn auf legalem Wege aus der NHA zu werfen.

Also heckten sie einen raffinierten Plan aus, der bis heute der Gründungsmythos der NHL ist. Am 26. November 1917 trafen sich die übrigen vier Teambesitzer im Windsor Hotel in Montreal und fassten einen weitreichenden Beschluss: Anstatt ihren Widersacher dazu zu bringen, die NHA zu verlassen, verabschiedeten sie sich selbst und gründeten eine neue Liga. Was Livingstones Intimfeind, Sam Lichtenstein, Besitzer der Montreal Wanderers, gegenüber einem Reporter süffisant zusammenfasste: „Wir haben Livingstone nicht rausgeworfen, er hat immer noch sein Franchise in der alten National Hockey Association, er hat sein Team, und wir wünschen ihm alles Gute. Das einzige Problem ist, dass er jetzt in einer Ein-Team-Liga spielt.“ Der Rest startete derweil in einer neuen Liga: Die National Hockey League war geboren.

Die stärkste Liga der Welt

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