Читать книгу Die Kreaturen von Xorum: Die Raumflotte von Axarabor - Band 219 - Bernd Teuber - Страница 10
5
ОглавлениеNicht weit von dem Rudel entfernt, aber durch eine leicht hügelige Landschaftsform vor ihren Blicken verborgen, war ein alter Mann dabei, die Blüten von einigen Pflanzen zu schneiden, die in der Gegend nicht häufig anzutreffen waren. Hako Rayl war mit sich zufrieden. Die Blüten, die er hier gefunden hatte, würden ihn für einige Monate mit schönen Träumen versorgen.
Rayl war alt; sein Gesicht faltig. Dennoch hatte er sich eine gewisse Frische im Aussehen bewahrt, wie man sie häufig bei alten Menschen findet, die zwar ihr Alter anerkennen, aber immer noch eine Aufgabe zu erfüllen haben, die ihre ganze Spannkraft und Energie beanspruchte und ihnen keine Zeit lässt, geistig wie körperlich zu verfallen.
Rayl besaß eine große, langgezogene, gerade Nase, hoch angesetzte Wangenknochen und leicht wulstige Lippen. Einst gehörte er zur Raumflotte von Axarabor und hatte es dort bis zum Major gebracht. Er hatte an mehreren Kampfhandlungen teilgenommen. Während der Schlacht um Dormus wurde er so schwer verwundet, dass er ein Jahr nicht gehen konnte. Nur seiner eisernen Disziplin verdankte er es, dass er nicht den Rest seines Lebens auf Prothesen angewiesen war.
Aber diese Verletzung sorgte auch dafür, dass er nie wieder an Kampfhandlungen teilnehmen konnte. Bis zu seiner ehrenhaften Entlassung verrichtete er deshalb im Planungsstab seine Arbeit. Außerdem war er maßgeblich an der Entwicklung neuer Kampfanzüge beteiligt, die ihre Träger durch spezielle Funktionen vor allzu großen Verletzungen bewahrten. Nach seiner Militärzeit ließ Rayl sich auf Xorum nieder. Er wohnte in einem kleinen Haus außerhalb der Ortschaft. Hier fand er die Ruhe, die er brauchte.
Das lange, fast weiße Haar hielt er mit einem Stirnband aus blauem Tuch zusammen. Die Last der Jahre hatte es nicht vermocht, seine breiten Schultern zu beugen. Die dunklen Augen schimmerten unergründlich. Bekleidet war er mit einer dunkelblauen Hose, einem roten Hemd und flachen Schuhen aus Lederimitat.
Plötzlich hielt er mitten in der Bewegung inne, die Blüten abzuschneiden. Er hob den Kopf und lauschte in die Dunkelheit. Doch es war nichts zu hören. Nicht mit den Ohren. Aber Rayl hörte mit seinem gesamten Körper und Geist und empfing die unsichtbaren Schwingungen, die sich plötzlich im Äther befanden und ihn auf eine besondere Weise beunruhigten. Er hatte diese Technik während seiner Ausbildung gelernt. Sie sollte den Soldaten dabei helfen, Gefahren rechtzeitig zu spüren. Mehrmals hatte ihm diese Fähigkeit das Leben gerettet.
Rayl fühlte eine Präsenz, die ihm Angst einjagte, obwohl er sie nicht hätte benennen können. Es war, als hätten sich jäh tausende mikroskopisch kleiner Eisnadeln in der Luft befunden, die alle auf einen Schlag hin in seinen Körper fuhren. Ein kalter, eisiger Hauch packte ihn und brachte seine Körperhaare dazu, sich zu sträuben. Nur selten zuvor in seinem Leben hatte Rayl ein solches Gefühl empfunden. Trotzdem wusste er es zu deuten. Und schon das Wissen belastete ihn.
Langsam erhob sich Rayl, die Schere mit den scharfen Schneiden in der linken Hand, und wandte sich um, in die Richtung, aus der er die Gefahr vermutete. Leise spielte der leichte, warme Wind mit seinen Haarspitzen. Und dennoch fror Rayl. Seine Augen verrieten nichts von der Angst, die er empfand. Gelassen, fast trotzig schauten sie auf einen imaginären Punkt in der Dunkelheit. Er kannte nicht den exakten Grund für sein Empfinden, trotzdem wusste er, dass er jetzt wachsam sein musste, wollte er das Schlimmste verhindern.
Plötzlich drehte der Wind auf südliche Richtung und wurde von einem Moment auf den anderen eiskalt. Rayl spürte den Atem des Todes. Unvermittelt trug der Wind ein leises Knurren an seine Ohren. Ein Schauer schüttelte den Körper des alten Mannes. Ich bin hier , dachte er. Und ihr wisst, dass ich hier bin. Abrupt wandte er sich ab. Er stieß die Schere in die Lederscheide an seinem Gürtel, bückte sich nach dem Bündel mit den Blüten und setzte sich langsam in Bewegung.
Im selben Moment sah er den Ring von Silhouetten, die ihn eingekreist hatten. Neun Tiere zählte er. Sie schienen zu warten. Ein vielstimmiges Knurren ertönte. Woher kamen sie? Rayls fliegende Gedanken fanden keinen festen Ankerpunkt in der Furcht, die diese gespenstische Szene ihm einflößte. Entschlossen ging er weiter. Zurückweichen konnte er nicht. Die Tiere hätten es als ein Zeichen von Schwäche angesehen. Bewegung kam in die Kreaturen. Sie liefen auf ihn zu. Es lag etwas Drohendes in ihrem Gebaren.
Eines der Tiere löste sich aus dem Rudel. Es war etwas größer als die anderen und hatte eine riesige Schnauze mit langen Fangzähnen. Geifer glänzte auf den hochgezogenen Lefzen. Die Pranken trugen mörderische Krallen. Ein dumpfes, hasserfülltes Knurren entrang sich der Kehle. Die Bestie spannte ihre Muskeln und sprang vorwärts. Rayl wandte sich um und floh. Ihm war klar, dass er einen Wettlauf mit dem Tod austrug. Wenn das Tier ihn einholte, war er verloren. Die anderen Kreaturen setzten sich ebenfalls in Bewegung. Mit großen Sätzen folgten sie ihrem Anführer.
Obwohl Rayl spürte, dass seine Kräfte stark nachließen, lief er weiter, so schnell er konnte. Warum hatten sich die Tiere ausrechnet ihn ausgesucht? Aus welchem Grund trachteten sie ihm nach dem Leben? Hinter ihm knurrten die Verfolger. Die Tiere hatten aufgeholt. Als Rayl sich dieser erschreckenden Tatsache bewusst wurde, war er nahe daran, aufzugeben. Wozu noch fliehen? Wozu sich noch verausgaben? Es hatte ja doch keinen Sinn mehr.
Sie kriegen dich! , schrie es in ihm. Du entkommst ihnen nicht!
Sein Selbsterhaltungstrieb jagte ihn weiter. Rayl setzte seine allerletzten Kraftreserven frei. In seiner Kehle brannte ein heißes Feuer. Sämtliche Muskelfasern schienen zu glühen. Ich kann nicht mehr , dachte er verzweifelt. Ich bin am Ende! Es ist aus!
Rayl wankte noch ein paar Schritte weiter, dann musste er aufgeben. Sein Kraftpotenzial war erschöpft. Mit einer schnellen Bewegung drehte er sich um. Im selben Moment sprang der Anführer auf ihn zu und riss ihn zu Boden. Dann schlug er Rayl die spitzen Krallen in den Hals. Blut schoss heraus. Nun stürzten sich auch die anderen Tiere auf den wehrlosen Mann. Mit ihren scharfen Zähnen zerrissen sie die Kleidung, bissen in die Haut und zerrten die Eingeweide heraus. Erst nachdem sich Rayls Körper in eine unförmige, fleischige Masse verwandelt hatte, ließen sie von ihm ab. Der Anführer stieß ein dumpfes Knurren aus und verschwand in der Dunkelheit. Seine Artgenossen folgten ihm.