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Teil 1 Vollstreckung I Verteidigung und Rechtsbehelfe › IV. Akteneinsicht

IV. Akteneinsicht

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Wer in einer Vollstreckungssache verteidigt, muss über den Ablauf der bisherigen und bevorstehenden Vollstreckung informiert sein. Die Verteidigung im Hauptverfahren endet meist mit dem Strafantritt des Verurteilten. Häufig beginnt das Mandat neu, u.U. erst einige Zeit nach der Verurteilung, während der Verurteilte sich bereits Jahre im Vollzug befindet. Die Fortsetzung oder die Übernahme eines Mandats in der Vollstreckung und im Vollzug ist anspruchsvoll und erfordert ein gewisses Maß an Spezialisierung. Eine Einarbeitung in die Strukturen der Vollstreckungsbehörde (Zuständigkeit der StA gem. § 451 StPO), der StVK (Zuständigkeit gem. § 462a StPO), der JVA (die Zuständigkeit gem. Vollstreckungsplan der einzelnen Bundesländer), der Bewährungshilfe (§ 56d StGB) und Führungsaufsichtsstelle (§ 463a StPO) ist Grundvoraussetzung für eine sachgerechte Vertretung. Wie im Hauptverfahren ist gründliche Aktenkenntnis erforderlich. Im Vollstreckungsverfahren muss die Verteidigung zunächst wissen, wo sich welche Akten befinden, wie und wo man sie einsehen kann.

Teil 1 Vollstreckung I Verteidigung und RechtsbehelfeIV › 1. Vollstreckungs- und Bewährungsheft

1. Vollstreckungs- und Bewährungsheft

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Die nach Rechtskraft vorkommenden Vollstreckungsmaßnahmen und -entscheidungen werden meist in besonderen Vollstreckungsheften (§§ 15, 16 StVollstrO) gesammelt. Akteneinsichtsanträge müssen sich deshalb ausdrücklich auf das Vollstreckungsheft beziehen. Darüber, ob Gnadenvorgänge in besonderen Akten zu sammeln sind oder auch im Vollstreckungsheft geführt werden, haben die Bundesländer sehr verschiedene Bestimmungen. Die Vollstreckungshefte werden bei der Vollstreckungsbehörde geführt. Die in der Strafverfolgung zuständige StA nimmt als Vollstreckungsbehörde auch gegenüber der StVK bei einem anderen LG (u.U. in einem anderen Bundesland) die Aufgaben der StA wahr (§ 451 Abs. 3 StPO). Der Vollstreckungsrechtspfleger führt das Vollstreckungsheft. Beginnend mit dem Urteil folgt als entscheidendes Formular das Vollstreckungsblatt mit der Strafzeitberechnung. Es enthält die wichtigsten Daten des Verurteilten und die formellen Angaben über die zu vollstreckenden Straferkenntnisse. Daraus ergibt sich die Vollstreckungsreihenfolge, d.h. ob es sich um eine Freiheitsstrafe, um einen Strafrest nach Widerruf oder um eine Ersatzfreiheitsstrafe handelt, wann die Vollstreckung begonnen hat oder beginnen soll, wenn nicht zwischenzeitlich ausgesetzt wird, sowie der Unterbrechungszeitpunkt, die Vollstreckungsreihenfolge und das Strafende.

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Der Antrag auf Akteneinsicht in das Vollstreckungsheft ist an die Vollstreckungsbehörde unter Angabe des StA-Aktenzeichens (VRs) zu richten. Die Akteneinsicht erfolgt meistens auf der Geschäftsstelle der StA. Die Vollstreckungshefte werden in der Regel (trotz RiStBV Nr. 187 Abs. 2) nicht versandt.[1] Dies kann regional unterschiedlich gehandhabt werden. Besondere Umstände können auch die Versendung in eine auswärtige Kanzlei erforderlich machen.

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In Bewährungsverfahren werden in allen Bundesländern von der Vollstreckungsbehörde und den Gerichten besondere Bewährungshefte geführt. Sie beginnen mit der Aussetzungsentscheidung, enthalten die Vorgänge über die Bewährungsaufsicht und enden mit dem Straferlass oder dem Widerruf. Anträge auf Akteneinsicht während des Laufs einer Bewährung müssen also entweder diese Vorgänge besonders bezeichnen oder das Bewährungsheft aufführen (mit BRs-Aktenzeichen).

Teil 1 Vollstreckung I Verteidigung und RechtsbehelfeIV › 2. Akten der Führungsaufsichtsstelle

2. Akten der Führungsaufsichtsstelle

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Die Führungsaufsichtsstelle führt neben der StVK eigene Akten. Es empfiehlt sich im Verfahren zur Änderung oder Aufhebung von einzelnen Weisungen sowie wegen der Beendigung der Führungsaufsicht, sich umfassende Aktenkenntnis zu verschaffen. Mit der Reform der Führungsaufsicht 2007 sind die Überwachungsaufgabe und die Offenbarungspflicht stark ausgeweitet worden (§§ 68a StGB, 463a StPO). Entsprechend ist auch das Datenmaterial über die verurteilte Person gewachsen. Aufgabe der Verteidigung ist es, die unkontrollierte Weitergabe von Daten zu überprüfen. Der Gesetzgeber hat mit § 68a Abs. 8 StGB veranlasst, eine strikte Zweckbindung bei der Nutzung der offenbarten Geheimnisse zu schaffen.[2] Die Geheimnisoffenbarung, die z.B. gegenüber der Aufsichtsstelle erfolgt, weil eine Gefahr für Dritte besteht, darf also nur für die Einleitung von Gefahrenabwehrmaßnahmen genutzt werden, nicht aber zu Beweiszwecken in einem Strafverfahren. Oft ist bei der gegenseitigen Informationspflicht der Behörden nach § 68a StGB und entsprechenden Helferkonferenzen der Betroffene ausgeschlossen.[3]

Teil 1 Vollstreckung I Verteidigung und RechtsbehelfeIV › 3. Gefangenenpersonalakte (GPA)

3. Gefangenenpersonalakte (GPA)

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Das Vollstreckungsblatt der Vollstreckungsbehörde hat ein Gegenstück in der GPA bei der Vollzugsgeschäftsstelle der JVA. Beide Stellen kontrollieren einander gegenseitig, indem die Vollstreckungsformulare ständig in Übereinstimmung gehalten werden (§§ 35 Abs. 1 Buchst. d, 36 Abs. 1 S. 2 StVollstrO). Beide Formulare werden laufend der jeweiligen Vollstreckungslage angepasst. Es ist unerlässlich, dass die Verteidigung eine Kopie davon hat; der Verurteilte hat einen Anspruch auf Aushändigung des Vollstreckungsblattes gegenüber der JVA.

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In der JVA ist eine GPA zu führen, die sämtliche Daten über den Vollzugsverlauf des Gefangenen enthalten muss (§§ 183 ff. StVollzG). Das Recht auf Einsicht in diese Vorgänge ist nicht nur ein vollzugsrechtliches Problem, wie allgemein angenommen wird, sondern übergreifend auch ein vollstreckungsrechtliches. Akteneinsicht und Auskunft an den Betroffenen wird durch § 185 StVollzG geregelt. Der Gefangene (und seine Verteidigung) haben Anspruch auf Einsicht, wenn und soweit dies zur Geltendmachung der rechtlichen Interessen gebraucht wird.[4] Der Auskunftsanspruch wird grundsätzlich schrankenlos gewährt. Ihm können überwiegende Interessen der Anstalt oder die Schutzbedürftigkeit der Informationsquelle entgegenstehen. In der praktischen Umsetzung wird dieses Recht erheblich erschwert: Die GPA kann nur auf der Geschäftsstelle der JVA und im Beisein eines Beamten eingesehen werden (zum Maßregelvollzug s.u. Rn. 64). Sie wird nicht frei zur Verfügung gestellt, sondern der Verurteilte oder seine Verteidigung muss den Vorgang, der die Akteneinsicht betrifft, benennen. Wenn es sich um einen Vorgang handelt, der erst aus den Akten ersichtlich sein kann, wird dies schwierig. Teilweise wird verlangt, dass der Gefangene konkret vortragen muss, warum die Auskunft nicht ausreicht, und darlegen muss, dass er seine Rechte ohne die Akteneinsicht nicht geltend machen kann.[5]

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In der GPA erfolgt eine Differenzierung durch verschiedene „Heftnadeln“: Disziplinarmaßnahmen werden in einer gesonderten Liste geführt; die Anträge des Gefangenen (zu Einkauf, Besuch, Freizeit etc.) werden in einer anderen Liste abgeheftet. Führungsberichte und psychologische Stellungnahmen finden sich auf einer anderen Nadel als Einschätzungen zu besonderen Sicherheitsvermerken. Bei einer eingeschränkt gewährten Akteneinsicht erfährt die Verteidigung nur einen Ausschnitt der gesammelten Unterlagen. Wenn es aber um die Kriminalprognose oder um die Fluchtprognose geht, wird kaum etwas ausgenommen werden dürfen.

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Sicherheitsrelevante Informationen kann die Vollzugsanstalt nach § 185 StVollzG i.V.m. § 19 Abs. 4 BDSG sperren. Gegen diese Sperrerklärung kann der Gefangene sich an den Landesbeauftragten für den Datenschutz wenden. Anders ist der Rechtsweg, wenn die StVK – im Vollstreckungsverfahren oder wenn es sich um eine Vollzugssache nach §§ 109 ff. StVollzG handelt – die GPA beiziehen will, indem sie ein Übersendungsersuchen an die Vollzugsanstalt richtet, und diese die Übersendung aus Sicherheitsgründen ablehnen will. Einem solchen Ersuchen muss die Vollzugsanstalt nach Art. 35 Abs. 1 GG i.V.m. § 180 Abs. 6 StVollzG grundsätzlich nachkommen.[6]

Teil 1 Vollstreckung I Verteidigung und RechtsbehelfeIV › 4. Vollstreckungsakten der StVK

4. Vollstreckungsakten der StVK

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In einigen Bundesländern führt die StVK eigene Akten. Mit der Antragstellung bzw. der von Amts wegen zu prüfenden Aussetzungsreife zum Zweidrittelzeitpunkt wird bei der StVK eine Vollstreckungsakte angelegt (gilt für die Maßregelvollstreckung entsprechend). Sie besteht zunächst nur aus dem Urteil. Für die Entscheidungen über die Aussetzung eines Strafrestes oder der Fortdauer der Unterbringung kommt es maßgeblich auf die Entwicklung des Verurteilten im Vollzug an (§ 57 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 Nr. 2 StGB). Bei der Maßregelaussetzung aber auch für viele andere Vollstreckungsentscheidungen liefert die GPA das nötige Tatsachenmaterial. Vielfach begnügen sich Gericht und Verteidigung mit dem Führungsbericht der Anstalt. Das ist oft sachgerecht, zumal die GPA als „Sammelakten“ schwer zu lesen sind. Trotzdem enthalten sie, vor allem bei Langstraflern, regelmäßig eine Fülle von wichtigen Informationen.[7] Die Verteidigung muss ein möglichst breites Spektrum für die Beurteilung des Verurteilten zusammentragen: dazu gehören die Gutachten und Strafzumessungserwägungen aus dem Hauptverfahren, Belege über therapeutische Gespräche und die Mitarbeit im Vollzug, soweit sie in den Führungsberichten nicht ausreichend gewürdigt wurden. Ggf. sind die gesamte GPA und u.U. die Ermittlungsakten beizuziehen.

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Ohne das Recht der Verteidigung auf Einsicht in diese Akten, wenn es auf ihren Inhalt nur irgend ankommen kann, ist ein den rechtsstaatlichen Erfordernissen entsprechendes Vollstreckungs- (oder Vollzugs-)verfahren nicht zu führen. Ein maßgeblicher Teil der tatsächlichen oder vermeintlichen Fakten, die in der Stellungnahme der Anstalt oder in einem Sachverständigengutachten erscheinen oder dort ausgelassen werden, ist ohne Akteneinsicht keinerlei Kontrolle zugänglich. Das Verfahren ist dann in wesentlichen Punkten eine Art Geheimprozess. Es verstößt gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens i.S.d. Art. 6 EMRK, der auch in der Vollstreckung zu beachten ist. Die ganz überwiegende Praxis ist der Auffassung, die Gewährung von Einsicht in die GPA liege im Ermessen der Vollzugsbehörden. Das ist bisher stets von den Gerichten gebilligt worden; allerdings hat man sich in einer Reihe von Fällen der Rechtsfigur des „auf Null geschrumpften“ Ermessens bedient, um grobem Missbrauch entgegenzutreten.[8] Dabei ist die Praxis der Vollzugsbehörden durchaus nicht einförmig: im Verfahren nach § 57a StGB werden die GPA selbstverständlich herausgegeben. Sie sind denn auch für die Beurteilung der Persönlichkeit des Gefangenen eine Fundgrube.[9] Im Verfahren zur nachträglichen Sicherungsverwahrung gem. § 66b StGB ist die Akteneinsicht der vollständigen GPA sowohl für alle Gutachter als auch für das Gericht unabdingbar, weil sich neue Tatsachen nur aus dem Vollzugsverlauf belegen lassen.

Teil 1 Vollstreckung I Verteidigung und RechtsbehelfeIV › 5. Krankenakten

5. Krankenakten

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Zum Recht des Untergebrachten[10] auf Einsicht in seine Krankenunterlagen hat das BVerfG[11] klargestellt, das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und die personale Würde des Patienten gewährleiste das Einsichtsrecht des Einzelnen in die ihn betreffenden Daten. Dies gilt besonders für die im Maßregelvollzug Untergebrachten und die in Untersuchungshaft Befindlichen.[12] Akteneinträge im Maßregelvollzug können sich in vielfältiger Weise auf die Unterbringung auswirken; von ihnen hängen die Vollzugsgestaltung und die weitere Vollstreckung wesentlich ab. Es bestehe – so das BVerfG – an der Akteneinsicht im Maßregelvollzug ein besonders starkes verfassungsrechtlich geschütztes Interesse, denn ohne sie könne der Betroffene seine Ansprüche auf Berichtigung und Löschung falscher Information nicht verwirklichen.

Verteidigung in Vollstreckung und Vollzug

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