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Kapitel II ENDLOSE WEITEN
ОглавлениеAn den Landungsbrücken in Hamburg Sankt Pauli angekommen, bestiegen beide, Tom Have, sein Kamerad aus der Schule und Bernd, mit ihren standesgemäßen Seesäcken, die von der Schule zugeteilt worden waren, auf der Schulter, eine Barkasse, die sie um etliche Docks herum zu einer Werft tuckerte, in deren Trockendock ihr Frachter liegen sollte und den sie alsbald als steil aufragenden, verrosteten Kasten in gewaltiger Größe und Höhe vorfanden. Ein steiles Fallreep mit unendlichen Stufen führte an Deck, wo sie niemanden vorfanden und zunächst ratlos umherstanden. Niemand war zu sehen und das ganze Deck war zugestellt und übersät mit Gerätschaften, Materialien, Schläuchen und Maschinen der Werftarbeiter, die wohl gerade Pause machten, oder deren Schicht beendet war. In einer Kammer mittschiffs, an deren Tür sie anhaltend pochten, riet ihnen ein Mann, den wachhabenden Offizier, der unter Umständen auf der Brücke zu finden sein würde, aufzusuchen und um Rat zu fragen.
„Kommt ihr von der Seemannsschule?“ Fragte dieser, als er oben auf der Brücke in dem Kartenraum, einen Schmöker lesend, vorgefunden wurde. „Wir haben euch schon erwartet. Geht nach achtern und meldet euch bei der Deckmannschaft. Die werden jetzt in der Messe hocken. Die weisen euch eine Koje zu und teilen euch ein. Ihr wisst doch wo achtern ist? Das ist der Aufbau am Arsch des Schlurrens. Da hinten.“ Er zeigte, wo dahinten wäre.
„Noch so ein Arschloch,“ bemerkte Tom Have leise, als sie mit Ihren Seesäcken die Niedergänge hinabstiegen, um einen Weg über das Gerümpel auf dem Hauptdeck zu finden, das Achterschiff zu erreichen.
„So verrottet hab ich noch nie ein Schiff gesehen. Hoffentlich schwimmt der Kasten auch.“ Tom mußte es wissen. Er wohnte am Elbufer und hatte viele Schiffe gesehen.
Achtern fanden sie einen kleinen Aufbau und ein Schott, das auf einen dunklen Gang führte, hinter dessen erster Tür Stimmengewirr zu vernehmen war. Sie klopften laut, dass man hören möge und öffneten die Tür, um in einen verqualmten Raum zu starren, in dem sich allmählich viele Personen zu materialisieren begannen, die um zwei lange Tische, Backen genannt, auf parallelen Bänken saßen und Wolken von Tabaksrauch ausstießen, die sich durch die nun geöffnete Tür zu lichten begannen. Alle verstummten und musterten sie misstrauisch und erwartungsvoll.
„Zwei Deckjungen vom Heuerstall zur Anmusterung.“ Sagte Bernd laut. “Jemand zuständig?“ Aber keiner fühlte sich zuständig. „Bernd Meyer und Tom Have. Jemand soll hier sein und uns einweisen. Sagt der Wachhabende auf der Brücke.“
„Fritz,“ sagte ein älterer Mann,“ erheb dich und zeig denen die beiden leeren Kojen. Sie sollen sich umziehen und unten den Gang saubermachen.“
Fritz erhob sich, kam durch die Tür und bedeutete Tom und Bernd, ihm nach unten in das nächste Deck zu folgen, riß eine Kammertür auf und sagte, „einer hier,“ riß an einer weiteren Tür und sagte, „und einer hier. Ihr habts gehört. Was der Bootsmann gesagt hat. Zieht euch um und macht den Gang hier sauber. Wischen und so. Sucht euch Werkzeug. Liegt hier irgendwo rum. Und schmeißt den Dreck nicht über Bord, die Werftarbeiter mögen das nicht. Wenn es ihnen auf den Kopf regnet. Schmeißt den Dreck an Deck. Dann könnt ihr den Dreck über Bord schmeißen wenn wir auf See sind.“ Er ging und rief zum Abschied, „und beeilt euch. wir haben noch mehr Arbeit.“
„Noch so ein Arschloch,“ sagte Tom Have verhalten und blickte sich in dem dunklen Gang um. „Wie eine Rumpelkammer. Schutt, Schrott und Sperrmüll. Gib acht, dass du nicht kleben bleibst.“
Bernds Kammer war die exakte Kopie der Kammer Toms und des Ganges. Fetzen einer alten Tapete hingen von den Wänden. Der Boden war kniehoch bedeckt mit Papier, Pappe, leeren Bierflaschen und alten Klamotten, sowie mit aufgeschlitzten Matratzenteilen. Von der Decke perlte die abgeplatzte Farbe in großen Placken. Sie fanden in dem Müll auf dem Gang brauchbare Werkzeuge und Eimer und machten sich, wie befohlen, unverzüglich an die Arbeit, die sich endlos bis in die Nacht erstreckte. Schließlich war das Werk vollbracht. Der Gang und beide Kammern waren sauber und sie waren beide ziemlich fertig, als sie in die Kojen krochen, wo Bernd von seiner Kojenlampe einen elektrischen Schlag bekam, dass ihm die Haare zuberge standen. Die Sache mit der Seefahrt fing gut an und Tom meinte laut, “ich muß mir das noch überlegen. So hab ich mir das alles nicht vorgestellt. Ich werde mir das noch überlegen.“
Am folgenden Tag wurde Bernd zum Messedienst eingeteilt und machte somit Backschaft. Geschirr war zu spülen, Nahrung von Mittschiffs, wo die Kombüse von einem ebenso wortkargem, wie grimmigem Koch betrieben wurde, zu holen. Kaffee musste gebrüht und bereitgestellt werden. Die Backen und der Fußboden waren zu wischen, die Kakerlaken, die die Brotlaibe in den großen Brotkästen an der einen Wand belagerten, mussten verscheucht werden, um an das Brot zu gelangen, das in Scheiben feilzubieten war. In der Messe hielten sich nur relativ wenige Kakerlaken auf, da sie dort nicht sehr viel Ruhe genießen konnten. Dagegen waren sie unten im Wohndeck, dem Flur, zahlreich und verschwanden rasch hinter den Heizungsrohren, die als Fußleisten überall verliefen. Die Masse aber wohnte in den Kammern und insbesondere in Bernds Bett, aus dem sie an und in die Wände und die Decke flüchteten, sobald er sich hinlegte und nach einer Weile zurückkamen, über ihm und seiner requirierten Wolldecke, die vor Dreck starrte und sich kaum noch falten ließ, auszuschwärmen.
„Das macht nichts,“ sagte Dieter, der Leichtmatrose, der in der Koje unter Bernd schlief. „Das hält warm. Wenn wir in die Arktis fahren, wollen wir die Kakerlaken nicht missen.“
Dieter, Bernds Kammerkamerad, war sein Vorgesetzter. Alle Matrosen waren auch seine Vorgesetzten. Selbst der Jungmann, der bereits die zweite Stufe der Karriere des Deckdienstes erklommen hatte und somit ein Jahr lang zur See fuhr, war ein Vorgesetzter. Sie begannen Freude zu entwickeln, ihn und Tom Have, der an Deck eingesetzt wurde, Schutt und Müll umherzuschaufeln, zu scheuchen, wo immer sie ihrer ansichtig wurden.
„Ich muß mir das noch überlegen,“ sagte Tom Have. „Gibt ruhigere Berufe an Land.“
„In zwei Tagen docken wir aus,“ brüllte der Bootsmann in die Messe.“ Bis dahin muß das alles hier blitz und blank sein. Such dir einen Feudel.“ „Ich bin jetzt auf einem Schiff,“ sagte Bernd durch das Telefon, das er auf dem Werftgelände gefunden hatte, als der Bootsmann ihm eine Freistunde genehmigte, “in zwei Tagen laufen wir aus.“
“Das ist schön,“ sagte Bernds Mutter, „dann wirst du viel von der Welt sehen.“
„So ein Scheiß auch,“ fluchte Harry, “ich bin Zuhälter. Ich bin Wiener. Aber Zuhälter bin ich auf der Reeperbahn. Ich bin Zuhälter und habe zwei Ponnys laufen. Zwei junge Pferde. Die wird jetzt jemand anders reiten. So ein Scheiß auch. Ich bin auf der Flucht. Ich muß Hamburg verlassen. Ich muß Deutschland verlassen. Man will mich in den Knast sperren. Weil ich so einen verdammten Zuhälter in das städtische Krankenhaus geprügelt habe. Grad jetzt, wo es mir so gut geht.“ Er schlürfte den Kaffee, den Bernd ihm ausgegeben hatte, als er die Messe betrat und fragte, wo er sein Köfferchen hinstellen sollte. Harry hatte als Maschinenjunge über den Heuerstall angemustert und befand sich auf der Flucht vor den Häschern des Gesetzes, die ihm auf den Fersen waren, um ihn anderthalb Jahre in Santa Fu einzukerkern. Harry begann in der Heizermesse am Ende des Ganges zu leben und wurde dort als Messejunge eingeteilt.
„Noch so ein Arschloch,“ moserte Tom, als es ihm gelang, sich für eine Zigarette von Deck in die Messe zu stehlen. “Du hast hier einen guten Job.“ „Ich habe hier einen Scheißjob. Ich soll zusätzlich zu diesem Mist auch noch die Kammern der Decksmannschaft säubern.“
„Einer wird es machen müssen. Morgen laufen wir aus. Der Bootsmann sagt, wir fahren erst mal nach Kiel. Ich war noch nie in Kiel.“
„Du warst noch nie aus deinem Kaff irgendwo an der Elbe.“
„Meyer,“ brüllte ein Matrose und streckte den Kopf durch das Messeschott, “Heißt jemand hier Meyer? Haben wir einen Meyer?“
„Ich heiße Meyer,“ sagte Bernd überrascht.
„Wirklich? Hast du Eltern? Da stehen zwei Leutchen unten im Dock und wollen Meyer sehen. Was es so alles gibt. Melde dich beim Bootsmann ab, wenn du abentern willst. Sonst tritt er dir in den Arsch wenn du wieder aufgeentert bist.“
Mami und Stiefvater Paul standen als kleine Figuren ganz unten auf dem Deck des Schwimmdocks und ruderten wild mit den Armen als Bernd sich über die Reling beugte und sie seiner gewahr wurden. Oder seiner gewahr zu werden glaubten.
„Das ist ein riesiges Schiff,“ sagte Paul anerkennend,“ etwas verrostet.“
„Das ist alles Rost, Paul.“
„Mein Sohn fährt zur See,“ sagte Mami bewegt. „Ein tolles Schiff.“ „Sieh dir die Welt an.“
„Wie gern würde ich mitfahren.“
„Wir laufen morgen aus. Nach Kiel.“
„Nach Kiel. Wie gern würde ich mitfahren.“
„Ich muß jetzt gehen. Wir haben Kaffezeit. Die Leute wollen heißen Kaffee.“ „Laß es dir gut gehen. Und schreibe mal. Sieh dir die Welt an.“
Es wurden die Hände geschüttelt und sie winkten immer noch, als Bernd hoch oben wieder an Deck stand. Es war ein Abschied für zwölf anstehende Jahre.
Das Schiff dockte aus und wurde von einem Schlepper im Hafenbecken gedreht. Dann nahm es mit eigener Kraft Fahrt auf und dampfte langsam die Elbe flussabwärts.
Die Solveig war ein Motorschiff mit 5 859 Bruttoregistertonnen. Ein Frachter mit 5 Luken, 2 Masten und 10 Pfahlmasten. Er sollte 10 Knoten laufen können und wurde von 44 Mann Besatzung bedient. Neben Deck- und Maschinenpersonal führte es einen Funker, einen Zimmermann und einen Elektriker an Bord, der sich aber nicht um Bernds schadhafte Kojenlampe kümmern wollte. Das Schiff wurde von der Reederei Rickmersen im Stückgut und Trampverkehr eingesetzt.
Brunsbüttelkoog wurde erreicht. Die Solveig drehte an Steuerbord in den Kaiser Wilhelm Kanal ein. Morgens, am folgenden Tag, als Bernd von der Wache geweckt wurde, den Dienst in der Messe anzutreten, schwoite der Dampfer in kräftiger Dünung vor Anker in der Kieler Förde. Eine Stunde später traf Bernd auf Tom an der Reling Steuerbordseite und leistete ihm beim Kotzen Gesellschaft. Harry hatte es arger erwischt. Aus seiner Heizermesse war er an die Luvreling auf Backbordseite gerannt und hatte gegen den starken Wind gekotzt.
„Unglaublich,“ keuchte er in einer Würgepause, “die ganzen Fressalien standen waagerecht in der Luft. Dann kam das plötzlich alles zurück. Alles. Ich muß duschen gehen.“
Er stellte sich mit seinen Arbeitsklamotten unter die Dusche. Tom verschwand mit dem Kopf in der Toilette. Ein Leicht- und ein Vollmatrose halfen ihm dabei, während der Leichtmatrose zusätzlich die Wasserspülung bediente. „Das wird ihn erfrischen und ihm die Gesichtsfarbe zurückgeben,“ grinste er.
Ein anderer Matrose setzte sich in die Messe und zündete sich eine an. „Du musst dir Speck aus der Kombüse besorgen,“ sagte er geläufig und grinste. “Dann machst du einen Faden dran und schluckst das runter. Nicht ganz. Nur bis unterhalb der Klappe. Dann ziehst du an dem Faden und verschließt die Klappe. Dann brauchst du nicht mehr kotzen, weil du nicht mehr kotzen kannst, weil die Klappe zu ist.“
Bernd ließ das und begann erneut zu kotzen. Mit schneeweißen Knöcheln an beiden Händen an die Reling geklammert, würgte er blaue Galle heraus und fror dabei gottserbärmlich. Übelkeit im Auto und Zug kannte er zur Genüge. Das hier war etwas grundsätzlich anderes. Das hier war das Ende.
„Mach Kaffee,“ brüllte der Bootsmann, als er vorbeikam, „und hol den Slosch den der Smutje heute zusammengerührt hat. Es wird Mittag. Und sammel die Kakerlaken von den Deckenbalken. Ich mag das nicht, wenn sie mir in die dampfende Suppe fallen.“
„Und hol den Speck,“ grinste der Matrose Björn, als er hinter dem Bootsmann daherkam. „Den Speck. Vergiß den Speck nicht.“
„Speck,“ rief Bernd grinsend in Harrys Messe, als er wieder reden konnte, “Speck.“ Wie ein Blitz kam Harry herausgeschossen und rannte den Gang entlang die Reling zu erreichen.
„Vergiß den Speck nicht,“ brüllte Bernd hinterher und horchte auf das bereits im Gang einsetzende Würgen.
Speck war das Zauberwort, das aus den drei Neuen im Moment würgende Kreaturen mit dem Wunsch nach Totsein machte. Sie mussten nur an Speck denken, schon kam alles hoch was nicht mehr da sein konnte.
In der Nacht lichteten sie Anker und fuhren in die raue See hinaus. Es wurde alles noch schlechter. Die Ostsee kochte und der Dampfer, der ohne Ballast fuhr, stampfte und kränkte von einer Seite zur anderen. Harry war fertig und hatte sich in seine Koje verkrochen. Die Heizer und Öler mussten sich ihren Fraß persönlich von Mittschiffs holen und fluchten wild. Tom kauerte außer Sicht hinter einem Lukensüll und pumpte gierig frische Seeluft in die Lungen. Das half etwas. Wenn man dabei leicht stöhnte. Bernd schleppte das Essen heran und kochte den Kaffee und klammerte sich an die Reling, bis zwei Matrosen ihn ergriffen und in dem Scheißhaus ausgiebig erfrischten. Das half auch etwas. Als Bernd am folgenden Morgen frühzeitig durch Knirsch- und Knackgeräusche erwachte, lag der Dampfer still. Vor Gotland lagen sie im Eis fest und warteten auf den Eisbrecher, der Mittags kam und eine Rinne in eine große Bucht, die ringsum von dichtem Tannenwald eingeschlossen war, brach. Das Kaff, von dem ein paar Häuser zu sehen waren hieß Slite. Hier luden sie an der Pier Portland Zement in Säcken und fuhren drei Tage später hinaus auf die glatte Ostsee.
Es ging bei ruhiger See durch den großen Belt nach Norden. Im Kattegatt war es ruhig, aber im Skagerak, in dem Bernds Opa väterlicher Seite mit dem kleinen Kreuzer Frauenlob im 1. Weltkrieg versunken war und vielleicht noch irgendwo am Grund schwappte, sollte es stürmisch sein, wie der Funker verbreitete und die wachfreie Deckmannschaft begann, alles zu laschen.
„Mach das hier alles seefest,“ sagte der Bootsmann zu Bernd, “soll kräftig wehen. Kaputtes Geschirr wollen wir nicht haben. Mach deinen Laden hier seefest. Und sammel die Kakerlaken von den Deckenträgern. Ich will das nicht haben, wenn sie mir in die Suppe fallen. Wenn ich einlöffel. Ich hab dir das schon mal gesagt. Ich sag dir das andauernd.“
„Ich hab sie auch alle eingesammelt und unten im Gang ausgesetzt. Es kommen aber immer neue.“
„Ja, die vermehren sich rasch. Sammel halt öfter. Und setz sie mittschiffs aus. Dann haben die Offiziere auch was davon. Wir fahren nach Persischer Golf. Da ist es warm. Vielleicht gehen sie dann an Land. Gut daß wir keine mexikanischen Kakerlaken haben. Die sind fünfmal so groß. Wenn die mir in die Suppe fallen spritzt das alles über meine Kleider. Gut dass wir keine mexikanischen Kakerlaken haben. Mach das hier mal alles richtig sauber.“
„Das ist hier alles richtig sauber.“
„So? Na gut, mag sein. Ich muß gehen, die Leute zur Arbeit anregen. Ich kann nicht den ganzen Tag mit Klönen vergeuden. Hör auf zu fressen bevor wir im Skagerak sind. Hör halt nicht zu, wenn der Björn mit seiner Speckscheiße kommt. So ein Theater wie vor ein paar Tagen wollen wir nicht. Kotz auf Vorrat. In deiner Freiwache. Sag das dem anderen Moses. Wie immer der heißt.“
Im Skagerak ging es heftig zur Sache. Eine steife Briese blies aus Nordwest und die See schwappte über das vordere Deck. Die Decksjungen wechselten sich beim Kotzen ab und Harry verschwand wieder in seiner Koje und drohte jedem, der ihm auch nur nahe kommen sollte, Prügel an, sobald er sich erholt haben würde.
Über die Nordsee und durch den Ärmelkanal wurde die Biskaya erreicht, die sich ruhig verhielt, was ungewöhnlich war und alsbald stampfte der Dampfer in Sichtweite von Kap Finisterre an der portugiesischen Küste entlang nach Süden, um durch Gibraltar und das westliche Mittelmeer die algerische Küste und Algier zu erreichen, wo gebunkert werden mußte.
Mit frischem Brennstoff ging es gemächlich weiter nach Port Said, wo im Hafen beide Anker geworfen und dann mit Leinen das Heck des Schiffes an die Pier verholt wurde. Es dauerte nicht lange und Ferdinand aus Berlin, wie sich der Ägypter nannte, kam mit großem Hofgefolge an Bord. Ferdinand war der reichste Händler in diesen Breiten und wurde nicht müde, auf diesen Umstand beharrlich hinzuweisen. Tom Have war für diese Woche in den Messedienst eingeteilt worden und Bernd arbeitete an Deck, wo es jedoch nichts zu tun gab, außer das bunte Treiben rundherum zu beobachten und an der Reling zu lungern. Schon beim Einlaufen wurde der Dampfer von Dutzenden, bunt bemalten Holzbooten umringt, in denen jedermann saß und frenetisch winkte, der irgend etwas zu verkaufen hatte oder glaubte, irgendetwas zum Verhökern zu haben. Oder hoffte, etwas stehlen zu können. Über Leinen mit angeknoteten Bastkörben tauschte die Mannschaft an der Reling gegen Zigaretten allen nur erdenklichen Kram ein. Es gab bunte Tücher mit ägyptischen Schriftzeichen, Stoffkamele in allen Größenlagen, ausgestopfte Alligatoren in kleineren Ausführungen, Sitzkissen, lederne Handtaschen, Beutel für Gott weiß was, Brieftaschen mit Stickmustern, Obst, Schnitzereien, Textilien. Als Tauschgut dienten außer Zigaretten und englischen Pfunden auch alte Klamotten, defekte Uhren und Schuhe, wie auch Leinen, Wurfleinen und dergleichen, die gestohlen und heimlich über Bord geworfen werden mussten. Hier ging Bernds Heuer von monatlich sechzig Mark, 3 englische Pfunde, restlos für Unterhemden und ein wenig Ausstattung für die Kammer drauf.
Nachmittags zogen sie sich an den beiden Ankern in das Hafenbecken und reihten sich in einen Konvoi ein, der den Kanal ansteuerte und nach Port Suez zu laufen begann. Fünf, sechs Boote der Händler hatten sie mit dem Ladegeschirr an Bord gehievt und nahmen sie nach Süden mit, um sie am anderen Ende wieder auszusetzen. Das Gefeilsche ging an Deck munter weiter und begann die Arbeit zu behindern und allen auf den Wecker zu fallen. Besondere Aufmerksamkeit hatte Händlern gewidmet zu werden, die Affen mit sich führten. Übermittelt war, dass diese dressierten Affen über die Reling offene Bullaugen ansonsten verschlossener Kammern erreichten und diese leer räumten, indem sie das lose Inventar in an der Bordwand liegende Boote, oder bei Fahrt, in Bastkörbe warfen. Lustig und bunt, suchte doch jeder seinen persönlichen Vorteil und betrog alle anderen. Bernd besaß eine Uhr, von der er sich nur schwer trennen wollte, gleichwohl sie nicht lief und Zeiger und Glas mit UHU angeklebt waren, was weiter nicht auffiel, wenn man sie am Handgelenk zur Schau trug. Diese Uhr konnte er gegen eine billigere Uhr eintauschen, die, gleichwohl nicht so hübsch, so doch offenbar lief. Jedenfalls wurde er mit einem der Ägypter rasch einig und sie trennten sich in dem Bewusstsein, ein gutes Geschäft gemacht zu haben. Aber am späten Nachmittag lauerte ihm die Verwandtschaft auf der Poop hinter dem Decksaufbau zahlreich auf und verfolgte Bernd über das Deckshaus und zweimal drum herum, bevor sie ihn täuschten und er in die aufgestellte Falle geriet, in der er seine Neuerwerbung sogleich wieder einbüsste.
Zu Einbruch der Dämmerung am gleichen Tage rasselte plötzlich der Maschinentelegraph und die Schraube begann schäumend rückwärts zu drehen. Der voraus laufende englische Flugzeugträger war auf Grund geraten und verstopfte den Kanal. Jedoch hielt die Verstopfung nicht lange vor, denn aus der Weiche, die vor ihnen lag, preschten zwei starke Schlepper hervor und zerrten ihn wieder in die Fahrrinne zurück. Der Konvoi nahm Fahrt auf und kroch dem Bittersee entgegen, wo Anker geworfen wurde, den Gegenverkehr passieren zu lassen und alle Gelegenheit erhielten, sich von Deck in die außerordentlich salzigen Fluten zu stürzen, denn es war unerträglich heiß. Am folgenden Tag bereits wurde Port Suez passiert, die Händlerboote und der Lotse bei Fahrt aussenbords gesetzt und in das Rote Meer vorgestossen, das seltsam und faszinierend erscheint. Rote, schroffe Felsen, unterbrochen von gelber Wüste, kein Leben, kein Rauch. Nichts. Im südlichen Teil der langgestreckten See liegen ein paar Inseln aus aufgetürmten Felsen zwischen denen riesige Wasserschildkröten an der Bordwand entlangtreibend, beobachtet werden konnten. Auch kleine Wale machten sich von Zeit zu Zeit durch Zeigen der Buckel und Abblasen der Luft bemerkbar. Ebenso konnten mühelos Haie erspäht werden.
In Port Aden, dem zentralen Hafen des Yemen, bunkerten sie vier Stunden an einer Boje in der Hafenbucht. Landgang war nicht möglich und von dem Liegeplatz konnten lediglich kahle Felsen und graubraune Mauern aus Lehm mit kleinen Fenstern in der flimmernden Hitze erkannt werden.
Ein paar Tage später, nachdem entlang der Küste des Yemen und der Insel Sokotra die Strasse Hormuz erreicht und der Persische Golf betreten worden war, machte das Schiff in Dammam, dem Bestimmungshafen, an einem großen Holzsteg, der weit ins Meer ragte, fest. Auf Reede ankerten einige andere Schiffe in Warteposition, denen sie vorgezogen wurden. Gleichwohl passierte nichts und die Tage vergingen. Baden verbot sich mit Blick auf die unzähligen Haie, die den Dampfer stets umkreisten und auf Küchenabfälle hofften.
Das Saufen gaben sie rasch auf, da es in der Hitze, das Thermometer zeigte stets über fünfundvierzig Grad, zu Folgeerscheinungen kam, die mit Verblödung umschreibbar wären. Abgesehen davon war Zechen nur an Deck möglich, da unter Deck Themperaturen herrschten, die zur Gerinnung des menschlichen Körpers führen konnten und Gelage an Deck riefen andererseits die Saudi Arabischen Posten auf den Plan, die sich Alkohol im Lande des Propheten strengstens verbaten und gelegentlich mit Verstärkung anrückten und von der Pier mit mitgeführten Steinen auf Zecher, oder vermeintliche Zecher warfen. Landgang war verboten. Andererseits war außer der Holzpier und der horizontweiten Wüste nichts zu entdecken, was den Wunsch auf Landgang hätte stimmulieren können. Nach zwei Wochen Müßigganges begannen eines morgens sich zahllose zerlumpte Menschen mit Defiziten auf der Pier zusammenzurotten. Den Einen fehlte jeweils ein linkes Auge, den anderen die linke Hand. Das waren die Schauerleute, die die zigtausende von Zementsäcken aus den Laderäumen wuchten sollten und die sehr paradox erschienen. Wo die Einen nicht links zugreifen konnten, konnten die anderen ihre linke Hand nicht sehen und griffen ins Leere. Damit das irgendwie vorangehen und einmal ein Ende nehmen möge, einigten sie sich schließlich unter unendlichem Geschnatter, die Zentnersäcke zu viert zu packen und auf den Netzen des Ladegeschirrs zu stapeln.
Immerhin. Es ging voran. Langsam und mühselig und lächerlich. Und unverzüglich versank alles unter einer bleiernen Schicht aus Zementstaub, der bald auf der schwitznassen Haut zu brennen begann und Pickel hervorzauberte, die kräftig den Juckreiz förderten. Die uniformierten Wachen auf der Pier verzogen sich ob des Staubes auf immer weiter entfernte
Standorte und die weißgepuderten Behinderten begannen, es sich, bar unmittelbarer Aufsicht, in den Laderäumen behaglich einzurichten und frönten des Schläfchens und der Herumlungerei auf den Säcken, um gelegentlich ein Ladenetz zu füllen und nicht zu vergessen, den nächsten Sack aufzureißen.
Sie kamen zu Hunderten zu Sonnenaufgang aus der Wüste. Und sie verschwanden zu Hunderten bei Sonnenuntergang in der Wüste. Tagein Tagaus. Getrieben von einer Horde von Aufsehern.
„Wir müssen hier raus,“ sagte der Erste Offizier und hustete. „Wir werden hier verkommen.“
„Wir werden hier bleiben,“ widersprach der Bootsmann.
„Wir werden immer hier bleiben,“ sagte Heini, der andere Matrose.
„Wir werden selbst löschen müssen,“ sagte der Erste Offizier und hustete erneut ,“wir müssen selbst löschen. Wenn wir hier wegkommen wollen.“
„Laß uns hier bleiben,“ sagte Heini und spuckte über die Reling.
„Biertrinken an Deck ist jetzt verboten,“ rief der Erste, als er sich nach Mittschiffs entfernte,“es hat Beschwerden gegeben.“
„Laß uns endlich von hier verschwinden,“ sagte der Bootsmann grimmig. „Geht nur eine Teilladung raus,“ brüllte der Erste von Mittschiffs und enterte zum Bootsdeck hoch, die Brücke zu erreichen, „Rest geht nach Goa.“
„Wir werden selbst anpacken.“ Sagte der Bootsmann bestimmt.
„Du wirst gewiß nicht anpacken,“ meinte Heini, der andere Vollmatrose. „Richtig. Ich bin der Bootsmann. Ihr werdet selbst anpacken. Ich werde die Sache mit dem Ersten besprechen gehen. Wo ihr eh nur rumlungert. Geht nach Goa, Wie ihr den Ersten gehört habt. In Goa haben sie Weiber.“ Er drehte sich um und folgte dem Ersten, den Löscheinsatz der Decksmannschaft zu beratschlagen.
„Also gut,“ sagte der Bootsmann als er von der Brücke zurückkam zu der vollzählig auf der Poop lungernden Deckmannschaft,“ also gut. Wir löschen selbst. Ab morgen früh. Wir reißen die Luke eins auf und fangen da an. Aus Raum eins nehmen wir die Hälfte. Morgen früh. Vier Mann auf die Pier. Strops gleich auf die LKW Ladeflächen. Sonnabend und Sonntag Freiwache. Außer der Wache. Wache wie bisher abwechselnd. Freitag arbeiten die hier nicht. Freitag beten die hier. Also auch keine LKW. Das heißt, Freitag auch Freiwache. Gut geht’s euch.“
Und so wickelten sich alle Tücher um den Kopf, zogen Hemden und lange Hosen an und verschwanden zu Neunt im Raum eins, während vier Mann auf der Pier sammelten, wo es etwas weniger heiß war und Tom Have, der Messedienst hatte, auf der Poop von Ohr zu Ohr grinste und die Vollmatrosen die beiden Winschen übernahmen. Der Bootsmann sammelte sich am Lukensüll und brüllte hinunter :“ Macht voran Leute. Denen werden wir es jetzt mal zeigen. Klotzt ran. Bald ist Freitag. Dann könnt ihr ruhen.“
So vergingen die ersten acht Stunden am Dienstag. Dann um sechzehn Uhr zog Bernd mit Heini und dem Leichtmatrosen Dieter auf Wache. Um zwanzig Uhr gab es Mittagessen, weil am helllichten Tag keiner zu Mittag essen wollte und um vier Uhr früh ging Bernd erneut auf Wache, um anschließend wieder in Raum eins abzuentern und aus den Ecken die Zementsäcke herbeizuschleppen, sie auf dem Netzstropp zu stapeln und „Hiev up“ nach oben zu brüllen, solange noch Spucke vorhanden und der Hals noch nicht ausgedörrt und zugeklebt war. Tagein, tagaus. Aber der Raum begann sich zu lichten.
„Daß ihr mir da nicht zu viel rausholt,“ brüllte der Erste vom Lukensüll und hustete wild, um rasch in dem Schwitzkasten der Brücke zu verschwinden, wo er tagsüber lebte und nachts verweilte.
Die Holzpier hatte oben einige Luken, durch die man über Leitern nach unten auf wackelige Bretterstege klettern konnte, die knapp über der Wasseroberfläche und unter der ganzen Pier kreuz und quer verliefen. Also stieg Bernd am Sonnabend hinunter, sich das Konstrukt anzuschauen und die Füße im Wasser baumeln zu lassen, nur knapp bis zu den Knöcheln natürlich, um die Haie nicht zu provozieren. Sich umblickend, bemerkte er einige Araber in gut fünfzig Meter Entfernung, die jedoch zielstrebig näher heranrückten. Auch vor ihm stiegen jetzt zwei Gestalten gewandt mit der verbliebenen Hand eine Leiter herunter und Bernd wurde sofort klar, mit welcher Absicht sie sich wohl tragen mochten. Sie wollten ihn ficken und hatten entsprechende Andeutungen bereits an Deck vom ersten Tag ihres Erscheinens an gemacht. Bernd war bei ihnen begehrt. Also begab er sich auf die Flucht und suchte nach einer Leiter und einem Ausstieg nach oben, der ihm aber taktisch gekonnt mehrfach abgeschnitten wurde.
„Sieh dich vor,“ hatte der Bootsmann ihn grinsend gewarnt. „Das sind alles Arschficker. Wenn du dich von denen greifen lässt, drehen sie dir einen rein. Dann verlierst du deine Jungfräulichkeit.“
„Die reißen dir deine Rosette auf,“ hatte Heini, der Vollmatrose assistiert und sich vor Lachen ob des gelungenen Spruches gewunden.
Zwar war Bernd offensichtlich flinker als die eher behutsam daher balancierenden Verfolger, aber es gelang ihnen immer wieder, ihn von einem rettenden Aufstieg abzudrängen und allmählich trieben sie ihn auf den Kopf der Pier zu, von dem es kein Entrinnen geben konnte, da dort keinerlei Leitern in Sicht kamen und die Pier ein Ende nahm. Jedoch hatte Bernd den Vorteil des Besitzes von zwei Händen und nutzte diesen, am Ende der Pier angekommen, die dort vorhandenen Kopfstreben zu ergreifen und sich ein paar Meter nach oben zu ziehen, wo er auf einer Bohle Platz nahm und seinen Entschluß kundtat, nunmehr zu entschiedener Verteidigung überzugehen. Zwei der acht Leute, denen das Auge, nicht aber die Hand fehlte, versuchten, ihn durch Klettern zu erreichen, gaben den Versuch aber bald auf, da Bernd ihnen wuchtig mit der Hacke auf die Knöchel trat. Alsdann saß er drei Meter über der Schar von mittlerweile acht Arabern, denen etwas entfernt weitere zueilten, und wurde Zeuge intensiver Palaver und Gefuchtel mit den Händen, soweit sie verblieben waren, blieb jedoch gut gelaunt und guter Dinge, da er ja wusste, dass sie bei Anbruch der Dämmerung eingesammelt und in die Wüste getrieben werden würden. Das würde in etwa vier Stunden der Fall sein. Zwischenzeitlich wuchs die Schar auf zwölf Personen an, die sich auf die verschiedenen, überwiegend lose verlegten Bretter verteilten und ihn reizten, sie zu provozieren, was er alsbald mit verständlichen Handbewegungen und Aufforderungen in Deutsch, das sie nicht verstanden, jedoch erahnen konnten, in die Tat umsetzte.
„Kommt her ihr Arschlöcher. Alle schön zusammen, damit die Bretter brechen und die Haie euch fressen können, bevor ihr ersauft.“
Denn schwimmen konnten die gewiß nicht. Nach Stunden schließlich, gaben sie die sicher geglaubte Beute oben in den Balken auf und zogen wutschäumend und drohend von dannen, um weiter hinten aufzuentern und Bernd einsam zurückzulassen. Er wartete eine weitere Stunde und als es endlich zu dunkeln begann, verließ er vorsichtig und umherlugend das Refugium und tauchte wieder auf der Pier auf, die sich gerade leerte.
„Die wollten mich ficken,“ sagte Bernd zu seinem Kammerkameraden Dieter, als sie zusammen zur Wache aufzogen.“ Die wollten mir den Arsch aufreißen. Ein Dutzend von den Wichsern. Da unter der Brücke.“
„Macht nichts,“ sagte Dieter grinsend. „Der Alte säuft Wein. Da wird es Korken an Bord geben.“
Die leeren Blechbüchsen, die knapp geworden waren und die die Haie immer noch gerne nahmen und mit den Kiefern zerpreßten, bevor sie sie auf den Meeresgrund sinken ließen, waren ein beliebtes Hobby der wachfreien Mannschaft, das jedoch an Attraktivität zunehmend verlor.
„Ich springe da rein, wenn mir einer eine Kiste Bier gibt.“ sagte Heini und lehnte sich interessiert über die Reling, seine Chancen abschätzend. „Wer wettet eine Kiste Bier ?“
„Ich,“ sagte Dieter spontan.“ Was ist Fritz. Hälfte Hälfte?“
„Klar. Mach ich. Ich wollte schon immer sehen, wie einer von Haien zerrissen wird.“
„Du springst denen auf den Kopf,“ sagte Dieter bestimmt. „Richtig über die Reling und Zack dazwischen ?“
„Logisch. Ich spring direkt zwischen die.“
„Bernd,“ sagte Dieter zu Bernd,“ geh zum Smutje und laß dir ein paar Brocken Fleisch geben. Sag ihm für ne gute Sache. Sag ihm wir verlieren gleich ein Mannschaftsmitglied. Dann muß er weniger kochen. Beeil dich. Ich kann das kaum erwarten. Ich will das jetzt sehen.“
„Zwischen die Haie,“ staunte der Koch, den Bernd auf dem Achterdeck in der Sonne fand.
„Über die Bordwand im Vorschiff zwischen die Haie?“
„Reich Fleischbrocken rüber; dann kommen mehr Haie.“
„Schwein ? Oder mögen die lieber Rind? Ist alles gefroren.“
„Die wollen nichts gefrorenes, das wird ihnen nicht bekommen. Hols aus deiner Kühlkammer und laß es an Deck auftauen.“
Eine Stunde später war das Fleisch schön weich und warm und Heini zog seine Badehose an und stieg auf die Schanz, von der die Jakobsleiter außenbords hing. Die Haie hatten sich erwartungsgemäß vermehrt und balgten rege und erregt um die Fleischstückchen, die der Koch taktisch klug in Abständen ins Wasser warf.
„Du musst ihnen auf die Köpfe springen,“ riet Dieter. „Das irritiert sie. Dann lassen sie dir Zeit, die Jakobsleiter zu erreichen. „
„Macht einen Tampen um seiner Hüfte fest. Dann haben wir noch ein Stück von ihm,“ grinste Fritz. “Dann muß uns nicht alles verloren gehen.“
„Gute Reise Heini,“ lallte der Assi aus der Maschine, der schon reichlich besoffen und mit der Maschinenmannschaft gekommen war, der Zerstückelung eines Matrosen beizuwohnen. Und Heini stieß sich mit einem Ruck von den Wanten ab und sprang mitten zwischen die Horde der Haifische, die erschreckt nach allen Seiten und in alle Tiefen davonstoben. Kaum untergegangen tauchte Heini mit Wucht wieder aus dem Wasser auf und nach drei hektischen Schwimmstößen hatte er die Leiter ergriffen und sich atemberaubend rasch nach oben gezogen.
„Reich die Kiste Bier her,“ sagte er keuchend zu Dieter.
„Das kann ich auch machen,“ sagte Harry bestimmt. „Das mach ich auch für eine Kiste Bier.“
„Die kriegst du von mir,“ sagte der Assi. „Du springst achtern vom Sonnensegel. Die Kiste Bier kriegst du von mir. Dich wollten wir schon lange loswerden.“
„Gut,“ gehen wir nach achtern,“ sagte Harry, der ebenso wenig verdiente, wie Bernd und all sein Geld in Port Said verloren hatte. „Eine Kiste. Hab ich endlich auch mal was zu saufen.“
„Du bist ein Arschloch,“ sagte Bernd,“ du kannst nicht schwimmen. Wie willst du da raus kommen. Aus dem Wasser. Wo du noch nicht mal schwimmen kannst.“
„Wenn du nicht springst, zahlst du mir eine Kiste Bier,“ lallte der Assi.
„Du musst mir helfen,“ sagte Harry, „ ich spring direkt neben die Leiter, „wenn du unten auf der Leiter wartest, kann ich deine Hand ergreifen und mich rausziehen. Aus der Brühe.“
Also hängten sie mit vereinten Kräften die Jakobsleiter achtern über die Reling, wo sie wegen der nach unten zurückweichenden Form des Achterschiffes ohne Seitenhalt hin und herschwankte.
„Du musst genau zielen,“ sagte Bernd zu Harry.“ Ziel genau und spring direkt neben die Leiter, damit ich nach dir greifen kann.“
Harry stieg auf das hölzerne Sonnensegel, das das Achterschiff überspannte und konnte die Leiter von oben nicht sehen, da der Schiffsrumpf unter ihm nach innen flüchtete.
„Wo ist die Leiter,“ brüllte er, nachdem Bernd hinuntergestiegen war und sich dreißig Zentimeter über dem Wasserspiegel an die schwingende Leiter klammerte.
„Hier, hier ist die Leiter,“ brüllte er, dass Harry weit oben auch verstehen möge. „Er hat hier gebrüllt,“ brüllte der Assi. „Hier ist die Leiter.“
„Moment,“ brüllte der Koch. „erst die Leckerbissen. Da sind viel zu wenig Fische unten.“
„Unter mir sehe ich vier Haie,“ brüllte Bernd hoch. „Mittelgroß.“
„Zuwenig,“ rief der Koch.
„Wir wollen erst springen wenn zumindest zehn Fische da sind.“ Stimmte der Assi zu. Und der Koch warf mehr Fleischbrocken hinunter.
„Ziemlich hoch ist das hier,“ brüllte Harry, recht kläglich,“ werden zehn, fünfzehn Meter sein.“
„Ich kann für meine Kiste Bier was verlangen,“ brüllte der Assi.“ Wenn du kneifst, schuldest du mir eine Kiste Bier. Schmeiß mehr rein Koch.“
„Wenn der uns auch erhalten bleibt, weiß ich nicht, wie ich dem Alten den Fleischverbrauch erklären soll. Was euch diese Woche zusteht, habt ihr bereits den Haien gegeben.“
„Schmeiß schon. Machst du mal zwei Tage lang Pfannkuchen oder Labskaus.“ „Jetzt wimmelt das aber,“ brüllte Bernd von unten zu der an der Reling versammelten Zuschauerschar, die ihn wegen der Krümmung des Schiffes nur sehen konnten, wenn sie sich weit herausbeugten.
„Ja, jetzt ist das gut,“ rief der Assi, “jetzt spring, du Kasper.“
Tollkühn nahm Harry, das Arschloch, Anlauf und kam mit den Armen wedelnd heruntergestürzt, um in einem Schwall aufstiebenden Wassers zu verschwinden. Etwas seitlich der Haie. Und etwa sechs Meter von der Jakobsleiter entfernt. Schon mit dem Auftauchen des Haarschopfes klang Bernd schrilles Geschrei in die Ohren. Harry starb. Er starb vor Furcht. Er tauchte auf. Er tauchte unter. Er schlug mit den Armen und krallte mit den Händen in die See. Er spuckte Wasser. Schon kam er kaum noch mit der Unterlippe über die Wasseroberfläche und schluckte mit aufgerissenem Maul mehr Wasser, das sein Hilfegebrüll zu einem Gurgeln dämpfte.
„Hier,“ rief Bernd laut und hilfreich,“ hier bin ich. Hier.“
„Beeil dich, brüllte jemand von Deck.“ Die Haie werden sich gleich vom Schreck erholt haben und dir ein Bein abreißen.“
„Paddeln. Du musst paddeln. Dann kommst du vom Fleck.“
„Jeder kann paddeln. Aber der Arsch kann nicht paddeln. So was saugt man mit der Muttermilch auf,“ meinte Björn laut. „Jeder normale Mensch kann paddeln. Das übt man im Utterus. Ich konnte paddeln. Als ich rauskam.“
„Wir sehen hier den österreichischen Zuhälter von der Reeperbahn in den blauen Wässern des Persischen Golfes ersaufen,“ rief der Leichtmatrose Fritz und spuckte über die Reling. „Und ihr sagt, hier ist nichts los.“
„Schmeißt einen Rettungsring hinunter,“ brüllte der Bootsmann, der sich der Zuschauerschar zugesellte. „Macht hin. Der säuft uns ab.“
Ein Rettungsring kam herabgesegelt und landete aufspritzend neben Harrys Kopf im Wasser, der instinktiv zugriff und den Ring packte.
„Na, also,“ brüllte der Bootsmann,“ geht doch. Zieh ihn ran an die Leiter Bernd. Bevor die Haie sich entschließen, ihn zu zerlegen.“ Er beugte sich weit über die Reling und winkte Bernd mit der freien Hand zu, dass er verstehen möge.
Harry hatte den Ring jetzt mit beiden Händen gepackt und zog seinen Körper auf diesen nach, so dass der Ring kenterte und Harry auf der anderen Seite wieder kopfüber ins Wasser glitt, den Halt verlor und erneut unter der Oberfläche verschwand. Spuckend und voll des Terrors kam er wieder hoch. Schluckte mehr Wasser und versank erneut. Der Rettungsring trieb ab. „Schwimm hin Bernd,“ brüllte der Bootsmann,“ und zieh ihn an den Haaren zur Leiter.“
Bernd ließ die Leiter los und plumpste ins Wasser. Vier, fünf, Schwimmstöße und er war bei Harry, der gerade erneut auftauchte, mit irrem Blick und verzerrter Fresse.
„Ruhig Harry,“ sagte Bernd, “ruhig. gib mir deine Hand.“
Aber Harry gab ihm seine Hand nicht und griff nach seinem Kopf, wo er sich in den Haaren festkrallte und sich, wie schon an dem Rettungsring erprobt, über Bernd zu ziehen begann. Bernd ging unter und bemerkte, dass Harry sich überall an ihm anklammerte und auch die Beine um ihn schlang. Nunmehr gingen beide unter und Bernd bekam keine Luft mehr und geriet selbst in Panik. Wir werden als Knäuel auf den Meeresgrund sinken, dachte er kurz und versuchte mit der einen, freien, Hand zuzuschlagen und irgendetwas zu treffen, was in dem Chaos misslang. Irgendwie gewannen sie wieder Auftrieb und Bernd bekam die Beine frei und konnte sie in das Wasser stoßen, so dass sie weiter an die schwingende Leiter kamen. Nach rückwärts überbeugend bekam Bernd dann einen Fuß in Harrys Bauch und stieß so kraftvoll wie möglich zu, worauf Harry losprustete, losließ und erneut unterging.
Mit einer Hand konnte Bernd jetzt den Tampen der Jakobsleiter greifen und mit der anderen fischte er nach Harrys Haaren, in die er griff, die sich aber als zu kurz erwiesen und keinen Halt boten. Er versuchte einen Fuß unter seine Eier zu schieben und ihn zu liften, aber auch das gelang nicht. Schließlich erwischte Bernd unter Wasser Harrys Arm und zog. Er kam hoch, aber es war eher ein hochtreiben. Er hatte keine Kraft mehr. Schaffte es aber noch, die untere Stufe der Leiter zu fassen und sich an diese zu klammern. Selbst Wasser spuckend und völlig fertig und kraftlos, brüllte Bernd: “Hoch Harry, zieh dich hoch du Arschloch. Gib mir die Stufe frei.“
Aber Harry hörte nicht mehr und hing benommen an der unteren Stufe im Wasser, unfähig zu weiterer Bewegung. Damit war Bernd der Ausstieg aus dem Persischen Golf versperrt.
„Raus,“ brüllte der Bootsmann von der Reling. “Verschwinde aus dem Wasser. Die Haie sind wieder da und schnuppern an euch.“
Harry zog sich mit letzter Kraft auf die erste und dann die zweite Holzstufe, auf der er benommen festgekrallt verblieb. Bernd kam nicht raus und geriet in Panik. Sich wild umschauend, entdeckte er das aus dem Wasser ragende Ruderblatt zu seiner Rechten und begann sofort die etwa dreißig Meter zu durchschwimmen. Das Ruderblatt wurde größer und größer und als er es erreicht hatte, ragte es um die hundert Zentimeter über seinem Kopf auf. Unmöglich, die obere Kante zu greifen. Er versuchte es viermal mit tauchen und aufschnellen; aber es reichte nicht. Harry hing immer noch auf den beiden unteren Sprossen, wie ein nasser Sack Mehl. Dann ließ Bernd sich tief absinken und schnellte erneut, mit irren Schwimmbewegungen nach oben. Er griff die Kante und hing an seinen Fingernägeln. Aber Panik verleiht ungeahnte Kräfte, so dass es ihm gelang, einen Handballen auf das Ruderblatt zu schieben und schliesslich sich hinaufzuziehen. Als er auf dem breiten Ruder erschöpft Platz nahm und an sich herabschaute, stellte er fest, dass er von unten bis oben aufgeschlitzt war. Der Muschelbewuchs hatte seine Brust und Oberschenkel in ein blutiges Stück Fleisch verwandelt. Und Harry hing immer noch an der verdammten Leiter.
„Jemand die Jakobsleiter runter und Harry hochholen,“ brüllte der Bootsmann von oben, „Bernd? Bist du noch da Bernd?“ Von oben konnte er Bernd, der sich mitten unter dem Heck befand nicht sehen.
„Ja, Ja,“ rief Bernd zurück, “Ich bin auf dem Ruderblatt.“
„Gut. Bleib da. Wenn Harry oben ist, spring rein und hechte zur Leiter. Damit das hier mal ein Ende nimmt. Die Haie sind wieder da. Das quirlt alles da unten. Das wimmelt nur so. Die haben einen gesunden Appetit.“
„In gar keinem Falle spring ich da noch mal rein. Ich bin blutüberströmt. Von den Muscheln.“
„Scheiße auch. Wenn der Alte das hier mitkriegt, wird es ein Donnerwetter geben. Der wird die Bierlast abschließen und den Schlüssel über Bord schmeißen. Wo hat es solche Idiotie schon mal gegeben. Ein Arschloch, das nicht schwimmen kann, springt vom Sonnensegel und kann noch nicht mal paddeln. Wir werden das Arbeitsboot klarmachen und aussetzen. Das wird dauern. Bleib auf dem Ruder.“
„Da kannst du ganz sicher sein, dass ich hier bleibe.“
Es wurde aber nichts mit dem kleinen Arbeitsboot, das auf dem Achterdeck an einem Davit hing und nicht ausgesetzt werden konnte, weil der Davit festgerostet war.
„Hat keinen Sinn. Der Davit ist fest und die Spindel auch. Kriegen das Ding nicht außenbords,“ sagte Björn, der an der Jakobsleiter heruntergeklettert kam, nachdem der Leichtmatrose Fritz Harry geborgen hatte, um die Situation in Augenschein zu nehmen. „Du musst noch mal ins Wasser und die Leiter erreichen.“
„Ich werde schwachsinnig sein und da noch mal reinhopsen. Bei all dem Blut hier.“
„Waschs ab.“
„Wie. An das Wasser komm ich nicht ran. Das ist ein Meter tiefer. Und außerdem würde das dann das Ruder runter laufen und die Haie noch mehr anregen.“
„Vielleicht sind sie satt.“
„Von was.“
„Die müssen doch mal schlafen.“
„Wann, und wo.“
„Ich laß eine Leine runter,“ sagte Björn ratlos, „die schwingen wir zu dir hin. Dann kannst du sie greifen und dich zur Leiter zurückschwingen.“
„Wie Tarzan?“
„Wie Tarzan.“
„Setz ein Rettungsboot aus.“
„Quatsch. Was für ein Aufwand. Das kriegen die Offiziere mit. Was meinst du, was dann los ist. Werden eh auch festgerottet sein. Weiß ohnehin niemand, ob die noch schwimmen.“
„Tarzan.“
„Tarzan.“
Aber Tarzan, funktionierte nicht, da die Leine zu leicht war, um zehn Meter oder so geschwenkt werden zu können. Auch ein angehängter schwerer Schäkel brachte keinen Erfolg. Die Leine kam nicht näher als etwa sechs Meter an das Ruder heran. Ebenfalls gab es keine Möglichkeit von dem Ruder etwa die Pier zu erreichen.
„Renn über das Wasser,“ riet Dieter, an der Jakobsleiter hängend,“ Duck; der Donald kann das.“
„Der hat auch breite Füße.“ Sagte Bernd und sprang mit kurzem Anlauf in die See, um in einem Wirbel von Armen und Beinen und Keuchen und Wasserspucken die Leiter zu grabschen und sich an ihr hochzuschnellen.
„Aus dem Weg,“ brüllte er Dieter an, der fünf Stufen höher hing. „Aus dem Weg. Geh mir aus dem Weg.“
„Her mit dem Kasten,“ sagte Bernd zu Harry, der erholt an Deck stand und sich für die Lebensrettung bedankte, “Gib mir den Kasten.“
Der Zement mischte sich mit dem Schweiß und begann durch die Haut zu brennen. „Kann nicht mehr viel sein, was noch raus muß,“ rief der Erste vom Lukensüll Luke fünf. „Vielleicht tausend Säcke. Die schafft ihr noch. Ich werd mir die Unterlagen vom Talleyman holen. Dann weiß ich das genau.“
Er hustete und kam am nächsten Tag wieder.“ Noch tausend dreihundert. Dann lichten wir hier Anker und verschwinden.“
„Gestern waren es nur noch tausend.“ maulte Björn aufsässig.
„Gibt Weiber. In Goa. Da haben sie Weiber,“ Der Erste hustete und verschwand Richtung Brücke, wo er sein Leben verbrachte.
Zwei Tage später machten sie seeklar und legten von dem Landungssteg ab. Zurück ging es durch die Straße von Hormuz und dann mit südöstlichem Kurs in die Arabische See. Das Wetter war gut, die See spiegelglatt. Das Schiff lief zehn Knoten und Bernd ging wieder die vier bis acht Wache mit Dieter, Björn und dem Dritten Offizier und durfte im Turnus steuern und von der Brückennock Ausschau halten, dass nichts untergepflügt würde, was auf dem Wege schwimmen mochte. Tom Have, dessen Renomee nicht in dem Umfang gestiegen war, wie es Bernd wegen der Rettung von Harry zugeordnet wurde, durfte als Backschafter Messedienst machen und verfluchte sein Schicksal. Der Funker nahm Verbindung mit einem Schwesterschiff der Reederei, namens Colonia, auf, das mit Maschinenschaden vor ihnen entlang der indischen Küste mit sechs Knoten dahindümpelte und als Zielhafen Osaka in Japan anzusteuern suchte. Sie würden es einholen und in Sichtweite überholen, bevor sie Goa erreichen würden.
„Schon gehört?“ Fragte der Dritte redselig während der Nachtwache im Ruderhaus. „Wir löschen in Goa und fahren ohne Ballast nach Kawasaki. In Kawasaki wird das Schiff verschrottet. Das Schwesterschiff auch. Ist heute
Nacht per Funk gekommen. Wir steuern Japan an.“
„Ein Traum,“ rief Björn vom Ruder her.“ Der Traum eines jeden Seemanns. In Japan gibt das richtige Weiber. Die haben da die Fotzen quer.“
Bereits am nächsten Morgen kam die Rauchwolke der Colonia am Horizont in
Sicht und gegen frühem Nachmittag schoben sich auch die Aufbauten des Schiffes über die Kimm. Abends lief die Solveig querab an ihrer Steuerbordseite geraume Zeit nebenher.
„Bier wollen sie haben,“ rief der Funker, vor seinem Funkschapp auf dem Bootsdeck stehend, auf Deck herunter,“ sie wollen, dass wir ein Boot aussetzen und Bier schicken.“
„Kommt gar nicht in Frage,“ brüllte der Bootsmann hoch. “Wir brauchen unser Bier selbst.“
In Goa, Portugiesisch Indien, ging der Dampfer bei brillantem Wetter in der großen Bucht, gesäumt von tiefgrünen Wäldern, vor Anker. Schuten kamen längsseits und die Landverbindung wurde mit einer Barkasse eingerichtet. Zahllose Inder enterten und begannen unverzüglich die verbliebene Zementfracht zu löschen.
An dem einen Küstenteil bestand eine hölzerne Pier mit Verladeeinrichtungen, die auf Erz schließen ließ. Von hier ab, auch die Landestelle der Launch, Barkasse, die alle vier Stunden längsseit kommen sollte, führte eine staubige Piste zu der Stadt Goa, die dreißig Kilometer landeinwärts liegen sollte. Die Decksmannschaft riss die Luken auf, toppte die Ladebäume und machte die Solveig löschklar. Dieter und Bernd tauschten die Wachen, die verkürzt auf Fallreepwache ohnehin nur einen Mann jeweils erforderten und nahmen Hering, den Jungmann, mit an Land, wo sie ein Taxi bestiegen und in die Stadt fuhren. Es wurde eine lange, staubige und holperige Fahrt und nachdem die Stadt erreicht wurde, meinte der Fahrer, ein Inder, der des englischen mächtig sich erwies, dass er ein Dorf an der Küste kenne, wo ein schöner Strand und schöne Mädchen, ganz frisch, vorhanden und alles noch billiger sein würde. Also handelten sie eine günstig erscheinende Pauschale aus und setzten die Fahrt fort und erreichten bei Einbruch der Dämmerung nach einer weiteren staubigen und langen Fahrt über kaum wahrnehmbare Pisten durch dichten Urwald das Ende des Weges und den Beginn eines Pfades, den man zu Fuß nutzen mußte. Der Fahrer zeigte mit spitzen Fingern auf diesen Pfad und meinte, dass am Ende das erwähnte Dorf zu erreichen wäre. Sie marschierten, etwas misstrauisch, munter drauf los und kamen nach einer halben Stunde auf eine Lichtung, die sich zu einem malerischen, unendlich langen Strand weitete und linker Hand, eingebettet in Palmen, eine Ansammlung von Hütten preisgab, vor denen man sie bereits zu erwarten schien und sich zu sammeln begann. Sie waren in das Paradies eingedrungen. Ein schneeweißer Strand, der leise plätschernde Indische Ozean, blaugrün in der Farbe, im Lichte des untergehenden Sonnenballs. Frauen, Kinder und ein paar Männer kamen zur Begrüßung gelaufen.
Dieter, Bernd und Hering selektierten drei der willigen Frauen, setzten sich vor eine Hütte und wurden sogleich mit Bier in Flaschen bewirtet. Das Bier war eiskalt und schmeckte köstlich. Sie gruben es vor ihren Augen aus dem nassen Sand des Strandes und versicherten, dass genug vergraben sein würde und Mangel nicht entstehen könnte. Man sprach mit Händen und Füßen und wurde sich rasch einig. Bernds Weib begann an seiner linken Hand zu zerren und zog ihn in die Hütte, vor der sie saßen. Dieter und Hering verschwanden in anderen Behausungen. Umgerechnet kostete die Nummer in Deutscher Mark Vierneunzig, fünf Rupien. Sie zog sich unverzüglich nackend aus, während Bernd sich Hemmungen hingab, war dies doch seine erste Begegnung mit einer entblößten Dame, und behutsam mit den Socken begann, dann aber, als sie, bereits nackt, ihn fortwährend angrinste, die Klamotten herunterriß, sie auf den Boden warf und die Dame zu besteigen begann, gleich so, wie er aus überhörten Gesprächen in der Messe vernommen hatte, dass es zu machen wäre.
Sie lag auf dem Rücken, mit gespreizten Beinen und einem dichten Busch von zotteligen Haaren und stellte steife Brustwarzen auf. Bernd sah ihr an, dass sie wusste, dass dies seine erste Nummer sein würde, aber sie war hilfreich. Faßte den Schwanz mit einer entschlossenen Hand und schob ihn zwischen dem Busch in die Ritze, die heiß und feucht sich anfühlte. Gleichwohl konnte Bernd den Einschub nicht beobachten, denn seinen Blick, wie auch seine Hände, hielt er gebannt auf ihre Titten, die fest und seitlich etwas am Körper sinkend, faszinierend waren. Dämmerig, wie es nunmehr in der Hütte war, die von einer Kerze beleuchtet wurde, entdeckte er während des Koitus erst spät eine große, sehr große, schwarze Spinne, die reglos über ihrem Kopf an der Wand klebte und zur Einrichtung gehören mochte. Sie blieb dort unbeeindruckt während des ganzen Prozesses und nach einer Weile, sicherlich nicht länger als zwanzig Minuten, erfüllte Bernd das erste Mal in seinem Leben ein Orgasmus innerhalb eines weiblichen Körpers. Bevor es zu diesem kam, strömte lautstark kichernd eine Kinderschar in den Raum und begann sich um das Bett aufzustellen um nützliche Eindrücke zu gewinnen, oder Erfahrungen zu sammeln. Die Nutte unter Bernd mochte ihre Mutter sein, denn sie lächelte ihnen freundlich zu und schien sehr zufrieden über die Zuneigung und Aufmerksamkeit des Nachwuchses. Rasch aber wurden sie lästig, denn die kleineren unter ihnen begannen Freude daran zu haben, Bernd mit der flachen Hand auf die nackten Arschbacken zu klatschen, was auch die etwas älteren zu stimulieren begann. Gleichwohl. Das war Bernds erste Nummer. Er hatte in Goa am Strand seine Jungfräulichkeit verloren.
Bereits beim dritten Bier wieder vor der Hütte sitzend, kam zunächst Hering und ein wenig später Dieter, die beide, erfahrener in dieser Sache, sich mehr Zeit gelassen hatten und hochzufriedener Stimmung waren. Es wurde ein lustiger Abend, an dem Lagerfeuer entzündet wurden und als sie besoffen waren, intonierten sie grölend schmutzige Lieder auf deutsch. Man war ihnen gegenüber sehr zuvorkommend, bewirtete, kassierte wenig ab und begann, sie aus dem Gebiet zu verjagen, als Bernd auf eine schräg wachsende Palme hangelte und Kokosnüsse abschlug, die noch nicht reif sein mochten. Die Männer kamen und drohten mit Messern und trieben sie den Pfad hoch, an dessen Ende kein Taxi wartete und wo die schwärzeste Nacht eingekehrt war, so dass sie sich mit leisen Rufe verständigen mussten, beisammen zu bleiben, und sich nicht zu verlieren. Gegen Mittag erreichten sie, nunmehr stocknüchtern, Goa und charterten ein Taxi, das sie zur Anlegestelle an der Bucht brachte.
Die Inder waren schnell und präzise. Nach vier Tagen und Nächten war der Zement ausgeladen. Der Dampfer verholte zur Erzpier und das Laufband benötigte einen weiteren Tag, eine Teilladung in die Räume zwei und vier zu schütten. Beim Seeklarmachen der Luken auf dem Vorschiff bekam der
Matrose Lange einen Hitzschlag und setzte sich auf das Deck. Sein Nacken
schwoll beachtlich an und er begann wirres Zeug von sich zu geben, während er mit kugelrunden Augen ins Leere starrte. Die Schiffsführung entschloß sich, ihn von Bord zu geben und ließ ihn mit einem Taxi in ein Krankenhaus fahren, wo er verblieb und nie wieder auftauchte.
Ohne Schlepperhilfe legten sie ab und suchten das offene Meer, auf dem mit Kurs Süd und dann Ost, der Malaccastrasse zugestrebt wurde. Der Seetörn mit seinen Wachgängen war in den Alltag zurückgekehrt.
Japan war das nächste Ziel. Japan war das Gesprächsthema in der Messe. In Japan hatten die Mosese Tom Have und Bernd den üblichen Schaufick
hinzulegen. So war es Sitte der Decksmannschaft in der deutschen
Handelsmarine. Und wer einen Fotoapparat besaß, begann die Linse zu putzen und nach dem Film zu schauen.
Die Malacca Straße wurde erreicht und begann an ihrem südöstlichen Ende schmal zu werden. Steuerbord Sumatra, Backbord Malaya. Das Thermometer stieg auf fünfzig Grad im Schatten. Wer Hängematten besaß, spannte diese an Deck. Alle anderen schliefen auf den Matratzen ihrer Kojen die in allen Winkeln und auf dem Sonnensegel ausgelegt wurden. Beiderseits begannen sich die urwaldbewuchsenen Küsten heranzuschieben und bald wurde Singapur auf der Backbordseite , von dem sie nicht viel sahen, außer den Lichtern, denn es war Nacht geworden, passiert. Dezember 1959. Silvester. Abdrehend in das Südchinesische Meer bei sanfter Dünung. Die Uhr wurde zum neunten Mal vorausgestellt. Die Hitze mäßigte sich zu erträglichen Graden. Vor Chile sollte ein Seebeben stattgefunden haben, wie der Funker meldete. Dann kam der Bootsmann von Mittschiffs in die Mannschaftsmesse, in der die Freiwachen Kaffee tranken und zum Abendbrot Marmeladenbrote futterten und stellte ein besorgtes Gesicht zur Schau.
„Alle Mann mal herhören,“ sagte er feierlich, nachdem er sich gesetzt hatte, „man wird uns eins überbraten. Von Osten soll eine zehn Meter hohe Flutwelle heranrollen. Ein Tsunami. Eine Springflut. Von dem Erdbeben in Chile. Japan hat sie schon passiert und alles in Klump gehauen. Sollen hunderte von Fischerbooten und etliche Schiffe abgesoffen sein. Sagt der Funker. Wir werden morgen früh auf sie treffen. Oder umgekehrt. Sagt der Alte. Einen Hafen können wir nicht mehr erreichen. Also.“ Er nahm einen Schluck Kaffee und zündete sich eine Zigarette an. “Also. Wir hetzen alle Mann an Deck. Auch Ausguck und Bereitschaft der Wache. Alle Bäume werden mit Drahtstropps zusätzlich gelascht, damit sie nicht hochschlagen und das Schiff zertrümmern. Die Matrosen fertigen die Stropps an. Alle Lukenkeile nachschlagen. Richtig rein damit. Alle Bullaugen, überall verriegeln. Panzerblenden vorsetzen. Persenning Hauben auf die Windhutzen schnüren. Wenn die abhauen, steht hier alles im Nu unter Wasser. Meterhoch. Schotten dicht. Die beiden Manilaleinen auf der Back ins Kabelgatt schießen. Boote laschen. Auch wenn sie festgerostet sind. Seht auf dem Bootsdeck nach. Alles was sich losreißen könnte, extra laschen. Der Alte sagt, er nimmt den Kawendsmann mit dem Steven, damit wir nicht kentern. Oder jedenfalls nicht gleich. Wenn das also über uns rüberschwappt, hat kein Mann an Deck zu sein. Sehen wir also, was passieren wird. Gibt keine Erfahrungswerte. Sowas hat noch niemand von uns erlebt.“
„Werden schon auf dem Planeten bleiben,“ sagte Björn trocken.
„Fertigessen und dann raus. Feierabend, wenn alles erledigt ist. Und wenn ich das abgenommen habe.“
Hektik brach herein. Bis weit nach Mitternacht laschten alle alles, was auch nur entfernt losgerissen werden konnte. Dann keilten alle die Messeausstattung und die persönliche Habe. Von vier bis acht hatte Bernd Wache und konnte die Meldungen hören, die der Funker kontinuierlich in die Brücke rief. Die Flutwelle wurde gegen zehn Uhr erwartet und kam pünktlich. Bei strahlendem Sonnenschein baute sich über die gesamte Kimm im Osten ein Wasserwall auf, der wuchs, wuchs und rasch heranrollte. Da kam eine Wand aus Wasser daher. Kaum Gischt, kristallischgrün glitzernd. In praller Sonne.
„Rein ins Deckshaus,“ brüllte der Bootsmann, „es ist soweit. Wenn wir kentern, Luft anhalten und raus aus dem Deckshaus.“
„Dann kann jeder machen, was er will,“ grinste Dieter mit blasser Nase und sprang durch das Schott.
„Das ist doch mehr als zehn Meter hoch,“ sagte er und zog als Letzter die Eichentür hinter sich zu.
„Wir werden sehen,“ sagte der Bootsmann gepresst und griff nach einem Wasserrohr, sich festzuklammern.
Dann war das Gebirge heran. Der Bug stieß jäh steil in einem Ruck in die Höhe, so dass die, die sich nicht irgendwo festhielten durcheinander fielen und auf das Deck des Ganges stürzten.
Das Schiff zitterte und bog sich merklich durch. Wasser schlug mit Wucht und Donnergetöse, wie ein rasender Güterzug, über das Achterdeck und prallte auf der Poop auf die Wände des Deckshauses mit der Messe. Stahl kreischte. Das Schiff stellte sich noch steiler auf. Das Bullauge der Eichentür, das keine Blende hatte, stand plötzlich unter grünlichem Wasser. Das Wasser spritzte unter Druck durch die Seiten des Eichenschotts auf den Gang, auf dem auch Bernd stand und sich zusammen mit dem Bootsmann an dem Wasserrohr festklammerte und sofort standen alle bis zum Bauchnabel in der See. Es gurgelte den Niedergang zu den Kammern hinunter. Alles dröhnte und bebte und ächzte. Dann kam Licht. Das Bullauge war wieder über Wasser. Der Wassereinbruch versiegte. Das Schiff kam achtern hoch. Schoss achtern in die Höhe, wie ein rasender Fahrstuhl. Es krängte weit nach Steuerbord über und alle dachten, dass es jetzt kentern, umschlagen, würde. Aber dann fing es sich.
Langsam kam es wieder hoch und schließlich pendelte es sich auf ebenem Kiel aus.
„Meine Fresse,“ brachte der Bootsmann mit zugepressten Lippen hervor. “Meine Fresse. Ich dachte schon, das wars. - Gut, gehen wir schauen, was so alles zu Bruch gegangen ist.“
Er riß das Schott auf und trat auf das Poopdeck. Die See war spiegelglatt. Als ob nichts passiert wäre. Die Sonne strahlte. Der Ozean war von einer tiefblauen Farbe. Die Schäden hielten sich erstaunlicherweise in Grenzen. Zwei Seiltrommeln waren losgerissen und lagen hinter einem Lukensüll. Ein Rettungsboot war leckgeschlagen, die drei anderen voll Wasser gelaufen, einige Windhutzen waren weggerissen, aber noch an Bord. In zwei Räumen schwappte das Seewasser und in der Maschine hatten sie einen Wassereinbruch durch die Oberlichter zu verzeichnen, mit dem aber die Lenzpumpen fertig wurden. Eine Menge Geschirr war in der Offiziersmesse zu Bruch gegangen und in dem Wohndeck der Decksmannschaft und der Heizer stand das Wasser knietief und hatte alles durchweicht. Einige Bäume waren aus den Lagern gerissen, hingen aber in den Drahtstropps.
„Schwein gehabt,“ sagte der Bootsmann zufrieden. “Wir haben Schwein gehabt. Ich geh jetzt in meine Kammer und mach eine Flasche auf. Ihr räumt das hier alles fein säuberlich auf. Und schöpft das Wasser aus dem Wohndeck. Bevor unsere Kakerlaken ersaufen.“
In Bernds Freiwache lief der Dampfer Tage später in die Tokio Bucht ein und erreichte zur Mittagszeit den Hafen von Kawasaki, wo auf der Binnenreede Anker geworfen wurde. Das Paradies aller Seefahrer war erreicht. Unzählige kleine Fischerkutter tuckerten auf der Binnenreede umher und füllten diese bis in die Winkel aus. Geschäftiges Treiben, das sich rasch auf die Solveig ausdehnte. Rund um das Schiff legten sie an der Aussenhaut an, gestikulierten und riefen. Sie wollten alles kaufen und alles bezahlen. Die Mannschaft verkaufte alles und der Bootsmann kassierte alles.
„Das wird nachher alles gleichmäßig aufgeteilt,“ sagte er aufgekratzt. „Der Bootsmann kriegt den größten Anteil. Der Bootsmann bin ich. Dann kriegen die Matrosen den zweitgrößten Anteil. Zum Schluß kriegen die überbezahlten Decksjungen den kleinsten Anteil. Wir verkaufen alles. Aber wir verkaufen alles so, dass die Mittschiffs, die Offiziere, das nicht mitkriegen. Also, kommt einer von denen nach achtern, herrscht hier Handelsruhe. Alles, was wir verhökern geht ganz achtern über die Reling in die Boote. Die Manilaleinen aus dem Kabelgatt lasst ihr unauffällig durch die Ankerklüsen laufen. Anker verkaufen wir nicht. Oder erst, wenn wir an der Pier liegen. Die Rettungsboote verkaufen wir auch nicht. Das würde dem Alten auffallen, wenn sie nicht mehr da wären. Aber alle Hutzen und auch etliche Blöcke, Teil vom Ladegeschirr. Wenn wir das Eisenerz gelöscht haben, laufen wir nach Osaka, wo der Kahn verschrottet wird. Alles kann verschwinden, was wir da nicht zum Festmachen und zum Hinkommen brauchen.
Also los, fangt an zu schrauben und zu demontieren. Ich handel derweil die Preise aus.“
Sie schwärmten aus und schleppten alles auf das Achterdeck, was nicht angenietet und angeschweißt war. Achtern entwickelte sich ein reger Güterverkehr über die Reling in die unten schaukelnden Boote. Gezahlt wurde in japanischen Yen, die in den Hafenbars versoffen und verhurt werden sollten. Die Taschen des Bootsmanns begannen sich zu füllen. Harry kam aus seiner Messe und wollte wissen, ob die Japaner auch von ihm etwas kaufen würden. „Wollen die auch was von mir kaufen?“ fragte er den Bootsmann, der gewichtig hinter dem Deckshaus an der Reling stand und Geldscheine zählte. „Was würden die wohl von dir kaufen wollen. Du hast doch nichts.“
„Ich hab Verbindungen in die Maschine. Gute Verbindungen.“
„Und? Wollt ihr denen den Schornstein verkaufen?“ Der Bootsmann lachte. „Mein Gewährsmann meint, dass im Maschinenraum eine Menge Zeug steht, das wir nicht unbedingt für die letzte Reise nach Osaka brauchen werden.“ „Dein Gewährsmann? Der Maschinenassi? Was wollt ihr den Japsen aufschwatzen. Die Lenzpumpe?“
„Würden die eine Lenzpumpe haben wollen?“
„Woher soll ich das wissen. Die können alles gebrauchen.“
„Ich habe schöne Teller. Kaufen die Teller?“
„Woher soll ich das wissen. Bring mir ein Musterexemplar. Wir machen Hälfte Hälfte. Sag der Decksmannschaft davon nichts.“
„Klar.“ Harry brachte ein Musterexemplar und die Japaner fanden Gefallen.
„Aus der Schüssel?“ Brüllte des abends die Stimme eines Heizers aus der Maschinenmesse nebenan. „Aus der Schüssel? Ich freß doch nicht mit all den anderen aus einer Schüssel.“
„Wo sind die Teller !“ Brüllte ein anderer, den Tumult, der entstanden war, zu übertönen, „Hatten wir nicht Teller gehabt?“
„Es ist schwierig,“ raunte Harry am nächsten Tag dem Bootsmann, der wie eine Säule nicht von der Reling des Achterdecks wich, seine Handelsbeziehungen mit Weinbrand pflegte und seine Warenströme argwöhnisch im Auge behielt, zu,“ ich habe schöne Tassen.“
„Bring mir ein Exemplar.“
„Hör mal Erich,“ räusperte sich der Assi, der den Bootsmann dutzte, weil beide beinahe den gleichen Rang bekleideten, “ich habe schöne Werkzeuge. Fragst du deine Geschäftspartner, ob sie schöne Werkzeuge kaufen wollen? Du kriegst die Hälfte ab.“
„Bring mir ein Muster.“
„Bootsmann, wollen die Japsen Keramikteller ?“ flüsterte Tom Have mit abwesender Miene, als er sich unauffällig von hinten an den Bootsmann herangepirscht hatte, der herumwirbelte und aus Leibeskräften brüllte :“Wen glaubst du hast du vor dir, du Arschloch. Wenn auch nur ein Löffel fehlt, wirst du gekielholt.“
„Ich dachte nur. Man kann ja mal fragen.“ sagte Tom Have mickrig und zog sich zurück in seine Mannschaftsmesse.
„Ich hab auch noch Matratzen,“ sagte Harry als er mit der Mustertasse zurückkam.
„Sehen ganz so aus, wie die Tassen in unserer Messe,“ sagte der Bootsmann argwöhnisch, „bist du sicher, dass das deine sind?“
„Absolut.“
„Bring mir ein Muster von deiner Matratze. Aber eins ohne Piß und Kotzflecken. Meine Kundschaft will erstklassige Ware. Und schüttel die Kakerlaken und die Wanzen raus. Meine Kunden zahlen schlechte Preise.“ „Dieter,“ rief der Bootsmann anschließend, als er sich umdrehte und Dieter an der Reling hinter sich stehend bemerkte,“ lunger da nicht rum. Komm mal näher heran und lehn dein Ohr an mich.“
„Du bist doch ein smarter Leichtmatrose nicht wahr? Also überleg dir, wie wir ein Rettungsboot verschwinden lassen können, ohne dass die Lücke auffällt. Für Rettungsboote zahlt meine Kundschaft recht ordentlich.“
„Bootsmann,“ rief der Dritte, der das Deckshaus umrundete und den Bootsmann, den er suchte, an der Reling entdeckte, “Bootsmann, was ist hier los. Der Erste schickt mich. Der Erste meint, ich solle erkunden, wieso das Deck so kahl aussieht.“
„Das ist mir auch schon aufgefallen,“ sagte der Bootsmann, „ich habe den Eindruck, dass hier geklaut wird. Was fällt ihnen denn auf, was fehlen könnte?“
„Wo sind die ganzen Windhutzen abgeblieben. Hatten wir nicht immer sehr viele Windhutzen?“
„Ich glaube schon. Ich glaube hier wird geklaut.“
„Ich hab vorhin mit dem Assi gesprochen. Der sagt, der Maschinenjunge sagt, dass ihm die Teller abhanden gekommen sind.“
„Das mag angehen. Ich hab das Gebrüll aus der Heizermesse gehört, als sie alle aus einem Topf fressen mussten.“
„Sie werden mir kräftig einen ausgeben,“ sagte der Dritte versonnen und schaute auf das Treiben hinunter, „eine Nutte für die Nacht muß drin sein. Wenn ich mir was Passendes für den Ersten ausdenken möchte.“
„Würde ein verschwundenes Rettungsboot arg auffallen?“
„Wollen Sie die Mannschaft absaufen lassen wenn wir in Seenot geraten?“
„Wo. Hier?“
Harry bekam dann doch Bedenken, die Matratzen der Heizer und der Öler zu verkaufen und meinte, “ich werde mir eine billigere Nutte nehmen. Die haben ja verschiedene Preisklassen.“ Es war aber doch wohl eher so, dass niemand die durchgelegenen und gefleckten Unterlagen haben wollte.
Der Bootsmann verkaufte das Schiff leer und sagte in der Messe :“Wir haben genug. Wenn wir mehr verkaufen wollen, müssen wir das Schiff auseinanderschweißen.“ Er verteilte das Geld gerecht nach seinem Verteilerschlüssel, nach dem er ein Drittel nahm und die anderen sich um den Rest balgen ließ.„Ich muß auch noch den Dritten bewirten. Der hat was spitz gekriegt. Der besteht auf einer Edelnutte. Bernd, geh an Deck und stülp Eimer über die Löcher, wo jetzt die Windhutzen fehlen. Gibt überall und immer Idioten die über alles stolpern und in jedes Loch fallen.“
„Wir werden nicht genug Eimer haben,“ sagte Bernd.
„Stülp was anderes drüber. Irgendwas. Wir haben noch Zinkeimer? Die Japsen werden sicherlich Zinkeimer haben wollen.“
Der Erste meinte zu dem Dritten, “sieht ja recht aufgeräumt auf. Macht gute Arbeit, unser Bootsmann.“
Der Assi aus der Maschine passte den Bootsmann auf dem Gang ab und verlangte heimlich seinen Anteil aus den Erlösen für die Werkzeuge, der beträchtlich war. Bernd bekam einen Anteil von zwanzigtausend Yen, der für zwei Nächte Trunkenheit und weibliche Begleitung ausreichen würde. Harry war zufrieden mit dem Erlös für die Teller der Heizermesse. Die Heizer, die sich nicht an das Essen aus einem Topf gewöhnen mochten, pachteten bei Tom Have gegen Zigaretten einen zweiten Topf und gaben Ruhe.
Die Deckmannschaft machte löschklar, zog die beiden Anker aus dem Schlick und verholte das Schiff mit Schlepperhilfe an die Eisenerzpier, an der es schon von leichtbekleideten Damen erwartet wurde, die Werbung mit Tittenschaukeln für die Nachtbars, in denen sie arbeiteten, machten und in die die Mannschaft nach Arbeitsschluß am Abend einzufallen beabsichtigte.
„Hier bin ich zuhause,“ sagte Dieter, der Leichtmatrose, als Bernd mit ihm über die Piers der Hafenanlage in Richtung der roten Lampen wanderte, die sich am Hafenrand aneinander reihten und zu Schuppen gehörten, aus denen ihnen beim Näherkommen Rockn Roll und Brunftgeschrei entgegentönte. „Hier würde ich sogar tot über dem Zaun hängen wollen. Ich war schon mal in Japan.“
Bernd wusste, dass Dieter schon mal in Japan gewesen war. Er hatte in den letzten Wochen keine Gelegenheit ausgelassen, davon ausschweifend zu berichten. Sie fingen, wie es sich geziemte, mit der ersten, der sechs sichtbaren Kneipen an und betraten einen dämmerigen, rot erleuchteten Raum, in dem sich ein langer Tresen, einige Tische und Bänke und ein auf dem Boden liegender dicker schwarzer Teppich zu materialisieren begannen. Hinter dem Tresen an der Wand standen glitzernde Gläser auf glitzernden Glasregalen vor spiegelndem Hintergrund.
„Kirin,“ sagte Dieter, der schon mal in Japan war und wusste, das Kirin Bier hieß und ließ sich voller Zufriedenheit auf einem Barhocker nieder. „Na ? Hab ich zuviel versprochen ? So saubere Hafenkneipen hast du noch nie gesehen. So sind sie alle in Japan. Gemütlich, rotgedämpftes Licht. Die Musik kommt aus dem Radio. Die haben hier eine Radiostation, die nur Musik für die Nachtbars spielt. Wenn du hier bei Elvis rausgehst, gehst du nebenan bei Elvis etwas weiter, wieder rein. Wirst schon sehen. Verpaßt du keinen Schlager.“
Die geile Braut hinter dem Tresen stellte zwei Literflaschen Kirin auf die Theke und schob zwei Wassergläser hinterher. Zwei junge Mädchen standen von den Tischen auf und eilten heran, das Bier einzuschenken und sich an Dieter und Bernd zu heften.
„Na ?,“ sagte Dieter, mit rotem Kopf in roter Beleuchtung, von Ohr zu Ohr grinsend und das Glas Bier zum Salut hebend, „Na ? Hab ich zuviel versprochen ? Verstehst du jetzt, warum Japan das Paradies der Seefahrer genannt wird ? Campai.“
Er leerte das Glas in einem Zug und stellte es auf die Theke zurück, wo es unverzüglich erneut bis über den Rand gefüllt wurde.
„Ficki Ficki ?“ Fragte Bernd seine Freundin, die neben ihm auf dem nächsten Hocker Platz genommen und den einen Arm um ihn geschlungen hatte.
„Ficki, ficki?“ Sie lächelte und verstand nicht. Dankbar, dass Bernd in der Schule englisch gelernt hatte, suchte er die passenden Brocken zusammen und ergänzte : “Wanna go for a fuck?“
„Was sabbelst du da für einen Quatsch,“ sagte Dieter, der schon mal in Japan war und neigte sich Bernds Weib zu,“ shorttime.“ Er zeigte mit spitzem Finger auf Bernd.
„Oh, shorttime. Yes. Yes. Shorttime. Yes, very good shorttime. Me.” sagte sie, sich erfreut auf dem Hocker aufreckend und einladend über alle Backen grinsend.
„Na ?,“ sagte Dieter und zog selbstbewusst die Mundwinkel unter die Ohren. “Na ? Weißt du jetzt wie das hier abläuft? Manche brauchen halt etwas länger.“
Er beugte sich vor und adressierte das neben Bernd sitzende Mädchen, das lange schwarze Haare aufwies und deren Hand auf seinem Schenkel, nicht fern des Geschlechtsteiles, ruhte: „How much. How much money. For shorttime. Grabsch ihre Titten. Die mögen es, wenn du ihre Titten grabschst. How much money, ficki, ficki, shorttime.“
„Oh ja, shorttime,“ sagte sie erfreut und Bernd grabschte ihre Titte, die linke. „Ficki ficki,“ sagte die Braut, die hinter dem Tresen bediente und auch lange schwarze Haare hatte. „You ficki ficki.“ Sie streckte den Finger aus und zeigte auf Dieter. Bernds Braut stieß ihn an und malte in den imaginären Staub der Theke etwas was wie tausend aussah. Okay, sagte Bernd und sie verschwanden durch eine Tür im hinteren Teil der Bar, wo eine Leiter erklommen und in einem kleinen Zimmer ficki ficki veranstaltet wurde, während die Schlager aus den Lautsprechern der Bar durch den Boden dröhnten. Sie machte gut ficki ficki. Es war keine Eile geboten. Als Bernd wieder herunterstieg, öffnete sich die zweite Tür neben der Treppe, aus der Dieter hervortrat.
„Na? Gut gefickt ? Was hab ich dir gesagt.“
Sie tranken ein weiteres Bier und zogen in die nächste Kneipe, dann in die nächste, wo sie einen Teil der Decksmannschaft beim gemeinsamen Gesang antrafen und bei dem Madagaskar Lied lautstark einstimmten. In der vierten Kneipe, in die Bernd sich mühsam schleppte, nachdem Dieter ihm abhanden gekommen war, fand er Harry, der sich am Tresen festgeklammert hatte und mit glasigem Blick auf die Schnapsflaschen auf den funkelnden Regalen starrte.
„Na, Harry, gut gefickt,“ rief Bernd, damit er ihn verstehen möge, aber Harry war jenseits allen Verständnisses angelangt.
Am folgenden Abend war Bernd gleich nach Wachende wieder in der ersten Bar, wo er Mitziko, so hieß sie, fickte und etliche Biere trank, um pünktlich um vier Uhr morgens erneut die Wache anzutreten, denn es hieß, dass das Schiff an diesem Morgen auslaufen und Yokohama ansteuern würde, wo auf Außenreede vor Anker gegangen werden sollte, auf Order des Agenten zu warten.
Eine Woche verbrachten sie in den Kneipen in Yokohama, die denen in Kawasaki um nichts nachstanden. Die ganze Mannschaft war besoffen und in allen Bars trafen sie auf Bekannte. Die Weiber waren vortrefflich und willig und billig und überaus anhänglich. Bernd fand sich eines morgens kurz vor Sonnenaufgang in einem Bungalow auf einem Hügel außerhalb der Stadt auf einem Bett zwischen zwei Mädchen wieder, mit denen er Wein in einer Bar getrunken und die ihn, als er volltrunken war, eingeladen hatten, bei ihnen zu Hause zu nächtigen. Er entsann sich, dass die Stadt Yokohama hinter ihnen zurückgeblieben war und das Taxi Dörfer auf dem Lande auf schmalen Strassen durchquerte, bis sie vor einem steilen Hügel hielten, den sie in nachtschwarzer Dunkelheit über Treppenstufen erklommen, wobei er an der Hand geführt wurde und auf das Gekläff der Nachbarshunde lauschte. Ob Bernd sie gebumst hatte, wusste er nicht mehr. Jedoch sah es nach dem Arrangement, welches er beim Aufwachen vorfand danach aus, denn ihm schien, dass sie alle drei nackt umherlagen, wie er im Mondlicht zu erkennen glaubte.
Behutsam schälte er sich aus den Leibern heraus und tastete in dem Wunsch umher, seine Klamotten zu entdecken, die er jedoch nicht auffinden konnte.
Das eine Mädchen, gesegnet mit einem nicht sehr tiefen Schlaf, war mittlerweile aufgewacht und begann ihn zurück auf das Bett zu ziehen, wobei es das andere Mädchen anstieß und es aufweckte. Nunmehr versuchten beide, ihn auf das Bett zurückzudrängen, aber er musste darauf bestehen, das gastfreundliche Haus unverzüglich zu verlassen, denn im Schein des Mondes gelang es, einen Blick auf seine Armbanduhr zu werfen, um in Panik feststellen zu müssen, dass die dritte Morgenstunde angebrochen war, wo er in der vierten seine Wache auf dem Schiff anzutreten hatte, wo immer und wie fern das auch liegen mochte. Sie wollten ihn nicht gehen lassen, gaben aber schließlich, nach ausgiebiger Konversation, die niemand von ihnen verstand und die flüsternd abgehalten wurde, da niemand zu wecken war, der gegebenenfalls ebenfalls in diesem Haus oder in der Nähe ruhen mochte, seine Kleidung und die Schuhe, die im Nebenzimmer aufgefunden werden konnten, nachdem jemand auf die Idee gekommen war, ein Streichholz anzuzünden, denn Strom schien nirgends vorhanden. Noch beim Absteigen von dem Hügel, auf dem das Haus stand, versuchten sie Bernd zurückzuhalten, aber er ließ sich nicht beirren und torkelte die Steinstufen hinab, alsbald unschlüssig auf der schmalen Strasse die korrekte Richtung abschätzend, sich auf die Suche nach dem Schiff zu begeben, das irgendwo ja liegen musste.
Unbewußt hatte er offensichtlich die richtige Richtung gewählt, denn als er unter einer Brücke, deren Pfeiler die Strasse einengten und bei sich fortpfanzendem Hundegebell zu beiden Seiten, passierte und eine Ecke umrundete, sah er in der Ferne den Lichterglanz dessen, das Yokohama sein mochte und Yokohama zu sein hatte, da er bereits ziemlich am Ende seiner Kräfte und immer noch besoffen war und nicht mehr in der Lage sein würde, eine andere Stadt aufzusuchen. Bernd hatte Glück; es war Yokohama. Und eine Stunde Fußmarsches später hatte er erneut Glück. Ein Taxi kam von vorn und beförderte ihn in das Hafengelände, wo er sich auf die Suche nach der Anlegestelle der Barkasse machte, die er endlich auffand. Die Launch war weg und die nächste würde erst um sechs Uhr dreißig ablegen. Es war fünf Uhr dreißig und er hatte seine Wache verpasst. Bernd setzte sich auf einen Poller und ließ die vergangene Nacht Revue laufen.
Die Deckmannschaft hatte sich besonnen. Björn fiel als erstem in der Messe auf, dass irgendetwas vergessen worden war. Die beiden Mosese sollten doch einen Schaufick liefern. Schon in Kawasaki sollten sie ficken. Wozu hatte man die Fotoapparate bereit gelegt. „Wir fahren heute Abend mit der zwanzigdreißiger Launch an Land und suchen ein geeignetes Bordell mit Licht auf dem Zimmer. Damit die Aufnahmen was werden. Wer mitkommen will, kommt mit. Paßt mir auf, dass die beiden Wichser nicht wieder entwischen.“ Alle wollten mit. Auch Harry wollte dabei sein.
Geschniegelt und gestriegelt bestiegen alle die Launch und wanderten dann gemeinsam von der Anlegestelle zu dem großen Taxihalteplatz, wo ein Wagen neben dem anderen stand, die Mosese sorgsam in der Mitte haltend, damit sie nicht überraschend verloren gehen konnten. Bei der ersten Taxe angekommen, wurde Bernd die hintere Tür geöffnet und Tom Have hinterhergeschoben, während Bernd die linke Tür öffnete, ausstieg und in dem nächsten Taxi Platz nahm, gefolgt von dem prüden und etwas tranigen Tom Have, der jetzt jedoch geschickte Behändigkeit entwickelte. Sie fuhren bereits los, irgendwo hin, als die Matrosen und Leichtmatrosen und Jungmänner, die alle in ihrer Blüte als
Deckjungen auch schaugefickt und viele Fotos zurückgelassen hatten, noch mit dem Einsteigen in drei andere Taxen beschäftigt waren. Gleichwohl bemerkte man ihre Flucht sofort und ein Wagen setzte sich beharrlich an ihre hintere Stoßstange, konnte aber an einer Kreuzung glücklicherweise abgeschüttelt werden.
Während Bernds Rekonstruktionen war ein PKW mitten auf der Pier zum Stillstand gekommen, aus dem vier Japaner ausstiegen und auf die Bucht hinausblickten. Man kam beiläufig ins Gespräch und obwohl Bernd zunächst argwöhnisch Schwule vermutete, folgte er dann doch der Einladung und stieg in das Fahrzeug, das sie in ein Barviertel für die bessere Gesellschaft Yokohamas, parallel der Isesake Sho, wie Bernd bei späteren Japanbesuchen feststellen konnte, brachte, vor deren Türen häufig Schilder mit der Aussage „Japanese only“ hingen. Die Bars waren außerordentlich luxuriös eingerichtet. In einer Weise, wie sie zu der Zeit, etwa im Deutschland des Jahres 1960 nicht zu finden waren. Sie unterhielten sich angeregt auf englisch, soweit beide Seiten des Anderen Kauderwelsch verstanden, tranken Tee und Kaffe und um zwölf Uhr dreißig nahm Bernd die Launch, zurück an Bord zu fahren. Schon beim Anlegemanöver der Barkasse an das Fallreep konnte er die an Deck angetretene Deckmannschaft erkennen und ahnte Böses. Von dem Bootsmann erhielt er ohne Ansprache und recht plötzlich die erste Ohrfeige, dann kam der Matrose Jörg, dann stand da Hering. Und so ging es weiter, bis er den letzten Jungmann passiert hatte und Tom Have neben dem Deckshaus stehend mit roter Backe schwach grinsend erblickte.
„Wegen der Flucht,“ sagte der, als Bernd passierte, seine Kammer aufzusuchen, sich umzuziehen.
“Sie sind sauer wegen der entgangenen Schaufickgeschichte.“
Am Abend kam die Order, unverzüglich die Anker zu lichten und nach Osaka zu verholen, wo die Colonia bereits warten sollte und wo das Schiff an die japanische Abwrackmannschaft zu übergeben war. Es galt, seine Sachen in den Seesack zu stopfen und Abschied von den Kakerlaken zu nehmen, die sich einstweilen weiter von den Ölfarbresten an den Wänden ernähren würden.
Mit einem Bus transportierte man die dreiundvierzig Mann von der Pier, an der festgemacht und von den Japanern abgelöst worden war, die das Schiff in die Abwrackwerft verholen sollten, zu einem Flugfeld, das am Rande der Stadt lag und aus einer Betonpiste, einem kleinen gemauerten Gebäude und einem langen Jägerzaun bestand, an dem die Mannschaft der Colonia im Gras lagernd und guter Dinge, vorgefunden wurde. Sie waren bereits seit anderthalb Wochen in einem Hotel untergebracht gewesen und hatten für den Flug nach Hamburg bestens vorgesorgt. So gut wie alle waren reichlich besoffen und schleppten sich mit Flaschen für den kommenden Tag ab. Es passierte nichts und so lümmelten alle in der Sonne und nahmen Teil an den alkoholischen Getränken, die eigentlich auch morgen noch hätten reichen sollen. Morgen oder übermorgen, wenn sie in Hamburg sein und auf der Reeperbahn einkehren würden, gäbe es ohnehin Nachschub.
Ein kleines Flugzeug kam daher, kreiste um den Platz und rollte auf der Bahn aus, um die Motoren abzustellen.
Eine Treppe auf Rädern wurde von zwei Japanern aus dem Haus herbeigeschoben und an das Flugzeug gelehnt. Es öffnete sich eine Tür und eine Frau und ein Mann lugten heraus, zu schauen, ob die Luft rein sein würde.
Die Sonne strahlte von einem tiefblauen Himmel und die nächsten Flaschen wurden geöffnet. Jemand stimmte ein grölendes Lied an. Einer der Offiziere, die auch soffen, meinte laut, dass das Flugzeug nunmehr bald käme.
“Das ist unsere Mühle.“ Schrie plötzlich jemand durchdringend.
Alle glaubten an einen Scherz. Aber dann kam der Alte aus dem Flugplatzhaus und brüllte: „Alles aufsitzen. Das da ist unser Flugzeug.“
Wie auf Kommando sprangen alle mehr als achtzig Leute auf, hechteten über den Jägerzaun, fielen dabei teilweise auf die Fresse und rannten in einer Horde über die Grasnarbe und dann über die Betonpiste, denn niemand wollte am Mittelgang sitzen, wo es nichts zu sehen geben würde und jeder wollte an Bord, da alle pleite waren und es keinen Sinn machte, in Japan zu verbleiben, wenn man pleite war und keine Bars und Nutten mehr besuchen würde können. Das dieses Flugzeug zu klein war, alle Mann aufzunehmen, war jedermann bewusst. Wie eine Lawine wälzten sie sich die Treppe zur Flugzeugtür hoch, schleiften die Gepäckstücke hinter sich her und in der Tür erschien ein Mann in Khakiuniform, der der Pilot sein mochte und begann wild mit beiden Armen zu rudern und schließlich laut zu schreien, was niemand in dem allgemeinen Getöse verstehen konnte und was niemanden irritierte. Bernd war flink und gehörte zu den ersten, die die Leiter erreichen konnten und begann zu verstehen, was der fuchtelnde Mann mitzuteilen hatte, als er oben auf der Treppe ankam und von der schiebenden Masse in die Flugzeughülle katapultiert wurde. Zusammen mit dem Piloten, so er denn der Pilot wäre, was er sagte, dass er es sein würde.
„Das Flugzeug kippt hinten über,“ brüllte er aus Leibeskräften, “das Flugzeug wird hinten überkippen. Ihr müsst einzeln und nacheinander das Flugzeug betreten. Sonst kippt das Ding hinten über. Und fällt auf die Piste.“
Er hatte Recht und alle bemerkten, dass das Flugzeug hinten überkippte und auf der am Heck baumelnden Stange mit einem Ruck aufsaß. Aber nun war es eh geschehen und es gab keinen Grund, zu verweilen und die Zeit zu vertrödeln. Bernd stürzte auf einen Segeltuchstuhl an Steuerbord in der Mitte, knapp hinter den Schwingen zu und pflatschte sich hinein, sich krampfhaft an dem Rohrrahmen festzuklammern, damit er nicht in letzter Minute fortgeschwemmt werden würde, auf einem schlechteren Sitz zu landen. Harry kam neben ihm zu sitzen und bemerkte zu spät, dass er keinen Fensterplatz ergattert hatte. Aber es war nun zu spät und alle Plätze, alle Segeltuchstühle, die aussahen wie die Regiestühle der Filmemacher und die Regiestühle der Filmemacher waren, waren in Beschlag genommen.
„Ich werde dir erzählen, was unter uns vorbeihuscht,“ sagte Bernd zu Harry, „mach Platz, damit ich meinen Seesack unter den Stuhl schieben kann.“
Die Mannschaft, zwei Piloten und zwei geile Stewardessen, die nach achtern an die Wand der Pantry gedrückt waren, alles Deutsche und im Dienste der Lufthansa befindlich, bemühten sich mit der Flugplatzmannschaft, die zwei Mann stark war, das Flugzeug wieder ins Lot zu wippen, da man so nicht starten konnte, weil die Eisenstange am Heck die Piste aufreißen würde, was niemand haben wollte. Die Mannschaft wurde von dem Alten aufgefordert, Hilfe zu leisten, aber niemand hörte und alle hatten sich auf den Stühlen behaglich eingerichtet und die Flaschen begannen zu kreisen und die Stimmung wuchs. Es gelang den vereinten Kräften, das Flugzeug in die Waage zu schubsen und der eine Pilot stellte sich vorn auf und hielt eine kurze Ansprache, weil es keine
Lautsprecher gab, über die er aus seinem Flugzeugführerschapp heraus hätte kommunizieren können. Alle lauschten andächtig.
„Meine Herren,“ sagte er aufgeräumt, „eine kleine Vorstellung. Und eine Beschreibung unseres gemeinsamen Vorhabens.“
Er machte eine Pause und sammelte sich,“ Wir sind ein Flugzeug der Lufthansa und fungieren als Chartermaschine für die Rickmersen Reederei. Es ist unsere letzte Reise. Es ist die letzte Reise der Maschine, die in Hamburg außer Dienst gestellt und verschrottet werden wird. Wir sind von Australien. herbeigeflogen und fliegen jetzt gleich nach Hamburg. Die Maschine ist eine DC 3, hat aber vier Motoren, so dass alle beruhigt einer ruhigen Reise entgegensehen werden können.
Wir müssen Zwischenlandungen machen, um Treibstoff zu tanken, denn wir haben nicht viel Treibstoff an Bord. Die erste Zwischenlandung machen wir in Taipeh. Das liegt auf Formosa. Ich bitte zu beachten, dass wir keine Druckkabine haben. Das hier ist ein Transportflugzeug und Transportflugzeuge haben in der Regel keine Druckkabinen. Wenn der Druck auf den Ohren wächst, hilft schlucken.“
„Das hilft immer,“ brüllte jemand.
„Ich bitte um Ruhe, um meine Ausführungen rasch zu beenden. Der Druck auf den Ohren wächst aber nur, wenn wir uns im Sinkflug befinden. Nicht wenn wir uns im Steigflug befinden. Die Stewardessen werden gleich Papiertüten an jeden Passagier austeilen. Ich bitte nicht auf den Boden zu speien, sondern in die Tüten, die ausgewechselt werden, sobald sie voll sind. Wir haben ausreichend Tüten an Bord. Nunmehr bitte ich alle Passagiere, sich entspannt zurückzulehnen und die Stahlrahmen der Sitze fest zu fassen. Wir werden jetzt starten.“
Er blickte zufrieden über die Horde seiner Passagiere hinweg und die Stewardessen eilten mit den Papiertüten heran, sie zu verteilen.
„Wir hoffen in drei Tagen wohlbehalten Hamburg zu erreichen. Ich wünsche angenehmen Flug,“ setzte der Pilot hinzu und begab sich in das Cockpit, die Motoren anzulassen.
„Haben Flugzeuge eigentlich nicht immer Halteriemen oder so?“ Fragte Harry, „Haben wir keine Gurte oder so ?“
„Wozu,“ sagte Bernd, lehnte sich entspannt zurück und griff mit beiden Händen nach dem Stahlrohrrahmen, wie empfohlen.
Sie gewannen Höhe und der Pilot war so freundlich, dem allgemeinen Wunsch zu entsprechen und flog zunächst nach Nordosten, damit alle zum Abschied von den japanischen Inseln den Fuji Yama mit seiner Schneekappe sehen konnten, denn alle Welt wusste, dass wenn man beim Verlassen der Inseln den Fujiyama sah, kam man wieder. Und alle wollten unbedingt wiederkommen.
Es war heiß in dem Flugzeug und stickig. Alle zogen ihre Hemden aus und saßen in bester Stimmung auf ihren Segeltuchstühlen.
„Schroffe Felsen, Harry,“ sagte Bernd zu Harry erklärend,“ unter uns. Vielleicht fünf Kilometer unter uns. Wie bei dir zuhause.“
„Bei mir gibt es keine schroffen Felsen zuhause. Alles ist platt. Ich wohne in Wien.“
Dann wurde gesungen - Einmal dein Badewasser schlürfen, die Stewardessen wurden rot und verzogen sich in ihre achtern abschließende Pantry, Tee zu brühen. Alsbald wurde gespeist. Dreiecke aus pampigem Weißbrot ohne Rinde und mit einer Scheibe Käse dazwischen, wurden zu starkem Ostfriesentee gereicht. Die Papiertüten wurden zurückgegeben und sauber aufgestapelt, da niemand kotzen wollte und auch kein Grund zum Kotzen bestand. Das Flugwetter hätte besser nicht sein können. Als Taipeh mit vielen Lichtern unter ihnen in Sicht kam und mit dem Abstieg begonnen wurde, der sich langwierig gestaltete, denn Taipeh liegt in einem Kessel, der von Gebirge umsäumt, wie ein kreisender Adler anzusteuern ist, war es stiller geworden. Die Besoffenen schliefen und die nicht ganz so Besoffenen starrten leere Flaschen an, die über den Boden kullerten und bald von der Bedienung aufgelesen wurden, sobald sie deren Füße erreichten. Die letzten Lieder waren verstummt. Die Ohren fingen an zu sausen und zu dröhnen. Manche hielten ihre Köpfe zwischen beiden Händen. Andere schluckten beharrlich, was half. Der Druck stieg diametral zu dem recht senkrechten Abstieg. Dann stand der Flieger auf der Betonpiste und der Tankwagen rollte herbei.
„Der Tankwagen rollt heran,“ sagte Bernd zu Harry, dem schlecht schien, von all dem Schnaps.
Das folgende Ziel war Hong Kong. Auch hier kam rasch der Tankwagen und füllte ab. Die Stimmung war gereizt. Kein Bier. Kein Schnaps. Dann landeten sie in Saigon. Über den Urwäldern Vietnams oder Kambodschas, so genau war das nicht auszumachen, wurde ein Motor an Steuerbord abgestellt, weil er Probleme machte, wie der zweite Pilot aufklärte, als er schwitzend vor die Tür des Pilotenschapps trat und die Neuigkeit verbreitete.
“Aber das macht nichts. Wir haben ja noch drei andere Motoren.“
„Wir haben noch drei Motoren übrig,“ sagte Bernd zu Harry.
„Ich habs gehört,“ entgegnete der mürrisch.
Es wurden pampige Weißbrotdreiecke mit Käse dazwischen serviert.
In Kalkutta ließ man sie auf dem Rollfeld in einer Ecke stundenlang in praller Sonne schmoren, bevor man sich entschloß, die Betankung vorzunehmen.
Das dauerte dann zwei weitere Stunden, denn von hier aus wollten sie in einem Satz nach Karachi gelangen, das sehr weit entfernt war. Nach Bahrain und nach Damaskus landeten sie in Napoli, wo zum fünften Mal pampige Weißbrotdreiecke ohne Rinde, aber mit der Scheibe Käse dazwischen gereicht wurden und über den Alpen geriet der Transport endlich in schlechtes Wetter und die Stimmung hob sich abrupt. Sie fielen in ein Loch ohne Balken, stiegen mühsam und fielen in das nächste. Die Mannschaft war begeistert und johlte. Es ging fünfzig Meter wie ein Stein nach unten und riß die Leute aus den Regiestühlen, die am Boden festgeschraubt waren, dann wieder fünfzig Meter verbissen und mühselig nach oben. Die Stewardessen hatten blasse Stellen um die Nasen und klammerten sich achtern an ihre Stühle, krampfhaft Papiertüten zwischen weißen Knöchelchen festklammernd. Aber auch diese Freude währte nicht sehr lange und nach sechzig Stunden Flug, der Vogel bewältigte nur zweihundertfünfzig Sachen in der Stunde, kam Hamburg in Sicht.
„Hamburg kommt in Sicht,“ brüllte Bernd Harry ins Ohr, damit er verstehen möge, bei dem Motorenlärm. „Hamburg in Sicht.“
„Ja, ja, leck mich am Arsch.“
„Hamburg kommt auf. Man wird dich erwarten und wegschliessen.“
„Halt die Fresse.“
Man landete gekonnt in Fuhlsbüttel, wo ein Spalier aus Menschenmassen weilte, die alle gekommen waren, weitest reisende Fluggäste zu bestaunen. Es war 1960. Und es wird die erste Flugreise von Japan nach Hamburg gewesen sein.
Harry, den man überraschenderweise nicht erwartete, Tom und Bernd gingen mit ihren Seesäcken in das Flughafenrestaurant und tranken die letzten drei Biere. Tom würde nach Hause an der Elbe fahren und sich in Ruhe überlegen, ob er immer noch zur See fahren wollte. Harry war wieder da, wo seine Flucht vor wenigen Monaten begonnen hatte und beabsichtigte, unauffällig zu verschwinden, sobald er morgen sein Restgeld von der Reederei abgeholt haben würde, um sich in Wien eine neue Existenz als Zuhälter aufzubauen.
„In Wien wird auch gefickt,“ sagte er zum Abschied und sie schüttelten sich die Hände und grinsten.
Bernd fragte sich durch und fuhr mit Straßenbahnen auf die Reeperbahn und quartierte sich abseits in der schäbigsten Pension ein, die sich finden ließ.
Am nächsten Morgen würde er noch vor der Abrechnung bei der Reederei, die schlappe sechzig Mark in bar bringen würde, beim Heuerstall einkehren und nach dem nächsten Schiff Ausschau halten müssen.
Als Decksjunge, der er ein Jahr lang bleiben würde, konnte sich Bernd keinen Leerlauf erlauben, da von den sechzig Mark Monatsheuer auch noch die Marketender Waren wie Zigaretten, Zahnpasta, Bier und Seife abgezogen werden würden. Er würde das erstbeste Schiff nehmen müssen, das man ihm vorhielte.
Der Aufenthalt in Hamburg währte nur zwei Tage und ließ einen beschränkten Bummel auf der Reeperbahn zu.
Sie sammelten sich, das waren ein Teil der Deckmannschaft und der Maschinenmannschaft, an einer angewiesenen Straßenecke und bestiegen einen pünktlich vorfahrenden Bus, der sie nach Cuxhafen bringen würde, wo der Massengutfrachter Clyde zu bemannen war. Bernd war am Morgen nach der Ankunft in Hamburg in die Mattentwiete, eine Strasse, gegangen, nachdem ihm das Heuerbüro versicherte, dass die dortige Reederei nach einem Deckjungen Ausschau hielt und hatte einen Jahresvertrag unterschrieben. Nachmittags erhielt er von der Rickmersen Reederei ordnungsgemäß die Restheuer, die ausreichte, das Loch in der Pension für zwei Tage zu bezahlen. Den ominösen Seesack konnte er nicht fortwerfen, da das Geld für einen Koffer nicht ausreichen wollte.
Der Bus brachte die Mannschaft direkt auf das Steubenhöft, wo an der Pier die gerade fertiggestellte Clyde, ein nagelneues Schiff mit achttausendzweihundert Bruttoregistertonnen und zwanzigtausend Tonnen Ladefähigkeit, mit wehender Flagge Liberias, lag, und gerade in einer Feierstunde unter Anteilnahme einer großen, festlich gekleideten Menschenmenge, in Dienst gestellt wurde, die der Ankunft der Besatzung wenig Beachtung schenkte und Platz machte, sie an Bord zu lassen.
Unverzüglich wurde mit der Herstellung der Seebereitschaft, denn das Schiff sollte nicht verweilen, sondern sofort nach Abschluß der Feierlichkeiten in See stechen, begonnen.
Wenige Stunden später stampfte es bereits auf der hochgehenden Nordsee mit Kurs auf den Ärmelkanal und etliche der Mannschaft, Bernd eingeschlossen, hingen über der Reling und kotzten um die Wette in das Meer. Es herrschte Windstärke zehn und der Dampfer brach sich mit elementarer Gewalt seine
Bahn gegen die Brecher, schlingerte stark von Seite zu Seite und wippte mit dem Heck, sobald der Bug frontal in eine Woge einbrach, um alsbald aufzuschwimmen. Die ab Biskaya ruhigere See, wurde mit Pönen der Abschnitte, die in der Werft nicht mehr fertiggestellt worden waren, genutzt. Zwei Wochen später kamen voraus die gelben Fluten in der Mündung des Orinoco in Sicht und dann dampfte die Clyde mit sechzehn Knoten, ein schnelles Schiff, den breiten Fuß stromaufwärts, um fünfzehn Stunden später und dreihundert Kilometer mitten im Urwald von Venezuela, in dem Dreieck eines zufließenden Stromes mit nicht bekanntem Namen die Anker zu werfen und auf einen freien Platz an der Pier, an der Eisenerz mit Laufbändern verladen wurde, zu warten.
Zuvor hatte ein tieffliegendes Flugzeug der US Coastguard des Nachts, östlich des Sargassomeeres stehend, unversehens angemorst und zwei Hurrikane in Aussicht gestellt, von denen der eine den Kurs zu kreuzen drohte und der andere an Steuerbord aufholte und ihnen nachlief. Das hatte die Nachtruhe unterbrochen und alle an Deck gerufen, wo alles weggestaut wurde, das nicht niet- und nagelfest erschien und alles gelascht wurde, das nicht wegzustauen war. Einschließlich des Radarmastes. Jedoch hatte sich der eine Hurrikan woanders hin verzogen, in Richtung Caracas und der zweite war schwächlich in Auflösung begriffen, wie zwei Bodenstationen der Funkortung, die das Schiff eingepeilt hatten, meldeten.
Sie lagen nur kurz vor Anker und verholten am gleichen Tag an die Pier, wo unverzüglich zwei breite Laufbänder den Erzdreck in die tiefliegenden Gruben der Räume zu schütten begannen, und das Schiff sichtbar in das Brackwasser preßten. Nach gerade einmal drei Stunden waren in allen Räumen kleine, spitze Erdhäufchen zu sehen und der Erste Maat kam herbeigeeilt und meinte : „Das wars. Das sind unsere zwanzigtausend Tonnen Eisenerz. Da unten. Macht die Luken dicht und seeklar.“
Nicht verweilend und herumlungernd, wurde rasch abgelegt und Puerto de la Ordaz, so hieß der Ort, der auf der anderen Seite des Flusses sichtbar war und den sie späterhin in San Syphillis umtauften, flussabwärts verlassen. Das Schiff drehte erneut in den Orinoco ein, auf dem mit abfließendem Wasser im Rücken rascher die Mündung in den Atlantik erreicht werden konnte, als bei der Auffahrt. Rechts und links dichter, unwegsamer Urwald. Einige Affensippen wagten einen Wettlauf, gaben aber rasch auf, hier und da eine Hütte mit Schilfdach und gelegentlich ein paar Eingeborene mit Einbäumen, die gefährlich schlingerten und in dem aufgewühlten Heckwasser zu kentern drohten und die die Deckmannschaft mit leeren Blecheimern aus der Farblast und aus der Kombüse, nachdem der Koch die Vierfruchtmarmelade herausgekratzt hatte, bombardierten. Sie droschen im Streit schon mal mit ihren Paddeln auf einander ein, wenn nicht ganz klar war, wem der treibende Eimer gehören sollte. Dann waren zu dem Leidwesen anderer Indianer hinter anderen Flußbögen die Eimer ausgegangen und dann gingen auch die Indianer zur Neige.
Bei strahlendem Sonnenschein wurde der Anker auf der Reede von Port of Spain geworfen. Hier in Trinidad wären alle gerne an Land gegangen, aber nur Post und Order wurden übernommen und mit den Wurfleinen auf zuhauf an der achteren Bordwand schaukelnde Kanus gezielt, die an die Enden der Leinen
Flaschen mit schwarzem Rum knüpften und versicherten, dass niemand nach dem Genuß keinesfalls erblinden müsse, nachdem alle vertrauensvoll Gegenwerte in Form von Banknoten US amerikanischer Prägung, die mittschiffs zu erhalten waren, so man auf Vorschuß drängelte, hinunterließen, damit die braungebrannten Einheimischen sie über die nahen Strände ins Innere der Insel Trinidad und der anderen Insel Tobacco, die außer Sichtweite hinter dem Horizont lag, zu schmuggeln sich beschäftigen konnten.
Die See hatte das Schiff nach wenigen Stunden Aufenthalt zurück, nachdem auch noch ausreichend Öl gebunkert worden war. Bernd hatte Post von Maren bekommen, die er aus Hamburg angerufen und der er seine künftige Adresse durchgesagt hatte. Maren war seine zweite Jugendfreundin, nach Dörte, an der er seinerzeit nach den Titten gesucht hatte, die noch nicht vorhanden waren und die ihm die strenge Verwarnung ihrer drei großen Schwestern eingebracht hatte, ihn kräftig auf den Hinterhöfen der Fabrik in Elmshorn zu verprügeln, sollte er die kleine Schwester noch einmal in sexueller Absicht abtasten und dabei erwischt werden. Maren war seine zweite Jugendfreundin und schrieb gern und schickte ihm eine goldene Kette mit einem goldenen Amulett, in dem er ein Foto von ihr fand. Bernd trug fortan alles an seinem Hals und sah sorgsam darauf, den oberen Knopf des Hemdes nicht zu schließen, damit alle sehen konnten, dass er ein Amulett besaß. Er schloß den Kragen auch nicht bei einbrechender Kälte. Aber eines Tages kam er nicht umhin, festzustellen, dass das Amulett und die Kette irgendwann und irgendwo abhanden gekommen sein musste und das war der Beginn des Endes dieser Beziehung, die allmählich einschlief.
Vierzehn Tage benötigte das Schiff, den Atlantik, der sich ruhig verhielt und die Irische See, die glatt war, zu queren, bevor es bei dichtem Nebel die Clyde hinaufdampfte. Vor Greenock wurde der Anker geworfen und auf Order gewartet. Nach Eingang nahm das Schiff Fahrt auf und machte am Nachmittag des Folgetages an einer Pier im Hafen von Glasgow fest, wo bereits gewartet wurde. Eine Menschenmenge, in deren Mitte der amtierende Bürgermeister Glasgows um die Gunst der Zuhörer bat, hatte sich auf dem Kai versammelt und nahm Teil an der folgenden festlichen Ansprache, denn das Schiff führte den Namen des Drecksflusses, der sich grau und träge durch die Stadt und hinunter in die Irische See wälzte. Der Namenspatron.
Gegenüber der Erzpier lag Bettys Inn. Gut sichtbar vom Schiff aus. Man traf sich dort wieder, so man Wachfrei hatte, mit Vorschuß in der Landeswährung in der Tasche und es kam zu einem kollektiven Besäufnis, in dessen Verlauf immer mal wieder zwei Mann Pause machen mussten, eine Schnapsleiche zum Wachantritt an Bord zu schleppen, wo diese regelmäßig an dem Fallreep einschlief, was niemanden störte, der über sie nicht stolperte.
Hans, der Leichtmatrose und Kurt, der Matrose nahmen Bernd in einem Taxi mit, den Tanzpalast Locarno aufzusuchen, von dem einheimische Trinker erzählt hatten und der sich als riesige Halle auftat, in der sie sich verliefen. Locarno - Dancing - Palace, wie Leuchtziffern über dem Eingangsportal grell verkündeten, teilte sich zu fünfundsiebzig Prozent in Tanzfläche, zu vierundzwanzig Prozent in Sitzgelegenheit und zu ein Prozent in Bar ein. Es gab nur Fruchtsaft zu trinken, aber sie waren gewarnt worden und hatten eine Flasche Rum mitgeführt und als sie kernige Lieder zu brüllen begannen wurden sie des Platzes verwiesen und unter Verwünschungen auf die Strasse gedrängt.
Der nächste Tag brachte bereits morgens beim schwarzen Kaffe und großer Übelkeit vor Wachantritt, Bernd hatte seine Wache getauscht und musste um zwölf Uhr Mittags antreten, eine gute Nachricht. Die Hafenarbeiter hatten beschlossen, in den Streik zu treten. Sie blieben eine Woche und Bernd traf eine Gwen mit blonden Haaren, mit der er sich anfreundete, jedoch nicht zum Stich kam. Sie begannen zu schreiben, aber es führte zu nichts und so verloren sie sich nach ein paar Monaten aus den Augen.
Aus den Augen verloren sie auch Glasgow, das wenig nach Streikende in dem Nebel hinter ihnen versank, als das Schiff wendete und flussabwärts Fahrt aufnahm, Venezuela und dem anderen Kontinent zu zueilen.
Der Törn lief wieder an. Zurück nach Ordaz, dann Port of Spain, Öl und Post und Schnaps auflesen, dann nach Gibraltar. In Gibraltar war die ganze Mannschaft so besoffen, dass am nächsten Tag niemand sagen konnte, wo genau sie standen und ob Gibraltar schon passiert war. Das hatte Folgen. Die Obrigkeit verkündete einen Alkoholstopp und schloß die Bierlast ab. Schnaps wurde einer möglichen medizinischen Notwendigkeit vorbehalten, wenn der zunächst zu reichende Esslöffel Rizinusöl nicht wirken sollte, was niemand zu versuchen sich überwinden konnte. Ausgeruht und nüchtern lief die Mannschaft in Genua ein und machte an der Pier fest, riß die Patentluken Mac Gregor auf und forderte penetrant den nächsten Vorschuß ein.
Erhard, der andere Moses und Bernd fuhren zu einem Strand, den sie bei der Einfahrt in den Hafen rechter Hand gesehen hatten und legten sich in die Sonne, nachdem sie geschwommen hatten. Genauer, Bernd ging Baden und Erhardt ging in den Pavillon und begann Martinis zu kippen. Dann reichte Bernd das mit dem Baden und er setzte sich zu Erhardt und versuchte, seinen Vorsprung mit Gin einzuholen, der fürchterlich schmeckte aber hübsch auszusprechen war, wobei er in der Folge ein Gespräch mit Gloria, der Tochter des Pavillon Besitzers, begann und der hernach einfiel, ihn zu erneutem Bade einzuladen. Als sie getrocknet zurückkamen, fanden sie Erhardt vor, der vom Hocker gefallen war und mit glasigem Blick, umherlallend, auf den Fliesen des Bodens hockte.
„Du bist besoffen Erhardt,“ stellte Bernd fest ,“du siehst aus wie eine Mumie.“ „Mir ist schlecht. Sauschlecht. Ich vertrag diese Sorte Schnaps nicht.“
„Du verträgst keine Sorte Schnaps. Martini ist Wein, oder so. Du verträgst auch keinen Wein. Du wirst es niemals ins Bordell machen, wenn du schon am Nachmittag breit bist. Was soll nur aus dir werden. Du bist eine furchtbare Enttäuschung für deine Familie.“
„Looks like hes bad off.“ Fand Gloria, die perfekt in englisch sprechen konnte und keinen Hehl daraus machte, Eingang in die Konversation.
„Du bist eine fürchterliche Enttäuschung für deine Familie, Erhardt.“ sagte Bernd erneut. „Sag niemandem, dass du auf der Clyde lebst.“
„Ich weiß.“ Lallte er. “Deswegen haben sie mich ja auch zur See geschickt.“
Aber Erhardt war jenseits der Realitäten angelangt und konnte nicht mehr einer schlüssigen Konversation folgen und Bernd bestellte ihm ein Taxi, als er zu würgen begann und drohte, vor die Theke zu kotzen.
„Fall nicht in das Hafenbecken,“ riet er ihm beim Abschied.
„Der Taxifahrer hofft, dass er ihm nicht ins Auto speien wird,“ übersetzte Gloria hilfreich.
„Kotz auf die Pier,“ rief Bernd Erhardt nach.“ Warte bis du auf der Pier bist. Stopf dir die Socke in den Schlund.“
Gloria war ein niedliches, junges Mädchen, sicherlich Jungfrau, und Bernd beschloß sich zu verabschieden und in der Stadt eine Nutte aufzusuchen, bevor die Liegezeit sich dem Ende nähern und der Taxifahrer zurückeilen und Schadensersatz fordern würde.
Über die Uferpromenade und einen Marktplatz, den er etwas unsicher im Gang überquerte, kam Bernd zur Texas Bar, in die er einkehrte und dann zur Mosambique Bar, die gleich daneben lag und in die er auch einkehrte, um sodann in die Sansibar Bar zu wanken, hallo zu rufen und den Nachmittag in der Tiger Bar, die auch gleich daneben lag, ausklingen zu lassen und zu sinnieren, wo er die Tür wohl gesehen haben konnte, durch die er herein gekommen sein musste und durch die nun alsbald das Lokal zu verlassen wäre. Nichts war los. Und es war wohl noch zu früh am Tage. Bernd begann, aus der mitgeführten Schachtel die Streichhölzer zu lesen und die Schwefelköpfe abzubrechen, um die Hölzer zum wachsenden Erstaunen des irritiert am anderen Ende der Theke lungernden Barkeepers zu verzehren. Ein alter Trick, den ihm der Matrose Björn in Kawasaki nahegelegt und den er seither mehrmals mit Erfolg angewendet hatte.
„Freß ne Schachtel Streichhölzer auf, wenn du das Weib noch ficken willst. Das macht nüchtern. Schön richtig durchkauen und runterschlucken. Kannst du die nächsten vier Schnäpse bestellen. Aber probier nicht die japanischen Streichhölzer. Die sind aus Wachspapier. Das schmeckt nicht. Das liegt im Magen. Wie Brikett.“ Björn war danach hastig aufgestanden und vor die Tür geeilt, um auf den Bürgersteig zu kotzen. „Siehst du, so macht man das,“ hatte er gesagt, als er sichtlich erfrischt zurückkam und ein Folgebier in Auftrag gab.
Nachdem der Barkeeper Bernd ausreichend angeödet und er fast die ganzen Streichhölzer verzehrt hatte, wechselte er zurück zur Mosambique Bar, die ihm angenehmer in Erinnerung war. Als er die Tanzfläche auf dem Weg zur Bar überquerte, fiel ihn von hinten etwas an, was ihn aus dem Gleichgewicht brachte, so dass er um ein Haar zu straucheln drohte. Vorn links entdeckte er eine Abordnung der Decksmannschaft, die um eine Tisch herum saß und Bier trank. Timmy, ein Matrose, der auf seiner Wache ging, war dabei. Anita, hieß das kleine hübsche Mädchen, das ihn von hinten angefallen hatte und das ihn nunmehr zum äußersten rechten Rand der Theke schob, wo sie Bernd auf den Hocker half und daneben intim Platz nahm. Bernd erntete kein Hallo von der Mannschaft an dem Tisch, sondern finstere Blicke, denn Anita, die Anita hieß, weil sie sich als Anita vorzustellen begann, war das einzige Mädchen in der Kneipe und alle hätten sie gern gefickt. Anita hatte lange schwarze Haare und Bernd bestellte sich ein Bier und einen Kaffee und machte ihr radebrechend klar, dass er pleite und im Besitz eines sehr begrenzten Vorrats an Scheinen wäre, worauf sie ihm Rabatt einräumte und er ihr einen Martini bestellte, der ihr zusagte und wenig später verließen beide, nachdem Einigkeit über das Honorar und das Vorhaben erzielt werden konnte, die Taverne und suchten eine enge, parallel gelegene Gasse auf, in der ein altes Haus gefunden wurde und eine dunkle Treppe hinaufzusteigen war. Anita klopfte an eine Tür, die unverzüglich von einer alten Schlampe mit wirren Haaren aufgezogen wurde und nach Austausch einiger Wortfetzen in der Landessprache, fanden sie sich allein in einem düsteren Zimmer wieder, in dem das Bett neben der Beistellkommode die einzige Möblierung ausmachte.
Beide fingen sofort an, sich gegenseitig auszuziehen, Bernd tatschte an ihr herum, es kam zum Küssen, was unüblich war und dann fiel sie rücklings auf das Bett, über das die alte Schlampe zuvor eine saubere Tagesdecke gebreitet hatte. Sie fickten in der Art, wie es der Überlieferung nach die Landbevölkerung trieb und lagen dann, schwer atmend, nebeneinander und erzählten sich Anekdoten, während die Kräfte und Säfte zurückkehrten, das Spiel zu wiederholen.
„Du bist gut im Ficken,“ glaubte Bernd dem Gemisch verschiedener Sprachbrocken zu entnehmen.
„Ich weiß,“ sagte er.
„Ich hab einen Sohn zuhause,“ sagte sie.
„Das ist schön,“ sagte Bernd,“ du hast pralle Titten.“
„Ich weiß,“ sagte sie, „sie sind ganz voll.“
„Du hast steife Nippel.“
„Oh ja. Sie sind ganz voll. Sieh mal.“ Sie nahm die linke Brust mit der rechten Hand und drückte sie. Ein dünner Strahl etwas bläulicher Milch spritzte heraus und traf unversehens Bernds rechtes Auge. Sie reichte ihm ein Tempotaschentuch, das auf dem Nachttisch griffbereit lag und lachte. „Alles voll,“ sagte sie. „Laß mich lutschen,“ sagte Bernd und begann zu saugen.
Anita erwies sich als sehr ergiebig. Ihre Milch war recht dünn. Dünner, als Bernd sich das vorgestellt hatte. Vielleicht war sie etwas abgestanden. Aber sie war trinkbar und schmeckte vorzüglich. Ein wenig süßlich. Aber nicht zu süß. Er brauchte einige Schlucke, sich dem Geschmack anzupassen. Das saugen machte sie geil und noch mehr geil. Sie begann Forderungen zu stellen:
“Fick mich noch mal.“
Bernd fickte sie noch mal und saugte anschließend den Rest auch aus der zweiten Brust, die etwas weniger ergiebig schien. Die alte Schlampe im Gang vor der Tür brachte eine Tasse schwarzen Kaffees, nachdem Anita nach ihr gerufen hatte und Bernd reicherte sie mit einem Milchspritzer an. Dann machten sie noch eine dritte Nummer und verabschiedeten sich in der Gasse vor dem Haus, von wo aus Anita nach hause gehen und Bernd noch rasch in die Texas Bar einkehren wollte.
„Komm bald wieder,“ sagte sie hoffnungsvoll und Bernd versprach bald wiederzukommen und fand Norbert, der es bereits zum Leichtmatrosen gebracht hatte, am Tresen sitzend und Charlie, der noch nicht so weit und Jungmann war, was Bernd nächstes Jahr auch sein könnte, ebenfalls auf einem Hocker am Tresen sitzend, vor.
„Sauf einen, Bernd,“ grüßte Norbert und rief nach einem Bier für den Moses. „Man muß immer saufen,“ sagte er unsicher, “man weiß ja nie was kommt.“
Sie kamen bis vor die Tür und Bernd konnte sich nicht mehr entscheiden, wo vorne und hinten bei dem parkenden Taxi war, so dass er nicht wusste, wie herum er wo einzusteigen hatte. Norbert war noch klarer und sah die Dinge noch ganz genau.
„Ich weiß genau wo man einsteigen muß,“ lallte er über den Gehsteig und stolperte über seine Füße.
Nach hundert Metern oder so, riss Bernd umständlich die Autotür auf und kotzte während der Fahrt auf die Strasse, so dass der Fahrer, der dies mitbekam, jäh bremste und beide aussetzte, ohne auch nur den Versuch zu machen, Fahrgeld von ihnen zu verlangen. Bernd wachte auf durch lautes Stimmengewirr und bemerkte, dass er angefasst, aufgehoben und davongetragen wurde. Er schlug die Augen widerwillig auf und sah, dass es hell geworden war und eine Menschenmenge vor einer Straßenbahn stand und wild mit den Armen fuchtelte. Man hatte ihn quer über den Bahnschienen schlafend aufgefunden und setzte Bernd behutsam in einen Hauseingang, um lautstark zu drohen, dass er dort besser zu verbleiben hätte. Sie stiegen alle wieder ein und die Bahn fuhr vorbei, wobei einige winkten. Bernd wusste nicht wo er war. Eine vorhandene Zigarette aus der Hemdtasche nüchterte ihn einigermaßen aus, so dass er bald aufstehen und gehen konnte. Er schlug die Richtung nach Westen ein, wo der Hafen zu vermuten wäre und hoffte, dass Westen da sein möge, wo er Westen vermutete. Einen Häuserblock weiter fand sich Norbert ein, der in einer Einfahrt ruhte und geweckt werden musste.
„Laß uns nach Hause gehen,“ lallte Bernd. „Sag mir wo Westen ist.“
„Ja,“ meinte er,“ laß uns hier verschwinden. Bevor uns jemand sieht. Das würde unser Ansehen beschädigen.“
„Was lässt sich an deinem Ansehen wohl beschädigen.“
Jedoch nach Hause schafften beide es nicht. Sie wachten in ihren Kojen gegen Mittag auf und mussten sich erzählen lassen, dass Hafenarbeiter sie auf der Erzpier aufgelesen und an Bord geschafft hatten. Weder Norbert, noch Bernd konnten sich an diesen Vorfall erinnern.
„Das ist das Gute an der Ehe. Bist du verheiratet hast du immer Sahne für den Kaffee.“ Sagte Norbert, noch immer lallend, als sie sich am Nachmittag in der Gangway Wache an der Gangway ablösten und Bernd ihm von seiner Milchorgie erzählt hatte.
„Als Seemann?“
„Ich weiß wie das geht. Ein versauter Onkel von mir hat mir das als Vermächtnis ins Leben mitgegeben, bevor er starb. Man muß die Nippel jeden Tag mit einem nassen Tuch stimulieren. Kalt. Dann werden sie steif und es kommt Milch. Nach einer Weile kommt Milch. Ich hab vergessen, wie oft man stimulieren muß. Der Onkel sagte, im Krieg haben sie immer darauf geachtet, ein Weib bei sich zu haben. Wegen der Nahrung. Kaffee hatten sie nicht, aber immer Sahne.“
„Wo willst du hier an Bord ein Weib halten. In deiner Kammer?“
„Wozu brauchen wir hier eine Titte. Auf der Back steht immer eine Dose Kaffeesahne.“
„Zum Ficken?“
„Wenn du zum Jungmann aufgestiegen bist, verdienst du dreißig Mark mehr im Monat. Dann kannst du dir einen Porno kaufen gehen. Zum Wichsen.“
Norbert dachte analytisch praktisch und wartete mit etlichen guten Tipps des versauten Onkels auf, der frühzeitig verstorben war. „Piß dir über die Füße,“ meinte er. „Das tut gut. Wenn du Schimmel zwischen den Zehen hast.“
„Wo krieg ich Schimmel zwischen den Zehen her.“
„Hilft auch, wenn du mal Brandblasen unter den Füßen findest.“ Norbert war praktisch veranlagt und verfügte über umfangreiches Wissen.
„Klar,“ sagte er, „ich verfüge über umfangreiches Wissen.“
„Wenn du erst Jungmann bist, wie ich, bist du nicht mehr Allgemeingut,“ sagte der Jungmann Charlie der hinzugekommen war unversehens. „Dann hast du Untergebene.“
„Was?“ Fragte Bernd erstaunt.
„Ich bin Jungmann und könnte dir eine runterhauen. Wann immer ich wollte.“ „Du. Du willst mir eine runterhauen?“
„Nicht jetzt. Aber immer wenn mir danach ist.“
„Ich zieh dich hinter den Decksaufbau und polier dir deine Fresse.“
„Dann kriegst du einen Verweis.“
„Einen Verweis.“
„Sicher, dann erteilt dir der Bootsmann einen Verweis. Der Bootsmann hat darauf zu achten, dass die Tradition eingehalten wird.“
„Charlie hat Recht,“ sagte Norbert, „Charlie steht über dir und darf dir immer eine langen. Wenn ihm danach ist. Das ist Tradition. Du darfst jedem eine langen, der unter dir steht.“
„Wer steht unter mir?“
„Niemand.“
„Wenn du Jungmann bist,“ sagte Charlie,“ wie ich, dann hast du Untergebene.“ „Und das Gesetz ist der Alte und seine Pistole,“ rief Timmy, der Matrose, der vorübereilte und überhört hatte. „Drei Mann auf dem Haufen an Deck ist einwandfrei Meuterei. Ihr habt Glück, dass ich nicht zum Alten gehe und Meldung erstatte. Er könnte euch mit einem Rettungsring aussetzen.“
„Hier im Hafen?“
„Warum nicht hier im Hafen.“
Sie liefen aus und der Bootsmann sagte :“ Wir machen einen Wachwechsel. Du gehst jetzt acht zwölfer Wache. Dann Hast du Zeit, nach der Wache an Deck zu arbeiten. Kostenlos, wie du weißt. Überstunden kann der Reeder ohnehin überbezahlten Deckjungen nicht auch noch anrechnen. Mein Junge, damit du etwas lernst. Leider haben wir keinen Rost, den du klopfen könntest, weil das Schiff noch neu ist. Aber räum mal das Kabelgatt auf.“
So räumte Bernd also das Kabelgatt auf, was den Tag in Anspruch nahm. Nach der Wache bis Mitternacht kroch er todmüde in die obere Koje, in der er lebte und wurde um drei Uhr früh von einem Ruck geweckt, der ihn beinahe aus dem Bett schleuderte. Bevor Bernd die Kojenlampe einschalten konnte, hörte er bereits das Rauschen des Wassers unter ihm in der Kammer, als das Schiff leicht nach Backbord kränkte, aber gleich wieder hochkam und ruhig auf ebenem Kiel weiterschwamm. Er sprang heraus und stand bei eisigem Schreck bis zu den Knien im Wasser. Irgendetwas musste passiert sein. Auf dem Gang, der ebenfalls unter Wasser stand, traf er auf Norbert, der eine untere Koje bewohnte und klatschnaß war und zwei Heizer aus der Maschine, die verstört und ratlos durch schwappendes Wasser wateten.
„Ich denke, wir sollten hier verschwinden und ermitteln, woher das ganze Wasser kommt,“ sagte Norbert, „das ganze Achterschiff steht offensichtlich unter Wasser. Laß uns raus hier. Vielleicht säuft der Kahn gerade ab.“
Sie wateten gemeinsam den Gang entlang und rissen das Eichenschott am Ende auf, das Hauptdeck zu betreten. Auf der Steuerbordseite, vor dem Schott des dort endenden Ganges stand Timmy, der in seiner Wache Bereitschaftsdienst hatte und kratzte sich hinter den Ohren :“Kommt mal her. Seht euch das mal an.“ Er zeigte mit spitzem Finger auf die Wand des Ganges, die hier in einem Bogen nach links lief. In dem Stahl der Wand steckten Holzsplitter der schweren Eichentür, des Schotts, das den Gang zum Hauptdeck abschloß und das nur noch aus Holzfetzen bestand, die lose in den Scharnieren hingen.
„Habt ihr so was schon mal gesehen? Holzsplitter die in einer Wand aus massivem Stahl eingestochen sind?“
„Unglaublich;“ sagte Norbert. „Das gibt es gar nicht. Was ist passiert?“
„Keine Ahnung,“ sagte Timmy,“ ich war in Bereitschaft in der Messe, als es rummste. Und dann war auch schon alles unter Wasser.“
„Wo kommt das Wasser her,“ fragte Bernd, “wir sind doch ohne Ballast und das Deck ist zehn Meter über dem Meer. Wo kann hier Wasser herkommen.“ „Ja, zum Teufel auch. Wie kann hier Wasser herkommen. Das ist doch Seewasser. Schmeckt salzig. Wie kommt das Wasser ins Achterschiff.“
„Könnte noch nicht mal bei Sturm so hoch schwappen, die See. Ist außerdem absolut ruhig und glatt wie ein Kinderarsch.“
„Irgendwelche Schäden ?“ brüllte der wachhabende zweite Offizier, der neben dem Alten auf der Steuerbord Flying Bridge stand, auf das achtere Deck herunter. „Irgendwelche Seeschäden ?“
„Eichenschott eingeschlagen und Wohndeck voll Wasser gelaufen. Halber Meter,“ brüllte Timmy zurück. „Holzsplitter vom Schott stecken in der Stahlwand.“
Der Alte enterte über das Bootsdeck ab und kam nach achtern: “Wollt ihr mich verarschen ?“ Fragte er ungehalten, “Holzsplitter in der Wand ?“
Aber dann sah er die etwa zwanzig Splitter in der Stahlwand und staunte,“ Das gibt es doch gar nicht. Von so was hab ich noch nie gehört. Und wie konnte die Eichentür so zerschlagen werden. Das Ding ist zehn Zentimeter dick. Das ist für schwere See gebaut.“
„Wird eine schwere See gewesen sein,“ sagte ein Heizer geistreich.
„Sagt der Zweite,“ sagte der Alte leutselig, „ ich war nicht auf der Brücke. Der Zweite sagt, völlig ruhige See. Urplötzlich wächst eine riesige Welle Steuerbord voraus aus dem Seespiegel und bricht über das Deck Achterkante Mittschiffs. Die Wache hat den Brecher erst gesehen, als er schon heran war. Wäre der Kurs ein paar Strich weiter nach Süden gewesen, hätten wir kentern können. Mit Mann und Maus. Unglaublich. Wer hat jemals was von so was gehört. Hier im Golf du Lion. Mit Monaco an Steuerbord in Sicht. Üblicherweise ganz friedliches Gewässer.“
Er ging wieder nach Mittschiffs, zur Brücke aufenternd und der Bootsmann kam durch das Wasser im Gang herangetorkelt. Stock besoffen und klatschnaß.“ Was ist hier los,“ brüllte er schlechtgelaunt. „Was treibt ihr hier zu dieser Stunde. In dieser Ansammlung. Welche Scheiße ist hier passiert. Wer hat das gemacht.“
Ihm wurde der Umstand von Timmy beschrieben und er beschloß spontan, die Sache zu bereinigen, “Scheißegal. Macht hier Klarschiff. Ich will, dass das Wasser verschwindet. In meiner Kammer ist das Tonband mir entgegen geschwommen gekommen, grad als ich aus der Koje gespült war und wieder auftauchte. Schüppt das verdammte Wasser aus dem Schiff. Hier gehört kein Wasser hin. Sonstige Schäden? Und macht das Panzerschott vor das Loch, wo wir jetzt kein Holzschott mehr haben.“ „Das sind massenhaft Kubikmeter Wasser, Heinz,“ sagte Timmy, der den Bootsmann duzte weil er auch Bootsmann werden wollte.“ Wie stellst du dir das vor. Sollen wir das mit Eimern ausschöpften?“
„Habt ihr Bilgenkrebse in der Maschine eine tragbare Pumpe?“ Fragte der Bootsmann den einen Heizer in der Menge, die sich zwischenzeitlich angesammelt hatte und noch anwuchs.
„Nicht dass ich wüsste,“ meinte der. „Aber ich kann ja mal kramen.“
„In der Maschine pumpen sie bereits das eingedrungene Wasser über die Bilgen außenbords,“ sagte ein Assi, der auf Maschinenwache war und watend daherkam, die Ursache des Wassereinbruchs zu erforschen. „Eine portable Pumpe haben wir nicht. Ihr müsst das schon mit der Hand außenbords bringen. Aber eine Menge läuft ja über die Schottschweller und stürzt nach unten in den Maschinenraum. Dann wird da wohl nicht so viel verbleiben.“
„Na gut. Das überflüssige Wasser wird jetzt in die Maschinenräume abgelaufen sein. Bleibt das Wasser, das an den Scherwasserblenden staut. Werden so dreißig Zentimeter sein. Hol Pützen, Moses Bernd, hol alle Pützen die du auffinden kannst. Und dann alle Mann die Freiwache haben, schöpfen. Und dann feudeln. Ich will keinen Tropfen Wasser im Wohndeck finden, wenn ich mich erholt habe und aufwache. Und macht die Blende zu, wenn ihr geht. Und verriegelt die. Und macht die Blende zu, wenn noch mal eine See überschwappt. Und Moses Erhardt kommt mit, meine Matratze auswringen und mir Ersatz aus einer Oberen Koje beschaffen. Irgendeiner Koje. Von irgendwem. Der keinen Ärger mit mir haben will. Muß ja fünfzehn Meter hoch gewesen, die Welle. Auf dem Ententeich Mittelmeer.“
Er stieg wieder ins Wasser, fluchte, winkte dem Moses Erhardt, ihm zu folgen und seine Matratze auszuwringen und eine trockene stehlen zu gehen und watete davon. Bernd ging in die Kombüse und stahl dem abwesenden Koch die Zinkeimer, die er in Wandschränken hortete, wie alle wussten, und auch einige Töpfe, die schön sauber von der Decke hingen und geeignet aussahen und brachte alles in mehreren Transporten zum achteren Hauptdeck, wo alle unschlüssig umherstanden und niemand den Anfang machen wollte.
„Mal los,“ meinte dann Norbert der Leichtmatrose,“ fangen wir an und machen wir eine Kette.“
Als es hell geworden war, entdeckten sie weitere Schäden der einsamen Superwelle, die niemand hatte kommen sehen und die aus glatter See emporgestiegen sein musste, um anschließend spurlos unter glatter See zu verschwinden. Ein Gutteil der Steuerbordreling des Hauptdecks war stark verdreht und verbogen. Massive Hohlrohre, die massiv miteinander verschweißt waren. Niemand konnte dem Geschehenen Glauben schenken.
Um die Mittagszeit war das Wohndeck zwar nicht trocken, aber das Wasser war abgeschöpft und überall auf dem Achterdeck wurden die Matratzen der unteren Kojen zum Trocknen ausgelegt. Die Tonbandgeräte und Radios stapelten sie in einem Gang in der Maschine auf, in der es schön mollig war. Der Wachtörn begann erneut.
Nach der Passage durch Gibraltar, trafen sie auf dem Mittelatlantik auf schlechtes Wetter. Die See ging hoch, der Dampfer stampfte, krängte nach beiden Seiten stark über, so dass die Bullaugen, die mit Panzerblenden gesichert wurden, die See unterschnitten, Bernd kotzte sich das Essen aus dem Leib, dann kotzte er sich die Galle aus dem Leib und schließlich folgte die Seele aus dem Leib. er erfreute sich bester Gesellschaft an der Reling. Das Schiff hieb mit dem Steven in die See, stieg mit dem Achterdeck wie ein Fahrstuhl in die Höhe, wippte mit der Poop, dass man Furcht bekam, es möge zerbrechen und unversehens versinken, dann fiel die Poop steil nach unten und das war dann jeweils der Augenblick, an dem alles was im Körper lose umherschwappte, mit Wucht und Druck durch die Kehle und die Nasenlöcher hochkam und mit dem Wind an Leeseite waagerecht davonschoß. Ein Gutteil der Decksbesatzung, auch Leichtmatrosen und gar Matrosen kotzten um die Wette, torkelte kreidebleich und grün um die Nasen daher und schleppte sich abwechselnd auf Wache, um beim Ausguck auch schon mal über die Brückennock zu speien und urplötzlich das Ruder zu verlassen und nach draußen zu hetzen, was untersagt wurde. Ein Eimer wurde forthin neben dem Ruder in Bereitschaft angebunden, der die Übelkeit stark förderte, da der Blick auf das zuvor Gekotzte große Anregung gab. Wo kein Essen mehr zu finden, kam Schleim mit heller Farbe, wo kein Schleim mehr nachweisbar, kam Galle, die grün und schwer zu befördern war, dann, als man dachte, dass man endlich leer sei, kam wieder Schleim, der zäh an Fäden aus den Mundwinkeln und den Nasenlöchern kroch und im Wind um die Nase herum in die Augen flatterte und in den Ohren sich verabschiedete. Bernd war krank. Bernd war zu Tode erschöpft. Bernd starb. Bernd fror erbärmlich. Bernd kroch auf allen Vieren in die Koje unter die Decke, hob diese und würgte, bis er sicher war, ersticken zu müssen. Das Schiff war in Ballast, das heißt, es lag nur flach im Wasser und tanzte wie ein Korken. Wippte die Poop, das Achterdeck, verlor man den Boden unter den Füßen und bekam den Eindruck der Schwerelosigkeit. Schlug die Poop dagegen zurück in die kochende See, knickten die Knie ein und man fühlte sich gestaucht. Unentwegt suchte man Halt an überall vorhandenen Handläufen ohne die eine Fortbewegung nunmehr nicht mehr möglich war.
Das hielt so zwei Wochen an und hatte schließlich, vor Erreichen des Äquators ein Ende. Die See beruhigte sich und lief endlich glatt aus. Der Teil der Besatzung, der anhand einer Urkunde den Nachweis erbringen konnte, dass er bereits getauft worden war, begann in der Messe Pläne zu schmieden, von denen die Täuflinge, jener Teil der Besatzung, der noch nicht getauft worden war, oder zu leichtsinnig in der Vergangenheit mit dem Taufschein umgegangen und diesen gar verloren hatte, nicht wissen durfte. Dann begann eine emsige Handwerkelei, die auch nachts fortgesetzt werden musste, denn der Äquator kam näher und man hätte viel früher mit den Vorarbeiten beginnen müssen, was jedoch wegen der schweren See und dem Orkan nicht möglich gewesen war. Auf dem achteren Bootsdeck, das kein Täufling mehr betreten durfte, wurden Bänke und Tische, mit Holz aus der Farblast und Stellagen aus dem Kabelgatt, roh gezimmert, aufgestellt. Ein Kasten aus Bohlen und Balken , etwa eineinhalb Meter im Quadrat und ebenso tief, musste zusammengenagelt und mit einer Persenning ausgekleidet werden. Das war das Taufbecken. Mit Signalflaggen wurde das achtere Bootsdeck festlich geschmückt, Uniformen aus Lumpen und Flicken wurden produziert und angepasst, Federschmuck aus Tauwerk kreiert.
Um zehn Uhr morgens, an dem Tag, an dem der Äquator passiert werden würde, wurden die Täuflinge, denen Bernd zugeordnet wurde, überraschend von plötzlich auftauchenden Polizisten in Lumpen überfallartig niedergerungen und nach Achtern abgeführt, um dort in die Trockenkammer geworfen zu werden, einem Raum, der unter Deck an der Seite der Backbordaussenhaut gelegen, gewöhnlich dazu diente, die gewaschenen Klamotten binnen Stunden zu trocknen und der leicht fünfzig Grad Hitze aufwies. Es ging rabiat und ohne Vorwarnung zu. Wer sich zu wehren vermochte, wurde mit einem Tampen verprügelt. Ein Entkommen war ausgeschlossen. Man befand sich auf einem Schiff in See.
Der Trockenraum besaß keine Bullaugen, dafür aber zwei Heizkörper, die, aus der Maschine gesteuert, den kleinen Raum zu einer Sauna machten und alle Ankömmlinge unverzüglich in Schweiß ausbrechen ließ, der aus in Haaren in die Augen und von dort über den Körper auf die Stahlplatten des Bodens tropfte und bald ran und im Licht der beiden, von der Decke hängenden Glühbirnen kleine, silbrig glitzernde Tümpel auf dem grün gestrichenen Boden bildete in denen alle standen und dann alle saßen. Nach und nach kamen zwanzig Mann zusammen, die in das enge Loch gepresst wurden und die alle noch nicht den Äquator betreten hatten und unter denen kein einziger Offizier des Decks oder der Maschine sich befand. Fast die halbe Mannschaft. Alle warteten sie auf das Heulen des Nebelhorns am Schornstein und das Schrillen der Alarmglocken in den Wohndecks, das den Auftakt zu der Massentaufe ankündigen würde und alle begannen zu fürchten, dass alle zuvor ersticken oder verdorren und das Ereignis nicht mehr erleben würden. Sie begannen zu dehydrieren und schrumpften auf dem Deck zusammen, da es unten, ganz unten, kühler sein musste. Wie die Sardinen.
Als alle Täuflinge eingefangen und sogar von der Wache geholt und hinter Schloß und Riegel verwahrt waren, begaben sich die Schergen Neptuns, des Herrn aller Seen, Tümpel und Ozeane in die Bierlast, die vorhandenen Kästen zu zählen. Danach wurde in Ruhe in der Messe gespeist und allmählich, am späten Nachmittag, fand sich die Zuschauerschar und die Täufer auf dem achteren Bootsdeck ein, bei einigen Flaschen Bier in Stimmung zu geraten und auf das Nebelhorn zu horchen, das der wachhabende Offizier auf der Brücke zu betätigen versprach, sobald das Schiff auf dem Äquator sich befinden werden würde, was er sorgfältig mit dem Sextanten auf der Brückennock zu überprüfen hatte.
„Sie werden uns ersaufen,“ brachte Norbert, der zu den Täuflingen gehörte mühsam krächzend hervor und stand auf, den Kopf zu schütteln, damit der Schweiß von der Nase ablaufen konnte. „Gott hab ich einen Durst.“
„Sie werden uns nicht ersaufen,“ sagte Charlie, der andere Leichtmatrose, der auch noch nicht über den Äquator gekommen war.
„Ich war schon über dem Äquator,“ sagte Bernd. „Mit der Solveig war ich schon weit über den Äquator. Singapur.“
Auf dem Boden, an die Wand gelehnt, saßen noch vier Heizer und Öler aus der Maschine, die auch noch nicht über den Äquator gekommen waren und bedrückt dessen harrten, was jetzt kommen sollte.
„Sie werden sich nicht der Mühe befleißigen müssen, uns zu ersaufen. Wir werden davor hier verdursten. Und ersticken. Und verdursten.“
„Das hast du schon gesagt. Du wiederholst dich.“
„Wer wird euch ersaufen,“ fragte ein Heizer kleinlaut.
„Sie werden uns nicht ersaufen.“ sagte Charlie. „Das ist verboten. Früher, da war es erlaubt.“ „Was war früher erlaubt ?“ Fragte Bernd.
„Früher durften hin und wieder Täuflinge ersäuft werden,“ erklärte Norbert. „Früher durften zwei Windhosen aneinandergebunden werden.“
„Wie,“ sagte der andere Heizer mit Alarm in der Stimme.
„Sie hängen zwei Windsäcke hintereinander. Das untere Ende wird angehoben. Damit das Wasser nicht rausläuft. Da kommt der Schlauch rein und füllt die Säcke mit Hochdruck mit Seewasser. Auf dem oberen, dem Hutzenteil wirst du knien und dann musst du durch den Sack. Durch den mit Wasser gefüllten Sack. Zwanzig Meter weit. Dann kommst du am unteren Ende an und kannst nach Luft schnappen. Wenn du am unteren Ende ankommst und nach Luft schnappen kannst. Aber zwei Säcke sind jetzt verboten.“
„Hoffentlich wissen die das. Dass zwei Säcke verboten sind,“ sagte der eine Heizer.
„Warum sollten die nicht wissen, dass zwei Säcke verboten sind.“ Meinte Charlie vertrauensvoll naiv.
„Warum sollten sie wissen, dass zwei Säcke verboten sind. Ich meine, wer könnte es ihnen gesagt haben. Haben sie mich gefragt? Warum würden sie es wissen wollen“
„Und wenn die nicht wissen, dass zwei Säcke verboten sind und zwei Säcke aneinander binden?“
„Ich hab mir das ganz genau schildern lassen,“ sagte Norbert in die Stille, die eingetreten war, als alle sieben Gesprächsteilnehmer sich auszumalen versuchten, was passieren würde, wenn die Täufer nicht wissen sollten, dass zwei Säcke hintereinander verboten waren.
“In der alten Handelsmarine sind mehr als fünfzig Leute beim Taufen in der Röhre ertrunken. Deshalb haben sie das verboten.“
„Wer hat das verboten,“ fragte ein Heizer.
„Mit Durchtauchen ist das nicht getan,“ sagte Norbert genussvoll in sadistischer Anwandlung. “Ihr müsst gegen den Polizisten tauchen.“
„Was gegen den Polizisten tauchen.“
„Das Ding liegt an Deck und wird durch die Rahmen gestützt. In der Mitte des Schlauches lauert ein Polizist Neptuns mit einem Tampenende in der Hand. Wenn du eintauchst und zu kriechen anfängst, passt er dich ab und setzt sich mit seinem dicken Arsch auf deinen Hinterkopf um dir mit dem Tampen deinen dicken Arsch zu versohlen. Durch die Persenning des Sackes hindurch. Was hast du eigentlich eine Ahnung von der christlichen Seefahrt. Das ist alte Tradition. Das ist heritage. Wie der Engländer sagt. Das ist Brauchtum. Heiliger Brauchtum.“
„Dann versäuft man doch.“
„Eben.“
„Ich kann nicht lang die Luft anhalten,“ sagte Bernd mickrig und fühlte sich erbärmlich und elend, “das geht nicht. Ich bin vorbelastet. Als Kind bin ich zweimal beinahe ersoffen worden.“
„Dann wirst du dich ja wohl daran gewöhnt haben. Was ist mit mir. Ich bin noch nie ersoffen worden.“
„Na, ihr Arschlöcher da drinnen,“ brüllte von außerhalb des Stahlschotts die Stimme des Matrosen Timmy, „wird gleich so weit sein. Wir trinken noch zwei, drei eiskalte Bier. Dann kommen wir, euch holen.“
„Scheiße,“ sagte Charlie zwischen den Zähnen, “die besaufen sich und wir verdursten.“ „Sei zufrieden,“ meinte Norbert,“ dann kannst du mehr Wasser schlucken. Wenn du durch den Sack kriechst und die Arschbacken deine Nase auf dem Grund festnageln. Dann musst du auch nicht so viel pissen.“
„Du erzählst doch nur Scheiße, “brüllte der eine Öler plötzlich in Aufwallung, „halt endlich die Fresse. Du erzählst nur Scheiße.“
Die Stunden vergingen und die Schweißströme sammelten sich in schillernden Pfützen, die sich zu Rinnsalen weiteten auf dem Deck. Dann wurde unversehens, zeitgleich mit dem Brüllen des Horns an Deck und dem markerschütternden Schrillen der Alarmglocken nicht weit weg im Gang, das Schott aufgerissen und ein Matrose brüllte:
„Norbert. Komm her du Arschloch. Deine Stunde bricht gerade an.“
Vor dem Schott in dem angrenzenden Gang waren für einen Moment vier Polizisten in zerrissenen Fantasieuniformen zu sehen, von denen zwei Norbert griffen und der Dritte ihm einen schweren Festmacherschäkel um den Hals stülpte und den Bolzen einschraubte.
„Heh,“ meinte Norbert. „Fresse,“ brüllte einer der Polizisten. Dann wurde das Schott zugeschlagen und sie waren wieder allein. „Heh,“ hörten sie Norbert vom Niedergang her schreien, über den sie ihn auf die Poop schleppen oder prügeln würden.
„Wir sind jetzt nur noch neunzehn.“ Sagte Charlie und versuchte zu grinsen. „Hoffentlich ertränken sie das Arschloch,“ meinte der eine Öler. “Mit seinen verdammten Schauergeschichten.“
Es verging eine halbe Stunde, während Stille herrschte und jeder seinen eigenen Gedanken nachhing. Dann wurde das Schott erneut aufgerissen und ein Heizer verschwand und brüllte draußen „Heh.“
Dann verschwand Charlie. Dann zwei weitere Öler.
„Noch fünfzehn,“ sagte Bernd, “ wir werden hier rauskommen.“
„Die reservieren dich für das Finale,“ meinte der verbliebene Heizer, der der nächste war und „Heh,“ aus der Ferne brüllte. So ging das wohl zwei Stunden weiter und ein Mann nach dem anderen verschwand und kam nicht wieder. Zu viert waren sie verblieben.
Dann brüllte jemand Blacky und Bernd wusste, dass er gemeint war, denn alle nannten ihn aus unerfindlichem Grund Blacky.
„Die reservieren dich für das Finale,“ sagte Bernd und zeigte auf den verbliebenen Messesteward aus der Offiziersmesse, der elend und spitz um die Nase dreinschaute, und trat vor die Tür, wo er ergriffen wurde und den Schäkel an den Hals gehängt bekam, der außerordentlich schwer war, so dass er sich vorn überbeugte und einen Tritt in den Arsch bekam. „Heh.“ Brüllte er. „Schnauze,“ kam von dem einen Polizisten. Dann wurde Bernd zu dem Niedergang geschleppt und hinaufgestoßen.
„Heh.“ Brüllte Bernd. „Schnauze, “kam von dem anderen Polizisten. Auf dem Poopdeck drehten sie ihn um und schoben ihn mit vereinten Kräften die Leiter zum achteren Bootsdeck hinauf. Oben angekommen blickte Bernd auf eine bunte Gesellschaft in bester Stimmung, der er unversehens entgegen schlitterte, als er einen weiteren Tritt in den Arsch bekam und auf dem mit Schmierseife präparierten Deck ausrutschte. Er landete vor Neptun, der auf einem Schemel hockte und sich durch eine Krone auswies. Es war der Bootsmann.
Neptun bedeutete Bernd durch eine Handbewegung, die Füße seiner Gemahlin, die neben ihm auf einem anderen Hocker majestätisch ruhte und deren Füße in einer großen Schüssel Stauferfett steckten und die unverkennbar Frau Neptun sein musste, weil sie einen weißen Büstenhalter trug, der weiß Gott wo gefunden oder unterschlagen worden war und mit Twistwolle aus der Maschine ausgestopft recht echt aussah, zu küssen. Ein Polizist schubste ihn, der in der Schmierseife zu knien gekommen war in Position und Bernd beugte sich über die Fußrücken der Dame, die ihm diese mit dem Fett in das Gesicht trat, was er sich hätte denken können, was er sich aber nicht gedacht hatte, so dass ein guter Teil des silbrigen, mit Silberine angereicherten Fettes in die Mundhöhe gepresst wurde, was der Absicht der Prozedur offenbar entsprach.
Bernd versuchte, das Zeug mit der Zunge herauszustoßen, was jedoch kläglich misslang und zu einem konvulsiven Würgeanfall führte, für den aktuell keine Zeit blieb, denn schon wurde er hochgerissen und dem Pfaffen zugeführt, den er erkennen konnte, weil er geistesgegenwärtig im rechten Moment die Augen geschlossen hatte und der bekleidet mit einem Jutesack wie ein Pfaffe aussah und Bernd den Segen zu erteilen wünschte. Ein Mann aus der Maschine, der gütig drein sah, mündlich Bernds Personalien feststellte und einen Vortrag über die schmutzige nördliche Halbkugel, die zu verlassen Bernd nunmehr die Gnade erteilt werden würde, hielt. Um die südliche Halbkugel betreten zu dürfen, bedürfe es der gründlichen Reinigung, die ihm umgehend erteilt werden sollte. Dann fragte er beiläufig, an wie viele Kästen Bier, die die Währung der südlichen Kugel sein würden, Bernd als Spende an Neptun in Betracht zöge.
„Und jetzt, mein Sohn, möchte ich dich ermuntern, eine kleine Spende für den Herrn der Meere, Tümpel, Seen und Ozeane, dem Herrn Neptun und Gemahlin, zu stiften, auf dass er dir wohlgesonnen sein wird auf deiner Reise über seine Gewässer. Ich höre eine Zahl.“
„Eins.“
Bernd wurde fortgerissen und dem Arzt überstellt, der ihn auf den Operationstisch werfen ließ und ohne viel Aufhebens mit einem dicken Löffel aus Holz seine Lippen trennte und ihm das Ding in den Rachen schob, dass die Zähne zu wackeln begannen, während zwei kräftige Gehilfen in weißem Kittel ihn fixierten. Dann griff er nach drei großen, runden Pillen, die auf dem Beistelltisch in einem Kasten lagen und stopfte sie Bernd in den Schlund, dass der meinte, er würde ersticken müssen. Sie mischten sich vortrefflich mit all dem Stauferfett und bestanden ganz offensichtlich aus purem Salz, so dass Bernd erneut heftig zu würgen begann, wofür aber auch dieses Mal keine Zeit verblieb. Überrascht konnte er schmecken, dass das Salz nur die Hülle war und dass darunter reiner Pfeffer zum Vorschein kam, der ihn fürchten ließ, auf der Stelle zu verbrennen.
„Schön schlucken,“ sagte der Doktor und sah durch seine Holzbrille Bernd scharf an. “Schön schlucken. Ausspucken mögen wir nicht. Wer ausspuckt, wird zur Rechenschaft gezogen. Der bekommt das Präparat als Spritze.“ „Subkutan.“ ereiferte sich einer seiner Sanitäter.
Aber mit dem Pfeffer war es auch nicht getan. Danach kam Senf, dann Tran, dann etwas, was nach Abfällen und hernach nach Terpentin schmeckte und zum Schluß schien reifer Harzer Käse seine Aufwartung zu beginnen. Bernd spuckte alles über die Werkbank, aber die Helfer kannten das und hielten ihm ihre schmierigen Hände vor den Mund und stopften wieder alles rein, was sie als Glibber aufzulesen vermochten.
Anschließend kam es zur generellen Untersuchung und der Arzt ergriff ein Hörrohr, das auch aus Holz war und lauschte nach Herzschlag, Puls und dergleichen, wobei Bernd feststellte, dass unten am Hörrohr ein spitzer Nagel war, der mühelos die Haut an verschiedenen Stellen punktierte. Hier wird man ganz schön beschädigt, wollte er von sich geben, vermochte aber nicht, sich zu äußern.
Als ausreichend gesund wurde er dem Astrologen weitergereicht, der ihn freundlich aufforderte, durch das Fernglas zu schauen um sich von den Sternen der Nordhalbkugel zu verabschieden. Bernd kam, glücklich dem Mediziner entronnen zu sein, der harmlosen Aufforderung freudig nach und schaute durch das Rohr nach den Sternen der Nordhalbkugel, die er jedoch nicht sehen konnte, weil seine Augen nunmehr völlig verklebt waren und er gar nichts mehr wahrnahm. Verständnisvoll und voller Anteilnahme wischte der Astrologe persönlich ihm mit seinem dreckigen Tuch die Augen sauber, so dass die Lider nicht mehr hinreichend klebten und Bernd sie zu spreizen vermochte, um erneut in das Fernrohr zu schauen, das er jetzt als zwei aneinandergebundene Bierflaschen wahrnahm. Sich von den Sternen des Nordens zu verabschieden, sah er hindurch und konnte sie klar erkennen, die Sterne, weil in den Flaschen vermutlich Essig war. Auch nach drei Tagen konnte er die Sterne des Nordens noch klar erkennen. Und noch nach einer Woche plagte ihn, wie die anderen ein höllischer Muskelkater im Nacken, der von dem eingangs harmlosen Schäkel stammen musste.
Die, die Bernd fortrissen, eröffneten, dass er nunmehr dem Friseur überreicht werden würde und setzten ihn auf eine Bank.
„Keine Sorge,“ sagte der eine, wer immer das war.“ Keine Sorge. Wo du jetzt nicht mehr sehen kannst, werden wir uns um dich kümmern, “
Und als eine Reaktion von Bernd ausblieb, brüllte er ihm in das linke Ohr “Keine Sorge. Wir kümmern uns um dich. Wo du jetzt blind und taub bist. Du bist jetzt beim Friseur. Der Friseur, bei dem du jetzt bist, wird dir die Haare schneiden.“
Der Friseur, den Bernd nicht sehen, aber verhalten hören konnte, klapperte ungeduldig mit einer wohl großen Schere, die aus Holz sein mußte und riß ein Büschel Haare aus dem Kopf. Dann setzte man Bernd ein Stück weiter auf einen Balken, um die Frisur zu waschen und zu gestalten.
Nach einem heftigen Stoß gegen die Brust klappte Bernd hinten über und verschwand rücklings unter Wasser, sofort wissend, dass dies das Taufbecken sein musste und unverzüglich in Panik ausbrechend. Zwei Leute ergriffen jeder eines seiner Beine und reckten diese in den Himmel hoch.
Bernd blubberte das bisschen Luft schwallartig aus sich heraus und versuchte krampfhaft, mit den Händen irgendwo einen Halt zu finden, fand jedoch keinen. Aber in tiefer Panik wusste er, wo er gelandet war. Im Taufbecken, in dem die Neger die Leute ertränkten. So hatte man ihm zuvor bei den Messegesprächen berichtet.
„Geh dem Tauchbecken aus dem Weg,“ hatte Norbert geraten,“ sie werden dich ertränken .Wenn du dem Tauchbecken nicht aus dem Weg gehst. Denk an meine Worte. Es ist nicht verboten, Leute im Tauchbecken zu ertränken.“
Wie hatte Bernd sich nur nicht an Norberts Rat gehalten. Wie konnte ihm das nur passiert sein. Bernd fing an Wasser zu schlucken und schlug mit den Armen und Händen wild um sich, einen der Brüder zu erwischen, an dem er sich festgebissen hätte. Sie zogen ihn an den Beinen langsam nach oben und sich zusammenkrümmend, durchbrach sein Gesicht die Wasseroberfläche. Wild schluckte er nach Luft und spuckte Wasser und den Brei im Rachen aus, der aufzuweichen begann, wie er im Unterbewußtsein registrierte.
„...mehr nicht?“ Hörte er eine Stimme und war wieder unter Wasser,
Würgend, spuckend und nach Luft schnappend, war er wieder über Wasser und keuchte, „fünf.“ Worauf Bernd erneut unter Wasser war. Allmählich schwanden ihm die Sinne. Er schluckte erneut Wasser. Dann war wieder Luft und Helligkeit und es gelang endlich einen der vier Eckpfosten zu greifen, um den er seinen Arm wickelte, spuckte, dann keuchte, und schließlich brüllte, nachdem ausreichend Luft gesaugt war: “Schwaches Herz. Ich hab ein schwaches Herz. Ich krieg einen Herzinfarkt.“
Die schwarzen Neger sahen ihn mitleidig grinsend an und zogen seine Beine höher, aber er hielt den Arm um den Balken gewickelt und hätte ihn sich ausreißen lassen, bevor es wieder Unterwasser gehen würde. Sie zogen mit aller Kraft an den Beinen, hatten aber eine ungenügende Hebelwirkung und wurden wütend. Sie waren schwarz. Überall. Sie hatten sich mit Schuhkreme eingeschmiert. Bernd erkannte einen Matrosen, der andere kam aus der Maschine. Er konnte wieder sehen. Verschwommen. Das Wasser begann die Fette zu lösen.
„Laß den Balken los,“ brüllte der Matrose wütend und stellte sich auf die Zehenspitzen um Bernds rechtes Bein weiter nach oben ziehen und damit seinen Griff zu lösen und den Kopf unter Wasser zu bringen.
„Herz,“ japste Bernd in Panik. „Herz.“ Weil ihm nichts besseres einfiel. Aber sie wollten nicht hören und kamen auf eine andere Idee. Sie griffen seinen Kopf und duckerten ihn unter. Wieder unter Wasser. Mit etwas mehr Luft. Vielleicht für dreißig Sekunden. Und mit noch größerer Panik. Bernd merkte, dass sie anfingen, seinen Arm, der sich noch festkrallte, von dem Balken abzupuhlen und hatte plötzlich ein freies Bein, mit dem er sich sofort mit voller Wucht vom Boden abstieß und kurz mit dem Kopf über Wasser kam, jedoch gleich wieder in der fettigen Brühe untergetaucht wurde. Es ging dem Ende zu. Die Kräfte ließen nach. Bernd war verloren.
Aber sie hatten ein Einsehen und ließen ihn erneut über die Oberfläche.
„Und wie viel jetzt?“ Fragte der Matrose.
„Zehn,“ keuchte Bernd. Sie sahen sich an und begannen sich gegenseitig mit den Köpfen zuzunicken.
„Zehn ist gut,“ sagte der Mann aus der Maschine und rief nach außerhalb des Taufbeckens, “holt ihn ab. Er ist gereinigt und sauber.“
Zwei der bekannten Polizisten nahmen sich seiner an, der er kaum noch zu stehen vermochte und stellten ihn in das sprudelnde Wasser des Windhosenkopfes. Und da stand Erwin, grinsend, mit einem alten Trapperhut mit herabhängender Krempe auf dem Kopf und einem dicken Tampen in der rechten Faust.
Erwin, Matrose, und Bernd konnten nicht gut. Genauer, sie konnten überhaupt nicht. Sie konnten sich gegenseitig nicht ausstehen und Erwin hatte oftmals den Wunsch geäußert, Bernd eine reinzuhauen. Jetzt hatte er die Gelegenheit.
Ein Windsack ist ein zehn bis zwölf Meter langer Schlauch mit einem Durchmesser von sechzig Zentimetern. Er besteht aus schwerer Persenning und wird durch hölzerne Ringe in Abständen von etwa hundert Zentimetern in runder Form gehalten. Unten und oben ist er offen. Oben ist er nur an einer Seite, der Seite, die in den Wind gedreht wird, offen, so dass sich hier das Wasser staut und überläuft, wenn er flach auf dem Boden liegt und der Deckschlauch mit sechs Atmosphären Druck im unteren Schlauchende festgebunden ist. Damit das Wasser nicht herausfließt und den ganzen Schlauch beständig füllt, wird das untere, offene Ende entsprechend angehoben. Windsäcke werden zur Lüftung von Laderäumen benutzt, wann immer das zweckmäßig erscheint. Und Windsäcke werden bei der deutschen Handelsmarine zur Äquatortaufe vorzugsweise verwendet.
Erwin stand in der Mitte des Schlauches breitbeinig über diesem. Er mußte Bernds Arsch durch die teilweise durchhängende Persenning erkennen, wenn Bernd unter ihm durchkrauchen würde. Es galt, den zehn Meter langen Schlauch zu durchtauchen und gegen den mit sechs Bar Druck pressenden Wasserschlauch anzukämpfen. An Luft war im Schlauch nicht zu kommen. Und es galt rasch damit fertig zu werden, bevor Erwin sich mit seinem dicken Arsch auf irgendeinen Teil von Bernds Körper setzen und mit dem Tampen durch die Persenning ihn verprügeln würde, was er zweifelsfrei vorhatte. So standen sie sich gegenüber und ließen sich Zeit. Denn Eile war nicht erforderlich. Dies hier war Neptuns letzte Prüfung. Aber durch musste man.
„Komm schon, du Arschloch,“ grinste Erwin und wirbelte spielerisch den Tampen durch die Luft. Komm schon.“ Während Bernd immer noch nach Luft schnappte und versuchte, sich von der fürchterlichen Erfahrung der Taufe zu erholen.
„Mach schon,“ sagte einer der beiden Polizisten,“ die anderen Täuflinge wollen auch noch durch.“
„Wenn du nicht machst,“ sagte der zweite Polizist prügeln wir dich durch.“Die anderen Täuflinge warten schon. Wie viele haben wir eigentlich noch Karl. Laß uns ihn da durchprügeln, damit wir uns über das Bier hermachen können.“ „Komm schon,“ grinste Erwin behaglich.
Bernd stürzte sich auf die Knie, tauchte in den Sack, stieß sich mit beiden Beinen an dem Sackende ab und begann wie ein Irrer zu krabbeln. Er kam voran. Aber dann bemerkte er einen Druck auf den Oberschenkeln und wurde flach auf den Boden des Schlauches gepresst. Erwin hatte sich auf ihn gehechtet. Bernd konnte das Helle am Ende des Schlauches sehen. Aber die Luft wurde knapp. Mit den Fingernägeln zog er sich unter Erwin weiter. Dem Lichtschein entgegen. Seine Beine begannen unter Erwin durchzurutschen. Über seinem Kopf befand sich einer der Holzringe. Erwin bemerkte, dass Bernd unter ihm unter den Holzring entglitt und sprang auf, eine bessere Position zwischen den beiden nächsten Ringen zu erreichen. Er schlug mit dem Tampen wie wild auf die Persenning, wie Bernd über das Rauschen des Wassers zu hören vermochte. Dann war er wieder auf ihm, erwischte jedoch nur die Unterschenkel. Das Licht war jetzt hell. Bernd sah den Wasserschlauch, der ihm Wasser in die Nasenlöcher trieb und er sah, dass er nur noch zwei Ringe von der Öffnung entfernt war. Aber Luft hatte er keine mehr. Offenbar unzufrieden mit seinem Halt sprang Erwin erneut hoch und gab die
Unterschenkel frei. Ein paar Zentimeter trennten noch von der Öffnung, der Rettung. Ein halber Ring. Aber der Arsch setzte sich genau auf Bernds Hinterkopf und drückte ihm die Nase auf dem Boden platt. Das wars. Hier würde Bernd endgültig ersaufen. Hier würde er elendig verenden. Der Rest Sauerstoff blubberte in kleinen Blasen an seinen Augen hoch und wurde von dem Strom fortgerissen. Er bekam rote Kreise vor dem inneren Auge. Dann war er überraschend plötzlich frei und tauchte auf.
Alle Decktäuflinge fanden sich vorn unter der Back in der Farblast wieder. Alle Decksleute. Die Maschinenleute hatten ihre eigene Farblast in den Maschinenräumen.
Die Taufe war seit einer Stunde beendet und auf dem achteren Bootsdeck grölten bereits die ersten Besoffenen und feierten die Beute. Einhundersechsundsiebzig Kästen Bier, bestes Becks Export, waren gestiftet worden. Zum Wohle und Gefallen des Herrn Neptun.
„Der Erwin hat mich gehabt,“ sagte Bernd zu Norbert,“ Ein paar Zentimeter haben noch gefehlt. Dann hat er meinen Kopf auf den Boden gepresst. Kannst du gar nichts mehr machen. Bist du fixiert. Ich dachte, es sei zu Ende.“
„Der Erwin ist ein sadistisches Arschloch.“
„Er hätte mich da und sofort ertränken können,“ sagte Bernd und kippte sich Terpentin aus dem Eimer über den Kopf, in der Hoffnung, dass all die Silberine und Schmiere sich auflösen mochten.
„Aber ich bin gut durchgekommen,“ sagte Norbert. „Er hat erst gar nicht versucht, sich auf meine Birne zu setzen.“
„Zwanzig Sekunden länger und ich wär tot.“
„Sie hätten dich an Land gegeben. Sie hätten dich nicht über Bord geschmissen, mit der Fahne. Sie hätten dich an Land gegeben. So nah am Hafen.“
Aber die Silberine und auch das Fett waren hartnäckig und klebten besonders in den Haaren. Sie alle brauchten drei Tage, einigermaßen sauber zu werden. Auf dem Bootsdeck achtern rauschte das Fest. Alle soffen, mit Ausnahme der Wachgänger. Musik dröhnte aus den ersten, getrockneten Tonbandgeräten bis nach Mittschiffs. Auch die Täuflinge waren eingeladen. Jedoch nahm keiner von den zwanzig Mann teil. Alle waren fix und fertig und krochen in ihre Kojen, an den Laken festzukleben. Am folgenden Tag durften die Täuflinge im Salon die Urkunden abholen, die vom Kapitän unterschrieben und vom Kapitän mit Handschlag überreicht wurden. Alle Täuflinge hatten Fischnamen erhalten. Norbert hieß jetzt Hering. Bernd hieß jetzt Knurrhahn.
Nachts erreichte das Schiff die Außenreede vor Vitoria in Brasilien. Beide Anker wurden geworfen. Abstehend lagen drei oder vier andere Schiffe und warteten auf die Genehmigung, in den Hafen einzulaufen. Als es hell wurde, hängten sie Stellagen außenbords und pönten weiß. Das Wasser war verführerisch. Die Sonne brannte vom Firmament. Schwimmen war wegen Haialarm von der Schiffsleitung verboten worden. Das Land war etwa drei Seemeilen entfernt, aber unerreichbar, da kein Launchverkehr eingerichtet wurde und die Immigration noch nicht an Bord kam, die Pässe anzuschauen. Abends vertilgten sie Teile des von den Täuflingen gespendeten Biers auf der Schanz. Beim nächsten Frühstück wurde erzählt, dass drei Macker von dem Norweger, der am nächsten lag, nachts mit dem Arbeitsfloß an Land gepaddelt waren, das sie jedoch nicht erreichen konnten. Das Floß wurde aufgefischt, aber die Leute blieben verschollen und wurden abgeschrieben und aus der Mannschaftsliste gestrichen. Dann, zwei Tage später, kam das OK der Hafenbehörde und die Clyde lief gegen Mittag ein, wo sie von zwei Schleppern erwartet wurde, die sie an die Erzpier drückten. Zwei Ruderboote paddelten im Hafenbecken zum Zorn des Alten und zum Zorn der Schlepperleute umher und die jeweils drei in den Booten sitzenden Weiber, die sich von ihren Zuhältern rudern ließen, die hin und wieder das Rudern einstellten und ein Pappschild hoben, auf dem Caramba Bar stand, lüfteten in Abständen die Hemden und zeigten die Titten, die die ganze Mannschaft stark zu interessieren begannen, so dass auch der Smutje sich nicht von der Reling fortzureißen vermochte und das Mittagessen verspätet aufgetragen werden musste, was alle ärgerte, weil alle in die Caramba Bar unverzüglich wollten.
„Komm endlich nach unten,“ brüllte der dritte Ingenieur durch das Schott. “Komm endlich nach unten, Karl Heinz. Du hast Wache. Wir fahren Manöver. Du Drecksack. Schau dir die Titten ein anderes Mal an.“
Die Immigration kam an Bord und deklarierte das Schiff. Sie rissen die Patentluken zur Seite und wer wachfrei hatte, stürzte ins Wohndeck, duschen, Klamotten an. Nach Mittschiffs, wo der Erste Vorschuß in der Landeswährung, Cruzeiros, auszahlte und über die Gangway an Land und immer dem Weg nach, bis zum Taxistand, der irgendwo auftauchen würde. Wie immer.
Bernd tauschte seine acht / zwölfer Wache, zahlte, wie beharrlich verlangt, eine Stange Chesterfield obendrauf, zog sich um und rannte nach Mittschiffs, das restliche Guthaben der kargen Heuer von dem Ersten zu verlangen, der ihn weiter zum Dritten schickte, der auf die Landgänger im Lazarettraum wartete und kleine Tuben mit Paste verschenkte.
„Immer an der Seite bereithalten,“ erklärte er flüssig, da er bereits zwanzig Mal erklärt hatte. “Wenn du fertig bist und abspitzt, schiebst du das hier rein.“ „Was schieb ich rein,“ fragte Bernd verständnislos.
„Du schiebst dir diese Paste rein. Wenn du abspringst. Immer wenn du abspringst, schiebst du dir die Paste rein. Das ist was ganz Neues. Wenn du dir das reinschiebst, kannst du keinen Tripper kriegen.“
„Wo schieb ich mir das rein.“
„In die Nille.“
„In die Nille ?“
„Ganz recht. Schieb dir das in die Nille. Dann kriegst du keinen Tripper.“
„Der Bootsmann sagt, wenn ich nicht zwölf Tripper nachweisen kann, kann ich nicht Bootsmann werden.“
„Da mag er Recht haben. Aber du bist noch kein Bootsmann. Du hast noch Zeit. Hol dir den Tripper anderswo. Hol dir alle zwölf Tripper woanders. Wenn wir keine Paste haben, die wir verschenken. Wenn du auf See kommst und sagst du hast einen Tripper, geb ich dir den Esslöffel Rizinusöl. Was anderes haben wir nicht in unserer Apotheke. Außer dem Beil und die Eisensäge für Amputationen. Und die grobe Säge für die Notfälle. Dann kannst du scheißen. Aber Pissen kannst du dann nicht mehr.“ Er drückte Bernd die kleine Tube in die Hand und Bernd versprach, immer wenn er abspringen würde, das Zeug sorgfältig in die Nille zu drücken. „Wird das reichen?“ Fragte er, als er ging.
Charlie, der auch an Land wollte, rief von der Steuerbordreling, als Bernd über Backbordseite gerade die Gangway betreten wollte und meinte, dass unten ein
Kahn angelegt hatte, der sie über das Hafenbecken an die gegenüberliegende Pier bringen würde, auf der mehrere Kneipen sichtbar waren. Gemeinsam hängten sie die Jakobsleiter, die als Lotsenleiter an Deck lag, über die Seite und enterten hinunter in das Boot.
„Sparen wir einen Haufen Zeit,“ meinte Charlie der Leichtmatrose, er war während der Fahrt vom Jungmann zum Leichtmatrosen befördert worden , weil seine Dienstzeit dies erforderte. “Ansonsten müssten wir auf dem Weg um das ganze Hafenbecken herum.“
Sie kehrten in der Birras Bar auf der Pier ein und bestellten Bier. Anschließend nahmen sie ein Taxi, das sie geradewegs zur Casa da Casanova brachte, die ein Freudenhaus war und sich über einen ganzen Berg erstreckte. Unten gab es eine Kneipe mit Tresen und oben auf der Kuppe gab es auch eine Kneipe mit Tresen. Dazwischen verlief ein gewundener Pfad mit Stufen im Fels durch die Büsche und in Abständen standen kleine Hütten mit roten Funzeln an der Tür und geilen Weibern vor der Tür, die nach einem haschten und jeden, der nicht flink genug war, in die Bretterbude zerrten, ihn auf der Stelle zu vernaschen. Hier hatten sie das Paradies entdeckt. Und, als es gelungen war, den steilen Felsen zu erklimmen, es war noch nicht Nacht und die Weiber hatten ihre Betriebstemperatur noch nicht erreicht, setzten sie sich an die Theke des Pavillons auf der Kuppe und begannen in Ruhe zu zechen und sich je ein Weib zu erwählen, mit dem Bernd dann in einer der Buden verschwand, in dem ein breites Bett und etwas Wandschmuck das einzige Inventar darstellten. Sie fickte sehr gut und engagiert und da sie Bernd fickte, vermochte Bernd nicht unmittelbar nach dem Abgang abzuspringen, wie dem Dritten hatte versprochen werden müssen. Er rollte sich jedoch unter ihr fort und fiel auf den Boden, die Tube zu ergreifen und die Nille zurechtzurücken. „Halt mal,“ sagte er zu ihr, die fasziniert zusah und grinste. „Halt das Ding mal. Ich muß die Kappe von der Tube schrauben.“
Sie verstand nicht, griff den Schwanz und begann eifrig zu wichsen.
„Nein, nein,“ sagte Bernd ärgerlich und zog den Schwanz fort.
„Ah,“ meinte sie und verstand ,“ah.“ Sie rief einen Namen durch die offene Tür der Bretterbude, die wegen der Hitze nicht geschlossen wurde und ihre Freundin erschien, grinste, und griff nach Bernds Schwanz.
„So ist das gut,“ sagte Bernd, die geöffnete Tube in der rechten Hand.“ Halt das Ding gerade, damit ich die Creme reintun kann.“ Sie sprach auch kein englisch und sie verstand auch nicht, erwies sich aber als gelehriger und beobachtete aufmerksam, wie Bernd das Zeug in die Nille drückte, was sehr unangenehm war und sagte dann, mit einem Gesichtsausdruck, der Verstehen spiegelte. „Good. Very good?“ „Yes,“ sagte Bernd, “very good.“
Als Bernd zurück an die Bar im Pavillon kam, stand Norbert mit Timmy neben Charlie an der Bar. An den Tischen saßen einige Leute aus der Maschine.
„Du bist schon zurück ?“ Fragte Bernd Charlie,“ war das Weib nichts?“
„Oh doch. Die war Spitze. Das sind alles Spitze Weiber hier.“
„Nicht sehr praktisch, das Zeug aus der Tube. Man braucht Hilfe.“
„Ich hab das nicht gemacht,“ sagte Charlie.“ Der hat doch einen Knall. Ficken und dann das Zeug reindrücken. In die Nille. Der spinnt doch.“
„Der wird dir den Esslöffel Rizinusöl einführen. Wenn du Tripper hast.“
„Ich hab schon mal Tripper gehabt. Ist nicht schlimm. Ich schluck kein Abführmittel.“
Die Stimmung hob sich. Es wurde dunkel. Die Heizer und Öler zechten wild und fickten wenig. Und fingen an, schmutzige Lieder zu singen und dann zu grölen. Norbert bekam bereits glasige Augen und begann zu nuscheln. Mehr Mädchen strömten herein und zwei von ihnen schlossen sich Norbert und Bernd an und wollten sie mitnehmen, anderswo zu bumsen und Party zu machen.
„Gehen wir anderswo bumsen,“ nuschelte Norbert,“ ich kann das Gegröle der Bilgenkrebse nicht länger ertragen. Und Partymachen.“
So fuhren sie mit einem Auto, das am Fuße des Berges bereits wartete und keine Taxe war, aus der Stadt heraus, auf dem Lande eine Party zu veranstalten. Über eine alte Brücke ging es direkt in die Vegetation hinein, die wie ein Urwald im Scheinwerferlicht auftauchte. Vor der Ruine eines gemauerten Hauses hielt der Wagen und die Weiber, wie der Fahrer, meinten auf Portugiesisch, das Bernd und Norbert nicht verstanden, dass man das Ziel erreicht haben würde, worauf alle ausstiegen, um drei Macker und mehrere alte Omas, die mit einer Petroleumfunzel aus dem Loch traten, das die Tür gewesen sein musste, zu begrüßen. Die beiden mitgebrachten Weiber wollten nunmehr ein erhöhtes Honorar, das immer noch vernachlässigbar billig war und Norbert zahlte bereitwillig, weil er noch nicht gefickt hatte und jetzt unbedingt ficken wollte, während Bernd zu feilschen begann, weil er schon gefickt hatte und jetzt nicht unbedingt erneut ficken musste. Ein Rabatt wurde Bernd eingeräumt, der Sack, der vor der Tür hing, beiseite gehoben und sie betraten ein Zimmer, in dem ein großes Bett, mit einigen Wolldecken abgedeckt, von einer weiteren Petroleumfunzel erhellt wurde. Hier entledigten sie sich der überflüssigen Kleidung und begannen sie abzulecken, die Weiber, nachdem sie sich auf die Einteilung des Bettes zu verständigen vermocht hatten. Nachdem zuerst Norbert abgespritzt hatte, während Bernd noch bei der Sache war, konnte Bernd irritiert beobachten, wie Norbert auf dem Bett saß und versuchte, die Tube fachgerecht zu handhaben, was ihn arg verwirrte, so dass er die erforderliche Konzentration einbüsste.
„Was ist das für ein Scheiß,“ fluchte Norbert, “wie soll das gehen. Wie soll ich das Zeug in die Nille kriegen.“
„Halt die Fresse,“ keuchte Bernd,“ ich bin noch bei der Sache. Siehst du das nicht?“
„Mach hinne,“ meinte er und fummelte mit der Tube herum, “wenn ich abgespritzt habe, hab ich keinen mehr hoch. Wenn ich keinen mehr hoch habe, finde ich das Ding nicht so recht. Wie soll ich mir da das Zeug einführen. Das ist alles sehr unpraktisch. Ich werde die Tube dem Dritten zurückgeben. Wie wollen wir hier eigentlich wieder weg kommen. Das Auto ist abgefahren. Gibt das für diesen Scheiß eigentlich eine Gebrauchsanweisung?“
„Wenn du die Fresse halten würdest, würde ich fertig machen können.“
„Was ist mit den drei Mackern die vor dem Haus lungern. Sehen mir aus, als ob sie uns ausrauben wollen.“ Er steckte die Tube zwischen seine Klamotten und begann sich anzuziehen, um zuzuschauen und in Ruhe eine Zigarette zu rauchen.
„Du machst das falsch. Du musst den Schwanz nicht so tief reinstecken.“
„Halt die Fresse.“
„Die Weiber haben im Eingangsbereich einen Ring aus Muskeln. Wenn sie sich erschrecken klemmen sie dir das Ding ab. Bis es abstirbt.“
„Verschwinde. Laß mich in Ruhe weitermachen.“
„Wenn du nur die Nille reinschiebst, kommst du schneller. Sag ihr, dass sie drücken soll. Wie bei der Geburt.“
„Wenn du nicht deine Fresse hältst, helf ich dir nicht, wenn die Mackers dich ausrauben und schlachten wollen.“
Norbert hielt die Fresse und begann Rauchringe in den Raum zu blasen. „Fertig,“ sagte Bernd nach endloser Konzentration, sprang ab und griff nach der Tube.
„Laß das. Das ist Quatsch,“ meinte Norbert,“ denk daran, dass du zwölf Tripper brauchst. Wo willst du die alle herkriegen, wenn du nicht bald anfängst. Als ich so alt war wie du, hatte ich schon zwei oder drei. Jetzt fehlen mir nur noch vier. Dann bin ich Bootsmann.“
„Ich bin siebzehn. Ich hab noch Zeit. Sagt der Dritte. Du bist Leichtmatrose. Und du wirst nie Bootsmann. Du säufst zuviel und fickst zu schnell. Laß uns hier verschwinden. Bevor wir ausgeraubt werden“
Die drei Mackers vor der Ruine, die sie überfallen hätten können, waren verschwunden und hatten die Oma und die Petroleumfunzel mitgenommen. Die beiden Weiber wollten verbleiben und schoben sie in die Finsternis, in der sie die Strasse vermuteten und mühsam auffanden.
„Von dort sind wir gekommen,“ sagte Norbert, zunehmend nüchterner.
„Ich weiß,“ entgegnete Bernd leise, “wo ist dort. Laß uns leise sein. Im Falle, dass man uns auflauert. In den Büschen.“
„Wir tasten uns an den Büschen entlang. Dann können wir den Weg nicht verfehlen. Dann erreichen wir die Stadt vor Sonnenaufgang.“
„Wir müssen diese Brücke finden.“
Der Weg hatte einen kleinen Entwässerungsgraben, wie Bernd wenig später feststellte, als er mit einem Bein hineintrat und strauchelte.
„Ich bin gestrauchelt.“ flüsterte er in die Finsternis.“ Bist du noch da? Hier ist ein Rinnsal.“
Norbert war noch da und Bernd konnte seinen Atem in seinem Nacken spüren. So krochen sie wohl zwei Stunden hintereinander mit einem Fuß in dem flachen Graben dahin und fanden schließlich die alte Brücke, jenseits der sie, hinter einer Kurve, die Lichter der Stadt Vitoria erblickten.
„Wir haben es geschafft,“ sagte Norbert erleichtert,“ laß uns nach einer Taxe Ausschau halten.
„Ich hab es geschafft. Ich bin voraus gegangen.“
Aber eine Taxe oder ein sonstiges Zeichen der Zivilisation war nicht zu entdecken und sie brauchten weitere eineinhalb Stunden Fußmarsches, der jetzt forciert abgehalten werden konnte, bis sie zwischen Häuser und dann auf eine Straße kamen, auf der Autos fahren konnten. Um drei Uhr morgens, kurz vor Sonnenaufgang, kam eine Taxe daher und erklärte sich bereit, sie mit zur Birras Bar an der Pier zu nehmen, wo sie den sternhagelvollen Timmy an der Theke hängend vorfanden. Der Wirt war begeistert, noch mehr Deutsche in seinen Laden eintreten zu sehen und präsentierte eine Rechnung auf einem schmutzigen Zettel, die andere Deutsche nicht bezahlt hätten, bevor sie sich betrunken empfahlen. Eine Horde von Negern betrat hinter Bernd und Norbert den Laden und bestätigte vorurteilsfrei den Anspruch des Wirtes mit Gesten und Drohungen. Nach den Negern kam der Assi aus der Maschine über die Schwelle dahergestolpert, wurde von allen Anwesenden freudig begrüßt und wollte gleich kehrt machen, wurde aber ergriffen und zahlte schließlich alle
Zechen, weil alle anderen behaupteten, dass er der einzige sei, der noch über Cruzeiros verfügte, womit alle anderen Recht hatten und die Neger das Lokal räumten, da sie sich einen Verbleib nicht leisten konnten und der Wirt ihren Anblick nicht ertragen mochte, jetzt, da sie nutzlos geworden waren. Ein Ruderboot brachte alle viere über das Hafenbecken und die Hafenwache, der Matrose Erwin, musste anpacken, Timmy und den Assi über die Jakobsleiter an Bord zu zerren, bevor sie beide ins Wasser fallen und versinken konnten.
Am zweiten Tag der Liegezeit begann die Eisenerzladung über ein Förderband in die Räume zu brechen. Da die Anlagen nicht so schnell wie die in Puerto Ordaz waren und immer wieder Stillstand eintrat, während auf der anderen Seite Nachschub herangekarrt wurde, konnte die Mannschaft erfreut mit weiteren zwei bis drei Tagen Liegezeit rechnen und hatte mithin zwei Nächte, die zu nutzen waren. Das Messegespräch konzentrierte sich auf das Hauptthema, wie stets, und ein Streit entstand, in dem jemand allen Ernstes behauptete, dass der Mann nur sechs Mal in der Nacht abspritzen könne und jemand anders behauptete, dass der Mann zehn Mal in der Nacht abspritzen könne, wenn man ihm eine Kiste Bier spendieren würde.
„Ich mach das,“ sagte Bernd. “Ich mach das, wenn der, der die Kiste Bier wettet, die Nutten bezahlt, wenn er verliert.“
„Zehn Mal,“ sagte Timmy, der wieder gehen konnte. „Du musst zehn Mal abspritzen. Unter Zeugen. Dann zahl ich die Nutten und die Kiste Bier. Zehn Mal.“
„Ich beteilige mich an den Kosten,“ sagte der Dritte, der gerade die Mannschaftsmesse betreten und alles überhört hatte.
„Hats schon gegeben.“ Äußerte sich der Bootsmann.“ Auf meinem letzten Schlurren hat einer elf Mal gefickt. In einer Nacht. Unter Zeugen und beeidigt. Hats alles schon gegeben. Ist nichts Neues. Zehn Mal. Ich wette zwanzig Mark, dass er keine zehn schafft.“
„Ich bin dabei, mit zwanzig Mark.“ Rief einer.
„Wer hält hier eigentlich die Wette. Ich meine, wer zahlt eigentlich, wenn Blacky verliert. Und wie sind die Quoten. Zu einer Wette gehören immer Quoten.“ Sagte der Dritte.
„Gute Idee,“ sagte der Bootsmann. Der Verlierer zahlt. Blacky zahlt.“
„Blacky hat kein Geld,“ warf Norbert ein. Dem habt ihr bei der Taufe alles abgepresst.“
„Ich zahl eins zu drei,“ rief der Bootsmann, “gebt her. Ich zahl aus, eins zu drei, wenn Blacky gewinnt. Und behalte alles, wenn er verliert. Gebt mir eure Knete. Norbert latsch rüber zu den Heizern und schließ in meinem Namen Wetten ab. Du hast jetzt Vollmacht. Kassier gleich ab. Und komm nicht mit leeren Händen zurück.“
„Ich ficke nicht,“ sagte ich,“ wenn zwanzig Mann zusehen.“
„Zugesehen werden muß,“ sagte der Bootsmann.
„Wählen wir zwei Adjutanten,“ riet Timmy, “zwei verlässliche Adjutanten. Die wenig saufen und alles protokollieren. Weib, Uhrzeit, Nummer.“
Das war eine gute Idee und alle machten Vorschläge, wer als Adjutant verlässlich und wählbar sein würde. Sie wählten den Dritten, der sich feierlich einverstanden erklärte und Objektivität versprach und die Heizermesse wählte den Assi, der nicht wetten wollte und schwor, Neutralität zu wahren und darauf zu achten, dass der Dritte sich nicht besoff, was er immer gern tat und gar an
Objektivität verlor, zumal er als Wetter Partei war, worauf der Dritte ebenfalls Neutralität beschwor und erklärte, dass er nicht auf zwanzig Mark angewiesen wäre, obwohl er gern sechzig Mark verdienen würde, weil er auch nicht mehr so flüssig sei. Man einigte sich auf acht Uhr abends als Startbeginn und wählte die Casa da Casanova, weil dort ausreichend Weiberangebot verfügbar sein würde und Bernd nicht zugemutet werden könne, immer die Gleiche Nutte zu ficken, was alle einsahen. Schluß sollte zehn Uhr am folgenden Morgen sein, nachdem der Bootsmann in der Mannschaftsmesse auszuzahlen hatte und so gingen alle zufrieden ihrer Wege. Der Dritte schlug standesgemäße Kleiderordnung für die Adjutanten vor und fragte den Bootsmann, ob er seine Wette erhöhen könne, was dieser bejahte und unverzüglich die Hand ausstreckte.
Norbert kam aus der Heizermesse zurück und gab dem Bootsmann einige Scheine und die dazugehörigen Namen. „Vier Mann a zwanzig. Ich geh aber nachher noch Mal rüber. Hier sind meine zwanzig.“
„Hast du gut gemacht,“ sagte der Bootsmann,“ geh nachher noch mal rüber.“ Er ging in seine Kammer, die Buchführung zu machen und eine Flasche zu öffnen.
„Du bist bescheuert,“ sagte Norbert zu Bernd. „Das kannst du nicht gewinnen. Die Adjutanten werden dich nicht in Ruhe lassen. Wenn du gewinnst, wird der Bootsmann dich nicht in Ruhe lassen. Du wirst den Rest deiner Tage auf den Knien Rost klopfen.“
„Wir haben keinen Rost. Das ist ein neues Schiff.“
„Er wird sich Rost beschaffen.“
„Geh meine Wache. Ich muß pennen. Dann bin ich frisch, heut Abend. Ich fang mit der an, die geile Titten und blauschwarzes Haar hat.“
Alle kamen pünktlich. Um acht saßen die Wetter, so sie Freiwache hatten, und Abgesandte derer, die Wache schieben mussten, an der Bar und an den Tischen. Die Weiber waren freudig erregt, da sie auf ein gutes Geschäft hoffen konnten. Bernd trank in Ruhe ein Bier am Tresen. Norbert flüsterte :
“Der Bootsmann hat mir vorhin gesagt, dass er sich nach passender Arbeit für dich umsehen wird. Verlier mal lieber.“
„Ich weiß, dass du gegen mich gesetzt hast und reich wirst, wenn ich verlier. Ich habs genau gesehen, wie du dem Bootsmann den Zwanziger zugesteckt hast.“
Und der Assi und der Dritte kamen den Berg heraufgestiegen und hatten sich fein eingekleidet, jeder einen Schreibblock in der Hand und der Dritte, trotz der Hitze, mit geschmackvollem Schlips angetan. „Wann geht das los?“
„Gleich, ich hab die erste schon im Auge.“
Die erste bumste Bernd gleich nebenan in der ersten Holzbude und kam auf ein weiteres Bier herein, die Sache langsam und bedächtig angehend. Als zweite nahm er sich eine Brünette, die schon etwas älter schien und derzeit genau passte.
„Zwei,“ sagte der Dritte, der sich neutral verhalten hatte und damit einverstanden war, dass Bernd die Tube nicht benutzen würde, weil das ablenkte und zuviel Zeit in Anspruch nahm und bestellte ein Bier.
„Aber nach dem Wettkampf wird die Tube wieder benutzt.“
„Nach dem Wettkampf wird er keine Lust mehr haben, die Tube zu benutzen. Dann werden ihm die Weiber einstweilen zum Hals heraushängen. Reicht eh nur für fünf oder sechs Schuß. Deine Tube.“ Gab der Assi von sich, während Bernd nach der nächsten Ausschau hielt.
„Ich nehme die da. Da am Ende des Tresens. Die mit den dicken Titten. Wenn ich die hab, gehen wir ein Stück den Berg hinab. Dann nehm ich mir noch eine aus den Bruchbuden. Und dann mache ich eine Pause.“
„Wie der Herr wünscht,“ sagte der Assi und nahm einen tiefen Schluck. „Dann werde ich zwischendurch mal gehen, wenn wir Pause machen. Ich nehm dann auch die. Dann sind wir Lochschwager und können anstoßen.“
Die dritte stülpte sich über Bernd und er schloß die Augen, sich auf eine andere konzentrierend, die nicht da war und um zu vermeiden, sich von den Adjutanten, die beiderseits des Bettes mit ihren Blöcken ihre Positionen eingenommen hatten und in gebückter Haltung sorgfältig kontrollierten, ob der Schwanz auch drin war und ob da auch was rauskonmmen würde, wenn er nicht mehr drin war, irritieren zu lassen. Es funktionierte bestens und die Dame gab sich alle Mühe. Bei der Vierten, die die erste war, etwas am Berghang, war es genauso.
„Vier,“ sagte der Dritte und bestellte an der Bar ein Bier. „Vier. Und drei verschiedene. “
„Vier,“ rief ein Heizer von den Tischen. “Vier kann jeder.“
„Du kannst noch nicht mal zwei, Helmut.“
Den Berg hinunter wandernd, nahm Bernd Nummer fünf und Nummer sechs, die die zweite war. „Sechs,“ sagte der Dritte, „sechs.“ Und bestellte ein Bier. Der Bootsmann saß am Ende des Tresens und grinste wortlos vor sich hin. „Vier verschiedene.“
„Bleiben immer noch vier,“ ließ ein Matrose von einem Tisch hören.
„Paßt ihr Adjutanten auch auf, ob er wirklich einen Abgang hat ?“ Wollte ein Öler wissen.
„Gewiß,“ sagte der Assi,“ wir sind dicht dabei und kontrollieren sorgfältig was da so aus der Nille quillt. Es ist alles protokolliert. Hier, Nummer sechs, hat abgespritzt, nach mühsamer Arbeit und fünfundzwanzig Minuten Stoßen.“ „Aha,“ sagte der Öler,“ Bootsmann, kann man den Einsatz verdoppeln?“
Aber die Bücher waren geschlossen und die Einsätze konnten nicht verdoppelt werden.
Nummer sieben machten sie am Hang. Nummer acht machten sie nach Ruhepause und einer Zigarette ebenfalls am Hang, aber einige Stufen tiefer. Mittlerweile hatte es sich unter den Weibern herumgesprochen, was gerade gespielt wurde und alle waren bemüht, Bernd zu dem Durchbruch und Nummer zehn zu verhelfen, was, wie sie beteuerten, ein Rekord sein würde, mit dem sich trefflich werben ließ. Man würde ein Foto von Bernd anfertigen lassen und es mit einem Lorbeerkranz über der Theke aufhängen. Man bräuchte zwei Fotos, weil man zwei Theken in zwei Kneipen besaß.
Um Bernd anzuregen, fielen nach der achten Nummer, die das Weib von einer vorigen Nummer war, unversehens vier Mädchen über Bernd her, von denen sich zwei an seine Füße hefteten und zwei seine Schultern und Arme ergriffen und ihn vor dem Bett, dem er gerade entstiegen war, auf alle Viere zwangen, während die geile Blonde, mit der er Nummer sechs gemacht hatte, sich rasch erneut der Kleider entledigte und mit gespreizten Beinen, weit gespreizten Beinen, näher rückte, bis Bernds Zunge in ihre Scheide passte, was sie offensichtlich mehr erregte, als sein Schwanz zuvor es vermochte. Sie begann mit Fickbewegungen des Unterkörpers und stöhnte leise und dann lauter vor sich her, wobei Bernd seine Zunge von oben nach unten strich und sicherlich einen Gutteil seines Samens aufnahm, denn er hatte nicht beobachtet, dass sie sich die Scheide mit dem allgegenwärtigen Lappen ausgewischt hatte, wie es üblich war. Es war die erste Lecknummer seines Lebens und er beschloß spontan, dieses zukünftig öfter zu machen. Sie kam überraschend schnell, spritzte ihm eine salzige Flüssigkeit in den Mund, die er vor die Hütte spucken ging, als man ihn losließ und bedankte sich, indem sie Bernd ein Foto von ihr schenkte, auf dessen Rückseite sie rasch eine Widmung schrieb und von dem Bernd nur die Hälfte verblieb, nachdem die andere Hälfte, sehr viel später, von einem Beschauer auf einem anderen Schiff gestohlen worden sein mußte, da Bernd nur noch die Hälfte vorfand, als man ihm dieses und andere Bilder zurückgab. Sie war eine ausgesprochene Schönheit.
„Das müsst ihr aufschreiben.“
„Das können wir nicht aufschreiben. Das ist gegen die Regel.“
„Das war meine allererste Lecknummer.“
„Wir alle haben mal angefangen.“
Sie stiegen wieder den Berg hoch, Rast zu machen und weil die Adjutanten eine Auszeit forderten, ihren eigenen Interessen nachzugehen.
„Ich kann nicht andauernd Titten und Fotzen ansehen,“ lamentierte der Dritte. „Ich nehme mir die Blonde, die du geleckt hast.“
„Er hat sie davor auch gefickt,“ stellte der Assi richtig. „Ihr werdet Lochschwager. Ich werd auch die Blonde nehmen. Na, lieber nicht. Ich nehm die, die Blacky als Nummer vier hatte.“
„Acht,“ brüllte der Dritte in die Runde in der alle besoffen umherlaberten. „Acht.“
„Acht ist nicht zehn,“ brüllte der Bootsmann zurück,
“Acht kann jeder,“ schrie der Öler und brüllte nach dem nächsten Bier.
„Acht. Bei sechs verschiedenen Huren.“
„Deutsche sind lustig,“ sagte die, die Bernd als Nummer fünf oder Nummer sechs, oder vier hatte und die etwas englisch sprach.
Nachdem die Adjutanten zurückkamen, etwa eine halbe Stunde später, erklärte Bernd, dass er nunmehr bereit zu Nummer neun wäre und diese auf der Mitte des Berges zu vollziehen gedachte.
„Das Büro wird jetzt auf die untere Kneipe verlegt, wir verbrauchen zuviel Kraft, immer den Berg hochzusteigen. Ergebnisse werden nur noch unten, am Bergfuß veröffentlicht.“ Schrie Bernd in den Tumult und ging nach draußen, gefolgt von den Adjutanten, die Nummer neun zu wählen und zu zelebrieren. Nach der Nummer neun, die mühselig war und den Eindruck vermittelte, dass der Schwanz anfing, durchzuscheuern, war es drei Uhr morgens geworden. „Eine Nummer noch,“ stellte der Dritte fest.“ Die schaffst du auch noch. Dann hab ich verloren. Aber der Bootsmann hat richtig verloren. Der wird eine Monatsheuer verloren haben. Wenn du die letzte Nummer schaffst. Und der Bootsmann wird mir das Geld für die Nutten ersetzten, das ich dir andauernd vorstrecke.“
„War sehr dünn, was da beim letzten Mal rausgekommen ist.“ Stellte der Assi besorgt fest. Vielleicht solltest du mal was essen. Gibt es hier was zu fressen? Als niemand antwortete, bestellte er eine Runde Bier für die Leistungsgemeinschaft.
„Der Bootsmann hat ganz schön eine Fresse gezogen, als der Dritte neun gebrüllt hat.“
Die Nummer zehn wurde im unteren Bereich des Bordells absolviert, gleich im Nebenzimmer der Kneipe und dauerte eine Stunde.
„Mach hin,“ hatte der Assi gedrängelt und sich am Bettpfosten festgehalten,
“ wir wollen was trinken.“
Und „der Herr sei gelobt,“ als Bernd endlich fertig war.
„Zehn,“ brüllte der Dritte als er zurück in die Schankstube torkelte, „Bier für mich. Zehn und sieben verschiedene von den Weibern.“
Alle, die sich in der unteren Kneipe versammelt hatten, johlten und klatschten. „Zehn kann jeder,“ brüllte der Öler, der unter den Tisch gerutscht war und sich mit der Nasenspitze an der Tischkante festklammerte, dazwischen.
„Du hast schon Mühe zwei zu machen, du Arschloch.“
„Ich kann zehn. Gleich jetzt. Wenn mir jemand auf die Beine hilft.“
Man gratulierte und schüttelte Bernd die Hände.
„Ich mach die letzte noch mal,“ lallte Bernd dem Dritten zu, „ich bin jetzt wieder Paarungsbereit.“
„Gib uns die Knete, Bootsmann.“ Brüllte einer.
„Morgen,“ brüllte der Bootsmann und grinste breit. „Morgen kriegt ihr die Knete.“
Um sechs Uhr früh machte Bernd Nummer elf und um acht Uhr früh lag er erschöpft rücklings auf dem Bett neben dem Schankraum und das Weib hatte seinen Schwanz, der nicht mehr recht stehen wollte, zwischen ihren beiden Füßen und rubbelte ihn wild umher, bis Bernd meinte, dass sie ihn abschaben und er ihn nun verlieren würde.
„Das wird nichts,“ lamentierte der Assi und hielt sich am Bettpfosten fest, “das wird nichts. Laß uns saufen gehen.“ Aber dann wurde es doch noch etwas. „Mager,“ sagte der Assi, „ist kaum was rausgekommen.“
„Gilt,“ nuschelte der Dritte und suchte nach dem Türrahmen, in die Kneipe zu gelangen.
„Zwölf,“ brüllte er aus Leibeskräften und schleppte sich zu einem Barhocker,“ sieben verschiedene.“
Aber alle waren zu besoffen um den Rekord zu begreifen.
Gegen zehn wurde Bernd mit Norbert über das Hafenbecken gerudert, kam jedoch nicht die Jakobsleiter hoch, obwohl das Schiff jetzt tief im Wasser lag und so legten sie am Kai an, wo Hafenarbeiter sie auf die Pier zerrten und vereint an Bord schleppten.
Um vierzehn Uhr wurde die Kammertür aufgerissen und die Bereitschaftswache brüllte Bernd ins Ohr, „Reise, Reise, Seeklar machen.“
In der Messe kamen alle zusammen und der Bootsmann ließ schwarzen Kaffee brühen und ausschenken.
„Leute, werdet nüchtern. Der Dampfer ist voll. Um achtzehn Uhr laufen wir aus. Draußen soll Sturm sein. Also, Patentluken zuziehen. Alles lose Zeug auf Deck unter Deck. Ein Matrose an die Winch. Ein nüchterner Matrose an die Winch. Haben wir einen nüchternen Matrosen? Gangway klar zur Einholung und dann laschen. Leiter einholen. Daß mir nichts über Bord geht. Wenn die See überwäscht. Los jetzt. Alle Mann raus. Und schießt die Leinen ins Kabelgatt. Wenn wir losgemacht haben.“
In den Luken, den Räumen, ganz unten, waren kleine Haufen, wie immer wenn sie Eisenerz geladen hatten, waren da nur kleine Haufen tief unten, die zusammen unvorstellbare zwanzigtausend Tonnen Gewicht ausmachten. Das Schiff war dreckig und zugestaubt. Sie würden wieder Farbe waschen müssen. Aber wenn die See hochging, nahm sie einen Teil mit und verschmierte den Rest. Sie quälten sich durch die diversen Aufgaben und als sie endlich fertig waren, kam das Kommando Leinen los und Schlepper an Steuerbord.
„Im nächsten Hafen werde ich nur noch pennen,“ sagte Timmy, als er sich vorbeischleppte.
Die Schlepper drehten das Schiff, dann sprang die Maschine an und schob den Kasten in den Atlantischen Ozean, von dem eine steife Brise ihnen entgegen blies.
Eine Stunde Schlaf in den dreckigen Klamotten, dann acht zwölfer Wache mit Timmy, Norbert und dem Dritten. Zuerst Ausguck auf der Außenbrücke, achtzig Minuten Geradeausschauen, dann ebenso lange Bereitschaft neben dem Telefon in der Messe bei schwarzem Kaffee und schließlich noch Ruderdienst in der Brücke. Alle waren bleich und sahen wie ausgekotzt aus und wünschten die Ablösung herbei. Bernd war übel. Bernd war krank. Aber die anderen waren auch krank. Die See war ruhig, einige Schaumkronen, wenig Wind. Keine Spur von Sturm.
„Kommt noch.“ sagte der Dritte missmutig. “Wir laufen Liverpool an. Birkenhead. Das ist neben Liverpool.“
Bei Antritt der nächsten Wache, acht Stunden später, ging es dann wieder ausreichend. Der Sturm blies, die See ging höher. Schaumkronen waren jetzt überall. Seegang nahm zu und als die Wache zu Ende war, musste Bernd sich bereits in der Koje einklemmen, mit angewinkeltem Knie, um nicht herausgeschleudert zu werden. Das Schiff rollte und begann zu stampfen. Bei der folgenden Morgenwache war der Sturm da. Die Brecher wuschen über das Vordeck und das Mitteldeck, so dass man die See abpassen musste, um nach Mittschiffs zur Brücke zu gelangen. Brecher rüber, ein paar Sekunden warten, dass das Wasser abläuft, dann mit Endspurt über das Deck an Leeseite. Im Ausguck auf der Brückennock wuschen die Gischtschleier rüber und Bernd hatte Mühe, die Augen offen zu halten und konnte kaum voraus etwas erkennen. Aber der frische Wind, Sturm, der von dem Windabweiser gebremst wurde, tat gut und verhinderte die aufkommende Übelkeit, die jedoch durchbrechen würde, wie er wusste, wenn er Ruderwache hatte und in der geschlossenen Brücke stehen würde. Der Bug brach die See, die in Wellenbergen herantobte und über die Back hereinbrach, um auf das Vorschiff zu stürzen und sich ausrollend, an die Mittschiffsaufbauten zu knallen. Das Schiff zitterte und bebte, besonders achtern und vibrierte und schüttelte sich. Es neigte sich zur einen Seite, verharrte und kam dann wieder hoch, sich auf die andere Seite zu neigen, dass man befürchten musste, es würde nichts mehr werden und es würde nun kentern und sie alle ertränken. Um nicht von den Beinen geschleudert zu werden, klammerten sie sich an allem fest, was Halt versprach.
„Wir müssen Streckleinen spannen, “brüllte der Dritte durch den tosenden und kreischenden Krach, nachdem er bei zehn Glasen die Schiebetür der Brücke aufgerissen hatte, hinaus auf die Brückennock, in der Bernd stand und Ausschau hielt.
„Geh nach achtern. Norbert weiß Bescheid.“
Norbert stand schon im Schott des achteren Aufbaus, als Bernd vom Bootssdeck auf das Deck abenterte und machte Handzeichen, dass er bleiben sollte, wo er war. Dann kam er zwischen zwei Brechern über das Deck gewetzt und die Leiter zum Bootsdeck heraufgeturnt.
„Wir müssen ins Kabelgatt,“ keuchte er und wischte sich das Wasser vom Gesicht und aus den Augen. “Die Wurfleinen sind im Kabelgatt.“
„Wie willst du da hin kommen,“ fragte Bernd, „ich komm vom Ausguck. Ich seh da einen Brecher nach dem anderen über das Vorschiff knallen. Das steht alles meterhoch unter Wasser. Da wirst du mit gebrochenen Knochen fortgespült.“ „Wir müssen irgendwie an die Leinen kommen. Laß uns zur Brücke hochgehen und mit dem Dritten beraten.“
„Ich könnte den Bug direkt in die See drehen,“ sinnierte der Dritte, “die See kommt von Steuerbord voraus. Wenn wir nach Steuerbord eindrehen, kommt die See von direkt vorn. Dann wäscht sie über die Back. Kommt aber nicht noch zusätzlich von der Seite. Ist sie rüber, musst du wie ein Storch rennen, Norbert. Zur Back, Schottriegel auf, rein und Schott zuziehen und verriegeln. Daß dir das Schott nicht aus der Hand gerissen wird und das Kabelgatt volläuft.“
„Ich weiß nicht,“ sagte Norbert unschlüssig.“ Was, wenn die Riegel verklemmt sind und ich sie nicht aufkriege.“
„Sie werden nicht verklemmt sein, wenn sie gut gewartet sind,“ sagte der Dritte scharf.
„Dann komm ich nicht mehr zurück. Dafür bleibt keine Zeit.“
„Ich stell mich auf die Nock und geb dir Handzeichen wenn es anrauscht. Blacky stellt sich als Befehlsübermittler in die Brückentür und gibt meine Order an den Rudergänger weiter, dass der mich versteht. Du rennst an Leeseite Backbord. Kann nicht viel passieren. Los jetzt. Wenn ich dich unten an der Leiter vom Bootsdeck sehe, geb ich die Ruderkommandos. Wenn ich mit dem Arm fuchtel, rennst du los. Wenn du genauso gut rennen wie saufen kannst, schaffst du das. Ab jetzt. Wir sind hier kein Klönklub.“
„Alles Gute, Norbert,“ rief Timmy vom Ruder ,“warst ein guter Kumpel.“
Etwas zaghaft und unsicher verließ Norbert die Brücke und ließ sich Zeit, unten Vorderkante Bootsdeck aufzutauchen und zu winken, damit der Dritte, der Posten in der Nock bezogen hatte und sich weit überlehnen mußte, ihn sehen konnte.
„Ruder zehn Grad Steuerbord,“ brüllte der gegen den tosenden Sturm.
„Ruder zehn Grad Steuerbord,“ brüllte Bernd in die Brücke und Timmy begann am Ruder zu kurbeln. „Liegt an,“ brüllte er zurück.
„Mittschiffs,“ schrie der Erste, als das Schiff sich mühsam ruckweise in die See zu drehen begann und gerade ein Brecher über die Back rollte.
“ Mittschiffs,“ schrie Bernd. „Mittschiffs liegt an.“
„Recht so. Kurs halten. Los, Norbert, renn du lahme Ente.“ Der Dritte fuchtelte wild mit beiden Armen, damit Norbert verstehen würde, dass er jetzt zu rennen hatte.
„Rennt wie ein Karnickel, vor der Meute,“ brüllte der Dritte und versuchte befriedigt zu grinsen, brachte aber nur eine Grimasse zustande.
„Rennt wie ein Karnickel vor der Meute,“ gab Bernd weiter und konnte ihn jetzt selbst sehen, wie er an den vier Hebeln des Schotts herumtobte. „Tobt jetzt an den Hebeln des Schotts rum.“ „Du brauchst mir nicht jeden Furz melden, den der Dritte von sich gibt,“ rief der Rudergänger Timmy, der das Schott nicht sehen konnte.
„Hat Schott auf,“ brüllte der Dritte.
„Schwerer Brecher voraus,“ schrie Timmy, der durch eine rotierende Klarsichtscheibe blickte, während an allen anderen Brückenscheiben das Wasser herunterlief und eine klare Sicht nicht zuließ. Der Dritte wischte sich seine Augen, um den schweren Brecher zu erkennen und brüllte :
“Volle Deckung. Kawentsmann.“ Er duckte sich hinter die Brückenschanz und Bernd sprang ins Ruderhaus, die Brücke und versuchte die Schiebetür zu schließen. Das Vorschiff stieg jäh in die Höhe. Alles krachte, schepperte und zitterte. Mit elementarer Wucht brach es haushoch über die Back, rollte gegen die Mittschiffsaufbauten und schockte und stauchte das Schiff, das plötzlich ohne Fahrt auf dem Fleck zu verharren schien, vorn weit unterschnitt und hinten wie ein Fahrstuhl hochwippte. Alles schepperte, knarrte, kreischte. Alles zitterte, wippte durch, dröhnte. Es krängte weit nach Backbord über und dann kam die Krone des Brechers über die Schanz der Nock, die zehn Meter über dem Deck kragte und wusch den Dritten von den Beinen, der einen Moment hilflos in der Brückennock schwappte und mühsam wieder auf die Beine kam. Das Wasser brach in die Brücke und gurgelte mit den Schiffsbewegungen umher, um über den Niedergang abzulaufen.
„Mein lieber Junge,“ brüllte der Rudergänger Timmy.“ Da haben wir aber Glück gehabt. Das hätte ins Auge gehen können, ich steh hier im Wasser.“
Er hielt sich krampfhaft an der Rudersäule fest und versuchte das Gleichgewicht nicht zu verlieren.
„Ist Norbert noch da?“
„Keine Ahnung“, rief Bernd durch den elementaren Krach und beobachtete, wie der Dritte sich wieder auf die Beine rappelte:
“ Ist Norbert noch da?“ Brüllte der ihm zu.
„Keine Ahnung,“ schrie Bernd zurück.
Aber Norbert war noch da und in Sicherheit im Kabelgatt. Bernd konnte sehen, wie die zwei Riegel, die er festgesetzt hatte, sich zu bewegen begannen und dann öffnete sich das Schott und er lugte vorsichtig heraus und suchte Blickkontakt mit dem Dritten in der Nock.
Die Brückentür zum Niedergang wurde aufgerissen und der Kapitän trat
breitbeinig in die Brücke, haltsuchend.
„Was war das,“ brüllte er, sich umsehend und den Dritten suchend. „Wo ist der wachhabende Offizier.“
„Schwerer Kawendsmann. Dritter ist in der Backbordnock,“ rief Timmy und versuchte den Kurs zu halten und den Bug wieder in die See zu drehen, nachdem der nach Backbord ausgebrochen war.
„Renn, Norbert. Renn.“ brüllte der Dritte mit voller Kraft gegen den Sturm und fuchtelte entsprechend mit den Armen und Bernd sah, wie Norbert drei
Wurfleinen auf das Deck warf, aus dem Schott hechtete, es zuschlug und die
vier Hebel runterrammte, um wie eine Gazelle in die Deckung der Luke eins zu hetzen und Bernds Blick zu entschwinden.
„Er hat es geschafft, „sagte der Dritte keuchend und kam zurück ins Ruderhaus, in dem das Wasser schwappte. „Er hat es geschafft.“
„Was geht hier vor,“ wollte der Alte wissen, der sich an der Radarhalterung festhielt, „was macht ihr hier.“
Der Dritte meldete und der Alte verfügte eine Verstärkung der Wachen.
„Vierer Wache. Ab Null Vier Vierer Wache. Zwei Mann Ausguck. Je einer in jeder Nock. Bei Luv einer in der Brücke an der Klarsichtscheibe. Beide Ausgucks mit Ferngläsern. Aufklärung See voraus. Sofortige Meldung wenn eine Welle kommt, die höher scheint. Wachoffizier am Maschinentelegrafen. Bei Kawendsmann in Sicht, sofort auf halbe Fahrt gehen. Ich alarmiere die Maschine. Kurs See direkt voraus beibehalten.“
Der Dritte meldete verstanden und stellte sich neben dem Maschinentelegrafen auf, während der Kapitän zum Brückentelefon griff und die Maschine anrief, in der der wachhabende Heizer sich sofort meldete.
„Geben sie mir den wachhabenden Ingenieur,“ brüllte der Alte in den Hörer und wartete während Norbert über die Bootsdeckleiter die Nock betrat.
Dann sagte er,“ verstärkte Wache ab nächster Wache. Telegrafen mit einem Mann besetzen. Wir steuern mit dem Telegrafen. Also sofort Maschinen drosseln wenn gemeldet. Schwere See im Anmarsch.“
Er hängte den Hörer in die Wandhalterung und wandte sich Bernd und Norbert zu.
„Spannt die Streckleinen. Verstärkte Anbindung. Nur mit Absicherung des Mannes. Wir gehen mit der Fahrt runter bis ihr Fertig meldet.“
„Herr Schreiner,“ so hieß der Dritte, „Halbe Fahrt voraus.“ Herr Schreiner zog den Hebel des Maschinentelegrafen zurück auf Halbe und er rasselte kurz. um dann zu verstummen, da er am anderen Ende gleichgestellt und damit bestätigt wurde. Norbert zog Bernd am Arm aus der Brücke und sie enterten ab auf das Bootsdeck und machten die Leinen klar.
„Blöder Quatsch,“ sagte er ,“Mann angeleint. Wenn du eine Leine um die Hüfte hast, muß die reichen, bis du die achteren Aufbauten erreichst. Wenn du da ankommst, ist die Leine so lang, dass du über die Seite gewaschen wirst, wenn ein Brecher kommt und neben der Bordwand in Lee in der See mitgezogen wirst, wo du unterscheidest und nur rasch ersaufen kannst.“
„Wenn du ohne Leine über Bord gehst, ersäufst du auch,“ sagte Bernd. „Natürlich. Aber dann kannst du das Schiff noch beobachten, wie es sich entfernt.“
„Aber mit der Leine kann man dich später, wenn die See wieder ruhiger wird, herausziehen und an Land beerdigen.“
„Wenn du darauf Wert legst,“ sagte er,“ bitte. Jeder hat einen letzten Wunsch frei. Auch der Seemann manchmal.“ Er legte Bernd das Wurfknotenende um die Hüfte und versuchte einen Pahlsteg zu knüpfen.
„Ich?“ Fragte Bernd entsetzt und sah auf das brodelnde Deck hinunter, über das alle Fingerlang die Brecher, immer noch von Steuerbord, hinwegtobten.
Nach kurzer aber intensiver Beratung ließ Bernd sich eine Wurfleine so lange um die Hüfte wickeln, bis nur noch ein Ende von zwei Meter Länge übrig blieb. „Ich mach das Ende immer zuerst am Lukensüll fest,“ sagte er zum Abschied,“ dann bin ich gesichert und spanne das Strecktau.“
„Doppelt.“ Sagte Norbert dicht an seinem Ohr, damit er hören würde.“ Spann das Tau doppelt. Wenn du achtern bist, geh in die Maschine und laß dir vier Karabinerhaken geben. Schneid dir zwei Meter von der Leine , die du herumträgst ab und mach den Karabinerhaken daran fest. Zwei Halbe Schläge. Anderes Ende um die Hüfte. Dann Haken in Strecktau einstecken. Und dann kommst du zurück und laschst das Strecktau alle drei Meter, oder wo du Halt findest, am Lukensüll fest. Bring einen Haken und ein Tauende für mich.“
Der Dampfer machte einen Sprung, legte sich auf die eine Seite stark über und Bernd enterte wohlinstruiert hinunter auf das Hauptdeck, wo ihm das Wasser einstweilen nur bis zu den Knien ging und über die andere Seite rasch abzulaufen begann. Er hetzte zu Luke drei und machte rasch sein Sicherungsseil am Süll fest. Dann kam es auch schon von Steuerbord herüber. Ein grün schillernder Wasserberg, der über die Luke hereinbrach und ihn von den Füßen riß. Im Nu war er unter Wasser und paddelte wild und völlig hilflos mit den Armen, an dem Tauende hängend, dabei das bisschen Luft, das er hatte, ausprustend und einen Anflug von Panik bemerkend. Unter Wasser kann Bernd nur Sekunden gewesen sein, aber es kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Da die Brecher immer schneller hintereinander folgten, band er sich auf dem Weg nach achtern noch zweimal an und wurde noch einmal unter Wasser gedrückt. Dann war es geschafft.
Norbert zog an seinem Ende und spannte die beiden Wurfleinen zu dem Strecktau, an dem sich die nachfolgenden Wachen entlang hangeln würden. Bernd hangelte sich in die Maschine und bekam die Karabinerhaken, um dann das Strecktau so oft wie möglich an die drei Lukensülle zu laschen, so dass es hielt und sich nicht ausbeulen konnte. Bei Norbert auf dem Mittschiffsbootsdeck angekommen spannten sie mit vereinten Kräften das Tau nach und Bernd brüllte gegen den Krach und das Tosen und Heulen und das Kreischen des Orkans:
“Jetzt hab ich aber die Schnauze voll.“
„Macht nichts,“ brüllte Norbert zurück.
Die Nacht, in der Bernd Freiwache hatte, verlief chaotisch. Das Schiff dröhnte, wippte, zitterte und stauchte sich. Von überall her war Scheppern aller möglichen Sachen zu hören. Vor Krach konnte man sein eigenes Wort nicht verstehen. Es kreischte und klapperte. Es ging rasant hoch, blieb wippend stehen, fiel im freien Fall herunter, dass Bernd meinte, es würde kein Ende nehmen. Er krampfte sich verbissen in der Koje fest und versuchte, nicht herausgeschleudert zu werden. Arschbacken an die Rückwand geklemmt, oberes, linkes Knie gegen die Schlingerleiste der Koje gestemmt, linke Hand am Kojenrand festgekrallt, Kopf an die Rückwand gedrückt. So konnte man schlafen. Aber Bernd konnte nicht schlafen, weil er in dieser Position auf das Bullauge starren musste, das schwarz wie die Nacht war. Und dann wieder unter das Wasser schnitt, das matt grün im Mondschein leuchtete und Furcht einjagte, da er beständig Angst hatte, das Schiff könnte sich womöglich nicht mehr aufrichten und sie würden alle kentern und könnten hier nie wieder raus. Sie alle würden fünftausend und mehr Meter auf den Boden des Ozeans fallen und dort verkommen. Verschollen im Südatlantik. Das Schiff rollte von einer Seite zur anderen. Unaufhörlich. Es ruckte, als ob es in eine Mauer gefahren würde. Und kippte über, verhielt, und kippte weiter über. Das Bullauge verschwand unter Wasser und das Schiff wollte sich einfach nicht mehr aufrichten. Es konnte sich bei dieser Schlagseite gar nicht mehr aufrichten. Das war physikalisch nicht möglich. Es verhielt lange Sekunden in der Schräglage und Bernd schwanden die Kräfte, sich in der oberen Koje zu halten und nicht herauszufallen. Aber dann kam es. Langsam, zentimeterweise, aber es kam. Es richtete sich wieder auf. Es schwamm weiter. Die Tür des Allibert an der Wand sprang auf und der Inhalt schepperte auf den Boden. Das Tonband, das Norbert gehörte, und auf der Polsterbank eingekeilt lag, rutschte hinunter und schepperte an die Koje. Norbert fluchte wild unten in seiner Koje und zog sich die Decke über den Kopf. Bernd war speiübel und er versuchte die Waschräume zu erreichen und hangelte sich an den Handläufen des Ganges entlang, in die Toilette zu kotzen, vor der er kniend, mit dem Kopf in der Schüssel verblieb, Galle würgte, bis die Wache ihn fand, ihn zum Wachantritt um acht Uhr morgens zu wecken. „Reise, Reise, raus aus der Schüssel. Wachantritt. Sieben Uhr dreißig.“
„Laß mich erste Bereitschaftswache gehen, Norbert,“ brachte Bernd in der Messe, wo die Wache zusammenkam, Kaffee zu trinken, mühsam hervor. “Mir ist speiübel.“
„Sieht man,“ sagte Norbert,“ siehst aus wie ein Leichentuch.“ Und nahm Bernd mit nach Mittschiffs, denn Bereitschaftswache gab es nun nicht mehr, weil zwei Ausgucks befohlen worden waren. Davor hangelte sich der Bootsmann in die Messe und setzte sich auf einen der festgeschraubten Stühle. Die abgelöste vier acht Wache kam von der Brücke dahergeschwankt.
„Was ist denn nun, Bootsmann. Was ist mit der Abrechnung. Von der Wette. Wo ist mein Gewinn.“
„Welcher Gewinn.“ Sagte der Bootsmann erstaunt und grinste. „Von was redest du.“
„Mein Gewinn von der Fickerei.“
„Da gibt’s keinen Gewinn. Ihr habt darauf gewettet, dass Blacky keine zehn Nummern schafft. Er hat aber. Da gibt’s keinen Gewinn.“
„Wir haben gewettet, dass er zehn Nummern schafft. Da gibt es Gewinn.“ „Quatsch. Wer würde wetten, dass Blacky zehn Nummern schaffen würde.“ „Was haben wir jetzt gewettet. Schorsch, was haben wir gewettet. Mit der Ficksache.“
„Laß mich mit dem Scheiß zufrieden. Ich versuche Kaffee zu trinken. Ohne, ihn mir in den Kragen zu kippen .“
„Siehst du,“ sagte der Bootsmann zufrieden, eine Person mit Verstand gefunden zu haben.
„Dann gib mir meinen Einsatz zurück.“
„Ist kein Einsatz mehr. Hab ich alles dem Dritten gegeben. Der hat die Nutten bezahlt. Einer musste ja die Nutten bezahlen. Blacky, nimm einen Eimer mit. Wenn du zum Ausguck auf die Brücke gehst. Dann kannst du in Ruhe kotzen. Sieh mal in einen Spiegel. Du siehst aus wie ein Leichentuch.“
„Kann er kotzen, wie er lustig ist,“ sagte Schorsch und versuchte mit beiden Händen die Tasse zum Mund zu führen und sich derweil mit den Füssen irgendwo abzustemmen. “Wäscht alles über die Nock. Orkan. Der Zweite sagt, wird noch schlimmer. Auf dem Nordatlantik soll es noch dichter kommen.“
Die Maschine tief unter ihnen lief jetzt langsamer, wie man über den allgemeinen Krach vernehmen konnte, wenn man sich anstrengte und die Vibrationen hatten nachgelassen. Dann ruckte der Dampfer vorn in einen Widerstand und das Heck zitterte unkontrolliert.
Alle krallten sich an die Schlingerleisten der Backen, um nicht von den Stühlen gerissen zu werden. Drei Tassen hopsten von der einen Back und zerschellten auf dem Stahlboden.
„Der Zweite sagt, dass das das richtige Wetter ist, in dem Erzfrachter in der Mitte auseinanderbrechen und wie Steine auf den Meeresgrund sacken.“
„Recht hat er,“ sagte der Bootsmann und zog eine Grimasse. „Ist ein Dutzend Mal passiert. Seetüchtige Schiffe. Keine alte Schlurren, die schon mal auseinanderfallen können. Seetüchtige, neue Schiffe. Jetzt da. Und schon weg. Für alle Zeiten. Unauffindbar. Kein Funkspruch. Nichts. Einfach verschwunden. Muß die Reederei abschreiben. Ich hab noch eine Flasche in der Kammer.“
Er erhob sich und versuchte zwischen den Backen, Tischen, breitbeinig das Schott zu erreichen, sich an den Handläufen über den Flur zu seiner Kammer zu ziehen und nach der Flasche zu schauen.
„Denk an den Eimer, Blacky. Und wenn es ruhiger wird hab ich schöne Arbeit für dich. Deine Nutten haben mich ordentlich gekostet.“
Der Orkan hielt penetrant an. Nach einer Woche nahm er sogar noch an Stärke und Vitalität zu. Immer wieder musste die Maschine auf Halbe Fahrt gedrosselt werden, um die Geschwindigkeit zu bremsen, bevor der Bug gegen einen Kawendsmann rannte. Mehr Fahrt konnte nicht heruntergenommen werden, um das Schiff steuerfähig zu halten. Der Alte blieb tagelang auf der Brücke, lebte von pechschwarzem Kaffee und bediente dann den Maschinentelegrafen höchstpersönlich. Nach ein paar Stunden Schlaf, manchmal im Kartenraum, war er wieder auf Posten. In der Maschine tat es ihm der Chief nach.
„Ein richtiger Ansturm und wir sind weg,“ raunte der Dritte Bernd ins Ohr, als der Rudergänger zur Probe machen durfte und sich als Gefechtsrudergänger bewährte. Das Schiff scherte nach jedem größeren Treffer zur Seite. Mal nach Backbord, dann nach Steuerbord. Um es wieder einigermaßen auf Kurs zu bringen, musste Bernd das Ruder wirbeln, dass ihm der Schweiß auf der Stirn stand. Hartruder, immer Hartruder. Der Eimer, den er an die Steuersäule gebunden hatte, damit er da blieb, blieb leer, wie sein Magen und wie seine Galle, wo immer die herkommen mochte.
Es ging so drei Wochen weiter und wollte kein Ende nehmen. Bernd hatte zu kotzen, was mit Kotzen kaum noch etwas zu tun hatte, mit Würgen und Röcheln, aufgehört, weil es einfach zu anstrengend geworden war und betrachtete sich vorsichtig beurteilend, alsbald als seefest.
„Ich bin jetzt seefest,“ sagte er zu Norbert.
„Wird auch Zeit. Eine Zumutung, dir immer zusehen zu müssen. Auf dem nächsten Dampfer fängst du erneut an. Alle Dampfer bewegen sich anders.“
Drei Wochen. Ausguck. Abwechselnd an Back-, dann an Steuerbord, wo es heftiger blies und man zu mehr Wasser kam. Fernglas wischen und voraus und zwanzig Grad zur Seite durch das Ding starren. Mit Rändern um die Augen. In die Brücke brüllen, wenn man was entdeckt hatte, was höher als die anderen Berge war und dann nach Halt für die Finger suchen. Dann fuhren sie in die Irische See ein und es wurde rasch ruhiger.
Liverpool war der Löschhafen. Zwei Schlepper kamen, das Schiff in eine enge Schleuse zu bugsieren, in der rechts und links neben der Bordwand nicht mehr Platz als ein halber Meter war und sie Schwierigkeiten hatten, die Fender in den Schlitz zu pressen und zu halten. Dann kam Birkenhead in Sicht und bestand aus Nebel, Rost, Schrott, Kohlenstaub, verrosteten Kränen und Abfall zwischen Ruinen, die Lagerhallen gewesen sein mochten. Sie machten fest, hängten die Stellagen für die Arbeit des nächsten Tages außenbords und kehrten in einer Hafenkneipe ein, wo sie auf einen besoffenen Engländer stießen, der zahllose Drinks ausgab, da er Geburtstag hatte und der sie abfüllte, so dass sie nicht mehr rekollektieren konnten, am nächsten Morgen, wie sie wieder an Bord gekommen waren. Norbert fand Bernd eingerollt in dem Läufer vor seiner Koje, weil er, wie er meinte, seine Koje nicht auffinden konnte, da er nicht mehr zu sehen vermochte.
Am Mittag wurde Bernd zum Kapitän in den Salon bestellt, der ihm die Hand schüttelte und feierlich sagte :
“ Herr Meyer, sie sind jetzt Jungmann. Gratuliere. Sie werden es weit bringen.“ „Ich bin jetzt Jungmann, Timmy. Ich werde es weit bringen. Ich bin gerade befördert worden.“
„Scheiße auch,“ sagte Timmy missmutig die überbreite Farbrolle in den Farbeimer bugsierend. Scheiße auch, befördert. Du bist jetzt Jungmann, weil du jetzt ein Jahr zur See gefahren bist. Alle werden Jungmann wenn sie ein Jahr Seefahrt hinter sich haben. Und weit bringen wirst du es bis zur nächsten Kneipe.“
„Jungmann, ich bin befördert worden, Norbert.“
„Ich weiß. Der Bootsmann hat es schon verkündet. Als Jungmann bist du der letzte Arsch. In der Mannschaft. Sieh mich an. Ich bin Leichtmatrose. Ich bin eine Persönlichkeit.“
„Du bist ein Arschloch, Norbert. Du bist ein Quartalsäufer.“
„Man muß solange saufen, wie es was zum Saufen gibt. Wozu sollte ich sonst am Leben bleiben. Du verdienst jetzt mehr. Du kriegst jetzt neunzig Mark im Monat. Jeden Monat. Dreißig Mark mehr. Du denkst du kannst dir jetzt was leisten? Ich verdiene hundertachtzig Mark im Monat. Jeden Monat. Gegen dich bin ich Großverdiener. Du gehörst immer noch dem Prekariatspöbel an.“
Die nächste Nacht soffen sie in einem Club in Liverpool, an dessen Eingangstür sie sich in eine Liste eintragen mussten, um Clubmitglieder zu werden, bevor sie eingelassen werden konnten. Zum Bumsen gab es nichts, aber dafür war es in den Plüschmöbeln sehr gemütlich. In der Nacht, auf dem Heimweg nach Birkenhead wurden sie von einer Bande verfolgt, die Fahrradketten schwang und Rasiermesser im Mondschein blinken ließ. Sie rannten und versteckten sich hinter Schuttcontainern, von denen das sehr sparsam beleuchtete Hafengelände übersäht war. Aber die Bande wollte nicht aufgeben und unbedingt einen, besser zwei Deutsche abmurksen und war sehr penetrant in der Verfolgung. Norbert und Bernd tauchten in Hallen unter, stiegen rostige Leitern zu Podesten hoch, krochen hinter rostige Kessel und unter Schutthalden. Sie kamen immer wieder ran. Und es waren mehr als sieben, weil aus anderen Ecken auch welche kamen und anders aussahen, als die sieben, die Norbert und Bernd seit dem Eingang zum Hafengelände hetzten. Sie begannen zu zweifeln, ob das rettende Schiff jemals erreicht werden konnte. Aber dann machten die Verfolger einen taktischen Fehler und sie konnten durch die Häscher durchbrechen und im Spurt, mittlerweile sehr nüchtern und leistungsfähig, den fehlenden Kilometer zum Schiff zurücklegen und vor der Gangway die rostigen Eisenstangen wegschmeißen, die sie unterwegs aufgelesen hatten.
Am nächsten Tag war das Schiff leer und verholte nach Liverpool in das Trockendock, wo die gigantische Schraube gewechselt und ein Bodenanstrich aufgetragen werden sollte.
Die Sauferei in den Hafenkneipen brachte keine weibliche Bekanntschaft und niemand kam zum Stich. Nach vier Tagen in der Werft dockten sie aus und begaben sich auf den Weg nach Venezuela in den immer noch, oder bereits wieder, sturmumtosten Nordatlantik, der sie mit Wucht und Ausdauer empfing und begleitete. Der Eimer schaukelte heftiger als in dem Orkan der Nordfahrt, aber es war weit weniger gefährlich, da das Schiff in Ballast fuhr und kein bleischweres Erz tief unten in den Räumen die Stabilität des Schiffes bedrohte, das auf vielen anderen Erzfrachtern die spontane Versenkung verursacht hatte. In Ballast war noch kein Erzfrachter in der Mitte auseinander gebrochen. Davon hatte man noch nicht gehört.
„Aber umgekippt,“ sagte der Dritte auf Wache umgänglich. “Aber kentern tun diese Kästen.“
Die See begann sich bei Aufgang der Sonne ein paar Strich an Backbord achteraus ocker einzutrüben und kündigte den bekannten Anlauf in das Orinoco Delta an. Bernd stand auf Ausguckwache in der Backbordnock und schaute voraus durch das Glas auf einen brennenden Tanker, kaum über der Kimm, auf dessen Deck Leute umherrannten.
„Brennender Tanker ein Strich Steuerbord voraus,“ rief er in die Brücke und der Dritte schaltete das Radar ein. Eine Regenbö zog am Horizont daher und begann das Geschehen zu verdecken.
„Kann nicht sein,“ rief der Dritte aus dem Ruderhaus. „Radar zeigt nichts an. Garnichts.“
„Hab ich deutlich im Glas gehabt. Ist jetzt hinter dem Regenschleier verdeckt,“ sagte Bernd zu dem Dritten, der gekommen war, durch sein eigenes Glas zu beobachten, „brennender Tanker. Ich hab rennende Leute an Deck gesehen.“ „Stück Scheiße wirst du gesehen haben. Wahrscheinlich Sonnenspiegelung. Die geht ja gerade schön hell auf.“
„Aber hinter uns.“
„Vielleicht hat sie sich im Wasser gespiegelt. So was soll vorkommen.“ Der Dritte sah Bernd scharf an. „Kommt vor. Aber selten.“
Aber Bernd bestand auf seiner Beobachtung und hatte deutlich Leute an Deck herumrennen gesehen.
Schon kurz nach Einlaufen in den Orinoco, etwa dreissig Meilen stromaufwärts, verdüsterte sich der Himmel und unter Rauschen kamen alle Schmetterlinge und Falter, die die Mannschaft je auf dem Planeten vermuten würde aus den Urwäldern zu beiden Ufern und liessen sich gemächlich flatternd überall auf dem Schiff nieder. Es musste die Fahrt gedrosselt werden, weil die Sicht zu schlecht wurde. Die Wachablösung watete bis zu den Gürteln durch eine kompakte Schmetterlingsmasse, die das gesamte Schiff bis zu einem Meter dick bedeckte und zertrat auf ihrem Weg nach Mittschiffs Millionen zu Brei, auf dem die abgelöste Wache ausrutschte, hinschlug und schlitterte. Eine ungeheure Biomasse, die noch beständig weiteren Zulauf aus dem Urwald erhielt.
Der Ausguck konnte nichts mehr erkennen. Es war kaum noch atmen möglich Wem flüchten erlaubt war, der flüchtete unter Deck. Aber auch dort waren sie bereits versammelt und erhielten Verstärkung durch Bullaugen und offene Schotts.
„Das ist die Hölle,“ fluchte Norbert, rutschte aus und schlitterte auf dem Bauch unter der Schmetterlingsmasse über das Hauptdeck, um prustend und spuckend wieder aufzutauchen. „Das ist die Hölle. Die werden uns ersticken und auffressen.“
„Schmetterlinge saugen,“ belehrte Bernd.
„Die werden uns ersticken und aufsaugen,“ verbesserte sich Norbert. „So viel Leben hätte ich nicht auf der Erde vermutet.“
Es war ein ungeheures, unvergessliches Naturereignis. Riesengrosse, buntschillernde wunderschöne Falter und Schmetterlinge, überall und übereinander landend und kriechend. Zehn, zwanzig Schichten hoch. Den ganzen Raum bis in die Baumwipfel ausfüllend, stundenlang verweilend und dann plötzlich wieder verschwunden.
„Sie sind in den Urwald heimgekehrt.“ Sagte der Bootsmann in der Messe und nahm einen Schluck Kaffee. „Seht zu, dass ihr das Deck von dem verbliebenen Leichenmus reinigt. Schmeißt das über Bord für die Fische. Und scheucht die Nachzügler unter Deck aus dem Schiff. Ich will das nicht mehr haben. Dieses Geflatter vor den Augen macht mich nervös.“
San Syphillis wurde erreicht und beide Anker geworfen. Zwei tapfere Leute sprangen ins Wasser und verblieben nur kurz.
„Wenn der Piranha kommt,“ lästerte Timmy, “werdet ihr wie Jesus über das Wasser rennen und rasch kürzer werden.“
„Wer weiß schon, was hier sonst noch so unter der Wasseroberfläche herumlungert,“ meinte Erwin, „man munkelt, dass hier Aale wohnen, die Starkstromschläge verteilen.“
Es kam ein Boot daher und nahm einige Willige an Land zum Bumsen in den Freudenhäusern im Urwald. Dann wurde an die Pier verholt, geladen und ausgelaufen. Ziel war Philadelphia.
Nach Philadelphia war es nicht so sehr weit. das Wetter war brilliant und die ganze Mannschaft wurde knusprig braunschwarz geröstet. Bei spiegelglatter See liefen sie den Delaware River an und dampften stromaufwärts. An Backbordseite reihten sich im Dreierpack unzählige Schlachtschiffe, Schwere Kreuzer und Flugzeugträger meilenweit dahin. Eine solche Armada hätte niemand für möglich gehalten und alle waren beeindruckt von der Macht der USA. Hier lag mehr Kriegsmaterial versammelt, als der Rest der Welt zusammengenommen aufzubieten in der Lage war. Als Trenton voraus in Sicht kam, wurden beide Buganker in den Strom geworfen und ein Ponton, von einem kleinen Schlepper manövriert, kam längsseit und nahm den Dritten auf, der sich von Timmy und Bernd begleiten liess, die die Drecksarbeit zu verrichten hatten. Proviant sollte acquiriert werden.
Der Ponton wurde am Ufer an anderen Pontons festgemacht, der Dritte verschwand auf der Suche nach dem Agenten und Timmy sagte, „warte mal hier.“ Und verschwand ebenfalls, um nach einer Stunde mit einem Kasten Bier wieder aufzutauchen. „Kann dauern. Bis der Dritte den Agenten findet und die Hafenkneipe verlässt. Prost.“
Nach der fünften Flasche Bier kam der Dritte über die anderen Pontons eher unsicheren Ganges daher, nuschelte, dass Saufen verboten war und nahm sich eine Flasche aus dem Kasten. „Kommt gleich der LKW. Prost.“
Zwei Stunden später sagte er, sich aufrichtend und umsehend, „da steht der LKW. Holt das Zeug raus und stapelt das alles auf diesem hier Ponton.“ Er griff in den Kasten und sagte zum Abschied, Prost.
„So ein Arschloch,“ murmelte Timmy, als er mit Bernd über die Pontons schwankte, „so ein Arschloch. Säuft meinen Kasten Bier aus und fasst noch nicht mal mit an. Ich wette, das sind alles Schweinehälften und Gemüsekisten.“
Es waren alles Schweinehälften und Gemüsekisten und Kartoffelsäcke und Timmy und Bernd mussten Pausen einlegen, sich von der Anstrengung des Transportes zu erholen und ein Bier mit dem Dritten zu trinken, der bald zu singen begann und nach dem zweiten Kasten fragte, nachdem der erste zur Neige gegangen war und der Schlepper erst am Abend wieder vorbeischauen würde.
Nach dem Löschen in Trenton ging es zurück nach Orinoco und San Syphillis, wo sie als Stammkunden in den Bordellen im Dschungel freudig begrüsst wurden und wo die Weiber alles fallen liessen und ihre sonstigen Tätigkeiten einstellten, die Mannschaft rasch zu bedienen, denn die hatte wenig Zeit und musste zurück auf das Schiff und dieses auslaufklar machen. Die Schmetterlinge waren ausgeblieben und stromab ging es rasch vonstatten, den Atlantik zu erreichen und Chivitavecchia in Italien anzusteuern, das bei kaum bewegter See ohne Zwischenfälle erreicht wurde.
Nach dem raschen Löschen verholte das Schiff an Dalben im Hafenbecken und gab die Frau des Kapitäns von Bord, die einen Tag zuvor an der Pier zugestiegen und in der Nacht überraschend verschieden war.
Von der zweihundert Meter entfernten Pier liess sich der italienische Bestatter von seinem Gehilfen längsseits an das Fallreep rudern und reichte einen hölzernen Sarg zum Deck hinauf, in den die Gemahlin des Kapitän gelegt und würdevoll von drei Matrosen und einem Leichtmatrosen über das Hauptdeck getragen wurde.
„Wir nehmen einen Stropp,“ sagte der Bootsmann mit gedämpfter Stimme sich der feierlichen Stimmung bewusst und schielte nach dem Kapitän, der abseits mit der Bibel in der Hand stand und traurig zuschaute. „Wir nehmen einen Stropp. Und fieren den Kasten über die Reling hinunter.“
Er lehnte sich über die Reling, um zu schauen, wo der Kasten über die Reling gefiert werden musste, das Boot unten zu treffen. „Eher kleines Dingi,“ sagte er mit Mißfallen in der Stimme, „hätten auch einen richtigen Kutter nehmen können. Müssen wir Obacht geben, dass das Ding nicht kentert. Und alles ins Wasser rutscht.“
„Werden keinen Kutter haben,“ gab Erwin überflüssigerweise von sich und machte den Stropp klar. „Sind halt Kanaker.“
Nachdem Erwin zwei halbe Schläge um den Handlauf der Reling gewickelt hatte, meldete er Fertig und der Bottsmann sagte :“Alle Mann anfassen, rüberwuchten und langsam fieren. Erwin, langsam fieren. Nicht fallen lassen.“ So schabte der Sarg die wohl sechs Meter bedächtig und ruckweise an der Bordwand hinunter und erreichte das lächerliche Boot, in dem der Bestatter zu zetern begann, weil die Ecke des Sarges seinen Lackschuh eindrückte und den Zeh quetschte, während der Alte andächtig und stumm von der Plattform des Fallreeps zuschaute und die Decksmannschaft an der Reling aufgereiht hinunterstarrte und verhalten grinste.
„Wird das Paddelboot versenken,“ grinste Norbert hinter vorgehaltener Hand, „Wird alles ins Hafenbecken rutschen und im Schlick verschwinden.“
„Halt die Fresse,“ flüsterte Bernd.
Unten mühte sich der Bestatter und der Gehilfe des Bestatters, den Sarg, wie auf der Herfahrt, am Heck des Bootes mittig zu lagern, wo er über das Heck kragen würde, so dass der Gehilfe, wie erprobt, auf der Ducht Platz nehmen und rudern konnte und der Bestatter pietätvoll am Bug zu weilen in der Lage sein würde. Aber dann schien diese Gewichtsverteilung zu riskant, da niemand wissen konnte, wo Kopf und wo Fuß der Leiche verteilt waren und ob das Auswirkungen auf die Gewichtsverteilung haben und den Sarg kippeln lassen würde, so dass er beim Rudern hintenüber rutschen und verloren gehen könnte.
Nach italienischem Palaver, das niemand an Deck verstand, einigten sich der Bestatter und der Gehilfe des Bestatters dahingehend, dass der Kasten mittig im Boot zu liegen kommen sollte, was hieß, dass er auf die Ducht zu lagern wäre, was nach Anhebung durch hilfreiche Hände an Deck schliesslich zur Zufriedenheit gelang. Jetzt aber stellte der Gehilfe des Bestatters fest, dass er nicht mehr in der Lage sein würde, das Boot mit Rudern zu bewegen und an die Pier zu bugsieren, so dass beide Italiener ratlos und reglos, das Boot nicht zum Schaukeln zu verleiten, unten standen und der Bestatter seinen Hut lüftete und sich mit dem frischen Taschentuch aus der Brusttasche der schwarzen Anzugjacke über die Glatze wischte, den Schweiß zu entfernen.
Nach einer Weile und unter begleitendem Geschnatter kamen sie zu der Erkenntnis, dass sie nun beide zu paddeln hatten, was dem Bestatter sichtlich unangenehm war; aber dann ging es doch noch und das Boot erreichte wohlbehalten und auf ebenem Kiel die Pier, die einmeterfünfzig höher lag und neue Probleme aufwarf, die zuvor übersehen worden waren.
„Meine Fresse.“ grinste Timmy hinter vorgehaltener Hand, kaum noch in der Lage, schallendes Lachen zurückzudrängen, „schau dir diese Komiker an. Die Arschlöcher kriegen den Sarg nicht auf die Pier. Ich seh die Kiste schon das Boot versenken und die Itaker ertränken.“
„Mir tut der Alte leid,“ flüsterte der Bootsmann, der daneben stand. „So eine Tragödie. Dass die Familie so ein tragisches Ende nehmen musste. Eine Nacht an Bord und schon tot. Ich frage mich, ob er sie noch gefickt hat. Wo er doch nie zu den Nutten geht. Und dann so eine erbärmliche Beerdigung.“
An der Pier mühte sich zwischenzeitlich der Bestatter und der Gehilfe des Bestatters weiter, den Sarg auf die Pier zu wuchten, scheiterten jedoch an dem Gewicht und dem schaukelnden Boot, so dass sie nach kurzer Bedenkzeit auf die Idee verfielen, den Sarg im Boot Hochkant aufzurichten, so dass der Gehilfe des Bestatters die Pier erklimmen und von festem Grund unter den Füssen die Kiste in die Waagerechte anhebeln und auf die Pier zerren konnte, wobei der Bestatter seinen Hut verlor, der im Hafenbecken abtrieb und sichtlich erleichtert die Sprossen der Pierleiter hochstieg, um von dieser abschiednehmend, dem Schiff zuzuwinken und eiligst mit dem Leichenwagen zu verschwinden.
„Und so zerknüllt zur letzten Ruhe,“ bemerkte der Bootsmann traurig, „auf dem Kopf stehend.“
„Sie werden sie schon noch wieder herrichten. Bevor sie ins Loch kommt.“ Sagte Erwin und grinste breit. „Sicherlich werden sie sie bügeln.“
Zwei Wochen lang, der Atlantik war längst erreicht und Kurs auf Ordaz genommen, erschien der Alte um punkt zehn Uhr morgens auf Steuerbord Hauptdeck mit aufgeschlagener Bibel in der Hand und begab sich vierzig Schritte nach achtern, drehte und ging vierzig Schritte entlang der Reling nach vorn. Das ging jeweils bis elf Uhr morgens, also eine Stunde lang und die Mannschaft begann zu wetten, dass das so bleiben würde.
„Brauchst du keine Uhr mehr,“ sagte Timmy, „Wandert er forsch, ist es zehn bis zehn Uhr dreissig. Sind Ermüdungserscheinungen erkenntlich, ist es zehn Uhr dreissig bis elf Uhr. Ist er weg, ist es nach elf Uhr oder vor zehn Uhr.“ „Macht mich völlig nervös,“ fluchte der Bootsmann, „man kann sich auf dem eigenen Schiff nicht mehr frei bewegen. Unentwegt muß man die Seite wechseln, ihm nicht unversehens in die Quere zu laufen.“
Aber die Sache nahm dann doch ein überraschend abruptes Ende. Mitten auf dem Atlantik blieb der Alte um zehn Uhr fünfundvierzig genau am Fallreep stehen, warf die Bibel in den Ozean und enterte freudestrahlend die Brücke, einen Witz zu verbreiten. Die Trauerzeit war beendet.
Der Atlantik war gnädig gestimmt und beliess es bei hoher Dünung, in der das im Ballast befindliche Schiff stark schlingerte und kragte. Dem Bootsmann fiel die Geschichte mit Vitoria wieder ein, als er sich in seiner Kammer besoff und Bernd wurde instruiert, das Kabelgatt aufzuräumen, um hernach die Farblast zu sortieren. Das dauerte. Aber dann besann der Erste sich und verfügte Bootsrolle, zu ermitteln, ob die Boote vielleicht an den Lagern oder den Schwerkraftdavits festgerostet waren, oder die Davits möglicherweise nicht funktionierten. Auch war zu schauen, ob die Schwimmwesten noch vorhanden sein und ob sie für alle reichen würden. Ein Boot wurde ausgeschwenkt und dann wieder eingeschwenkt. Wo schon die Rollen exerziert wurden, durfte die Feuerrolle nicht fehlen. Nach Sirenenalarm tobte die Deckmannschaft über das Hauptdeck, rollte die Feuerschläuche aus, brüllte in den Niedergang des Maschinenraums, Wasser los und fragte den Ersten, wo es denn brennen würde oder sollte.
Nach kurzer, konzentrierter Überlegung wies der Erste Offizier mit ausgestreckter rechter Hand auf die Mittschiffsaufbauten und brüllte, „Feuer im Saloon des Alten.“
„Feuer im Saloon des Alten,“ brüllte der Bootsmann überflüssigerweise, aber korrekt nach der Feuerrolle und streckte seinen Arm nach Mittschiffs aus.
„Rollt die Deckschläuche wieder zusammen. Ein Mann zum Maschinenschott, Wasser abstellen.“
„Feuer im Saloon des Alten,“ brüllte der Erste. “Da werden nicht erst die Schläuche an Deck eingerollt, Bootsmann.“
„Feuer im Saloon des Alten,“ brüllte der Bootsmann und kam ins Krächzen, „später die Schläuche auf Deck einrollen. Nachdem das Feuer im Saloon des Alten gelöscht ist. Ein Mann zum Maschinenschott und ein Befehlsübermittler dazwischen. Wasser Stop.“
Zum Ersten gewandt sagte er leiser :“ Was brennt da eigentlich. Nur der Salon des Alten oder auch der Gang?“
„Woher soll ich das wissen,“ sagte der Erste mürrisch, “so lahm wie ihr das angeht, brennt mittlerweile auch der Gang.“
„Feuer im Salon des Alten,“ brüllte der Bootsmann über Deck,“ und der Gang brennt nunmehr auch. Tauchretter anlegen. Norbert, schaff den Tauchretter herbei. Mit Schlauch. Zwanzig Meter. Und Blasebalg.“
„So ein Arschloch,“ sagte verhalten Timmy,“ Als ob es auf diesem Kahn zwei Salons gäbe.“
„Was für ein verdammter Tauchretter,“ fragte Norbert. „Wo zum Teufel soll ich einen Tauchretter finden. Haben wir Tauchretter an Bord?“ „Er meint den Lufthelm,“ erklärte der Matrose Erwin, „das Ding aus Leder. Mit der Glasscheibe zum umherschauen. Liegt alles in der Leinentruhe im Kabelgatt. Wenn es nicht gestohlen worden ist. Vergiß den Blasebalg nicht.“
Nachdem Norbert mit der gesuchten Ausrüstung wieder achterkante Mittschiffs erschien und der Erste aufhörte, nervös von einem Fuß auf den anderen zu tippeln :“Jetzt brennt schon das ganze Mittschiffs,“ und Timmy grinsend meinte, “dann lohnt das Löschen ohnehin nicht mehr, setzen wir wieder das Boot aus, Und holen wir uns was zu fressen aus der Kombüse,“ brüllte der Alte aus der Brückennock an Steuerbord :“Jetzt brennt schon der ganze Mittschiffaufbau. Ihr versenkt mein Schiff.“
Aber dann ging es professionell zur Sache. Norbert wurde der Lederhelm über den Kopf gestülpt und am Hals zugeschnürt. Erwin übernahm breit grinsend den Blasebalg und versprach Norbert auf dessen Vormarsch zum Brandherd mit frischer Luft zu versorgen. „Wenn du richtig schreist, kann man das durch den Schlauch hören,“ sagte er und grinste noch breiter. „Aber nuscheln höre ich nicht.“
„Haben wir eigentlich keinen zweiten Helm?“ Fragte der Erste den Bootsmann, „wie sollen wir die Kommunikation mit dem Mann aufrechterhalten, wenn der im Qualm des Ganges außer Sicht kommt ?“
„Wenns qualmt,“ sagte der Bootsmann bedächtig, „sieht der noch nicht mal seine Finger. Wenn wir Befehlsübermittler einsetzen wollten, bräuchten wir auf zwanzig Meter Entfernung vom Brandherd einen Mann alle fünf Meter. Und dazu die Schlauchführer und die Blasebalgleute. da wäre das Personal rasch erschöpft.“
Das sah der Erste dann auch ein und brüllte zur Nock hoch, “Personalmangel, wenn wir genug Leute hätten, würden wir BÜs in den Gang schicken.“
Der Alte tippte sich an die Stirn und verschwand in der Brücke.
So krochen dann alle abwechselnd unter dem Lederhelm auf allen Vieren den Gang entlang und hofften, dass Erwin für ausreichend Luft sorgen würde, um unbeschadet den Rückzug anzutreten und wohlbehalten wieder das Deck zu erreichen. Der Brandherd konnte nicht ermittelt und bekämpft werden, weil es keinen Brandherd gab und weil der Bootsmann vergessen hatte, Wasser Marsch zu brüllen.
„Sie haben vergessen Wasser Marsch zu brüllen,“ tadelte der Erste den Bootsmann.
„Wollen sie ganz Mittschiffs unter Wasser setzen ?“ Verteidigte sich der Bootsmann.
„Immer schön flach auf dem Boden bleiben,“ instruierte der Kapitän Bernd, als dieser die Schuhe des Alten direkt vor seiner Nase entdeckt hatte und die mitgeführte Schlauchspritze jäh hochreckte. „Immer schön auf dem Boden bleiben. Auf den Brustwarzen kriechen. Dafür sind sie da. Dann versengt sie die Flamme nur unwesentlich und sie bleiben uns erhalten.“ Bernd nickte verstehend mit dem Kopf.
Ordaz wurde unter voller Fahrt mit zwölf Knoten den Orinoco hinauf in zwanzig Stunden erreicht, denn die Faltermassen blieben dieses Mal aus.
„Die Indianer werden sie gefressen haben,“ sinnierte Timmy.
„Fresst mehr Vierfruchtmarmelade,“ brüllte der Smutje in die Mannschaftsmesse, “dann haben wir leere Eimer, ein Kanu auf der Rückfahrt zu versenken.“
Baden traute sich niemand, man konnte ja nicht wissen, ob die Pyranhas in der Nähe weilten und die Zitteraale gute Laune hatten, überdies blieb wenig Zeit, wollte man noch die preiswerten Bordelle im Dschungel besuchen und rasch eine Nummer schieben und zuvor auch noch saufen, was nicht zu vernachlässigen war. Überdies war von der Schiffsleitung bekannt gegeben worden, dass in den braunen Fluten lange Aale lauerten, die mühelos die Ladung Strom produzieren konnten, die ein Seemann kaum überleben würde. So zogen also sechs Mann der Deckmannschaft und zwei Mann des Maschinenpersonals an Land und zwängten sich in einen VW Käfer, zusammen mit dem eingeborenen Fahrer und bretterten über die Schlaglöcher der gewunden durch den Urwald führenden Sandpiste, wobei der Mann auf dem Dach den Halt verlor und verloren ging, während die Mehrzahl wohlgemut und bester Stimmung in dem ersten Bordell ankam und mit Biersaufen begann, hernach in gehobener Stimmung und mit Liedern auf den Lippen Bordell Nummer zwei und dann drei und vier aufzusuchen, um den verlorenen Mann viel später in Bordell Nummer eins wiederzufinden und dort die letzte Nummer zu schieben. Die Bräute waren, wie gewöhnlich nicht pingelig und fickten auch schon mal für das Oberhemd, wenn kein ausreichendes Kapital mehr in der Hosentasche zu finden war. San Syphillis war ein Seemannstraum und niemand bekam Syphillis und noch nicht mal ein Tripper wurde gemeldet, obschon die verhütende Tube mit der Paste nicht mehr verfügbar war, da die Last sich erschöpft hatte, wie der Dritte nicht müde wurde, zu erklären.
„Die Tuben sind jetzt alle. Lasst euch was anderes einfallen.“
Stromabwärts wurde die Einmündung des Rio Marconi noch rascher erreicht und nach achtzehn Stunden dampfte das Schiff in das Mündungsdelta und hinfort in die glatte, kaum durch Dünung bewegte Platte des Nordatlantik mit Kurs auf Port of Spain in Trinidad, wo es schwarzen Rum und Post gab, so jemand jemanden anderswo hatte, der mal schrieb. Dann Kurs nach Genua. An Bord wurde munter rund um die Uhr gesoffen, sowohl achtern, als auch Mittschiffs, und alle gelangten volltrunken irgendwie auf Brücke, Wache zu schieben und der Alte, ebenso voll, die ganze Reise, verbot Gesang am Ruder und stand eines Mittags in der Backbord Brückennock, fuchtelte mit der Kapitänspistole in der Luft umher, gab einen Schuß ab, damit alle an Deck aufmerksam wurden und brüllte aus Leibeskräften : „Das Gesetz bin ich und meine Pistole.“ Worauf er erschöpft nach hause torkelte und in seine Koje fiel. „Drei Mann auf einem Haufen ist Meuterei,“ brüllte der ebenfalls volltrunkene Bootsmann und hangelte sich an der McGregor Luke nach achtern, in seine Koje zu fallen :“Ihr habt gehört, was er gesagt hat.“
„Leck mich am Arsch,“ brüllte Erwin hinterher, „Feiern heute in meiner Kammer.“
In Genua ging der Erste Offizier von Bord und der neue Erste Offizier kam forsch die Gangway zum Deck hoch und verkündete, seinen Koffer absetzend : „Ich bin jetzt der neue Erste Offizier,“ damit auch alle verstanden, was er so meinte. Seine allererste Handlung war der Verschluß der Bierlast :
„Zwei Dosen Bier pro Mann pro Tag,“ ließ er verlauten, „täglich abzuholen vor der Bierlast. Das Saufen nimmt jetzt ein unverzügliches Ende.“ „Woher weiß der, dass wir saufen,“ fragte verständnislos Timmy in der Mannschaftsmesse, „wo er grad erst angekommen ist.“
„Wenn ich nicht mehr saufen darf, “sagte Norbert verzagt, „will ich hier nicht länger leben .“
„Du hast einen Vertrag, Norbert. Ein Jahr. Wir alle haben einen Vertrag. Daran fehlen noch fünf Monate,“ belehrte der Bootsmann.
So wurde es einstweilen nichts mit dem Abmustern und bald hatte der Mittelatlantik sie wieder. Rasmus tobte und ein Sturmtief jagte das nächste. Wie gewöhnlich waren die Strecktaue über Deck zu spannen, auch bei der Westfahrt in Ballast, aber Doppelausguck wurde nur bei voller Ladung angeordnet.
„Wenn der Schlurren in Ballast auseinanderknickt,“ sagte der Dritte auf Wache, „dann wollen wir ihn auch nicht mehr haben. Ein paar Orkane muß ein Schiff schon aushalten.“
„Wenn der Arsch von Erstem meint, dass man sich nicht von zwei Dosen Bier besaufen kann, irrt er.“ Sagte Norbert und ließ sich bei der nächsten Ausgabe der Marketenderwaren zehn Tafeln Schokolade aus dem Schapp reichen.
„Wir machen jetzt eine Saufparty. In unserer Kammer. Wer seine zwei Dosen Bier und einen Suppenteller mitbringt, kann zum Feiern kommen.“
Die Idee war grandios. Das Bier wurde in den Suppenteller gekippt und die Schokolade hineingebröselt und sorgfältig verrührt, um alsdann mit dem Teelöffel bedächtig gelöffelt zu werden.
„Kriegst du richtig einen in der Krone,“ nuschelte Erwin, als der Bootsmann hereinschaute, angelockt von der fetzigen Musik aus Norberts Grundigkoffer, der rasch getrocknet war.
„Was sauft ihr hier,“ sagte er und probierte einen Löffel. „Ekelhaftes Gebräu. Ich mag das nicht so süß.“
„Nimm einen Schluck Birkenhaarwasser,“ meinte Norbert hilfreich, stand auf und öffnete die Tür des Allibert, seine Flasche Birkenhaarwasser herauszuholen und ein Schnapsglas zu füllen.
„Schmeckt gut,“ der Bootsmann schnalzte mit der Zunge und Erwin beugte sich über die Back, einen Schluck zu probieren.
„Das Zeug schmeckt hervorragend. Ein Leckerbissen. Jetzt wissen wir wenigstens wozu das gut ist. Stell die Flasche auf den Tisch.“
„Was geht hier vor,“ sagte der Dritte, in dem Schott zur Marketender Kammer stehend, “was geht hier vor. Was wollt ihr alle plötzlich mit Birkenhaarwasser, wo ich euch das Zeug früher aufschwatzen musste, um es los zu werden. Und jetzt reißt ihr es mir aus der Hand. Du bist schon der neunte, der drei Flaschen von dem Zeug haben will. Ihr werdet es euch doch wohl nicht in die Haare schmieren?“
„Was geht hier vor,“ sagte der Dritte des nachts auf Wache. “Wie kann es sein, dass ihr alle besoffen seid. Wo habt ihr das Zeug her. Klär mich auf Blacky.“ Bernd klärte den Dritten auf und bei der Marketenderwarenausgabe in der folgenden Woche, bei Anlaufen Delta Orinoco, mussten alle betrübt feststellen, dass sich die Ladung Birkenhaarwasser erschöpft hatte.
„Gibt kein Birkenhaarwasser mehr. Last ist erschöpft.“ Sagte der Dritte, in dessen Aufgabenbereich die wöchentliche Ausgabe fiel und grinste breit.
„Der Arsch hat sich selbst einen Vorrat angelegt,“ murmelte Norbert wütend und wandte sich Bernd zu :„Du hast ihm das ja auch erklären müssen.“
„Der Erste hat mir auferlegt,“ Begann der Dritte auf der folgenden Wache, als sie den Orinoco stromaufwärts bewältigten und die am Ufer in den Baumkronen mithastenden Affenhorden mit dem Glas beobachteten, „der Erste hat mir auferlegt, die Bierlast abzuschliessen und den Schlüssel über Bord zu werfen.“
„Zwei Dosen Bier sind zu viel für euch. Er will keine Besoffenen mehr an Bord sehen und keine schmutzigen Lieder mehr hören. Er sagt, er will nicht, dass eine betrunkene Wache irgendwo anstößt oder irgendwas über den Haufen fährt. Er sagt, der Reeder mag das nicht.“
„Kein Bier mehr,“ brüllte Timmy, der Ruderwache hatte, in die Nock, in der Bernd Ausguck hielt und hoffte, dass vielleicht eins der Kanus vor den Bug scheren und samt der Indianer untergepflügt werden würde.
Fortan verlangte niemand mehr Schokolade aus der Last.
„Eine Scheiße ist das hier,“ brüllte urplötzlich ein Heizer im Schott zur Decksmesse, griff über die Back und grabschte die Maggiflasche, die er in zwei Zügen, nach dem ersten Zug tief durchatmend, leertrank. „Eine Scheiße ist das hier. Das Zeug ist eine Zumutung.“ Keuchte er und verschwand wieder in seinem Reich, in der Maschinenmesse.
„Na klar,“ sagte Timmy und griff sich die leere Flasche,“ der Suffkopp hat recht. Die Maggibrühe ist gebraut. Das ist ein Schnaps. Vom Feinsten. Geh rüber zum Smutje Blacky und sag dem Wichser, dass das Maggi alle ist und er Nachschub rausgeben soll.“
In Port of Spain ging das Schiff wie immer bei strahlendem Wetter vor Anker und nahm Post und Order von der Launch an Bord. Dem Ersten war etwas Neues eingefallen. Er verfügte, dass während der Ankerliegezeit auf der Poop Offizierswache zu gehen war. Der Zweite hatte das Pech, damit zu beginnen. „Kann man nichts machen,“ entschuldigte er sich und trug ein bekümmertes Gesicht zur Schau. “ Order vom Ersten. Es ist verboten Rum an Deck zu ziehen.“
„Und anderer Schnaps?“ Wollte der Bootsmann wissen.
„Gibt es ja nicht.“ Meinte der Zweite, „aber der Erste hat nur was von Rum gesagt.“
Aber außer dem köstlichen, pechschwarzen selbstgebranntem Rum, den die Eingeborenen stets über die Wurfleinen aus ihren Kanus hochreichten, nachdem sie US Dollars entgegengenommen hatten, war nichts im Angebot und die Stimmung der Mannschaft sank rapide ab, bis jemand auf die Idee kam, Obstschalen und dann das Obst, das gelegentlich gereicht wurde, in Zinkeimer zu werfen und diese mit Wasser aufzufüllen.
„Nasses Tuch drüber spannen und feucht und warm halten und davor alles hübsch klein schnipseln. Gebt eure Eimer her. In der Maschine ist es schön warm. Da gärt das Zeug rasch.“
„Scheiß auf die Maschine,“ lamentierte der Bootsmann. „Wir gären das in der Sonne auf Deck. Da wird es wenigstens nicht abgeschöpft und verdünnt. Koch schaff mehr Obst aus deiner Frostlast. Die Männer brauchen mehr Obst. Die Männer müssen gesund bleiben, wenn sie den Fraß den du immer zusammenrührst, fressen sollen.“
Die Kammerpartys konnten fortgesetzt und zu Sauforgien gesteigert werden, nachdem einem wachen Geist eingefallen war, daß auch das Rasierwasser recht schmackhaft zum Eimerschnaps, der freilich recht dünn ausfiel, mundete. Die Obstsachen wurden durch rohe Kartoffeln und gekochten Reis angereichert. Aus der Maschine kam die ultimative Idee, das Gasöl auf einem flachen Behälter abzubrennen und den verbleibenden Rest aus Schnapsgläsern zu schlürfen. Es ging wieder westlich. Und erneut nach Ordaz. Dann nach Trenton am Delaware River, wo gleich vierzig Stunden im Stück stand by für die Deckmannschaft verfügt wurde und alle an der Back der Messe im Sitzen einschliefen. Und wo danach alle an Deck beim Festmachen und dann beim Ladeklarmachen, dem Aufreißen der schweren Mac Gregor Stahlluken über die gespannten Drähte stolperten und in Schlaf versanken, wo immer sie hinfielen.
Eine weitere Fahrt nach Venezuela schloß sich an und Bernd hatte die Gewissheit, dass er hier verschwinden musste, wollte er nicht zum Alkoholiker werden und reichte erneut die Kündigung ein, in guter Gesellschaft mit dem Dritten und Dieter und Björn, dem Messesteward, die sich anschlossen. Der Alte versprach, bei der Reederei Ersatzleute zu beantragen und nach Löschen der Ladung, erneut in Genua, traf der Ersatz ein und die Abmusterer erhielten ihre Papiere und einen Händedruck und eine Eskorte der italienischen Polizei, die im Auftrag des Kapitäns die beiden Taxis zum Bahnhof geleiteten und darauf achteten, dass nicht noch auf dem Bahnsteig irgendein Fusel an Bord des Zuges nach Hamburg geschmuggelt werden konnte.
Im Milano klappte das mit der Polizeibewachung jedoch nicht so recht und niemand in Uniform nahm Notiz von ihnen und somit gelang es ihnen während des Aufenthaltes des völlig überbesetzen Zuges eine Reihe Chiantikanister und einen Kasten Bier zu erwerben und schließlich mit lautem Gesang und rempeln ein Abteil mit sechs Sitzplätzen zu erobern und von dem Rest der Fahrgäste zu säubern. Bald floß Bier und Wein unter der Schiebetür auf den Gang und zwang die hier versammelten zahllosen Reisenden die Füße zu heben. Aber in Zürich kam die Bahnpolizei und ein Schrubbkommando aus zwei betagten Damen und feudelte alles wieder auf. In Hamburg stand ebenfalls die Bahnpolizei auf dem Hauptbahnhof und wedelte mit einem Strafmandat, das ihnen von Zürich bereits bekannt, sie anstandslos bezahlten und zum Taxistand wankten.
So war es eine recht teure Heimreise geworden, insbesondere für den Dritten, der im Vollrausch das Zugfenster aufriß und seinen Koffer, einen nagelneuen Koffer, den er grad zuvor in Genua erworben hatte, aus diesem schleuderte, grad als sie über eine Brücke fuhren, die einen breiten Fluß querte.
Bernd quartierte sich in St. Georg in einem Loch ein und besuchte am folgenden Tag eilig den Heuerstall am Fischmarkt, denn die Abrechnung mit der Reederei am Vormittag hatte ergeben, dass er pleite war und sich einen tagelangen Landaufenthalt nicht zu leisten vermochte, zumal noch eine Nutte zu bezahlen war.