Читать книгу CUBANO PANKOW - Bernd- Andreas Ulke - Страница 5

Begegnungen.

Оглавление

Vor dem ersten Unterricht hat sich praktisch die halbe Schule vor dem Portal versammelt. Ein Ritual. Es wird heimlich geraucht, es werden Heiterkeiten ausgetauscht, man berichtet. So manches auch hinter vorgehaltener Hand. Vielerorts in Pankow hat es wieder bunte Plakate gegeben. Sogar in der Schule wurde eins gesichtet. Der Direktor wird kommen und durch die Klassen gehen, die Sache ist kein Kinderstreich mehr, heißt es hochoffiziell.

Eigentlich aber sind diese Plakatierer wirklich unverschämte Helden, da ist man sich irgendwie einig. Zumindest in den Reihen, in denen heimlich geraucht wird.

Eduard Brink lauscht den Worten sehr aufmerksam und steht inmitten einer Ansammlung von Schülern der Oberstufe wie ein stiller Beobachter. Dabei hat man sich wieder mal nach und nach um ihn herum geschart. Er muss nicht mal einen Spruch zum Besten geben, um das Interesse auf sich zu ziehen. Offenbar ist es für viele eine Genugtuung, einfach in seiner Nähe zu stehen, von den bemalten grünen Augen erfasst zu werden oder ihn einfach dabei zu beobachten, wenn er genüsslich an seiner Zigarette zieht. Ob es der Junge Eduard nun darauf anlegt oder nicht.

Immer, wenn jedoch die junge Kubanerin vor der Schule eintrifft, wie jetzt in das gleißende Neonlicht des Portals eintaucht, ihre Mütze abnimmt, ihre tolle Mähne dabei zum Vorschein kommt und die großen goldenen Ohrringe, schweifen die Blicke etlicher Schüler kurz zu ihr herüber. Es ist wie eine kleine Aufführung, eine Showeinlage. Nur die Darstellerin selbst ist sich dieser Rolle nicht im Geringsten bewusst.

Eduard pustet Rauch aus und grinst zufrieden. Schon vor langer Zeit hat er begriffen, dass es da jemanden gibt hinter der vereisten Scheibe im Souterrain. Jemanden, für den es sich lohnen könnte, ihm besondere Aufmerksamkeit zu widmen.

Er beobachtet nun jede ihrer Bewegungen im Detail, wie sie ins Schulgebäude verschwindet, ein ganz leises, bewunderndes Raunen umher geht, es hier und da auch neidvolle, missgünstige Blicke von unliebsamen Mitschülerinnen und Getuschel gibt.

Da liegt was in der Luft, meint der Junge Eduard zu spüren, ganz konkret sogar.

In diesem Moment beschließt er, sich seiner hübschen Nachbarin anzunehmen und auf sie aufzupassen.

„Mach wenigstens schnell deine Haare nass und komm.“

Helena, die in ihrem rotgelben Badeanzug aus der Heimat mit verschränkten Armen und Beinen auf einer Bank sitz und praktisch als letzte in der Umkleidekabine verweilt, ist dankbar für die Kameradschaftlichkeit ihrer Mitschülerin. Sie eilt sogleich zum Waschbecken, hört, wie die Tür zur Halle aufgeht, fauchende Geräusche in die Kabine dringen und beim Schließen der Tür gekappt werden. Zaghaft beugt sie sich unter den Wasserstrahl.

Helena Casera fühlt sich zum ersten Mal verloren zwischen all den bleichen Körpern, sie, die Badenixe, die zwischen den Gezeiten aufgewachsen, daheim einst sogar Rettungsschwimmerin war, atmet tief durch. Schwimmunterricht a la EOS Ernst- Thälmann heißt offenbar soviel wie seid bereit- immer bereit, alle stehen sortiert am Beckenrand, und die Sonne hat noch nicht mal geblinzelt.

Die Geräuschkulisse aus der Halle faucht wieder dumpf zu ihr hinüber.

Jemand ist in die Kabine gekommen. Stimmen, direkt hinter ihr.

„Schicker Badeanzug. Wirklich. Aber wir sind hier nicht in Afrika bei den Papageien.“

Zwei giftige Schlangen aus ihrer Klasse, Mandy und Jana, haben sich plötzlich vor ihr aufgebaut, tänzeln um sie herum, zischeln mit ihren spitzen, gespaltenen Zungen, blecken ihre Giftzähne, starren sie mit hypnotischen, angriffslustigen Augen an, so zumindest kommt es Helena gerade vor. Sie hat lange zuvor schon bemerkt, dass die beiden sie nicht mögen, ihr gegenüber gar eine Feindseeligkeit pflegen. So etwas gibt es scheinbar überall auf der Welt, tröstete sich Helena immer wieder, die auch in Kuba einmal eine Klassenkameradin nach der Schule ins Gebüsch schubsen musste.

Nun pocht ihr Herz allerdings ganz schön.

„Isch komme nicht aus Afrika. Aber danke.“

„Du bist schon ´ne ulkige Nummer.“

„Komm mal mit. Wir helfen dir, dass du dich nicht völlig blamierst, bist schon auffällig genug.“

Beide lachen.

„Wohin soll ich kommen?“

„Na zu Frau Wehmschute. Du sollst dein Zeug abholen. Denkst du, so kannst du mit der Klasse zum Schwimmen?“

Wieder abfälliges Gelächter. Dann geht alles ganz schnell. Ein langer Gang, eine Tür, eine List. Und Helena ist sodann allein in einem dunklen Raum, eingesperrt hinter einer Tür, die von innen nicht zu öffnen ist.

Ein letztes Mal das gellende Gelächter zweier schlecht gearteter Menschen, doch jenseits der Tür, sich entfernend.

Die eiskalten Stufen einer Treppe, die sich schemenhaft in der Dunkelheit absetzt, hetzt das Mädchen im bunten Badeanzug einfach hinunter, erreicht einen Gang, tastet aufgelöst nach einem Lichtschalter. Neonröhren blitzen auf, klimpern, beleuchten den kahlen Kellergang als ihre einzige Möglichkeit nach draußen zu gelangen, und Helena malt es sich instinktiv aus, zwischen den berstenden Feilern ihrer einstürzenden Welt, dass sie möglicherweise tagelang hier unten ausharren muss, gar über die Ferien, also langsam und elendig verenden wird, hier, im brummenden Wartungstrakt, weil die beiden Mädchen die Tragweite ihrer Handlung nicht absehen konnten, sie eben nur dumme Geschöpfe sind.

Doch nichts dergleichen wird passieren.

Die Tür am Ende des Ganges öffnet sich zwar schwerfällig, doch Helena nimmt sie im vollen Lauf, stürzt die dahinter liegende Treppe nach oben und steht im grellsten Neonlicht sogleich einer Schulklasse der Oberstufe gegenüber. Man lümmelt sich dort auf den Bänken, wartet auf den Lehrer, auf eine piesackende Stunde im Gymnastikraum.

Helena Casera steht da in ihrem bunten Badeanzug, beschämt und flau.

Jetzt will sie noch einmal schnell zurückweichen, in die Wandöffnung, die sie ausgespuckt hat, da hat ein blonder Junge mit spitzer Nase und Rollkragenpullover sie schon entdeckt. Ihre Blicke treffen sich. Helenas großen Augen sehen den Jungen flehend an. Ihr Oberkörper hebt und senkt sich, ihre wohlgeformten Schultern. Sie scheint da geradewegs wie eine Fatahmorgana aus dem Boden gewachsen, diese halbnackte Schönheit, und der Junge bringt also keinen Ton heraus, erschrickt stattdessen über die Stimme eines Klassenkameraden hinter sich.

„Kiekt euch mal die an, die hat sich wohl verlofen!“

Alle krakeelen los. Das Mädchen schickt sich nach kurzem Zögern an, gegen dieses Monstrum anzukämpfen, dessen Tentakel ihr entgegenschlagen, gegen dieses Stimmengewirr und die höhnenden Fratzen, sie hopst über ausgestreckte Beine, über achtlos abgestellte Taschen. Und diese unscheinbare Tür, die vorhin noch sperrangelweit offen stand, den Weg zu den Umkleiden freigab, ist jetzt nicht nur zu, sie ist verschlossen, dass Helena resigniert, mit hochgezogenen Schultern die Stirn an diese gottverdammte Tür lehnt, einfach nur noch im Linoleumboden unter ihren nackten Füßen versinken möchte.

Plötzlich wird es still.

„Abgeschlossen!“, ruft einzig und allein eine kesse Berliner Stimme.

„Damit niemand klaut!“, ergänzt eine andere.

Dann zieht das Gewitter wieder auf, tosendes Gelächter. Nur ein einziger wagt es, dem Schrecken ein Ende zu bereiten. Er springt mit seiner lässigen Jeans in einem einzigen Satz über eine Bank, stürmt zur Kabine vom Hausmeister, greift einen Schlüssel vom Brett, und eilt zurück in die Vorhalle. Nur schwer kann er glauben, welches Spektakel dort inzwischen vor sich geht, doch betrachtet er es mit Erleichterung und Stolz.

Das Mädchen mit der hellbraunen Haut, diese schillernde Gestalt, hat sich jetzt gerade umgedreht, sich langsam, ganz langsam dem staunenden Pulk zugewandt, die Hände dabei gar nicht erst vor sich gebracht, um sich etwa zu bedecken, sondern sie hinter sich an der Klinke belassen.

Alle starren sie an, doch sie starrt zurück. Nahezu mächtig steht sie da, diese Helena aus der 9a, auf Zehenspitzen, wodurch die überkreuzten Beine noch länger wirken. Ihre Schultern treten hervor wie die einer Athletin, nasse Strähnen hängen ihr ins hübsche Gesicht.

Dieses fremde, nahezu exotische Mädchen, diese Kubanerin, blickt plötzlich ganz angriffslustig, in die Runde, hält die immer ehrfürchtiger werdende Meute wie mit einer Pistole in Schach.

Schließlich pustet sie nach oben in ihre Haare und fragt ganz unverdrossen:

„Hat vielleischt irgendjemand mal diesen blöden Schlussel?!“

Während ein Raunen umhergeht, drückt sich der Junge Eduard ganz in den Vordergrund, hält triumphierend den Schlüssel nach oben, ist ebenso außer Atem wie seine Nachbarin, und ihre Blicke treffen sich. Das erste Mal.

Hinter der riesigen Scheibe in der Halle beginnt die Dämmerung. Eine Uhr mit kyrillischer Schrift hängt hoch oben an der Wand, es ist drei Minuten nach acht. Zum Glück sind die Klassenkameraden schon alle beim Warmschwimmen im Wasser und stehen nicht aufgereiht beim Appell. Jana und Mandy sind gerade losgeschwommen, sehen sie und grinsen sich an. Helena ignoriert die mahnenden Rufe der Lehrerin, die da im Trainingsanzug und mit Trillerpfeife und Schreibbrett steht, hat nur die Startblöcke im Visier. Sie springt direkt aus dem Lauf mit einem gekonnten Kopfsprung ins Wasser. Als sie in die Unterwasserwelt eintaucht, die Geräuschkulisse sich in einen dumpf gurgelnden Schwall zusammenzieht, verlieren sich endgültig die Tränen, die sie geweint hatte, als sie kurz mit ihm allein war in den Umkleiden, in völliger Unverständnis über diese Gemeinheit, die ihr widerfahren war, in völliger Unverständnis auch aber über das Glück, diesem Jungen plötzlich gegenüberzustehen.

„Geh jetzt, meine liebe Nachbarin.“, hatte er gesagt und ganz zuversichtlich gelächelt dabei. „Geh einfach zurück zu den anderen.“

Im Becken lädt Helena sich auf, ist jetzt in ihrem Territorium. Sie gleitet eine Weile, schwimmt sodann in langen, kräftigen Bewegungen unter der Oberfläche entlang, noch viele Meter, hört dabei den Klang seiner Stimme, wie er ihr abschließend hinter her rief:

„Wir werden uns bald wieder sehen, Helena Casera! Großartige Dinge werden geschehen!“

Als sie auftaucht, krault sie los, was das Zeug hält.

Die Lehrerin will erbost ein Pfeifsignal geben, doch hält sie inne, als sie sieht, was für ein Wahnsinnstempo Helena da im Becken vorlegt. Einen nach dem anderen lässt sie hinter sich. Jana und Mandy bemerken das und ziehen an. Nach der Wende werden sie aber von der exotischen Schwimmerin überholt.

Helena erreicht lange vor den anderen den Beckenrand, ist aber dafür auch ordentlich aus der Puste.

Die Lehrerin baut sich vor ihr auf, doch kann sie ihre Begeisterung für dieses junge Talent nicht verbergen. Sie geht schließlich in die Hocke.

„Casera, nehme ich an.“, sagt sie freundlich, spricht aber in Unkenntnis den Nachnamen aus, ohne das E zu betonen, „Helena Casera.“

Genau diese hält sich am Beckenrand fest, versucht sich zu sortieren. Sie sieht die Lehrerin ehrfürchtig an und nickt, kann sich aber nicht verkneifen, auf die korrekte Aussprache ihres Nachnamens hinzuweisen. Und wird sofort ernst genommen.

„Aber ja, natürlich. Werd´ s mir merken. Ich bin die Frau Wehmschute. Auch mit langem E.

Du hast noch keine Ausstattung wie ich sehe. Komm nach dem Unterricht mal zu mir. Wir müssen etwas besprechen. Du wirst im Kader trainieren.“

Das Mädchen im Wasser macht große Augen.

„Verstehst du mich eigentlich, Fräulein Casera?“

„Ja. Im Kader trainieren. Natürlich. …Immer bereit.“, keucht Helena.

Die Frau Wehmschute also richtet sich zufrieden auf und ruft zu den anderen.

„Seht mal her! Helena ist ab jetzt das Maß aller Dinge! Da könnt ihr euch warm anziehen! Am besten ihr dreht gleich erstmal noch ne´ Runde, ihr lahmen Küken!“

Helena schiebt sich mit einer Hand das Wasser aus dem Gesicht und starrt ins Leere.

Mandy und Jana kommen hinter ihr an. Knallrot und völlig geschafft.

Im vorweihnachtlichen Einkaufsgetümmel gehen die beiden Damen aus dem fernen, fernen Land in der Masse beinahe unter. Nur ihre hart akzentuierten Stimmen heben sich deutlich von dem monotonen Stimmgewirr der üblichen Besucher des Kaufzentrums ab. Man könnte meinen, sie streiten. Dabei ist es nur eine normale, gar fröhliche Unterhaltung. Spanische Sätze rollen und tollen, rumpelnde R´ s, melodiöse E´ s, A´ s und O´ s. Helena berichtet von ihrem ersten Kadertraining, bei dem sie fast zwei Stunden lang im Wasser war.

„Dos horas, Mamá, dos. Y todo el tiempo venga, venga! Weiter, weiter!

„Increible.“

Aber all das ist nebensächlich, ebenso wie der böse Streich, dem sie zum Opfer gefallen war. Was wirklich zählt ist der Junge Eduard. Der sie gerettet hatte. Der von großartigen Dingen sprach, die sie zusammen erleben würden. Tatsächlich aber hat sie ihn seitdem nur auf dem Schulhof, aus der Ferne also, gesehen.

Muter und Tochter Casera stellen sich während ihrer pausenlosen Unterredung an eine lange Schlange bei einem Wurststand an, die schweren Einkäufe neben sich abgestellt, die Hände tief in die Jackentaschen vergraben. Es duftet köstlich nach Bratwurst. Irgendwo liegt auch der Geruch von gerösteten Maronen in der nasskalten Luft, und für einen Moment lang ist Helena wieder auf dem Weihnachtsmarkt- ein Ausflug gemeinsam mit dem Lehrer und seinen Kindern, wenige Tage zuvor- zwischen all den frohlockenden Fahrgeschäften, den bunt funkelnden Karussells, den schillernden Buden, eingehüllt in diesige Luft, in Leierkastenmusik und das Rattern der Achterbahn, in gellende Rufe von hohen Wagen aus- Sehen und staunen Sie!

Da war der Biss in den süßen Kandierten Apfel und der Mann, der Ketten sprengen konnte, sein zuversichtliches Zwinkern und Helenas Erwidern. Da war die Planetenkugel des Fernsehturms, die über alles und allem schwebte, am messingfarbenen Himmel über dem Festplatz.

Dann die Heimfahrt in Martins Lada, eine Rückbank aus Kunstleder, zwei Buben mit Pudelmützen und Schnupfnasen, das Zerpflücken und vernaschen von Zuckerwatte. Nebenbei das Vorbeiziehen einer Stadt im Dunstschleier: finstere Schaufenster unter Leuchtreklame, turmhohe Häuser, die müden Rücklichter der Autos, Ampelmasten mit Straßenschildern- wie Vogelscheuchen auf einem nebligen Feld.

In der Schlange geht es ein gutes Stück voran. Plötzlich scheint im Kaufzentrum die Hölle los zu sein. Nicht nur regnet es weit gestreut in langen Fäden. Menschen wuseln umher, strömen aus allen Richtungen zu einer bestimmten Stelle hin. Eine richtige Ansammlung hat sich irgendwo da vorn gebildet. Auch der Wurstverkäufer starrt gebannt in diese Richtung. Polizisten tauchen auf wie Statisten in einer Filmszene, weisen die Leute energisch zurück. Ein weiterer Toniwagen kommt mit Blaulicht und entsetzlich jaulender Sirene auf den Vorplatz gebraust.

Die beiden Kubanerinnen sehen sich ungläubig an, geben in Anbetracht der aufgeladenen Situation ihre Position in der Schlange auf und bewegen sich wie magisch angezogen in die Richtung, in der das Treiben am Hektischsten scheint. Leute kommen ihnen bereits wieder entgegengelaufen, so dass sich die beiden regelrecht hindurchschlängeln müssen. Plötzlich steht ihnen ein junger Polizist mit ausgebreiteten Armen gegenüber, die eindeutig eine Absperrung signalisieren.

„Hier geht es jetzt nicht weiter!“

„Aber wir müssen da lang. Wir wohnen dort.“ raunt die Mutter.

Es besteht an und für sich kein Grund, sich der Anweisung des Polizisten zu widersetzen. Aber die elegante Frau Casera, Elisabet Casera, mit ihrem dicken welligen Haar, das zu einem mächtigen Zopf zusammengebunden ist, lässt sich im Leben nur ungern vom eingeschlagenen Weg abbringen. Ihr kommt das alles so unwirklich vor, ist beim besten Willen nichts zu erkennen, was diesen Trubel auslöst.

„Was ist denn hier eigentlich los?“, will sie wissen.

„Ich sagte doch, junge Frau, hier ist abgesperrt! Gehen Sie also sofort weiter.“

Da stehen nun die beiden schönen Damen, denen kaum im Gesicht abzulesen ist, dass sie Mutter und Tochter sind, es sich wohl eher durch die gleiche verführerische, prächtig anmutende Ausstrahlung definiert.

Helena sieht dem sommersprossigen Gesicht mit der großen Mütze irgendwie an, dass es nur die Uniform sprechen lässt.

Sicher soll der junge Polizist niemanden durchlassen, aber bestimmt versteht er auch die Neugier der Menschen und sieht, dass es regnet und die beiden schwer zu tragen haben. Auch sie kann der Versuchung nicht widerstehen. So spricht sie mit großen Augen ganz lieb los, ein paar nasse Haarsträhnen im Gesicht.

„Entschuldigung. Es ist ja nur… wir müssen mit unseren schweren Beuteln das ganze Weg außen herum laufen. Und es ist so nass und kalt bei dem Wetter.“

Der junge Uniformierte sieht Helena an, als hätte er ein Gespenst gesehen.

Als seine Augen plötzlich ganz froh aufleuchten, denn ihm ist nun eine Erkenntnis gekommen, dreht er sich schnell zu seinem Vorgesetzten um, der seinen Bereich fast frei geräumt hat aber immer noch sehr beschäftigt ist.

„Na gut. Aber ganz schnell, ja! Und nicht zur Wand sehen! Verstanden? Nicht zur Wand sehen!“

„…Danke.“ Helena schmunzelt wunderhübsch und geht dann mit ihrer Mutter schnurstracks drauflos.

„Genosse Mischalski! Was ist denn mit den Leuten da?!“

Der erfahrene Hauptmann will den jungen Kollegen zur Räson bringen, schickt sich sogar an, die beiden Damen selbst aufzuhalten.

Helena und ihre Mutter sind aber schon zu weit entfernt. Mit hochgezogenen Schultern schreiten sie zum Ende des Kaufzentrums. Im blinkenden blauen Licht eines Toniwagens riskieren sie, wie von einer unheimlichen Macht getrieben, einen Blick zur Seite. Dort sind zwei Männer in weißen Kitteln akribisch damit beschäftigt, ein buntes Plakat von der Wand zu kratzen. Es zeigt eine lustige Figur, die einem frech entgegengrinst. „Sei nicht dumm- schalt um!“ steht noch dazu in großen Lettern geschrieben.

Helena ist wie elektrisiert in diesem Moment. In der Schule auf dem Hof hat sie schon oft von diesen mysteriösen Plakaten gehört. Die Figur ist aus dem Westfernsehen, sagen sie alle, ein Mainzelmännchen. Wenn jemand ein Plakat entdeckt hat, wird davon gleich ganz geheimnisvoll berichtet und nicht ohne heroischen Stolz, als wenn es schon gefährlich ist, es nur gesehen zu haben. Jeder weiß- da müssen ganz schlimme Finger am Werk sein, das ist etwas Politisches, das ist streng verboten.

Helena ist nun irritiert und beeindruckt zugleich, wie so eine niedliche Figur solch ein Chaos auslösen kann und beeilt sich noch ein bisschen mehr mit ihren schweren Beuteln.

„Das darf doch wohl nicht war sein! Genosse Mischalski!“

Maik sieht den beiden ganz apathisch hinterher, wie verzaubert. Ihre Silhouetten entfernen sich im blauen Blinklicht.

„Das sind die Kubaner!“ ruft er, ohne den Blick von den beiden zu lassen.

Der Hauptmann steht da wie ein begossener Pudel, den Kragen hochgeschlagen, mit seiner Hornbrille, der Pelzmütze und den dicken Kotletten, das Gesicht zornig im Nieselregen verzerrt.

Er ist voller Unverständnis.

„Wat denn für Kubaner?!“

Maiks Augen leuchten.

„…Na die Kubaner im Souterrain!“

CUBANO PANKOW

Подняться наверх