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Vorwort

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Als sogenannter Ruheständler bin ich in die reiche jüdische Geschichte meiner Heimatstadt Halberstadt quer-eingestiegen, von der ich weder als Kind während des ‚Dritten Reiches’ noch als Jugendlicher in der DDR etwas erfahren hatte.1

Mit der Figur des in Halberstadt wohnhaften, in ganz Europa tätigen Hofjuden Berend Lehmann wurde ich durch Jutta Dick bekannt, die Leiterin des nach ihm benannten Halberstädter Jüdischen Museums. Lehmann faszinierte mich so sehr, dass ich mir lesend biographisches Wissen über ihn aneignete. Dabei ergaben sich unbefriedigenderweise nur disparate Einzelzüge, die sich aus der veralteten Literatur über den „Königlichen Residenten“ nicht zu einem wirklichen Porträt zusammenfügen wollten.

Unzufrieden mit dem Gefundenen, ging ich in die Archive, und das Material über Lehmann und das jüdische Halberstadt war überraschend reich, so reich, dass es mir unmöglich sein würde, etwa die neue Biographie über ihn zu schreiben. Ich begnügte mich mit einigen für seine Persönlichkeit aussagekräftigen Teilaspekten, die im Folgenden skizziert werden.

Inhalt

So folgt hier auf eine rezeptionsgeschichtlich notwendige Darstellung des überkommenen Berend-Lehmann-Bildes (Kapitel 1) zum ersten Mal Genaueres über seine Frühzeit in Halberstadt mit ihren vielen Bauprojekten, und zwar im Rahmen der damaligen dortigen jüdischen Gesamtsituation (Kapitel 2). Bereits hier geht es um die Spielräume, die ihm sein Residenten-Privileg öffnet und die Hemmnisse, die ihm als Juden dennoch überall begegnen.

Kapitel 3 behandelt seine aufgrund guter Geschäftsverbindungen umfangreiche Tätigkeit in Blankenburg, von der in der bisherigen Literatur nur in Nebensätzen die Rede war, und zwar geht es einmal (Abschnitt 3.1) um seinen dortigen Landwirtschaftsbetrieb mit dem prächtigen Herrenhaus und dann (Abschnitt 3.2) um seinen Versuch, dort hebräisch drucken zu lassen, sowie um das Scheitern dieses Projekts an der kirchlichen Zensur.

Ein Exkurs zeigt am Beispiel des von ihm seinerzeit engagierten Druckers, welche Brisanz jüdisch-hebräisches Publizieren in christlicher Umgebung auch im Preußen des aufgeklärten Großen Friedrich noch hatte.

In den Abschnitten 3.3 und 3.4 werden weitere Aspekte von Lehmanns breitem Blankenburger Wirken zusammengefasst; dann folgt als Exkurs ein Seitenblick auf seine dort ebenfalls tätigen nicht privilegierten Glaubensgenossen: ein kleines Kapitel jüdischer Sozialgeschichte.

Kapitel 4 schließlich schildert eine Episode aus seinem sechsten Lebensjahrzehnt, die ihn als Politiker in ganz neuem Licht zeigt und sein Persönlichkeitsbild erheblich verändert. Er überschätzt die Möglichkeiten seines Privilegs und erfährt Hohn und Erniedrigung. Die zugrundeliegenden Dresdner Akten erlauben gute Einblicke in die wechsel­seitige Wahrnehmung von Juden und adligen Diplomaten.

Das 5. Kapitel fasst zusammen, was sich am Bild Berend Lehmanns gegenüber dem im 1. Kapitel referierten durch die hier vorgelegten Untersuchungen verändert hat.

Ein Namensproblem

Die Benennung des Protagonisten dieses Buches hat ein Problem: Wenn man „Berend Lehmann“ einfach nur als „Lehmann“ bezeichnet, nennt man eigentlich nicht ihn, sondern seinen Vater. Hebräisch heißt unsere Hauptperson: Jissas‘char ben Jehuda haLevi: Bärmann, Sohn des Löwenmannes aus dem Levitenstamm. Und zwar gehen beide Namen auf den Segen Jakobs für seine Söhne (Gen. [1. Mose] 49) zurück, wo Jehuda mit einem Löwen assoziiert wird, deshalb „Löwenmann“, was wiederum eingedeutscht wird mit dem in Deutschland geläufigen Nachnamen „Lehmann“.

Jissas‘char dagegen wird von Jakob als Esel bezeichnet; Aus dem Esel wurde auf schwer erklärbare Weise der in besserem Ansehen stehende Bär; so wird Jissachar zu „Bärmann“, dies wird wiederum eingedeutscht zu „Bernhard“ oder „Bernd“ oder „Berend“ (alle drei Versionen finden sich in Lehmanns Originalunterschriften).

Lucia Raspe, der ich diese erhellende Erklärung verdanke2, bezeichnet den Halberstädter Hofjuden als „Bärmann“ oder „Bärmann Halberstadt“, wie er zum Beispiel in hebräischen Buchtiteln genannt wird. Bereits der hebräisch gebildete Zeitgenosse Hermann von der Hardt spricht allerdings vom „Herr[n] Resident Lehmann“3, desgleichen benutzt das Neue Jüdische Lexikon von 2000 den Vatersnamen als Nachnamen – wie anders sollte man eine Person auch lexikalisch erfassen? –.4 An diesen Gebrauch habe ich mich aus praktischen Gründen gehalten, und ich bitte dafür die hebräisch Empfindenden um Verständnis.

Dokumente

Damit der Leser sich ein originalgetreues Bild vom Leben des prominenten Juden machen kann, habe ich die wichtigsten der neugefundenen Archivalien transkribiert. Besonders für Studierende ist derartiges Originalmaterial sehr erwünscht, um sich in die Verhältnisse und in die Sprache der frühneuzeitlichen jüdisch-deutschen Geschichte einlesen zu können.

Um Wiederholungen zu vermeiden, werden bereits erklärte Wörter und Zusammenhänge in den Dokumenten nicht noch einmal behandelt. Es kann beim Lesen der Dokumente geraten sein, einzelne Erläuterungen dort nachzuschlagen, wo diese Dokumente interpretiert werden.5

Die Transkription der Texte richtet sich nach den Empfehlungen des Arbeitskreises „Editonsprobleme der Frühen Neuzeit“.6 Grundanliegen dieser Empfehlungen ist es, den Wortlaut der Dokumente nicht anzutasten, aber durch formale Korrekturen die Lesbarkeit zu erhöhen. Dabei gilt hier, soweit die „Empfehlungen“ Raum lassen:

1. Geläufige oder leicht verständliche Siglen (z.B. „Ew. Durchl.“ für „Euer Durchlaucht’’) werden aus dem Original übernommen und in der Abkürzungsliste aufgelöst; seltenere (z.B. „d/H“ für ‚den’ oder ‚des Herren’) werden, gegebenfalls nur beim ersten Vorkommen in einem Dokument, im Text aufgelöst.

2. Die Interpunktion wird modernisiert; in einzelnen Fällen werden überlange Sätze geteilt.

3. Ebenso werden überlange Absätze gelegentlich geteilt.

4. Die Akzentsetzung in den französischen Texten wird modernisiert.

5. Wörtliche Rede in den Protokollen wird in Anführungszeichen gesetzt.

Da ich Französischkenntnisse nicht allgemein voraussetzen kann, habe ich französische Zitate des Haupttextes und diplomaten-französische Dokumente ins Deutsche übersetzt.

Die deutsche Kursivschrift der Dokumente wird in Antiqua, die lateinische in Kursivschrift wiedergegeben.

Die ausführlichen Fußnoten-Erläuterungen der Dokumente versuchen eine Brücke aus unserer modernen Welt zurück in die fremdartige Realität der Zeit um 1700 zu schlagen.

Glossar

In einem Glossar werden sachlich oder sprachlich schwierige Wörter, die häufiger vorkommen, für den Zusammenhang des Buches erläutert. Im Text weist ein Sternchen * darauf hin, dass das mit ihm versehene Wort im Glossar erklärt wird.

Chronologie

Die Chronologie listet die wichtigsten bisher feststellbaren Daten aus Berend Lehmanns Lebenslauf auf und bringt sie in einen synchronoptischen Zusammenhang mit bekannten Ereignissen der politischen Geschichte und der Kulturgeschichte. In Fußnoten wird hier besonders auf noch bestehende Lücken in der Berend-Lehmann-Biographie hingewiesen sowie auf Richtungen, in denen weitergeforscht werden könnte.

Stammtafeln

Um die Orientierung in den Verwandtschafts- und Schwiegerverhältnissen Berend Lehmanns zu erleichtern, wurden dem Buch drei Stammtafeln hinzugefügt. Dabei sind wichtige genealogische Korrekturen berücksichtigt, die sich durch neuere Forschungen ergeben haben.

Dank

Das Buch ist in ständigem Kontakt mit der Moses Mendelssohn Akademie und dem Berend Lehmann Museum Halberstadt entstanden; der Direktorin beider Einrichtungen, Jutta Dick, bin ich zu Dank verpflichtet. Ebenso danke ich Irene A. Diekmann vom Moses Mendelssohn Zentrum Potsdam. Auf ihre Anregungen und Ratschläge gehen Dokumentenanhang, Glossar und Chronologie zurück.

Mein Dank für vielfältige Hilfe gilt außerdem Gisela Pfeil, Nikolaus Strobach, Gesine und Ulrich Schwarz, Herbert Strobach, Joseph Boasson, Ingrid Glogowski, Gabriele Bremer und Anette Bartl, Bernd-Wilhelm Linnemeier, Dirk Sadowski, Manfred Spiller, Dorothea Zander, Manfred Funk, Bartosz Wieckowski, Reiner Krziskewitz und Lucia Raspe sowie den Mitarbeitern der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel.

Für die Buchgestaltung gilt mein besonderer Dank Carolina Friedrich.

*

Die dreihundert Jahre zurückliegenden Ereignisse, die hier in Erinnerung gebracht werden, mögen zunächst exotisch-vergangen wirken; aber der Kampf, den Berend Lehmann ein Leben lang gegen persönliche Beschränkungen und die Behandlung seiner ‚Nation’ als einer ausgesonderten Bevölkerungsgruppe minderen Rechts geführt hat, mahnt uns Heutige, eine Benachteiligung von Minderheiten, wie eigenartig sie auch erscheinen mögen, nie wieder zuzulassen.

Halberstadt, im Mai 2011

Berndt Strobach

1 Juden kommen weder vor in: Becker, Karl: Chronik der Stadt Halberstadt. Harz, Berlin 1941, noch in Scholke, Horst: Halberstadt, Leipzig 1977.

2 E-Mail vom 10.2.2010.

3 in Dok. 36.

4 Artikel „Lehmannn, 1. Berend[...]“ in Schoeps, Julius H. (Hg.): Neues Lexikon des Judentums, Gütersloh 2000, S. 504.

5 Ich erläutere jene Ausdrücke, die man nicht – oder in dem besonderen Sinne der Textstelle nicht – mit Englischkenntnissen erschließen oder im Duden-Fremdwörterbuch finden könnte.

6 Arbeitsgemeinschaft historischer Forschungseinrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland e.V., Arbeitskreis Editionsprobleme der Frühen Neuzeit: Empfehlungen zur Edition frühneuzeitlicher Texte, im Internet unter www.ahf-muenchen.de

Privilegiert in engen Grenzen

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