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1. Kapitel Die Geschichte des bisherigen Berend-Lehmann-Bildes
ОглавлениеDer in Essen geborene, in Halberstadt ansässige und dort verstorbene Jissas‘char ben Jehuda haLevi (1661–1730), der sich deutsch Berend Lehmann nannte, „Polnischer Resident“* Augusts des Starken, wird in einem Atemzug genannt mit dem Stuttgarter ‚Jud Süß’, Joseph Oppenheimer (1698–1738), seinem Wiener Namensvetter Samuel Oppenheimer (1630–1703), dessen dortigem Kollegen Samson Wertheimer (1658–1724), mit dem Hannoveraner Leffmann Behrens (1634–1714) und dem späten Meyer Amschel Rothschild (1743–1812). Seit Beginn der Geschichtsschreibung über das faszinierende Phänomen des Hofjudentums* findet Berend Lehmann die Aufmerksamkeit historisch interessierter Autoren.
Trotz seiner Berühmtheit ist leider kein Porträt von ihm überliefert, und – was schlimmer ist – es gibt nach wie vor keine „heutigen Ansprüchen genügende Monographie“.7
Was Schiller über Wallenstein sagt, gilt auch für Berend Lehmann: „Von der Parteien Gunst und Haß verwirrt / Schwankt sein Charakterbild in der Geschichte,[...].“8
Nur zögernd hat sich zwischen Verehrern und Verächtern Lehmanns unvoreingenommene Geschichtsschreibung angebahnt. Diese Entwicklung wird im Folgenden dargestellt, und sie ist einerseits ein Spiegelbild des Verhältnisses von Juden und nichtjüdischen Deutschen vom 18. bis ins 20. Jahrhundert, andererseits zeigt sie, methodisch gesehen, den Wandel im Umgang mit überlieferten Quellen. Das ist ein packendes Stück Mentalitätgeschichte.
Das Ehrengedenken im Memorbuch
Traditionell wurde das Bild eines ‚zu den Vätern versammelten’ Juden durch den Grabsteintext geprägt; eine ausführlichere Fassung des Ehrengedenkens findet sich im Fall Berend Lehmanns, entsprechend seiner Bedeutung als Wohltäter der Halberstädter Gemeinde und als ihr langjähriger Vorsteher, im hebräisch abgefassten Memorbuch der Halberstädter Klaus* des von ihm gegründeten Lehrhauses9:
“Der Herr erinnere die Seele des Edlen und Vermögenden, des berühmten Fürsten und Hauptes, des großen Fürsprechers [schtadlan], des Vorstehers des Geschlechts und seiner Wohltäter, der Wohltäter des Herrn, des Obersten der Oberen der Leviten*, des ehrwürdigen Meisters, unseres Rabbis* Jissas’char Berman, Sohn des Jehuda Lema Halewi, sein Andenken zum Segen, aus Essen,10
dessen Leben voller guter Taten war, die den Armen und Reichen, den Fernen und den Nahen galten;
der die sechs Ordnungen [der Mischna* bzw. des Talmud*] druckte und aus seiner Tasche Gold fließen ließ, da er die Thora und die sie Studierenden liebte; der die Gebote befolgte und keine böse Sache kannte;
der in Gnade ernten wird, was er an Wohltaten säte.
Der Ruhm des Libanon [gilt ihm]11, der den vorläufigen Tempel [die Synagoge] baute, das Lehrhaus [Bet ha-midrasch], welches Fundament und Grundstein liefert.
Sein Dahinscheiden aus der Welt verursachte Aufsehen, im Palast und im Saal erweist man ihm Ehre. [...]
Die Häupter Israels12, im Lande Polen zerstreut und verteilt, legten die Fürsprache zu ihren Gunsten in seine Hände: Vor Königen trat er auf, an ihren Höfen und in ihren Schlössern, mit reinen Händen und reinem Herzen beim Verhandeln.
Viele Waisenknaben und –mädchen hat er mit seinem Geld verheiratet [d.h. mit der notwendigen Mitgift ausgestattet]. [...]
Geboren am 24. Nissan des Jahres [5]421 [des jüdischen Kalenders, im christlich-gregorianischen Kalender: 23.4.1661], gestorben, satt an Tagen [d.h. in hohem Alter], am 24. Tammuz des Jahres [5]490 [9.7.1730]‚ ein gerechter und reiner Mensch’.
Der Herr erinnere seine Seele mit den Seelen Abrahams, Isaaks und Jakobs, Moses‘ und Arons, Davids und Salomos und mit den Seelen aller anderen Gerechten und Heiligen, die sich im Land der Lebenden befinden, und seine Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens mit den anderen Gerechten des Weltfundaments im Paradies, Amen, Sela.“
Wie man sieht, stehen also im Vordergrund für die Gemeinde die Frömmigkeit des Residenten sowie die aus ihr fließenden religiös-institutionellen und sozialen Wohltaten für die eigene und für fremde jüdische Gemeinden sowie sein Erfolg und sein Ansehen in der christlichen Mehrheitsgesellschaft, welche es ihm ermöglichten, als Anwalt der jüdischen Gemeinschaft Einfluß auszuüben.
Legenden im „Maassebuch“
Eine zweite Chronik der Halberstädter jüdischen Gemeinde, das jiddisch geschriebene Maassebuch ist wie das Memorbuch mit den letzten Halberstädter Rabbinern nach Israel ausgewandert und bisher noch nicht übersetzt worden.13
Aus dem wichtigen Artikel eines Urururenkels des Residenten, Emil Lehmann, über seinen Vorfahren kann man vorläufig Inhalt und Charakter des Maassebuches annähernd erschließen.14
Danach enthält es zum Beispiel eine fromme Legende über die Prophezeiung von Lehmanns Größe schon vor seiner (fälschlich in Halberstadt angesiedelten) Geburt, und es berichtet über die mutige Erlegung eines gefährlichen Bären auf Lehmanns Geheiß und über die wundersame Errettung des großen Mannes aus einer Lebensgefahr (beides historisch nicht verifizierbar).
Benjamin Hirsch Auerbach (1808–1872)
Rezipiert worden sind die beiden oben zitierten Texte bisher nur in ihrer Spiegelung durch Benjamin Hirsch Auerbachs Geschichte der israelitischen Gemeinde Halberstadt von 1866, und in diesem seinerzeit wegweisenden, aber gerade in Bezug auf den Residenten archivalisch nur spärlich abgesicherten Buch herrscht das, was Lucia Raspe treffend die „Berend-Lehmann-Panegyrik“15 nennt: weihevolle Verehrung.
Als typisches Beispiel sei hier nur die Anekdote angeführt, nach der Kurfürst* Friedrich III. von Brandenburg bei seiner Huldigung durch die Halberstädter Stände*, 1692, auf Lehmanns „unter lauter Baracken hervorragende[s] stattliche[s] Wohnhaus“ aufmerksam geworden sei; aus Hochachtung für den erfolgreichen „polnische[n] Resident[en]“ habe er ihm die Erlaubnis zum Druck der berühmten ersten deutschen Talmudausgabe erteilt, welche dann in 5 000 Exemplaren zum Preise von 50 000 Talern in Frankfurt an der Oder gedruckt worden sei.16
Abgesehen davon, dass Lehmann erst fünf Jahre später, 1697, nach der Krönung Augusts des Starken (Friedrich August I. als Kurfürst von Sachsen, Friedrich August II. als König in Polen, 1670−1733), „Resident“17 wurde und das von Auerbach gemeinte Wohnhaus erst um 1707 seinen „stattlichen“ Ausbau erfuhr, ist es höchst unwahrscheinlich, dass sich der Kurfürst 1692 für die Halberstädter Juden interessiert hat. Der sehr ausführliche offizielle Bericht über die Huldigung18 erwähnt davon jedenfalls nichts.
Vor allem hat nicht Berend Lehmann, sondern der christliche Frankfurter Professor Johann Christoph Beckmann das Talmud-Druckprivileg für sich und den Drucker Michael Gottschalk erwirkt, dem Lehmann es, in einer finanziellen Notsituation als Auftraggeber einspringend, 1697 abkaufte. Auch betrug die Auflage (was immer noch beachtlich ist) nur 2 000 Exemplare, dem Drucker bezahlte Lehmann nur 28 000 Taler.19
Auerbachs Autorität in Sachen Berend Lehmann ist so groß, dass erstaunlicherweise gerade diese Angaben über die Entstehung des Talmud-Neudrucks immer wieder unkritisch übernommen wurden, so z.B. im Katalog der New Yorker Hofjuden-Ausstellung von 199620 und in der Lehmann-Biographie für die Eröffnung der neuen Dresdner Synagoge 200121. Dabei waren sie bereits im Jahre 1900 von Max Freudenthal angezweifelt und teilweise korrigiert worden22.
Auerbach hat an anderer Stelle die klare Einsicht: „Solche Apotheosen, womit in der Regel ganz nebulistische Geister als Ersatz für gründliche Charakterzeichnung [...] uns aufzuwarten pflegen, sind oft sehr ergötzlich und geeignet, fromme Gemüther zu erheben und dem Erfinder Dank zu zollen für die Wärme seines Herzens und die lebendige Phantasie, die seinen Helden so überaus schön und beneidenswerth zu verklären vermochte.“ Er hat offenbar nicht gemerkt, dass er, trotz weiser Erkenntnis im Allgemeinen, im Speziellen mit seinem Berend-Lehmann-Kapitel selbst eine solche „Apotheose“ geschaffen hat.
Psychologisch ist das gut zu verstehen: Die Emanzipation* der deutschen Juden war noch nicht einmal ganz vollendet, und die Erinnerung an die Zeiten der Ausgrenzung und Bedrückung war noch höchst lebendig. Da musste ein mutiger Vertreter der Protoemanzipation* wie der Resident als Vorkämpfer und Heiliger in strahlendem Licht erscheinen.
Marcus Lehmann (1831–1890)
Des Residenten Namensvetter, der Mainzer Rabbiner Marcus Lehmann, als Herausgeber der Zeitschrift Der Israelit führender Vertreter der jüdischen Orthodoxie*, benutzte offenbar dieselben Halberstädter jüdischen Quellen wie Auerbach, und er kannte dessen Gemeinde-Geschichte. In seinem Roman Der Königliche Resident23 (vgl. Abb. 1-2) ist Berend Lehmann nicht nur der Resident des Königs; er ist selbst eine königliche Figur. In seiner Jüdischen Volksbücherei brauchte Marcus Lehmann seiner Fantasie noch weniger Fesseln anzulegen als der Lokalpatriot Auerbach. Als Vorbild für die jüdische Jugend schildert er einen klugen und erfolgreichen, gleichzeitig aber einen bescheidenen Helden. Er malt besonders Lehmanns Eintreten für die bedrückten polnischen Glaubensbrüder in spannenden Episoden aus.
Ein interessantes Zeugnis für die Wirkung, die Marcus Lehmanns Buch noch im 20. Jahrhundert ausgeübt hat, gibt der Enkel Benjamin Hirsch Auerbachs,
Abb. 1 (oben) und 2 (unten): Der legendenhafte Roman ‚Der königliche Resident’ des Mainzer Rabbiners Marcus Lehmann aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts prägte nachdrücklich das Berend-Lehmann-Bild orthodoxer Juden. Er wurde in englischer und hebräischer Sprache bis ins späte 20. Jahrhundert neuaufgelegt.
Hirsch Benjamin Auerbach (1901−1973) in einem Aufsatz über die Geschichte der Halberstädter Synagogen: „Allen, die in ihrer Jugend die Geschichte, Berend Lehmann ,Der polnische Resident’ von M. Lehmann je gelesen haben, wird die Szene unvergessen sein, wie der Knabe Berend Lehmann beim Anblick seines weinenden Vaters ob der Zerstörung der Halberstädter Schul* im Adar 5609 (18.3.1669) durch die Schergen der Halberstädter Stände mit den Worten zu trösten suchte, dass er eine neue, prächtigere Synagoge aufbauen werde[...].“24
Auerbach junior erwähnt nicht, dass die von Marcus Lehmann geschilderte Szene Fiktion ist (der achtjährige Berend Lehmann lebte in Essen, sein Vater war nie in Halberstadt)25, sie wird von ihm als Quasi-Faktum in die echte Historie integriert.
Bei Marcus Lehmann wird aus dem „heiligen“ Beschützer und Wohltäter des Gemeindechronisten Auerbach nun ein höchst aktiver Mitgestalter der vaterländischen Geschichte, der mit vielen bekannten Figuren der sächsisch-polnischen Ereignisse des frühen 18. Jahrhunderts unmittelbar und menschlich verknüpft war: Vertrauter des Porzellanerfinders Böttger sowie der Gräfinnen Cosel und Teschen, Lebensretter des Königs. Man konnte auf ihn stolz sein.
Über die vielen erfundenen Szenen hinaus ist bemerkenswert, dass Marcus Lehmann als erster Autor seinen Helden und Namensvetter zum wirkungsmächtigen Politiker stilisiert. Während Auerbach Lehmann einigermaßen zutreffend lediglich diplomatische Hilfsdienste attestiert hatte26, bedauert in Marcus Lehmanns Buch August der Starke, dass er Lehmann leider nicht zu seinem Außenminister machen kann27, und seine Mätresse, die Gräfin Cosel, behauptet dort außerdem: „Mein Resident Behrend ist der beste Finanzminister, der zu finden ist.“28
Solch eine Überschätzung Berend Lehmanns hatte gravierende Folgen bei zwei Autoren des 20. Jahrhunderts, die Fakt und Fiktion, bei Marcus Lehmann kunstvoll verknüpft, nicht mehr auseinanderhalten konnten, es eigentlich wohl auch gar nicht wollten, nämlich bei Pierre Saville und Manfred R. Lehmann.
Zeitlich davor liegen allerdings eine Reihe weitere Autoren, von denen zwei als historisch Forschende durchaus ernst zu nehmen sind.
Gustav Adolph Leibrock (1819–1878)
Der Blankenburger Kaufmann und Harzer Regionalhistoriker Gustav Adolph Leibrock (1819–1878) erwähnt in der Chronik seiner Heimatstadt von 1864 Berend Lehmanns Rolle bei frühen Bemühungen zur Teilung Polens und nennt ihn „eine im Anfange des vorigen Jahrhunderts sehr bekannte und wichtige Persönlichkeit“, „eine[n] schlaue[n] und verschlagene[n] Agent[en ]“.29
Mit wenigen Wörtern bedient sich hier, möglicherweise zum ersten Mal in der Berend-Lehmann-Historiographie, ein sicherlich nichtjüdischer Autor gleich mehrerer judenfeindlicher Klischees – ein früher Vorgänger der antisemitischen Hofjuden-Historiker des 20. Jahrhunderts, Deeg und Schnee.
Józef Ignacy Kraszewski (1812−1887)
In dem historischen Roman Gräfin Cosel (1873) des polnischen Popularschriftstellers Józef Ignacy Kraszewski kommt als wichtige Nebenperson der jüdische Bankier „Behrendt Lehmann“ vor, den Kraszewski – unerwartet bei einem offensichtlich nichtjüdischen Autor – außerordentlich positiv beschreibt.
Im Gegensatz zu seinem vorgeblich arroganten Partner Jonas Meyer, nach Kraszewski einem servilen Verehrer Augusts des Starken, sei Lehmann „ein fleißiger, bescheidener und zurückgezogen lebender Mann“ gewesen, er „machte keinerlei Aufwand, hielt streng auf Ordnung in seinen Geschäften und auf größte Sparsamkeit. Er schämte sich durchaus nicht seiner Abstammung noch seiner Religion und trug gar kein Verlangen danach, sich in eine Gesellschaft zu mischen, deren Vorurteile er nur zu gut kannte.“30
Kraszewski, der Lehmann zu einem „geborene[n] Pole[n]“ aus Krakau erklärt, brauchte den Hofjuden mit solch edlen Charaktereigenschaften für die Dramaturgie seines Romans, derzufolge Lehmann der Gräfin Cosel in ihrer Verbannung selbstlos verschwiegene Finanzdienste leistet.
Offenbar hat der Autor außer dem Namen nur den Titel „Polnischer“ Resident gekannt und diesen missverstanden, denn ansonsten hat seine Romanfigur nichts mit dem historischen Berend Lehmann zu tun.
Emil Lehmann (1828–1898)
Zur gleichen Zeit wie der konservative Mainzer Rabbiner Marcus Lehmann beschäftigte sich in Dresden ein weiterer Träger des Namens Lehmann mit dem Residenten: der liberale Rechtsanwalt und Politiker Emil Lehmann, ein Urururenkel Berend Lehmanns. Seine Einstellung zum ererbten Judentum stand der des Israelit-Herausgebers Marcus diametral gegenüber. In politischen Schriften wie Der Deutsche jüdischen Bekenntnisses oder Höre, Israel31 forderte er seine Glaubensbrüder auf, sich bis hin zum Verzicht auf die Beschneidung und zur Verschiebung des Sabbat auf den Sonntag an die deutsche Mehrheitsgesellschaft anzupassen: „treu deutsch und jüdisch allezeit.“32
In einem 43 Seiten umfassenden Artikel (1885) über seinen Urahn nennt er Berend Lehmann „ein[en] fromm[en], aber auch einen weis[en], welterfahren[en] Mann“. Darin übernimmt er vieles aus Auerbachs Gemeindegeschichte ohne weitere Prüfung. In Bezug auf August den Starken und die Dresdner Verhältnisse dagegen recherchiert er gründlich im Sächsischen Staatsarchiv, und er macht seine Funde durch Belege nachprüfbar. Das ist ein bedeutender methodischer Fortschritt gegenüber Auerbach.
Emil Lehmann ist Jurist, und als solchen interessieren ihn zunächst die Statuten der verschiedenen wohltätigen Stiftungen des Residenten; eine von diesen brachte immerhin zu Emil Lehmanns Zeit noch ihre Rendite (sie tat das sogar bis zum Zweiten Weltkrieg).
So lobt auch er die soziale Großzügigkeit des Hofjuden und wendet sie, seiner deutsch-idealistischen und seiner jüdisch-liberalen Grundeinstellung entsprechend, vom einseitig Jüdischen ins allgemein-Menschliche: „Der wirkliche Beweggrund zu Berend Lehmanns Stiftungen war derselbe, der sein ganzes Leben und Wirken beseelte: sein edler, menschenfreundlicher Sinn, das, was man hier jüdisches Herz, dort christliche Liebe, aber richtiger überall nennen s o l l t e: Humanität, Menschenliebe.“33
Darüber hinaus interessierte Emil Lehmann als Dresdner und als Anwalt, der im sächsischen Landtag mit dafür gesorgt hatte, dass die letzten rechtlichen Benachteiligungen von Juden abgeschafft wurden, der Kampf Berend Lehmanns um sein geschäftliches und privates Niederlassungsrecht in Augusts Residenzstadt. Er bewundert die Streitlust seines Urahns und darüber hinaus das Argumentationsgeschick, mit dem er es versteht, die Dankesschuld, die der Herrscher ihm gegenüber hat, immer wieder in Gunstbeweise umzumünzen. Ebenso begeistert ihn, wie der Hoffaktor versucht, gegen den Widerstand von Kaufmannschaft und Konsistorium den Spielraum für sich und die anderen Juden in Dresden vorsichtig zu vergrößern. Emil Lehmanns Mitleid gilt schließlich, als das Lehmannsche Geschäft in Dresden durch die Missgunst der Stände ruiniert wird, dem Scheitern des alten Kämpfers.
So entwickelt er insgesamt ein dichteres und erheblich konkreteres, wenn auch noch durchgängig makelloses Bild Berend Lehmanns.
Es gibt für die Frage, wie objektiv ein Autor Berend Lehmann gegenübersteht, mehrere Test-Episoden, von denen eine im folgenden untersucht werden soll: Bei einer Hungersnot im Winter 1719/1720 gelang es Lehmann, aus Polen und Russland Brotgetreide zu beschaffen, das zu einem erhöhten Preis an die sehnsüchtig wartende Bevölkerung verkauft werden konnte. Als wieder einheimisches Getreide vorhanden war, das zum Normalpreis hätte abgegeben werden können, soll Lehmann beim Kurfürsten die Anordnung erreicht haben, dass der Rest seines Getreides trotzdem zum erhöhten Preis abgenommen werden musste. So die Behauptung einer zeitgenössischen christlichen Quelle.
Emil Lehmann hält sie, ohne ihren Wahrheitsgehalt überprüfen zu können, für eine antijüdische Lüge und kommentiert seine Annahme so: “Die Tatsache steht jedenfalls fest, daß Lehmann und Meyer [Lehmanns Schwager und Kompagnon] in Zeiten der Hungersnot durch intelligente Maßnahmen Abhilfe und billiges Korn herbeiführten. Daß ihre Unternehmungen Neid und Anfeindungen begegneten – wen sollte das Wunder nehmen?“34
Dass Emil Lehmann seinen Urahn leicht idealisiert, zeigt auch sein Kommentar zu Berend Lehmanns Appell an August den Starken, keine neuen, möglicherweise schädlichen Juden in Sachsen zuzulassen: „Dieser Eingabe lag nicht Konkurrenzneid – dazu war Berend Lehmann viel zu großherzig – [...]zugrunde [...]“.35
Zwar wusste man auch vor Emil Lehmann schon manches über den Mäzen, den Geschäftsmann, den Verhandlungsdiplomaten, aber beinahe nichts über den Menschen Berend Lehmann. Jetzt war für den sensiblen Leser aus den von Emil Lehmann publizierten Eingaben und Briefen durchaus Persönliches herauszulesen: Neben Berend Lehmanns Stolz auf Herkunft und Leistung sprechen sie von dem deutlichen Bewusstsein der Beschränkung, der er als Jude unterworfen war, sogar als einer der Höchstprivilegierten.
Die Briefe offenbaren zudem eine große taktische Beweglichkeit im Umgang mit den christlichen Herrschern: Einerseits pocht er darin auf Recht und Verdienst, andererseits findet sich der ständige klagende Hinweis auf die Gefährdungen für Ruf und Kredit, bis hin zu einem demütigen Jammern mit Floskeln vom darbenden Weib und den Kindern. Das will zwar gar nicht in das innerjüdisch tradierte Bild des stolzen Fürsprechs passen, aber es war wohl ein Verhaltensmuster, das in den Jahrhunderten des Ausgeliefertseins als ultimative Rettungsmaßnahme erlernt worden war.
Diese Fähigkeit des berühmten Hofjuden, sich im Notfall auch selbst zu verleugnen, wurde denn auch von nachfolgenden Autoren weitgehend ignoriert.
Max Freudenthal (1868–1937)
Der zunächst in Dessau und später in Nürnberg tätige Oberrabbiner Max Freudenthal hat mehrfach in seinen umfangreichen historischen Forschungen Berend Lehmann als Mäzen hebräischen Druckens dargestellt. Das geschah zuerst in seiner Geschichte der ursprünglich von dem Dessauer Hofjuden Moses Benjamin Wulff erworbenen und über 30 Jahre von dem Jeßnitzer Drucker Israel Abraham betriebenen Offizin36*.
Dort wird die von Auerbach bereits angedeutete Fürsorge, mit der Lehmann die Werke seiner Klausgelehrten zum Druck brachte und finanzierte, ausführlich dokumentiert. Bei Freudenthals Charakterisierung der Werke wird allerdings klar, daß der Halberstädter Hofjude hebräische Literatur hauptsächlich nach ihrem traditionellen Ruf bewertete, ohne ihren Wert selbst beurteilen zu können oder zu wollen. Das Mäzenatentum war für ihn die selbstverständliche Konsequenz seines Reichtums, und je größer die rabbinische Gelehrsamkeit, so schien es Lehmann nach der Darstellung Freudenthals, desto nützlicher und förderungswürdiger war sie für die jüdische Gemeinschaft.
Wichtiger noch ist eine Artikelserie, die Freudenthal 200 Jahre nach der Lehmann-Gottschalkschen Talmud-Neuausgabe von 1697−99 verfasste37 und in der er zum ersten Mal aufgrund genauer Aktenkenntnis die geschäftliche Seite dieses Unternehmens und der Frankfurt-Amsterdamer Nachfolgeedition darstellte, bei der Berend Lehmann in der harten Auseinandersetzung mit dem Drucker/Verleger Gottschalk als zäher und unerbittlicher Prozessgegner sichtbar wird. Auch dieser Aspekt des kämpferischen Kaufmanns wurde später im Gefolge der Auerbach-Marcus-Lehmannschen Heldenverehrung von manchem Biographen (z.B. Saville, Manfred R. Lehmann) nicht in das Berend-Lehmann-Bild aufgenommen.
Josef Meisl (1882–1958)
Der Berliner Archivar Josef Meisl, nach seiner Emigration Begründer der Jerusalemer Central Archives for the History of the Jewish People, veröffentlichte 1924 sechzehn Briefe aus dem Dresdner Staatsarchiv, die Berend Lehmann zwischen 1697 und 1704 aus Halberstadt und Leipzig, teils aber auch während des Nordischen Krieges von den baltischen Kriegsschauplätzen an einen einflussreichen Dresdner Hofbeamten geschickt hatte (die so genannten Bose-Briefe). In ihnen geht es hauptsächlich um von Lehmann gegebene oder vermittelte Anleihen und um deren Sicherheit, gelegentlich auch um die militärische und politische Lage.
Meisls einleitender Kommentar zu diesen Dokumenten ist knapp und distanziert, hier ist keine Spur mehr von „Lehmann-Panegyrik“. So steht Meisl zum Beispiel der Auerbachschen Behauptung, Lehmann habe die Krönung Augusts des Starken zum Polenkönig im Wesentlichen finanziert, skeptisch gegenüber und versucht, den wirklichen Anteil des Residenten an dem Kollektivunternehmen auszumachen.
Darüber hinaus wagt er es als erster wesentlicher Biograph Lehmanns, sich auch kritisch über ihn zu äußern, indem er bei der Besprechung der Kriegsbriefe bemerkt: „Was Lehmann über die Kriegslage, namentlich über die Belagerung Rigas zu berichten weiß, ist nicht von sonderlicher Wichtigkeit. Seine Mitteilungen sind offenbar allzu rosig gefärbt und tragen einen mit den Tatsachen in Widerspruch stehenden Optimismus zur Schau.“38
Auch gibt Meisl als erster Autor die abfällige Äußerung einiger Hannoverscher Hofbeamter über Lehmann wieder, er sei „bekanntermaßen [...] ein großer Schwätzer, von dem man befürchten müsste, dass er desavouiert [ihm nicht geglaubt] werden dürfte“,39 und zwar tut er das ohne den gleichzeitigen Versuch aller anderen jüdischen Biographen (bis hin zu Saville), den Residenten sofort in Schutz zu nehmen.
Wichtig für ein erweitertes und ungeschminktes Bild des berühmten Hofjuden war der Ton der originalen Brieftexte. Lehmanns hier nun in größerem Umfang vorliegende schriftliche Äußerungen konnten dem aufmerksamen Leser zum Beispiel ein Leitmotiv seines Lebens bestätigen, das sich schon in den Zitaten bei Emil Lehmann angedeutet hatte: die bohrende Sorge um die Erhaltung des Reichtums, die ständige Unruhe angesichts der selbst für ihn als Bankier schwer zu überschauenden, risikoreichen Geschäftsvorgänge.
Die von Meisl veröffentlichten Briefe sind übrigens, soweit sie aus Halberstadt stammen, in gutem Französisch abgefasst und möglicherweise von einem Sekretär konzipiert. Diejenigen aus dem Baltikum, sicherlich von ihm selbst verfasst, sind in einem recht unbeholfenen und grammatisch fehlerhaftem Deutsch geschrieben. Das hätte denjenigen Lehmann-Verehrern, die seit Marcus Lehmann einen von Leibniz persönlich in Philosophie unterrichteten Hochgebildeten vor Augen hatten, zu denken geben müssen. Aber ähnlich wie Emil Lehmanns Aufsatz ist auch Meisls Beitrag offensichtlich nur selektiv zur Kenntnis genommen worden.
Ernst Frankl (geboren 1909)
Der Halberstädter Rabbinersohn und spätere Arzt Ernst Frankl verfasste als 18-Jähriger einen Zeitschriftenaufsatz über die Geschichte der Halberstädter Juden,40 in dem er Berend Lehmann folgendermaßen bewertet: „Unbedingte Pflichttreue, strenge Ehrbarkeit sind die Vorzüge seines Charakters. Man warf anderen Hofjuden Unehrlichkeit vor, man beschuldigte sie, dass sie sich bei ihren Handlungen zu oft von Habgier und Gefallsucht leiten ließen. Behrend Lehmann wagte man nicht so leicht anzugreifen.“
Mit den „anderen Hofjuden“ ist sicherlich in erster Linie Joseph „Süß“ Oppenheimer gemeint, der bereits 1827 von Wilhelm Hauff und dann natürlich 1925 in Lion Feuchtwangers Erfolgsroman als zwielichtige Figur gezeichnet worden war. Lehmann als Lichtgestalt mit dem berüchtigten „Süß“ zu kontrastieren, war psychologisch verständliche Halberstädter Lokalüberzeugung, basierend auf Auerbach und Marcus Lehmann. Auch ausgewachsene, seriöse Historiker erlagen einer solchen Versuchung, wie die folgenden Beispiele zeigen werden.
Selma Stern (1890–1981)
Der Historikerin Selma Stern gebührt das Verdienst, für ihr Hauptwerk, Der preußische Staat und die Juden,41 im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts zum ersten Mal umfassende Archivrecherchen zu dem Gesamtkomplex der Juden in Brandenburg-Preußen unternommen zu haben. Da sie von der preußischen Judenpolitik ausgeht, spielen in der mehrbändigen Dokumentensammlung die Halberstädter Juden als die größte preußische Judengemeinde im frühen 18. Jahrhundert eine wichtige Rolle.
In ihrem späteren Spezialwerk Der Hofjude im Zeitalter des Absolutismus, in den 1940er Jahren im amerikanischen Exil unter ungünstigen Arbeitsbedingungen verfasst,42 ist Berend Lehmann naturgemäß einer der Protagonisten ihrer Betrachtung. Allerdings hat sie, abgesehen von dem früher gesammelten Halberstadt-Material, keine ausführliche Untersuchung zu dem Residenten vornehmen können.43
Sie sieht, weitsichtiger und weiträumiger denkend als ihr (hier später zu behandelnder) Zeitgenosse Schnee, die Institution des Hofjuden im Zusammenhang der herrschenden Staatsidee, und sie stellt die Tätigkeit der Faktoren nicht nur (wie Schnee) chronologisch und topographisch registrierend, sondern vor allem systematisch ordnend dar.
In Bezug auf Lehmann übernimmt sie von Auerbach nur wenig;44 Marcus Lehmanns Fantasien nimmt sie gar nicht zur Kenntnis. Umso mehr hält sie sich an die Archivrechercheure Emil Lehmann und Josef Meisl. Und trotzdem ist sie keine ganz objektive Biographin des Residenten.
Problematisch ist vor allem, dass auch sie die Hofjuden in zwei verschieden bewertete Gruppen einteilt und dass Lehmann dabei von vornherein zu den „eigentlichen“, das heißt, vorbildlichen gehört: „Typischer Vertreter des jüdischen Patriziats war [...] weder Jud Süß in Württemberg noch Samuel Oppenheimer in Wien oder Jost Liebmann in Berlin, die aus Ehrgeiz und Machttrieb, aus Lebensfreude und Gier nach Genuß Reichtümer anschafften oder verschenkten. Die eigentlichen Repräsentanten der jüdischen Aristokratie waren Männer wie die Gumperts in Kleve, Berend Lehmann aus Halberstadt, Moses Benjamin Wulff in Dessau, die Lehrhäuser gründeten, Talmudschulen errichteten, hebräische Bücher druckten und vielen Gelehrten jahrzehntelang eine sorglose Existenz und freie Forschung ermöglichten, während sie kühl und nüchtern ihre Bankgeschäfte leiteten, die Münze belieferten, Agenten im diplomatischen Dienst waren und ihr Vorsteheramt verwalteten“.45
Wie steht es hier mit dem schon bei Emil Lehmann befragten Objektivitäts-Test?
Die von ihm überlieferte „christliche“ Behauptung, Berend Lehmann habe sich an der Dresdner Hungersnot 1719/1720 bereichert, weist Selma Stern – ungeprüft – zurück, und wieder kontrastiert sie ihn in diesem Zusammenhang mit „Jud Süß“: „In vielen Flugschriften wird Süß beschuldigt, durch seine Finanzpolitik das württembergische Volk erpresst und in Armut und Verzweiflung gestürzt zu haben. Von Lehmann wiederum berichten sächsische Chroniken, dass er während der schlimmen Hungersnot im Winter 1719/1720 aus Russland und Polen 40 000 Scheffel Getreide herbeigeschafft und zu geringem Preis an die sein Haus Tag und Nacht belagernde Dresdner Bevölkerung verteilt habe.“46 Von Bereicherungsvorwürfen keine Rede.
Ein zweiter Objektivitätstest ergibt sich bei der Behandlung von Lehmanns Verhalten im Zusammenhang mit dem Bankrott seines Hannoverschen Schwiegersohnes, der sich 1721 ereignete. Den nie eindeutig geklärten Vorwurf der Behörden, dass der Resident beim Herannahen des Konkurses Wertgegenstände seines Schwiegersohnes in Verwahrung genommen und damit der Konkursmasse entzogen habe, weist sie – ungeprüft – zurück, statt die Frage objektiverweise offen zu lassen.47
Bei der Darstellung von Lehmanns diplomatischen Bemühungen, am Hannoverschen Hofe die Sichtweise seines Gönners August des Starken zur Geltung zu bringen, verzichtet sie auf die Wiedergabe der „Schwätzer“-Bemerkung,48 die sie durch Meisls Veröffentlichung gekannt haben muss.
Da sie sich mit dem verbreiteten negativen Hofjuden-Bild von Antisemiten wie Deeg und Schnee auseinanderzusetzen hatte, wäre es sicher klüger gewesen, solche möglichen Kritikpunkte nicht zu unterschlagen, um sich nicht dem Vorwurf der Idealisierung auszusetzen.49
Peter Deeg (1908–2005)
Der nationalsozialistische Antisemit Peter Deeg ist mit seinem 1939 bei Julius Streicher im Nürnberger Stürmer-Verlag veröffentlichten Buch Hofjuden50 eigenartigerweise von der Forschung bisher nicht ausgewertet worden51, obwohl er Berend Lehmann ein Kapitel von 18 Seiten widmet.
„Da sitzt in dem zu Brandenburg gehörigen Halberstadt der Jude Jisachar Berman Halevi. Ein Gezeichneter von Natur und Rasse aus, hat er die lockernden Gesetze des Großen Kurfürsten für die dortige Judenschaft sofort dazu ausgenutzt, um sich durch Betrug und Wucher in kürzester Zeit ein gewaltiges Vermögen zusammenzuraffen. Er tarnt sich und heißt sich von nun an Berndt oder Behrend Lehmann“. Diese Anfangssätze genügen, um zu erkennen, dass der Autor trotz umfangreicher archivalischer Belege nicht an Geschichte, sondern ausschließlich an Meinungsmanipulation interessiert ist.
So schildert er zum Bespiel folgenden „vollendete[n] Betrug Jisachar Halevis“: Um einen Schuldschein des Dresdner Stallmeisters Schmidt an sich zu bringen, „schickt der alte Jude der Stallmeisterin in Abwesenheit ihres Mannes seinen Judensprössling Berndt [gemeint: Sohn und Dresdner Filialleiter Lehmann Behrend]. Die Frau kann sich des zudringlichen, beim König in so hohem Ansehen stehenden Juden nicht erwehren. Und da dieser sie verlässt, hat er tatsächlich den väterlichen Schuldschein in der Tasche.“ Es bleibt dem Leser überlassen, sich die Art der Zudringlichkeit auszumalen.52
Die Überprüfung der von Deeg für diese Schuldschein-Episode angegebenen Quelle53 ergibt Folgendes:
Der Vorfall ereignete sich 1749, also 19 Jahre nach dem Tod Berend Lehmanns, den Deeg für den angeblichen Betrug verantwortlich macht. In den Akten der sächsischen Finanzdirektion findet sich in der Tat die Anzeige eines königlichen Riemers (verantwortlich für Riemen und Zaumzeug) Gottlieb Schmidt, der den „Hofjuden Lehmann“, also den Residenten-Sohn Lehmann Behrend, beschuldigt, sich den Schuldschein haben zeigen zu lassen und ihn dann an sich genommen und später zerrissen zu haben. Ein Sohn des Hofjuden, also ein Enkel Behrend Lehmanns, fungiert dabei lediglich als Überbringer einer Nachricht.
Der Vorwurf des Betruges ist übrigens nach Lage der Akten von den Dresdner Behörden niemals untersucht, geschweige denn nachgewiesen worden.
Berend Lehmanns und Jonas Meyers Bemühungen, während der Hungersnot 1719/20 Brotgetreide nach Sachsen zu holen, werden bei Deeg zu „gewaltige[n] Getreideschiebungen“, Lehmanns Hilfsaktionen für die in Konkurs geratenen und eingekerkerten Hannoverschen Verwandten erklärt er zum „gerissenen jüdischen Schachzug“.
Es ist klar, dass es sich bei diesem Zerrbild nicht um den Versuch eines Porträts des wirklichen Berend Lehmann handelt, sondern um die Ausmalung des von der nationalsozialistischen Rassetheorie vorgegebenen Propagandastereotyps „Wucherjude“.
Heinrich Schnee (1895−1968)
Dass der Gymnasiallehrer Dr. Heinrich Schnee als Geschichtsforscher ein fleißiger Mann war, wird einhellig anerkannt. Dass er Antisemit war, nicht nur Antijudaist, ist inzwischen von Stephan Laux dokumentarisch belegt worden.54 Deutlich wird dies schon, wenn sich Schnee auf den auch von Adolf Hitler geschätzten Soziologen Werner Sombart beruft, der die Begabung der Juden für den „seelenlosen Umgang mit Geld“ aus ihrer Rassezugehörigkeit erklärte.55
In seinem Standardwerk Die Hoffinanz attestiert er Berend Lehmann deshalb gern Vielseitigkeit und regen Geschäftssinn.56 Dabei ist seine judenfeindliche Einstellung an der Art abzulesen, wie Schnee über ihn schreibt. So zählt er seitenweise große Beträge von Anleihen auf, die Lehmann August dem Starken vorschoss, um schließlich zu resümieren „Lehmann verstand es immer wieder, ins Geschäft mit dem Kurfürsten und König zu kommen. Kaum war die Bezahlung alter Schulden geregelt, da erschien der Hofbankier mit einem neuen Angebot, dem August der Starke in seinem Luxusbedürfnis fast immer erlag.“57 Die Wortwahl suggeriert den raffgierigen, teuflischen Versucher.
Zudem referiert Schnee zusätzlich zu der schon erwähnten „Schwätzer“-Bemerkung58 ausführlich ein anonymes kritisches „Gutachten“ über „Lehmann und seine Helfershelfer“59 aus den Dresdner Hofakten, in dem der Resident beschuldigt wird, wucherische Gewinne gemacht und das Land bei seinen Geschäften „greulich betrogen“ zu haben.
Den Verdacht, Lehmann habe seinem Hannoveraner Schwiegersohn beim Konkursbetrug geholfen, macht Schnee zur Tatsache: „Wertsachen und Schmuck hatten die Behrens schon vorher an [...] Berend Lehmann in Halberstadt verschickt.“60
Breiten Raum nimmt bei Schnee Lehmanns „Missbrauch“ der „gewährten Privilegien“ ein; er und sein Schwager hätten es „besonders arg [ge]trieben“, insofern als sie eine „übergroß[e] Zahl“ von Angestellten in ihren Haushalt aufnahmen, die keine eigenen Schutzbriefe* besaßen, und die „auf diese Weise die Menge der Juden vermehrten“.61
Schnee identifiziert sich hier in den 1950er Jahren durch seine Wortwahl mit den antijüdisch eingestellten Ständen des 18. Jahrhunderts, weit davon entfernt, den Juden im Sinne der Menschenrechte ein Bleiberecht zuzugestehen.
Durch die Erwähnung einer großen Menge unsystematisch aufgezählter Riesensummen, mit denen er Lehmann umgehen lässt, schafft er ein krasses Gegenbild zu dem noch kaum angetasteten Helden- und Heiligenbild in den jüdischen Lehmann-Biographien: Der Resident wird bei ihm zu einem äußerst geschickten, ja raffinierten Geld-, Waren- und Nachrichtenagenten, dem es gelingt, die jüdische Population und deren Einfluß bedeutend zu vermehren, der allerdings am Ende (Subtext: gerechterweise) genauso kometenhaft verschwindet, wie er emporgekommen ist.
Bei aller ideologischen Einfärbung hat Schnee durch seine umfangreiche Archivarbeit allerdings auch dafür gesorgt, dass Lehmanns Geschäftstätigkeit konkreter greifbar wurde.
Pierre Saville
1970 erschien die erste und bisher einzige Buchmonographie über Berend Lehmann; sie stammte ausgerechnet von einem Franzosen. Wie inzwischen bekannt geworden ist, handelt es sich bei dem Autor des Juif de Cour62, mit dem Pseudonym „Pierre Saville“, um den Privatgelehrten Pierre Schumann, der sich selbst im Familienkreis als einen Nachfahren Berend Lehmanns bezeichnete.63 In seinem Buch heißt es dementsprechend, Berend Lehmann habe Nachfahren in Frankreich, die direkt auf seinen ältesten Sohn, Lehmann Behrend, zurückgingen.64
Der Autor geht mit spürbar großer Sympathie für den Talmud-Mäzen und ‚Schtadlan’* Lehmann ans Werk; das Vorwort des Werkes stammt von dem berühmten Antisemitismusforscher Léon Poliakov. Saville zitiert aus einer Reihe von polnischen Geschichtswerken mit ihrem originalsprachigen Titel, so dass er möglicherweise polnisch-jüdische Wurzeln hatte.
Das Buch hat er erst als älterer Mann geschrieben, seine Forschungen gehen aber bereits auf die 1930er Jahre zurück. Dass er damals selbst in Halberstadt gewesen ist, kann man vermuten; auf jeden Fall hat er dort eine Reihe Fotografien anfertigen lassen, die – auch wegen der guten Druckreproduktion – heute sehr wertvoll sind, da sie Räume und Gegenstände zeigen, die nach der Pogromnacht von 1938 verloren gingen.65
Er hat auch einige Dokumente reproduziert,66 die aus dem Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden stammen, wobei man bezweifeln muss, dass er dort selbst geforscht hat, denn es handelt sich um die Bose-Briefe, die bereits 1924 publiziert worden waren.67 Aus dem Berliner Geheimen Staatsarchiv zitiert er die Signatur einer Akte, die er sicherlich nicht eingesehen hat, denn den Inhalt des Schriftstückes referiert er unrichtig, und zwar so, wie er ihn offenbar bei Auerbach (1866) gelesen hat.
Diese Ungenauigkeit kennzeichnet leider das ganze Werk: In äußerst gepflegtem literarischen Französisch entwirft er, erzählend, ein Lebensbild aus viel Legende („tradition orale“) und aus mehr oder weniger gesicherten Fakten, die er aus Vorgängerwerken übernommenen hat. Wo das direkte biographische Material spärlich fließt, beschreibt er ausführlich die allgemeinen historischen Vorgänge, z.B. die französische Seite der polnischen Königswahl Augusts des Starken und den Nordischen Krieg.
Ein Verdienst des Werkes ist allerdings, dass er zeitgenössische französische und polnische Geschichtswerke des 18. Jahrhunderts benutzt, die bis dahin bei den deutschen Lehmann-Biographen noch nicht berücksichtigt worden waren. Unkritisch ist er wiederum nicht nur gegenüber Auerbach und Marcus Lehmann, sondern auch gegenüber Schnee, obwohl er dessen antisemitische Tendenz durchaus realisiert.68
Seine Sicht Berend Lehmanns ist in der Nachfolge Auerbachs und Marcus Lehmanns von Begeisterung für die historische Ausnahmefigur des „résident royal“ geprägt.
Einwände gegen Lehmanns geschäftliche Sauberkeit und moralische Integrität, wie sie von Schnee gern aufgegriffen werden (Brotgetreideknappheit, Konkursbetrug), weist Saville mit schwachen Argumenten entrüstet zurück.69
Dafür entwirft er ein Bild von dessen heldischer Körpergestalt: „[...] die Rückschlüsse, die man aus gewissen bekannten Umständen ziehen kann, erlauben die Ansicht, dass die Natur ihm regelmäßige und angenehme Gesichtszüge verliehen hat, eine hohe Gestalt, eine edle Haltung.“70 Über die „gewissen Umstände“ klärt er den Leser nicht auf.
Als gebildeter und kunstsinniger Herr, der er selbst offenbar war, dichtet Saville Berend Lehmann hohe philosophische Bildung an: Da Lehmann ein Lehrling und Protégé seines Onkels, des Hannoverschen Hof-Juden Leffmann Behrens gewesen sei, habe er auch die Philosophie des Hannoverschen Hof-Philosophen Leibniz gekannt und sich über sie mit seinem Gönner August dem Starken freundschaftlich unterhalten, mit dem er sich auch, die Juwelierlupe am Auge, intim an der Schönheit makelloser Edelsteine ergötzt habe.71
In der politischen Einschätzung geht er sogar noch über Marcus Lehmann hinaus: nicht nur „hat Berend Lehmann praktisch [...] die Rolle eines Oberaufsehers [surintendant] der sächsischen Finanzen gespielt“72, sondern „Lehman dirigierte tatsächlich, wenn auch nicht dem Titel nach, die kurfürstliche und königliche Diplomatie [...], unserer Ansicht nach unabweisbar“.73
Er malt uns einen geradezu genialen Berend Lehmann, dessen Einfluss auf das Weltgeschehen den der Marcus-Lehmannschen Romanfigur noch übersteigt. Durch geschickte psychologische Kombination extrapoliert er das, was der Wortlaut der Quellen scheinbar nur zufällig nicht hergibt.
Manfred R. Lehmann (1922−1997)
Dr. Manfred R. Lehmann, als Sohn deutscher Emigranten in Schweden geboren, war ein an der berühmten Johns-Hopkins-Universität in Baltimore ausgebildeter Rabbiner und Altorientalist. Er übte allerdings sein geistliches Amt nie aus und erwarb als Exportkaufmann und Telekommunikationsunternehmer ein beachtliches Vermögen. Er bezeichnet in seinen Memoiren Berend Lehmann als „possibly one of our ancestors“74 und widmet dort seinem „möglichen“ Ahn ein Kapitel von einigen Seiten.75 Er bezeichnet ihn großzügig als „the greatest of the court Jews [...]“ und hält den Residententitel für einen „ambassadorial title“. Vom Babylonischen Talmud habe es praktisch keine Exemplare mehr gegeben, und so sei es Berend Lehmann mit seiner Neuausgabe gelungen „to single-handedly save the perpetuation of Torah learning. [...] There can be no doubt that without Behrend Lehmann, Judaism would have died out in Germany.”
In einem inhaltlich weitgehend damit übereinstimmenden Artikel, den er für eine in Halberstadt erscheinende Heftreihe über die Geschichte der dortigen Juden auf Deutsch zur Verfügung stellte,76 heißt es, er habe „für seine königlichen Herren auf dem Feld der Finanzen und der Außenpolitik [mehr] erreicht als irgendein anderer Hofjude.“77 Lehmann habe die Schlüsselrolle bei Augusts des Starken Wahl zum Polenkönig gespielt: „Das war wirklich ein Schachzug ohnegleichen in der Geschichte der europäischen Diplomatie – vollbracht von einem Juden!“78
Das Netz verwandtschaftlicher Verbindungen, das die europäischen Hofjuden des späten 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts durch gegenseitiges Einheiraten geknüpft hatten, hält Manfred R. Lehmann für eine Schöpfung des Residenten und behauptet:
“[...] ohne Zweifel nahmen die Rothschilds Behrend Lehmann und sein Familienimperium als Modell für das Operieren einer internationalen Familienbank“.79 Er bezeichnet ihn als einen dennoch „bescheidene[n] und einfache[n] Mann“ (erwähnt aber gleichzeitig, dass er mit einer sechsspännig gezogenen Kutsche gereist sei).80 „Mit Sicherheit ist zu sagen“, so beteuert er zusammenfassend, „dass in der modernen jüdischen Geschichte keine zweite Persönlichkeit solche Größe im (jüdischen) Glauben mit weltlicher Größe vereinigte.“81
Diese maßlose Übertreibung setzt der von Lucia Raspe so genannten „Berend-Lehmann-Panegyrik“ die Krone auf. Wie der Zusammenhang seines Bekenntnisbuches zeigt, benutzt Manfred R. Lehmann in einer Zeit schwindenden Herkunftsbewusstseins den Halberstädter Hoffaktor als Ikone vorbildlichen Judentums.
Einige Nach-Wende-Publikationen
Als in den neuen Bundesländern nach 12 Jahren nationalsozialistischer und 45 Jahren kommunistischer Herrschaft erstmalig wieder offen über deutsch-jüdische, jüdisch-deutsche Geschichte informiert werden durfte, galt es, schnell Nachrichten über die jeweilige lokale oder regionale jüdische Vergangenheit zu beschaffen.
In Halberstadt hatte der mutige Heimatchronist Werner Hartmann schon zu DDR-Zeiten Material gesammelt, von dem er sogar 1988 schon etwas veröffentlichen durfte. In seiner Heftreihe Juden in Halberstadt erwähnt er Berend Lehmann sehr bald, verständlicherweise recht pauschal und auf Auerbach basierend, als bedeutenden fürstlichen Geldbeschaffer und als Gemeindewohltäter. 1996 kann er sodann auf einen längeren Text zurückgreifen, unglücklicherweise den des eben erwähnten „Panegyrikers“ Manfred R. Lehmann.
In einem seriöser angelegten Sammelband über die jüdische Geschichte in Sachsen-Anhalt von 1998 schreibt der Germanistikprofessor Michael Schmidt einen 13-seitigen Beitrag über Lehmann, Hofjude ohne Hof. Er akzeptiert voll das Gegensatz-Klischee Jud Süß/Berend Lehmann und, statt sich etwa auf die Recherchen Sterns und Schnees zu beziehen, nimmt er bedauerlicherweise Mutmaßungen Savilles als das Ergebnis von „sorgfältigen Quellenstudien“.82 Der erfolgreiche Erwerb der polnischen Königskrone für August den Starken wird nämlich hier ausnahmsweise einmal nicht auf Lehmanns Finanzierungskünste zurückgeführt, sondern auf „eine[...] der Diplomatie des Abbé [des französischen Botschafters Polignac] überlegene[...] diskrete[...] Rhetorik [...], mittels deren es ihm [Berend Lehmann] gelang, das Vertrauen der einflussreichen Danziger Bankiers zu gewinnen.“83
Schmidt reiht sich damit unter diejenigen Lehmann-Biographen ein, die den gewiß nicht kleinen politischen Einfluss des Hofjuden überschätzen.
Jutta Dicks Berend-Lehmann-Kurzbiographie für die Festschrift zur Eröffnung des Dresdner Synagogenneubaus, drei Jahre nach Schmidt geschrieben84, beruht auf den älteren Standardwerken; sie enthält aber in bewundernswerter Komprimierung eine große Menge Informationen, und zwar sowohl Fakten (von denen manche überholt sind)85 wie Legenden (die man nicht immer als solche klar genug erkennt).86
Sie äußert aber – entgegen Marcus und Manfred R. Lehmann, Stern und Schmidt – Zweifel an der Bescheidenheit und dem unauffälligen Bürgerleben des Residenten, indem sie auf einen aufwendig geschmückten Pokal hinweist, dessen symbolische Darstellungen den Auftraggeber Berend Lehmann als Teil der biblischen Geschichte erscheinen lassen wollen. Auch weist sie auf die Gefährlichkeit der Tradition hin, nach welcher der zurückhaltende Berend Lehmann dem hochmütigen Jud Süß oder gar seinem angeblich angeberischen Schwager Jonas Meyer entgegengesetzt wird. Insofern öffnet ihr Beitrag den Blick auf einen kritischen Neuansatz in der Betrachtung des Residenten.
Ein ähnlich klingender Hinweis auf „a degree of hubris on [Berend Lehmann’s] part“ im Katalog der New Yorker Hofjuden-Ausstellung von 199687 stellt sich bei näherem Zusehen als Fehlinterpretation des Levitensymbols eines Lammes auf dem Frontispiz der Lehmannschen Talmudausgabe von 1697−1699 heraus: Mann und Cohen interpretieren es als einen Bären und meinen, es sei sein Wappentier, der Talmud also sozusagen eine Leistung Issachar Bär-manns.
Der Katalog dieser repräsentativen Ausstellung bringt im übrigen keine über die gängige Literatur hinausgehenden Informationen, die dem Bild Lehmanns irgendetwas Neues hinzufügen würden.
Die Dresdner Online-Zeitschrift medaon veröffentlichte 2007 einen Aufsatz der jungen Historikerin Cathleen Bürgelt über Berend Lehmann, der offenbar auf ausführlicher Lektüre der einschlägigen Literatur beruht. Da Bürgelt aber nur das antisemitisch gefärbte Hofjudenbild Schneescher Prägung kritisiert, im Übrigen aber die alten Elogen über den Residenten wiederholt, ohne die Rezeptionsprobleme zu reflektieren, kann der Beitrag nur als eine erste Information über Lehmann und als Literatursammlung gelten.88
Lucia Raspe
Die an der Universität Frankfurt forschende und lehrende Judaistin Lucia Raspe hat in einem 2002 verlegten Sammelband über den Stand der Hofjudenforschung einen knapp gefassten Aufsatz über Berend Lehmann als Gründer und Stifter der Klaus, als Mäzen der ersten deutschen Talmudausgabe und als Finanzier der berühmten Halberstädter Barocksynagoge geschrieben. Dessen Fußnotenapparat verzeichnet konzentriert einen Großteil der bisherigen Berend-Lehmann-Literatur, und vor allem bewertet er sie.
Raspe vergleicht darin die tradierten Legenden mit den juristischen und geschäftlichen Fakten, wobei auch nach der von ihr vorgenommenen Entmythologisierung ein höchst positives Image des Residenten bestehen bleibt. Sie lobt dabei vor allem die Vorausschau, mit der Lehmann seine Stiftung nicht auf seine Familie, sondern auf die Halberstädter Gemeinde als Institution von einigem Bestand fokussiert hat. Zusammen mit einer klugen Politik des neoorthodoxen Kuratoriums im 19. Jahrhundert, welche trotz großer Versuchungen diesem gemeinnützigen Prinzip treu geblieben ist, konnte – wie Raspe darlegt – in der Tat das Erbe des Residenten bis zum nationalsozialistisch verursachten Ende der Gemeinde lebendig weiterwirken.
Entscheidend für die Frage nach dem sich wandelnden Berend-Lehmann-Bild ist Raspes Erkenntnis, dass das bis zu Manfred R. Lehmann gepflegte Bild des ‚Heiligen‘ „[...] nicht notwendig mit historischer Realität zu tun [hat]; es ist ein Konstrukt, entstanden am Schreibtisch von Benjamin Hirsch Auerbach und Marcus Lehmann, ein Identifikationsangebot.“89
Zusammenfassung
Der Wandel des Berend-Lehmann Bildes steht in direktem Zusammenhang mit den wichtigsten Entwicklungsphasen der deutsch-jüdischen Geschichte der letzten Jahrhunderte.
Unmittelbar nach Lehmanns Tod, als die Memorbuch- und Maassebuch-Aufzeichnungen über ihn gemacht wurden, lebten die deutschen Juden noch in rechtlich unsicheren Verhältnissen in einer geschlossenen kulturellen Eigenwelt, und so spiegeln die Eulogien der Zeitgenossen des Residenten das starke solidarische Selbstbewusstsein der voremanzipatorischen Judenschaft wider. Geschichte spielt sich dort in der erzählenden Selbstvergewisserung ab, wo sich Fakt und Legende naiverweise vermischen. Es lebt ein Wunschbild vom vorbildlichen jüdischen Führer, das eine gewisse Basis in der wirklichen historischen Figur des Residenten hat.
Abb. 3: Modell der vermutlich um 1712 fertiggestellten, von Berend Lehmann initiierten und weitgehend fianzierten Synagoge, nach der Pogromnacht vom 9. November 1938, angeblich baufällig, auf Kosten der jüdischen Gemeinde abgetragen. Der aus dem Besitz Berend Lehmanns versteigerte Garten umgab die Synagoge so, dass man von ihm aus durch die Fenster den Gottesdienst beobachten konnte.
140 Jahre später sind die deutschen Juden rechtlich weitgehend emanzipiert, und auch die orthodoxen unter ihnen haben sich bis zu einem gewissen Grade an die christliche Mehrheitsgesellschaft akkulturiert. Als akademisch Gebildeter weiß Auerbach, dass in seiner Gemeindegeschichte Faktentreue notwendig ist; er benutzt Archivalien und gibt Quellen an (allerdings damaliger Übung entsprechend nur pauschal in einem Anhang). Er kennt aber als Hüter der Gemeindeaufzeichnungen auch die reizvollen alten Legenden und tradiert sie. So nimmt er eine Mittlerposition zwischen der alten und der neuen, von der Aufklärung bestimmten Haltung zur eigenen Geschichte ein.
Für den streng orthodoxen Marcus Lehmann sind Emanzipation und Akkulturation zwiespältig: Sie lassen zwar die Juden am allgemeinen Fortschritt teilhaben, gleichzeitig bedrohen sie aber die identitätstiftende gesetzestreue Lebensart. Als konservativer Volkspädagoge macht er seine literarische Figur Berend Lehmann zum Träger der zu bewahrenden Ideale. Historiographisch-methodische Skrupel muss er als Romanautor nicht haben.
Für den Reformjuden Emil Lehmann ist zwar die rechtliche Emanzipation noch nicht voll erreicht, aber er sieht keine wesentlichen Hindernisse mehr für ihre Verwirklichung. Als Vertreter eines liberalen Judentums blickt er nach vorn: Die Juden sollen vorbildliche Deutsche und vorbildliche Vertreter der Menschlichkeit werden. Wenn Berend Lehmann in den Augen seines Urururenkels auch einer anderen Zeit und Kultur angehört, so bewundert er ihn doch als klugen Streiter für mehr Rechte und größere Spielräume, und insofern ist er nicht ganz frei von der Neigung, den Residenten zu idealisieren. Für ihn als Juristen sind Genauigkeit und Nachweispflicht auch in der Geschichtsschreibung selbstverständlich.
Der Historiker Josef Meisl, in der strengen deutschen Archivtradition verwurzelt, betrachtet 1924 trotz des virulenten Antisemitismus Emanzipation und Akkulturation offenbar als so weit gelungen, dass er einen einmal prominent gewesenen Juden nicht mehr automatisch in Schutz nehmen muss, sondern dass er auch seine Schwächen erwähnen darf. Wenn er Sympathien für ihn hat, so spielen sie historiographisch keine Rolle.
Der bei ihm erlangte hohe Grad an Objektivität ist in Bezug auf Berend Lehmann erst um das Jahr 2000 wieder erreicht worden.
Selma Stern glaubt in ihrer Frühzeit im preußisch geordneten Deutschland in einer harmonischen Welt zu leben, in der sie gleichzeitig gute Jüdin und gute Deutsche sein kann.90 Sie betrachtet wie ihr Gatte Eugen Täubler, der Gründer der „Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums“, jüdische Geschichte wie jede andere als Teil der Universalgeschichte.
Die von ihr veröffentlichten Dokumente werden zur Grundlage aller weiteren Forschung.
Als sie ein Vierteljahrhundert später ihr Hofjuden-Buch schreibt, hat sie dagegen die Schrecknisse von Entrechtung, Vertreibung und Holocaust erlebt. Die Hofjuden, über die sie schreibt, waren in Bausch und Bogen zu Verbrechern erklärt worden. Dem durch die Niederlage des nationalsozialistischen Deutschland nur scheinbar überwundenen Antisemitismus will sie offenbar keine Nahrung geben und hält wohl deshalb an einem idealisierten Berend-Lehmann-Bild fest, an dem sie gemäß dem Forschungsstand Zweifel gehabt haben muss.
Heinrich Schnee geht zwar wie Meisl und Stern aus der quellenkritischen Tradition der deutschen Historiographie hervor, verzichtet aber nach seiner Promotion auf wissenschaftliche Strenge und akzeptiert bei seinen Forschungen weltanschauliche Vorgaben (Sombart). Von daher fällt es Schnee in einer Zeit überbordenden Antisemitismus’ leicht, dieselben Quellen wie Selma Stern benutzend (die wiederum nur pauschal angeführt werden: ein methodischer Rückfall), auf selektiv-parteiliche Weise zu einem von Verachtung geprägten Berend-Lehmann-Bild zu gelangen. Da der Antisemitismus in der restaurativen Stimmung der Adenauer-Zeit untergründig weiterlebt, kann das Werk sogar nach dem Holocaust mit Erfolg publiziert werden.
Savilles Darstellung mündet wieder in die neu auflebende Heldenverehrung ein. Das hängt, wie die Verbindung zu Poliakov zeigt, mit jüdischer Rückbesinnung zusammen, die wiederum als Reaktion auf die nationalsozialistische Vernichtungspolitik zu verstehen ist. Der Stolz auf seine Herkunft braucht ein Identifikationsobjekt, und da bietet die Geschichte seines Urahns in der Aufbereitung des 19. Jahrhunderts reiche Nahrung. Als Privatgelehrter fühlt er sich wissenschaftlichen Standards offenbar nicht unbedingt verpflichtet.91
Die Art, wie Manfred R. Lehmann den Residenten überschätzt, bedeutet methodisch gesehen einen noch schwereren Rückfall. Er schreibt seinen Berend-Lehmann-Aufsatz ursprünglich als Geschichtspublizist für die orthodoxe New Yorker Wochenzeitung Algemeiner Journal, und das zu einer Zeit, als das Traditionsbewusstsein der amerikanischen Juden nachzulassen beginnt;92 und um dem entgegenzuwirken, scheint ihm ein großzügiger Umgang mit den historischen Fakten wohl gerechtfertigt.
Mit Lucia Raspe ist, mehr ein halbes Jahrhundert nach dem Holocaust, eine Historikerin daran gegangen, vorurteilsfrei dort wieder anzuknüpfen, wo lange vor ihr Meisl bereits angelangt war, nämlich sine ira et studio über eine große Figur der deutsch-jüdischen Geschichte zu forschen und zu schreiben, wobei sie aus dem Abstand heraus auch die Psychologie der hier dargestellten Berend-Lehmann-Rezeption durchschauen kann.
7 Raspe, Lucia: Individueller Ruhm und kollektiver Nutzen – Berend Lehmann als Mäzen (abgekürzt: Raspe, Ruhm), in: Ries, Rotraud/Battenberg, J. Friedrich (Hg.): Hofjuden – Ökonomie und Interkulturalität. Die jüdische Wirtschaftselite im 18. Jahrhundert, Hamburg 2002, (abgekürzt: Ries/Battenberg, Hofjuden) S. 200, Anm. 2.
8 Schiller, Friedrich: Wallensteins Lager, Z. 102−103.
9 Die hier wiedergegebene, mit Erläuterungen versehene Übersetzung wurde für dieses Buch freundlicherweise von Dirk Sadowski, Georg-Eckert-Institut Braunschweig, angefertigt. Zum Vergleich hier die ersten Zeilen einer altertümlich gereimten Übersetzung des Halberstädter Rabbiners Auerbach von 1866: „Sein Leben war ein Kranz von edlen Werken, Für Reich’ und Arme, Nahe sowie Ferne. Aus Lieb’ zur Gotteslehr’ und deren Freunden Gab er das Geld zum Druck des Talmud gerne. Ihn leitete des Herrn Gebot; nichts Schlimmes Traf ihn, nun erntet er den Lohn der Mühen. Zu Gottes Ehre baut er einen Tempel, Ein Lehrhaus auch, wo reiche Saaten blühen[...]“ Auerbach, Benjamin Hirsch: Geschichte der israelitischen Gemeinde Halberstadt, Halberstadt 1866 (abgekürzt: Auerbach, Geschichte), S. 81f. Das hebräische Original findet sich dort und auch in Meisl, Josef: Memorbuch der Halberstädter Klaus in Reshumot, N.F.3, Jg.1947, S. 191, Eintrag Nr. 75.
10 Die Anfangsbuchstaben der folgenden Abschnitte ergeben im hebräische Original das Akrostichon von Lehmanns hebräischem Namen: JISACHAR BERMAN LEVI.
11 Die Säulen des Ersten Tempels, von König Salomo im 10. vorchristlichen Jahrhundert in Jerusalem erbaut, waren Zedern aus dem Libanongebirge. Der Ruhm des Ur-Tempels geht auf Lehmann als den Erbauer des Halberstädter „Tempels“, die große Barock-Synagoge, über. Da nach zwei Zerstörungen der dritte Jerusalemer Tempel erst vom endzeitlich erscheinenden Messias erbaut werden wird, sind alle Synagogen der Zwischenzeit „vorläufig“.
12 „Israel“ bezeichnet hier die ideelle Gesamtheit der zerstreuten jüdischen Gemeinden, deren es in Polen besonders viele gab.
13 Das Maassebuch wird bei Raspe, Ruhm, S. 202, erwähnt als „Halberstädter Gemeindebuch“, ihrer Angabe nach fragmentarisch vorhanden in den Central Archives for the History of the Jewish People (abgekürzt CAHJP) unter der Signatur H VI 2/1.
14 Lehmann, Emil: Gesammelte Schriften, Dresden 1899 (abgekürzt: Lehmann, E., Ges. Schr.), S. 98, 102, 114.
15 Raspe, Ruhm, S. 200.
16 Auerbach, Geschichte, S. 50 und 60.
17 voller Titel: „Königlich Polnischer Resident im Niedersächsischen Kreise“. Vgl. Glossar „Resident“.
18 Vgl. Lucanus, Johann Henricus: Notitia Principatus Halberstadensis [Beschreibung des Fürstentums Halberstadt] oder gründliche Beschreibung des alten löblichen Halberstadt [...], Halberstadt o.J. bis 1744, Manuskript im Historischen Stadtarchiv Halberstadt, Sign. 3617 (abgekürzt: Lucanus, Notitia), Bd.1, S. 204−216.
19 Eine Kopie des Vertrages vom 8.1.1697 über den Talmud-Druck enthält das Schreiben des Druckers Michael Gottschalk an den preußischen König Friedrich Wilhelm I. vom 12.6.1730, Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin (abgekürzt: GStA PK), I. HA, Rep. 33, Nr. 120b, Pak. 3 (1728−39), ohne Blattzählung (abgekürzt: o.Bl.)
20 Mann, Vivian B./Cohen, Richard I.: From Court Jews to the Rothschilds. Art, Patronage, and Power. 1600 to 1800, München/New York 1996 (abgekürzt: Mann/Cohen, Rothschilds), S. 206, Anm. 4, paradoxerweise mit Bezug auf Freudenthal.
21 Dick, Jutta: Issachar Berman Halevi – Berend Lehmann, ‚Gründungsvater’ der neuzeitlichen Jüdischen Gemeinde in Dresden (abgekürzt: Dick, Issachar), in: einst&jetzt. Zur Geschichte der Dresdner Synagoge und ihrer Gemeinde, hg. Jüdische Gemeinde zu Dresden, Dresden 2001, S. 50.
22 Freudenthal, Max : Zum Jubiläum des ersten Talmuddrucks in Deutschland, in: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judenthums, Jg.42, 1898, S. 84. Die Angaben zu Auflage und Preis wurden schon von Freudenthal bezweifelt, endgültig korrigiert von Raspe, Ruhm, S. 203, Anm. 22.
23 Lehmann, Marcus: Der Königliche Resident. Eine historische Erzählung (abgekürzt: Lehmann,M., Resident) Mainz o.J.(= Lehmann’s jüd. Volksbücherei Bd. 26), Teil 1, S. 3.
24 Auerbach, Hirsch Benjamin: Die Geschichte der 3 Synagogen in Halberstadt. Steine erzählen..., Zeitschrift für die Geschichte der Juden. Olamenu.Tel Aviv, Bd. 9 (1972), S. 152.
25 Zu Berend Lehmanns Vater Jehuda vgl. Samuel, Salomon: Geschichte der Juden in Stadt und Synagogenbezirk Essen, Frankfurt am Main 1913, S. 97; Berend Lehmann selbst erscheint zum ersten Mal 1687 als in Halberstadt ansässig, und zwar im Verzeichnis der Leipziger Messebesucher. S. Freudenthal, Max: Leipziger Messgäste. Die jüdischen Besucher der Leipziger Messen in den Jahren 1675 bis 1764, Frankfurt/M. 1928 (abgekürzt: Freudenthal, Messgäste), S. 109.
26 Auerbach, Geschichte, S. 46.
27 Lehmann,M., Resident, Bd. 2, S. 5.
28 Ebd., S. 47.
29 Leibrock, Gustav Adolph: Chronik der Stadt und des Fürstenthums Blankenburg, der Grafschaft Regenstein und der Klöster Michaelstein und Walkenried. Nach urkundlichen Quellen bearbeitet, I. Bd., Blankenburg 1864, S. 355.
30 Kraszewski, Józef Ignacy, Gräfin Cosel, Berlin (Ost) 1987, S. 157.
31 In Lehmann, E., Ges.Schr.
32 Lehmann, Emil: Zur Geschichte des Judenhasses, ebd., S. 89. Ein ausführlicher Vergleich von Marcus und Emil Lehmann findet sich in der Online-Zeitschrift medaon: Strobach, Berndt: Dreimal Lehmann nach Berend Lehmann, www.medaon.de Heft 2, Dresden 2008, S. 1−11.
33 Lehmann, E., Ges. Schr., S. 115
34 Ebd., S. 123. Zu dieser Episode vgl. den ausführlichen Vergleich mehrerer Darstellungen in Strobach, Berndt: Der Halberstädter Hofjude Berend Lehmann und seine Biographen, in: Harzzeitschrift für den Harz-Verein für Geschichte und Altertumskunde, 58.Jg. (2006), S. 47−72.
35 Lehmann, E., Ges.Schr., S. 122.
36 Freudenthal, Max: Aus der Heimat Mendelssohns. Moses Benjamin Wulff und seine Familie, die Nachkommen des Moses Isserles, Berlin 1900 (Neudruck Dessau 2006), (abgekürzt: Freudenthal, Heimat) Darin der V. Abschnitt: Die Wulffsche Druckerei und ihre Geschichte, S. 153−304.
37 Freudenthal, Max: Zum Jubiläum des ersten Talmuddrucks in Deutschland, in: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums Jg. 42 (1898), S. 80−89, 123−143, 180−185, 229−236, 278−285.
38 Meisl, Josef: Behrend Lehmann und der sächsische Hof, in: Jahrbuch der jüdisch-literarischen Gesellschaft, Jg. XVI (1924), S. 226−252, (abgekürzt: Meisl, Hof) hier S. 230.
39 Ebd., S. 232.
40 Frankl, Ernst: Die politische Lage der Juden in Halberstadt von ihrer ersten Ansiedlung an bis zur Emanzipation, Jahrbuch der Jüdisch-literarischen Gesellschaft, Jahrgang 19 (1928), S. 328. Über Frankl vgl. die Website www.juden-im-alten-Halberstadt.de von Sabine Klamroth.
41 Stern, Selma: Der preußische Staat und die Juden (abgekürzt: Stern, Staat) Erster Teil: Die Zeit des Großen Kurfürsten und Friedrichs I. Erste Abteilung: Darstellung, Berlin 1925. Reprint Tübingen 1962, S. XI und XV.
42 Stern, Selma: Der Hofjude im Zeitalter des Absolutismus. Ein Beitrag zur europäischen Geschichte im 17. und 18. Jahrhundert. Aus dem Englischen übertragen, kommentiert und herausgegeben von Marina Sassenberg, Tübingen, [2001] (abgekürzt: Stern, Hofjude).
43 Lückenhaftigkeit und Oberflächlichkeit der Interpretation wird ihr denn auch allgemein von der moderneren Forschung vorgeworfen. Vgl. Linnemeier, Bernd W.: Jüdisches Leben im Alten Reich. Stadt und Fürstentum Minden in der Frühen Neuzeit, Bielefeld 2002 (abgekürzt: Linnemeier, Minden), S. 36−37
44 Sie ironisiert die durch ihn reichlich überlieferten Legenden, vgl. Stern, Hofjude, S. 67.
45 Stern, Staat, Zweiter Teil. Die Zeit Friedrich Wilhelms I. Erste Abteilung: Darstellung, Tübingen 1962, S. 173.
46 Ebd., S. 69.
47 Vgl. die ausführliche Darstellung des Falles in Kapitel 3.1. dieses Buches.
48 Die entsprechende Stelle wäre gewesen. Stern, Staat, II, 1, S. 77
49 Vgl. Linnemeier, Minden, S. 36: „Bei genauerem Hinsehen zeigen sich [in Stern, Staat] allerdings deutliche Schwächen und Unzulänglichkeiten sowohl inhaltlicher als auch konzeptioneller Art.“
50 Deeg, Peter: Hofjuden. (Reihe Juden, Judenverbrechen und Judengesetze von der Vergangenheit bis zur Gegenwart. Herausgeber Julius Streicher, Teil I, Band 1), Nürnberg 1939. Dass das Buch im wörtlichen wie im übertragenen Sinn in rechtsradikalen Kreisen hoch im Kurs steht, legt das Angebot eines signierten Exemplars der Vorzugsausgabe in Prachtausstattung zum Preise von 500 € durch das Antiquariat Uwe Turszynski nahe, 2009 im Internet unter www.ilab.org Noch teurer ist Deegs zweites Buch aus demselben Jahr, der Band 2 von Teil I der Reihe: Die Judengesetze Großdeutschlands, Nürnberg 1939, über „antiqbook“ für 760.- . Seit dem 2. Juni 2008 gibt es allerdings Deegs „Hofjuden“ kostenlos als pdf-Scan im Internet unter www.archive.org/details/Deeg-Peter-Hofjuden (Zugriff 19.9.2013, 9 Uhr). – Deeg wurde 1948 als „minderbelastet“ entnazifiziert; seine erfolgreiche Nachkriegsbiographie machte ihn als Waffenhändler im Zusammenhang mit Franz-Josef Strauß’ Spiegel-Affäre bekannt. Vgl. im Internet: de.wikipedia.org/wiki/Peter_Deeg (Zugriff 19.9.2013, 9 Uhr).
51 Ein Hinweis findet sich in: Sassenberg, Marina: Sekma Stern (1890−1981). Das Eigene in der Geschichte.; Selbstentwürfe und Geschichtsentwürfe einer Historikerin. Tübingen 2004, S. 206. Sassenberg erwähnt dort Deeg als Vertreter eines antisemitischen Hofjuden-Bildes, gegen das Stern mit ihrem Buch „Der Hofjude“ angeschrieben habe.
52 Über den antisemitischen Topos von jüdischer sexueller Zudringlichkeit siehe Henschel, Gerhard: Neidgeschrei. Antisemitismus und Sexualität, Hamburg 2008, passim. S. 70 speziell in Bezug auf Deegs Verleger: „Für die Befriedigung der primitiven Begierde nach Sexualklatsch aus der Unterwelt war im Dritten Reich der wöchentlich von Julius Streicher herausgegebene Stürmer da[...].“
53 Sächsisches Hauptstaatsarchiv abgekürzt (SHSA) Dresden 10036, Geheimes Finanzarchiv, Loc.33761, Rep. XI.
54 Laux, Stephan: Schnee, Heinrich, Dr. phil., online-Biographie im Internet auf www.lwl.org.
55 Schnee, Heinrich: Die Hoffinanz und der moderne Staat (abgekürzt: Schnee, Hoffinanz), Bd. III, Die Institution des Hoffaktorentums in den geistlichen Staaten Norddeutschlands und an kleinen norddeutschen Fürstenhöfen, im System des absoluten Fürstenstaates, Berlin 1955, S. 251−253.
56 Schnee, Hoffinanz, Bd. II: Die Institution des Hoffaktorentums in Hannover und Braunschweig, Sachsen und Anhalt, Mecklenburg, Hessen-Kassel und Hanau, Berlin 1954. S. 169ff. Vgl. besonders die Zusammenfassung S. 198.
57 Ebd., S. 185.
58 Ebd., S. 181.
59 Ebd., S. 197.
60 Ebd., S. 49.
61 Ebd., S. 176.
62 Saville, Pierre: Le Juif de Cour. Histoire du Résident royal Berend Lehman (1661-1730) (abgekürzt: Saville, Juif), Paris 1970.
63 Laut E-Mail-Nachricht eines Großneffen von Pierre Saville, des Musikjournalisten Julien Petit, gegenüber Jutta Dick, der Direktorin der Halberstädter Moses Mendelssohn Akademie, vom 7.3.2008. In einem persönlichen Gespräch im Januar 2009 erfuhr Jutta Dick von Petit darüber hinaus, daß Saville/Schumann einer begüterten jüdischen Familie entstammte, und dass Petits und Schumann/Savilles Vorfahr Albert Lehmann im 19. Jahrhundert nach Frankreich eingewandert ist. Saville/Schumann war Privatgelehrter und Kunstsammler; er hat auch Dramen geschrieben. Laut Antiquitätenangeboten im Internet unter www.artfact.com wurden 2005 mehrere Kunstgegenstände aus einer „collection Robert Schumann et Pierre Saville“ versteigert. Hier erscheint er unter seinem Pseudonym neben seinem Bruder Robert Schumann, dem Großvater Julien Petits.
64 Saville, Juif, S. 223.
65 Ebd., S. XVIII, XXIII, XXIV.
66 Ebd., S. XVIf.
67 In: Meisl, Hof, S. 227–252.
68 Vgl. ebd., S. 250, Fußnote 1.
69 Ebd., S. 228 (Brotgetreide) und S. 229 (Konkursbetrug).
70 Ebd., S. 28: „[...] les déductions qu’on peut tirer de certaines circonstances connues permettent d’apprendre que la nature lui avait donné des traits réguliers et agréables, une haute stature, un noble maintien.“
71 Ebd., S. 192.
72 Ebd., S. 154.
73 Ebd., S. 171. Näheres über diese Einschätzung am Ende des 5. Kapitels dieser Arbeit.
74 Lehmann, Manfred R.: On My Mind, New York 1996, S. 231.
75 Ebd., S.110–113 „Assuring Perpetual Jewish Learning: The Halberstadt Archive of 1713−1847”.
76 Lehmann, Manfred R.: Bernd Lehmann, Der König der Hofjuden, in: Hartmann, Werner (hg.), Juden in Halberstadt. Zu Geschichte, Ende und Spuren einer ausgelieferten Minderheit, Bd. 6, Halberstadt 1996, S. 6–12. Abgekürzt: Lehmann, M., König.
77 Ebd., S. 7.
78 Ebd., S. 7.
79 Ebd., S. 8.
80 Dies ist eine der Anekdoten über Lehmann, die noch der Überprüfung harren (beste Überlieferung in Schoeps, Hans-Joachim: Jüdisches in Berichten schwedischer Forscher, in: Gesammelte Schriften, Hildesheim/Zürich/New York 1998, Abt. I, Bd. 3, S. 188). Bei der Lektüre des Aufsatzes von Studemund-Halevy, Michael: „Es residieren in Hamburg Minister fremder Mächte“ in: Ries/Battenberg, Hofjuden, S. 159, fällt auf, dass dort exakt dieselbe Anekdote über den schwedischen Residenten in Hamburg, den reichen portugiesischen Juden Manuel Texeira, referiert wird. Eine Wanderlegende?
81 Lehmann, M., König, S. 11. Das eingeklammerte Wort „jüdischen“ stammt möglicherweise vom Herausgeber, Werner Hartmann.
82 Schmidt, Michael: Hofjude ohne Hof. Issachar Baermann-ben-Jehuda ha-Levi, sonst Berend Lehmann genannt, Hoffaktor in Halberstadt (1661−1730), in: Dick, Jutta/Sassenberg, Marina (Hg.): Wegweiser durch das jüdische Sachsen-Anhalt (Beiträge zur Geschichte der Juden in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen, hg. Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien, Bd. 3) Potsdam, 1998, S. 202.
83 Ebd., S. 202f.
84 Dick, Jutta: Issachar Bermann Halevi – Berend Lehmann, ‚Gründungsvater’ der neuzeitlichen Jüdischen Gemeinde in Dresden, in: einst & jetzt – zur Geschichte der Dresdner Synagoge und ihrer Gemeinde, Dresden 2001, S. 42–56.
85 Z.B. Lehmanns Geburtsort, (ebd. S. 42), Auflagenhöhe und Gestehungspreis des Talmud (S. 50), Brief in Archangelsk abgesandt (S. 44): In einem der von Meisl veröffentlichten Briefe (Leipzig, 6.12.1704, Meisl, Hof, S. 247) wird Archangelsk lediglich erwähnt als Ausgangsort von russischen Schiffen.
86 Z.B. Traum des Vaters (53f.), Erschießung des Bären (S. 55).
87 Mann/Cohen, Rothschilds, S. 206.
88 Bürgelt, Cathleen: Der jüdische Hoffaktor Berend Lehmann und die Finanzierung der polnischen Königskrone für August den Starken, in: medaon Ausgabe 1/2007, S. 1−17. im Internet: www.medaon.de
89 Raspe, Ruhm, S. 199.
90 Vgl. Stern, Selma: Der Hofjude im Zeitalter des Absolutismus, Tübingen 2001, S. XIII. Die Verfasserin spricht von sich selbst in der dritten Person: „Zwei Welten in gleicher Weise verbunden, der jüdischen und der deutschen, empfand sie die Spannung, die ein solches Verhältnis erzeugt, nicht als unauflöslichen inneren Konflikt. Vielmehr sah sie in diesem doppelten Erbe eine Bereicherung ihres Daseins und eine Erweiterung ihres Lebensgefühls.“
91 Poliakov spricht die Textsorte des Buches zutreffend an: „Le récit [die Erzählung] de P. Saville [...]“. Saville, Juif, S. 11.
92 Vgl. den Artikel „Vereinigte Staaten von Amerika“ in: (hg.) Schoeps, Julius H.: Neues Lexikon des Judentums, S. 832, darin insbesondere die Angaben über die Zunahme von Mischehen zwischen jüdischen und nichtjüdischen Partnern.