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3.6. Martin Heidegger

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621 Martin Heidegger um 1950

3.5.1.

Im kleinen badischen Ort Meßkirch wurde Martin Heidegger 1889 in eine kleinbürgerliche katholische Familie hineingeboren. Es war der Ortspfarrer, der die Begabung seines Ministranten erkannte und ihm ein Stipendium verschaffte, sodass er im Konradihaus in Konstanz und im erzbischöflichen Seminar in Freiburg unterkam, um dort das Gymnasium zu absolvieren. Nach dem Abitur 1909 begann er mit dem Studium der Theologie und Philosophie an der Universität in Freiburg. Kurzzeitig war Heidegger Novize bei den Jesuiten, verließ das Ordenshaus aber nach einigen Wochen wieder, blieb jedoch noch einige Zeit im Priesterseminar. Er habilitierte sich 1915 in Philosophie bei Heinrich Rickert mit einer Arbeit über Duns Scotus. Nach dem Ersten Weltkrieg brach er mit dem – wie er selbst sagte – »System des Katholizismus« und wurde 1916 Assistent von Edmund Husserl, der die Nachfolge Rickerts in Freiburg angetreten hatte. Nach einer kurzen Zeit in Marburg wurde er 1928, ein Jahr nach dem Erscheinen von Sein und Zeit, auf den Lehrstuhl Husserls in Freiburg berufen.

Ausführlich beschrieb man in der Literatur – und bei weitem nicht erst seit dem Auftauchen der Schwarzen Hefte – Heideggers prekäre Haltung in der NS-Zeit. Er sah den Aufstieg der NSDAP in den Dreißigerjahren mit Wohlwollen, trat der Partei bei und verstieg sich in seiner berühmten Antrittsrede als Rektor vom 27. Mai 1933 (Die Selbstbehauptung der Deutschen Universität) zur Bewunderung der »Herrlichkeit« und »Größe dieses Aufbruchs« zu einer Zeit, in der jüdische Kollegen bereits in die Emigration gezwungen wurden. Diesen herrlichen Aufbruch verband er mit den Worten aus Platons Politeia: »Alles Große steht im Sturm.« Vor genau dieses Dilemma stellte der Philosoph die Rezeption seines Denkens, zumal er später unumwunden einräumte, dass er seinerzeit in der Tat die Möglichkeit eines Aufbruchs gesehen hatte.

Faye 2008; Farías 1987

Heidegger 1933, 22

Heidegger 1976b, 198

Trawny 2013

Viel Staub hat die Publikation der Schwarzen Hefte 2014/15 aufgewirbelt. Eigentlich handelt es sich bei diesen Heften um ein zwischen 1931 und 1975 geführtes Denk-Tagebuch. Dessen schwarzer Einband eignete sich zur Titelgebung, verbreitete er dadurch doch bereits die Aura des Dunklen. Auf etwa 1300 Seiten finden sich eine Handvoll abstoßender antisemitischer und verschwörungstheoretisch motivierter Auslassungen. Peter Trawny, der Herausgeber und Kommentator des Konvoluts, bleibt zurückhaltend mit Rassismusvorwürfen. Er vermutet eher einen seinsgeschichtlichen Antisemitismus, also ein auf der Philosophie Heideggers basierendes Problem. Noch deutlicher verwies neuerdings Donatella Di Cesare auf die lange Geschichte eines philosophischen Antisemitismus auch jenseits Heideggers, ohne seinen Anteil daran in irgendeiner Weise zu relativieren. Zustimmen kann man auch ihrem Hinweis auf den Wandel vom Antisemitismus zum Antiamerikanismus und zum Antimodernismus bei Heidegger.

Di Cesare 2016

Blume 2014

Ott 1988

Dass die Diskussion über den Zusammenhang zwischen Heideggers Philosophie und diesem Engagement, damit auch um den Wert seiner Philosophie ganz generell, durch die Publikation dieser Schrift wieder aufflammte, ist nicht überraschend. Dass sie jedenfalls ein schlechtes Licht auf die Persönlichkeit Heidegger wirft, ist klar, die Frage des Stellenwerts der Philosophie scheint jedoch kaum neu justiert werden zu müssen. Dazu ist bereits viel geschrieben und in beide Richtungen übertrieben worden. Auch in diesem neuesten Fall gab es eine Menge von Entlastungsangriffen gegen die Kritiker, die Heidegger sogar zu einem insgeheimen Kritiker Hitlers stilisierten. Ein vernünftiges Urteil scheint in der Mitte zu liegen. Keinesfalls lässt sich Heideggers Philosophie restlos auf seine, teilweise schlicht naiven, politischen Aussagen reduzieren. Andererseits ist unübersehbar, dass Heideggers philosophischer Gestus auf das ganz Große wartet und sicherlich von totalitären Zügen nicht frei ist, und es mag einer selbst gestellten Falle gleichen, in die er tappte. Reinhard Mehring hat einen originellen Beitrag zu der von Heidegger angeregten Gesamtausgabe letzter Hand verfasst. Dieses etwas rätselhafte Projekt sei nichts weniger als ein Initiationsunternehmen zur Erzeugung wahrer Heideggerianer.

Mehring 2016

Zimmermann 2005, 37

Homolka/Heidegger 2016

Hans Dieter Zimmermann hat in einer reizvollen Gegenüberstellung das Verhältnis zwischen Martin Heidegger zu seinem Bruder Fritz beschrieben, der als begabter Fastnachtsredner nicht nur Ironie und Bodenständigkeit gegen Martins Pathos in Stellung brachte, sondern auch dem NS-System gegenüber nicht mit subtiler, aber deutlicher Kritik sparte. »Hütet euch vor diesen 100%igen!«, donnerte er von der Bütt, und es fällt schwer, diese Worte nicht auch gegen den Bruder anzuwenden. Was hier noch amüsant klingt, stellt sich bei Einsicht in den (im Marburger Literaturarchiv lagernden) Briefwechsel der beiden Brüder, der teilweise in einer schon spektakulär zu nennenden Änderung der Editionspraxis durch den Enkel Heideggers, Arnulf Heidegger, 2016 erschien, erschreckend dar. Weitaus deutlicher als in den Schwarzen Heften erscheint Heidegger hier als Anhänger Hitlers und seiner Ideen.


622 Martin Heidegger beim Wandern

Werntgen 2016, 73

Heideggers große Stunde kam, als man nach dem Krieg die Trümmer zusammenräumte und das Thema Humanismus aktuell wurde. Über den Philosophen und Germanisten Jean Beaufret, seinem Gefolgsmann in Frankreich, konnte sich Heidegger in diese große Debatte, die von französischen Existenzialisten, vor allem von Jean-Paul Sartre, ausgelöst wurde, einschalten. Darüber hinaus haben die Behandlung von Metaphysik und deren – aus seiner Sicht – höchste Aufgipfelung, der Technik, Heidegger zu einem der bedeutendsten (und eben auch umstrittensten) philosophischen Köpfe des 20. Jh.s werden lassen. Heidegger, der sich am liebsten in die von seiner Frau Elfride organisierte schlichte Holzhütte am Todtnauberg zurückzog und dort den Großteil seines riesigen OEuvres verfasste, war bis vor kurzem auch eine Kultfigur. Das Fotomotiv der kleinwüchsigen Gestalt, die mit Kniehose und Rucksack gebeugt über den Feldweg wandert, passt zu dem mit agrarischen Metaphern befrachteten Werk, dem man insgesamt eine positive Haltung zur Moderne nicht unbedingt zusprechen kann. Aber auch die »Pilgerberichte von der Todtnauberger Hütte«, sein »gezielte[r] Auftritt in sportiver Skimontur in der mondänen Hotel-Lobby« anlässlich der öffentlichen Diskussion mit Ernst Cassirer 1929 in Davos, lasse Heidegger geradezu als Performance-Künstler erscheinen. Dies zu beachten ist zum Verständnis seines durchaus wichtigen Beitrags zur Kunstphilosophie, der sich erst aus Heideggers größerem philosophischem Anliegen erschließt, nicht unwichtig.

Kunstphilosophie und Ästhetik

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