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3.6.1. Fundamentalontologie

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Martin Heideggers Wurzeln liegen in der Transzendentalphilosophie, dem Neukantianismus und vor allem in der Phänomenologie. An Edmund Husserl fesselte ihn der Durchbruch zu den Sachen selbst. Allerdings war ihm Husserl zu wenig radikal. Nach Heidegger muss die Intentionalität – anders als bei Husserl – den Rahmen des Bewusstseins sprengen, soll Husserls Devise des »Zu den Sachen selbst« tatsächlich eingelöst werden. Husserls späte Wende zum transzendentalen Bewusstsein macht hingegen deutlich, dass er sich nicht mehr aus dem Cartesianismus lösen konnte oder besser: wollte. Es geht dabei um jene lange Metaphysiktradition, die aus der Sicht Heideggers das Sein als Anwesenheit denkt und ihm ein Subjekt gegenüberstellt. Dies wurde für Heidegger der zentrale Ansatzpunkt seiner gesamten philosophischen Bemühungen. Verobjektivierung und Trennung von Subjekt und Objekt bestimmten aus seiner Sicht die gesamte bisherige Ideengeschichte. Nun ging es darum, diese Sicht zu überwinden, aber dafür gab es bislang – so seine Diagnose – keine denkerischen Instrumente.

die Frage nach dem Sein

Demnach sah sich Heidegger vor die Aufgabe gestellt, die Frage nach dem Sein noch einmal neu zu stellen. Das war in einer Zeit, welche die Wende Kants zur Subjektphilosophie in allen Formen durchdeklinierte, durchaus anstößig. Um eine klare (und eine gegenständliche Antwort einfordernde) Frage nach einem »etwas« zu umgehen, formuliert er sie als Frage nach dem »Sinn von Sein«, also als Frage nach dem Sinn des Vorverständnisses für das Sein eines jeden Seienden. Er tat dies zunächst ausgehend vom Menschen – in seiner Diktion: dem Dasein. Der Mensch ist das ausgezeichnete Wesen, dem es um das eigene Sein geht. Daher darf der Mensch (das Dasein) nicht ausgeschaltet werden. Das Wesen des Daseins (= Menschsein) bedeutet keine zum Substantiv gewordene Essenz des Menschen, sondern sein An-wesen. Es ist hier ebensowenig ein Psychologismus gemeint wie eine Heidegger oft unterstellte anthropologische und existenzialistische Verkürzung. Auch von einer Transzendentalphilosophie rückte er bereits von Anfang an ab. Vielmehr setzte er in dem, was er Fundamentalontologie nannte, auf eine »richtig verstandene« phänomenologische Intentionalität. Das Sein sei deswegen noch nie in seiner vollen Dimension bedacht worden, weil die abendländische Philosophie es immer – unter Ausschluss jeder Zeitlichkeit – präsenzmetaphysisch zu fassen und zu beschreiben versuchte, es objektivierend zum Seienden gemacht und damit als Gegenstand des Bewusstseins verstanden habe. Die Temporalität des Seins (Sein und Zeit!) wurde dabei verdrängt. Heidegger konstruierte daraus den Vorwurf an die bisherige Philosophie, sie habe stets etwas ans Licht gezerrt, in den Begriff gezwängt und zu beherrschen versucht, was prinzipiell im Verborgenen bleibt: das Sein.

ontologische Differenz

z.B. Heidegger 1955, 409f

Boehm 1969, 121

Heidegger nannte das die ontologische Differenz bzw. die Seinsvergessenheit, welche die gesamte abendländische Metaphysik auszeichnet. Diese habe Erzählungen hervorgebracht, in denen nicht etwa das Sein vergessen wurde, sondern dessen wesenhafte Verborgenheit, die Wahrheit des Seins als Ereignis. Die Metaphysik habe demgegenüber Sein stets zum Seienden gemacht und es – allenfalls als Resultat zeitlicher Anläufe – aus dem zeitlichen Wandel herausgehoben. Aber Sein lässt sich nicht aus der erfahrbaren Welt des Seienden nachträglich ableiten (jedoch ist der Mensch – wie wir gleich hören werden – ursprünglich mit dem Sein vertraut). »Dasein ist so bei der Welt, daß es sie schon immer hat […].«

Heidegger 1927b, 31

Das Sein ist dem Seienden gegenüber ein »Nichts« und Heidegger konnte die alte Frage von Leibniz und Schelling pointiert neu stellen: Warum ist so viel Seiendes und nicht viel mehr Nichts? Heißt also eigentlich: Warum hat man das Sein nicht sein gelassen. Nach so grundlegender In-Frage-Stellung der Begrifflichkeit der traditionellen Metaphysik kann nicht verwundern, dass es nach Heidegger einen »Abbau der überkommenen […] Begriffe auf die Quellen, aus denen sie geschöpft sind«, braucht. Dies nannte Heidegger »Destruktion«. An die Stelle einer Bewusstseinsversicherung tritt ein Denk-Weg, ein »gehender Weg«, und die Ontologie wird zu einem Unternehmen, das Strukturen des Seins im Licht der Zeitlichkeit enthüllt.

Heidegger 1927a, 86

Zeug

Leidlmair 1991, 57

Dasein, also der Mensch, ist wesenhaft In-der-Welt-sein. Auch diese Welt ist in seinem Verständnis nicht einfach eine Summe statischer Seiender, sondern ein ereignishafter Bezug, ein »Worin des sichverweisenden Verstehens […].« Der Mensch ist nicht in der Welt wie »Gegenstände in einer Lade«, sondern er ist mit der Welt immer schon vertraut, er »wohnt bei«. Wie dies zu verstehen ist, demonstriert Heidegger durch das, was er Zeug nannte. Zum Unterschied vom vorhandenen Ding verweist das zuhandene Zeug immer auf anderes, auf ein Wozu seines Verwendens, auf das Woher des Materials. Mit dieser Aufdeckung der Seinsart des Zeugs, Gegenstände, mit denen das alltägliche Besorgen zu tun hat, zielte Heidegger auf die Weltlichkeit von Welt, die gekennzeichnet ist von gegenseitigen Verweisungszusammenhängen. Wenn im Terminus Besorgen jener der Sorge eingeführt wird, sei angesichts dieser anthropologisch klingenden Terminologie nochmals daran erinnert, dass wir uns hier streng auf ontologischer (und nicht bloß psychologischer) Ebene bewegen. Sorge meint die »Gesamtstruktur menschlichen Seins und nicht etwa nur den Menschen unter ökonomisch-praktischem Gesichtspunkt.« Sorge und Zeug dienen dazu, das Phänomen des In-der-Welt-seins zu erläutern.

Safranski 1997, 178

Leidlmair 1991, 92 Schmidinger 1985, 202f

Leidlmair 1991, 98 Heidegger 1927a, 15

Bast 1986, 118

Der Sinn von Sein ist – so könnte man sagen – die Welt. Sinn von Sein ist aber auch die Zeitlichkeit. Auch diese ist keineswegs im Sinne einer präsenzmetaphysischen Deutung ein »Füllhorn von Gaben, sie gibt uns keinen Gehalt und keine Orientierung.« Sein vollzieht sich nicht in der Zeit wie Gegenstände unserer Umwelt, es gibt auch keine Seinsgeschichte im Sinne der Hegelschen Dialektik, sondern das »Sein ist selbst seine eigene Zeitigung.« Die Seinsfrage stützt sich mittels des Menschen, dem es um das Sein geht, auf ein vorthematisches Seinsverständnis, das mit dem Dasein immer schon mitgegeben ist. Sein »ist« (das ist nicht das gleiche »ist«, mit dem man nach einem Ding in der Welt fragt) kein Vorstellen, sondern ursprüngliche Unverborgenheit. Dem Menschen ist das Sein ursprünglich vertraut. Die geläufige Frage, wie der Mensch zu den Dingen und zur Welt kommt, ist stets sekundär. Dass der Mensch In-der-Welt-sein ist, bedeutet ja, dass die Welt in gewissem Maße erschlossen ist und nicht verschlossen, sodass hinterher Brücken geschlagen werden müssten. Sein und Mensch sind immer schon »aufeinander verwiesen, bevor der Mensch überhaupt nach diesem Bezug fragen kann.« In Sein und Zeit spricht Heidegger vom »vorontologischen Seinsverständnis«. In der Tat könnte man in gewissem Sinn von einer »Radikalisierung der ›Kopernikanischen Wende‹ Kants sprechen«.

Schmidinger 1985

Nochmals sei der große Horizont in Erinnerung gerufen, nach dem Heidegger aufschließen zu können meinte, dass das bisherige Philosophieren aufgrund seines bewusstseinstheoretischen Charakters nicht bis zum ursprünglichen Sein vorstoßen konnte. In seinen Beiträgen zur Philosophie (Vom Ereignis) von 1936 bedient er sich der schönen Metapher von den unbestiegenen und unbesteigbaren Bergen der großen Metaphysiken, denen er aber mit größter Ehrfurcht begegne. Man könnte seine Metapher weiterführen: Der Mensch braucht sich der Mühe der Bergbesteigung gar nicht zu unterziehen, weil er erstens daran doch scheitern würde (Bergbesteigung steht ja für die Mühe der bisherigen Metaphysik), aber zweitens ohnehin bereits in der Lichtung der Wahrheit steht, die er am Gipfel des Berges zu finden hofft. Sein ist dem Menschen in einer Form von Unvordenklichkeit erschlossen. Wie diese Wahrheit offenbar und ausdrücklich wird, erfährt man freilich erst in den späteren Werken und dabei spielt die Kunst (in ähnlicher Weise auch die Technik) eine Schlüsselrolle.

Adorno 1964

Um im Philosophieren jeder Dinglichkeit und Gegenständlichkeit auszuweichen, wird eine neue Sprache benötigt, die nicht mehr präsentisch, sondern temporal ist. Heidegger trieb Philosophie der Sprache im besten Sinn, indem er in den Abgründen sprachlicher Ausdrücke grub, um auf Bedeutungen zu stoßen, die den Ereignischarakter des Seins auszudrücken vermögen. Das hat viele irritiert und Heidegger massive Kritik eingebracht, von Seiten positivistischer und sprachphilosophischer Positionen ohnehin, aber auch Theodor Adorno hat eine böse Breitseite gegen Heidegger abgefeuert und seinem Sprachgestus gar Täuschung unterstellt.

Heidegger 1927a, 25

Heideggers Wahrheitsverständnis bedeutet einen Bruch mit den alten Wahrheitstheorien der Übereinstimmung von Subjekt und Objekt und mit den Bewusstseinstheorien. Das Ich steht nicht mehr einem Objekt gegenüber, sondern weist als Da des Seins über sich selbst hinaus auf alles andere Seiende. Deshalb nannte Heidegger auch die Dialektik, die ein System auf der Grundlage einer philosophischen Fehlinterpretation des Menschen herstellt, eine »echte philosophische Verlegenheit.« Weil die klassische Metaphysik nicht den Unterschied von Sein und Seiendem denkt, kann sie auch nicht erkennen, dass der Mensch nur aus jenem »Wesen west«, in dem er vom Sein angesprochen wird.

Kunstphilosophie und Ästhetik

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