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Das Geheimnis der Resonanz
ОглавлениеWirklich überraschend ist das nicht. Wir Menschen beeinflussen uns im Alltag ständig, und das mehr oder weniger bewusst. Wir reagieren unweigerlich darauf, wie unsere Umgebung sich verhält. Das beginnt bei körperlichen Reaktionen: Wenn im Konzertsaal einer anfängt zu husten, setzt sich das bald in einer Hustenarie in allen Saalecken fort. Gähnt Ihr Gegenüber in der Bahn mehrfach, müssen Sie wahrscheinlich auch gähnen. Aber auch Emotionen sind ansteckend, wie ich Anfang 2017 am eigenen Leib erfuhr:
Auf einem Businessflug wurden die Flugbegleiter plötzlich nervös. Ein Steward blätterte hektisch in einem Handbuch, seiner Kollegin strömten bereits die Tränen übers Gesicht, Unruhe machte sich breit. Dann wurden wir vom Kapitän informiert, möglicherweise ließe sich das Fahrwerk nicht ausfahren und wir müssten eine Notlandung durchführen. Der Passagier neben mir drohte zu hyperventilieren. Doch bevor allgemeine Panik ausbrechen konnte, ergriff die Chefstewardess das Mikro und erklärte mit ruhiger Stimme und im schönsten Schwäbisch: »Dees kommt immer mal vor.« Bei diesem Flugzeugtyp würden gelegentlich Fahrwerksprobleme angezeigt, obwohl das Fahrwerk funktioniere. Wie zuvor die Panik der jüngeren Kollegen wirkte jetzt auch die Ruhe der Chefstewardess ansteckend. Weniger, was sie sagte, sondern eher, wie sie es sagte, weckte die Zuversicht, dass es vielleicht doch nicht so schlimm kommen würde. In der Tat verlief die Landung dann reibungslos, und das vorausgegangene Wechselbad heftiger Gefühle hatte eindrucksvoll gezeigt, wie stark Menschen aufeinander reagieren.
Diese gegenseitige Einflussnahme, die auch ganz ohne Worte entstehen kann (nervös waren wir schon vor der Durchsage, einfach durch Beobachtung des Kabinenpersonals), bezeichne ich als »Resonanz« (vgl. Abbildung 2). Dafür gibt es eine neurobiologische Ursache: die Spiegelneuronen (siehe Exkurs). Sie befähigen uns zur Empathie, zur Wahrnehmung, wie es um den anderen bestellt ist, und zur angemessenen Reaktion darauf. Diese Reaktion keimt in uns selbst auf und ist weit mächtiger als jede Anweisung von außen. »Hab Mitleid!« zu fordern ist beispielsweise ähnlich absurd wie die Aufforderung, spontan zu sein. Entweder man fühlt Mitleid – oder man fühlt es nicht.
Abb. 2: Resonanz funktioniert positiv wie negativ.
Dass Einflussnahme anders funktioniert, als wir gemeinhin annehmen, betont auch der US-Psychologe Robert Cialdini. Seit seinem viel beachteten Buch über »Die Psychologie des Überzeugens« Ende der Neunzigerjahre gilt Cialdini als der Experte für Beeinflussung. Heute vertritt er die Auffassung, dass die eigentliche Einflussnahme häufig schon beginnt, bevor wir unser Anliegen überhaupt formulieren, und bezeichnet dies in Abwandlung des englischen »Persuasion« mit dem Kunstwort »Pre-Suasion«.
Ein besonders eindrückliches Beispiel Cialdinis handelt von einem extrem erfolgreichen Verkäufer von Brandschutzanlagen für Privathäuser. Jim macht nicht nur etwas mehr Umsatz, sondern ist all seinen Kollegen um Längen voraus. Cialdini begleitete den Ausnahmeverkäufer und beobachtete, dass Jim zu Beginn jedes Gesprächs einen einfachen Trick anwandte: Als Erstes sollten die Kunden (meist Ehepaare) einen Fragebogen zu ihrer Immobilie ausfüllen. Während sie damit begannen, schlug Jim sich an die Stirn: »Oh, ich habe wirklich wichtige Infos im Auto gelassen.« Ob es okay sei, wenn er kurz rausgehe und sie hole? Er wolle den Test nicht unterbrechen. Fast alle Kunden stimmten zu, viele gaben ihm sogar ihren Hausschlüssel, damit er wieder hereinkam. Auf die Frage Cialdinis, warum er so vorging, antwortete Jim: »Wen lässt du ohne Aufsicht in deinem Haus ein- und ausgehen?« und: »Ich möchte in den Köpfen der Familienmitglieder mit ›Vertrauen‹ verbunden werden.« 5