Читать книгу Wir sind die Bunten. Erlebnisse auf dem Festival-Mediaval - Бернхард Хеннен - Страница 9

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Eine besondere Genehmigung

Menschen erinnern sich. Viel besser, als ich es ihnen zugetraut hätte. Fremd ist das alles und vertraut zur gleichen Zeit – wie die Musik aus den riesigen Lautsprechern ihr Echo zwischen den Bäumen schlägt. Dudelsack, Laute und Flöte, von elektrischen Mischpulten zurechtgebogen. Der erste Soundcheck. Anfangs zuckt mein Auge noch, als mich die Klänge überrollen. Was diese Menschen der Musik antun, wirkt falsch. Doch je länger ich sie höre, irgendwie auch vertraut.

Das kleine Männlein, das mit mir Schritt zu halten versucht, hat die Arme ineinander verschränkt. Mit der Abenddämmerung schlägt Kälte über dem Goldberg nieder. Die Sommersonne verliert Anfang September hier zunehmend an Kraft. Es duftet nach Herbst und Vergänglichkeit, dem die Menschen mit Räucherwerk und Feuerholz trotzen. Sie halten fest an Zeiten und Epochen, die die meisten anderen Bewohner dieses Landes längst losgelassen haben.

Gerade deshalb bin ich so skeptisch. Es ist mein erster Besuch, doch ich weiß genau, worauf ich achten muss. Die Anweisungen waren eindeutig. Wahrscheinlich ist mein Begleiter deshalb so nervös. Er hat vergessen, sich eine Jacke mitzunehmen und schlottert nun in seinem kurzen Festival-T-Shirt. Das Walkie-Talkie das sämtliche der Verantwortlichen hier herumtragen, hat er ausgeschaltet. Besser wäre es für ihn, wenn dieses Prozedere nicht gestört wird.

Vom Marktbereich riecht es so verführerisch nach den ersten Leckereien, dass ich mich kurzerhand entscheide, vom langen Weg zur Hauptbühne nach rechts abzubiegen. »Wir fangen hier an!«, verkünde ich meiner Begleitung. Und eigentlich ist klar – wenn es etwas zu finden gibt, dann hier. Die meisten Händler haben ihre Stände bereits aufgebaut. Morgen ist Einlass.

Mein Appetit steuert mich zielsicher zum ersten Essensstand. Die ersten Vanillekrapfen werden Probe gebacken. Das Fett zischt und es duftet herrlich. Kein Wunder! Zwischen Efeudekoration und allerlei Laternen erkenne ich eine kleine Matronenstatue, die neben der Kasse drapiert ist, ein altes Götterbild aus moderner Fertigung. Ohne ein Wort mache ich halt, blicke erwartungsvoll zu meinem Begleiter, der zum Glück auf Anhieb versteht. Ich hätte es ihm nicht noch einmal erklärt. Sofort wendet er sich an die Krapfen-Bäckerin: »Wir brauchen hier eine kleine Probeportion!«

»Aber gerne doch!«, antwortet die ältere Dame vergnügt und hebt mit einer Schaumkelle das Zuckergebäck in eine kleine Tonschale. Sie trägt bereits ihre Gewandung und hat sich ein paar Wiesenblumen in die Haare gesteckt. »Darf es für die Dame ein wenig Zimt-Zucker sein? Oder lieber eine feine Soße aus heimischen Früchten?«

»Mit Soße!«, entscheide ich mich diesmal selbst und nehme kurz darauf das dampfende Gebäck entgegen. Als ich hineinbeiße, vergesse ich fast, meine Begeisterung zurückzuhalten. Mir wurde nicht zu viel versprochen. Das Menschlein neben mir zeigt einen Anflug von Euphorie, bis ich meine Mimik wieder in den Griff bekomme. Eindeutig – ein fast perfektes Gebäck. Der Göttersegen verleiht ihm eine unverkennbare Geschmacksnote. Ich hätte wenig anderes erwartet. Jetzt kommt es drauf an.

Nachdem ich mir einen zweiten Krapfen in den Mund geschoben habe, nähere ich mich der Theke, um einen genauen Blick auf die Matronenstatue zu werfen. Drei kleine Frauenfiguren mit antikem Kopfputz wurden aus einem weißlichen Material herausgearbeitet, wahrscheinlich Kunststein. Ich hätte mir etwas Würdevolleres gewünscht. Doch diese Zeit hat nun einmal ihre Eigenarten. »Wo ist das Opfer?«, frage ich die Bäckerin unverblümt und nicke in Richtung der Göttinnenbilder. Ihre Irritation lässt mich beinahe ungehalten werden.

»Welches Opfer?«, hakt sie verdutzt nach und ich bemühe mich, ihr ganz langsam zu erklären: »Ihr backt mit dem Segen dieser Göttinnen? Wo ist ihr Dankopfer?« Ein Herzschlag vergeht, dann noch einer. Endlich realisiert die Dame, dass meine Frage eindeutig ernst gemeint ist. Wahrscheinlich ist es die zunehmende Nervosität meines Orga-Männleins, dass sie fast hektisch nun einen Krapfen frittiert, das Fett abtropft, fein mit Zimt-Zucker anrichtet, nur, um ihn der Statue vor die gemeißelten Füßchen zu bröseln. Vor den kaum fünfzehn Zentimeter großen gallo-römischen Göttinnen liegt nun ein unordentlicher Haufen aus Krapfenresten, deren Krümel teilweise über die Thekenkante rollen. Sie scheint selbst von ihrem Ergebnis nicht besonders begeistert und pflückt kurzerhand eine der Blüten aus ihren Haaren, um sie auf dem Gebäckopfer anzurichten. Ich ziehe kritisch eine Augenbraue in die Höhe und schiebe mir noch einen Krapfen in den Mund. Besser als nichts. Ich ignoriere den verständnislosen Blick meines Begleiters, als ich mein Klemmbrett zücke, mir einzelne Notizen mache und letztlich hinter den ersten Punkt einen Haken setze.

»Ein Klemmbrett?«, platzt es aus ihm heraus und scheint ihm im nächsten Moment bereits leidzutun. Mein Blick sprüht Gift. »Warum auch nicht?«, zische ich. »Glaubst du, die Zeit ist stehengeblieben, wo ich herkomme?«

Ja, das glaubt er wohl. Vermutlich hofft er es sogar. Denn in seinem Blick macht sich ein wenig Enttäuschung breit. Mir wurde angeraten, die Träume dieser Menschen nicht zu sehr zu entzaubern. Ihre Sehnsucht und Vorstellung von all dem, was ich Alltag nenne, sind die besten Gründe, warum sie all das hier noch nicht losgelassen haben. Darum bemühe ich mich um einen versöhnlichen Ton und füge meinen Worten hinzu: »Ein paar kleine Neuerungen wurden irgendwann notwendig. Es sind nicht viele, sorge dich nicht. Sie lassen sich nicht besonders einfach durchsetzen. Ich hätte mir auch nie träumen lassen, einmal für Aufgaben wie diese hier eingesetzt zu werden.« Meine Hand umfasst mit einer Geste das Festivalgelände. Tatsächlich wagt meine Begleitung dadurch einen Anflug von Neugierde: »War es … eine Bestrafung, dass Ihr hier seid, oder …?«

»Keinesfalls,« lache ich. »Ich habe darum gebeten! Mal etwas Abwechslung hörte sich gut an. Mit den Jahrhunderten werden die Tage auch in den prunkvollsten Hallen lang.«

Ob ihn die Erklärung enttäuscht, weiß ich nicht. Ich belasse es bei einem dankenden Nicken an die Bäckerin, verspeise das letzte Vanillegebäck und hole tief Luft. Dann soll es also beginnen.

Bevor ich nach Selb aufgebrochen bin, hat man mir eine sehr lange Liste mit zu prüfenden Details eingetrichtert. Ich habe das im ersten Augenblick für übertrieben gehalten, verstehe beim Anblick dieses Geländes nun aber ihre Notwenigkeit. Ein wenig scheint die Zeit hier stehengeblieben. Zu welcher Epoche genau, darüber ist Einigkeit gar nicht nötig. Stattdessen schwelgt jeder für sich in den Andenken und Erinnerungen an das Zeitalter der Menschheit, das am besten den Klang der eigenen Seele trifft. Nordische Anhänger werden neben arabisch anmutender Gewandung verkauft. Ich sehe Seefahrer im Stil der britischen Rotröcke neben keltischen Damen und hochmittelalterlichen Adeligen stehen. Gemeinsam mit Geschöpfen aus Fantasie und Mythen, die sich als Bild oder Figur im Sortiment vieler Händler finden, verwandelt sich all das in eine fließende Huldigung an die Vergangenheit, die viel näher scheint als die Gegenwart.

Wieder fegt ein kurzes Stück Musik wie eine Sturmböe über den Platz. Ich bedauere es fast ein wenig, dass es schnell abgebrochen wird, um die Technik nachzujustieren. Hoffentlich hat der Kerl vom Bühnenteam, den man mir vorgestellt hat, alle meine Anweisungen auch wirklich verstanden. Ich werde mir das zum Schluss ansehen. Ein bisschen komme ich nun selbst in Fahrt, freue mich über die Harfe, die hinten hinter den Bäumen angespielt wird. Vielleicht lasse ich mich etwas zu sehr von der guten Laune beflügeln. Den armen Verkäufer am nordischen Schmuckstand hätte ich auch nach der dritten Nachfrage in Ruhe lassen können. Stoisch wie ein Schüler bei der Klassenarbeit erklärt er mir Anhänger für Anhänger die mythische Bedeutung der Symbole. »… das ist ein mögliches Abbild Odins, die sogenannte Aarhus Moesgaard Maske … eine Walkürendarstellung aus Schweden … dieser Anhänger ist dem Muster der Mammenaxt aus der Zeit um 950 n.Chr. nachempfunden …«

Ich habe nichts zu beanstanden, auch er bekommt eine Notiz mit einem Haken. Der junge Mann aus der Orga beginnt sich neben mir allmählich zu entspannen. Fast scheint es ihm peinlich, als ich einen der Fotografen, der erste Impressionen vom bunten Treiben einfängt, sehr ausführlich zu seiner Kamera befrage und mir das Gerät vorführen lasse. Zu meiner Erleichterung liegen die Menschen damit richtig, dass der Vorgang des Fotografierens für die Seelen der Abgelichteten keinerlei Gefahr darstellt. Ich kann beim besten Willen keinen gebundenen Geist in oder um das Gerät herumschwirren sehen. Als der Fotograf mir zum Schluss versichert, es sei auch kein Kobold in der Kamera gefangen, lachen wir beide. Als ob er so ein launisches Biest eine halbe Woche lang in einem kleinen Kasten einsperren könnte!

Erstaunlicherweise macht sogar die Wahrsagerin ihre Sache nicht schlecht. Ich habe mich für Handlesen statt Kartenlegen entschieden, und sie grübelt eine ganze Weile über die feinen Linien in meiner Haut. Immer wieder fängt sie dabei meinen Blick, sieht hinunter zur Hand, als könne sie in meinen Augen mehr lesen als am eigentlichen Ort der Vorhersehung. »Ihr habt mehr als ein Leben gelebt, werte Dame …«, beginnt sie zögerlich und scheint ihren eigenen Worten nicht recht trauen zu wollen. »Hier ist … eine Entscheidung … eine Auswahl. Ihr seid von einer mächtigen Person erwählt worden, euer altes Dasein aufzugeben. Ich habe noch nie … einen so heftigen Bruch … in einer Schicksalslinie gesehen.«

»Das genügt mir.« Ich ziehe ihr die Hand weg und mache stattdessen eine neue Anmerkung auf meinem Klemmbrett. Der junge Mann von der Orga atmet auf, nachdem ich ihm verkündet habe: »Wir sind hier gleich fertig. Ich will noch einen schnellen Blick in die Lager werfen, dann können wir zur Bühne gehen.«

Halb gebückt schälen wir uns aus dem kleinen Zelt der Wahrsagerin zurück ins Zwielicht des Abends. Der Junge ist für seine Verhältnisse richtig ins Reden gekommen, während er mir die einzelnen Lagergruppen aufzählt. Fast wäre er mir vorausgeeilt, als ich im Augenwinkel einen letzten Blick auf einen Gewandungsstand erhasche – und plötzlich stutze. Eigentlich hatte ich das Sortiment schon als uninteressant abgehakt. Der Verkäufer bietet vorrangig Stangenware feil, Grundausstattung, die sich Neulinge auf dem Festival gern als erstes Gewand für kleines Geld zulegen. Was er nun offensichtlich eben erst einer Kiste entnommen hat und auf einem Kleiderständer drapiert, passt so gar nicht in die banale Sammlung aus Untergewändern und Walkwollmänteln. Meine Begleitung erstarrt jäh, als er mich auf den Stand zuschreiten sieht und ich den Verkäufer direkt angehe: »Woher habt Ihr das?«

Im ersten Moment scheint der Mann sich gar nicht angesprochen zu fühlen, sondern hebt das kostbare Kleidungsstück weiter ungerührt über den Ständer. Ich will beim Näherkommen meinen Augen kaum trauen. Was der Verkäufer dort ausstellt, muss für einen Außenstehenden wie ein sonderbarer Mantel wirken. Er hat ein dunkles Lederinnenfutter und einen einfachen, viereckigen Schnitt. Eine feine Spange hält ihn am Hals zusammen. Bemerkenswert ist erst das Material, aus dem sein Äußeres gefertigt wurde. Der Mantel ist über und über mit hellen Federn bedeckt. Viele von ihnen sind erstaunlich schmutzig und wirken in die Jahre gekommen. Es scheint nichts zu sein, was ohne weiteres zum Verkauf steht.

»He da!«, werde ich nun unfreundlicher. »Was glaubt Ihr, was Ihr da habt? Woher habt Ihr diesen Mantel?«

Endlich wird der Kerl auf mich aufmerksam. Wenig beeindruckt von meinem Auftreten streicht er eine Falte glatt und empfängt mich mit den Worten: »Jetzt mal nicht so aufdringlich! Ich weiß selbst, was das für ein Schmuckstück ist. Das ist nur ein Ausstellungsstück!«

»Und wo kommt es her?« Kann es echt sein? Die Federn, das Leder, es wirkt gebraucht und vielfach getragen. Kritisch prüfe ich es auf Nähte – war es mit der Maschine genäht? Schwer zu sagen. Meine Begleitung beschwichtigt währenddessen den Verkäufer, der sich nicht mit der Auskunft zufriedengibt, ich hätte die Berechtigung, all dies hier zu prüfen.

»Jetzt hören Sie mal,« wendet er sich wieder an mich. »Das ist ein Erbstück. Fragen Sie mich nicht, wie alt das ist. Wir haben dafür keine geschützten Tiere getötet oder irgendwas dergleichen. Das sind ganz normale, und ich betone noch mal, ziemlich alte Schwanenfedern. Ich benutze das nur als Deko. Das wird nicht verkauft. Was genau gibt es für ein Problem damit?«

Ich ignoriere seine Frage. »Also wird es nie getragen?«

»Meine Frau wollte es für eine Zeremonie oder sowas mal anziehen. Damit lässt sich ein fabelhafter Schamane darstellen. Was genau ist Ihr Problem?«

Dass du nicht weißt, was du vor dir hast, antworte ich ihm in Gedanken. Offensichtlich hat er keine Ahnung, welche Macht dieses Gewand freisetzen kann – sofern es denn echt ist. Wie ich ebendies belegen soll, ist mir jedoch schleierhaft. Es ist bisher niemals nötig gewesen. Keine Trägerin lässt ihr Schwanengewand unbeaufsichtigt. Ich muss herausfinden, was mit seiner rechtmäßigen Besitzerin geschehen ist. Sofern ich recht behalte, handelt es sich nicht um diese Art Kleidungsstück, die man seinen Enkeln einfach vererbt.

Ich muss nachdenken. Diskretion ist mein oberstes Gebot, ich soll nicht zu sehr auffallen – bei aller Sorgfalt. Ein wenig Zeit ist nötig, damit ich mir Gedanken machen kann, wie ich die Echtheit dieses Kleidungsstücks nachweisen soll. Doch wer hat diesen fast knöchellangen, unpraktischen Mantel so weit abgenutzt, dass er wie viele Jahrzehnte getragen wirkt?

Da ich hier nicht weiterkomme, winke ich meine Begleitung zur Bühne – der letzte Punkt auf meiner Liste. Der Bühnentechniker, mit dem ich anfangs gesprochen habe, sieht uns bereits kommen. Er winkt mit den Notizen, die ich ihm dagelassen habe und hebt demonstrativ einen Teil der Bühnenabdeckung. Seinem Gesicht ist immer noch anzusehen, wie zwiespältig er meine Anweisungen befolgt hat. Unter der Bühne, auf der Rückseite des eigentlichen Bodens, prangt in rotem Lack ein Schriftzug. Schon von weitem fühle ich das leichte Pulsieren, das von ihnen ausgeht. Für sein erstes Mal Runenzeichnen hat der junge Mann sich gut angestellt. Ihm ist kein Fehler unterlaufen, die Wirkung vorhanden. Das Gras unter dem Schriftzug riecht nach einer größeren Menge vergossenem Met. »Für die Götter!«, meint der Techniker dazu und deutet auf die Stelle, wo der Honigwein im Gras versickert ist, wie angegeben. »Auf der anderen Seite der Bühne habe ich das Gleiche gemacht.«

Er zeigt uns ebendiese Stelle. Wieder ein Haken. Auch für die Ritualkreise, die um den Bühnenbereich gezogen sind, Trankopfer vor den Getränkeständen, Trankopfer in den Lagern. Eigentlich habe ich es nicht für möglich gehalten, als ich meine Reise zu den Menschen antrat. All das scheint unendlich fern, verblassende Erinnerungen aus der Vergangenheit. Ich sehe plötzlich mein eigenes Haus vor mir, die Schnitzerei auf dem Dachsims, dünne Rauchfäden, die aus einer Räucherschale aufsteigen. Was ich hier vorfinde, ist anders, ist so viel lückiger, von Vergessen gezeichnet. Und doch bleibt ein Gefühl der Vertrautheit, das Wehmut in mir weckt. Diese Menschen haben nicht zu viel versprochen. »Gut!«, beende ich meine Liste und sehe in das verdutzte Gesicht meiner Begleitung. Warum verdutzt? Wundert er sich gerade, dass ich lächele?

Gemeinsam treten wir den Rückweg zum VIP-Zelt an, wo wir bereits von einer kleinen Gruppe aus anderen Mitgliedern des Organisationsteams erwartet werden. Gespannt umringen sie ein kleines Fass, das gleich einem Altar in ihrer Mitte auf dem Boden steht. Sie öffnen für uns den Kreis und atmen auf, als ich ihnen verkünde: »Grundsätzlich erhaltet ihr, wie angefordert, auch von uns die offizielle Genehmigung. Diese Veranstaltung wird stattfinden – mit dem Segen der Götter.«

Doch das ist noch nicht alles. »Hinsichtlich eurer gesonderten Anfrage …« Alle Blicke richten sich auf das Fass. »… Ich hätte es nicht mitgebracht, wenn es nicht möglich wäre, es euch zu überlassen. Meine Auflagen wären, dass ausschließlich die Künstler in den Genuss dieses Mets kommen. Es obliegt euch, wie ihr ihn gerecht aufteilt. Für ein Gelage wird er nicht reichen, wenn jeder etwas abbekommen soll. Aber seid versichert, seine Wirkung entfaltet er schon in kleiner Menge. Ich verbiete ausdrücklich, dass etwas davon zurückbehalten wird. Und glaubt nicht, ich würde es nicht erfahren! Worum es sich hier handelt, darüber bewahrt ihr absolutes Stillschweigen. Niemand außer den in dieser Gruppe anwesenden Personen weiß davon Bescheid, und so soll es bleiben. Wenn wir noch mehr Anfragen dieser Art bekommen, werden die Bestände knapp … Alles in allem …«

Ich hole tief Luft: »… erhaltet ihr durch mich Odins Segen, den Skaldenmet der Asen, den der Göttervater einst selbst nach Asgard brachte, um ihn an eure Künstler auszuschenken. Er soll ihre Stimme wohlklingend, ihre Lieder und Geschichten ergreifend und diese Veranstaltung unvergesslich machen!«

Meine letzten Worte verlieren sich in einem freudigen Geklatsche und Gejohle. Sämtliche Blicke der Umstehenden sind plötzlich auf uns gerichtet. »Bitte, Diskretion!«, zische ich und bringe die Freudenrufe damit jäh zum Verstummen. Ich löse mich aus der Runde und hole aus meiner Gürteltasche eine kleine, bronzene Medaille. Es ist das Abbild eines Wal-Knotens, eines dreifach in sich geflochtenen Knotens, unscheinbar, äußerlich kaum von der Ware der Händler zu unterscheiden. Mit einem Nagel und einem Hammer treibe ich ihn in einen der Balken am Eingang des VIP-Zeltes und murmele darüber einen Segensspruch. Nun ist es offiziell. Beziehungsweise – offizieller wird es nicht. Die Headorga hat mich am Anfang doch tatsächlich gefragt, ob ich ihnen – wenn ich schon eine Genehmigung ausspreche – etwas Schriftliches ausstellen könne. Kaum vorzustellen! Ein Zertifikat über Göttersegen! Nein, bei allen neumodischen Sitten, solche Verfahrensweisen würden hoffentlich niemals Brauch werden.

»Eines noch,« wende ich mich an den Kopf des Organisationsteams. Mir ist mittlerweile ein Gedanke gekommen. »Ich habe bei meiner Prüfung einen vermutlich gefährlichen Gegenstand festgestellt. Ich werde überprüfen, ob er wirklich echt ist. In diesem Fall werde ich ihn konfiszieren.«

Die Headorga wirkt nur verhalten begeistert. »Tatsächlich? Um welche Art Gegenstand handelt sich denn?«

»Einen Schwanenmantel.«

Er zieht die Augenbrauen in die Höhe. »Und das heißt?«

Ich atme genervt aus. »Die Haut einer offensichtlich toten Walküre.«

Der junge Mann, der mich während des gesamten Kontrollganges begleitet hat, folgt mir wieder zu dem Gewandungsstand zurück. Auf wundersame Weise ist der schön drapierte Schwanenmantel auf einmal neben dem Eingang verschwunden und im Inneren des Zeltes aufgebaut. Dort erhascht ein Vorbeilaufender auf ihn erst im zweiten Anlauf einen Blick. Der Verkäufer ahnt Böses, als er uns wiederkommen sieht. »Gibt es immer noch Probleme wegen des Mantels?«, fragt er mich zur Begrüßung und ich spare mir ebenfalls Floskeln: »Ich werde prüfen, ob er ist, was ich glaube. In diesem Fall konfisziere ich den Mantel.«

»Mit welchem Recht?«, faucht der Verkäufer, entlockt mir jedoch nur ein mildes Lächeln. »Das werdet Ihr dann sehen! Wenn er ist, was ich glaube, gehörte er einer Tochter Odins und nicht in Menschenhand!«

Hilfesuchend blickt der Verkäufer zu meiner Begleitung aus dem Orga-Team, dieser mahnt ihn jedoch, es mich wenigstens probieren zu lassen. Womöglich sei der Mantel überhaupt nicht echt. Widerwillig nimmt der Verkäufer das Federgewand daher vom Kleiderständer und legt es mir um die Schultern.

Ein Schauer überkommt mich. Kaltes Leder liegt auf meiner Haut, berührt meinen Nacken, scheint durch meine Kleidung zu dringen. Alle Zweifel sind wie ausgelöscht. Es geschieht, was mir seit so vielen Jahrhunderten vertraut ist wie kaum etwas anderes. Ich schließe die Augen, spüre die fremde Haut meiner Schwester, ihre wird zu meiner. Was gerade noch Kleidung war, wird nun Teil meines Körpers. Ich achte nicht auf die erstaunten Blicke der Umstehenden, fühle nur noch, wie meine Gestalt sich verwandelt, die menschliche Erscheinung dem Körper eines Schwanes weicht.

Ich habe mich also nicht getäuscht. Eine Windböe gibt mir den Auftrieb, um von der Wiese abzuheben. Bald darauf sehe ich das Festivalgelände auf dem Goldberg unter mir liegen. Hier ist meine Arbeit getan. Nun muss ich herausfinden, was es mit dem Mantel auf sich hat. So schnell ich kann, kehre ich zurück nach Walhalla.

Wir sind die Bunten. Erlebnisse auf dem Festival-Mediaval

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