Читать книгу Bruckmann Wanderführer: Zeit zum Wandern Oberallgäu und Kleinwalsertal - Bernhard Irlinger - Страница 5
ОглавлениеDas Wanderland Oberallgäu
Im Oberallgäu und dem zu Österreich gehörenden Kleinwalsertal ragt das Herzstück der Allgäuer Alpen mit den mächtigsten Gipfeln über den grünen Tälern auf. Von den sanften Hügel des Alpenvorlandes, zwischen denen blau leuchtende Seen eingebettet sind, bis zu den beeindruckenden Hochgipfeln bietet die abwechslungsreiche Landschaft eine breite Palette lohnenswerter Touren für jedes Alter und jedes Können.
Ein Gebirge entsteht
Nur selten trifft man in den Alpen auf eine solche landschaftliche Vielfalt wie in den Allgäuer Alpen. Vor ca. 200 Millionen Jahren bedeckte ein flaches Meer das heutige Mitteleuropa. Tropische Temperaturen ließen das Meerwasser verdunsten und ein hoher Salzgehalt ließ die Dolomitgesteine entstehen, die heute den Allgäuer Hauptkamm aufbauen. Ständiger Wechsel zwischen Hebungen und Senkungen sorgte in den folgenden Jahrmillionen für die Bildung verschiedenartiger Gesteine. Im tiefen Wasser des Jurameeres wurden feine Sedimente abgelagert. Die daraus entstandenen mergligen Gesteine sind reich an Tonen und äußerst fruchtbar. Sie bilden die steilen Hochgipfel der Allgäuer Grasberge. In der Kreidezeit, vor ca. 100 Millionen Jahren, kam es in einem flacheren Meer zur Bildung kalkreicher Sedimente. Die damals entstandenen Schrattenkalke sind leicht löslich und bilden heute stark verkarstete Bergmassive wie das Gottesackerplateau. Vor 50 Millionen Jahren begann im Tertiär dann die Hebung der Alpen. Vor dem aufstrebenden Gebirge bildete sich ein Tiefseegraben, in dem wieder feine, merglige Ablagerungen entstanden. Von den steilen Seitenhängen rutschten immer wieder verschiedenartige Sedimente ab und sorgten für eine verwirrende Gesteinsvermengung. Das unter diesen Verhältnissen entstandene Gestein nennt man Flysch. Es bildet sanft geformte Berge mit fruchtbaren Grasflanken. Im Jüngeren Tertiär lagerten die aus dem aufsteigenden Gebirge kommenden Flüsse im Vorland Geröll ab, das durch feinere Sedimente zu einem festen Gestein verbacken wurde. Dieses Konglomerat wurde anschließend am Alpenrand mit in die Auffaltung des Gebirges einbezogen und bildet heute die Nagelfluhberge am Nordrand der Allgäuer Alpen.
Über der Buchelalpe weht die bayerische Rautenflagge im Wind.
Vom Stillachtal führt eine Wanderung zum Rappensee.
Vor ca. 2 Millionen Jahren begann die Eiszeit, die das Bild der Landschaft entscheidend überarbeitete. Mächtige Gletscher schürften die breiten Täler und die Seebecken im Vorland der Berge aus. Kleinere Eisfelder gruben die oftmals bis heute mit Seen gefüllten Kare in die Bergflanken und formten die Berge zu stolzen Felshörnern. Erst vor 10 000 Jahren endete die letzte Phase der Eiszeit.
Edelweiß und Steinbock
Ein Puzzle aus Wäldern und Weiden bestimmt das Landschaftsbild im Oberallgäu. Neben den Wirtschaftswäldern, in denen die Fichtenbestände dominieren, findet man vor allem an den Bergflanken artenreiche Mischwälder. Hier leuchtet im Herbst das bunte Laub von Buchen und Bergahorn und an manchen Stellen treten vermehrt Birken und Lärchen in Erscheinung. Über dem Kleinwalsertal kann man beispielsweise am Ifenmassiv die seltenen Zirben entdecken und vor allem in den Nagelfluhbergen trifft man auf uralte Eiben. Einen deutlichen Hinweis auf das Gestein, aus dem die Berge aufgebaut sind, erhält man durch die Sträucher in den höher gelegenen Bergregionen. Die im Allgäu Drusen genannten Grünerlen bevorzugen Standorte mit kieselhaltigem Untergrund, wie man sie zum Beispiel an den Flyschbergen findet. Auf kalkhaltigem Gestein wachsen die Latschen.
Der Hirschberg bei Hindelang im Abenddunst
Dank der vielfältigen Gesteine und Böden findet man im Allgäu auf engem Raum eine einzigartige Fülle unterschiedlicher Blumen. Im Frühjahr überziehen Krokusse die Wiesen und die filigranen Blüten der Soldanellen bezaubern den Wanderer. Auf sonnigen Felshängen leuchten die gelben Blüten der Aurikel. Bald reckt der stengellose Enzian seinen blauen Kelch dem Licht entgegen. Im Frühsommer findet man an schattigen Waldrändern die großen Lilienblüten des Türkenbunds und die weit verbreitete Akelei. In höheren Lagen blühen jetzt in schuttgefüllten Karen der Eisenhut, die verschiedenen Formen der Alpenrose und auf den Bergwiesen der gelbe Enzian, aus dessen Wurzeln der berühmte Schnaps gebrannt wird. Mit etwas Glück lässt sich auch die schönste der heimischen Orchideen, der Frauenschuh, und der weiße Blütenstern des Edelweiß entdecken. Um diesen Reichtum auch den folgenden Generationen zu bewahren, ist es für jeden Wanderer eine Selbstverständlichkeit, keine dieser Blumen zu pflücken.
Neben der Pflanzenwelt lädt auch die Fauna zu schönen Entdeckungen ein. Die teils großen Bestände an Rotwild und die damit einhergehenden Verbissschäden sorgen zwar immer wieder für Zwist zwischen den Waldbauern und der Jägerschaft; für den Wanderer ist es aber jedes Mal wieder ein Erlebnis, an Herbstabenden dem urtümlichen Röhren der Hirsche zu lauschen. In den Bergregionen begeistern die Kletterkünste der Gämsen. Mit ein wenig Glück kann man im Gebiet zwischen Kleinwalsertal und Stillachtal einen Steinbock entdecken. Diese stolzen Tiere wurden 1964 wieder angesiedelt und haben sich seither erfreulich vermehrt. Nicht nur die Lieblinge der Kinder sind die verspielten Murmeltiere, die auf hoch gelegenen Almböden in großen Kolonien leben. Ständiger Besucher bei der Gipfelrast sind die Bergdohlen, die um ihren Anteil an der Brotzeit betteln. Immer wieder sieht man auch verschiedene Greifvogelarten wie Bussarde und Falken ihre Kreise am Himmel ziehen. Besonderes Glück braucht man allerdings, um einen Adler zu beobachten. Maximal drei Paare brüten rund um Stillach- und Kleinwalsertal. Ebenso schwer sind Auerhahn und Birkhuhn zu entdecken, die nur in abgeschiedenen Gebieten leben.
Auf den Allgäuer Bergwiesen lassen sich mit etwas Glück junge Murmeltiere beim Spielen beobachten.
Der Mensch im Gebirge
Schon in der Stein- und Bronzezeit schweiften die Menschen in den Sommermonaten auf der Suche nach Jagdbeute und Mineralien durch das Gebirge. Im ersten vorchristlichen Jahrtausend waren es dann die Kelten, die sich als erste sicher nachgewiesene Siedler im Allgäu niederließen. Im Jahre 15 v. Chr. besetzten die Römer das Gebiet des heutigen Allgäus und gründeten die Provinz Rätien. Eine der wichtigsten Römerstädte in Rätien wurde das 15 n. Chr. gegründete Campodunum, das heutige Kempten.
Gerstruben am Fuße der Höfats wurde im 14. Jh. von Walsern aus dem Lechtal besiedelt.
Ab dem 3. Jh. drangen die Alemannen immer wieder in das Allgäu ein, das sie schließlich nach und nach besiedelten. Sie rodeten die Urwälder und begründeten die Viehwirtschaft. Bald gerieten sie unter den Einfluss der Franken, die ab dem 7. Jh. die Christianisierung vorantrieben. Im 11. Jh. entwickelte sich unter der Führung der Staufer ein Schwäbisches Herzogtum, zu dem auch das Allgäu gehört. Im 13. Jh. zerfiel das Herzogtum und das Allgäu wurde zu einem Flickenteppich verschiedener Herrschaftsgebiete, die von adeligen oder kirchlichen Herren regiert wurden. Das Ende des Mittelalters war eine wirtschaftlich zwiespältige Zeit. Einerseits sorgten der Salzhandel und der Erzabbau für vermehrten Wohlstand, der im Aufblühen der gotischen Kunst seinen Ausdruck fand. Andererseits unterlagen die Bauern einem von den Grundherren ins Unerträgliche gesteigerten Abgabendruck. Nach vorangegangenen Unruhen gipfelte der Unmut der Bauernschaft 1525 im Bauernkrieg. Nach anfänglichen Erfolgen mussten sich die Bauern den Truppen des Schwäbischen Bundes geschlagen geben. Weite Teile des Allgäus wurden verwüstet.
Die Milchkuhhaltung ist bis heute ein wichtiger Teil der Allgäuer Wirtschaft.
Nach einer kurzen Erholungsphase verarmte im Dreißigjährigen Krieg das Land vollends. Schwedenüberfälle und die grassierende Pest ließen ein zerstörtes und entvölkertes Allgäu zurück. Nur sehr langsam konnte sich das Land wieder erholen. Erst im 18. Jh. sorgten der seit dem Mittelalter betriebene Flachsanbau und die damit verbundene Leinenweberei wieder für ein wenig Wohlstand. Zwischen 1803 und 1805 fand der nicht von allen Allgäuern begrüßte Anschluss an Bayern statt. Doch unter der bayerischen Verwaltung fand das Land endlich die nötige Ruhe, um seine wirtschaftlichen Verhältnisse zu ordnen.
Im 19. Jh. schließlich bekam das Allgäu zwei entscheidende Impulse, die das Wirtschaftsleben bis heute maßgeblich beeinflussen. Zum einen verbreitete Carl Hirnbein das Wissen um die Verarbeitung von Milch zu haltbarem und gut verkäuflichem Käse. Die Viehwirtschaft, die bis dahin hauptsächlich zur Fleischversorgung gedient hatte, wurde nun auf die bedeutend lukrativere Milchwirtschaft umgestellt. Zum anderen begann mit dem Bau der ersten Eisenbahnen und der zunehmenden Vorliebe der Reisenden für romantische Naturlandschaften der Tourismus, der heutzutage Hunderttausende von Besuchern jedes Jahr wieder in die Allgäuer Bergwelt lockt.