Читать книгу Yester und Li - Bernhard Kellermann - Страница 6
IV.
ОглавлениеEs war nun wirklich Frühling geworden.
Finsternis und Rauch des Winters waren verschwunden, und die Kälte vorüber, die einem wie eine Katze ins Genick sprang, wenn man das Haus verließ.
Über den Häusern wölbte sich ein wolkenloser Himmel gleich einer ungeheuren Flagge von blaßblauer Seide. Weiche, laue Luft hauchte durch die Straßen. Die Stadt erschien wie aus einem klaren, duftenden Bade gestiegen.
Die Trottoire waren reingefegt von Sand und Schlacke, erfüllt von Spaziergängern. Jeder, dem es möglich war, ging zu Fuß, um die herrliche Luft und die wärmende Sonne zu genießen. Man trug Kleider von hellerer Farbe, und aus den Herzen der Menschen war der Mißmut entwichen, den der zu Ende gehende Winter erzeugt. Aus ihren Augen spiegelte der junge blaue Himmel. Wagen, besetzt mit Frauen und Kindern in schmucken Frühlingsgewändern, flogen an den Spaziergängern vorüber, und aus den Gesichtern der Insassen strahlte die Freude, bald den Wald und die Wiesen zu sehen.
Ginstermann hatte den Entwurf seines Dramas beendigt und benutzte das verlockende Wetter, um sich zu erholen, neue Kraft und neuen Blick für die Ausarbeitung zu gewinnen. Er wanderte stundenlang in den Straßen umher, mit wachen Augen und Ohren für alles, was um ihn vorging.
Er trug einen hellen Sommeranzug, der ihn ganz veränderte. Mit seinen schwarzen Augen und Haaren, dem elfenbeingelben Teint seines schmalen Gesichtes erschien er wie ein Südländer. Die ewige Zigarette im Munde, schlenderte er einher, wie einer, der den ganzen Tag nichts zu tun hat, als spazieren zu gehen und Zigaretten zu rauchen.
Auf einer dieser Promenaden — es war gegen Abend — sah er sie. Fräulein Bianka Schuhmacher.
Und ein eigentümliches Erschrecken durchlief ihn, als er sie gewahrte.
Eine schlanke Dame ging mit einem Herrn über den Odeonsplatz. Gestalt und Gang dieser Dame riefen augenblicklich das Bild von Fräulein Schuhmacher in ihm wach.
Voller Spannung sah er sie näherkommen.
Sie trug ein graues Jackett, das ihr bis an die Knie reichte, einen kleinen schwarzen Hut mit silbergrauem Schleier herum.
Sie bemerkte ihn nicht, sie plauderte eifrig und vergnügt mit ihrem Begleiter. Dieser war schlank, schmalbrüstig, größer noch als sie, mit hübschem, für einen Mann zu hübschem Gesicht, dessen Teint an den eines Kindes erinnerte. Er trug einen dünnen blonden Schnurrbart, und über seine Wange lief ein haarfeiner Schmiß.
Kleidung und Bewegungen verrieten den Mann der feinen Gesellschaft, dem der Sinn für das Korrekte, Tadellose angeboren ist.
Sie gingen nun gegenüber von ihm, eine Straßenbreite entfernt.
Der blonde hübsche Herr schüttelte leicht den Kopf voller Vergnügen über eine Bemerkung seiner Dame.
Er hörte das Mädchen sprechen und den Herrn antworten. Er verstand nichts, nur, daß er „Du“ zu ihr sagte.
Da hielt sie plötzlich im Plaudern inne, und ihr Blick traf unvermittelt den seinigen. Groß, ruhig, mit einem verborgenen Lächeln in den Augen sah sie ihn an.
Er zog den Hut.
Sie dankte, aber mehr mit den Augen als dem Neigen des Kopfes, das kaum wahrnehmbar war.
Der blonde hübsche Herr grüßte hastig und tief, ja mit einem gewissen Respekte, wie um durch die Achtung, die er einem Bekannten seiner Begleiterin zeigte, ihr seine eigene Ehrerbietung auszudrücken.
Ginstermann überschritt unwillkürlich die Straße, um den beiden unauffällig nachsehen zu können.
Sie waren bei einer Kunsthandlung stehen geblieben, und er bemerkte, wie Fräulein Schuhmacher den Kopf nach ihm wandte, während sie plauderte. Er blickte aber im selben Moment weg und tat, als habe er es nicht bemerkt.
Das Merkwürdige war, daß ihre Blicke ihn nicht auf der anderen Seite der Straße gesucht hatten.
Eine Weile kämpfte er mit der Versuchung, den beiden zu folgen und ihnen nach geraumer Zeit wie zufällig wieder zu begegnen. Allein es kam ihm schülerhaft, seiner unwürdig vor, und er setzte seinen Weg fort. Er blickte sich auch nicht mehr um, obschon es ihm eine förmliche Anstrengung kostete, seinen Kopf gerade zu halten, den eine unsichtbare Hand zu drehen versuchte.
Aber seine Gedanken, die eben noch wie wohlerzogene Kinder gefolgt hatten, vermochte er nicht mehr zu lenken.
Sie gingen mit den beiden durch die Straßen, blieben mit ihnen bei den Auslagefenstern der Magazine stehen, lauschten auf ihre Gespräche und das vertrauliche „Du“ des hübschen Herrn.
Zu Hause angelangt, versenkte er sich in sein Manuskript, überzeugt, daß er sich dadurch zur Ordnung zwinge. Er sah sich getäuscht.
Seine Gedanken fuhren fort, neben den beiden einherzugehen, sie traten mit ihnen in die Geschäfte, beteiligten sich an der Auswahl des Gegenstandes und schlüpften zwischen ihnen und der Verbeugung des Kommis zur Türe hinaus. Sie stiegen mit ihnen in eine Droschke, sahen zu, wie sie an einem tadellos gedeckten Tisch, an dem noch einige andere Leute saßen, dinierten. Sie hörten sie plaudern, mit den Bestecken klappern, beobachteten, wie die Tafel aufgehoben wurde, und man sich zur Ruhe in Sessel niederließ. Das alles, während er Worte vor sich las, die nur zögernd blasse und unzusammenhängende Eindrücke erweckten.
Ärgerlich über sich sprang er endlich auf und nahm den Hut. Aber mitten auf der Treppe wandte er wieder um und kehrte in sein Zimmer zurück.
Er lächelte über sein Betragen.
Weshalb sollte er eigentlich fortlaufen, fragte er sich.
Was kümmerte ihn dieses Mädchen? Was kümmerte ihn ihr Verlobter?
Daß jener hübsche blonde Herr mit seinem rosigen Teint der Verlobte von Fräulein Schuhmacher war, erschien ihm außer Zweifel. Die respektvolle Vertraulichkeit, mit der er mit ihr plauderte und lachte, die ihr geltende Achtung, mit der er vor ihm den Hut gezogen, bewiesen ihm das zur Genüge.
Aber was kümmerte ihn das?
Sollte ihm das Mädchen deshalb begehrenswerter erscheinen, weil ein anderer seine Seele besaß?
Zudem hatte sie ihn ja kaum gegrüßt, als scheue sie sich, ihrem Verlobten merken zu lassen, daß dieser Mensch in seinem lächerlichen Sommeranzug sie kenne.
Unerklärt blieb allerdings, weshalb sie sich nach ihm umgewendet hatte.
Aber das war nicht von weiterer Bedeutung.
Vielleicht in Gedanken, vielleicht um zu sehen, ob er ihr und ihrem hübschen Kavalier nachgaffe. Vielleicht hatte sie zu ihm gesagt: Du guck, das ist der, der das Gedicht „Martyrium“ geschrieben hat.
Und der Blonde hatte geantwortet: Der mit den niedergetretenen Absätzen?
Und sie hatten gelacht.
Hatte er nicht deutlich ein Lächeln in ihren Zügen aufsteigen sehen, das sie Mühe hatte, so lange zu unterdrücken, als er herblickte?
Auf- und abgehend, erfand er einen Dialog, in dem die beiden über ihn witzelten. Dadurch geriet er allmählich in eine heitere Stimmung, die ihm über den Vorfall hinweghalf.
Er setzte sich an seine Arbeit, und nun hatten die Repliken plötzlich Klang und Sinn. Er arbeitete bis spät in die Nacht hinein und legte sich zufrieden mit sich nieder, noch während des Einschlafens mit dem Schicksale seiner Gestalten beschäftigt. —
Am anderen Morgen fand er ein Billett im Briefkasten. Es hatte folgenden Inhalt: Weshalb sah man Sie denn solange nicht mehr? Ich vermutete, Sie seien erkrankt. Gruß, auf Wiedersehen, Bianka Schuhmacher.